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Wirtschaft

24.05.2003

Hände weg von der AHV

Streitgespräch mit Werner Marti im "Blick" vom 24. Mai 2003 BLICK: Pascal Couchepin will das AHV-Alter auf 67 erhöhen, ebenso die Mehrwertsteuer, und auch noch die Renten kürzen. Herr Blocher, ist das alles nötig? Christoph Blocher: "Eine Erhöhung des Rentenalters über 65 ist nicht nötig, wenn endlich das überschüssige Gold der Nationalbank für die AHV genutzt wird. Zudem ist der Anteil der Mehrwertsteuer, der für die AHV bewilligt wurde, auch wirklich der AHV zurückzugeben, statt in die Bundeskasse abzuführen. Es braucht jetzt auch keine neuen Mehrwertsteuer-Prozente. Leistungen müssen nicht gekürzt werden, aber sie dürfen auch nicht ausgebaut werden." Werner Marti: "Ich gehe mit Christoph Blocher in einem Punkt einig: kein Leistungsabbau bei der AHV! Im Gegenteil, die heutigen Leistungen brauchen eine Ergänzung. Wir müssen etwas für den flexiblen Altersrücktritt tun." Blocher: "Die SP will die Leistung der AHV ausbauen und die Mehrwertsteuern massiv erhöhen. Das bezahlen Junge und Alte." Marti: "Halt, halt. Der Nationalrat hat das Mehrwertsteuer-Prozent, das wegen der zunehmenden Zahl älterer Leute nötig ist, schon beschlossen." Blocher: "Bevor das Volk nicht Ja gesagt hat, ist nichts beschlossen. Sie haben letzten Sonntag erfahren, wie das Volk reagiert auf höhere Steuern, Abgaben und Kostenexplosion. Die SP hat sieben Mal verloren. Die SVP lehnt die Frühpensionierung mit voller Rente über die AHV ab. Das würde derartige Löcher in die AHV-Rechnung reissen, dass die Leute, die noch schaffen, die Last nicht mehr tragen könnten." Marti: "Wir haben doch ein Riesenproblem: Die Leute werden massiv aus dem Arbeitsprozess rausgedrückt. Das Auffangbecken ist dann die IV. Was da abläuft, ist eine Entlastung der Wirtschaft auf Kosten der IV." Blocher: "Bei der Invalidität ist der Missbrauch riesig und trifft auch die Pensionskassen. Je höher die Dichte von Psychologen, Psychiatern und Ärzten, desto mehr Invalide gibt es. Es müsste ja gegenteilig sein. Wenn wir hier nicht eingreifen, bekommen wir Zustände wie in Deutschland." Marti: "Was sollen die Leute denn tun, die in der Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden?" Blocher: "Grundsätzlich arbeiten bis 65. Wer keine Arbeit findet, dem hilft die Arbeitslosenversicherung, wo nötig die Fürsorge." Marti: "Die Leute in die Fürsorge treiben - da demaskiert die SVP ihre Sozialpolitik, Herr Blocher. Wenn die Unternehmen die älteren Leute nicht mehr brauchen und ihnen der flexibilisierte Altersrücktritt verwehrt ist, landen sie bei den Gemeinden." Blocher: "Fürsorge ist nichts Unanständiges. Die SP will dauern mehr Staatsausgaben, versaut das Geld und zerstört Wirtschaft und Staat: Auf Kosten des Staates die Kinder erziehen, bis 35 studieren auf Kosten des Staates und dann mit 55 aufhören zu arbeiten auf Kosten derjenigen, die arbeiten." Marti: "Ich habe mein Studium mit 24 abgeschlossen. Jeder soll eine anständige Ausbildung erhalten können, unabhängig von seinem Einkommen." BLICK: Herr Marti, wie wollen Sie denn den frühzeitigen Altersrücktritt finanzieren? Die SVP hat die Idee mit dem Gold... Marti: "Wir waren die ersten, die forderten, die überschüssigen Gold-Reserven sollten genutzt werden..." Blocher: "... 7 Milliarden für die Solidaritätsstiftung verschenken wollten Sie. Stehen Sie dazu!" Marti: "Wir sind auch der Meinung, dass ein Teil für die AHV verwendet werden sollte. Allerdings geben die Erträge nicht so viel her, wie Herr Blocher uns glauben machen will." Blocher: "Die Erträge machen ein halbes Mehrwertsteuer-Prozent aus. Ist das etwa nichts? Sagen Sie, wie Sie Ihre Ausbaupläne finanzieren wollen! Doch mit der Mehrwertsteuer?" Marti: "Richtig, mit der Mehrwertsteuer." Blocher: "Sie haben für die AHV und IV eine Mehrwertsteuer-Erhöhung von über drei Prozent beschlossen. Das sind über sechs Milliarden. Wissen Sie, was die zusätzlichen Prozente für eine Familie mit einem Warenkorb von 50 000 Franken bedeuten? 1500 Franken im Jahr." Marti: "Ich habe das sehr genau ausgerechnet. Es macht 1200 Franken aus, weil nämlich nicht alles der Mehrwertsteuer unterliegt. Wenn Ihnen die unteren Einkommensschichten so sehr am Herzen liegen, sollten Sie nicht grosszügige Steuergeschenke an Top-Verdiener verteilen." Blocher: "Ist die Revision der Familienbesteuerung ein Geschenk?" Marti: "Die Revision der Familienbesteuerung, die Sie befürworten, bringt unteren und mittleren Einkommenschichten praktisch keine Entlastung. Wer aber 300 000 Franken verdient, müsste in Zukunft 6500 Franken weniger Steuern bezahlen." Blocher: "Alle, die Steuern bezahlen, profitieren. Wer ohnehin keine bezahlt, nicht." BLICK: Kommen wir zur 2. Säule. Wer ist schuld am Schlamassel? Marti: "Wir waren immer für eine starke AHV. Die Bürgerlichen drückten die 2. Säule durch und verdonnerten damit die Leute zu einem übermässigen Zwangssparen. Das Sparkapital ist im Börsencrash zu einem guten Teil pulverisiert worden." Blocher: "Die 2. Säule ist etwas Gutes, sie müsste nicht obligatorisch sein. Obligatorien will die SP, nicht die SVP. Die Idee der SVP ist: Alle Pensionskassen sollten zu voller Transparenz verpflichtet werden. Zweitens sollte volle Freizügigkeit herrschen. Das heisst, jedermann kann die Pensionskasse wählen, die er will. Dann ginge man zu jener Pensionskasse mit der besten Rendite. Mindestzinse braucht es dann nicht mehr." Marti: "Die Bürokratie, die bereits heute grassiert, würde noch vollends ausufern. Zudem sehen wir heute bei den Krankenkassen, wohin das ständige Wechseln führt: zu nichts. Wenn eine Kasse günstig ist, wird sie überschwemmt und muss die Prämien erhöhen." BLICK: Couchepin will zur Sanierung defizitärer Kassen auch laufende Renten kürzen. Einverstanden? Blocher: "Wenn es bei einer Pensionskasse in den guten Jahren Überschüsse gab, die Rentner davon aber nichts hatten, bin ich dagegen. Wo auch die Rentner begünstigt wurden, muss es geschehen, sonst kommen die Mitarbeiter zu kurz." Marti: "Die Kürzung bei den Renten kommt nur dort in Frage, wo die Betroffenen vorher von den guten Ergebnissen profitiert haben." BLICK: Die Schweizer Wirtschaft steckt in der Krise. Wir haben eine Rezession und Arbeitslosigkeit. Was können wir dagegen machen? Marti: "Wir haben faktisch ein Nullwachstum..." Blocher: "Schon lange. Weil wir in den letzten 10 Jahren die Zwangsabgaben an den Staat erhöhten wie kein anderes Land." Marti: "Hören Sie auf damit. Reden wir von den wirklichen Problemen. Der Dollar wird schwächer und schwächer. Europa hockt auf einem relativ starken Euro. Wenn das so weitergeht, muss die Nationalbank den Franken gegenüber dem Dollar und dem Euro abschwächen. Sonst wird der Export noch viel schlimmer leiden." BLICK: Kann die Nationalbank den Franken gegenüber dem Dollar abwerten? Marti: "Das kann sie." Blocher: "Mit enorm grossen Risiken." Marti: "Da haben Sie Ihre Meinung geändert. Früher propagierten Sie ja immer einen möglichst starken Franken, der uns massiv geschwächt hat. Glücklicherweise hat bei der Nationalbank ein gewisses Umdenken stattgefunden." Blocher:"Ich bin auch heute noch für einen starken Franken. Nur ein Dummkopf kann eine schwache Landeswährung wollen. Die Inflationsgefahr ist gering. Die Nationalbank kann die Geldmenge etwas erhöhen, aber der Zinssatz ist schon bald bei Null. Doch mit dem rettet man die Wirtschaft nicht." BLICK: Ist die Währung das Einzige,was Ihnen einfällt? Marti: "Nein. Wenn es bis im Herbst nicht besser wird, braucht es staatliche Investitionsprogramme. Sonst wird es brutal für den Binnenmarkt, zumal auch Kantone und Gemeinden als wichtige Investoren ihre Budgets kürzen." Blocher: "Geld ausgeben sind stets die Rezepte der SP." BLICK: Wie wollen Sie denn der Wirtschaft helfen? Blocher: "Erstens, indem der Staat den Leuten nicht immer mehr wegnimmt. Dann können sie mehr kaufen und dann wird mehr investiert und produziert. Darum stehen Steuersenkungen im Vordergrund - und nicht Mehrwertsteuer- und Abgabenerhöhungen an allen Ecken und Enden. Zweitens müssen die bürokratischen Behinderungen aufhören, die in Bern unter Führung der SP von der Rot-Grün-Mitte-Koalition ständig beschlossen werden." Marti: Sie wollen mit Steuersenkungen den Konsum ankurbeln. Wo wollen Sie die Steuern senken? Bei den Reichen und Grossverdienern. Wer ein halbe Million und mehr verdient, konsumiert schon jetzt, was er konsumieren kann. Wenn man effektiv mehr Kaufkraft schaffen will, muss man die Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Die werden permanent mehr belastet. Allein die steigenden Krankenkassenprämien fressen die Lohnerhöhungen weg, wenn sie überhaupt noch eine bekommen." Blocher:"Wer hat uns die steigenden Krankenkassenprämien eingebrockt? Die Rot-Grüne-Mitte-Koalition gegen die SVP. Sie haben das Krankenversicherungsgesetz durchgeboxt und den Katalog ausgebaut, dass man die Prämien nicht mehr zahlen kann." Marti: "Hören Sie auf damit. Wenn wir mit Ihnen den Leistungskatalog durchgehen, bleibt am Schluss immer nur die Heroinabgabe übrig. Das sind im 40-Milliarden-Markt des Gesundheitswesens Peanuts. Die grossen Kostenverursacher sind die Medikamente, die Spitäler und die Ärzte." BLICK: Alle sagen, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Wie kann man den KMUs bei der Finanzierung helfen? Blocher: "Die brauchen keine aktive Hilfe. Aber der Staat darf sie nicht dauernd schröpfen." Marti: "Die Banken lassen die KMUs doch hängen." Blocher: "Das ist ein ernsthaftes Problem. In den letzten Jahren haben die beiden Grossbanken weniger Kredit gewährt. Sie haben auch enorm viel Geld verloren, weil sie zu lange Kredite gaben. Aber die Kreditversorgung ist im Moment nicht so prekär, dass der Staat eingreifen muss." Marti: "Die Grossbanken haben die KMUs systematisch nach Branchen und Regionen ausgesiebt. Das hat zu den grossen Kreditproblemen geführt. Die Kantonalbanken, das heisst die Staatsbanken, mussten einspringen. Die sitzen jetzt vor allem in den Randregionen auf Klumpenrisiken. Darum braucht es zusätzliche Player wie die Postbank." Blocher: "Wenn die Postbank in die KMU-Finanzierung einsteigt, was sie nicht kann, geht sie Pleite. Und wer zahlt das? Wieder die Bürger mit höheren Posttaxen und der Steuerzahler als Eigentümer." BLICK: Herr Blocher, Sie propagiern unter dem Titel "Mitenand gahts schlächter" eine neue Politik. Wieso sagen Sie das? Blocher: "Die Verfilzung von Politik und Wirtschaft - Sauhäfeli, Saudeckeli - ist ein Skandal. Zuerst macht man Pleite mit der Swissair, wo die Freisinnigen den Ton angaben. Nachher macht man die Swiss. Die Wortführer waren die Sozialdemokraten. Jetzt ist der Bund mit 20 Prozent grösster Aktionär. Die Steuerzahler verlieren 2,7 Milliarden. Die Verantwortung trägt niemand - weder die Privatwirtschaft noch der Staat. Verantwortung ist aber unteilbar." Marti: "Ihr Problem ist, dass Sie nicht bereit sind, Lösungen zu finden. Darum machen Sie ständig den Konsens schlecht. Er ist nicht partout schlecht, er muss aber transparent sein. Wir sollten im Parlament wie in der Formel 1 in farbigen Overalls mit entsprechenden Aufschriften auftreten. Bei mir würde drauf stehen: Sozialdemokrat; vertritt gewerkschaftliche Anliegen; ist Preisüberwacher. Bei Ihnen müsste draufstehen: SVP; Pharmainteressen; Grosskapital." Blocher: "Soll ich mit 3000 Mitarbeitern ein armer Schlucker sein? Die SVP will andere Lösungen: Wer ist angetreten bei der Swissair-Pleite, wer ist angetreten gegen das Grosskapital bei der Swiss? Die SP wollte eine Fluggesellschaft machen. Sie Herr Marti zuvorderst." Marti: "Bei der Swissair hätten wird es uns auch leicht machen und auf die Freisinnigen einprügeln können. Die haben ja das Ganze zu Boden gefahren. Aber wir konnten nicht, weil damit in der Region Zürich bis 40 000 Arbeitsplätze zerstört worden wären. Sie hätten den Verlust der Arbeitsplätze in Kauf genommen. Dafür sind wir das Risiko der Swiss-Lancierung eingegangen." Blocher: "Die Bürger verlieren 2,7 Milliarden, nicht die SP, und die Mitarbeiter der Swiss werden jetzt trotzdem entlassen. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik."

03.05.2003

Gefährliche Experimente

Interview im "Bündner Tagblatt" vom 3. Mai 2003 SVP-Nationalrat Christoph Blocher ist gegen alle neun Vorlagen, die am 18. Mai zur Abstimmung gelangen. Die grössten Bedenken hat er bei den beiden Atom-Initiativen, wie er im BT-Interview ausführt. Von Christian Buxhofer Das Stimmvolk muss am 18. Mai gleich über neun eidg. Vorlagen befinden. Wird der Stimmbürger überfordert? Christoph Blocher: Ich glaube nicht. Die Stimmbürger haben es ja diesmal einfach: Sie müssen nur neun Mal Nein stimmen.Und wenn sie Ihrer Parole nicht telquel folgen, sondern sich eine eigene Meinung bilden wollen? Blocher: Es ist sicher ungeschickt, dass der Bundesrat diese Vorlagen alle auf den gleichen Abstimmungssonntag gelegt hat. Das hätte man besser verteilen können. Aber jetzt muss sich der Stimmbürger damit befassen und die Vorlagen prüfen. Aber er muss ja nicht in die Details gehen, sondern kann sich auf die grundsätzlichen Fragen konzentrieren. Sie sagen neun Mal Nein. Können Sie dies in einem Satz begründen? Blocher: Alle Initiativen führen zu ganz grossen neuen Belastungen für den Staat und den Steuerzahler: Höhere Steuern, höhere Abgaben, höhere Gebühren. Sie werfen die Initiativen alle in den gleichen Topf, obwohl sie verschiedene Urheber haben? Blocher: Die sieben Volksinitiativen stammen alle aus der Zeit der allerhöchsten Konjunktur, wo jede Verhältnismässigkeit verloren ging. Beispielsweise die beiden Atominitiativen, mit denen der Staat beauftragt werden soll, 40 Prozent der inländischen Energieproduktion stillzulegen. Solche Dinge kann man nur aus Übermut machen. Das Gleiche gilt für die Gesundheitsinitiative oder die Lehrstelleninitiative. Alles Experimente, die aus einer Zeit stammen, als es uns noch gut ging. Und weshalb bekämpfen Sie die Armee-Vorlagen? Blocher: Bei den beiden Armee-Vorlagen geht es um den Abschied von der Neutralität. Die Armee wird zwar kleiner, aber trotzdem teurer. Und man baut auf den Schutz der Nato, also auf den Schutz von Amerika. Das würde man heute nicht mehr machen, wenn man die Vorlage nochmals neu entwerfen könnte. Die Annäherung an die Nato ist doch längst Realität, sogar beim WEF oder im Juni in Evian. Das bedeutet aber noch lange nicht die Preisgabe der Neutralität. Blocher: Für den Schutz von Evian braucht es keine Armee-Reform. Ich betrachte übrigens die Standortwahl Frankreichs als einen unfreundlichen Akt. Frankreich bekommt den Gipfel und die Schweiz die Demonstration. Das ist also internationale Zusammenarbeit! Vielleicht erwachen wir nun endlich! Trotzdem: Internationale Polizeieinsätze bedeuten doch nicht das Ende der Neutralität. Blocher: Es geht eben weiter. Es geht um die Nato-Partnerschaft für den Frieden. Das ist eindeutig eine amerikanische Initiative, um die Nicht-Natomitglieder – also auch die Schweiz – in die Nato einzubinden. Und der Bundesrat will die Schweiz jetzt nicht mehr allein verteidigen, sondern sich darauf abstützen. Und was die Nato ist, haben wir im Irak-Krieg erlebt. Das sind die ganz schweren Fragen. Wenn wir dieser Vorlage zustimmen, wird die Schweiz unsicherer, weil wir dann eben nicht mehr neutral sein können, sondern uns im Kriegsfall für die eine oder andere Seite entscheiden müssen. Haben die beiden Armee-Vorlagen auch Stärken? Blocher: Dass sich das Bedrohungsbild geändert hat und wir eine Armeereform brauchen, ist auch mir klar. Vor allem hat die Bedrohung im Inland durch Terror, Demonstrationen und Einzelkämpfer zugenommen. Da besteht Handlungsbedarf. Aber man muss auf dem Boden der Neutralität bleiben, sonst werden wir in einen Krieg hineingezogen. Sie wollten bei den Armee-Vorlagen das Referendum nicht ergreifen. So schlecht scheinen die Vorlagen also gar nicht zu sein ... Blocher: Ja, ich betreibe auch keinen Abstimmungskampf. Ich war gegen das Ergreifen eines Referendums, weil dies am Schluss nur noch mehr zementiert. Wir hatten den Hauptkampf geführt, als es um die Truppeneinsätze im Ausland ging. Diesen Kampf haben wir leider knapp verloren. Bei welchen Initiativen haben Sie aus inhaltlichen Gründen die grössten Bedenken? Blocher: Am gefährlichsten sind die beiden Atom-Initiativen und die Gesundheitsinitiative. Die Atom-Initiativen bedrohen in der Schweiz Tausende von Arbeitsplätzen, insbesondere auch in Graubünden. Zum Beispiel bei uns in Domat/Ems. Denn die Ems-Chemie ist ein grosser Energieverbraucher und müsste mit enorm höheren Energiepreisen rechnen. Und zwar nicht erst, wenn die Atomkraftwerke stillgelegt würden, sondern sofort. Und das Verrückte: Profitieren würde nicht die einheimische Wasserkraft. Die fehlende Energie, 40 Prozent des heutigen Stromverbrauchs, müsste im Ausland gekauft werden und würde dort weiterhin in Atomkraftwerken produziert. Die Atomkraftwerke müssten nur schrittweise stillgelegt werden. Da bliebe genügend Zeit, Alternativenergien zu forcieren und neue Wasserkraftwerke zu bauen. Blocher: Die Wasserkraft ist ziemlich ausgeschöpft, da bestehen nicht mehr viel Möglichkeiten. Die Probleme mit der Umweltschutzgesetzgebung sind heute derart gross, dass neue Wasserkraftwerke finanziell nicht mehr machbar sind. Die Wasserkraft wäre gegenüber ausländischem Strom nicht mehr konkurrenzfähig. Denn die Wirtschaft muss den Strom dort kaufen, wo er am günstigsten ist. Und Alternativenergien? Blocher: Es gibt heute noch keine Alternativenergien grossen Stils, welche die heutigen Elektrizitätskraftwerke ersetzen können. Ob dies in 40 oder 50 Jahren anders sein wird, wird man sehen. Zum heutigen Zeitpunkt wäre es aber industriell und volkswirtschaftlich völlig verantwortungslos, gut funktionierende Kraftwerke vorzeitig stillzulegen. Die Kosten müssten die Energiebezüger, nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Konsumenten, bezahlen. Irgendwann werden die AKWs aber ausgedient haben, und neue AKWs wird es in der Schweiz auch nicht geben. Also schieben Sie das Problem nur hinaus. Blocher: In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, werden weiterhin neue Atomkraftwerke gebaut. Bis die bestehenden AKWs in der Schweiz altershalber stillgelegt werden, haben wir noch genügend Zeit. Ich könnte mir vorstellen, dass Gaskraftwerke bis dann besser sind und auch bei der Speicherung von Energie Fortschritte erzielt werden. Noch aber sind diese Möglichkeiten zu wenig ausgereift, als dass man auf den Atomstrom verzichten könnte. Wie stellen Sie sich generell zum Atomstrom. Keine Bedenken wegen der radioaktiven Abfälle, die über Jahrtausende einen Gefahrenherd darstellen? Blocher: Nein. Die Frage der Sicherheit ist verantwortbar gelöst. Natürlich dauert der Abbau lange. Ohnehin wäre mit Verzicht auf Kernenergie das Problem nicht gelöst. Es gibt ja auch andere Bereiche, wo radioaktive Abfälle entstehen, beispielsweise in der Medizin. Für die Schweiz wird das Problem insofern auch entschärft, da hier ja keine neuen Atomkraftwerke mehr entstehen werden. Bis die bestehenden Kraftwerke altershalber eingestellt werden, wird es aber noch Jahrzehnte dauern. Blocher: Wenn das Problem so schlimm wäre, müsste man ja die KKWs sofort abstellen. Aber das wollen ja nicht einmal die Initianten. Wenn es wirklich so gefährlich wäre, hätten sie ja die sofortige Stilllegung verlangt.

30.04.2003

Auch Moratorium wäre Dummheit

Interview im "St. Galler Tagblatt" vom 30. April 2003 Neue Atomkraftwerke werde es mit der heutigen Technologie nicht mehr geben, sagt Christoph Blocher. Aber er hält es für wirtschaftlich unverantwortbar, aus der Kernenergie auszusteigen, «solange die AKW funktionieren». Von René Lenzin und Hanspeter Guggenbühl Herr Blocher, als der Nationalrat die beiden Atom-Initiativen behandelte, haben Sie geschwiegen. Weshalb wollen Sie jetzt plötzlich über dieses Thema reden? Christoph Blocher: Ich will nicht, ich muss. Sie müssen? Blocher: Ich sehe eine Notwendigkeit. Ich habe im Rat gegen die Initiativen gestimmt. Denn es sind zwei schlimme Initiativen. Es geht um 40 Prozent unserer Energie, auf welche die Schweiz verzichten sollte. Das zerstört Arbeitsplätze, gibt höhere Strompreise, alle Leute müssen mehr bezahlen, die Energieversorgung wird unsicher. Engagieren Sie sich finanziell? Blocher: Jawohl, weil ich es wichtig finde, ohne zu sagen, mit wie viel Geld. Wie lange wollen Sie die Atomkraftwerke denn laufen lassen? Blocher: Das muss ich nicht entscheiden. Wir können sie so lange produzieren lassen, bis sie nicht mehr funktionieren oder wir sie nicht mehr brauchen. Ist es nicht besser, sie nach einem vorhersehbaren Fahrplan abzustellen, als plötzlich, wenn sie nicht mehr funktionieren? Blocher: Das kommt nicht plötzlich. Wenn ein Kraftwerk nicht mehr in Ordnung ist, wird man es zuerst reparieren oder erneuern. Erst wenn es veraltet ist, stellt man es still. Dazu aber braucht es kein Gesetz, das macht der Betreiber selber. Irgendwann werden Sie die Atomkraftwerke ersetzen müssen. Wie wollen Sie das tun? Blocher: Das sehen wir dann, das muss ich nicht jetzt entscheiden. Das wird sich ergeben, und daran arbeitet man heute schon intensiv. Ist der Bau von neuen Atomkraftwerken für Sie ein Thema? Blocher: Ich glaube zurzeit nicht, dass wir neue Atomkraftwerke bauen können. Die Verfahren und Sicherheitsvorkehrungen sind zu kompliziert. Wird es also keine neuen AKW mehr geben? Blocher: Ich bin kein Prophet. Vielleicht gibt es auch bei der Kernenergie neue Verfahren. Aber mit der bestehenden Technologie werden wir keine neuen Kernkraftwerke mehr bauen. Das wäre auch viel zu teuer. Billiger wären vielleicht Gaskraftwerke, die allerdings ökologisch noch ein Problem sind. Wollen Sie die Atomkraftwerke also mit Gaskraftwerken ersetzen? Blocher: Sicher nicht heute. Gas ist eine künftige Möglichkeit. Es gibt auch die Windenergie, die allerdings viel zu teuer ist. Wasserstoff ist auch eine Möglichkeit. Aber darauf lasse ich mich jetzt nicht ein. In der Abstimmung geht es darum, ob wir gut funktionierende günstige Elektrizität abwürgen sollen. Haben Sie noch nie daran gedacht, den Atomstrom einfach einzusparen? Blocher: Meine Firma ist Grossenergieverbraucherin, für die Energie lebensnotwendig ist. Wir nutzen den Strom rational, um weniger zu brauchen. Aber man kann nicht 40 Prozent der Energie einsparen, ohne die Arbeitsplätze zu gefährden. Die Industrie braucht nur einen Drittel des Stroms, Haushalte und Gewerbe hingegen zwei Drittel ... Blocher: Dann fragen Sie doch die Leute, ob sie 40 Prozent des Stroms einsparen können. Ich sehe nicht ein, weshalb wir 40 Prozent einsparen sollten. Die Kraftwerke funktionieren gut, und wenn es sie nicht mehr braucht oder sie veraltet sind, werden sie sowieso abgestellt. Den Strom per Zwang um 40 Prozent zu reduzieren, ist volkswirtschaftlich unverantwortlich. Wie viel Strom verbrauchen denn Sie in Ihrem Haushalt? Blocher: Das weiss ich nicht, weil ich mich vor allem mit der Stromrechnung unseres Unternehmens befasse. Wenn Sie Ihren Stromverbrauch nicht kennen: Wieso wissen Sie, dass Sie nicht 40 Prozent einsparen können? Blocher: Weil ich weiss, wo wir Energie brauchen, und weiss, was es heissen würde, nur 60 Prozent des Bedürfnisses abzudecken. Können Sie mit Kerzen statt elektrischem Licht leben? Wenn Sie Nein sagen, lügen Sie. Denn Sie könnten, aber Sie tun es nicht. Man muss nicht auf Kerzen setzen, sondern auf effiziente Technologie. Blocher: Bisher hatten wir mit alternativen Energien relativ wenig Erfolg, vor allem im grossen Massstab nicht. Doch an neuen Technologien wird gearbeitet. Sie sind ein Gegner von Subventionen. Weshalb haben Sie sich nie gegen die Subventionierung der Atomenergie gewehrt? Blocher: In der Finanzkommission habe ich gegen die Kredite für das Paul-Scherrer-Institut gestimmt. Und auch gegen die Förderung von andern Energien. Der Staat soll also keine Atomforschung finanzieren? Blocher: Nein. Nicht, weil ich gegen die Kernenergie bin, sondern weil es nicht Sache des Staates ist. 1988 haben Sie dafür gesorgt, dass die Aktionäre des KKW Kaiseraugst mit 350 Millionen aus Steuergeldern entschädigt wurden. Blocher: Die Stilllegung war für den Staat die billigste Lösung. Er hat nämlich alle Bewilligungen erteilt und wäre daher schadenersatzpflichtig geworden, und zwar um über eine Milliarde. Ich musste dafür sorgen, dass der Staat Kaiseraugst verbietet, damit die Unterlieferanten keine Forderungen mehr stellen konnten. Finden Sie es marktkonform, wenn die Allgemeinheit die Risiken trägt, welche die Versicherungssumme von einer Milliarde übersteigen? Blocher: Es ist allgemeine Rechtsprechung, dass der Staat die Haftung für Projekte übernimmt, die für die Versorgung notwendig sind und die nicht höher versichert werden können. Ich erachte diese Regelung als zweckmässig. Aber Atomstrom wäre vielleicht nicht mehr wirtschaftlich, wenn er alle Risiken tragen müsste. Blocher: Das gilt für alle Energien. Die Initiativen wollen die Kernenergie erledigen. Nein, sie schlagen das vor, was Sie sonst predigen: den Markt. Blocher: Nein, sie wollen die Energie verteuern, indem sie gut gehende Kraftwerke verbieten. Wäre ein Ja zum Moratorium allein für Sie schon verheerend? Blocher: Ein Ja zum Moratorium hat die gleichen Folgen: einen vorgezogenen Ausstieg nämlich. «Moratorium Plus» heisst: man entscheidet jetzt nicht und lässt die Sache in der Schwebe. Und damit können die KKW-Betreiber keine Erneuerungen mehr vornehmen. Trotzdem unterscheiden sich die Initiativen: «Strom ohne Atom» erlaubt maximal 30 Jahre, «Moratorium Plus» mindestens 40 Jahre Betriebszeit. Blocher: Ja, «Moratorium Plus» hat etwas längere Fristen. Aber eine Dummheit wird nicht besser, wenn die Frist dazu etwas verlängert wird.

28.04.2003

Die FDP muss sich rückbesinnen

Interview in der "Zürichsee-Zeitung" vom 28. April 2003 Herrliberg/Zürich: SVP-Kantonalparteipräsident und Nationalrat Christoph Blocher zum Verhältnis zwischen SVP und FDP und zur Konkordanzdemokratie Christoph Blocher fordert vom Freisinn die Rückbesinnung auf "bürgerliche" Werte. Der Zürcher SVP-Präsident erklärt, weshalb er für die Nationalratswahlen eine Listenverbindung mit der FDP anstrebt und die CVP einen Bundesratssitz abgeben soll. von Benjamin Geiger / Daniel Winter Am 6. April haben die Bürgerlichen in den Kantonsratswahlen verloren. Ein Wahlausgang, der Sie nicht zufrieden stellen kann. Blocher: Wer hat denn eigentlich verloren? Verloren hat die FDP, nicht die Bürgerlichen. Diese Wahlen waren meiner Meinung nach wichtig, weil die bürgerlichen Wähler nun zum dritten Mal gezeigt haben, dass sie die freisinnige Politik nicht goutieren. Wenn ich FDP-Präsident wäre, würde ich folgende Erkenntnis aus den Wahlen ziehen: Der halblinke Kurs zahlt sich nicht aus. Der Vormarsch der SVP, gerade in den freisinnigen Hochburgen, zeigt das klar. Sind denn auf freisinniger Seite vor allem die Anti-SVPler abgewählt worden? Blocher: Das ist eindeutig. Markus Hess und Balz Hösly waren die Hauptinitianten dieser halblinken Politik. Für die Nationalratswahlen vom Herbst wird es interessant sein zu beobachten, was sich auf freisinniger Seite verändert. Wir sind der Meinung, dass wir gemeinsam in den Ständeratswahlkampf steigen müssen. Aber es muss zugleich auch eine Listenverbindung FDP-SVP in den Nationalratswahlen geben. Sonst verschenken wir wieder Mandate nach links. Es ist ja Ironie des Schicksals, dass Balz Hösly, der bei den Kantonsratswahlen vehement gegen Listenverbindungen mit der SVP war, sein Mandat nicht verloren hätte, wenn es diese Verbindung gegeben hätte. Wird es zwischen Zürcher SVP und Freisinn für die eidgenössischen Wahlen tatsächlich wieder zu einer Annäherung kommen? Blocher: Es wird sich zeigen, ob sich bei den Freisinnigen diejenigen Kräfte durchsetzen, die unsere Einschätzung teilen. Es gibt viele Freisinnige, die so denken. Die Signale, die ich erhalte, sind positiv. Aber sie stammen von Vertretern an der Basis. Ich selber habe hier keinen Einfluss. Einer, der jetzt für die FDP politisiert und in den Nationalrat will und den Sie aus "Arena"-Jahren gut kennen, ist Filippo Leutenegger… Blocher: Seine politische Einstellung kenne ich zu wenig. Ich habe ihn als Leiter der "Arena" geschätzt. Er war einer der fairsten Diskussionsleiter, die ich kennen gelernt habe. Wie er politisch denkt, das wird sich zeigen. Ich habe kürzlich gelesen, dass er einen EU-Beitritt ablehnt. Gut so. Damit würde er auch in die SVP passen. Blocher: Ich bedaure es natürlich, dass er jetzt bei den Freisinnigen ist. Vielleicht haben wir selbst ihn auch nicht gefragt. Aber jeder, der eine bürgerliche Politik betreibt, ist gut. Auch wenn er in einer andern Partei ist. Müssen die Freisinnigen - in Zürich und gesamtschweizerisch - in den Nationalratswahlen vom Herbst eine weitere Niederlage einstecken, damit sie in den darauf folgenden Bundesratswahlen einen zweiten Sitz der SVP respektive einen ersten der "Zürcher SVP" unterstützen? Blocher: Ich fürchte, dass die Freisinnigen auch auf nationaler Ebene einen Richtungswechsel nur vornehmen, wenn sie in den Wahlen weiter geschwächt werden. Wobei zu sagen ist, dass es eigentlich nicht um einen Richtungswechsel geht, sondern um eine Rückbesinnung. Wenn der Freisinn sich behaupten will, hat er gar keine andere Möglichkeit, als auf den Boden seines Gedankenguts zurückzukehren. Und dann haben wir überhaupt kein Problem mehr mit ihm. Ist denn in allen Fragen eine Übereinstimmung zwischen FDP und SVP anzustreben? Blocher: Gleich waren wir nie. Aber so viele Differenzen in grundsätzlichen Fragen wie heute gab es früher nicht. Nehmen Sie die Steuerpolitik auf Bundesebene. Die Schweiz hat in den letzten Jahren die grösste Ausdehnung der Fiskalquote aller OECD-Länder gehabt. Das war nicht nur das Werk der Sozialdemokraten. Die FDP und CVP gingen mit. Sei es bei der Schwerverkehrsabgabe, der Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Solidaritätsstiftung, Mutterschaftsversicherung usw. Das ist eigentlich unfreisinnig. Wie stehts mit der Europa-Politik? Blocher: Wenn die FDP am EU-Beitritt festhalten will, dann hält sie eben daran fest. In allen Fragen werden wir uns nicht einigen können. Die Freisinnigen sind ebenfalls für eine tiefere Staatsquote. Sie sagen aber, dass man mit der SVP keine gemeinsame Politik betreiben kann, weil sie nicht kompromissbereit sei. Blocher: Es ist für mich selbstverständlich, dass es Kompromisse geben muss. Das Problem der letzten Jahre war ja nicht, dass die Freisinnigen eine andere Position hatten, sondern gar keine. Mit jemandem, der keine Position hat, können Sie gar nicht Kompromisse schliessen. Herr Hösly sagte, wir sind auch für Ausgabensenkungen, über Zahlen sprechen wir aber nicht, und wir warten ab, bis der Regierungsrat mit dem Budget kommt. Das heisst sich um die Lösung herumdrücken. Für die Haushaltsanierung im Kanton Zürich müssen grosse Abstriche an den bisherigen staatlichen Leistungen vorgenommen werden. Wird das der Bürger im Einzelnen tatsächlich mittragen? Blocher: Der Einstieg in Ihre Frage ist falsch: Ist ein sparsamerer Staat zwangsläufig einer, der weniger Leistungen anbietet? In meinem eigenen Unternehmen mache ich nichts anderes, als ununterbrochen dafür zu sorgen, dass wir höhere Leistungen kostengünstiger erbringen. Der Staat hat sich diese Frage aber gar nie gestellt. Also verfügt er diesbezüglich über ein unglaubliches Sparpotenzial. Doch er geht die Sache nicht an. Es heisst immer: Wir können schon sparen, aber dazu müssen Leistungen reduziert werden, gerade diejenigen, an denen der Bürger am meisten hängt; dies um den Bürger zu erschrecken. Es hat aber noch kein Regierungsrat erklärt, jawohl, wir sind fürs Sparen und beginnen, indem wir zum Beispiel unsere PR-Abteilungen und Stabsstellen abbauen. Letztlich geht es um die Frage, ob man an eine freiheitliche Wirtschaftsordnung glaubt oder nicht. Die Sozialdemokraten setzen auf einen Staat, der immer mehr Geld verteilt. Das war für uns Bürgerliche aber immer ein Irrweg. Und den Freisinnigen ist vorzuwerfen, dass sie ihn mit der Linken mitgegangen sind. Dafür haben sie die Quittung erhalten. Und die heilsamste Quittung ist die durch das Volk in den Wahlen. Wenn die FDP den Weg mit uns ginge, wäre die SVP zwangsläufig nicht mehr so stark. Wir müssten dann aber auch nicht mehr so stark sein, weil wir nicht mehr allein wären. Sie haben von "uns Bürgerlichen" gesprochen: Wie definieren Sie bürgerlich? Blocher: Bürgerlich ist der Gegensatz zu sozialistisch oder sozialdemokratisch. Der Sozialdemokrat ist für mehr Staat, höhere Steuern, weniger persönliche Freiheit. Der Bürgerliche setzt sich für viel Freiheit, viel Selbstverantwortung und weniger Staat ein. Das ist ein dauernder politischer Gegensatz, der immer bleibt. Die Grundsatzfrage lautet, wie viel gibt man dem Staat. Dieser Frage sind die Freisinnigen ausgewichen. Sind die Sozialdemokraten heute nicht auch schon bürgerlich? Blocher: Nein. Sie bekämpfen zwar in der Theorie die Marktwirtschaft nicht mehr frontal, weil sie ein Fiasko mit der Planwirtschaft erlebt haben. Aber in ihren Köpfen ist dieses Gedankengut nach wie vor vorhanden. Nehmen Sie als Beispiel die Gesundheitsinitiative oder die Verkehrspolitik. Oder den Swiss-Kredit. Das ist eine sozialdemokratische Schöpfung mit freisinniger Unterstützung. Das war ein schwer wiegender Sündenfall. Soll denn der Staat in einem Gebiet, auf dem der Markt spielt, eingreifen? In der Landwirtschaftspolitik lässt die SVP diese Einstellung aber vermissen. Blocher: Das kommt daher, weil die Landwirtschaft nicht der freien Marktwirtschaft unterstellt werden kann. Trotzdem wäre ich für eine viel freiere Landwirtschaftpolitik, die die unternehmerische Note betont. Ich würde jedem Bauern - egal ob arm oder reich - für die Bewirtschaftung des Bodens einen Beitrag zahlen, damit der Boden nicht vergandet. Darauf kann er machen, was er will. Da könnte man auf einen grossen Teil der Landwirtschaftsgesetzgebung, welche die Produkte heute verteuert, verzichten. Mit Blick auf Ihre Haltung zur Landwirtschaftspolitik teilen Sie die reine Lehre des Neoliberalismus also nicht? Blocher: Wir sind auch keine Neoliberalen. Wenn Sie die reine Lehre des Neoliberalismus haben wollen, dann gibt es gar keinen Staat. Dann brauchen Sie auch keinen, dann herrscht Anarchie. Es macht jeder, was er will, und es muss niemand auf den andern Rücksicht nehmen. Davon sind wir aber weit weg. Ich wäre nicht schon so lange Jahre in der Politik, wenn ich die Auffassung hätte, den Staat sollte es gar nicht geben. Nach meinem Verständnis kann man im Bereich des Staats die Polizei, die Gerichte sowie gewisse Infrastrukturen wie Strassen und Bahntrassees nicht privatisieren. Abgesehen davon könnte man aber relativ viel an die Privatwirtschaft abgeben. Ist es Ihr längerfristiges, nationales Ziel, die Konkordanz- durch eine Konkurrenzdemokratie zu ersetzen? Blocher: Nein. Ich bin nach wie vor für die Konkordanz. Wir haben sie heute aber nicht. Im Bundesrat heisst Konkordanz: Den drei Grossen zwei Sitze und dem Kleinen einen. Daran haben wir uns immer gehalten, solange wir so klein waren wie heute die CVP. Heute gibt man dem Kleinen aber zwei Sitze und der grössten Partei nur einen. Gesetzt den Fall, die SVP erhält einen zweiten Sitz im Bundesrat: Müssten die anderen Bürgerlichen oder die SP einen abgeben? Blocher: Von der Konkordanz her gesehen, muss die CVP einen abgeben. Sie ist die kleinste Partei. Nachdem die anderen Parteien aber erklärt haben, die Konkordanz gelte nicht mehr, die CVP solle weiter zwei Sitze haben, sagen wir: Wir müssen politisch vorgehen. Dass heisst: Wenn wir als Grösste einen haben und die Sozialdemokraten zwei, dann können ebenso gut auch sie einen abgeben. Nun wird aber allein mit den Stimmen der SVP ein SVPler nicht zum Bundesrat gewählt… Blocher: Konkordanz ist immer freiwillig. Wenn nicht mindestens drei Parteien dafür sind, gibt es keine. Würde sich tatsächlich etwas Substanzielles ändern, wenn die "Zürcher SVP" anstelle der CVP über einen Bundesratssitz verfügen würde? Blocher: Hoffentlich. Sonst nützt es ja nichts. Der Sinn der Konkordanz ist doch der, dass die grossen Parteien mit zwei Persönlichkeiten in der Regierung vertreten sind und ihr Gedankengut, ihre politische Richtung einbringen. Und dass das Gremium auf diese Meinungen hört, danach handelt oder einen Kompromiss findet… …die Zürcher SVP wäre dann ebenfalls kompromissbereit? Blocher: Natürlich. Ich bin ja schliesslich verheiratet, ich weiss, was ein Kompromiss ist. Und ich habe auch in der Politik keine Mühe damit. Die Frage ist aber: wo? Beim EU-Beitritt ist er wohl nicht möglich. Das würde aber auch nichts machen, dann gäbe es halt eine Auseinandersetzung und das Volk würde entscheiden. Konkret gefragt: Würde die Zürcher Linie der SVP, wenn sie im Bundesrat vertreten wäre, zum Beispiel die liberale 4-Säulen-Politik im Drogenbereich mittragen? Blocher: Wenn wir uns im Bundesrat zu etwas durchringen würden, dann würden wir das auch mittragen. Das muss ja noch lange nicht heissen, dass wir es auch gutheissen. Bei einem Kompromiss muss ich nicht Feuer und Flamme für eine Lösung sein. Ich sage einfach: Es gab halt nichts anderes; ich habe hier, der andere hat dort Abstriche gemacht. Im Moment sind wir im Bundesrat aber mit jemandem vertreten, den wir nicht vorgeschlagen haben. Und folglich sind wir heute zu drei Vierteln Opposition. Nicht aus freien Stücken. Im Kanton Zürich besetzt die SVP bereits zwei Sitze in der Regierung. Und trotzdem macht sie Opposition gegen die regierungsrätliche Politik. Blocher: Das betrifft im Wesentlichen nur die Steuer- und Ausgabenpolitik. Abgesehen davon gibt es aber auch in der Konkordanz immer wieder Punkte, in denen Parteien abweichende Meinungen vertreten. Wird Ende Jahr die von Ihnen repräsentierte SVP ebenfalls über einen Bundesrat verfügen? Blocher: Wahrscheinlich nicht. Eher wird ein Kommunist gewählt als ein SVPler. Man wird es sehen. Es ist aber auch nicht unser primäres Ziel. Ämter besetzen kann immer nur ein Mittel zum Zweck sein. Entweder gehen wir in den Bundesrat und vertreten dort unsere Politik für eine souveräne Schweiz, für einen sparsamen Haushalt, für eine freiheitliche Wirtschaftspolitik, gegen die Missbräuche im Asylwesen. Oder wir sind draussen und kämpfen dort für unsere Anliegen. So oder so: Wir nehmen den Wählerauftrag ernst. Und genau darum wählen die Bürger uns.

14.03.2003

Blocher: Landwirtschaft umbauen

Interview mit dem "Tages-Anzeiger" vom 14. März 2003 Die heutige Agrarpolitik sei total verknorzt, sagt SVP-Nationalrat Christoph Blocher. Er fordert einen Systemwechsel und will eine Milliarde jährlich sparen. Mit Christoph Blocher sprachen Beat Bühlmann und Gaby Szöllösy Die SVP hat Bundesrat Villiger beauftragt, fünf Milliarden zu sparen. Die Landwirtschaft soll davon ausgenommen werden? Blocher: Mit einem neuen System könnte man auch bei der Landwirtschaft weniger Geld ausgeben, und die Bauern würden mehr verdienen, ohne ihre Bauernhöfe verlottern lassen zu müssen. Wie soll das gehen? Blocher: Indem wir die Bürokratie in der Landwirtschaft beseitigen! Das sieht man doch bei der Agrarpolitik 2007: Die Landwirtschaft geht wohl letztlich wieder leer aus. Das ist eine Sozialgesetzgebung mit Umweltschutz, Naturerhaltung, bürokratischen Kontrollen und unnötigem Zeug. Vor einem halben Jahr hat ausgerechnet die SVP nochmals 60 Millionen Franken gefordert, um die tiefen Milchpreise zu kompensieren. Blocher: Mit dem heutigen System muss sie das tun. Die Landwirtschaftpolitik ist dermassen staatlich verknorzt, dass sie niemanden befriedigt. Sie wird zu teuer, und trotzdem verarmen die Bauern. Werden Sie der AP 2007, wie sie nächste Woche in den Nationalrat kommt, trotzdem zustimmen? Blocher: Ja. Obschon ich der Auffassung bin, dass dieses System in die Sackgasse führt. Die Landwirtschaft ist heute überfordert: Sie muss die Vergandung verhindern, die Entvölkerung der abgelegenen Gebiete stoppen, die Nahrungsmittelversorgung gewährleisten und zahlreiche Auflagen erfüllen. Sie wollen die Vefassung korrigieren? Blocher: Nein, dieser Auftrag ist für mich unbestritten. Ich will nicht, dass das Land vergandet. Also muss der Bauer, der es bewirtschaftet, pro Fläche dafür bezahlt werden. So wie heute? Dann sparen Sie ja nichts. Blocher: Die minimale Bewirtschaftung muss man abgelten, die heutigen Direktzahlungen vielleicht sogar erhöhen. Hingegen will ich bei meinem Modell die Nahrungsmittelproduktion ganz dem Bauern überlassen, ohne Lenkung, staatliche Unterstützung und Bevormundung. Bei den Produkten soll der Markt möglichst frei spielen. So können wir den bürokratischen Ballast kurzerhand streichen. Es ist ja verrückt, wie viele Formulare der Bauer jeden Tag auszufüllen hat. Das verteuert die Produktion. Welche Vorschriften sind denn überflüssig? Blocher: Zum Beispiel, dass man dem Bauer vorschreibt, wie viele Kühe er pro hundert Quadratmeter Land halten darf. Oder ab welchem Tag er mähen darf. Das ist doch absurd. Es braucht Vorschriften, damit der Boden nicht vergiftet wird, aber die gelten ja für alle, auch für Industrielle. Der Bauer soll wieder Unternehmer sein dürfen. Wer kontrolliert, ob die Bauern diese Minimalvorschriften einhalten, wenn Sie die ganze Bürokratie aufheben? Blocher: Es braucht keine speziellen Kontrollapparate für die Landwirtschaft. Die Produkte werden ohnehin schon heute von den Grossverteilern und der Lebensmittelkontrolle überprüft. Also keine Vorschriften für die Tierhaltung? Blocher: Nur generelle Vorschriften, wie sie im Tierschutzgesetz festgeschrieben sind. Keine Beiträge für regelmässigen Auslauf der Tiere? Blocher: Das ist unnötig. Wenn der Konsument beispielsweise Eier von glücklichen Hühnern will, so werden die Grossverteiler das von den Bauern verlangen. Der Staat muss hier nicht eingreifen. Also auch keine Ökobeiträge mehr. Ohne diese hat jedoch die naturnahe Landwirtschaft keine Chance. Blocher: Jene, die nur das Minimum machen wollen, also beispielsweise ihre Wiese nur ein- bis zweimal im Jahr mähen, betreiben zwangsläufig extensive Landwirtschaft. Das ist ökologischer. Jene hingegen, die sich entscheiden, Nahrungsmittel herzustellen, müssen im freien Markt mit Weltmarktpreisen auskommen. Blocher: Das kommt auch auf die Zollgesetzgebung an, und die können wir ja nicht alleine bestimmen. Sicher würde die Konkurrenz grösser, der Preisdruck nähme zu. Weil die Bauern aber nicht mehr so viele Auflagen zu erfüllen hätten, sänken ihre Produktionskosten, und die Kreativität stiege. Sie sind auch für die Aufhebung von Fleischkontingenten? Jede Metzgerei darf so viel importieren wie sie will? Blocher: Im heutigen System nicht. Im neuen wäre das der Idealfall. An wen verkaufen dann die Schweizer Bauern ihr teures Fleisch? Blocher: Ich habe deutsche Geschäftskunden, die immer, wenn sie in der Schweiz sind, Fleisch einkaufen. Obwohl es bei uns teurer ist. Aber die sagen, die Qualität sei besser und insofern das Fleisch den höheren Preis wert. Das werden wohl eher Ausnahmefälle sein. Blocher: Warum denn? Und wenn schon: Die Schweizer Bauern müssen ja auch nicht die ganze Welt versorgen. Vor allem die Bergbauern kämen bei Ihrem Modell stark unter Druck. Der Strukturwandel würde rasant beschleunigt. Blocher: Wahrscheinlich gäbe es mehr Bauern, die nur den Boden bewirtschaften, aber keine Nahrungsmittel produzieren. Und nebenbei einen anderen Job ausüben. Doch die Abgeltung müsste wie bis anhin im Berggebiet höher sein als im Mittelland. Im Übrigen ist es schon heute so, dass im Berggebiet nur noch wenige Vollerwerbsbetriebe existieren können. Sie machen die Bergbauern faktisch zu Staatsangestellten. Blocher: Es ist nicht mehr als recht, dass sie für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen entlöhnt werden. Zudem ist es ihnen unbenommen, sich zusätzlich mit innovativen Leistungen auf dem Markt zu behaupten und zum Beispiel neue Käsesorten zu kreieren. Der Staat muss sich da nicht einmischen. Der Bauer wäre für diesen Bereich Unternehmer und könnte sich von allen Vorschriften lösen. Keine Qualitätsvorschriften? Nach etlichen Skandalen sind die Konsumenten sensibilisiert. Sie wollen Qualitätsprodukte. Blocher: Wenn der Markt das verlangt, so werden die Bauern ökologisch produzieren. Qualitätskriterien müssen die Bauern und Grossverteiler untereinander abmachen. Wie viel wollen Sie denn mit diesen Ideen sparen? Heute gibt der Bund 4 Milliarden jährlich für die Landwirtschaft aus. Blocher: Die Direktzahlungen würden etwas steigen. Im Idealfall würden alle Auflagen und Produktesubventionen gestrichen. Und viel sparen könnte man im Bereich Bürokratie. Selbst wenn Sie das ganze Bundesamt für Landwirtschaft und alle Forschungs- und Beratungsinstitute streichen, sparen Sie nur rund 220 Millionen. Blocher: Ich bin überzeugt, dass man insgesamt in der Landwirtschaft eine Milliarde sparen kann, und trotzdem kriegen die Bauern mehr. Davon müssen Sie die Bauern erst überzeugen. Sie werden nicht einverstanden sein mit Ihren Ideen. Blocher: Die tüchtigen durchaus. Die untüchtigen vielleicht weniger. Aber auch die Bauern erkennen die Lage: Sie müssen aufpassen, dass man ihnen nicht überall immer mehr abzwackt, sodass am Schluss gar nichts mehr bleibt. Diese Gefahr besteht. Der Bauernverbandspräsident Hansjörg Walter hat offenbar in der Fraktion bereits Protest angemeldet. Blocher: Wir haben darüber nur am Rande gesprochen. Er sagt, grundsätzlich sei dies richtig, aber die Zeit sei noch nicht reif. Es ist klar, der Bauernverband wird jetzt nicht sofort auf diese Linie einschwenken.