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05.04.2003

Auf zum letzten Gefecht

Artikel aus dem "Magazin" vom 5. April 2003 Dieses Wochenende sind im Kanton Zürich Wahlen. Die SVP dürfte als Siegerinhervorgehen. Wird es ihr auch gelingen, zur führenden Stimme des Bürgertumszu werden? Text Miklós Gimes «Wir hatten noch nie so ruhige Wahlen», sagt Christoph Blocher eine Woche vor dem kantonalen Urnengang, mit einem Gesichtsausdruck, als sei ihm nicht ganz wohl dabei. Als verberge die Ruhe etwas Unheimliches. «Die Leute haben andere Sorgen», sage ich, «Arbeitslosigkeit, Krankenkassen, den Krieg. Die Stimmbürger können sich nicht vorstellen, wie ihnen die Politik helfen soll.» «Trotzdem bezahlen sie ihre Steuern, die dann die Politiker ausgeben», antwortet Christoph Blocher lachend. Wir sind am Ende des Gesprächs und schauen über den Zürichsee. An schönen Tagen kann man von hier aus die Berner Alpen sehen. Eine Privatseilbahn führt zum Parkplatz von Blochers Anwesen, der unterhalb des Gartens in den Hang gehauen wurde. «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen», sage ich. «Die SVP wird bei den Wahlen zulegen.» «Ich bin nicht so sicher», sagt Blocher. Die jüngste nationale Umfrage rechnet für seine Partei mit einem weniger stürmischen Wachstum als noch im Januar. Ungeachtet dieses Trends hat die SVP letzten Sonntag in Basel Land und Genf starke Gewinne gemacht, und auch für die Zürcher Kantonalwahlen von diesem Wochenende wird ein Stimmenzuwachs prognostiziert. Dieser Triumph wird die Partei noch stärker mit der Frage konfrontieren, wohin ihr Alleingang führen soll. Bleibt sie eine Kampfpartei, oder stellt sie sich der Regierungsverantwortung? Und welche bürgerliche Partei ist bereit, in Grundsatzfragen mit der SVP Kompromisse einzugehen? Hinter Christoph Blochers unheimlicher Vorahnung könnte die Erkenntnis stehen, dass die Stunde der letzten Schlacht gekommen ist. Von den 180 Sitzen des Zürcher Kantonsrats hält die Schweizerische Volkspartei 61, sie ist mit Abstand die grösste Fraktion vor den Sozialdemokraten mit 44 und den Freisinnigen mit 36 Sitzen. Holt die SVP am Sonntag die erwarteten 70 Sitze, rückt sie in die Nähe einer regierungsfähigen Mehrheit. Will sie ihr Profil nicht verlieren, läuft sie Gefahr, ausgegrenzt zu werden, falls es ihr nicht gelingt, eine konservative Mehrheit zu zimmern. Entscheidend ist das Verhalten der FDP. Deshalb ist nicht erstaunlich, dass Christoph Blocher sein Verhältnis zum Freisinn in ganzseitigen Zeitungsinseraten oder mit Angriffen gegen den angeblichen Filz thematisiert. Diese Strategie, sagt Blocher, diene im Grunde genommen der Schadensbegrenzung, denn die FDP könne somit nicht zur Angriffsfläche der Linken werden. Was Blocher vorschwebt - und das ist das Entscheidende -, ist nichts anderes als eine Neuformierung der bürgerlichen Reihen. Und seit Wirtschaftsverbände und führende Bankiers den EU-Beitritt ablehnen, fühlt er sich in seinem Vorhaben erst recht bestärkt. Bruderkampf Der Aufstieg der SVP ist keine zehn Jahre alt. In der Stadt Zürich war es eine Hand voll junger Patrioten, die nach dem EWR-Nein von 1992 mit einem Aktivismus und einer Medienpräsenz, die sie der Jugendbewegung der Achtzigerjahre abgeschaut hatte, das rechte Feld beackerte und die Stadtzürcher SVP aus einer marginalen Partei, die eher durch den Alkoholkonsum ihrer Stadträte als durch politisches Profil Aufsehen erregt hatte, zu einer dynamischen Kraft machte. Seither hat sich die Zahl ihrer Gemeinderäte fast verfünffacht. Gleichzeitig hielt ein aggressiver Stil in der Politik Einzug, der Stil des permanenten Protestes und der Obstruktion. Zürich wurde zum Modell einer gesamtschweizerischen Entwicklung. In Sankt Gallen machte Toni Brunner die vorher inexistente SVP zur dritten Kraft im Kanton. Das Durchschnittsalter der Parteiaktivisten liege bei 28 Jahren, erzählt Blocher stolz. Obwohl 1994 die rotgrüne Ära im Zürcher Gemeinderat vorbei war, liess sich die SVP nicht in eine bürgerliche Politik einbinden. Im Gegenteil: Je stärker die SVP wurde, desto näher rückten Freisinn und Sozialdemokraten. Ergebnis dieser Entwicklung ist eine SVP, die sich vom Freisinn abgrenzt. «Die Jungen wollten immer gegen die FDP los, «das sind doppelzüngige Cheibe», haben sie gesagt», erzählt Blocher. «Ihr müsst nicht die FDP angreifen wegen ein paar Leuten, ihr müsst den Sozialismus bekämpfen», hat er ihnen entgegnet. Doch als die Delegierten der SVP gegen Blochers Einwände für die kantonalen Wahlen drei Regierungsratskandidaten aufstellten, mochte der Parteipräsident nicht streiten, obwohl ihm klar ist, dass der dritte Mann vermutlich keine Chance hat. Die FDP, inzwischen von der SVP als stärkste bürgerliche Partei überholt, konnte in der Stadt einen Teil der an die SVP verlorenen Wähler durch liberale Stimmen ersetzen. Einer der Architekten dieser Strategie der Öffnung ist Urs Lauffer, Fraktionschef der Freisinnigen im Gemeinderat, der in der Zwischenzeit in den Kantonsrat gewechselt hat. Anfänglich habe er gestaunt, wie kollegial und zugänglich die Kantonsräte der SVP gewesen seien, erzählt Lauffer. In 90 Prozent der Abstimmungen im Rat habe der Bürgerblock auch funktioniert. Umso mehr habe ihn befremdet, dass in den wirklichen Fragen die SVP auf Fundamentalopposition gemacht habe. «Die SVP hat jedes Budget zurückgewiesen und ihren eigenen Regierungsrat im Regen stehen lassen.» Die SVP habe sich vier Jahre lang um die Verantwortung gedrückt, dem Volk zu sagen, wo und wie viel man sparen müsse. Deshalb machtUrs Lauffer ein Wahlsieg der SVP keine Angst, obwohl er auf Kosten der FDP gehen kann. «Die SVP wird in die Verantwortung gedrängt werden. Niemand wird mehr bereit sein, ihr die Kohlen aus dem Feuer zu holen.» «Und was bedeutet das  für die FDP?» «Dass sie unbeirrt ihren Weg geht und sich für ihre Politik dort Partner sucht, wo sie sich ergeben.» Christoph Blochers politische Karriere begann vor rund dreissig Jahren, als der frisch promovierte Jurist vor der Gemeindeversammlung in Meilen gegen die Zonenplanung wetterte. «Die Jungen haben Heuchelei nicht gern» sagt er, «das war immer schon so. Ich war in den Sechzigerjahren nicht auf der linken Seite, aber auch wir haben uns gegen die Doppelzüngigkeit in der Politik aufgelehnt. Das ist wahrscheinlich der hinterste Grund, warum ich bei der SVP bin und nicht bei der FDP.» Blocher ist der letzte wahre 68er der Schweizer Politik. Mit derselben Radikalität, die ihn bei linken Studenten, «die mit dem roten Büchlein hinter Mao hergerannt sind», herausforderte, hat er seine Ziele verfolgt. Anfänglich habe er mehr Freunde in der FDP gehabt, sagt er. FDP-Nationalrat Otto Fischer, mit dem er die Auns gegründet und den Kampf gegen den EWR durchgezogen hat, sei sein engster Kampfgefährte gewesen. «Doch die FDP hat am Internationalismus festgehalten, und es ist zum Bruch gekommen. Dann kam die Ära Steinegger mit all den Mehrausgaben. Das konnten wir nicht mehr mitmachen. Aber wenn wir zulegen und die Freisinnigen verlieren, wird sich das ändern. Dann wird die freisinnige Basis sagen, wir wollen eine andere Politik. Dann werden die Leute abtreten müssen, die den Freisinn mit ihrer Linkspolitik in den Keller geführt haben.» Und mit der Radikalität des alten 68ers wird Blocher dem Freisinn die Europafrage stellen. «Da müssen sich die Freisinnigen entscheiden. Sie haben immer noch einen Parteitagsbeschluss, dass sie in die EU wollen. Jetzt wollen sie vor den Wahlen das Thema ausklammern. Das geht nicht.» Christoph Blocher nimmt einen Schluck Wasser und schaut aus dem Fenster über den Zürichsee. «Sie müssen sich entscheiden», sagt er. «Sonst werden sie zerrieben.»

01.03.2003

Lappi tue d’Augen uf

Meine Entgegnung auf den sir-Artikel in der "NZZ" vom 1. März 2003

11.02.2003

Welches ist die liberalste Partei im Lande?

Streitgespräch im "Tagesanzeiger" vom 11. Februar 2003 Was liberale Politik ist, definierte einst die FDP. Nun macht ihr die SVP diesen Anspruch streitig. Christiane Langenberger und Christoph Blocher in ihrem ersten direkten Schlagabtausch.Jeder Einzelne ist für sich selbst verantwortlich, sagt Christoph Blocher. Nein, findet FDP- Präsidentin Christiane Langenberger, der Staat muss für Chancengleichheit sorgen.Mit Christiane Langenberger und Christoph BlocherVon Helmut Stalder und Matthias Baer Herr Blocher, verstehen Sie sich als Liberaler? Christoph Blocher: Selbstverständlich. Liberalismus ist das Gegenteil von Sozialismus. Die Freiheit und die Selbstverantwortung des Bürgers stehen im Mittelpunkt, nicht das Kollektiv. Auch Wohlfahrt ist nur in einem liberalen Staat möglich. Ich bin also ein Liberaler im ursprünglichen Sinne. Auch Sie, Frau Langenberger, beanspruchen das liberale Etikett für sich. Was meinen Sie damit? Christiane Langenberger: Wir wollen den Menschen Freiraum geben, aber wir verlangen von ihnen auch Verantwortung. Davon habe ich bei Ihnen, Herr Blocher, nichts gehört. Wir sind für so wenig Staat wie möglich, aber für so viel wie nötig. Beide bekennen Sie sich als Liberale. Deshalb die Gegenprobe: Finden Sie, Frau Langenberger, Herrn Blocher liberal? Langenberger: Er ist weniger liberal als wir Freisinnigen. Sie, Herr Blocher, schränken den Staat auch dort ein, wo es ihn braucht, beispielsweise in der Aussenpolitik. So verhindern Sie, dass wir auf die vielen Probleme reagieren können, die von aussen auf uns zukommen. Beim Terrorismus, bei der Umweltbedrohung und in der Migrationspolitik muss die Schweiz international zusammenarbeiten. Wir stehen dafür ein, dass der Staat hier handlungsfähig bleibt. Gegenprobe auf die andere Seite: Finden Sie, Herr Blocher, Frau Langenbergers Positionen liberal? Blocher: Nein. Frau Langenberger, wenn ich sehe, was Sie alles vertreten, gehören Sie zum linken Flügel der SP. Sie waren für eine Mutterschaftsversicherung, bei der jede Mutter staatliche Unterstützung erhalten sollte, unabhängig von einer Notlage. Die anderen Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Beim Krankenversicherungsgesetz bauten Sie den Grundkatalog aus. Nun bezahlen die Bürger jedes Jahr mehr Prämien! Für einen Liberalen ist das alles unerträglich - auf Schritt und Tritt wird sozialistisch umverteilt. Und die FDP ist eine treibende Kraft dieser Entwicklung. Langenberger: Der Staat soll und darf nur dort eingreifen, wo es um Chancengleichheit und den Schutz der Schwächsten geht. Für die höheren Einkommen hätte es keine Mutterschaftsversicherung gegeben. Bei der Krankenversicherung sind unsere Positionen mit der SVP nahezu deckungsgleich. Die FDP fordert seit Jahren die Aufhebung des Vertragszwangs und verlangt eine Überprüfung des Grundkatalogs. Drängen Sie uns also nicht in die linke Ecke! Ist für Sie, Herr Blocher, Liberalismus vor allem Wirtschaftsliberalismus? Blocher: Nein. Der Liberale wehrt sich grundsätzlich dagegen, dass die Bürger von der Wiege bis zur Bahre vom Staat betreut werden. Der liberale Bundesstaat, wie er 1848 verankert wurde, war ein schlanker Staat und lange Zeit die Grundlage von Freiheit und Wohlfahrt der schweizerischen Bürger. Wollen Sie zu einem Nachtwächterstaat zurück, der sich nur noch um das Nötigste kümmert? Das Gemeinwohl ist doch ein zentraler, liberaler Wert. Blocher: Der Staat garantiert das Gemeinwohl am besten, wenn er seine Bürger machen lässt. Wo der Staat den Bürgern viel wegnimmt, geht es allen schlechter. Ein Nachtwächterstaat wäre nur für die Sicherheit zuständig, also für Polizei, Justiz und Armee. Das genügt mir nicht: Wer zu schwach ist, sein Leben zu fristen, soll fürsorglich betreut werden - aber nur die Not Leidenden. Sind Sie, Frau Langenberger, in Abgrenzung hierzu für einen Ausbau des Sozialstaates? Langenberger: Ich will nicht, dass der Staat dauernd interveniert und die Bürger völlig unter seine Fuchtel nimmt. Aber der Staat muss dafür sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, ihre Freiheiten wahrzunehmen. Es darf nicht sein, dass schwächere Menschen ausgegrenzt werden, dass sie keine Chance auf Bildung oder eine anständige Arbeit haben. Chancengleichheit herbeizuführen, ist eine zentrale Aufgabe für eine liberale Gesellschaft. Wir sind für den Steuerabbau, doch kann man dem Staat auch zu viele Mittel entziehen. Sie erwähnen den liberalen Wert der Chancengleichheit: Soll der Staat beispielsweise Krippen fördern, um allen Müttern und Vätern gleiche Berufschancen zu eröffnen? Blocher: Kinder haben ist Privatsache . . . Langenberger: Ach, wirklich? Was machen wir denn, wenn in der Schweiz keine Kinder mehr zur Welt kommen? Wollen Sie etwa mehr Ausländer holen? Wir müssen doch Rahmenbedingungen schaffen, die es Frauen und Männern erleichtern, Kinder zu haben. Blocher: Der Staat ist nicht für das Kinderkriegen verantwortlich. Wenn eine Frau zu arm ist, arbeiten muss und sich keine Krippe leisten kann, soll der Staat durch die Fürsorge eingreifen. Heute wird aber gefordert, dass alle ihre Kinder in staatlichen Krippen abgeben können. Andere sollen dies bezahlen - auch Kinderlose. Das ist sozialistische Umverteilung. Sie propagieren die Krippen unter dem Titel Chancengleichheit, dabei behindern Sie gleichzeitig die Chancen anderer, denen Sie das Geld wegnehmen! Langenberger: Herr Blocher, der Staat tut viel dafür, dass sich Frauen besser ausbilden und auch Kaderstellen erreichen können. Deshalb muss sich der Staat dafür interessieren, dass Beruf und Kinder in Einklang gebracht werden können. Das ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Die Arbeitgeber wollen Frauen in ihren Betrieben. Blocher: Dann sollen diese Unternehmen doch selber Krippen einrichten. Langenberger: Damit dies passiert, muss der Staat Kinderkrippen finanziell ein bisschen anschieben. Blocher: Ja, immer ein bisschen, ein bisschen, darum haben wir 200 Milliarden Schulden . . . Langenberger: Es geht um eine Anstossfinanzierung. Auch Tagesschulen mit Mittagstischen sind eine positive Massnahme, damit all die gut ausgebildeten Mütter arbeiten können. Selbstverständlich müssen sich die Eltern nach ihren Möglichkeiten beteiligen. Blocher: Geht es nach Ihnen, bezahlen die anderen Bürger eine Mutterschaftsversicherung, dann die Krippen, die Schulausbildung, das Studium und schlussendlich das Salär für die Doktoranden. Das ist Ihr Programm der staatlichen Kindererziehung. Es ist ein sozialistisches Erziehungssystem, bei dem die Wohlfahrt der Schweiz auf der Strecke bleibt: Andere sollen für die anderen sorgen, nur niemand mehr für sich selbst. Man kann die Kinder nicht auf Staatskosten abgeben, um sich dann selbst zu verwirklichen. Langenberger: Warum sagen Sie im Zusammenhang von arbeitenden Frauen so abschätzig, es gehe nur um Selbstverwirklichung? Selbstverwirklichung ist etwas Positives. Auch für Frauen. Und deshalb soll der Staat dies ermöglichen. Frauen, die arbeiten gehen können, bezahlen schliesslich auch Steuern. Ein weiterer Grundwert, der zum liberalen Denken gehört, ist Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Frau Langenberger, lebt die SVP diesem Wert nach? Langenberger: Nein. Ihre Intoleranz zeigt die SVP vor allem im Stil. Sie macht Plakate, die an der Grenze des Anstands sind. Sie leistet sich gegenüber ihrem eigenen Bundesrat Samuel Schmid abschätzige Qualifizierungen. Und sie redet dauernd das System schlecht und macht den Staat lächerlich. Von diesem antiliberalen Teil der SVP möchte ich die FDP stärker abgrenzen. Blocher: Wir machen nie den Staat lächerlich, wir kritisieren Regierende. Sie tun so, als seien Regierende der Staat. Darin zeigt sich die Arroganz der Macht. Gerade ein Liberaler darf dies niemals akzeptieren. Der einzelne Bürger steht im Zentrum, nicht die Regierung. Die SVP stellt die FDP in die linke Ecke und spricht von der "vereinigten Linken". Das tönt nach einem wenig liberalen Absolutheitsanspruch. Blocher: Auch ein Liberaler hat eine Position, eine Überzeugung. Der Staat muss die Meinungsfreiheit garantieren, auch die Freiheit des politischen Stils. Die Grundfrage jedes politischen Handelns lautet: mehr Staat oder mehr Freiheit? Früher standen sich die SP und die bürgerlichen Parteien gegenüber. Heute haben wir eine andere Konstellation: die SVP gegen die übrigen drei. Sie nennen diese neue Allianz "Koalition der Vernunft", was gegenüber der SVP kein sehr toleranter Begriff ist. Wir sagen "vereinigte Linke", weil nur noch die SVP gegen die Sozialisten kämpft. Langenberger: Die Zweiteilung in links/rechts, die Sie so forcieren, führt in die Irre. Es geht auch um den Gegensatz zwischen Fortschritt und Bewahren. Zum liberalen Gedanken gehört für mich Weltoffenheit und Modernität. Blocher: Das sind doch leere Floskeln. Langenberger: Nein, das zeigt sich in der Politik. Nehmen Sie die bilateralen Verhandlungen mit der EU, wo Sie ein Moratorium verlangen. Oder die Sicherheitspolitik: Sie wollen zwar eine Armee, sind aber dagegen, dass diese im Ausland üben darf. Blocher: Ihre Politik ist vielleicht zeitgemäss, aber falsch. Denn der Zeitgeist ist nicht das Mass aller Dinge. Die bilateralen Verhandlungen beispielsweise schränken die Selbstbestimmung der Schweiz ein. Frau Langenberger, Herr Blocher, in der Wintersession haben Sie bestens zusammengearbeitet: Sie haben die KVG-Revision abgelehnt, soziale Abfederungen in der AHV verhindert und am Steuersenkungspaket festgehalten. Eigentlich sind Sie ja ein bürgerliches Dreamteam. Blocher: Nein, in der Europapolitik, der grossen Auseinandersetzung der letzten zehn Jahre, stand einzig die SVP für das liberale Gedankengut ein. Es begann mit dem EU-Beitritt, einem Ja oder Nein zur Unabhängigkeit der Schweiz . . . Sie weichen aus. Finanz-, Sozial- und Gesundheitspolitik sind ebenfalls zentrale Themen. Hier arbeiten Sie im Parlament harmonisch zusammen. Blocher: Nein, denken Sie an die Mehrwertsteuererhöhungen, die Schwerverkehrsabgabe, die Tabaksteuererhöhungen, die Eigenmietwert-Initiative, die Asyl-Initiative, die Solidaritätsstiftung, die Swiss, die Expo etc. Wir fordern eine finanzielle Entlastung des Bürgers und sind gegen eine weitere Ausdehnung der staatlichen Macht. In Detailfragen gibt es vielleicht da und dort eine gewisse Harmonie. Vor den Wahlen muss die FDP ja etwas aufpassen. Wo bleibt da die von Ihnen angekündigte Abgrenzung, Frau Langenberger? Langenberger: Ich habe immer gesagt, dass wir in wirtschaftlichen Fragen gerne zusammenarbeiten. Ich grenze mich von einem gewissen Stil und dem antiliberalen SVP-Flügel ab. Die SVP, aber auch die SP polarisieren die Politik und schwächen damit das Land. Es ist gefährlich, wenn man die anders Denkenden, die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, derart in Bedrängnis führt, dass es schlussendlich nur noch zwei Fronten gibt: einen linken und einen rechten Flügel. Blocher: Das ist halt leider so: SP und SVP sind Gegenpole. Langenberger: Deshalb möchte ich eine starke bürgerliche Mitte aufbauen. Blocher: Machen Sie das. Herr Blocher, was passiert, wenn sich die freisinnige Auffassung liberaler Politik durchsetzt? Blocher: Wenn der Freisinn weiterhin mit der Linken marschiert und den Liberalismus sozialistisch auslegt, wird dies der SVP nützen. Der Freisinn warb ja einst mit dem Slogan: "Mehr Freiheit, weniger Staat." Übrigens wollte damals auch die SVP diesen Satz verwenden. Wir einigten uns dann mit der FDP und wählten: "Mehr Freiheit, weniger Bürokratie." So nahe lagen wir früher zusammen. Ihren heutigen Kurs, Frau Langenberger, goutiert die freisinnige Basis nicht: Nach links hat die FDP keine Chance. Sie haben ihre Position verlassen, nun suchen ihre einstigen Wähler eine neue Heimat bei uns. Wenn sich die FDP aber auf ihre Ursprünge zurückbesinnt, wird die SVP wieder schwächer. Dann wäre sie auch nicht mehr so nötig. Frau Langenberger, was passiert, wenn sich die SVP-Auffassung von liberaler Politik durchsetzt? Langenberger: Wir haben nicht derart unterschiedliche Ansichten von Liberalismus als die SVP. Was die Finanzpolitik oder die Rolle des Staates angeht, sind wir uns wahrscheinlich einig. Aber, nochmals, wir betreiben eine verlässliche, moderne und weltoffene Regierungspolitik. Wenn sich die SVP durchsetzt, wird die Polarisierung noch stärker zunehmen. Das ist schade für die Parteienvielfalt, die wir anerkennen.

09.01.2003

Für Graubünden ist das eine frohe Botschaft

Interview mit dem "Bündner Tagblatt" vom 9. Januar 2003 Norbert Waser "Bündner Tagblatt": Heute ist mit Sohn Markus das zweite Ihrer vier Kinder erstmals im Zusammenhang mit der EMS-Gruppe in der Öffentlichkeit aufgetreten. Ist es Ihnen also gelungen, die Weichen für die Zukunft des Unternehmens ohne Familienkrach zu stellen? Christoph Blocher (Mehrheitsaktionär Ems-Chemie Holding AG): Ja, bis heute schon. Wir haben darüber offen diskutiert, und es ist ein offenes Geheimnis, dass die aber Kinder für ein "Going private" waren. Sie suchen nicht die Öffentlichkeit und in naher Zukunft braucht das Unternehmen die Börse auch nicht. Aber in Anbetracht aller Eventulaitäten für die Zukunft ist die nun gewählte Strategie doch besser. Die Kinder haben diesen Entscheid akzeptiert. Aber entschieden haben Sie? Christoph Blocher: Den Entscheid habe ich getroffen. Die Kinder haben dies auch erwartet. Die Steuerfrage ist ein zentraler Punkt und Sie haben dabei auch den Wohnsitz im Kanton Zürich angetönt. Liebäugeln Sie mit einem Wohnsitzwechsel nach Graubünden? Christoph Blocher: Es wird sich zeigen, ob Graubünden künftig bessere Bedingungen hat als der Kanton Zürich. Es wäre auf jeden Fall nicht der letzte Kanton, in den in umziehen würde. Im Augenblick mache ich jedoch keine Anstalten in dieser Richtung. Wann ziehen Sie sich aus dem operativen Geschäft zurück? Christoph Blocher: Das passiert sukzessive. Vermutlich werde ich mich in den nächsten Jahren auf das Präsidium beschränken und die Funktion des CEO jemand anderem übergeben. Das hängt nicht zuletzt von der künftigen Führungssturktur für eine Publikumsgesellschaft ab. Wir eines Ihrer Kinder die operative Führung übernehmen? Christoph Blocher: Das ist eine Möglichkeit, die sich im Moment abzeichnet. Aber es muss nicht sein. Im Moment müssen Sie sich noch mit Alltagssorgen beschäftigen. Ist der Verkauf der Kraftwerkanlagen an die NOK eine solche? Christoph Blocher: Der Verkauf der Patvag-Kraftwerke ist per Ende Jahr bereits abgeschlossen worden. Bei den Kraftwerken Reichenau hat der Kanton Graubünden ein Vorkaufsrecht. Mir ist es an und für sich gleich, wer die Kraftwerke Reichenau AG übernimmt, aber jeder Käufer müsste ebenfalls auch eine Lieferverpflichtung für 15 Jahre garantieren. Kanton und Gemeinden möchten aber nur die Aktien, das ist nicht möglich, den Fünfer und das Weggli gibt es nicht. Ihr Kommentar zum Vorgehen der Standortgemeinde Doma /Ems. Christoph Blocher: Sie haben nicht einfach die Türe zugeschlagen, sondern einfach einmal das Interesse an den Aktien angemeldet. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren. Ich hoffe, dass die Diskussion bis Ende Januar abgeschlossen sein wird. Welche Auswirkungen hat die künftige Strategie mit einer verstärkten Konzentration auf die Polymeren Werkstoffe für Domat/Ems? Christoph Blocher: In der Tat befinden sich die Produktionsanlagen im Hauptbereich der Polymeren Werkstoffe in Domat/Ems. So gesehen ist der jetzt bekanntgegebene Schritt eine frohe Botschaft für den Werkplatz Graubünden. Diese Bereiche sollen in Zukunft noch stärker gefördert und ausgebaut werden.

31.12.2002

Es braucht neue Leute

Der Unternehmer Christoph Blocher über Abzocker, seinen Lohn und die Vorteile militärischer Führung. Interview mit "FACTS" vom 31. Dezember 2002 Lukas Hässig und Nadja Pastega FACTS: Herr Blocher, vor welchem Wirtschaftsführer haben Sie noch Respekt? Christoph Blocher: Vor allen, die ihre Firma ordentlich führen. Es gibt mehr gute Firmen als schlechte. Auch unsere Firma ist in Ordnung. Ich kenne aber auch andere. Es sind nicht zufälligerweise gerade jene grossen Flaggschiffe, die früher hochgejubelt wurden und bei denen man heute nicht viel Respekt haben kann. FACTS: Was haben CS, Rentenanstalt und ABB falsch gemacht? Blocher: Erstens haben sie sich einseitig auf Wachstum und Grösse ausgerichtet: Grössenwahn als Triebfeder. Zweitens haben die CEOs unbrauchbare Management-Methoden angewendet, die nur in der Hochkonjunktur funktionieren: Mit dauernder Umorganisation, mit Gutachten und Beratern, mit Akquisitionen und Fusionen kann man keine Firma führen. Und drittens haben zu viele Manager vor allem von den Unternehmen gelebt statt für die Unternehmen. Sie haben vergessen, was ein Unternehmer ist. Ein Unternehmer ist einer, der in erster Linie für die Firma schaut und nicht von ihr zehrt. Das alles ist jetzt ans Tageslicht gekommen. Insofern war 2002 ein hoffnungsvolles Jahr, weil das endlich aufgeflogen ist. FACTS: Wie konnte es so weit kommen? Sie haben das Wort «Grössenwahn» gebraucht, das im Widerspruch steht zur Tradition dieses Landes. Blocher: Die traditionellen Schweizer Werte sind in den letzten zehn Jahren über den Haufen geworfen worden. Grössenwahn gabs aber nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. In den nächsten Jahren wird man sehen, was in der Politik alles falsch gemacht wurde. Sie sehen es an den riesigen Defiziten, an den Staatsschulden, an der Preisgabe von Werten, die die Schweiz stark gemacht hatten. Die gleichen Manager, die jetzt verdammt und rausgeworfen werden, standen vor fünf Jahren zuoberst auf dem Podest. Der Fehler war nicht, dass man sie rausgeworfen hat, sondern dass man sie hochgejubelt hat. Sonst wäre es gar nicht so weit gekommen. FACTS: Wo muss noch bereinigt werden? Blocher: Wir haben erst die Spitzen des Eisbergs gesehen. Vielleicht die spektakulärsten Fälle. Man muss nur nachschauen, wer wie viele Unternehmen dazugekauft hat. Dort ist der wunde Punkt. Mikron zum Beispiel war eine gute Maschinenfabrik mit hochqualifizierten Produkten. Dann kaufte sie etwas Fremdes aus dem Telekombereich, was damals ein Boom war. Davon hat sie nichts verstanden und ist zusammengekracht. So geht es vielen. Darum hing während 20 Jahren hinter meinem Pult ein berühmtes Bild von Albert Anker: «Schuhmacher Eisele». Darunter hab ich hingeschrieben: «Schuster, bleib bei Deinem Leisten!» Immer, wenn ein Direktor zu mir kam, musste er dieses Bild anschauen. Die Schweiz war nie erfolgreich dank Grösse. Wichtig war Qualität, Gewinn, Reserven. FACTS: Können Verwaltungsräte, die ein Unternehmen in diese Situation geführt haben, überhaupt korrigieren, oder braucht es neue Leute? Blocher: Es braucht neue Leute. Es ist auch eine Mentalitätsfrage, ob man Grösse oder Qualität in den Vordergrund stellt. In den Führungsetagen achtet man zu sehr auf Leute mit Klang und Namen. Das ist unnötig. Deshalb tauchen auch immer wieder die gleichen Namen auf. Es braucht Leute, die ein solides Führungshandwerk beherrschen. Auch all die grossen Managementtheorien sind überflüssig. FACTS: Worin besteht ein solides Führungshandwerk? Blocher: Es ist relativ einfach: Es fängt beim Auftrag an. Dieser - nicht der Mensch - steht im Mittelpunkt. Man hat die eigenen Stärken herauszufinden, darauf aufzubauen, das zu tun, was realisierbar ist. Dann kommt die Mühsal des raschen Vollzugs. Eine Strategie ist auf dem Papier immer toll. Sie ist nie falsch. Die Frage ist nur, ob man sie durchsetzen kann. Und hier fehlt mancherorts das Einmaleins der Unteroffiziersschule. Dort lernt man mit 21 Jahren, wie man sechs Soldaten führt. Man lernt die drei K: Kommandieren, kontrollieren, korrigieren. Wer etwas anordnet, muss es kontrollieren und korrigieren. Mühselige Kleinarbeit. FACTS: Man hört den Oberst Blocher heraus: Führen heisst befehlen. Blocher: Befehlen - Auftrag erteilen - ist ein Teil. Das Durchsetzen - den Erfolg erzielen - braucht mehr. In den guten Jahren ist das weniger zur Geltung gekommen. Oft hatte einer auch Erfolg, ohne etwas beizutragen. Man hat den Chef eigentlich gar nicht gebraucht, so gut ging es. Die Bankdirektoren konnten doch nichts dafür, dass sie solche Gewinne erzielten, nur weil die Börse 25 Prozent stieg. Doch sie sagten: «Wir haben so hohen Gewinn, also sind wir gute Manager.» Dabei kann man dies nur in schwierigen Zeiten beurteilen. FACTS: Brauchts mehr Kontrolle? Blocher: Nur nicht zu viel vorschreiben. Einfache Lösungen. Das Problem sind die grossen Publikumsgesellschaften. Das liegt daran, dass es hier keine fassbaren Eigentümer gibt. Das Eigentum ist pulverisiert. Wenn sie hunderttausend Eigentümer haben, dann gibts in Wirklichkeit keinen Eigentümer mehr. Wie beim kommunistischen System, dort sind ja auch alle Eigentümer, aber es gibt keinen, der das Eigentum schützen kann. Darum entsteht eine Nomenklatura. So sind unsere grossen Verwaltungsräte zur Nomenklatura verkommen. Sie können machen, was sie wollen, weil kein Eigentümer zum Rechten schauen kann. Deshalb ist es für den Schutz des Eigentums absolut notwendig, dass die oberste Führung wenigstens die eigenen Saläre und Bezüge veröffentlicht, jährlich, mit Namen. Dies zum Schutz des Privateigentums. Das Zweite: Man muss das Depotstimmrecht der Banken abschaffen. Man kann einen Verwaltungsrat heute nicht auswechseln, denn die Banken müssen mit dem Depotstimmrecht für den Verwaltungsrat stimmen. Das ist, wie wenn man sagen würden, wer nicht an die Urne geht, der stimmt für den Bundesrat. FACTS: Die Depotstimmen haben oft die Mehrheit? Blocher: Sie sind oft massgebend, wo gros-se Aktionäre fehlen. Das muss verschwinden. Es muss so geregelt sein, dass eine ausdrückliche, schriftliche Vollmacht vorliegen muss für einen bestimmten Entscheid. FACTS: Brauchts eine Obergrenze bei den Löhnen? Blocher: Nein. Bei sehr guten Leistungen und Erfolg ist die Frage, ob zehn oder eine Million, nicht massgebend. Doch nur wenn die Entschädigung extrem erfolgsabhängig ist, sind zehn Millionen gerechtfertigt. FACTS: Wie viel verdienen Sie? Blocher: 370'000 Franken, im letzten Jahr. FACTS: Alles inklusive? Blocher: Ja, weil ich keinen Bonus beziehen konnte. Wir hatten das Ziel nicht erreicht, also gabs keinen Bonus. Als es sehr gut ging, habe ich 1,5 Millionen verdient. Ein System, das auch für meine Direktoren gilt. Sie haben kleine Löhne, im Durchschnitt 200'000 Franken. Aber wenn sie sehr gut arbeiten, können sie in Extremfällen bis auf eine Million kommen. Das begreifen die Leute auch. Aber die Leute begreifen nicht, wenn ich letztes Jahr gesagt hätte, ich nehme zehn Millionen als Bonus heraus, obwohl das Ziel nicht erreicht ist. FACTS: Wir stecken in einer Wirtschaftskrise. Wird es wieder besser? Blocher: Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, wer ein bisschen Lebenserfahrung hat und die Wirklichkeit sieht, der weiss, dass es in der Wirtschaft immer Hochkonjunkturen und Rezessionen geben wird, das ist vom System her notwendig. Der Mensch macht in guten Zeiten immer Fehler, im privaten Bereich übrigens auch. Ich habe ganz vernünftige Leute gesehen, die in der New-Economy zu Geld gekommen sind. Was die mit diesem Geld gemacht haben, war dann fertiger Blödsinn. So ist es auch in den Firmen. Mir geht es genauso. Wenn ich heute durch das Unternehmen gehe, sehe ich so viele Dinge, die ich in den guten Jahren bewilligt habe und wo ich sagen muss: Das wäre jetzt also auch nicht unbedingt nötig gewesen. Zum Beispiel ein zu schönes Bürogebäude. FACTS: Sieben magere und sieben fette Jahre? Blocher: Ja, der biblische Zyklus gilt (lacht). FACTS: Jetzt haben wir wie viele magere Jahre? Zwei? Blocher: Im Grunde hats 1999 angefangen. Am Anfang sehen Sie es eben noch nicht. Ich fange jetzt wieder an zu investieren für die Hochkonjunktur. 2003 wirds noch nicht aufwärts gehen. Aber so 2004, 2005 bin ich der Meinung, dass es eine Besserung geben wird. FACTS: Wann investieren Sie wieder in die Börse? Blocher: Wir sind keine Finanz-Firma. FACTS: Sie haben zeitweise viel Geld mit Aktien-Anlagen verdient Blocher: Auch ein Industrieunternehmen muss seine Mittel entsprechend bewirtschaften. Auch mit Aktien müssen Sie in der Rezession beginnen. FACTS: Das heisst, jetzt, wo viele Aktien im Keller sind, ist ein guter Moment zum Einsteigen? Blocher: Ja, nur eine Firma, die unten ist, kann rasch höher werden. Ich kann Ihnen jetzt natürlich keine Anlagerichtlinien geben. FACTS: Das wäre aber spannend. Blocher: Ich bringe ein Beispiel, keine Empfehlung: ABB ist jetzt am Boden. Die geht wahrscheinlich zu Grunde, wenn die Asbest-Sache nicht gelöst werden kann. Wer hier investiert, verliert das investierte Geld in diesem Falle. Anderseits halte ich vom Chef, Jürgen Dormann, sehr viel. Ich habe ihn verfolgt bei der Sanierung von Hoechst. Wenn einer aus dieser Firma etwas machen kann, dann er. Gelingt es ihm, dann wird ABB hoch bewertet. FACTS: Sie haben schon ABB-Aktien gekauft? Blocher: Ich mache keine Angaben über unser Wirtschaftsportefeuille. Aber wer hier investiert, der investiert wie in der Forschung: Der Erfolg ist 50 Prozent. FACTS: Sie haben vermutlich nicht jetzt bei 4,5 Franken pro Aktien gekauft, sondern als die Titel bei 2 Franken waren. Blocher: Sie dürfen nicht stets auf den allerbesten Punkt schauen. Es sind Risikoanlagen. Ich frage die Leute, die sich bei mir Rat holen: Können Sie Ihre 20 000 Franken verlieren? Nein? Dann können Sies nicht machen. Sie müssen das Risiko in Kauf nehmen können. FACTS: Was empfehlen Sie heute einem jungen Menschen in der Schweiz, der sich entwickeln möchte? Blocher: Eine Berufslehre. Nicht studieren gehen. Davon bin ich überzeugt. Nicht, weil ich selbst diesen Werdegang gemacht habe ... FACTS: Sie haben doch auch das Gymnasium besucht und studiert. Blocher: Ja, nach der Berufslehre. Nachher sind alle Wege offen. Leider habe ich mich bei allen meinen vier Kindern nicht durchgesetzt. Auf meinen Vorschlag, die Kinder in die Lehre zu schicken, sagten die Lehrer: «Das wäre Unrecht an Ihren Kindern.» Aber gut, jetzt müssen sie die Lehre halt bei mir machen. Nach dem Studium ist man niemand, man fängt bei Null an. Wenn Sie lesen und schreiben können und Sie machen eine Lehre, haben Sie so einen wertvollen Fundus. Alles andere können Sie später noch lernen. FACTS: Kann man eine Karriere planen? Blocher: Wenn mich einer fragt, wie man eine Karriere macht, sage ich: Das können Sie gar nicht. Es ist ausgeschlossen, dass Sie das können. Wenn Sie das wollen, dann gibts keine. Aber machen Sie eine gute, solide Berufslehre und machen Sie überall, wo Sie sind, die Sache tipptopp, und zwar unabhängig. Und unabhängig ist man dann, wenn man immer auf den Job verzichten kann. Dann wird man stark. Sobald man abhängig wird und denkt, ich darf dieses nicht sagen, ich darf jenes nicht machen, sonst fliege ich raus, haben Sie nie Erfolg. Weil Sie das Richtige nicht machen können. Bei Theodor Storm heisst es: «Der eine fragt, was kommt darnach, der andere, was ist recht, und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.» Der Knecht fragt immer, was kommt nachher. Der Freie sagt, ich mache es richtig, mir ist egal, was passiert. Das muss man den jungen Leuten mit auf den Weg geben.