Article

Economy

15.04.2012

«Soll ich denn Selbstmord machen?»

Interview mit «Der Sonntag» vom 15. April 2012 mit Chefredaktor Patrick Müller

02.04.2012

Jean Ziegler wehrt sich für die parlamentarische Immunität seines Rivalen

Interview in der Schweizer Illustrierten vom 2. April 2012 mit Jean Ziegler Zwei Bücher hält Jean Ziegler, 77, in der Hand, als er in Genf das Restaurant Radio betritt: Es sind die Blocher-Biografie «Der konservative Revolutionär» und «Wie herrlich, Schweizer zu sein», eines seiner eigenen Werke. «Beide sehr lesenswert», sagt er. Zieglers Tatendrang ist ungebrochen: Noch immer ist er für die Uno tätig, schreibt Bücher und Kolumnen, in Paris betreut er an der Universität Doktoranden. Fit hält er sich – wer hätte das gedacht – mit Judo. «Ich trainiere zweimal pro Woche. Und wenn ich unterwegs bin, befolge ich streng ein Programm meines Trainers.» Jean Ziegler, soll man Christoph Blochers parlamentarische Immunität aufheben? Ganz sicher nicht. Die Immunität ist für einen Parlamentarier ein wichtiges Instrument. Weshalb? Die wohl wichtigste Aufgabe eines Parlamentariers ist die Aufsicht über den Staatsapparat. Um diese Pflicht auszuüben, braucht es zwingend die Immunität. Sie stehen in der Hildebrand-Affäre also hinter Christoph Blocher? Zu Blocher Folgendes: Sein Schweizbild stammt aus dem frühen Mittelalter. Wie bitte? Ja, der 6. Dezember 1992, als der EWR-Vertrag abgelehnt wurde, war eine absolute Katastrophe für die Schweiz. Heute sehen wir es ja, wir sind nur noch Hampelmänner von Brüssel, müssen alles nachvollziehen, was dort beschlossen wird. In der  Praxis sind seine Rezepte nichts wert. Zurück zur Hildebrand-Affäre. Christoph Blocher hat dem Land einen grossen Dienst erwiesen. Der Präsident der Nationalbank betrieb private Devisengeschäfte, kaum zu glauben! Und jetzt bekämpft man Blocher mit absurden Argumenten. Dabei müsste man in der Nationalbank aufräumen. Philipp Hildebrand hat die Reglemente nie gebrochen. Weil die Reglemente ein Skandal sind! Herr Ziegler, Sie reden wie ein SVPler. Nein, gopferdeckel, ich rede wie ein Links-Sozialist! Fragen Sie die Leute in dieser Beiz, ob es normal sei, dass der Nationalbank-Präsident private Devisengeschäfte durchführt. Jeder mit einem minimalen Gerechtigkeitsempfinden wird Ihnen das Gleiche sagen. Wieso sollte Blocher durch die Immunität geschützt sein? Er war nicht vereidigt, als er die brisanten Bankunterlagen erhielt. Das sind doch Spitzfindigkeiten. Blocher war gewählt und hatte das Mandat vom Volk. Ob er vereidigt war oder nicht, ist absolut sekundär. Seien wir froh, dass Blocher diese Dokumente erhielt, und Gott sei Dank war Micheline Calmy-Rey Bundespräsidentin. Sie erkannte sofort die Tragweite des Skandals. Eveline Widmer-Schlumpf hat ja alles gemacht, um die Geschichte unter den Teppich zu kehren. Sind Sie Blocher sogar dankbar? Ja. Seien wir doch froh, dass es ausgerechnet er war, der den Skandal ans Licht gebracht hat. Nur er hat das Gewicht, die Kraft und den Zorn, um eine solche Geschichte durchzustehen. Der Bankrat, dieser lausige Verein, hätte sonst alles vertuscht. Und nun geht man juristisch gegen Christoph Blocher vor. Was offensichtlich politisch motiviert ist. Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat nur selten einen Finger gekrümmt, wenn es um Geldwäscherei oder Fluchtkapital ging. Die Zürcher beten sowieso das Bankgeheimnis an, ihr Wallfahrtsort ist der Paradeplatz. Das steckt in der Zürcher DNA. Und jetzt versucht diese Staatsanwaltschaft mit einer absurden juristischen Konstruktion, Blocher zu Fall zu bringen. 1991 hob das Parlament wegen Ihres Buches «Die Schweiz wäscht weisser» Ihre Immunität auf. Wie stark hat Sie das getroffen? Es rollte eine Prozesslawine auf mich zu, die wahnsinnig viel Geld und Energie kostete. Mein Professoren-Lohn wurde gepfändet, ich habe heute noch mehrere Millionen Franken Schulden. Aufgehalten hat Sie das aber nicht. Die Beschimpfungen waren sehr unangenehm, die Drohungen gegen meine Familie und mich machten Angst. Aber die Angriffe haben mich auch angestachelt. Man spürt, dass man den Gegner getroffen hat, sonst würde dieser ja nicht so heftig reagieren. Das wird auch bei Blocher so sein. Es wird ihn doch nicht bremsen, im Gegenteil. Was passiert, wenn Blochers Immunität aufgehoben wird? Dann wird er strafrechtlich verfolgbar, wird sich allenfalls einem Gerichtsverfahren stellen müssen und wird im schlimmsten Fall verurteilt. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Ist er dann noch tragbar als Nationalrat? Aber sicher doch, ich bin neun Mal verurteilt worden! Dank der Uno geniessen auch Sie Immunität. Brauchen Sie diese, weil Sie sonst wieder zahlreiche Klagen am Hals hätten? Ohne die Immunität werde ich gejagt, das ist so. Ich brauche sie im Kampf gegen den Hunger auf der Welt. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren! Was hat das mit Ihrer Immunität zu tun? Mein neues Buch «Wir lassen sie verhungern», das im September bei Bertelsmann erscheint, ist ein Bericht über meine acht Jahre als Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung bei der Uno. Ich schreibe über einige fürchterliche Halunken, Präsidenten und Staatschefs, die ich getroffen habe, die mich anlogen, während ihr Volk draussen verhungerte. Und das können Sie dank der Immunität? Sie ist die Waffe, die es braucht für diesen Kampf. Und das Buch hat ja nur einen Sinn, wenn es die Leute aufrüttelt und mobilisiert. Auch Blocher beruft sich jetzt auf seine Immunität, obwohl gerade die SVP eine PUK und totale Transparenz forderte. Die Immunität ist sein Recht. Aber eine PUK hätte ich ebenfalls unterstützt. Gerade Ihre Partei, die SP, war geschlossen dagegen. Ach, die SP, die ist wie alle Parteien heute vor allem eine Wahlbürokratie. Sie hat wenig zu tun mit der sozialistischen Revolution, die nötig ist. Sie ist leider keine wirkliche soziale Bewegung mehr, die SVP ist die einzige soziale Bewegung, leider. Empfinden Sie Genugtuung über den Fast-Zusammenbruch des Bankensystems in den vergangenen Jahren? Es ist immer noch da, das System. Der Völkermord in der Dritten Welt läuft ebenfalls, und das Blutgeld zirkuliert immer noch. Hat sich nichts verändert? Doch, es herrscht mehr Transparenz, die Masken wurden runtergerissen, das Blut läuft die Fassaden runter. Die UBS wäre zusammengebrochen, wenn die Handlanger sie nicht in einer Nachtund-Nebel-Aktion gerettet hätten. Die Schweiz hat grossartige Landschaften und wunderbare Menschen. Aber wir sind total kolonialisiert von der Banken-Oligarchie. Sie definiert, wo es langgeht. Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass Blocher ausgerechnet wegen Verdacht auf Bankgeheimnisverletzung von der Justiz gejagt wird. (Lacht laut.) Ja, diese Ironie, einfach herrlich. Aber ich bin trotzdem auf seiner Seite. Was ich an ihm schätze: Wenn der Blocher redet, dann redet der Blocher. Im Gegensatz zu vielen bürgerlichen Parlamentariern, die bloss Söldnertypen sind. Er ist kein Kaspar Villiger, kein Hans-Rudolf Merz, sondern er ist immer der Blocher … … authentisch. Bis zur Absurdität. Sie scheinen Blocher zu mögen. Jean-Paul Sartre hat gesagt: «Den Feind erkennen, den Feind bekämpfen. » Ich versuche, die Person Blocher zu verstehen. Denn für die Oligarchie ist er unbezahlbar. Er sterilisiert den politischen Diskurs auf absolut unbedeutende Probleme, deshalb wird bei uns nicht über die Umverteilung des Volksvermögens, über eine radikale Steuerreform oder die Verstaatlichung der Banken diskutiert. Aber geben Sie es zu: Wenn Sie eine Woche lang in eine einsame Berghütte gehen müssten, würden Sie Blocher dem SP-Bundesrat Alain Berset vorziehen? (Lacht laut.) Eine junge Frau würde ich vorziehen, gopferdeckel!

30.03.2012

Christoph Blocher zu den Vorwürfen im Fall Hildebrand

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 30. März 2012 mit Herrn Rutishauser Im Fall Hildebrand wird Ihnen vorgeworfen, Sie hätten sich am 3. Dezember, also vor ihrer Vereidigung, mit dem Sarasin-Informanten T. und seinem Anwalt Lei getroffen und seien Gehilfe zur Bankgeheimnisverletzung. Für diese Treffen hätten Sie noch keine Immunität beanspruchen können. Ich wurde von den Informanten als gewählter Nationalrat angegangen und habe dann als solcher gehandelt. T.s Anwalt behauptet, sie hätten T zur Preisgabe von Informationen bringen wollen in dem Sie Ihm Geld und einen Job angeboten haben. Das ist aus der Luft gegriffen. Die beiden Herren kamen zu mir, um mich zu informieren, weil sie überzeugt waren, dass die Nationalbankspitze spekuliert, was sie zu Recht für völlig unhaltbar hielten. Sie erwarteten, dass ich als Nationalrat bei der Lösung mithelfe. Rechnen Sie damit, dass Ihre Immunität aufgehoben wird? Das weiss ich nicht. Wird sie aufgehoben, so ist die Tätigkeit eines Nationalrates bei der Ausübung des Amtes- vor allem wenn es Misstände aufzudecken gilt - sehr erschwert. Die Aufhebung der Immunität ist natürlich ein politischer Entscheid. Wird sie aufgehoben, erfolgt der Ablauf der Strafuntersuchung. Das ist zwar sehr zeitaufwendig, kann aber auch den Vorteil bringen, dass dann die Fakten auf den Tisch kommen und jedermann kann sehen, wie das ganze abgelaufen ist. Also stimmen die SVP-Vertreter in der Kommission für die Aufhebung ihrer Immunität? Ich glaube nicht. Die SVP weiss um die Notwendigkeit der Immunität. Man kann auch nicht darauf verzichten. Aber selbstverständlich muss man auch mit der Aufhebung seine Arbeit tun. Wer Misstände aufdeckt, der muss auch solche Nachteile in Kauf nehmen - leider. Zu der Partei Werden Sie weiter SVP-Vizepräsident und Strategiechef bleiben? Ich hänge nicht an diesen Ämtern. Aber die Frage ist noch offen. Wir werden zunächst über die künftige Führungsstruktur der Partei entscheiden müssen. So oder so tue ich meine Pflicht als Nationalrat.

15.03.2012

Christoph Blocher dénonce une grave erreur

Interview, Le Matin, 15 mars 2012, Fabian Muhieddine L’un des plus grands scandales politiques de cette année qui se termine par la demande d’un simple rapport. Déçu? Plutôt, étonné. Tout le monde sait que les membres de la direction de la BNS ne doivent pas spéculer avec des monnaies étrangères ou des actions suisses. C’est dangereux parce qu’il peut naître un conflit entre les intérêts de notre pays et la fortune personnelle de ces gens. C’est de cela dont il fallait débattre au parlement. A la place, les autres partis ont préféré défendre ceux qui ont fauté et attaquer l’UDC qui a rendu public cette affaire. Que voulez-vous? On sait depuis Sophocle que c’est toujours le messager qui est attaqué. Il y a quand même un nouveau règlement interne de la BNS, l’un des plus strictes au monde. Il interdit les transactions spéculatives au-dessus de 20 000 frs. Sinon, les membres de la BNS doivent placer leur argent dans un portefeuille spécial où ils ne peuvent pas donner d’ordre à celui qui le gère. Ca ne vous satisfait pas? Je l’ai lu un soir dans ma chambre d’hôtel ce règlement. Et je peux vous assurer que sans l’aide d’un conseiller, en moins d’une heure, j’ai trouvé plusieurs moyens de le contourner. Plus vous édictez de règles, et plus vous créez des lacunes. Je ne comprends pas pourquoi la BNS ne s’est pas contentée d’une seule phrase, qui plus est d’une banalité affligeante: le président et les membres de la direction, enfin ceux qui peuvent influencer la valeur des monnaies et des actions, n’ont pas le droit de spéculer. Le National a avant tout défendu l’indépendance nécessaire de la BNS. Vous pouvez le comprendre. Non. L’indépendance en matière de politique monétaire est nécessaire. Je n’ai jamais voulu changé cela. Mais, après l’affaire Hildebrand, on peut quand-même mieux veiller à l’éthique des dirigeants. Je prends encore un exemple du nouveau règlement de la BNS. Il prévoit que les comptes en banques des dirigeants puissent être vérifiés. Mais qui va le faire? Quand? Quelle est l’instance de surveillance? Le conseil fédéral ou le conseil de la banque? Le parlement a fait une grave erreur en refusant d’ouvrir ce débat. Ca me rappelle l’affaire Swissair. Là aussi, le parlement a soutenu les dirigeants… Jusqu’à ce qu’il soit trop tard!

24.02.2012

Aktionär

Interview mit dem Magazin «Scorecard» vom 24. Februar 2012 Welche Lehren ziehen Sie aus Ihren langjährigen Erfahrungen als Geschäftsleiter, Aktionär und Verwaltungsrat in der Frage der Rolle von Aktionären bei der Bestimmung der Konzernstrategie – in Familienunternehmen und in börsenkotierten Unternehmen? Eine Strategie ist ein genauer Plan zur Erreichung eines Ziels unter Einschluss sämtlicher Faktoren, die der Zielerreichung entgegenwirken können. Man kann sie nicht in einem grossen Gremium wie z. B. einer Aktionärsversammlung mit Tausenden von Leuten erarbeiten. In Familienunternehmen, mit oft nur einem Aktionär kann sich der Aktionär der Strategie besonders annehmen. Insbesondere kann er die Zielsetzung, den Plan und die Varianten zur Zielerreichung festlegen. Und er beschliesst sie auch. Wer die Konzernstrategie ausarbeiten soll, ist eine führungssystematische Frage. In meinen Unternehmen – auch in den grossen börsenkotierten – habe ich die Strategien immer von unten nach oben entwickelt. Ich habe weit unten immer die Frage gestellt: Was würdet ihr tun, wenn ihr Eigentümer wäret – welche Strategie des Unternehmers würdet ihr wählen? Dann mussten die Mitarbeiter Varianten bringen und Anträge stellen. Das Ergebnis kann man von der Generalversammlung genehmigen lassen oder dies dem Verwaltungsrat abschliessend überlassen. Einfache Schlüsselfaktoren können Aktionäre beurteilen. Aber im Detail eine Strategie zu beurteilen, ist bei grossen Gesellschaften nicht möglich und auch bei kleinen schwierig. Man muss sehen: Die Aktiengesellschaft ist eigentlich eine perfide Gesellschaftsform, weil sie die Verantwortung aufteilt und das Risiko der Eigentümer beschränkt. Verantwortung ist aber in der Führung nicht teilbar! Bei ganz grossen, börsenkotierten Gesellschaften sind Verantwortung und Führungsmacht der Eigentümer, d. h. der Aktionäre, ja derart pulverisiert, dass man ähnliche Verhältnisse hat wie im Kommunismus. Dort gehört das Eigentum auch allen, d. h. letztlich niemandem. Darum bildet sich dann eine Nomenklatur. In einer solchen Form darf man den Aktionären nicht zu viele schwierige Fragen zum Entscheid vorlegen, die sie gar nicht beantworten wollen und können. Welche Massnahmen auf Stufe Aktionär sind geeignet, um die nachhaltige Geschäftsentwicklung der Unternehmen und damit sowohl die Ansprüche der Aktionäre als auch jene der Kunden, des Personals und der Öffentlichkeit sicherzustellen? Wichtig ist zuerst einmal die Beurteilung einer glaubwürdigen Strategie. Die muss man kommunizieren. Wenn man den Aktionären etwas erklärt, können sie auch beurteilen, ob das richtig ist oder nicht. Welche Strategien sind erfolgreich? Ich bin ein extremer Anhänger der Konzentration auf Weniges. Aber es gibt auch solche, wie es Jack Welch bei General Electric war, die möglichst vieles wollen und diversifizieren. Wenn ich als Aktionär überzeugt bin, dass Konzentration wichtig ist, dann investiere ich in ein konzentriertes Unternehmen. Dann ist mir Coca Cola mehr wert als General Electric. Wenn ich aber der Meinung bin, Diversifikation ist das Richtige, dann investiere ich in ein anderes Unternehmen. Alle Strategien haben Vor- und Nachteile. Wenn ich selbst in eine Firma investieren wollte, habe ich immer in Personen – d. h. in die obersten Chefs – investiert und nicht in Strategien. Wenn Sie Vertrauen hatten in diese Personen, haben Sie investiert? Ja, und ich wollte die Personen auch kennenlernen. Mein grösstes Erlebnis hatte ich, als die ABB am Boden war. Ich kannte Herrn Dormann aus seiner Zeit bei Hoechst und verfolgte, wie er diese Firma in Ordnung brachte. Dann habe ich Herrn Voser kennengelernt, den Finanzchef der ABB. Und als die Aktien praktisch am Boden waren, habe ich beiden in einem persönlichen Gespräch gesagt: Ich investiere mit der Ems-Chemie Holding in Ihre Firma 4,9 Prozent. Ich traue Ihnen zu, dass Sie es gut machen. Das ist gut herausgekommen. Der Aktionär muss wissen, weshalb er investiert: Ist es die Person, ist es die Strategie, ist es das Produkt? Welche Massnahmen sind geeignet, um die Gefahr eines Gaps zwischen dem Verwaltungsrat als Treuhänder der nachhaltigen Unternehmensentwicklung und den verschiedenen z. T. kurzfristigen Aktionärsinteressen zu vermeiden? Als Erstes muss man Verwaltungsräte wählen, die eine nachhaltige Unternehmensentwicklung garantieren. Der Verwaltungsrat ist für mich nicht der Treuhänder dieser Entwicklung, sondern er führt das Unternehmen. Der Verwaltungsrat muss eine Strategie vorlegen, die IN PERSONEN, NICHT IN STRATEGIEN INVESTIERT Christoph Blocher. Interview: Ueli Scheidegger Unternehmensstrategien können nicht in Aktionärsversammlungen mit Tausenden von Leuten erarbeitet werden, findet der langjährige Unternehmer und Verwaltungsrat Christoph Blocher. Aber: Einfache Schlüsselfaktoren können auch von Aktionären beurteilt werden. Als Aktionär habe er nicht in Strategien, sondern immer in Personen investiert, sagt Blocher, der ein «extremer Anhänger des Shareholder Value» ist. Im Interview redet er auch der jährlichen Wiederwahl der Verwaltungsräte das Wort. 19 nachhaltig ist. Und wenn die Aktionäre das ablehnen und eine kurzfristige Strategie wollen, die keinen nachhaltigen Gewinn bringt, dann muss der Aktionär entweder den Verwaltungsrat auswechseln oder aus dem Investment aussteigen. Sonst ist der Aktionär mitverantwortlich. Bei von Roll bin ich nach zwei Jahren sowohl aus dem Verwaltungsrat als auch aus dem Investment wieder ausgestiegen, weil ich die Unternehmensstrategie nicht mittragen konnte und wollte. Aber es gibt natürlich auch Aktionäre, die kein nachhaltiges Unternehmerinteresse haben, die wechseln dann halt die Firma. Wenn diese das Sagen haben, dann ist dies gefährlich: Ich habe Private-Equity- Unternehmen gesehen, die haben das Geld aus der Firma rausgeholt und so die nachhaltige Strategie gefährdet. Die Verfasser des Swiss Code of Best Practice haben 2002 die Definition des angloamerikanischen, quartalsorientierten und aktionärszentrierten Maximierungsansatzes übernommen, der die Kunden-, Personal- und Gesellschaftsansprüche explizit nicht berücksichtigt. Was spricht für, was gegen diesen Ansatz? Das ist für mich ein künstlicher Gegensatz. Ich bin ein extremer Anhänger des Shareholder Value. Bei meinen unternehmerischen Tätigkeiten habe ich immer gesagt: Gewinn erzielen ist die wichtigste und sozialste Maxime. Der Gewinn ist viel mehr als eine rechnerische Grösse, er ist das Tragende, das Blut des Unternehmens. Wer den höchsten Gewinn macht im Vergleich mit den Konkurrenten, hat das beste Produkt, die beste Lieferleistung, die besten Mitarbeiter, die besten Kunden, die besten Konstruktionen. Deshalb ist der Shareholder Value für mich kein Gegensatz zu den Kunden-, Personal und Gesellschaftsansprüchen. Denn eine Firma, die diese Ansprüche nicht berücksichtigt, hat keinen Shareholder Value und kann nicht überleben. Ich habe mich stets gewehrt gegen die angloamerikanischen Einflüsse, darum war und bin ich dagegen, dass man diese Rechnungslegungsstandards übernimmt oder übernehmen muss. Aber es braucht auch eine gewisse Vergleichbarkeit und damit eine gewisse Einheitlichkeit der Rechnungslegung. Die Quartalsorientierung ist auch aus meiner Sicht sinnvoll. Als Unternehmer will ich die Zahlen sogar monatlich sehen. Wenn aber die Rechnungslegung immer komplizierter wird, führt dies dazu, dass man sich quartalsmässig mit den Umsatzzahlen begnügt. In diesem Heft nehmen u. a. auch namhafte Familienunternehmer Stellung. Einer beklagt ausdrücklich den «Vormarsch des angloamerikanischen Rechts in der Schweiz». Wie nehmen Sie als erfolgreicher Familienunternehmer und Jurist zu dieser Kritik Stellung? Da gebe ich ihm Recht. Wir mussten – ich war ja damals noch im Bundesrat – das Revisionsgesetz neu und kompliziert machen nur wegen des Sarbanes- Oxley- Acts – amerikanischer Vorschriften für die Vergleichbarkeit. Und wie immer bei den Amerikanern: Sie drohten, wenn dies in der Schweiz nicht gelte dann würden sie generell Schweizer Firmen benachteiligen! Die Amerikaner anerkennen keine Abschlüsse in Europa, die nicht diesem Standard entsprechen. Damit wurden alle Unternehmen, die in Amerika auftreten, einfach an die Wand gedrückt. Wir sollten in der Schweiz so weit wie möglich bremsen und – wenn diese Vorschriften kommen – nicht überstürzt handeln. Für kleine Unternehmen sind die Vorschriften sehr schwierig und aufwendig. Wir sollten das Aktienrecht für die Rechnungslegung und die Revisionen für kleine und für grosse Unternehmen unterschiedlich ausgestalten. Das ist zum Teil gelungen. Gegenwärtig wird versucht, den traditionellen nachhaltigen Schweizer Board-Primacy-Ansatz in Richtung des angloamerikanischen quartalsorientierten Shareholder- Empowerment- Ansatzes zu entwickeln. Was halten Sie davon? Ich halte nicht viel davon, weil es erneut lediglich eine Anpassung an die andern ist. Ich sehe den Sinn dahinter nicht! Die Unternehmen sollten diese Standards selbst wählen können – man kann das ja zum Teil auch. Es gibt vielleicht Unternehmen, die die Anpassung brauchen, weil sie in Amerika oder in andern Ländern auftreten, wo dieser Ansatz angewendet wird, dann sollen sie es eben machen. Oft wird die Meinung vertreten, die jährliche Wiederwahl der Verwaltungsräte sei ein weiterer anglo amerikanischer Trend, der die nachhaltige Entwicklung der Unternehmen behindere. Was spricht für, was gegen diese Meinung? Ich teile diese Auffassung nicht. Ich bin ein grosser Anhänger der jährlichen Wahl. In unseren Unternehmen wählen wir schon seit Langem die Verwaltungsräte jedes Jahr. Man stellt heute auch keine Mitarbeiter mehr an mit drei- oder fünfjährigen Arbeitsverträgen. Bei den Verwaltungsräten kommt dazu, dass diese in vielen Unternehmen ihre Saläre selber festlegen. Wenn jemand für drei Jahre gewählt wird und er jedes Jahr seinen Lohn bestimmt, kann man weder über den Lohn noch über die Dauer seines Mandats Einfluss auf ihn nehmen. Als ich als Bundesrat das neue Aktienrecht vorlegte, hatte ich mich für die jährliche Wiederwahl als Muss entschieden. Man hat sie jetzt im Gesetz gestrichen. Aber die Saläre müssen jedes Jahr genehmigt werden – so kann man ja auch steuern. Ich selber war 30 Jahre im Verwaltungsrat und bin jedes Jahr wiedergewählt worden (lacht). Aber jedes Jahr stellt man sich der Frage: Verlängern wir das Mandat wieder für ein Jahr oder nicht? Das ist doch sinnvoll.