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Economy

30.04.2003

Auch Moratorium wäre Dummheit

Interview im "St. Galler Tagblatt" vom 30. April 2003 Neue Atomkraftwerke werde es mit der heutigen Technologie nicht mehr geben, sagt Christoph Blocher. Aber er hält es für wirtschaftlich unverantwortbar, aus der Kernenergie auszusteigen, «solange die AKW funktionieren». Von René Lenzin und Hanspeter Guggenbühl Herr Blocher, als der Nationalrat die beiden Atom-Initiativen behandelte, haben Sie geschwiegen. Weshalb wollen Sie jetzt plötzlich über dieses Thema reden? Christoph Blocher: Ich will nicht, ich muss. Sie müssen? Blocher: Ich sehe eine Notwendigkeit. Ich habe im Rat gegen die Initiativen gestimmt. Denn es sind zwei schlimme Initiativen. Es geht um 40 Prozent unserer Energie, auf welche die Schweiz verzichten sollte. Das zerstört Arbeitsplätze, gibt höhere Strompreise, alle Leute müssen mehr bezahlen, die Energieversorgung wird unsicher. Engagieren Sie sich finanziell? Blocher: Jawohl, weil ich es wichtig finde, ohne zu sagen, mit wie viel Geld. Wie lange wollen Sie die Atomkraftwerke denn laufen lassen? Blocher: Das muss ich nicht entscheiden. Wir können sie so lange produzieren lassen, bis sie nicht mehr funktionieren oder wir sie nicht mehr brauchen. Ist es nicht besser, sie nach einem vorhersehbaren Fahrplan abzustellen, als plötzlich, wenn sie nicht mehr funktionieren? Blocher: Das kommt nicht plötzlich. Wenn ein Kraftwerk nicht mehr in Ordnung ist, wird man es zuerst reparieren oder erneuern. Erst wenn es veraltet ist, stellt man es still. Dazu aber braucht es kein Gesetz, das macht der Betreiber selber. Irgendwann werden Sie die Atomkraftwerke ersetzen müssen. Wie wollen Sie das tun? Blocher: Das sehen wir dann, das muss ich nicht jetzt entscheiden. Das wird sich ergeben, und daran arbeitet man heute schon intensiv. Ist der Bau von neuen Atomkraftwerken für Sie ein Thema? Blocher: Ich glaube zurzeit nicht, dass wir neue Atomkraftwerke bauen können. Die Verfahren und Sicherheitsvorkehrungen sind zu kompliziert. Wird es also keine neuen AKW mehr geben? Blocher: Ich bin kein Prophet. Vielleicht gibt es auch bei der Kernenergie neue Verfahren. Aber mit der bestehenden Technologie werden wir keine neuen Kernkraftwerke mehr bauen. Das wäre auch viel zu teuer. Billiger wären vielleicht Gaskraftwerke, die allerdings ökologisch noch ein Problem sind. Wollen Sie die Atomkraftwerke also mit Gaskraftwerken ersetzen? Blocher: Sicher nicht heute. Gas ist eine künftige Möglichkeit. Es gibt auch die Windenergie, die allerdings viel zu teuer ist. Wasserstoff ist auch eine Möglichkeit. Aber darauf lasse ich mich jetzt nicht ein. In der Abstimmung geht es darum, ob wir gut funktionierende günstige Elektrizität abwürgen sollen. Haben Sie noch nie daran gedacht, den Atomstrom einfach einzusparen? Blocher: Meine Firma ist Grossenergieverbraucherin, für die Energie lebensnotwendig ist. Wir nutzen den Strom rational, um weniger zu brauchen. Aber man kann nicht 40 Prozent der Energie einsparen, ohne die Arbeitsplätze zu gefährden. Die Industrie braucht nur einen Drittel des Stroms, Haushalte und Gewerbe hingegen zwei Drittel ... Blocher: Dann fragen Sie doch die Leute, ob sie 40 Prozent des Stroms einsparen können. Ich sehe nicht ein, weshalb wir 40 Prozent einsparen sollten. Die Kraftwerke funktionieren gut, und wenn es sie nicht mehr braucht oder sie veraltet sind, werden sie sowieso abgestellt. Den Strom per Zwang um 40 Prozent zu reduzieren, ist volkswirtschaftlich unverantwortlich. Wie viel Strom verbrauchen denn Sie in Ihrem Haushalt? Blocher: Das weiss ich nicht, weil ich mich vor allem mit der Stromrechnung unseres Unternehmens befasse. Wenn Sie Ihren Stromverbrauch nicht kennen: Wieso wissen Sie, dass Sie nicht 40 Prozent einsparen können? Blocher: Weil ich weiss, wo wir Energie brauchen, und weiss, was es heissen würde, nur 60 Prozent des Bedürfnisses abzudecken. Können Sie mit Kerzen statt elektrischem Licht leben? Wenn Sie Nein sagen, lügen Sie. Denn Sie könnten, aber Sie tun es nicht. Man muss nicht auf Kerzen setzen, sondern auf effiziente Technologie. Blocher: Bisher hatten wir mit alternativen Energien relativ wenig Erfolg, vor allem im grossen Massstab nicht. Doch an neuen Technologien wird gearbeitet. Sie sind ein Gegner von Subventionen. Weshalb haben Sie sich nie gegen die Subventionierung der Atomenergie gewehrt? Blocher: In der Finanzkommission habe ich gegen die Kredite für das Paul-Scherrer-Institut gestimmt. Und auch gegen die Förderung von andern Energien. Der Staat soll also keine Atomforschung finanzieren? Blocher: Nein. Nicht, weil ich gegen die Kernenergie bin, sondern weil es nicht Sache des Staates ist. 1988 haben Sie dafür gesorgt, dass die Aktionäre des KKW Kaiseraugst mit 350 Millionen aus Steuergeldern entschädigt wurden. Blocher: Die Stilllegung war für den Staat die billigste Lösung. Er hat nämlich alle Bewilligungen erteilt und wäre daher schadenersatzpflichtig geworden, und zwar um über eine Milliarde. Ich musste dafür sorgen, dass der Staat Kaiseraugst verbietet, damit die Unterlieferanten keine Forderungen mehr stellen konnten. Finden Sie es marktkonform, wenn die Allgemeinheit die Risiken trägt, welche die Versicherungssumme von einer Milliarde übersteigen? Blocher: Es ist allgemeine Rechtsprechung, dass der Staat die Haftung für Projekte übernimmt, die für die Versorgung notwendig sind und die nicht höher versichert werden können. Ich erachte diese Regelung als zweckmässig. Aber Atomstrom wäre vielleicht nicht mehr wirtschaftlich, wenn er alle Risiken tragen müsste. Blocher: Das gilt für alle Energien. Die Initiativen wollen die Kernenergie erledigen. Nein, sie schlagen das vor, was Sie sonst predigen: den Markt. Blocher: Nein, sie wollen die Energie verteuern, indem sie gut gehende Kraftwerke verbieten. Wäre ein Ja zum Moratorium allein für Sie schon verheerend? Blocher: Ein Ja zum Moratorium hat die gleichen Folgen: einen vorgezogenen Ausstieg nämlich. «Moratorium Plus» heisst: man entscheidet jetzt nicht und lässt die Sache in der Schwebe. Und damit können die KKW-Betreiber keine Erneuerungen mehr vornehmen. Trotzdem unterscheiden sich die Initiativen: «Strom ohne Atom» erlaubt maximal 30 Jahre, «Moratorium Plus» mindestens 40 Jahre Betriebszeit. Blocher: Ja, «Moratorium Plus» hat etwas längere Fristen. Aber eine Dummheit wird nicht besser, wenn die Frist dazu etwas verlängert wird.

28.04.2003

Die FDP muss sich rückbesinnen

Interview in der "Zürichsee-Zeitung" vom 28. April 2003 Herrliberg/Zürich: SVP-Kantonalparteipräsident und Nationalrat Christoph Blocher zum Verhältnis zwischen SVP und FDP und zur Konkordanzdemokratie Christoph Blocher fordert vom Freisinn die Rückbesinnung auf "bürgerliche" Werte. Der Zürcher SVP-Präsident erklärt, weshalb er für die Nationalratswahlen eine Listenverbindung mit der FDP anstrebt und die CVP einen Bundesratssitz abgeben soll. von Benjamin Geiger / Daniel Winter Am 6. April haben die Bürgerlichen in den Kantonsratswahlen verloren. Ein Wahlausgang, der Sie nicht zufrieden stellen kann. Blocher: Wer hat denn eigentlich verloren? Verloren hat die FDP, nicht die Bürgerlichen. Diese Wahlen waren meiner Meinung nach wichtig, weil die bürgerlichen Wähler nun zum dritten Mal gezeigt haben, dass sie die freisinnige Politik nicht goutieren. Wenn ich FDP-Präsident wäre, würde ich folgende Erkenntnis aus den Wahlen ziehen: Der halblinke Kurs zahlt sich nicht aus. Der Vormarsch der SVP, gerade in den freisinnigen Hochburgen, zeigt das klar. Sind denn auf freisinniger Seite vor allem die Anti-SVPler abgewählt worden? Blocher: Das ist eindeutig. Markus Hess und Balz Hösly waren die Hauptinitianten dieser halblinken Politik. Für die Nationalratswahlen vom Herbst wird es interessant sein zu beobachten, was sich auf freisinniger Seite verändert. Wir sind der Meinung, dass wir gemeinsam in den Ständeratswahlkampf steigen müssen. Aber es muss zugleich auch eine Listenverbindung FDP-SVP in den Nationalratswahlen geben. Sonst verschenken wir wieder Mandate nach links. Es ist ja Ironie des Schicksals, dass Balz Hösly, der bei den Kantonsratswahlen vehement gegen Listenverbindungen mit der SVP war, sein Mandat nicht verloren hätte, wenn es diese Verbindung gegeben hätte. Wird es zwischen Zürcher SVP und Freisinn für die eidgenössischen Wahlen tatsächlich wieder zu einer Annäherung kommen? Blocher: Es wird sich zeigen, ob sich bei den Freisinnigen diejenigen Kräfte durchsetzen, die unsere Einschätzung teilen. Es gibt viele Freisinnige, die so denken. Die Signale, die ich erhalte, sind positiv. Aber sie stammen von Vertretern an der Basis. Ich selber habe hier keinen Einfluss. Einer, der jetzt für die FDP politisiert und in den Nationalrat will und den Sie aus "Arena"-Jahren gut kennen, ist Filippo Leutenegger… Blocher: Seine politische Einstellung kenne ich zu wenig. Ich habe ihn als Leiter der "Arena" geschätzt. Er war einer der fairsten Diskussionsleiter, die ich kennen gelernt habe. Wie er politisch denkt, das wird sich zeigen. Ich habe kürzlich gelesen, dass er einen EU-Beitritt ablehnt. Gut so. Damit würde er auch in die SVP passen. Blocher: Ich bedaure es natürlich, dass er jetzt bei den Freisinnigen ist. Vielleicht haben wir selbst ihn auch nicht gefragt. Aber jeder, der eine bürgerliche Politik betreibt, ist gut. Auch wenn er in einer andern Partei ist. Müssen die Freisinnigen - in Zürich und gesamtschweizerisch - in den Nationalratswahlen vom Herbst eine weitere Niederlage einstecken, damit sie in den darauf folgenden Bundesratswahlen einen zweiten Sitz der SVP respektive einen ersten der "Zürcher SVP" unterstützen? Blocher: Ich fürchte, dass die Freisinnigen auch auf nationaler Ebene einen Richtungswechsel nur vornehmen, wenn sie in den Wahlen weiter geschwächt werden. Wobei zu sagen ist, dass es eigentlich nicht um einen Richtungswechsel geht, sondern um eine Rückbesinnung. Wenn der Freisinn sich behaupten will, hat er gar keine andere Möglichkeit, als auf den Boden seines Gedankenguts zurückzukehren. Und dann haben wir überhaupt kein Problem mehr mit ihm. Ist denn in allen Fragen eine Übereinstimmung zwischen FDP und SVP anzustreben? Blocher: Gleich waren wir nie. Aber so viele Differenzen in grundsätzlichen Fragen wie heute gab es früher nicht. Nehmen Sie die Steuerpolitik auf Bundesebene. Die Schweiz hat in den letzten Jahren die grösste Ausdehnung der Fiskalquote aller OECD-Länder gehabt. Das war nicht nur das Werk der Sozialdemokraten. Die FDP und CVP gingen mit. Sei es bei der Schwerverkehrsabgabe, der Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Solidaritätsstiftung, Mutterschaftsversicherung usw. Das ist eigentlich unfreisinnig. Wie stehts mit der Europa-Politik? Blocher: Wenn die FDP am EU-Beitritt festhalten will, dann hält sie eben daran fest. In allen Fragen werden wir uns nicht einigen können. Die Freisinnigen sind ebenfalls für eine tiefere Staatsquote. Sie sagen aber, dass man mit der SVP keine gemeinsame Politik betreiben kann, weil sie nicht kompromissbereit sei. Blocher: Es ist für mich selbstverständlich, dass es Kompromisse geben muss. Das Problem der letzten Jahre war ja nicht, dass die Freisinnigen eine andere Position hatten, sondern gar keine. Mit jemandem, der keine Position hat, können Sie gar nicht Kompromisse schliessen. Herr Hösly sagte, wir sind auch für Ausgabensenkungen, über Zahlen sprechen wir aber nicht, und wir warten ab, bis der Regierungsrat mit dem Budget kommt. Das heisst sich um die Lösung herumdrücken. Für die Haushaltsanierung im Kanton Zürich müssen grosse Abstriche an den bisherigen staatlichen Leistungen vorgenommen werden. Wird das der Bürger im Einzelnen tatsächlich mittragen? Blocher: Der Einstieg in Ihre Frage ist falsch: Ist ein sparsamerer Staat zwangsläufig einer, der weniger Leistungen anbietet? In meinem eigenen Unternehmen mache ich nichts anderes, als ununterbrochen dafür zu sorgen, dass wir höhere Leistungen kostengünstiger erbringen. Der Staat hat sich diese Frage aber gar nie gestellt. Also verfügt er diesbezüglich über ein unglaubliches Sparpotenzial. Doch er geht die Sache nicht an. Es heisst immer: Wir können schon sparen, aber dazu müssen Leistungen reduziert werden, gerade diejenigen, an denen der Bürger am meisten hängt; dies um den Bürger zu erschrecken. Es hat aber noch kein Regierungsrat erklärt, jawohl, wir sind fürs Sparen und beginnen, indem wir zum Beispiel unsere PR-Abteilungen und Stabsstellen abbauen. Letztlich geht es um die Frage, ob man an eine freiheitliche Wirtschaftsordnung glaubt oder nicht. Die Sozialdemokraten setzen auf einen Staat, der immer mehr Geld verteilt. Das war für uns Bürgerliche aber immer ein Irrweg. Und den Freisinnigen ist vorzuwerfen, dass sie ihn mit der Linken mitgegangen sind. Dafür haben sie die Quittung erhalten. Und die heilsamste Quittung ist die durch das Volk in den Wahlen. Wenn die FDP den Weg mit uns ginge, wäre die SVP zwangsläufig nicht mehr so stark. Wir müssten dann aber auch nicht mehr so stark sein, weil wir nicht mehr allein wären. Sie haben von "uns Bürgerlichen" gesprochen: Wie definieren Sie bürgerlich? Blocher: Bürgerlich ist der Gegensatz zu sozialistisch oder sozialdemokratisch. Der Sozialdemokrat ist für mehr Staat, höhere Steuern, weniger persönliche Freiheit. Der Bürgerliche setzt sich für viel Freiheit, viel Selbstverantwortung und weniger Staat ein. Das ist ein dauernder politischer Gegensatz, der immer bleibt. Die Grundsatzfrage lautet, wie viel gibt man dem Staat. Dieser Frage sind die Freisinnigen ausgewichen. Sind die Sozialdemokraten heute nicht auch schon bürgerlich? Blocher: Nein. Sie bekämpfen zwar in der Theorie die Marktwirtschaft nicht mehr frontal, weil sie ein Fiasko mit der Planwirtschaft erlebt haben. Aber in ihren Köpfen ist dieses Gedankengut nach wie vor vorhanden. Nehmen Sie als Beispiel die Gesundheitsinitiative oder die Verkehrspolitik. Oder den Swiss-Kredit. Das ist eine sozialdemokratische Schöpfung mit freisinniger Unterstützung. Das war ein schwer wiegender Sündenfall. Soll denn der Staat in einem Gebiet, auf dem der Markt spielt, eingreifen? In der Landwirtschaftspolitik lässt die SVP diese Einstellung aber vermissen. Blocher: Das kommt daher, weil die Landwirtschaft nicht der freien Marktwirtschaft unterstellt werden kann. Trotzdem wäre ich für eine viel freiere Landwirtschaftpolitik, die die unternehmerische Note betont. Ich würde jedem Bauern - egal ob arm oder reich - für die Bewirtschaftung des Bodens einen Beitrag zahlen, damit der Boden nicht vergandet. Darauf kann er machen, was er will. Da könnte man auf einen grossen Teil der Landwirtschaftsgesetzgebung, welche die Produkte heute verteuert, verzichten. Mit Blick auf Ihre Haltung zur Landwirtschaftspolitik teilen Sie die reine Lehre des Neoliberalismus also nicht? Blocher: Wir sind auch keine Neoliberalen. Wenn Sie die reine Lehre des Neoliberalismus haben wollen, dann gibt es gar keinen Staat. Dann brauchen Sie auch keinen, dann herrscht Anarchie. Es macht jeder, was er will, und es muss niemand auf den andern Rücksicht nehmen. Davon sind wir aber weit weg. Ich wäre nicht schon so lange Jahre in der Politik, wenn ich die Auffassung hätte, den Staat sollte es gar nicht geben. Nach meinem Verständnis kann man im Bereich des Staats die Polizei, die Gerichte sowie gewisse Infrastrukturen wie Strassen und Bahntrassees nicht privatisieren. Abgesehen davon könnte man aber relativ viel an die Privatwirtschaft abgeben. Ist es Ihr längerfristiges, nationales Ziel, die Konkordanz- durch eine Konkurrenzdemokratie zu ersetzen? Blocher: Nein. Ich bin nach wie vor für die Konkordanz. Wir haben sie heute aber nicht. Im Bundesrat heisst Konkordanz: Den drei Grossen zwei Sitze und dem Kleinen einen. Daran haben wir uns immer gehalten, solange wir so klein waren wie heute die CVP. Heute gibt man dem Kleinen aber zwei Sitze und der grössten Partei nur einen. Gesetzt den Fall, die SVP erhält einen zweiten Sitz im Bundesrat: Müssten die anderen Bürgerlichen oder die SP einen abgeben? Blocher: Von der Konkordanz her gesehen, muss die CVP einen abgeben. Sie ist die kleinste Partei. Nachdem die anderen Parteien aber erklärt haben, die Konkordanz gelte nicht mehr, die CVP solle weiter zwei Sitze haben, sagen wir: Wir müssen politisch vorgehen. Dass heisst: Wenn wir als Grösste einen haben und die Sozialdemokraten zwei, dann können ebenso gut auch sie einen abgeben. Nun wird aber allein mit den Stimmen der SVP ein SVPler nicht zum Bundesrat gewählt… Blocher: Konkordanz ist immer freiwillig. Wenn nicht mindestens drei Parteien dafür sind, gibt es keine. Würde sich tatsächlich etwas Substanzielles ändern, wenn die "Zürcher SVP" anstelle der CVP über einen Bundesratssitz verfügen würde? Blocher: Hoffentlich. Sonst nützt es ja nichts. Der Sinn der Konkordanz ist doch der, dass die grossen Parteien mit zwei Persönlichkeiten in der Regierung vertreten sind und ihr Gedankengut, ihre politische Richtung einbringen. Und dass das Gremium auf diese Meinungen hört, danach handelt oder einen Kompromiss findet… …die Zürcher SVP wäre dann ebenfalls kompromissbereit? Blocher: Natürlich. Ich bin ja schliesslich verheiratet, ich weiss, was ein Kompromiss ist. Und ich habe auch in der Politik keine Mühe damit. Die Frage ist aber: wo? Beim EU-Beitritt ist er wohl nicht möglich. Das würde aber auch nichts machen, dann gäbe es halt eine Auseinandersetzung und das Volk würde entscheiden. Konkret gefragt: Würde die Zürcher Linie der SVP, wenn sie im Bundesrat vertreten wäre, zum Beispiel die liberale 4-Säulen-Politik im Drogenbereich mittragen? Blocher: Wenn wir uns im Bundesrat zu etwas durchringen würden, dann würden wir das auch mittragen. Das muss ja noch lange nicht heissen, dass wir es auch gutheissen. Bei einem Kompromiss muss ich nicht Feuer und Flamme für eine Lösung sein. Ich sage einfach: Es gab halt nichts anderes; ich habe hier, der andere hat dort Abstriche gemacht. Im Moment sind wir im Bundesrat aber mit jemandem vertreten, den wir nicht vorgeschlagen haben. Und folglich sind wir heute zu drei Vierteln Opposition. Nicht aus freien Stücken. Im Kanton Zürich besetzt die SVP bereits zwei Sitze in der Regierung. Und trotzdem macht sie Opposition gegen die regierungsrätliche Politik. Blocher: Das betrifft im Wesentlichen nur die Steuer- und Ausgabenpolitik. Abgesehen davon gibt es aber auch in der Konkordanz immer wieder Punkte, in denen Parteien abweichende Meinungen vertreten. Wird Ende Jahr die von Ihnen repräsentierte SVP ebenfalls über einen Bundesrat verfügen? Blocher: Wahrscheinlich nicht. Eher wird ein Kommunist gewählt als ein SVPler. Man wird es sehen. Es ist aber auch nicht unser primäres Ziel. Ämter besetzen kann immer nur ein Mittel zum Zweck sein. Entweder gehen wir in den Bundesrat und vertreten dort unsere Politik für eine souveräne Schweiz, für einen sparsamen Haushalt, für eine freiheitliche Wirtschaftspolitik, gegen die Missbräuche im Asylwesen. Oder wir sind draussen und kämpfen dort für unsere Anliegen. So oder so: Wir nehmen den Wählerauftrag ernst. Und genau darum wählen die Bürger uns.

14.03.2003

Blocher: Landwirtschaft umbauen

Interview mit dem "Tages-Anzeiger" vom 14. März 2003 Die heutige Agrarpolitik sei total verknorzt, sagt SVP-Nationalrat Christoph Blocher. Er fordert einen Systemwechsel und will eine Milliarde jährlich sparen. Mit Christoph Blocher sprachen Beat Bühlmann und Gaby Szöllösy Die SVP hat Bundesrat Villiger beauftragt, fünf Milliarden zu sparen. Die Landwirtschaft soll davon ausgenommen werden? Blocher: Mit einem neuen System könnte man auch bei der Landwirtschaft weniger Geld ausgeben, und die Bauern würden mehr verdienen, ohne ihre Bauernhöfe verlottern lassen zu müssen. Wie soll das gehen? Blocher: Indem wir die Bürokratie in der Landwirtschaft beseitigen! Das sieht man doch bei der Agrarpolitik 2007: Die Landwirtschaft geht wohl letztlich wieder leer aus. Das ist eine Sozialgesetzgebung mit Umweltschutz, Naturerhaltung, bürokratischen Kontrollen und unnötigem Zeug. Vor einem halben Jahr hat ausgerechnet die SVP nochmals 60 Millionen Franken gefordert, um die tiefen Milchpreise zu kompensieren. Blocher: Mit dem heutigen System muss sie das tun. Die Landwirtschaftpolitik ist dermassen staatlich verknorzt, dass sie niemanden befriedigt. Sie wird zu teuer, und trotzdem verarmen die Bauern. Werden Sie der AP 2007, wie sie nächste Woche in den Nationalrat kommt, trotzdem zustimmen? Blocher: Ja. Obschon ich der Auffassung bin, dass dieses System in die Sackgasse führt. Die Landwirtschaft ist heute überfordert: Sie muss die Vergandung verhindern, die Entvölkerung der abgelegenen Gebiete stoppen, die Nahrungsmittelversorgung gewährleisten und zahlreiche Auflagen erfüllen. Sie wollen die Vefassung korrigieren? Blocher: Nein, dieser Auftrag ist für mich unbestritten. Ich will nicht, dass das Land vergandet. Also muss der Bauer, der es bewirtschaftet, pro Fläche dafür bezahlt werden. So wie heute? Dann sparen Sie ja nichts. Blocher: Die minimale Bewirtschaftung muss man abgelten, die heutigen Direktzahlungen vielleicht sogar erhöhen. Hingegen will ich bei meinem Modell die Nahrungsmittelproduktion ganz dem Bauern überlassen, ohne Lenkung, staatliche Unterstützung und Bevormundung. Bei den Produkten soll der Markt möglichst frei spielen. So können wir den bürokratischen Ballast kurzerhand streichen. Es ist ja verrückt, wie viele Formulare der Bauer jeden Tag auszufüllen hat. Das verteuert die Produktion. Welche Vorschriften sind denn überflüssig? Blocher: Zum Beispiel, dass man dem Bauer vorschreibt, wie viele Kühe er pro hundert Quadratmeter Land halten darf. Oder ab welchem Tag er mähen darf. Das ist doch absurd. Es braucht Vorschriften, damit der Boden nicht vergiftet wird, aber die gelten ja für alle, auch für Industrielle. Der Bauer soll wieder Unternehmer sein dürfen. Wer kontrolliert, ob die Bauern diese Minimalvorschriften einhalten, wenn Sie die ganze Bürokratie aufheben? Blocher: Es braucht keine speziellen Kontrollapparate für die Landwirtschaft. Die Produkte werden ohnehin schon heute von den Grossverteilern und der Lebensmittelkontrolle überprüft. Also keine Vorschriften für die Tierhaltung? Blocher: Nur generelle Vorschriften, wie sie im Tierschutzgesetz festgeschrieben sind. Keine Beiträge für regelmässigen Auslauf der Tiere? Blocher: Das ist unnötig. Wenn der Konsument beispielsweise Eier von glücklichen Hühnern will, so werden die Grossverteiler das von den Bauern verlangen. Der Staat muss hier nicht eingreifen. Also auch keine Ökobeiträge mehr. Ohne diese hat jedoch die naturnahe Landwirtschaft keine Chance. Blocher: Jene, die nur das Minimum machen wollen, also beispielsweise ihre Wiese nur ein- bis zweimal im Jahr mähen, betreiben zwangsläufig extensive Landwirtschaft. Das ist ökologischer. Jene hingegen, die sich entscheiden, Nahrungsmittel herzustellen, müssen im freien Markt mit Weltmarktpreisen auskommen. Blocher: Das kommt auch auf die Zollgesetzgebung an, und die können wir ja nicht alleine bestimmen. Sicher würde die Konkurrenz grösser, der Preisdruck nähme zu. Weil die Bauern aber nicht mehr so viele Auflagen zu erfüllen hätten, sänken ihre Produktionskosten, und die Kreativität stiege. Sie sind auch für die Aufhebung von Fleischkontingenten? Jede Metzgerei darf so viel importieren wie sie will? Blocher: Im heutigen System nicht. Im neuen wäre das der Idealfall. An wen verkaufen dann die Schweizer Bauern ihr teures Fleisch? Blocher: Ich habe deutsche Geschäftskunden, die immer, wenn sie in der Schweiz sind, Fleisch einkaufen. Obwohl es bei uns teurer ist. Aber die sagen, die Qualität sei besser und insofern das Fleisch den höheren Preis wert. Das werden wohl eher Ausnahmefälle sein. Blocher: Warum denn? Und wenn schon: Die Schweizer Bauern müssen ja auch nicht die ganze Welt versorgen. Vor allem die Bergbauern kämen bei Ihrem Modell stark unter Druck. Der Strukturwandel würde rasant beschleunigt. Blocher: Wahrscheinlich gäbe es mehr Bauern, die nur den Boden bewirtschaften, aber keine Nahrungsmittel produzieren. Und nebenbei einen anderen Job ausüben. Doch die Abgeltung müsste wie bis anhin im Berggebiet höher sein als im Mittelland. Im Übrigen ist es schon heute so, dass im Berggebiet nur noch wenige Vollerwerbsbetriebe existieren können. Sie machen die Bergbauern faktisch zu Staatsangestellten. Blocher: Es ist nicht mehr als recht, dass sie für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen entlöhnt werden. Zudem ist es ihnen unbenommen, sich zusätzlich mit innovativen Leistungen auf dem Markt zu behaupten und zum Beispiel neue Käsesorten zu kreieren. Der Staat muss sich da nicht einmischen. Der Bauer wäre für diesen Bereich Unternehmer und könnte sich von allen Vorschriften lösen. Keine Qualitätsvorschriften? Nach etlichen Skandalen sind die Konsumenten sensibilisiert. Sie wollen Qualitätsprodukte. Blocher: Wenn der Markt das verlangt, so werden die Bauern ökologisch produzieren. Qualitätskriterien müssen die Bauern und Grossverteiler untereinander abmachen. Wie viel wollen Sie denn mit diesen Ideen sparen? Heute gibt der Bund 4 Milliarden jährlich für die Landwirtschaft aus. Blocher: Die Direktzahlungen würden etwas steigen. Im Idealfall würden alle Auflagen und Produktesubventionen gestrichen. Und viel sparen könnte man im Bereich Bürokratie. Selbst wenn Sie das ganze Bundesamt für Landwirtschaft und alle Forschungs- und Beratungsinstitute streichen, sparen Sie nur rund 220 Millionen. Blocher: Ich bin überzeugt, dass man insgesamt in der Landwirtschaft eine Milliarde sparen kann, und trotzdem kriegen die Bauern mehr. Davon müssen Sie die Bauern erst überzeugen. Sie werden nicht einverstanden sein mit Ihren Ideen. Blocher: Die tüchtigen durchaus. Die untüchtigen vielleicht weniger. Aber auch die Bauern erkennen die Lage: Sie müssen aufpassen, dass man ihnen nicht überall immer mehr abzwackt, sodass am Schluss gar nichts mehr bleibt. Diese Gefahr besteht. Der Bauernverbandspräsident Hansjörg Walter hat offenbar in der Fraktion bereits Protest angemeldet. Blocher: Wir haben darüber nur am Rande gesprochen. Er sagt, grundsätzlich sei dies richtig, aber die Zeit sei noch nicht reif. Es ist klar, der Bauernverband wird jetzt nicht sofort auf diese Linie einschwenken.

10.03.2003

Eine innovative Platzierung

Interview mit "Stocks" vom 10. Januar 2003 Von Daniel Krähenbühl Stocks: Der Entscheid gegen ein Going Private widerstrebt Ihnen offensichtlich. Christoph Blocher: Mir läge es viel näher, die Firma von der Börse zu nehmen. Wir könnten die Firma in den nächsten Jahren auch problemlos alleine führen. Im Interesse der Firma muss dies aber sein, um ein Wachstum, eine nachhaltige Gewinnentwicklung und eine langfristig solide Situation zu gewährleisten. Kontrolle ist offenbar etwas sehr Wichtiges für Sie. Christoph Blocher: Ja. Es hätte die Krisen in diversen grossen Firmen nicht gegeben, wenn diese starke Aktionäre gehabt hätten. Wenn es von der Expansion her nicht anders geht, bin ich bereit, meinen Aktienanteil unter 50 Prozent abzubauen. Man kann auch mit 40 oder 30 Prozent noch eine wichtige Verantwortung tragen. Ems muss aber einen beherrschenden Aktionär behalten, das ist ihre Stärke. Haben Sie sich deshalb für eine Einheits-Namen und nicht für eine Inhaber-Aktie entschieden? Christoph Blocher: Ja. Man weiss halt bei einer Namenaktie ,wer die Aktionäre sind. Der Entscheid ist aber nicht in Stein gemeisselt. Sie wollen die Aktien "innovativ platzieren". Was heisst das? Christoph Blocher: Das Stupideste wäre, wenn wir morgen die Aktien auf den Markt werfen würden. Zum momentanen Kurs werden wir das sowieso nicht tun. Eine Möglichkeit wäre eine Versteigerung. Vielleicht gibt es aber auch noch ganz andere Formen. Wir müssen uns das in den nächsten Monaten noch überlegen, um dann Mitte Jahr für eine Platzierung bereit zu sein, die dem Aktionär möglichst viel bringt und steueroptimiert ist. Welcher Verkaufspreis schwebt Ihnen vor? Christoph Blocher: Ems hat zwar keine schlechte Kursentwicklung gemacht. Aber im Moment sind die Aktien allgemein weit unten. Jetzt muss man Titel kaufen und nicht verkaufen. Aber Sie beginnen noch in diesem Jahr mit dem Verkauf Ihrer Aktien? Christoph Blocher: Bei so tiefen Kursen sicher nicht. Es besteht auch keine Notwendigkeit. Was bringt Ems als breite Publikumsgesellschaft den Aktionären? Christoph Blocher: Die Vorzugs-Stimmrechte fallen weg. Wenn ich meinen Anteil auf 50,1 Prozent abbaue, haben die anderen Aktionäre einen massiven Einfluss auf die Firma. Und die Investoren wissen gleichzeitig, dass sie nach wie vor einen starken Aktionär haben, der auf ihre Vermögenswerte achtet.

11.02.2003

Welches ist die liberalste Partei im Lande?

Streitgespräch im "Tagesanzeiger" vom 11. Februar 2003 Was liberale Politik ist, definierte einst die FDP. Nun macht ihr die SVP diesen Anspruch streitig. Christiane Langenberger und Christoph Blocher in ihrem ersten direkten Schlagabtausch.Jeder Einzelne ist für sich selbst verantwortlich, sagt Christoph Blocher. Nein, findet FDP- Präsidentin Christiane Langenberger, der Staat muss für Chancengleichheit sorgen.Mit Christiane Langenberger und Christoph BlocherVon Helmut Stalder und Matthias Baer Herr Blocher, verstehen Sie sich als Liberaler? Christoph Blocher: Selbstverständlich. Liberalismus ist das Gegenteil von Sozialismus. Die Freiheit und die Selbstverantwortung des Bürgers stehen im Mittelpunkt, nicht das Kollektiv. Auch Wohlfahrt ist nur in einem liberalen Staat möglich. Ich bin also ein Liberaler im ursprünglichen Sinne. Auch Sie, Frau Langenberger, beanspruchen das liberale Etikett für sich. Was meinen Sie damit? Christiane Langenberger: Wir wollen den Menschen Freiraum geben, aber wir verlangen von ihnen auch Verantwortung. Davon habe ich bei Ihnen, Herr Blocher, nichts gehört. Wir sind für so wenig Staat wie möglich, aber für so viel wie nötig. Beide bekennen Sie sich als Liberale. Deshalb die Gegenprobe: Finden Sie, Frau Langenberger, Herrn Blocher liberal? Langenberger: Er ist weniger liberal als wir Freisinnigen. Sie, Herr Blocher, schränken den Staat auch dort ein, wo es ihn braucht, beispielsweise in der Aussenpolitik. So verhindern Sie, dass wir auf die vielen Probleme reagieren können, die von aussen auf uns zukommen. Beim Terrorismus, bei der Umweltbedrohung und in der Migrationspolitik muss die Schweiz international zusammenarbeiten. Wir stehen dafür ein, dass der Staat hier handlungsfähig bleibt. Gegenprobe auf die andere Seite: Finden Sie, Herr Blocher, Frau Langenbergers Positionen liberal? Blocher: Nein. Frau Langenberger, wenn ich sehe, was Sie alles vertreten, gehören Sie zum linken Flügel der SP. Sie waren für eine Mutterschaftsversicherung, bei der jede Mutter staatliche Unterstützung erhalten sollte, unabhängig von einer Notlage. Die anderen Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Beim Krankenversicherungsgesetz bauten Sie den Grundkatalog aus. Nun bezahlen die Bürger jedes Jahr mehr Prämien! Für einen Liberalen ist das alles unerträglich - auf Schritt und Tritt wird sozialistisch umverteilt. Und die FDP ist eine treibende Kraft dieser Entwicklung. Langenberger: Der Staat soll und darf nur dort eingreifen, wo es um Chancengleichheit und den Schutz der Schwächsten geht. Für die höheren Einkommen hätte es keine Mutterschaftsversicherung gegeben. Bei der Krankenversicherung sind unsere Positionen mit der SVP nahezu deckungsgleich. Die FDP fordert seit Jahren die Aufhebung des Vertragszwangs und verlangt eine Überprüfung des Grundkatalogs. Drängen Sie uns also nicht in die linke Ecke! Ist für Sie, Herr Blocher, Liberalismus vor allem Wirtschaftsliberalismus? Blocher: Nein. Der Liberale wehrt sich grundsätzlich dagegen, dass die Bürger von der Wiege bis zur Bahre vom Staat betreut werden. Der liberale Bundesstaat, wie er 1848 verankert wurde, war ein schlanker Staat und lange Zeit die Grundlage von Freiheit und Wohlfahrt der schweizerischen Bürger. Wollen Sie zu einem Nachtwächterstaat zurück, der sich nur noch um das Nötigste kümmert? Das Gemeinwohl ist doch ein zentraler, liberaler Wert. Blocher: Der Staat garantiert das Gemeinwohl am besten, wenn er seine Bürger machen lässt. Wo der Staat den Bürgern viel wegnimmt, geht es allen schlechter. Ein Nachtwächterstaat wäre nur für die Sicherheit zuständig, also für Polizei, Justiz und Armee. Das genügt mir nicht: Wer zu schwach ist, sein Leben zu fristen, soll fürsorglich betreut werden - aber nur die Not Leidenden. Sind Sie, Frau Langenberger, in Abgrenzung hierzu für einen Ausbau des Sozialstaates? Langenberger: Ich will nicht, dass der Staat dauernd interveniert und die Bürger völlig unter seine Fuchtel nimmt. Aber der Staat muss dafür sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, ihre Freiheiten wahrzunehmen. Es darf nicht sein, dass schwächere Menschen ausgegrenzt werden, dass sie keine Chance auf Bildung oder eine anständige Arbeit haben. Chancengleichheit herbeizuführen, ist eine zentrale Aufgabe für eine liberale Gesellschaft. Wir sind für den Steuerabbau, doch kann man dem Staat auch zu viele Mittel entziehen. Sie erwähnen den liberalen Wert der Chancengleichheit: Soll der Staat beispielsweise Krippen fördern, um allen Müttern und Vätern gleiche Berufschancen zu eröffnen? Blocher: Kinder haben ist Privatsache . . . Langenberger: Ach, wirklich? Was machen wir denn, wenn in der Schweiz keine Kinder mehr zur Welt kommen? Wollen Sie etwa mehr Ausländer holen? Wir müssen doch Rahmenbedingungen schaffen, die es Frauen und Männern erleichtern, Kinder zu haben. Blocher: Der Staat ist nicht für das Kinderkriegen verantwortlich. Wenn eine Frau zu arm ist, arbeiten muss und sich keine Krippe leisten kann, soll der Staat durch die Fürsorge eingreifen. Heute wird aber gefordert, dass alle ihre Kinder in staatlichen Krippen abgeben können. Andere sollen dies bezahlen - auch Kinderlose. Das ist sozialistische Umverteilung. Sie propagieren die Krippen unter dem Titel Chancengleichheit, dabei behindern Sie gleichzeitig die Chancen anderer, denen Sie das Geld wegnehmen! Langenberger: Herr Blocher, der Staat tut viel dafür, dass sich Frauen besser ausbilden und auch Kaderstellen erreichen können. Deshalb muss sich der Staat dafür interessieren, dass Beruf und Kinder in Einklang gebracht werden können. Das ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Die Arbeitgeber wollen Frauen in ihren Betrieben. Blocher: Dann sollen diese Unternehmen doch selber Krippen einrichten. Langenberger: Damit dies passiert, muss der Staat Kinderkrippen finanziell ein bisschen anschieben. Blocher: Ja, immer ein bisschen, ein bisschen, darum haben wir 200 Milliarden Schulden . . . Langenberger: Es geht um eine Anstossfinanzierung. Auch Tagesschulen mit Mittagstischen sind eine positive Massnahme, damit all die gut ausgebildeten Mütter arbeiten können. Selbstverständlich müssen sich die Eltern nach ihren Möglichkeiten beteiligen. Blocher: Geht es nach Ihnen, bezahlen die anderen Bürger eine Mutterschaftsversicherung, dann die Krippen, die Schulausbildung, das Studium und schlussendlich das Salär für die Doktoranden. Das ist Ihr Programm der staatlichen Kindererziehung. Es ist ein sozialistisches Erziehungssystem, bei dem die Wohlfahrt der Schweiz auf der Strecke bleibt: Andere sollen für die anderen sorgen, nur niemand mehr für sich selbst. Man kann die Kinder nicht auf Staatskosten abgeben, um sich dann selbst zu verwirklichen. Langenberger: Warum sagen Sie im Zusammenhang von arbeitenden Frauen so abschätzig, es gehe nur um Selbstverwirklichung? Selbstverwirklichung ist etwas Positives. Auch für Frauen. Und deshalb soll der Staat dies ermöglichen. Frauen, die arbeiten gehen können, bezahlen schliesslich auch Steuern. Ein weiterer Grundwert, der zum liberalen Denken gehört, ist Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Frau Langenberger, lebt die SVP diesem Wert nach? Langenberger: Nein. Ihre Intoleranz zeigt die SVP vor allem im Stil. Sie macht Plakate, die an der Grenze des Anstands sind. Sie leistet sich gegenüber ihrem eigenen Bundesrat Samuel Schmid abschätzige Qualifizierungen. Und sie redet dauernd das System schlecht und macht den Staat lächerlich. Von diesem antiliberalen Teil der SVP möchte ich die FDP stärker abgrenzen. Blocher: Wir machen nie den Staat lächerlich, wir kritisieren Regierende. Sie tun so, als seien Regierende der Staat. Darin zeigt sich die Arroganz der Macht. Gerade ein Liberaler darf dies niemals akzeptieren. Der einzelne Bürger steht im Zentrum, nicht die Regierung. Die SVP stellt die FDP in die linke Ecke und spricht von der "vereinigten Linken". Das tönt nach einem wenig liberalen Absolutheitsanspruch. Blocher: Auch ein Liberaler hat eine Position, eine Überzeugung. Der Staat muss die Meinungsfreiheit garantieren, auch die Freiheit des politischen Stils. Die Grundfrage jedes politischen Handelns lautet: mehr Staat oder mehr Freiheit? Früher standen sich die SP und die bürgerlichen Parteien gegenüber. Heute haben wir eine andere Konstellation: die SVP gegen die übrigen drei. Sie nennen diese neue Allianz "Koalition der Vernunft", was gegenüber der SVP kein sehr toleranter Begriff ist. Wir sagen "vereinigte Linke", weil nur noch die SVP gegen die Sozialisten kämpft. Langenberger: Die Zweiteilung in links/rechts, die Sie so forcieren, führt in die Irre. Es geht auch um den Gegensatz zwischen Fortschritt und Bewahren. Zum liberalen Gedanken gehört für mich Weltoffenheit und Modernität. Blocher: Das sind doch leere Floskeln. Langenberger: Nein, das zeigt sich in der Politik. Nehmen Sie die bilateralen Verhandlungen mit der EU, wo Sie ein Moratorium verlangen. Oder die Sicherheitspolitik: Sie wollen zwar eine Armee, sind aber dagegen, dass diese im Ausland üben darf. Blocher: Ihre Politik ist vielleicht zeitgemäss, aber falsch. Denn der Zeitgeist ist nicht das Mass aller Dinge. Die bilateralen Verhandlungen beispielsweise schränken die Selbstbestimmung der Schweiz ein. Frau Langenberger, Herr Blocher, in der Wintersession haben Sie bestens zusammengearbeitet: Sie haben die KVG-Revision abgelehnt, soziale Abfederungen in der AHV verhindert und am Steuersenkungspaket festgehalten. Eigentlich sind Sie ja ein bürgerliches Dreamteam. Blocher: Nein, in der Europapolitik, der grossen Auseinandersetzung der letzten zehn Jahre, stand einzig die SVP für das liberale Gedankengut ein. Es begann mit dem EU-Beitritt, einem Ja oder Nein zur Unabhängigkeit der Schweiz . . . Sie weichen aus. Finanz-, Sozial- und Gesundheitspolitik sind ebenfalls zentrale Themen. Hier arbeiten Sie im Parlament harmonisch zusammen. Blocher: Nein, denken Sie an die Mehrwertsteuererhöhungen, die Schwerverkehrsabgabe, die Tabaksteuererhöhungen, die Eigenmietwert-Initiative, die Asyl-Initiative, die Solidaritätsstiftung, die Swiss, die Expo etc. Wir fordern eine finanzielle Entlastung des Bürgers und sind gegen eine weitere Ausdehnung der staatlichen Macht. In Detailfragen gibt es vielleicht da und dort eine gewisse Harmonie. Vor den Wahlen muss die FDP ja etwas aufpassen. Wo bleibt da die von Ihnen angekündigte Abgrenzung, Frau Langenberger? Langenberger: Ich habe immer gesagt, dass wir in wirtschaftlichen Fragen gerne zusammenarbeiten. Ich grenze mich von einem gewissen Stil und dem antiliberalen SVP-Flügel ab. Die SVP, aber auch die SP polarisieren die Politik und schwächen damit das Land. Es ist gefährlich, wenn man die anders Denkenden, die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, derart in Bedrängnis führt, dass es schlussendlich nur noch zwei Fronten gibt: einen linken und einen rechten Flügel. Blocher: Das ist halt leider so: SP und SVP sind Gegenpole. Langenberger: Deshalb möchte ich eine starke bürgerliche Mitte aufbauen. Blocher: Machen Sie das. Herr Blocher, was passiert, wenn sich die freisinnige Auffassung liberaler Politik durchsetzt? Blocher: Wenn der Freisinn weiterhin mit der Linken marschiert und den Liberalismus sozialistisch auslegt, wird dies der SVP nützen. Der Freisinn warb ja einst mit dem Slogan: "Mehr Freiheit, weniger Staat." Übrigens wollte damals auch die SVP diesen Satz verwenden. Wir einigten uns dann mit der FDP und wählten: "Mehr Freiheit, weniger Bürokratie." So nahe lagen wir früher zusammen. Ihren heutigen Kurs, Frau Langenberger, goutiert die freisinnige Basis nicht: Nach links hat die FDP keine Chance. Sie haben ihre Position verlassen, nun suchen ihre einstigen Wähler eine neue Heimat bei uns. Wenn sich die FDP aber auf ihre Ursprünge zurückbesinnt, wird die SVP wieder schwächer. Dann wäre sie auch nicht mehr so nötig. Frau Langenberger, was passiert, wenn sich die SVP-Auffassung von liberaler Politik durchsetzt? Langenberger: Wir haben nicht derart unterschiedliche Ansichten von Liberalismus als die SVP. Was die Finanzpolitik oder die Rolle des Staates angeht, sind wir uns wahrscheinlich einig. Aber, nochmals, wir betreiben eine verlässliche, moderne und weltoffene Regierungspolitik. Wenn sich die SVP durchsetzt, wird die Polarisierung noch stärker zunehmen. Das ist schade für die Parteienvielfalt, die wir anerkennen.