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Elections

08.10.1999

Blochersches Wetterleuchten in der Westschweiz

Umgang mit einer Partei, die noch fern und doch schon da ist Für Sie gelesen: Neue Zürcher Zeitung 8. Oktober 1999 Die Westschweiz erlebte das "Phänomen" Blocher während Jahren wie das ferne Donnergrollen eines Gewitters, das nach allen Vorhersagen die Saane nie überqueren würde. Auch heute ist die SVP im Welschland noch eine marginale Erscheinung; sie wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem allfälligen Erfolg der schweizerischen Partei bei den nächsten Wahlen wenig beitragen. Aber es wetterleuchtet. Vorbote welcher Zukunft? rfr. Lausanne, 7. Oktober Wie kommt es, fragt sich die "Liberté", dass Blocher plötzlich im Welschland derart präsent ist und sich der Teufel, als der er hier bis vor kurzem fast ausschliesslich dargestellt wurde, zum irritierenden Teufelskerl mausert? Der Bogen reicht vom grossen, siebenseitigen Interview im "Hebdo" bis zur Einladung in den Lausanner Cercle de la presse. Hat das alles, fragt sich der Freiburger Journalist, nicht Methode? Wird da - und auf Kosten von wem - schon dem Bundesrat Blocher das Terrain geebnet? Achtung: Wolf im Schafspelz Die Westschweiz hat, was die SVP- und Blocher-Kenntnis betrifft, Nachholbedarf. Blocher, das war eine reine Deutschschweizer Erscheinung, der Ober-Nein-Sager, der den EWR bodigte und gegen die Fremden ist, eine Neuauflage von Schwarzenbach, ohne Chancen im weltoffenen Welschland. Der Triumph in Zürich mit seinen möglichen Auswirkungen auf eidgenössischer Ebene schreckte auf. Die Maulkorb-Initiative verdeutlichte, dass es nicht nur um Europa- und Ausländerpolitik geht. Der Wahlerfolg Haiders ("L'Express": "Un Blocher autrichien", "Le Temps": "Haider, Blocher, l'automne des extrêmes") hatte gerade noch gefehlt. Nun entdecken die Romands, dass dieses Ungeheuer "das biedere Gesicht eines guten Onkels" trägt und auch französisch den Volkston trifft. Dem "Hebdo" gesteht Blocher gar, dass er an Gott glaubt und gelegentlich betet, "weil er manchmal das Bedürfnis hat, die Gewissheit wiederzufinden, dass wir gerettet werden". Die Journalisten erleben einen Politiker, den die Joghurt- Attacke vor der Lunch-Debatte nicht im geringsten aus der Ruhe brachte, der sie zwar nicht überzeugte, aber die Diskussion unangefochten beherrschte. Was tun? Das Wochenmagazin mahnt (ungefähr wie das Muttertier im Märchen vom Wolf und den sieben Geisslein seine Jungen), dass (trotz der weissgepuderten Pfote) die "politische Vision einer abwehrenden, sich an die überholte Neutralität klammernden, rechthaberischen Schweiz" gefährlich sei und bleibe. Ihr, nicht dem Menschen, gilt es eine Absage zu erteilen: "Christoph Blocher est sympathique, nous ne voterons jamais UDC." Auf dem Weg zur "nationalen" Partei Die SVP bemüht sich, stärker ins Welschland auszugreifen und zur gesamtschweizerischen Partei zu werden. Noch kann niemand die Hand dafür ins Feuer halten, dass ihr die Expansion gelingt. In traditionelle Parteienlandschaften einzudringen ist schwierig. Weder die SVP noch die CVP schaffte es bisher, im Kanton Neuenburg Fuss zu fassen. Den Liberalen ist es in den letzten Jahren nicht geglückt, sich über ihre Stammlande hinaus zu verbreiten; im Wallis serbelt die Liberale Partei nach einem Anfangserfolg. Die Oberwalliser FDP, die heuer das zwanzigjährige Bestehen feiert, ist erst vor wenigen Jahren nach zäher Aufbauarbeit vielleicht der entscheidende Durchbruch gelungen, als sie das Stadtpräsidium von Brig eroberte. Achtzig Jahre lang warteten die Sozialisten im Wallis auf den Einzug in die Kantonsregierung! Das Welschland ist für die SVP ein hartes Pflaster. In den drei Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt besetzen die Liberalen das Feld rechts der FDP. Es gibt zwar verwurzelte Kantonalparteien in der Waadt und im Kanton Freiburg, aber erstere liegt eher auf der "Berner" Linie, letztere befindet sich (Verlust des Regierungssitzes) jedenfalls nicht in bester Verfassung. Die Waadtländer SVP hätte den Staatsratssitz letztes Jahr wohl nicht (auf der bürgerlichen Liste) zurückerobert, wäre sie auf den Zürcher Kurs eingeschwenkt. Der heutige Staatsrat Jean-Claude Mermoud erklärte im Vorfeld der Wahlen, damals noch Präsident der Kantonalpartei: "Wir werden dank unseren Ideen der politischen Mitte stärker. Ohne Blocher." Verdächtig häufig lassen Maurer und Blocher in letzter Zeit die Bemerkung fallen, dass sie immer öfter Briefe aus dem Waadtland erhielten, in denen der Mangel einer konsequenter gegen Integration auftretenden Partei in diesem Kanton beklagt werde. Es würde nicht erstaunen, wenn die Waadtländer SVP in nächster Zeit einige Turbulenzen zu bestehen haben sollte. Aufbau im Wallis, Ausschluss in Genf Fürs erste zog es die SVP vor, nicht eine bestehende Partei umzupolen, sondern im zweisprachigen Wallis - wo sich der deutschsprachige Kantonsteil als Brückenkopf anbot - eine Neugründung zu forcieren. Sie suchte lange nach einer Basis im Oberwallis und knüpfte im welschen Wallis Kontakte mit der - Ecône nahestehenden - konservativen Absplitterung der CVP, zu welcher der Präsident der schliesslich gegründeten Partei, der die Stimmung im Kanton besser kennt, nun Distanz markiert. Im Wallis ist es der SVP gelungen, eine geographisch relativ breit abgestützte, wesentlich aus dem Gewerbe rekrutierte und von einem Intellektuellen präsidierte Kantonalpartei ins Leben zu rufen. - Die Walliser Erfahrung mag dazu beigetragen haben, dass die schweizerische Parteileitung den Fall des mit der "neuen Rechten" liierten Genfer SVP- Nationalratskandidaten Junod schliesslich zum Anlass nahm, hart durchzugreifen. Die Genfer SVP schleppt sich seit Jahren am äussersten rechten Rand mehr schlecht als recht dahin. Viel Potential geht der SVP nicht verloren, wenn sie diese Kantonalpartei ausschliesst. Im Gegenteil, "tabula rasa" mag den Strategen in Bern und Zürich nur recht sein, sei es, um einen breiter abgestützten Neuanfang nach dem Walliser Vorbild zu ermöglichen, sei es, um den Weg zu einer Annäherung an die Liberale Partei, die heute solche Szenarien allerdings noch weit von sich weist, nicht zu kompromittieren. Veränderte Perspektiven? Fühlt sich das Welschland gegen den "Blocherismus" nicht mehr in aller Selbstverständlichkeit gefeit? Anzeichen deuten auf eine veränderte Einschätzung der längerfristigen Perspektiven. Im Moment bieten die Kantonalparteien der SVP in der welschen Schweiz allerdings noch ein verwirrendes Bild. Es fehlt an Potential, charismatischen Figuren, profiliertem Auftritt. Konkret beunruhigt die SVP deshalb im Hinblick auf die kommenden Wahlen kaum eine der anderen Parteien, ausgenommen im Wallis, wo es besonders offen ist, wie viele Wähler den eingesessenen Parteien davonlaufen. Mit einem Mandatsgewinn der SVP rechnet man im Wallis indes nicht. Ihre Gründung ist eine "längerfristige Investition" (2000 finden kommunale, 2001 kantonale Wahlen statt).

01.09.1999

Nicht mehr mit derselben Leidenschaft

SVP-Nationalrat Christoph Blocher über seine gebremste Lust, die bilateralen Verträge mit einem Referendum zu bekämpfen Interview mit dem Tages Anzeiger vom 1. September 1999 Das Gespräch führten Jean-Martin Büttner und Walter Niederberger Herr Blocher, Sie wirkten etwas fahrig bei Ihrem Ratsauftritt am Montagabend, als wären Sie nicht recht bei der Sache. Blocher: Kein Wunder: Ich musste vorher den ganzen Tag lang den Anderen zuhören. Ich will hier niemandem zu nahe treten, aber: Mit diesen Europafragen schlage ich mich seit 15 Jahren herum, während die anderen immer nur ihre alte Platte laufen lassen, wonach wir zu Europa gehören und sie für die Öffnung eintreten und so weiter. Eine klare Analyse aber, wofür diese bilateralen Verträge letzten Endes gut sein sollen, habe ich nicht vernommen. Sie halten die Verträge zwar für schlecht; besonders engagiert wirken Sie dabei nicht. Blocher: Das ist wahr, aber so ist das immer wieder in der Politik - dass Sie etwas durchgehen lassen müssen, auch wenn Sie nicht davon überzeugt sind. Die Frage für mich ist: Wie schlecht dürfen diese Verträge sein? Wenn wir sie nämlich ablehnen und recht bekommen, muss derselbe Bundesrat, der dann selbstverständlich nicht zurücktreten wird, neue Verträge aushandeln. Bringt er dann bessere? Ich zweifle daran. Er würde in einer solchen Situation doch gar keine besseren Verträge abschliessen können. Blocher: Doch, davon bin ich überzeugt. Wenn der Bundesrat sein EU-Beitrittsgesuch zurückziehen und ohne Zeitdruck nochmals verhandeln würde, kämen garantiert bessere Verträge heraus. Bundesrat und Parlament haben die Schweizer Verhandlungsdelegation geschwächt. Aber das wäre auch im Wiederholungsfall so, und darum käme nichts Besseres dabei heraus. Das kann doch nicht der einzige Grund für Ihre Zurückhaltung sein. Blocher: Nein, es gibt noch andere. Zwei grosse Steine wurden aus dem Weg geräumt: Erstens sind die Einführung der Personenfreizügigkeit in sieben Jahren und die Osterweiterung der EU dem fakultativen Referendum unterstellt. Das gibt Sicherheit. Zweitens zeichnet sich ab, dass der Inlandverkehr durch die Bilateralen nicht diskriminiert wird. Wie das Ganze aber am Schluss herauskommt, bleibt offen. Deshalb werde ich erst am 8. Oktober, nach der Herbstsession entscheiden, ob ich die Verträge ablehne oder nicht. Es kann gut sein, dass ich zwar gegen die Verträge bin, aber selbst kein Referendum lanciere. Wie schätzen Sie die Haltung Ihrer Partei in dieser Frage ein? Blocher: Keine Partei allein schafft 50'000 Unterschriften in drei Monaten, das können Sie gleich vergessen. Also bleibt die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz, und auch die will erst das Resultat der Debatte abwarten. Aber Ihre Auns, das wurde schon im Frühjahr deutlich, will das Referendum auf jeden Fall ergreifen. Geraten Sie da nicht in einen Konflikt mir Ihren grössten Fans? Blocher: Natürlich wollen viele ein Referendum. Wenn ich anderer Meinung bin, muss ich sie halt überzeugen - auf die Gefahr hin, dabei zu unterliegen. Aber es geht nicht nur darum, ob Sie das Referendum unterstützen, sondern auch wie. Und dabei wird deutlich spürbar, dass Sie dazu wenig Lust haben. Haben Sie Angst vor einer Abstimmungsniederlage? Blocher: Nein; die Zurückhaltung hat mit dem Gewicht zu tun, das ich dieser Frage beimesse. Beim EWR habe ich einen Kolonialvertrag bekämpft, von dem ich wusste, dass er zwangsläufig in die EU führt. Heute stehen allenfalls innenpolitisch schlechte Verträge zur Diskussion. Es geht also um Innenpolitik, nicht um die Schweizer Souveränität. Mit derselben Leidenschaft und dem heiligen Zorn, der mich bei der EWR-Abstimmung begleitete, kann ich die Bilateralen nicht bekämpfen. Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn die Schweiz die Verträge ablehnt? Blocher: Für die Schweizer Wirtschaft ist das keine Katastrophe. Die EU wird uns zunächst einmal schneiden, und wir werden erst einmal abwarten. Spätestens nach einem halben Jahr wird Brüssel verhandeln wollen, weil ja der Transitvertrag abläuft und die EU die Alpendurchfahrt braucht. Ausserdem sind wir als Kunde für die EU-Länder die Nummer zwei, nach den USA und vor Japan. Das ist doch eine exzellente Ausgangslage. Aber die Verträge bringen unzweifelhafte Vorzüge für die Schweiz: In der Bildung und in der Forschung, für die Exportwirtschaft und speziell für Swissair, für die Schweizer Grenzregionen... Blocher: Ich sehe gewisse Vorteile: Die Anerkennung von Schweizer Diplomen, die erleichterten Anstellungsbedingungen im Ausland. Von der Teilnahme an der europäischen Forschung halte ich dagegen nichts. Die nationale Forschung, das sagen auch Fachleute, ist weit wirkungsvoller ist als die europäische. Im Kern geht es immer darum, für die getroffenen Entscheide auch die Verantwortung zu übernehmen. Und wenn ein politischer Raum so gross ist wie die Europäische Union, muss niemand für Fehler gerade stehen. Es gibt auch innenpolitische Gründe für Sie, die Bilateralen nicht zu torpedieren. Falls die Verträge nämlich durchkommen, haben Sie zunächst einmal Ruhe. Würden sie abgelehnt, käme sofort der Ruf nach einem EU-Beitritt. Blocher: Das mögen Sie recht haben, aber der Ruf nach einem EU-Beitritt kommt sowieso, die Initiative ist ja hängig. Und die Zeit arbeitet für uns: Je länger wir der EU bei ihrer Entwicklung zuschauen können, desto weniger spricht für sie. Ich sage in jedem Fall eine massive Ablehnung des Beitrittsgesuchs voraus. Die Europafreunde versuchen sich ja auch publizistisch zu profilieren; was halten Sie eigentlich von "Courage", dem europhilen Gratisblatt von vier pro-europäischen Schweizer Organisationen? Blocher: Als das Projekt angekündigt wurde, bekam ich ein bisschen Angst: Noch mehr Europa-Propaganda? Jetzt, nach vier Nummern, kann ich nur sagen: Hoffentlich wird dieses Heft noch möglichst lange verteilt. Wer einen derartigen Mist unter die Leute bringt, nützt nur seinem Gegner - also uns.

23.08.1999

Das Volk ist nicht mehr bereit, alles zu dulden

Interview im Bündner Tagblatt vom 23. August 1999 Reisserische Plakate für die Asylmissbrauchs-Initiative und nun die "Goldinitiative": Die SVP steht wieder einmal rechtzeitig zu den Wahlen im Rampenlicht... Christoph Blocher: Dass die beiden Initiativen jetzt aktuell werden, ist ein glücklicher Zufall. Andererseits werden damit jene Probleme angesprochen, die vom neuen Parlament gelöst werden müssen: Unser Verhältnis zur EU, eine bessere Bewirtschaftung der Steuergelder und der Asylmissbrauch. Bei der "Goldinitiative" wird Ihnen Augenwischerei vorgeworfen, die Löcher in der AHV-Kasse liessen sich damit nicht stopfen. Blocher: Wenn jemand sagt, 20 Milliarden Franken seien nichts, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Natürlich löst man damit nicht alle Probleme der AHV. Aber die Renten werden sicherer und es braucht weniger Mehrwertsteuerprozente. Und von dieser Entlastung profitiert jeder einzelne. Und bei der Asyl-Initiative sind selbst SVPler schockiert über die reisserischen Plakate. Blocher: Es veranschaulicht die heutige Situation. Hoher Asylmissbrauch und erst noch oft zu kriminellen Zwecken. Für die Polizei wird die Belastung immer grösser. Und die Bevölkerung ist nicht mehr bereit, dies alles zu dulden. Nachdem Bundesrat und Parlament nicht handeln wollten, mussten wir einfach eingreifen. Die Kampagne ist übrigens sehr erfolgreich: Wie anders ist es zu erklären, dass nun auch die SP und die FDP ihre Plakate mit einem Schweizerkreuz schmücken? Das hätte bis vor kurzer Zeit niemand geglaubt! Der böse Mann auf den SVP-Plakaten ist in Chur durch ein Bild von Christoph Blocher ersetzt worden. Für die Macher scheinen Sie zu einer Bedrohung geworden. Tut Ihnen das im tiefen Herzen weh? Blocher: Nein. Alle wissen, dass ich kein Gangster bin. Wer diesen Gangster also durch mich ersetzt hat, lügt, und das wird vom Volk nicht honoriert. Mit dieser plumpen Aktion haben die Urheber das Gegenteil erreicht: Unsere Kampagne hat eine noch grössere Beachtung gefunden. Die Politik nimmt sie derzeit sehr stark in Anspruch. Bleibt da Zeit für Ems-Chemie? Blocher: Für die Politik wende ich immer etwa gleich viel Zeit auf. Ich bin jedes Jahr politisch aktiv, so dass sich in einem Wahljahr für mich keine zusätzlichen Aktivitäten aufdrängen. Ich mache beispielsweise für mich keine Wahlveranstaltungen. Also habe ich auch stets genügend Zeit, um die Ems-Chemie zu leiten. Trotzdem haben Sie sich von den Aktionären nur für ein weiteres Jahr wählen lassen. Blocher: Wir möchten die Struktur des Verwaltungsrates bis zur nächsten Generalversammlung generell überprüfen, da braucht es für mich keinen Extrazug. Deshalb habe ich auch mich vorerst nur für ein Jahr bestätigen lassen. Welche Bedeutung wird dem Werkplatz Domat/Ems in 10 bis 20 Jahren zukommen? Blocher: Wenn die Politiker keinen Blödsinn machen, wird der Werkplatz Domat/Ems auch in Zukunft gute Chancen haben. Unsere Leute arbeiten sehr erfolgreich und haben starke Produkte. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Unser Hauptproblem ist die immer höhere Energiebelastung. Wer nach Amerika und China exportieren will, muss mit diesen Staaten mithalten können, also möglichst tiefe Produktionskosten aufweisen.

04.07.1999

Das Duell – Blocher gegen Couchepin

Mein Streitgespräch mit Bundesrat Pascal Couchepin in der SonntagsZeitung vom 4. Juli 1999 Interview: Andreas Durisch, Othmar von Matt Herr Bundesrat Couchepin, was ist Ihr Hauptvorwurf an Herrn Blocher? Pascal Couchepin: Zunächst möchte ich Sie im Bundeshaus herzlich willkommen heissen. Christoph Blocher: Vielen Dank. Es ist ja schliesslich Volksbesitz. Couchepin: Zu Ihrer Frage: Herr Blocher provoziert in seinen Reden fast immer negative Emotionen. Das ist mein Hauptvorwurf. Dadurch stellt man in der Schweiz Folgendes fest: eine sinkende Toleranzgrenze und gleichzeitig eine sinkende Qualität des politischen Dialogs und der politischen Kultur. Ein sehr deutliches Beispiel dafür ist die Absicht, mit einer Initiative Regierung und Parlament institutionell von der Debatte über Initiativen auszuschliessen. Blocher: Mit diesen Vorwürfen kann ich nichts anfangen. Diese Initiative ist nicht für die Politik, aber vielleicht für die Politik des Bundesrates negativ. Couchepin: Ich kann das erklären. Blocher: Ich auch. Wofür habe ich mich in den letzten Jahren eingesetzt? Für eine souveräne Schweiz, für ein Land, das die Zukunft selbst bestimmen kann. Deshalb bin ich gegen einen Beitritt der Schweiz zur EU. Für den Bundesrat ist dies natürlich eine negative Emotion, weil er der EU beitreten möchte. Er kann es nicht ertragen, dass in diesem Land jemand so entschieden eine andere Meinung vertritt. Weshalb meine Politik negativ sein soll, kann ich nicht sehen. Richtig ist allerdings, dass ich hin und wieder provoziere. Couchepin: Man kann Ihre Ziele teilen oder nicht. Das ist Teil der normalen politischen Debatte. Man kann für Europa sein oder gegen den EU-Beitritt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Gravierend ist allerdings Ihr Stil. Mit Ihrer konstanten Feindseligkeit provozieren Sie Emotionen. Gegen Brüssel etwa. Als ob Brüssel ein Feind der Schweiz wäre. Diese Provokationen dürften zwar Teil Ihres Erfolgsrezeptes sein - für die Schweiz allerdings stellen sie eine Gefahr dar. Sie sehen die Welt nur in Freunden und Feinden. Wer Ihre Meinung nicht teilt, ist praktisch ein Verräter. So schaffen Sie negative Emotionen. Über das Ziel kann man diskutieren. Aber die Mittel, die Sie benutzen, zerstören letztlich das eigentliche Ziel. Blocher: Jetzt sind wir wieder bei der berühmten Stildiskussion. Couchepin: Es geht um mehr. Der Stil zeigt den Menschen. Blocher: Diese Diskussion kenne ich. Auf Ihrer Seite reagiert man auf Widerspruch sehr empfindlich. Ich spreche dabei nicht von Feinden, sondern von Gegnern. Das ist nicht dasselbe. Politik lebt von dieser Auseinandersetzung. Ich kritisiere die Politik des Bundesrats, weil dies Teil meiner Aufgabe ist. Ich wurde gewählt, dass ich meine Politik vertrete. Damit muss sich der Bundesrat wenigstens argumentativ verteidigen, kann nicht lediglich entgegnen: «L'état c'est moi.» Blocher darf nichts sagen; Vive le roi! Immer stärker ist beim Bundesrat eine pseudomonarchische Stimmung festzustellen. Man darf zwar grundsätzlich gegen höhere Steuerabgaben und Gebühren sein - aber man darf diejenigen nicht nennen, die sie dauernd erhöhen. Couchepin: Nochmals, mein Vorwurf bezieht sich nicht auf Ihre Ziele. Mit Ihrer Sprachregelung, dem Freund-Feind-Konzept, richten Sie allerdings den Dialog und die Demokratie vollständig zu Grunde. Das ist eine Tatsache. Blocher: Also bin ich der Feind der Administration. Blocher ist gefährlich. Couchepin: Nein. Die Initiative ist sehr gefährlich. Persönlich glaube ich übrigens, dass Sie diese Initiative eher zufällig unterschrieben haben. Sie haben sich wohl gesagt: Die Initiative wäre noch etwas, rechneten allerdings nicht mit diesem Echo. Aber damit wurde eine Grenze überschritten, die weit über den bisherigen Stil hinausgeht. Man will demokratisch gewählten Institutionen - Bundesrat und Parlament - verbieten, sich zu einer Initiative zu äussern. Die Demokratie ist aber ein fragiles politisches Ökosystem, dessen Gleichgewicht man erhalten muss. Geht man mit Gewalt gegen ein solches System vor und nimmt ihm gewisse Elemente weg, dann ist das ganze Gefüge in Gefahr. Die Initiative ist deshalb extrem gefährlich, weil sie das Gleichgewicht der Demokratie bricht. Ist es der erste Schritt zu einem Staatsstreich? Couchepin: Diese Frage könnte man erst im Nachhinein beurteilen. Man hat die Initiative in den letzten Tagen mit verschiedenen Gesetzen aus dem Jahre 1933 verglichen. Ich finde Vergleiche mit einer so tragischen Zeit nicht gut. Die Geschichte lehrt uns allerdings: Leute wie Sie, Herr Blocher, haben immer gesagt, der erste Schritt sei völlig ungefährlich. Man verstehe sie miss. Sie wollten genau das Gegenteil dessen, was man nun behaupte. Diese Worte haben eine zersetzende Wirkung. Jemand sagte mir: Wenn ihr die Initiative bekämpft, dann bekommt sie erst recht Gewicht. Das ist mir egal. Ich will, dass die Leute von Beginn an wissen, was sie allenfalls unterschreiben. Ich sage ihnen lediglich: Die Behörden und der Bundesrat finden die Initiative schlecht. Wir eröffnen keine Hexenjagd. Nur müssen die Leute wissen, was ihre Unterschrift bedeutet. Blocher: Diese Initiative, die verlangt, dass künftig Volksinitiativen innert 6 Monaten zur Abstimmung gebracht werden müssen, verbietet es Bundesrat und Parlament nicht, Stellung zu beziehen. Offenbar hat der Bundesrat den Initiativtext nicht einmal gelesen, sondern nur das Inserat. Die Initiative sagt, es bedarf keiner Stellungnahme; selbstverständlich kann der Bundesrat Stellung nehmen. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Volksinitiativen in Bern lange «herumgeteiggt» werden, im Schnitt etwa vier Jahre. Man taktiert, um das Begehren vom Tisch zu bringen, oder wartet den günstigsten Zeitpunkt ab. Ein Beispiel: Warum konnte man die Initiative für den EU-Beitritt, die von meinen Gegnern stammt, nicht nach einem Jahr zur Abstimmung bringen? Weil man weiss, dass das Volk diese Initiative ablehnen würde. Also sucht man irgendeinen günstigen Zeitpunkt. Das aber ist ein Missbrauch. Erschreckend ist die Reaktion des Bundesrates. Vor allem der Vergleich mit dem deutschen Ermächtigungsgesetz von 1933. Dieses wollte genau das Gegenteil, nämlich die uneingeschränkte Macht der Regierung. Ob dieser Vergleich tatsächlich aus dem Bundesrat stammt, weiss ich nicht. Herr Couchepin, war dieser Vergleich im Gesamtbundesrat ein Thema? Couchepin: Die Initiative wurde kurz diskutiert. Wir waren alle der Meinung, dass es sich um eine gefährliche Initiative handelt. Blocher: Wenn man dieser Initiative einen Vorwurf machen kann, dann vielleicht den, dass sie der Verwaltung etwas weniger Macht gibt. Das mag für den Bundesrat gefährlich sein, nicht aber für das Land. Dass der Bundesrat glaubt, dem Volk sagen zu müssen, welche Volksinitiativen es unterschreiben soll und welche nicht, ist eine unglaubliche Verachtung der Mündigkeit des Bürgers. Und ich, der an diese Mündigkeit glaubt, werde als gefährlich bezeichnet. Ich habe jedenfalls noch nie gesagt, Herr Couchepin sei mein Feind, er sei gefährlich. Das wäre schlechter Stil. Couchepin: Ich sagte lediglich, die Initiative sei gefährlich. Die direkte Demokratie funktioniert auf der Basis eines Informations- und Argumentationsaustausches. Es ist eine Art politischer Marktplatz. Was bleibt, wenn Bundesrat und Parlament nicht mehr Stellung nehmen können? Es erhalten jene die Macht, welche die finanzielle Potenz haben, die Medien mit politischer Werbung vollzustopfen. Deshalb limitieren Sie mit dieser Initiative die Möglichkeit des Volkes, die Informationen zu erhalten, die es wünscht. Es ist eine antidemokratische Initiative. Sehen Sie hier totalitäre Tendenzen? Couchepin: Zumindest wird das demokratische Ökosystem in Frage gestellt. Blocher: Ich freue mich ausserordentlich, dass der Bundesrat plötzlich zum Verfechter der direkten Demokratie geworden ist. Dahinter verbirgt sich allerdings etwas anderes. Couchepin: (unterbricht energisch) Sie sprechen mitten in einem Gespräch davon, dass ich irgendetwas verberge. Das ist genau der Stil, gegen den ich protestiere! Nehmen Sie meine Worte einfach so, wie ich sie sage. Blocher: (unterbricht) Sie haben mir doch genau dasselbe vorgeworfen. Couchepin: Nein. Ich spreche nur von den objektiven Zielen der Initiative. Ich werfe Ihnen persönlich keine diktatorischen Ambitionen vor. Blocher: Ein Blick zurück zeigt, wie ernst der Bundesrat diese direkte Demokratie nimmt. Ein Beispiel: Am 5. März 1997 hat Arnold Koller verkündet, der Bundesrat wolle eine Solidaritätsstiftung schaffen. Koller hat ausdrücklich versichert, es brauche dafür einen eigenen Verfassungsartikel: Volk und Stände könnten darüber abstimmen. Inzwischen behauptet man im Bundesrat, man könne die Stiftung auch lediglich durch ein Gesetz einführen. Couchepin: Sie werfen uns vor, verfassungswidrig zu handeln? Blocher: Wenn Sie dies tun: Ja! Couchepin: Mit welchem Recht? Wer, wenn nicht der Bundesrat, respektiert die Verfassung? Wollen Sie etwa sagen: Ich, Christoph Blocher, bin die Verfassung, das Volk und noch dazu das Parlament? Blocher: Im Verfassungsartikel, den das Parlament mit dem Währungsartikel zu Fall brachte, stand rein formell, dass das Gesetz bestimmt, wie die Reserven der Nationalbank verteilt werden - damit Volk und Stände materiell wieder nichts zu sagen gehabt hätten. Couchepin: War dies etwa kein neuer Verfassungsartikel? Blocher: Aber nicht ein Verfassungsartikel, der gesagt hätte, wie die Goldreserven aufgeteilt werden müssen. Herr Blocher, 1995 haben Sie, Ueli Maurer und Toni Bortoluzzi im Parlament dafür gestimmt, dass die Armee-Halbierungs-Initiative dem Volk gar nicht erst vorgelegt wurde. Couchepin: Als Parlamentarier sind wir leider dazu verpflichtet, die Rechtsgültigkeit von Initiativen wie Richter zu entscheiden. 1995 lag dem Bundesrat ein Gutachten vor, das besagte, die Armee-Halbierungs-Initiative sei nicht rechtsgültig. Deshalb habe ich für die Rechtsungültigkeit gestimmt. Damit haben Sie sich für das Gegenteil dessen eingesetzt, was Sie heute fordern. Blocher: Nein. Wenn ich als Parlamentarier über die Rechtsgültigkeit entscheiden muss, dann muss ich entscheiden. Genau das will unsere Volksinitiative: dass wir Parlamentarier dies nicht entscheiden. Wir sind doch keine Richter. Couchepin: Sie wollen die Prüfung der Rechtmässigkeit abschaffen? Blocher: Ja. Couchepin: Dann entfernen wir uns definitiv vom Rechtsstaat. Das heisst: Sie wollen nicht nur den demokratischen Dialog aufheben, sondern auch noch verhindern, dass die Rechtsgültigkeit von Initiativen diskutiert wird. Sie versuchen, über diese Volksinitiative ganz einfach konzentrierte Macht zu erlangen, in der Dialog und Information keine Rolle mehr spielen. Blocher: Nein, Herr Couchepin, das Volk entscheidet darüber. Sie können mir zehnmal unterschieben, dies und jenes sei «exclu», verboten, ausgeschlossen. Der Initiativtext ist klar. Herr Couchepin, bietet diese Initiative der FDP vier Monate vor dem Wahlkampf eine gute Gelegenheit, sich von der immer mächtigeren SVP zu distanzieren? Couchepin: Ich gehöre jener Partei an, welche diesen Staat gegründet und sein demokratisches System aufgebaut hat… Blocher: (unterbricht) Wir waren auch dabei. Couchepin: Aber sicher. Wir waren die Architekten, und Sie haben mitgemacht. Vorausgesetzt, Ihre Vorfahren waren Freisinnige. Blocher: Natürlich. Die Freisinnigen sind unsere Grossväter (lacht). Couchepin: Meine Partei verteidigt das demokratische System aus Berufung. Was nun Christoph Blocher betrifft: Seine Absichten kann ich nicht einschätzen, da ich weder Psychoanalytiker noch Pfarrer bin. Ich stelle allerdings fest, dass er in eine für die Demokratie sehr gefährliche Richtung geht mit dieser Initiative. Deshalb bekämpfe ich sie. Nun möchte ich Ihnen aber noch eine Frage stellen, Herr Blocher. In einigen Monaten stimmen wir wahrscheinlich über die bilateralen Verträge ab. Sagen Sie Ja oder Nein zu diesen Verträgen? Warum erklären Sie sich nicht? Blocher: Ich entscheide mich dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Herr Blocher, die Bevölkerung würde aber von Ihnen auch gerne hören, ob Sie für oder gegen die bilateralen Verträge sind. Blocher: Warten Sie ab. Sie werden meine Haltung noch zu hören bekommen. Meine Antwort ist klar: Ich finde die Verträge schlecht. Ob man das Referendum ergreift, hängt von den Zusatzbedingungen ab, die das Parlament genehmigt oder ablehnt. Ich entscheide, wenn ich die Konsequenzen sehe - nach einer sorgfältigen Abwägung. Das dürfte zwischen August und Oktober sein, also vor den Wahlen. Die Meinungsverschiedenheiten, die sich in diesem Gespräch zeigen, sind beträchtlich. Herr Couchepin, muss die SVP in die Opposition? Couchepin: Dies ist das grosse Problem von Herrn Blocher. Er ist der eigentliche Chef einer Partei, die zwar eine Oppositionsrolle ausübt, gleichzeitig aber in der Regierung bleiben will. Dieses Doppelspiel, Herr Blocher, können Sie nicht permanent spielen. Blocher: Die Sache ist klar: Ich bin gewählter Parlamentarier und Mitglied einer Partei, die ein sehr konkretes Programm hat. Wir nehmen dieses Programm ernst und wollen es durchsetzen. Wir sind im Bundesrat vertreten. Doch das verpflichtet uns nicht, stets gleicher Meinung wie der Bundesrat zu sein. Wir leben in einem Land der direkten Demokratie, dessen Regierung aus vier Parteien gebildet ist. Alle Parteien haben schon gegen den Gesamtbundesrat gestimmt. Erst kürzlich bei der Mutterschafts-Versicherung zum Glück auch die FDP. In der direkten Demokratie ist jede Partei Oppositions- und Regierungspartei. Ich weiss allerdings, was hinter diesen Gedanken steckt. Couchepin: Sicher kennen Sie auch schon die Antwort. Blocher: Warten Sie ab. Ich sage immer: Jede Partei muss stets dazu bereit sein mitzuregieren. Man darf nicht freiwillig in die Opposition gehen. Werden wir allerdings von den Freisinnigen zusammen mit den Sozialisten aus der Regierung geworfen, müssen wir auch dazu bereit sein. Couchepin: Alle Ausführungen, die Sie in diesem Gespräch gemacht haben, waren oppositioneller Natur, Herr Blocher. Mit Aggressionen gegen den Bundesrat und mit der Anklage, er respektiere die Verfassung nicht. Sie sprechen die Sprache eines Oppositionsführers, die weit über die sektorielle Opposition hinausgeht, wie sie bei allen Parteien vorkommt. Übt eine Partei permanent Opposition aus und bekämpft - wie mit dieser Initiative - permanent den Bundesrat, muss sich diese Partei fragen: Wo haben wir unsere ehrliche Position? Können wir den Oppositionsdiskurs weiterführen, gleichzeitig aber von der Macht profitieren? Diese Doppelzüngigkeit wiegt schwer. Blocher: Herr Bundesrat, Sie sassen heute für eine Diskussion mit mir an denselben Tisch. Dass ich Sie dabei nicht loben würde, war ja klar. Sässe hier allerdings ein Sozialist… Couchepin: (unterbricht energisch) Ich würde gegen ihn antreten. Kein Zweifel. Blocher: Dann wären wir ja plötzlich auf der gleichen Seite. Allerdings nur, wenn Sie nicht sozialistisch sind. Couchepin: (lacht) Das können Sie selber beurteilen. Herr Blocher, können Sie mit Adolf Ogi als Ihrem Vertreter im Bundesrat überhaupt noch leben? Blocher: In der Wirtschafts- und Steuerpolitik ist Herr Ogi für uns ein sicherer Wert. In der zentralen Frage der Unabhängigkeit, der Neutralität und der Landesverteidigung haben wir tatsächlich grosse Differenzen. Entscheidende Differenzen? Blocher: Entscheidende Differenzen. Es sind dieselben Differenzen, welche die SP mit Bundesrat Otto Stich hatte. Herr Stich war gegen den EU-Beitritt und gegen den EWR, die SP flammend dafür. Couchepin: Nein, das stimmt nicht. Herr Stich hat sich nie gegen den EWR ausgedrückt. Er war immer loyal. Blocher: Auch Herr Ogi ist loyal. Der Bundesrat muss sich einfach über eines im Klaren sein: Die Regierung wird nicht aus vier Parteien gebildet, weil alle Parteien gleicher Meinung, sondern obwohl alle verschiedener Meinung sind. Couchepin: Es gibt zwei Dinge, die man von einer Regierungspartei erwarten darf. Erstens: dass sie nicht systematisch Oppositionspolitik betreibt. Das tun Sie aber … Blocher: …wir betreiben keine systematische Opposition… Couchepin: …Ihre Opposition ist systematisch. Zweitens darf man erwarten, dass ein Bundesrat von seiner Regierungspartei mit seinen Vorschlägen nicht konstant im Stich gelassen wird. Die SVP hat aber Herrn Ogi in letzter Zeit bei all seinen Vorstössen attackiert. Letztlich geht es also um eine Frage der doppelten Zweideutigkeit: Sie sind mit Ihrer SVP in der Opposition und wollen doch an der Macht teilhaben. Zudem widerspricht Ihre Meinung fundamental jener Ihres Bundesrates. Und dennoch sagen Sie: Ich will Adolf Ogi im Bundesrat behalten. Blocher: Dann müssen Sie uns aus dem Bundesrat werfen. Couchepin: Es geht um eine Frage der Redlichkeit auf Ihrer Seite. Blocher: Eine Partei in der Opposition könnte innerhalb von vier Jahren grosse Erfolge feiern. Das weiss ich. Trotzdem betone ich immer: Wir müssen in der Regierung mitwirken, aber in den zentralen Positionen fest bleiben. Denn in einer Konkordanz-Regierung fehlt die Opposition. Sie ist aber für eine Regierung wichtig. In den Siebziger- und Achtzigerjahren bildete die Presse die Opposition. Damals hatten wir eine Mitte-rechts-Regierung, und die Journalisten waren, wie übrigens heute noch, mehrheitlich Mitte-links. Heute ist das leider nicht mehr so. Presse, Parlament und Bundesrat bilden heute in den wichtigen Fragen eine Koalition. Deshalb sehe ich die Opposition in den wichtigen Fragen - Unabhängigkeit, Steuerklima, Asylpolitik - als meine Aufgabe. Couchepin: Noch einmal: Letztlich ist es eine Frage der Ehrlichkeit. In den letzten drei Jahren war die SVP siebenmal gegen wichtige Vorlagen der Regierung - und dabei habt ihr fünfmal verloren. Blocher: Ich habe die Niederlagen nicht gezählt. Couchepin: Manchmal deutet die Zahl auch auf die Qualität hin. Wer sich gegen alle grossen Projekte einer Regierung stellt, muss sich fragen, ob er noch - konstruktiv und lösungsorientiert - in dieser Regierung mitarbeiten kann. Oder ob er schlicht und einfach ein Profiteur von Opposition und Macht ist. Herr Blocher, im Herbst wird die SVP sehr wahrscheinlich Wahlsiegerin sein. Können Sie dann noch akzeptieren, in der Regierung mit nur einem Bundesrat vertreten zu sein, der nicht einmal Ihre Linie vertritt? Blocher: Darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Würde die SVP im Herbst Bundesratsparteien mit zwei Bundesräten tatsächlich überholen, müssten wir bereit sein, mit zwei Bundesräten anzutreten. Das ist meine persönliche Meinung. Was wird dann geschehen? Der wahrscheinlichste Fall ist, dass kein zweiter SVP-Vertreter in den Bundesrat gewählt wird. Das Parlament wählt heute lieber einen Kommunisten als einen SVPler. Aber Herrn Ogi wird das Parlament wahrscheinlich wieder wählen. Couchepin: Wird die SVP ihn denn zur Wiederwahl empfehlen? Blocher: Davon bin ich überzeugt. Das heisst: Die SVP ist zufrieden mit Ogi? Blocher: Wir sind Realisten. Nicht zufrieden mit ihm sind wir in den zentralen Positionen Neutralität und Souveränität. Hier besteht ein offener Konflikt, den wir auch darlegen dürfen. Das Parlament würde heute aber keinen SVP-Vertreter wählen, der gegen den EU-Beitritt ist. Couchepin: Sie sind also bereit, alle Opfer zu bringen, nur um in der Regierung zu bleiben? Um Macht zu haben? Blocher: Es geht nicht um Macht. Couchepin: Um was sonst? Blocher: Um eine bessere Politik. Wären wir in der Opposition, müssten wir in allen Fragen systematisch Opposition betreiben. Das tun wir heute nicht. Couchepin: Sie wollen kein Oppositionssystem? Blocher: Es wäre wahrscheinlich besser, wenn jene Parteien eine Regierung bilden würden, welche die grössten Übereinstimmungen haben. Das ist meine persönliche Meinung. Heute ist die Konkordanz degeneriert. Man wählt Parteivertreter, die möglichst nicht die Parteimeinung vertreten, und klagt nachher darüber, dass Differenzen bestehen. Und wenn Sie, Herr Couchepin, glauben, mit der SP besser regieren zu können als mit der SVP - tun Sie das! Couchepin: Es liegt an Ihnen, das zu entscheiden. Sie betonen immer, Neutralität und der EU-Beitritt seien die Hauptfragen dieses Landes. Das denke ich auch. Blocher: Hier haben wir auch die Hauptdifferenzen. Couchepin: Sie haben hier allerdings auch die Hauptdifferenzen mit Ihrem eigenen Bundesrat - und sagen trotzdem: Das geht gut. Weshalb haben Sie ein so grosses Interesse daran, in der Regierung vertreten zu sein? Zu guter Letzt geht es doch um eine rein opportunistische Politik. Blocher: Schön, das ausgerechnet aus Ihrem Munde zu hören! Couchepin: Wer mit dem Anspruch antritt, sein Programm durchzusetzen, in den Hauptfragen mit seinem Bundesrat aber nicht einverstanden ist, kann nicht mehr im Ernst behaupten, er wolle sein Programm wirklich durchsetzen. Blocher: Natürlich. Die Frage ist: Setzen wir das Programm besser durch, wenn Herr Ogi in der Regierung sitzt - oder wenn kein SVP-Vertreter in der Regierung sitzt? Herr Couchepin, was sagen Sie nun Franz Steinegger, Ihrem Parteipräsidenten? Soll die FDP im Herbst noch Listenverbindungen mit der SVP eingehen? Couchepin: Die Diskussion von heute ist sehr wichtig. Sie erlaubt uns zu beurteilen, ob Herr Blocher und seine Vertreter bereit sind, eine problemlösungsorientierte Politik zu betreiben. Und ob sie einverstanden sind, ihre politischen Gegner zu respektieren - und wie ihre Haltungen gegenüber der Regierung aussehen. Zu welchem Schluss kommen Sie nach diesem Gespräch? Couchepin: Ich bin Bundesrat. Aber ich würde Herrn Steinegger raten, dass die FDP-Kantonalparteien in jedem Kanton beurteilen sollen, ob allfällige SVP-Verbündete eine positive Haltung haben oder nicht. Blocher: In Zürich dürfte die FDP also keine Listenverbindung mit der SVP eingehen? Couchepin: Es ist Sache der Kantonalparteien, dies zu entscheiden. Ich entscheide weder für Zürich noch für Herrn Steinegger. Die Differenzen, die sichtbar werden, stimmen aber insgesamt nachdenklich? Couchepin: Natürlich sind diese Differenzen bedenklich. Blocher: Ich finde sie nicht bedenklich. Aber es ist typisch, dass der Bundesrat sie als bedenklich beurteilt. Zu Ihren Bedingungen einer Regierungsbeteiligung, Herr Couchepin: Ich werde weiterhin Respekt vor den Aufgaben und dem Auftrag der Regierung, der Verwaltung, des Parlamentes und des Souveräns haben. Wie bisher. Couchepin: Wie bisher? Das sind zwei Worte zu viel. Blocher: Ich hatte bisher Respekt und werde ihn weiterhin haben. Couchepin: «Wie bisher», das ist zu viel. Blocher: Ich kenne meine eigene Meinung besser als Sie. Couchepin: Ich beobachte Sie von aussen. Blocher: Gewisse Bundesräte ertragen Kritik nicht, weil sie glauben, «L'état, c'est moi!». Damit sprechen Sie Herrn Couchepin an? Blocher: Das würde ich sagen. Die Töne, die ich dieser Tage von ihm gehört habe, sind für mich ein Zeichen dafür, dass ihm der Respekt vor der eigenen Aufgabe fehlt. Für uns gilt: In der Frage der Souveränität der Schweiz, der Steuersenkungen und im Kampf gegen den Asylmissbrauch werden wir, ob in der Regierung oder nicht, keine Konzessionen machen. Und ich werde, wie Sie das gefordert haben, Herr Couchepin, problemorientiert sein bis zum Letzten. Couchepin: Ich sprach von Lösungsorientierung. In all diesen von Ihnen angesprochenen Punkten sieht der Bundesrat Lösungen vor. Blocher: Zuerst muss man die Probleme erfassen, bevor man sie lösen kann. Couchepin: Aber Sie schaffen die Probleme und wecken negative Emotionen, bis keine Lösungen mehr möglich sind. Das ist die Schwäche Ihrer ganzen Argumentation. Blocher: Ich habe zu all diesen Fragen Lösungen. Oft allerdings andere als Sie. Couchepin: Sie bieten für diese pluralistische Gesellschaft keine realistischen politischen Lösungen an. Blocher: Das ist eine Behauptung. Couchepin: Natürlich, das ist eine politische Behauptung.

23.04.1999

Volksvermögen für die AHV

Gold-Initiative: Christoph Blocher will Goldreserven nicht der Solidaritäts-Stiftung geben Interview mit der Aargauer Zeitung vom 23. April 1999 Das Nationalbankgold will er nicht in die Solidaritätsstiftung einzahlen. Christoph Blocher, Zürcher SVP-Nationalrat, will mit einer von der Delegiertenversammlung abzusegnenden Volksinitiative dafür sorgen, dass dieses "Volksvermögen" beim Volk bleibt und in den AHV-Fonds fliesst. Mit Ihrer Initiative wollen Sie das Nationalbank-Gold zugunsten der AHV sichern. Wollen Sie damit die AHV sanieren, oder ist die Idee aus der Opposition gegen die bundesrätliche Solidaritätsstiftung geboren? Blocher: Ich will das Volksvermögen, das in der Nationalbank liegt, wieder dem Volk zuführen. Man könnte dieses Geld dem Volk auch direkt verteilen. Dann würde jeder Schweizer und jede Schweizerin vom Briefträger 3000 Franken erhalten. Wir möchten das Geld aber in den AHV-Fonds legen. Damit ist die AHV besser gesichert, und die Lohnabhängigen müssen weniger Lohnabzüge hinnehmen oder weniger Mehrwertsteuern bezahlen. Demzufolge stimmt der Vorwurf nicht, Sie würden die Initiative aus Opposition zur Solidaritätsstiftung lancieren? Blocher: Wir sind nicht für die Solidaritätsstiftung. Sie ist Ausdruck einer erpressten Situation. So verschleudert man Volksvermögen in eine Einrichtung, durch die man jedes Jahr neu unter Druck gesetzt werden kann. Die SP will das Nationalbank-Gold je zur Hälfte für die AHV und für die Solidaritätsstiftung verwenden... Blocher: Unsere Idee muss offensichtlich gut sein, sonst würden wir jetzt nicht von der SP kopiert. Allerdings machen sie es nur halbbatzig. Weshalb nicht alles Geld in die AHV - hat der AHV-Fonds denn zuviel Geld? Bei der 11. AHV-Revision will der Bundesrat auf 500 Millionen für eine grosszügige Renten-Flexibilisierung verzichten. Eilen Sie jetzt mit diesen Gold-Millionen wie der Ritter in strahlender Rüstung der angeschlagenen Sozialministerin zu Hilfe? Blocher: Selbst mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen 11. AHV-Revision hat der AHV-Fonds jetzt zuwenig Mittel, um die Renten auszuzahlen. Wir müssten diesen Fonds auch dann verstärken, wenn wir die AHV nicht revidieren würden. Je mehr Mittel wir aus den Goldreserven einlegen können, desto kleiner werden Lohnabzüge und Mehrwertsteuerprozente. Die AHV steht 1998 mit 1,4 Milliarden in der Kreide. Da reichen Ihre Goldmillionen zur Sanierung aber auch nicht aus? Blocher: Wir haben bei der Nationalbank zu hohe Goldreserven in der Höhe von über 20 Milliarden. Man könnte sogar noch weitere Milliarden, die nicht benötigt werden, in den AHV-Fonds legen. Wenn man aber diese 20 Milliarden klug anlegt, reicht das Geld aus, um den aktuellen Fehlbetrag von 1,4 Milliarden zu decken. Selbst wenn man diese 20 Milliarden in homöopathischen Dosen veräussert und den Erlös von 300 bis 400 Millionen in die AHV steckt? Blocher: Bei 20 Milliarden bleiben nicht nur 300 Millionen jährlich als Gewinn. Ein Blick auf die Renditen der letzten Jahre der Pensionskassen zeigt, dass daraus 1,5 bis 2 Milliarden jährlich resultieren könnten, wenn dieses Geld richtig angelegt ist. Das entspricht fast einem Lohnprozent. Wo und wie würden Sie die AHV sanieren, damit auch künftige Generationen ihren Rentenbatzen haben werden? Blocher: Wir müssen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die zu einer hohen Beschäftigung in der Schweiz führen wird. Das heisst weniger Gesetze, Steuern, Abgaben und Gebühren. Dann wird die Schweiz sehr attraktiv, und sowohl Wirtschaft wie auch Bürger werden trotz tieferen Steuersätzen wieder mehr Steuern zahlen. Also nicht bei der AHV sparen... Blocher: Nein. Wir müssen die AHV, wie sie sich heute darstellt, konsolidieren. Wir dürfen sie aber nicht ausbauen, weil die Leute so etwas nicht bezahlen können. Ist nicht zu befürchten, dass neue Begehrlichkeiten geweckt werden, wenn plötzlich Jahr für Jahr Millionen auf dem Tisch liegen? Blocher: Natürlich; solche Begehrlichkeiten müssen jedoch strikte abgelehnt werden. Im Sozialversicherungsbereich sind gegenläufige Tendenzen auszumachen: Politiker fordern Einsparungen; faktisch werden die Leistungen aber in vielen Bereichen ausgebaut. Heizen Sie mit dieser Gold-Initiative letztere Tendenz nicht noch an? Blocher: Nein. Wenn man für die AHV kein Geld benötigen würde, müsste das überschüssige Nationalbankgold direkt an die Bürger verteilt werden. Das ist aber nicht der Fall. Wir müssen das grosse Loch im AHV-Fonds stopfen. Die Gefahr besteht hingegen tatsächlich dort, wo man Goldreserven bereits via Solidaritätsstiftung verteilt, bevor man sich darüber einig geworden ist, was man überhaupt damit machen soll. Nicht zuletzt deshalb hat man den amerikanischen Kreisen noch in derselben Nacht die Stiftungsidee in englischer Sprache mitgeteilt und so Begehrlichkeiten geweckt. Dagegen wehren wir uns. Das Volksvermögen gehört dem Volk. * * * Zur Sache: Die Volksinitiative der SVP "Die Schweizerische Nationalbank überträgt aus ihrem Bestand die für geld- und währungspolitische Zwecke nicht benötigten Währungsreserven, beziehungsweise deren Erträge auf den Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung." Mit dieser Neuerung soll nach Ansicht der Schweizerischen Volkspartei (SVP) die Verfassung ergänzt werden. Dies einerseits, weil heute eine "erhebliche Kluft" zwischen festgeschriebener und tatsächlich gelebter Währungsordnung bestehe. Mit dem Bundesrat ist auch die SVP einig, dass die Goldbindung des Schweizer Frankens aufzuheben sei. Dadurch könnten 1300 Tonnen Gold neuen Verwendungszwecken zugeführt werden. Während der Bundesrat 500 dieser 1300 Tonnen in eine Solidaritätsstiftung investieren wollte, wurde auf Antrag der Zürcher SVP an einem Parteitag im Mai 1998 in Aarau beschlossen, dieses Geld der AHV zu erschliessen. An der Delegierten-Versammlung in Schwyz soll jetzt eine entsprechende Volksinitiative abgesegnet werden, nachdem die parlamentarischen Möglichkeiten ergebnislos ausgeschöpft wurden.