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Economy

17.07.2003

Wie unsozial darf der Sozialstaat sein?

Mein Artikel in der "Weltwoche" vom 17. Juli 2003 Der Missbrauch der Invalidenversicherung habe in unserem Land beängstigende Ausmasse angenommen, meint Christoph Blocher. Versicherungsbetrug gehöre zur Tagesordnung. Von Christoph Blocher Ärzte, Psychologen, Anwälte, Unternehmer, Journalisten, Politiker, die Ämter, die Soziallobby, alle wissen es: Die Scheininvalidität ist zu einem gravierenden Problem geworden. Doch öffentlich darüber reden? Lieber nicht. Aus falscher Rücksicht. Aus Feigheit. Aus Eigennutz. Aus Bequemlichkeit. Waren 1990 noch rund 160000 Personen IV-Bezüger, sind es 2002 schon knapp 260000. Der Anteil der IV-Renten ist auch im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung rasant angestiegen: Seit 1990 um über fünfzig Prozent. Entsprechend düster sehen die Finanzen aus. Kostete die Invalidenversicherung 1990 noch etwa vier Milliarden Franken, sind es heute bereits zehn Milliarden pro Jahr. Gemäss den zuständigen Ämtern in Bern sollen die Kosten weiterhin um jährlich fünf bis acht Prozent steigen. Das heisst für 2010 IV-Kosten in Höhe von zwanzig Milliarden Franken, für 2020 vierzig Milliarden Franken, sofern nicht Einhalt geboten wird. In den letzten Wochen erreichten mich zahlreiche Briefe von Ärzten, Juristen, Sozialstellen und Privatleuten, die das Missbrauchspotenzial der gegenwärtigen Invalidenversicherung belegen. Ein Anwalt schreibt: «Es gibt nichts Besseres, als ein Mandat im IV-Bereich zu haben. Wird für eine IV-Rente gekämpft, werden die Anwaltsrechnungen – und erst noch grosszügig – durch die IV bezahlt.» Dies gilt ebenso für die zahlreichen Gutachten, Expertisen, Sonderabklärungen und Spezialbehandlungen. Die Losung heisst: zum Nulltarif durch die Instanzen. Wer eine Rente will, bekommt sie auch Ein empörter Unternehmer berichtet von einem jugoslawischen Mitarbeiter (Jahrgang 1960), der am 30. November 1993 seine Firma verlassen habe. Im Jahr 2002 wird ihm mitgeteilt, der ehemalige Mitarbeiter habe nun eine hundertprozentige IV-Rente erhalten, rückwirkend auf den 1. Juli 2001. Kurz darauf macht der Mitarbeiter geltend, dass er eigentlich seit Januar 1994 invalid sei, aber den Antrag aus verschiedenen Gründen nicht gestellt habe. Die AHV/IV versucht darauf, die Pensionskasse des damaligen Arbeitgebers finanziell haftbar zu machen. In einer Dissertation der Universitätspoliklinik Zürich wurde schon vor Jahren die Anerkennungsquote «psychogener Invalidität» erforscht. Bei den 31 untersuchten Fällen empfahlen die Psychiater lediglich sieben Vollrenten und eine Halbrente. Schliesslich erkämpften sich 23 Personen eine volle Rente und vier eine Halbrente. Originalton des Autors Hans R. Früh: «Es zeigt sich eine imponierende Durchsetzungsfähigkeit der Patienten, die ja schliesslich alle eine Vollrente wollten.» Fazit: Wer unbedingt eine Rente will, bekommt sie auch. Es ist ein offenes Geheimnis, dass vor allem grosse Gemeinden geradezu darauf spezialisiert sind, betreuungsintensive Sozialfälle in die Invalidität zu «entsorgen». Hauseigene Sozialexperten weisen den Weg, wie etwa der Psychiatrisch-psychologische Dienst der Stadt Zürich. Dieser erstellt IV/Suva-Gutachten «für Patienten und Patientinnen, die seit langem chronisch krank unerkannt dahingelebt hatten». Es braucht offenbar städtische Angestellte, die den Mitmenschen beibringen, dass es ihnen krankheitsbedingt so schlecht geht, dass belastende Fürsorgefälle in IV-Fälle umgewandelt und damit die Kosten elegant abgewälzt werden können. Solche Amtsanstrengungen zielen besonders häufig auf Drogensüchtige, entlassene Strafgefangene und Kriegsgeschädigte aus Ex-Jugoslawien. Auch andere Institutionen und Firmen sehen in der IV ein praktisches Auffanglager für Probleme aller Art. Das ist zynisch und gegen den eigentlichen Sinn der Invalidenversi-cherung gerichtet. Nicht selten schieben Unternehmen überzählige Mitarbeiter ganz einfach in die Invalidenversicherung ab. Gerade staatliche Regiebetriebe, wie etwa die SBB, betreiben ihre Personal- und Pensionierungspolitik auf Kosten der arbeitenden Allgemeinheit. 2002 erreichten bei den SBB von total 586 Pensionierten nur gerade 28 Personen das ordentliche Rentenalter von 65 Jahren. Dafür wurden beinahe vierzig Prozent (!) im Durchschnittsalter von 51 Jahren als Invalide frühpensioniert. Da muss sich jeder dumm vorkommen, der bis 65 arbeitet und solche Missbräuche noch mit zusätzlichen Steuern und Lohnabzügen querfinanzieren muss. Wie selbstverständlich diese Abschiebepraxis geworden ist, zeigt folgendes Beispiel: Im Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates über die SBB vom 18. November 1999 steht vieldeutig: «Gemäss Atag Ernst & Young AG ist die Tendenz zu beobachten, dass ein Teil der vom Arbeitgeber initiierten vorzeitigen Pensionierungen durch ‹Invaliditätsfälle› gelöst wird. Dies ist aus Sicht des Arbeitgebers interessant, führt aber auf Seiten der Pensionskasse zu nicht budgetierten und versicherungstechnischen Verlusten.» Auf gut Deutsch: Hier ist ein Versicherungsbetrug im Gange, und niemand schreitet ein. Er gehört anscheinend zur Tagesordnung. Nicht nachweisbare Krankheiten Die Zusammensetzung der Invaliden zeigt, dass immer mehr psychische Ursachen (bereits 39 Prozent) eine IV-Rente nach sich ziehen. Eine Vielzahl neuer psychiatrischer Krankheitsbilder («Schmerzsyndrom», «psychosoziale Depression», «Entwurzelungssyndrom», «Kriegstrauma» etc.) oder Erkrankungen an Muskeln und Bewegungsorganen («Rückenschmerzen», «Schleudertrauma») dienen als kaum überprüfbarer Einstieg zur Invalidität. In manchen Spitälern gibt es ganze Abteilungen, die sich auf das diffuse Gebiet der Psychosomatik spezialisiert haben. Die Universitätsklinik Zürich etwa listet «Risikofaktoren für eine Schmerzkarriere» auf. Eine Auswahl: «niedriger Sozialstatus», «geringe Arbeitszufriedenheit», «psychische und soziale Schwierigkeiten», «eine belastende Kindheit», «mangelhafte emotionale Beziehung», «geringe Ge- borgenheit», «häufiger Streit im Elternhaus oder Scheidung». Das sind alles bedauernswerte Umstände. Aber wohin führt das, wenn jede Belastung im Leben zum medizinischen Problem wird? Am Ende wird die ganze Bevölkerung für spitalreif erklärt. Der rasante Anstieg der Invalidität ist auch eine Folge des neuen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) von 1994. Die SVP hat diese kostentreibende Revision als einzige Bundesratspartei bekämpft. Heute beeinflusst der Anbieter (Arzt) die Nachfrage (medizinische Leistung); sicher zum Wohl der Patienten, aber auch im eigenen Interesse. Auffällig ist, dass Gebiete mit hoher Ärztedichte eine weit höhere Invaliditätsrate aufweisen als solche mit niedriger Dichte. Hier wird offenbar ein Ärztekarussell angestossen, bis sich der entsprechend «verständnisvolle» Gutachter findet. Mit weitreichenden Folgen: Statt dass die (Wieder-)Eingliederung in die Arbeitswelt betrieben wird, führt die unerschöpfliche, rein medizinische Ursachenforschung zu einer rentenbeanspruchenden Haltung. Die IV wird zum Sammelbecken sozialer Schwächefälle aller Art. Was, wie Professor Erwin Murer von der Universität Freiburg ausführt, weder «sozial» noch «moralisch gut» ist: «Die Berentung muss Ultima Ratio sein – Eingliederung vor Rente!» Die auf diese Weise in die Invalidenversicherung ab-geschobenen Kosten veranschlagt Murer auf zwei bis vier Milliarden Franken. In den letzten Jahren ging fast jede zweite neu gesprochene IV-Rente an einen Nichtschweizer. Bereits heute werden Zehntausende von Renten ins Ausland bezahlt. In gewissen Ländern ist das allgemeine Lohn- und Preisniveau so tief, dass jemand mit der Schweizer Mindestrente das x-fache eines ortsüblichen Monatseinkommens erhält. Das ist eine verführerische Konstellation, zumal die Kontrolle in den jeweiligen Staaten kaum gewährleistet ist. Selbst die NZZ zitiert Ärzte und IV-Verantwortliche dahin gehend, dass «Angehörige zweier Nationalitäten» auffallend häufig eine IV-Rente beanspruchen würden. Um welche Nationalitäten es sich dabei handelt, wurde – politisch korrekt, feige wie immer – verschwiegen. Ein ehemaliger Leiter für Berufserprobungen bei der Suva sieht die Entwicklung grundsätzlicher: «Am Anfang hatten wir siebzig Prozent berufsgelernte Schweizer abzuklären. Am Schluss, nach 15 Jahren, waren es siebzig Prozent Ausländer. Da habe ich an der ganzen Geschichte zu zweifeln begonnen.» Unqualifizierte, «bildungsferne» Immigranten (viele davon mit Asylstatus oder Illegale) strapazieren nicht nur die schweizerische Fürsorge, die Arbeitslosenkasse, das Bildungswesen und die Justiz, sie landen auch überproportional häufig in der IV. Lukrative Sozialindustrie Ursprünglich wurde die Invalidenversicherung geschaffen, um Behinderte wieder einzugliedern und ihnen ein Existenzminimum zu sichern. Mittlerweile fliessen zehn Milliarden Franken pro Jahr in den IV-Trog. Davon gehen weit über drei Milliarden an Einrichtungen, Organisationen und individuelle Massnahmen. An diesen drei Milliarden hängen gewaltige Interessen. Deshalb kann es nicht verwundern, dass dieser «gemeinnützige» Filz manchen Fürsprecher in Parlamenten, Institutionen und in der Verwaltung findet. «Soziale» Interessen lassen sich eben besonders weihevoll vertreten. Dabei sind es allzu oft die vehementesten Verteidiger des Sozialstaates, die persönlich von diesen Geldern profitieren. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die Milliardenbeträge für das Gesundheits- und Asylwesen. Unser Sozialstaat ist darum schon lange nicht mehr sozial und längst nicht mehr nur auf schwache Randgruppen und Bedürftige ausgerichtet. Er ist vielmehr unter dem Mantel der mitmenschlichen Hilfe und Nächstenliebe zu einem Umverteilungsstaat geworden, mit dem Ziel, das von Privaten erarbeitete Geld zugunsten einer durchorganisierten Staats- und Hilfsorganisationenelite samt ihrer Klientel zu verteilen. Zurück zur Verantwortung Wir haben es beim Sozialmissbrauch mit einem Konglomerat von Faktoren und Ursahen zu tun: renitente Scheininvalide, ein missglücktes KVG, eine gierige Soziallobby, überforderte Mediziner, wachsende Anforderungen vom Arbeitsmarkt, zu späte Massnahmen zur Wiedereingliederung, Psychologisierung der Gesellschaft, eine verfehlte Zuwanderungspolitik und nicht zuletzt der Ausbau der Schweiz zum sozialistischen Umverteilungsstaat. Dieser gefährdet unsere Volkswirtschaft, zerstört produktive Arbeitsplätze, bedroht den allgemeinen Wohlstand und verhindert echte Für- und Vorsorge. Ausser der SVP wollen alle anderen Parteien die Probleme durch immer neue Zwangsabgaben finanzieren und vor den Missbräuchen die Augen verschliessen. Sie setzen damit völlig falsche Signale. Es darf nicht sein, dass der verantwortungsbewusste Bürger für politisches Versagen zur Kasse gebeten wird. Allein in diesem Jahr beschloss das Parlament für die AHV, IV und Mutterschaftsversicherung zusätzliche 4,8 Milliarden Franken Zwangsabgaben. Für eine vierköpfige Familie bedeutet das im Durchschnitt 2600 Franken Mehrabgaben an den Staat pro Jahr. Ist das sozial? Was wir brauchen, ist ein Systemwechsel. Unser Sozialstaat begünstigt den Nutzniesser und bestraft die verantwortungs-bewussten Bürger, die für sich selbst sorgen und arbeiten. Darum gehört die Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber der Gesellschaft wieder in den Mittelpunkt unserer Sozialpolitik. Christoph Blocher, 62, Unternehmer, seit 1977 Präsident der SVP des Kantons Zürich und seit 1979 Nationalrat.

17.07.2003

Gute Verankerung bei der Lonza

Interview und Artikel in der "HandelsZeitung" vom 16. Juli 2003

15.06.2003

Couchepin se trompe de cible

Le ténor de l'UDC part en campagne contre les plans du "roi" de la Confédération sur les assurances sociales. Le milliardaire zurichois refuse qu'on touche à l'AVS et fustige les abus dans les rentes invalidité. Interview dans "Le Matin" du 15 juin 2003 Interview: Ludovic Rocchi et Michel Zendali La semaine dernière, vous étiez malade. Vous allez mieux? Blocher: J'ai eu une petite infection de l'intestin. J'étais un peu fiévreux. Ce n'est pas la première fois que ça m'arrive, mais je vais bien. N'en déplaise à mes adversaires, qui ne demanderaient pas mieux que de me voir disparaître, au moins de la scène politique... Ces derniers mois, ce n'est plus vous qui faites l'agenda politique, mais plutôt Pascal Couchepin... Blocher: Pourquoi se plaindre si le Conseil fédéral commence à faire le calendrier politique? Mais Couchepin n'a pas encore fait grand-chose. Il philosophe beaucoup; il nous dit ce qu'il faudrait faire en 2015, en 2025. On dirait qu'il n'a pas envie de s'occuper des problèmes que nous devons résoudre aujourd'hui. On dit de lui qu'il se prend pour un roi... Blocher: En Suisse, les rois ne survivent pas longtemps... Couchepin n'a pas tort de réfléchir à l'avenir des assurances sociales, mais il a décidé avant de penser. Elever l'âge de la retraite, diminuer les rentes ne sont qu'une partie des solutions possibles. Il y en a beaucoup d'autres, et nous avons le temps de mettre toutes les variantes sur la table, ce que Couchepin n'a pas fait. Aujourd'hui, vous dites "pas touche à l'AVS". Mais, il y a quatre ans, c'est vous qui lanciez l'idée de travailler jusqu'à 67 ans et plus. Contradictoire non? Blocher: Pas du tout, j'ai toujours dit que jusqu'en 2015 au moins, il n'y a aucune nécessité d'augmenter l'âge de la retraite, ni de diminuer les rentes, ni d'augmenter la TVA. A une seule condition: que l'on vende l'or superflu de la Banque nationale l'année prochaine et que l'augmentation déjà décidée de la TVA en 1998 revienne intégralement à l'AVS. De cette manière, le premier pilier est financé. En 2010, on pourra alors décider de la suite, car l'AVS n'est pas vraiment le problème le plus urgent. Et quel est-il, alors? Blocher: C'est le problème de l'assurance invalidité, qui est dans un état autrement plus grave parce qu'il y a beaucoup d'abus, de cas de pseudo-invalidité. Toujours plus de gens ont des problèmes psychiques, y compris chez les jeunes, qui préfèrent encaisser une rente plutôt que de travailler. Et puis il y a les entreprises qui, quand elles n'ont plus besoin de leurs travailleurs, les mettent à l'invalidité avec la complicité des médecins et parfois d'avocats. Il est intéressant de voir que c'est à Bâle ,là où il y a le plus de médecins, qu'il y aussi le plus de gens à l'assurance invalidité... A votre avis, les médecins sont trop complaisants? Blocher: Je ne conteste pas qu'il y ait des gens qui soient de vrais invalides. Mais, de 1990 à 2000, on est passé de 4 à 10 milliards de francs de dépenses pour l'assurance invalidité. Et cela augmente de 5 à 8% par an. A l'évidence, il y a des abus, ce que j'appelle du copinage social, car ce phénomène ne peut pas être dû seulement à l'augmentation de la pénibilité du travail. Ce sont plutôt les loisirs qui sont devenus dangereux. Pascal Couchepin se trompe donc de cible? Blocher: Bien sûr. Il faut s'attaquer sans attendre au problème des pseudo-invalides. Et puis Couchepin nous dit qu'il faudra peut-être travailler jusqu'à 67 ans, mais lui, le président, "le roi", comme vous dites, ne remarque même pas qu'à la Confédération les fonctionnaires travaillent en moyenne jusqu'à 61 ans. Or c'est l'Etat, c'est-à-dire nos impôts, qui paient ces retraites anticipées. Elles rongent le deuxième pilier, tout comme les rentes invalidité, d'ailleurs. N'empêche que la Suisse affronte un grave déficit démographique, et voilà que vous vous apprêtez à lancer un référendum contre l'assurance maternité... Blocher: On compte 1% d'augmentation de la TVA pour l'AVS, 0,8% pour l'assurance invalidité, et, maintenant, une assurance maternité à 500 millions. Tout cela fera presque 5 milliards de prélèvements supplémentaires, des charges pour les entreprises et pour les salariés, qui ne peuvent tout de même pas ne travailler que pour payer les assurances sociales. Cela devient franchement insupportable. Mais vous savez bien qu'on ne fait plus assez d'enfants en Suisse... Blocher: Les Suisses ont déjà refusé trois fois une assurance maternité. Si une mère ne fait un enfant que pour encaisser une rente pendant quatorze semaines, il vaut mieux que cet enfant ne vienne pas au monde. Faire ou ne pas faire d'enfants, c'est un choix personnel. Si une femme tombe dans les difficultés, elle peut trouver de l'aide auprès des services sociaux. Vous exigez que la Confédération économise 5 milliards par an. Vous voulez tuer l'Etat? Blocher: Non, l'améliorer. Je l'ai fait dans mon entreprise: qu'on fasse un audit de l'Etat Je prétends que l'administration fédérale pourrait baisser ses dépenses d'au moins 30%. Je pourrais vous donner cent exemples d'économies, tel l'Office suisse d'expansion commerciale (OSEC), inutile, tout comme les crédits d'aide à l'hôtellerie, etc. Et c'est un entrepreneur qui vous parle... Pour l'agriculture aussi, qui coûte plusieurs milliards par an? Blocher: Absolument. Qu'on donne aux paysans un juste dédommagement pour l'entretien du paysage, et que pour le reste on les laisse faire ce qu'ils veulent sur le marché: du lait, du vin, des poires, peu importe. Il faut laisser les paysans travailler comme des entrepreneurs. Il y a déjà quelques années que la Suisse est sur cette voie, mais sa bureaucratie agricole est encore pléthorique. Vous voulez relancer une initiative sur l'asile. Décidément, chez vous, c'est obsessionnel? Blocher: Depuis le rejet très serré de notre initiative contre les abus, en novembre dernier devant le peuple, nous avons attendu que le gouvernement et les partis du centre remplissent leurs promesses, fassent quelque chose. Or cela fait huit mois qu'on glose et qu'il ne se passe rien. Nous allons donc devoir lancer une nouvelle initiative. C'est surtout un bon coup électoral, non? Blocher: Disons plutôt que nous sommes conséquents à l'égard de nos électeurs car, sur le terrain, la situation empire. Dans une ville comme Zurich, les dépenses pour l'asile ne cessent d'augmenter. Nous voulons obliger la Confédération à assumer la responsabilité et le financement de l'asile, plutôt que de laisser tout le monde entrer et de déléguer ensuite les renvois aux cantons et aux communes. Avec quels autres arguments comptez-vous gagner les élections fédérales en Suisse romande? Blocher: Chez vous aussi, les gens commencent à en avoir assez des dépenses sans fin de l'Etat, comme Swiss ou Expo.02. Ils comprennent que ce n'est pas en assommant les contribuables qu'on va relancer l'économie. Même le refus de l'adhésion à l'Union européenne devient porteur en Suisse romande. C'est d'ailleurs chez vous que nous pouvons gagner le plus d'électeurs, alors qu'à Zurich nous avons fait à peu près le plein. Deux conseillers fédéraux UDC: estce un but de votre campagne? Blocher: Ce n'est pas un but, mais un moyen différent de faire de la politique. Actuellement, nous pratiquons les trois quarts d'opposition. Mais les autres partis commencent à nous suivre. S'ils nous accordent un second siège au gouvernement, nous pourrons étendre notre influence à ce niveau. Mais je ne crois pas qu'ils le feront... Qui devrait s'en aller du Conseil fédéral? Blocher: Ça m'est égal. Si le PDC confirme son effondrement, il devrait logiquement abandonner un siège. Mais on peut aussi imaginer choisir entre un gouvernement de centre gauche ou de centre droit, selon le maintien ou non des socialistes au pouvoir. Et quel UDC voudriez-vous voir à la place? Blocher: Il faudrait évidemment quelqu'un qui soit représentatif de la ligne de notre parti. Je continue de trouver que Samuel Schmid n'est qu'à moitié UDC. Il a, par exemple, argumenté contre notre initiative sur l'asile et nous a sans doute fait perdre les 3000 voix qui manquaient. Il aurait pu se contenter de se taire, pour respecter le principe de collégialité. Mais, sur les questions économiques ou européennes, il est un bon conseiller fédéral. Serez-vous une nouvelle fois candidat? Blocher: Je serai à disposition uniquement pour une candidature de combat, comme la dernière fois. Mais si le second siège au Conseil fédéral nous était reconnu par les autres partis, nous aurions suffisamment de volontaires... Quand prendrez-vous votre retraite? Blocher: J'ai fixé une date exacte: en 2026! (Réd.: rires.) Comme Eisenhower, j'aurai alors 86 ans… "Mon vice caché? Je suis politicien..." Etes-vous toujours insomniaque? Blocher: Je dors peu, c'est vrai. Napoléon a dit qu'un homme doit dormir quatre heures, une femme cinq, et que seuls les idiots dorment plus de six heures. Je dors donc quatre heures par nuit... Et toujours milliardaire? Blocher: Ma fortune, c'est mon entreprise, EMS-Chemie. Le cours de son action a souffert ces derniers mois, et sa valeur boursière est passée de 3,5 milliards à 2,8. Je paie donc un peu moins d'impôts sur la fortune. Comme votre ami Martin Ebner? Blocher: Moi, je n'ai pas fait les mêmes erreurs que lui: son groupe avait trop d'engagements et trop de dettes. Vous l'avez aidé? Blocher: Surtout pas, je ne lui ai pas prêté un sou. D'ailleurs, il ne m'a rien demandé! Votre dernière grosse dépense? Blocher: Deux tableaux de Hodler et d'Anker. Plutôt chers, mais je tairai leur prix... Où partez-vous en vacances? Blocher: J'espère aller marcher en montagne, à Mustair, en Engadine, un endroit que j'aime beaucoup. Pour l'alpinisme, je n'ai, hélas, plus l'âge à ça. Votre disque du moment? Blocher: J'approfondis mon écoute de "La Création", de Haydn. Et un livre? Blocher: "Un monde caché", de Martin Suter. Une histoire passionnante d'un journaliste qui perd la mémoire à cause de la maladie d'Alzheimer... Vous ne fumez pas, vous ne buvez pas, avez-vous un vice caché? Blocher: Je suis politicien...

13.06.2003

Couchepin hat einen Pfusch präsentiert

Interview im "Tages-Anzeiger" vom 13. Juni 2003 Christoph Blocher hält die langfristigen AHV-Vorschläge von Pascal Couchepin für Wolkenschiebereien. Man müsse jetzt vor allem gegen die «Scheininvaliden» vorgehen. Von Iwan Städler und Christoph Schilling Herr Blocher, eigentlich würde die SVP vor den Wahlen ja lieber über Asylpolitik und Europa sprechen. Jetzt hat Pascal Couchepin aber eine Rentendebatte angezettelt. Stört Sie das? Blocher: Nein. Wir sprechen natürlich trotzdem über die Asylfrage und die EU. Aber die Sozialversicherungen gehören zu unseren Schwerpunkten. Man hatte den Eindruck, die SVP sei von Pascal Couchepin etwas überrumpelt worden. Einige Ihrer Nationalräte haben durchaus Verständnis für dessen Ideen gezeigt. Sie hingegen, Herr Blocher, wollen nichts von einer Erhöhung des Rentenalters wissen. Warum nicht? Blocher: Es ist nicht nötig. Bis ins Jahr 2015 sichern wir die AHV auch ohne Rentenaltererhöhung. Couchepin spricht von der Zeit danach. Blocher: Das sind doch Wolkenschiebereien. Wer weiss schon, wie die Welt im Jahr 2025 aussieht. Pascal Couchepins Arbeiten sind völlig unausgegoren. Er hat einen Pfusch präsentiert, zu dem ich nicht Stellung nehme. «Blick» titelte aber: «Blocher: Hände weg von der AHV». Blocher: Dieses Zitat stammt nicht von mir. Ich nahm an einem Streitgespräch mit SP-Nationalrat Werner Marti teil, das vor Couchepins Präsentation stattgefunden hat. Dabei ging es um die 11. AHV-Revision. Hier könnte ich durchaus sagen: Hände weg. Natürlich hat «Blick» daraus einen Kampf gegen Couchepin gemacht. Und die übrige Presse hat es abgeschrieben. Scheinbar lesen die Journalisten nur den «Blick». Glauben Sie das wirklich? Blocher: Hören Sie: Ich habe noch nie ein Wort darüber verloren, ob ich Couchepins Vorschläge gut oder schlecht finde. Noch nie! Trotzdem glauben alle, Blocher sei dagegen. Die «Berner Zeitung» brachte es gar fertig, am Samstag zu schreiben, Blocher habe in der Fernsehsendung «Arena» laut zu Couchepins Plänen Stellung bezogen. Dabei war ich gar nicht in der Sendung. Dann fragen wir Sie jetzt ganz konkret: Schliessen Sie eine Erhöhung des Rentenalters im Jahr 2015 aus, wie das Pascal Couchepin vorschlägt? Blocher: Das sind Möglichkeiten, die es zu prüfen gilt. Festlegen dürfen wir uns heute aber nicht. Warum nicht? Blocher: Erstens kann sich die Wirtschaft so entwickeln, dass man das Rentenalter gar nicht erhöhen muss. Zweitens kann man es vielleicht gar nicht erhöhen, weil dies der Arbeitsmarkt nicht zulässt. Man weiss ja nicht, ob es 2025 für die über 65-Jährigen genügend Arbeit gibt. Über die Höhe des Rentenalters muss man dann 2020 entscheiden. Die SVP steckt doch im Dilemma: Einerseits möchte sie im Wahljahr ihre Anhängerschaft nicht verärgern. Andererseits will sie die FDP als Wirtschaftspartei ablösen. Die Wirtschaft will aber das Rentenalter erhöhen. Blocher: Eine Wirtschaftspartei löst jene Probleme, die anstehen, nicht jene von 2025. Wer heute glaubt, die Probleme von 2025 lösen zu können, ist entweder ein Scharlatan oder ein Wolkenschieber. Vor drei Jahren, an einem Parteitag in Altdorf, haben Sie ebenfalls langfristige Lösungen skizziert. Blocher: Das waren eben verschiedene Varianten, die zu prüfen sind. Aber jetzt gilt es, die Probleme bis 2015 zu lösen. Wie denn? Blocher: Hier hat die SVP ebenfalls klare Lösungen: keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, keine neuen Lohnabzüge, keine Rentenaltererhöhung, keine Rentenkürzung und kein Ausbau der Sozialversicherungen. Sondern? Blocher: Wir wollen die überschüssigen Goldreserven für die AHV verwenden - mindestens zwei Drittel davon. Darüber hinaus muss das bereits eingeführte zusätzliche Mehrwertsteuerprozent voll der AHV zukommen. Heute zweigt die Bundeskasse einen Teil davon für sich ab. Das muss aufhören. Und wie wollen Sie dies erreichen? Werden Sie gegen die 11. AHV-Revision das Referendum ergreifen? Blocher: Das ist nicht nötig. Wir werden die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer bekämpfen. Diese muss obligatorisch vors Volk. Die SVP will die Sozialversicherungen retten, ohne dass die Leute immer mehr zahlen müssen. Das gilt auch für die Pensionskassen. Viele Pensionskassen weisen nach dem Börsencrash eine massive Unterdeckung auf. Wie wollen Sie dieses Problem lösen? Blocher: Das ist gar nicht so schlimm. Das Hauptproblem bei den Pensionskassen ist die zunehmende Invalidität. In meinem Unternehmen mussten wir zum Beispiel den Arbeitnehmerbeitrag um 1 Prozent erhöhen, den Arbeitgeberbeitrag gar um 1,2 Prozent - nur wegen dieser rapide gestiegenen Invalidität. Dieses Problem haben alle verdrängt. Vor allem psychische Krankheiten haben zugenommen. Ist der Stress am Arbeitsplatz zu gross geworden? Blocher: Ein Grossteil dieser Invalidität ist Scheininvalidität. Manche wollen gar nicht mehr gesund werden. Für sie ist es einfacher, den Lohn durch die IV-Rente zu ersetzen. Gleichzeitig gibt es Arbeitgeber, die sich sagen: Schreiben wir ihn doch invalid. Oder man lässt den Mitarbeiter frühpensionieren. Blocher: Das auch. Die Missbräuche sind gigantisch. 1990 haben wir vier Milliarden Franken für die Invalidität ausgegeben, im Jahr 2000 waren es schon zehn Milliarden. Diese Kosten steigen jährlich 5 bis 8 Prozent. Und wie will der Bundesrat das lösen? Selbstverständlich wieder mit der Mehrwertsteuer. Das geht doch nicht. Und wie wollen Sie das lösen? Blocher: Wir wollen gegen die Scheininvalidität vorgehen. Halten Sie denn die IV-Rentner für Simulanten? Blocher: Es gibt sicher viele Simulanten in der IV. Es tut mir Leid, das zu sagen. Aber wenn Sie einmal einen Beinbruch hatten und ein paar Wochen an Krücken gingen, wird das arbeitsfreie Leben plötzlich interessant. Das kennen wir doch von uns selbst. Je länger die Leute aus dem Arbeitsprozess draussen sind, desto schwieriger wird es, sie wieder zu integrieren. Nehmen Sie das Beispiel SBB. Dort hat man den Personalabbau über die Invalidenversicherung und die Frühpensionierung gelöst. Und keiner reklamiert. Das heisst doch: Dieser Betrug ist gesellschaftsfähig und wird nicht geahndet. Wie wollen Sie konkret dagegen vorgehen? Blocher: Wir wollen wissen, welche Berufsgruppen betroffen sind und wie gross der Anteil der Ausländer ist. Laut Peter Hasler vom Arbeitgeberverband gehen 45 Prozent der Renten an Ausländer. Und ein Sechstel, sagt er, gingen mit der Rente ins Ausland. Jetzt stellen Sie sich einmal vor: Wenn einer in Kosovo oder in der Türkei eine Rente mit der vollen Schweizer Kaufkraft erhält, hat er doch dort den 15fachen Lohn. So jemanden bringen Sie nie mehr in den Arbeitsprozess hinein. Das muss jetzt alles auf den Tisch. Es ist auch interessant: Je grösser die Ärzte- und Psychologendichte ist, desto mehr Invalide gibt es. Eigentlich sollte es ja umgekehrt sein: Je mehr Ärzte es gibt, desto gesünder sollten die Leute sein. Nochmals: Was wollen Sie konkret dagegen unternehmen? Blocher: Wir wollen, dass die Leute zur Rechenschaft gezogen werden, bis zur strafrechtlichen Ahndung. Das betrifft nicht nur die Scheininvaliden, sondern auch die Arbeitgeber und die Ärzte. Und den ganzenSozialfilz, der eine Decke über all das legt. Welchen Sozialfilz? Blocher: Zum Beispiel die Aufsichtskommissionen. Wir wollen auch, dass künftig die IV-Renten für Ausländer an die Kaufkraft des jeweiligen Landes angepasst werden. Und dass die Invalidität richtig überprüft wird - nicht durch einen Vertrauensarzt in Kosovo. Stellen Sie sich einmal vor: Da kommt einer zu seinem Arzt in Kosovo und sagt, er beziehe eine Rente aus der Schweiz. Da erklärt ihn doch keiner für gesund. Das muss anders organisiert werden. Aber die IV an sich möchten Sie nicht gleich abschaffen? Blocher: Nein. Die braucht es. Und die AHV auch. Ob dies im Jahr 2050 immer noch so sein wird, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Das muss ich auch nicht. Bei den Pensionskassen will Pascal Couchepin auch Rentner an der Sanierung beteiligen. Bei starker Unterdeckung sollen sie auf einen Teil ihrer Rente verzichten. Sind Sie damit einverstanden? Blocher: Nochmals: Ich halte die Unterdeckung der Pensionskassen für das geringere Problem als die Invalidität. Wenn die Rentner in guten Zeiten von den Überschüssen profitiert haben, müssen sie jetzt auch zur Sanierung beitragen. Gleichzeitig will der Bundesrat den Mindestzinssatz auf zwei Prozent senken. Und Sie? Blocher: An sich bin ich dagegen, dass der Bundesrat den Mindestzinssatz festlegt. Das ist doch, wie wenn er den Preis des Kunststoffs bestimmen würde, den ich verkaufe. Wenn der Wettbewerb spielt, ergibt sich der Zinssatz durch den Markt. Der Wettbewerb spielt aber nicht. Man kann ja seine Pensionskasse nicht auswählen. Blocher: Das sollten wir ändern. Ich bin dafür, dass jeder die Pensionskasse frei wählen kann. Das funktioniert aber nur, wenn Transparenz herrscht. Hätte die freie Wahl nicht eine gigantische Bürokratie für die Unternehmen zur Folge? Dann müssten sie ja die Rente jedes Mitarbeiters an eine andere Kasse überweisen. Blocher: Wieso denn? Es gäbe bestimmt nicht mehr Tausende von Kassen, sondern nur noch etwa zehn. Peter Hasler vom Arbeitgeberverband sagt, das wäre der Tod der 2. Säule. Dann hätten die Unternehmen keinen Anreiz mehr, ihren Mitarbeitern mehr zu bezahlen, als sie vom Gesetz her müssten. Blocher: Das ist doch nicht wahr. Es entstünde ein Druck, eine möglichst gute Rendite zu erzielen. Das führt zu höheren Renten. Braucht die Schweiz mehr Kinder, um die AHV-Renten zu finanzieren? Blocher: In erster Linie brauchen wir mehr Arbeitsplätze. Die AHV wird ja von jenen bezahlt, die arbeiten. Natürlich braucht es dafür auch neue, junge Arbeitskräfte. Ansonsten schauen wir eben, dass welche aus dem Ausland kommen. Haben wir richtig gehört? Die SVP setzt nun auf mehr Ausländer? Blocher: Wir hatten nie etwas dagegen, dass Menschen, die wir zum Arbeiten brauchen, mit einem Vertrag zu uns ins Land kommen. Das ist doch nichts Unanständiges. Bei der EU-Osterweiterung auch nicht? Blocher: Hier geht es darum, ob auch Leute einreisen dürfen, die wir nicht benötigen. Ein kleiner Anreiz für mehr Kinder wäre die Mutterschaftsversicherung. Blocher: Das ist ja zum Lachen. Wenn eine Frau Kinder will, nur um vier Monate Urlaub zu kriegen, hat sie besser keine Kinder. Ich bin gegen eine Mutterschaftsversicherung. Das Volk hat sie schon dreimal abgelehnt. Und der Verfassungsauftrag ist bereits erfüllt. Vor über 50 Jahren, als man es in die Verfassung schrieb, konnte man die Kosten für Voruntersuchungen und Geburt nicht über die Krankenkasse abrechnen. Heute schon. Der Gewerbeverband steht aber hinter der jetzt geplanten Form der Mutterschaftsversicherung. Seit wann ist die SVP gegen das Gewerbe? Blocher: Die SVP ist für das Gewerbe, aber gegen diesen Verbandsbeschluss. Es ist falsch, die eigenen Probleme über den Staat lösen zu wollen. Da machen wir nicht mit. Das kostet Lohnprozente oder Mehrwertsteuer. Ergreifen Sie das Referendum auch ohne Unterstützung der Wirtschaft? Blocher: Ja. Sonst werden wir unglaubwürdig. Wir dürfen keine neuen Sozialversicherungen schaffen. Es ist schon schwer genug, die bisherigen Leistungen zu finanzieren.

05.06.2003

Von (Un-)Verdienern: Tiefere Kurse – höhere Löhne

Interview im "Stocks" vom 5. Juni 2003 Von Peter Berger und Daniel Krähenbühl Die neue Transparenz in den Geschäftsberichten zeigt es deutlich. In den Schweizer Chefetagen wird mehr verdient, auch wenn es schlechter läuft. Was widerfährt Managern, Angestellten oder ganzen Abteilungen hinsichtlich ihres Lohnes, wenn sie ihre Ziele nicht erreichen oder schwächer performen? Im Normalfall verdienen sie weniger. Nicht so die Mehrzahl der SMI-Verwaltungsräte und Geschäftsleitungs-Mitglieder. Ein Vergleich der Unternehmensvergütungen für 2002 (Fixgehälter/ Boni/Optionen/Pensionskassen) zeigt, dass diverse einheimische Topshots Mittel und Wege gefunden haben, ihre Honorare (teilweise deutlich) zu erhöhen. Dies trotz klar schlechteren Nettoergebnissen, deutlich tieferen Dividenden und markant gesunkenen Marktkapitalisierungen. Das erstaunliche an der ganzen Sache ist:Die Gesellschaftsinhaber, sprich die Aktionäre, haben mittels Décharge alles abgesegnet und gutgeheissen. Zum Vergleich: In den USA hat der Dow Jones Index zwischen Januar und Dezember 2002 rund 19 Prozent an Wert verloren. Die Entschädigungen an die dortigen Executives ­ die Topshots beziehen bekanntlich keinen Lohn, sondern werden entschädigt ­ sind im gleichen Zeitraum um rund ein Drittel gesunken. Davon sind die hiesigen Firmenleader weit entfernt. Unbeeindruckt von der Börsenkrise und vom Konjunkturtief drehen einzelne helvetische Unternehmensspitzen weiter kräftig an ihrer eigenen Vergütungsspirale. So haben sich beispielsweise nicht nur die Topmanagements (oder genauer gesagt die Compensation oder Remuneration Committees) der Zurich FS oder der Swiss Re ­ nach schlechtem Leistungsausweis 2002 ­ deutlich höhere Vergütungen zugeschanzt (vgl. grosse Tabellen). Auch der Lausanner Unternehmer André Kudelski hat seinem Management, trotz seiner von den Aktionären mit herben Kursrückschlägen bezahlten Gewinnwarnung vom August letzten Jahres, in der Summe deutlich mehr vergütet. Die Honorarsteigerungen bei gleichzeitig schlechteren Börsen- und Unternehmensdaten erklärt sich der Bloomberg-Kolumnist und Unternehmensberater Crystal Graef vor allem mit einem verloren gegangenen Realitätssinn: «Vor Jahren wurde ich von einem meiner Konzernleiter-Klienten ­ sein Unternehmen hatte gerade ein schwaches Geschäftsjahr hinter sich ­ umgehend in sein Hauptquartier zitiert. Auf meine Frage hin, was denn passiert sei, antwortete er, dass der gemeinsam ausgearbeitete Incentive Plan nicht funktioniere, denn es springe kein Bonus heraus.» Auch hier zu Lande scheinen Verwaltungsräte und Geschäftsleiter zuweilen zu vergessen, dass weniger Leistung nicht mit mehr, sondern mit weniger Bonus belohnt werden müsste. Transparenz à l'Anglaise. Trotz positiver Beispiele (SGS, UBS) sind die irrationalen Honorarsteigerungen unter den SMI-Titeln unübersehbar. Um dem Missbrauch Vorschub zu leisten, braucht es deshalb nicht nur nach Meinung von Branchenkennern vermehrte Transparenz. In Sachen Offenlegung zeigen momentan die Engländer, wie es geht:Nach einer Gesetzesrevision haben die dortigen Aktionäre seit diesem Jahr die Möglichkeit, über die Vergütung ihrer Vorstandsmitglieder abzustimmen. Was dies im Einzelfall bedeuten kann, hat das Pharma-Unternehmen GlaxoSmithKline (GSK) respektive dessen Konzernleiter Jean-Pierre Garnier zu spüren bekommen. Denn an der jüngst abgehaltenen GSK-Generalversammlung hatte sich eine knappe Mehrheit der Investoren gegen dessen «goldenen Fallschirm» ausgesprochen. Jean-Pierre Garnier hätte ­ wäre er vorzeitig aus seinem Zwei-Jahres-Vertrag ausgeschieden ­ rund 53 Millionen Franken an Abgangsentschädigung garniert. Dafür, dass es nicht so weit gekommen ist, haben neben Kleininvestoren insbesondere die Pensionskassenvereinigung NAPF (National Association of Pension Funds) und der britische Versicherungsverband gesorgt. Doch trotz dieses Erfolgs für die Firmeneigentümer und die Aktionärsdemokratie bleibt das Vergütungsthema weiterhin ein Dauerbrenner. Zwei Gretchenfragen für die Topshot-Saläre stellen sich auch künftig den Compensation Committees: - Welches Honorar ist angemessen? - Woran soll man ein Honorar festmachen? Ein Beispiel für eine stossend hohe Entschädigung ­ bei gleichzeitig schwacher Managerleistung ­ lieferten im vergangenen Jahrdie beiden ehemaligen ABB-Topkaderleute Percy Barnevik und Göran Lindahl. Beide hatten gemäss gültigen Verträgen Anspruch auf rund 250 Millionen Franken an Pensionskassenzahlungen. Nach Rückvergütungs-Verhandlungen mit dem ehemaligen Arbeitgeber haben sie gemeinsam immer noch rund 120 Millionen Franken kassiert. Nach solchen legalen Auswüchsen stellt sich die Frage nach einer fairen Entschädigungshöhe für Topmanager dringender denn je. Immerhin sind sich Aktionärsschützer und Unternehmer in einem Punkt einig: Stimmen die Resultate, ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass Topkader viel verdienen. Ist somit das 20-Millionen-Honorar von Novartis-Chef Daniel Vasella gerechtfertigt? Christoph Blocher sagt dazu: «Ich weiss nicht, ob das 20-Millionen-Salär von Daniel Vasella viel ist oder wenig. Ich finde es viel. Aber wenn es so ist, dass man keinen findet, der das gleiche zu einem tieferen Preis machen könnte, dann ist es gerechtfertigt. Warren Buffett hat allerdings einmal gesagt, dass bei einer Firma, die einem Manager eine so hohe Entschädigung bezahlen muss, etwas nicht stimmt. Diese Firma hat wohl eine so komplizierte Strategie, dass es offenbar nur einen gibt, der den Job machen kann.» Hinsichtlich der Frage, woran man die Entschädigungen der Topmanager festmachen soll, meint der Ems-Chef:«Der Gedanke, die Vergütung an den Optionen festzumachen, ist eigentlich nicht schlecht. Da man die Optionen erst nach Jahren einlösen kann, muss man als Manager für einen Erfolg sorgen, der über diese Jahre anhält. Sonst sind die Optionen wertlos.» Doch die Lohndiskussionen und die Forderungen nach strengeren Corporate-Governance-Richtlinien beschäftigen nicht nur die hiesigen Anleger. Auch in Deutschland gibt es Anstrengungen, um durch einen höheren Grad an Transparenz das Vertrauen der Investoren in die Finanzmärkte zu stärken. Die von der deutschen Bundesregierung zum Thema Corporate Governance eingesetzte Cromme-Kommission stellt dabei folgende Kodex-Forderungen: - Offenlegen der gesamten Bezüge für jedes einzelne Konzernleitungs-Mitglied im Geschäftsbericht. - Allgemein verständliche Publikation der variablen Gehaltsbestandteile im Internet. - Verknüpfung von Gehältern und persönlicher Leistung. - Entscheidung über die Vergütungen durch den gesamten Vorstand, nicht nur durch einen Ausschuss. - Verstärkung der Unabhängigkeit der Abschlussprüfer. - Verbesserung der Qualifikation der Verwaltungsräte. Grosse und kleine Anleger: Aufwachen! Ähnliches würde auch der Schweizer Börse gut anstehen. Dass die erste Fassung der SWX-Richtlinie bei weitem noch nicht ausreicht, um für echte Transparenz zu sorgen, ist nach Meinung von Ems-Chemie-Chef Christoph Blocher wenig erstaunlich: «Sie müssen schauen, wer diese Richtlinien ausgearbeitet hat. Das sind diejenigen, die in den Verwaltungsräten sitzen. Unter dem öffentlichen Druck haben sie Richtlinien aufgestellt, ohne dass sie nun wirklich etwas machen müssen. Sogar die Bankenkommission hat gesagt, dass diese Richtlinien auf die Länge nicht ausreichen.» Neben den «deutschen Forderungen» gehören sicherlich die individuelle Aufschlüsselung der Vergütungen (Barbezüge, Boni, Optionen, Pensionskassenzahlungen), die exakten Bedingungen der Optionspläne, alle Veränderungen der Optionspläne (Verlängerung der Optionsdauer, Senkung des Optionspreises) sowie im Optimalfall auch der Wert sämtlicher Fringe-Benefits in den Forderungskatalog der SWX-Richtlinie. Das vorläufige Fazit lautet: Damit sich die Firmeneigentümer eine Meinung bilden können, braucht es deutlich mehr Transparenz. Die derzeit gültige Richtlinie ist eines modernen Börsenplatzes kaum würdig. Doch damit ist es nicht getan. Auch Klein- und Grossaktionäre sind gefordert. Beide müssen vermehrt aktiv werden und ihre Verantwkortung verstärkt wahrnehmen. Denn im Sinne der Werterhaltung vom verwalteten wie eigenen Vermögen ist ein aktiveres Engagement im ureigenen Interesse. «Ich finde, 20 Millionen Franken sind viel Geld.» Christoph Blocher zum Salär von Daniel Vasella Aktionäre müssen vermehrt aktiv werden. Managersaläre im Hoch Trotz Kursrückgang, Dividendenkürzungen und Nettoverlusten: Eine Erhöhung der eigenen Bezüge liegt allemal drin. Willy Kissling 1,6 Mio. Franken ­im Salär 2002 ist die Prämie für den Konzernumbau enthalten. Lukas Mühlemann Mit 7,95 Mio. Franken Honorar fiel der Verzicht auf eine Abfindung leicht. Cash ist wieder «in» Seitdem die Aktienkurse fallen, bevorzugen viele Topmanager lieber wieder Bargeld. Sergio Marchionne: Vom Umbau der Konzernspitze profitieren auch die Aktionäre. Andres F. Leuenberger: Der Swiss-Life-Präsident stolperte über zu viele Negativ-Schlagzeilen. - Die Managersaläre steigen auch bei schwachen Unternehmensleistungen. - Die Gehaltsdiskussion ist ein Dauerthema. - Eine zweite Version der SWX-Richtlinie ist dringend notwendig. - In Deutschland fordert die Cromme-Kommission eine Kodex-Verschärfung. - In Grossbritannien können Anleger über die Managerbezüge abstimmen. - Der Wert der Optionen ist mit den angegebenen Daten nicht eruierbar. Swisscom Jens Alder: Der CEO-Salär-Rückgang von 1,6 auf 1,4 Millionen Franken ist angesichts der anhaltend dreistelligen Millionengewinne als sehr fair zu werten. Givaudan Jürg Witmer: Starker Dividendenanstieg, nur leicht tieferer Gewinn. Der Gehaltsanstieg ist vertretbar, die höchste Besoldung fast schon bescheiden. Novartis Daniel Vasella: Sein 20-Millionen-Salär sorgt für Gesprächsstoff. Dennoch: 2002 war ein gutes Jahr, und das Gesamtbild zeigt nur moderate Honorar-Erhöhungen. Roche Franz Humer: Trotz Rekordverlust von vier Milliarden Franken wurden die Bezüge für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung im letzten Jahr erhöht. Zurich FS Rolf Hüppi: Der abgetretene Zurich-Chef sorgt noch im Nachhinein für rote Köpfe. Seine Abgangsentschädigung treibt die Lohnsumme deutlich nach oben. Kudelski André Kudelski: Die massive Erhöhung der Vergütungssumme für das gesamte Topmanagement kommt angesichts der Gewinnwarnung 2002 überraschend. Transparenz ist noch keine Option Noch müssen an der Schweizer Börse SWX kotierte Unternehmen die Lohnbestandteile ihrer Top-Kader nicht nach Cash, Boni, Aktien und Optionen und pro Person aufschlüsseln; der Ausweis der Gesamtsumme für das Gesamtgremium ist nach geltender Richtlinie ausreichend. Nicht nur, aber auch deshalb herrscht hinsichtlich der Transparenz bei Topshot-Optionsprogrammen weiterhin tiefe Nacht.Immerhin veröffentlichen einzelne Gesellschaften erste Eckdaten. So nennt beispielsweise die Swiss Re hinsichtlich der 2002-Entschädigung ihres Verwaltungsratspräsidenten Walter Kielholz nicht nur die Aufteilung der Bar-, Aktien- und Optionen-Komponenten (3,2 Millionen Franken in bar, 55432 Aktien, 60000 Optionen). Bei den Rahmenbedingungen für die Optionen werden auch Ausgabedatum, Laufzeit und Sperrfrist aufgelistet. Doch um den Wert des Optionspaketes (mittels der Black-Scholes-Formel) berechnen zu können, fehlen Angaben in Bezug auf den Aktienkurs bei der Zuteilung, den Ausübungspreis und das Bezugsverhältnis. Doch wie es aussieht, bekommen die Anleger hinsichtlich Transparenz schon bald Schützenhilfe. Optionen sind Kosten. Unternehmen, die nach dem europäischen Buchhaltungsstandard (International Accounting Standards Board IASB, ehemals IAS) abrechnen, sind ab 2005 verpflichtet, ihre Optionen als Kosten zu verbuchen. Damit werden zumindest die Optionsprogramme der Mitarbeiter zahlenmässig greifbar. Hinsichtlich der Programme für die Chefetage ist zu hoffen, dass Passagen wie die folgende definitiv aus der dann geltenden SWX-Richtlinie gestrichen sind: «Jede Gesellschaft soll die Möglichkeit behalten, ihre eigenen Gestaltungsideen zu verwirklichen.» Denn ohne exakte Publikations-Vorschriften (mit allen Detailangaben) geht es in diesem heiklen Bereich offenbar nicht. (peb) Werden Optionen als Kosten verbucht, sinken die Gewinne. Es braucht mehr Transparenz Nun liegen die Löhne der Schweizer Wirtschaftsführer offen in den Geschäftsberichten. Wirklich? Gemäss der seit dem 1. Juli 2002 gültigen Richtlinie müssen die an der Schweizer Börse SWX kotierten Firmen 2003 erstmals die Bezüge ihrer Topmanager (Gesamtsummen des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung plus das höchste Salär) offenlegen. Das Positivste gleich vorweg:Im Grundsatz halten sich alle SMI-Unternehmen an die neue Richtlinie. Doch bei der Lektüre der Geschäftsberichte werden zwei Dinge klar: Erstens wird nur angegeben, was angegeben werden muss, und zweitens ist es für einen durchschnittlich interessierten Aktionär praktisch unmöglich, sich ohne Vor- und Zusatzwissen innert nützlicher Frist eine Übersicht zu verschaffen. Es werden weder die Bezüge für die Doppelfunktionen (Verwaltungsratspräsident/Konzernleiter) separat aufgelistet noch detaillierte Angaben zu Optionen (damit man den Wert einer Option berechnen kann) gemacht. 2001-Zahlen werden zwar angegeben, zumeist aber mit unterschiedlichen Parametern zu 2002: Ein Vergleich ohne zeitaufwändige Rechnerei wird dadurch praktisch verunmöglicht. Dem Versteckspiel scheinen keine Grenzen gesetzt. Das Nachsehen hat der Anleger. Daher fordern nicht nur Wirtschaftsprofessoren wie Fredmund Malik zu Recht:«Es braucht bald eine zweite, verbesserte Auflage der SWX-Richtlinie.» (peb) «Der Druck muss grösser werden» Christoph Blocher plädiert für mehr Druck auf Verwaltungsräte und für mehr Aktionärsdemokratie. Seine Aktientipps:Clariant und ABB. Stocks: Betrachtet man die Firmen im SMI, fällt auf, dass die Entlöhnungen der Managements kaum nach Leistung bemessen sind. Die Marktkapitalisierung sinkt, auch bei Gewinn und Dividende zeigt der Trend nach unten. Die Löhne allerdings verharren entweder auf dem gleichen Niveau oder steigen an. Was sagen Sie als Unternehmer dazu? Christoph Blocher: Ich betrachte das als eklatanten Missbrauch. In den Neunzigerjahren wollte man Manager wie Unternehmer entschädigen, also die Entschädigung vom Erfolg bzw. Misserfolg abhängig machen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Manager bei schlechtem Geschäftsgang gleich viel erhalten, wie wenn es gut läuft. Da müssten sich eigentlich die Aktionäre dagegen wehren. Als Unternehmer glaube ich nicht, dass der Erfolg der Firma gewährleistet ist, wenn die Manager unabhängig vom Ergebnis entlöhnt werden.In Grossbritannien gibt es jetzt ein Mitspracherecht für Aktionäre bei der Entlöhnung des Managements. Denken Sie, dass die Grossinvestoren auch in der Schweiz in Zukunft stärker Einfluss nehmen werden?Blocher: Ich glaube, sie sind noch nicht so weit. Es sind ja vor allem die Pensionskassen. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Aktionäre das Geld zwar in einer Firma anlegen und, wenn es schlecht läuft, die Aktien abstossen. Die Führungsaufgabe eines Eigentümers ist den meisten fremd. Ein Eigentümer hat auch eine Verpflichtung, da er sonst sein Eigentum verliert. Der Grossaktionär müsste deshalb auch immer dazu bereit sein, notfalls das Management zu stellen. Das ist für Pensionskassen aber schwierig. Blocher: Pensionskassen sind in der Regel gar nicht in der Lage, so etwas zu tun. Zudem hat man bei den Pensionskassen zum Teil die gleiche Verfilzung wie in der Wirtschaft. Ich glaube aber, der soziale Druck auf das Management ist fast noch wirkungsvoller als der Druck des Aktionärs. Was meinen Sie damit? Blocher: Es geht um Transparenz. Börsenkotierte Firmen müssen die Entschädigungen ihres Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung individualisiert offenlegen. Nicht nur gesamthaft und die höchste Entschädigung, das bringt nichts. Am Beispiel von GlaxoSmithKline zeigt sich, was das bewirken kann. Wenn ein Manager ein hohes Salär bezieht ohne entsprechende Leistung, wird der Druck von aussen enorm gross. Das Gleiche konnte man bei der Zurich FS, der Rentenanstalt oder bei der CS Group sehen. In der Schweiz gibt es häufig ein Aussitzen. Blocher: Das klappt nur, wenn der Aktionär und die Öffentlichkeit nicht wissen, was passiert. Wenn der Präsident oder der CEO trotz Fehlleistungen riesige Bezüge haben und die Aktionäre dies wissen, dann kommen mit der Zeit auch die Verwaltungsräte unter Druck. Diese werden noch viel zu wenig unter Druck gesetzt. Wie könnte man den Verwaltungsrat stärker in die Verantwortung nehmen? Blocher: Im Grunde genommen kann das nur der Eigentümer. Wenn der Verwaltungsrat den Unternehmenswert nicht steigert, leidet nur der Eigentümer darunter. Der klassische Unternehmer ersetzt den obersten Chef, wenn er die Leistung nicht bringt, oder er kürzt zumindest den Lohn. Das funktioniert bei den grossen Gesellschaften aber nicht, weil das Eigentum pulverisiert ist. Der Kleinaktionär kann sich gar nicht einsetzen für sein Eigentum. Wenn einer 20 oder 30 Prozent an einem Unternehmen hält, dann lohnt sich der Aufwand, um den Einfluss geltend zu machen. Bei einem Promille ist der Aufwand zu gross. Wie kann man in der Schweiz die Situation für Kleinaktionäre verbessern? Blocher: Unsere Partei hat einen Vorstoss lanciert, dass man beim Depotstimmrecht und dem Organstimmrecht die allgemeinen Weisungen nicht mehr zulässt. Es braucht von jedem Aktionär bei jedem Traktandum eine ausdrückliche Weisung, wie abzustimmen ist. Wenn keine solche Weisung erfolgt, verfällt die Stimme dieses Aktionärs. Es gab eine ganze Reihe von Abstimmungen, die anders herausgekommen wären, wenn nur die Stimmen der wirklich Anwesenden gezählt worden wären. Wir müssen dafür sorgen, dass der Wille des Aktionärs besser zum Ausdruck kommt. Es gibt weltweit unzählige MBA-Schulen und jährlich tausende fähiger Abgänger. Trotzdem ist die Zahl der Personen, die Verwaltungsratsmandate innehaben, beschränkt. Das erinnert eher an ein Kartell als an einen freien Markt. Blocher: Im schweizerischen Aktienrecht ist der Verwaltungsrat eine ausserordentlich problematische Institution. Wenn es gut geht, braucht man ihn nicht, und wenn es schlecht geht, kann man ihn nicht gebrauchen. In der Regel sind Verwaltungsräte nicht vollamtlich. Das führt dazu, dass sie zu wenig mit der Materie vertraut sind und die anstehenden Probleme nicht lösen können. Dann heisst es noch, man brauche Verwaltungsräte, die andere Firmen führen und so ihre Füh-rungserfahrung einbringen können. Dann bleiben nicht mehr viele Leute. Und dann sucht noch jeder die Erfolgreichsten. Der Name und das Ansehen eines Verwaltungsratsmitgliedes ist fast noch wichtiger als die Frage, ob er etwas kann. Zudem kommt, wenn eine Firma nicht erfolgreich ist, nur in den seltensten Fällen der Verwaltungsrat dran. Swissair ist eine Ausnahme. Die zweite Problematik liegt in den Verfilzungen. Meistens läuft es aber bei der Zusammensetzung der Verwaltungsräte so, dass der Präsident Leute holt, die er kennt und vor denen er keine Angst haben muss. Im Gegensatz zu Geschäftsleitungen, bei denen man sagt, es brauche Leute, die ihre Meinung vertreten und sich aneinander reiben. Blocher: Genau. Nach unten wird das durchgezogen. Was auch noch dazu kommt, ist, dass man damit aufhören muss, dass ein CEO in einem anderen Verwaltungsrat sitzt und dort den CEO beaufsichtigen muss, der dann wieder sein Chef in seiner Firma ist. Das kann nicht funktionieren. Wäre es ein probates Mittel, wenn die Generalversammlung über die Lohnpolitik des Unternehmens entscheiden müsste? Blocher: Die GV soll über die Entschädigung von Verwaltungsräten und der Geschäftsleitung bestimmen können. Aber nur, wenn auch wirklich der freie Wille des einzelnen Aktionärs zum Ausdruck kommt. So, wie das jetzt mit den Depot- und Organstimmen läuft, ist es nicht in Ordnung. Man darf das aber auch nicht überschätzen. Wer von den Aktionären kann denn wirklich entscheiden, ob eine Entschädigung zu hoch ist oder nicht? Eindeutig wird es erst, wenn bei schlechtem Geschäftsgang zu hohe Entschädigungen bezahlt werden. Und die Abgangsentschädigungen? Blocher: Die natürlich auch. Es geht alles vom Schutz des Eigentums aus. Wenn Sie jemanden neben die volle Kasse stellen und ihm sagen, er dürfe herausnehmen, was er wolle, und müsse auch nicht sagen, wie viel er genommen habe, dann nimmt er erfahrungsgemäss mehr, als er verdient. Abgangsentschädigungen, Bonus, Optionen, die Festentschädigungen und die Pensionskassen. Das sollte alles bekannt gegeben werden. Wie schützt man die Pensionskassen vor Missbrauch? Oder anders gefragt, wie lassen sich Barnevik/Lindahl-Fälle verhindern? Blocher: Nur durch Offenlegung. Ich glaube nicht, dass sich der ABB-Verwaltungsrat zu einer so enormen Zahlung hätte hinreissen lassen, wenn das von Anfang an öffentlich gewesen wäre. Die hatten wirklich zu viel aus dem Topf genommen. Das konnten sie nur, weil es dunkel war. Sprechen wir noch über Ihre Anlagekriterien. Blocher: Wir legen unser Geld dort an, wo wir die Firma, das Management und die Strategie beurteilen können. Das sind vor allem Chemie oder chemieverwandte Gebiete. Das war in der Vergangenheit schon so. Und wo sehen Sie in den genannten Gebieten Potenzial? Blocher: Interessant unter diesem Gesichtspunkt sind Firmen in einer Turnaround-Situation. Hier gilt es, Management und neue Strategie gut anzuschauen. Da lässt sich das Potenzial erahnen. In einer solchen Situation sind zum Beispiel Clariant, ABB oder auch viele Versicherungen. Damit sage ich aber nicht, dass wir uns hier engagieren. «Verwaltungsräte sind viel zu wenig unter Druck.» «Aus einer vollen Kasse nimmt jeder mehr, als er verdient.» Der 62-jährige Dr. iur. Christoph Blocher ist 1969 in die Rechtsabteilung der Ems-Chemie (vormals Emser Werke AG) eingetreten. Nach der Übernahme der Aktienmehrheit 1983 wurde er 1984 VR-Präsident und CEO der Ems-Chemie AG. Auf dem politischen Parkett ist er seit 1977 Präsident der SVP des Kantons Zürich, seit 1979 Mitglied des Nationalrates und seit 1986 Präsident der AUNS. Christoph Blocher wohnt in Herrliberg, ist verheiratet und hat vier Kinder. «Wir wollen nicht die ganze Lonza» Christoph Blocher bestätigt die Gewinnziele für Ems-Chemie und will seinen Anteil an Lonza nicht auf über 33 Prozent erhöhen. Stocks: Ems-Chemie ist stark engagiert bei Lonza. Was sagen Sie zur kürzlich erfolgten Gewinnwarnung? Christoph Blocher: Wir sind nicht glücklich darüber. Für das Management spricht aber, dass es sofort plausible Massnahmen ergriffen hat, als die Probleme erkannt wurden. Man muss sich bewusst sein, dass das Geschäft von Lonza risikoreich ist. Die grossen Investitionen in die Biochemie wirken sich erst 2004/05 richtig aus. Das Geschäft ist abhängig von der künftigen Ausrichtung der Pharma-Industrie. Geht es in die erwartete Richtung, ist Lonza stark positioniert. Stehen Sie noch hinter Ihrem Engagement? Blocher: Ich betrachte Lonza nach wie vor als eine sehr gute Firma. Wir wollen unsere Beteiligung erhöhen, aber keinesfalls über 33 Prozent. Wir können die Feinchemie beurteilen und merken, dass Biotech für die Pharma immer wichtiger wird. Auf Grund Ihrer Put-Option werden Sie bis Ende Jahr 20 Prozent an Lonza halten. Das entspricht rund einem Viertel des Wertes von Ems-Chemie. Ist das nicht eine zu grosse Beteiligung? Blocher: Es ist eine Chemie-Beteiligung. Das ist der Zweck der Ems-Chemie Holding. Davon verstehen wir etwas. Wir können das Management relativ gut beurteilen. Es ist eine schweizerische Firma, das heisst eine ähnliche Mentalität und keine lange Anreise. Ems wird die Feinchemie nicht ausbauen. Mit der Lonza-Beteiligung haben wir aber ein zweites Bein in diesem Bereich in den Büchern. Falls wir diese Beteiligung einmal nicht mehr benötigen, gäbe es im Markt Interessenten. Das Risiko ist tragbar für Ems. Gibt es auch bei Ems eine Gewinnwarnung? Blocher: Nein. Ich bestätige die Prognose, dass das Betriebsergebnis der Ems-Gruppe ungefähr im Rahmen des Vorjahres liegt. Sie erwarten von Verwaltungsräten ein starkes Engagement. Lonza-VR-Präsident Sergio Marchionne wird Verzettelung vorgeworfen. Steigt er bei Lonza aus? Blocher: Er selbst hat uns klar gesagt, dass er bei Lonza bleiben und den Umbau weiter vorantreiben will. Er hat nicht im Sinn, als Verwaltungsratspräsident zurückzutreten, und macht seine Arbeit gut. Er hat auch einen guten Hintergrund, da er Lonza als CEO geführt hatte. Lonza will sich vom Bereich Polymere Zwischenprodukte trennen. Sie könnten dieses Geschäft übernehmen, und Lonza übernimmt Ihre Feinchemie. Blocher: Dieses Lonza-Geschäftsfeld geht ein wenig in unsere Richtung, ist aber noch eine Stufe weiter unten. Das sind zum Teil Rohstoffe, die Ems einkauft. Wenn uns Lonza gehören würde, müsste man sich einen solchen Tausch überlegen. Wir wollen aber nicht die ganze Lonza. Das wäre ein zu grosser Brocken. Lonza hat doppelt so viel Umsatz wie Ems. Sie kehren zurück zur Gewinnausschüttung. Haben Sie die Form schon bestimmt? Blocher: Sie wird kreativ und steuerlich interessant sein. Über die Form sind wir gegenwärtig in Bern am Verhandeln. Sie sind 62-jährig. Lassen Sie sich mit 65 pensionieren? Blocher: Nein. Aber es stimmt, dass ich mich auch auf Grund meines Alters von verschiedenen Gebieten bei Ems zurückziehe, namentlich vom operativen Bereich. Da werde ich stark entlastet von meiner Tochter Magdalena Martullo-Blocher. Mein Sohn Markus ist im Finanzbereich eingestiegen und leitet verschiedene Projekte. Es wäre also vorstellbar, dass Ihre Tochter CEO und Ihr Sohn CFO würden. Blocher: Eine Möglichkeit unter vielen. Ich werde im nächsten Jahr einen Entscheid treffen. In welche Richtung das gehen wird, werden wir dann sehen.