Testi

 

06.03.2006

«Ich plädiere für Zurückhaltung»

«Christoph Blocher - die Verschärfung des Asylrechts und die Forderung nach einem Einbürgerungsstopp für Muslime» 06.03.2006, SonntagsZeitung, Christoph Lauener und Denis von Burg SonntagsZeitung: "Sie reduzieren die Asylinfrastruktur um die Hälfte und wollen stattdessen im Notfall die Armee einsetzen. Ist das nicht ein Missbrauch der Armee?" Nur für allfällige Notfälle, d.h. in kriegsähnlichen Zuständen, wenn ....zig Tausend in das Land strömen sollten und nur bis maximal sechs Monate. In dieser Zeit sind die Kapazitäten in Bund und Kantonen aufgebaut. Wäre es nicht besser, Ihre ursprüngliche Idee aufzunehmen und in den jeweiligen Krisengebieten Sammellager einzurichten, um die Flüchtlingsströme aufzuhalten? Die Idee besteht noch immer. Die EU arbeitet an Schutzzonen; da könnte sich die Schweiz auch beteiligen. Wenn dies konkret wird, werde ich es dem Bundesrat vorschlagen. Das entbindet uns aber nicht von einer konsequenten Asylpolitik im eigenen Land. Sie können die Infrastruktur massiv abbauen: Warum braucht es noch eine Verschärfung des Asylrechts? Mit über 10'000 Asylgesuchen pro Jahr gehört die Schweiz immer noch zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Zugang pro Kopf der Bevölkerung. Und nach wie vor sind die meisten keine echten Flüchtlinge, d.h. ohne Asylgründe. Ca. 20 % aller Asylsuchenden werden zudem leider polizeilich wegen Straftaten aufgegriffen - insbesondere wegen Drogenhandel. Viele Abgewiesene bleiben illegal im Land und beziehen Sozialhilfe. Diese Situation kann nur mit dem neuen Asylgesetz verbessert werden. Im Abstimmungskampf werden sie mit der Kirche eine moralische Instanz gegen sich haben. Es ist zwar in Ordnung, wenn die Kirche sich um die Armen kümmert. Aber im Asylbereich stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Und sagt leider Tatsachenwidriges. Nämlich? Kirchliche Kreise behaupten, einer ohne Papiere habe in Zukunft keine Chance mehr auf Asyl. Dabei steht im neuen Gesetz, dass dies nicht stimmt. Kein echter Flüchtling wird negativ betroffen sein! Wer ohne Papiere ist, muss jedoch seinen Namen, Wohnort und sein Herkunftsland bekannt geben, sowie Fluchtweg und Fluchtgrund. Ist das wirklich zu viel verlangt? Nur für solche, die das Asylrecht missbrauche wollen, ist dies ein Problem. Viele bekämpfen das Asylgesetz, weil sie von diesen Missbräuchen profitieren! Die Asyl- und Ausländerdebatte wird auch von der Frage des richtigen Umgangs mit den Muslimen in der Schweiz beeinflusst. Sind unsere Grundwerte durch den Islam bedroht? Dies ist eine Frage der Anzahl. Die Bedrohung wird geringer, wenn wir unsere Grundwerte im eigenen Land entschieden verteidigen. Wer hier ist, muss sich an die hier geltenden Regeln halten. Es gibt den Ruf nach Sonderregelungen, wie etwa Dispensationen von bestimmten Schulfächern. Sehr fragwürdig. Die gesetzlichen Regeln sind von allen einzuhalten. Besteht zum Beispiel eine Vorschrift, den Schwimmunterricht zu besuchen, so haben diesen auch Gegner zu besuchen. ... und dürfen auch kein Kopftuch tragen? Wenn es für Schüler keine Kleidervorschrift gibt, ist das Kopftuch erlaubt. Wer aber unsere Grundwerte ablehnt und die Gesetze und Vorschriften nicht einhalten will und kann, muss konsequent sein und das Land verlassen! Dürfen wir umgekehrt die Muslime mit Mohammed-Karikaturen provozieren? Natürlich ist nicht jede Provokation nötig und gescheit. Aber der Staat hat sich keinesfalls einzumischen. Denn es geht jetzt um viel: Um die Erhaltung unserer Freiheitsrechte - in diesem Fall der Pressefreiheit. Es ist die höchste Pflicht des Staates, diese zu verteidigen. Das gilt auch im aktuellen Fall der Muslim-Karrikaturen. Der Staat hat der Pressefreiheit lediglich strafrechtliche Grenzen zu setzen. Er darf die Pressefreiheit keinesfalls mit moralischen oder ethischen Begründungen einschränken. Soll etwa der Staat sagen, was moralisch, was dumm, was gescheit, was anständig ist? Auch den Muslimen kann man erklären, dass sie gerade von diesen Freiheitsrechten profitieren. Zum Beispiel von der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Aber wir selbst müssen entschieden zu unseren Werten stehen und diese hochhalten! Auch wenn dies manchmal unangenehm ist. Immer weniger Leute glauben, dass die Muslime das verstehen. Die SVP der Stadt Luzern fordert einen Einbürgerungsstopp für Muslime. Was sagen Sie dazu? Dies ist wohl etwas zu generell. Man würde die Leute zum vornherein stigmatisieren. Aber es ist bedeutungsvoll, bei der Einbürgerung genau darauf zu achten, dass sich die Bewerber mit unseren Werten und unserer Rechtsordnung identifizieren können. Man hat vorsichtig zu sein. Was heisst vorsichtig sein? Viele Muslime leben in einer anderen Kultur. Die Einbürgerung ist aber auch ein Bekenntnis zu unserer Kultur. Die Eingebürgerten erhalten schliesslich auch das Stimmrecht und können dann zum Beispiel auch über aus ihrer Sicht zu fortschrittliche Frauenrechte abstimmen. Das gibt Konflikte. Auch Identitätskonflikte. Deshalb plädiere ich für Vorsicht und Zurückhaltung, wenn nicht klar ist, ob sich diese Menschen mit unserer Wertordnung identifizieren können. War man sich der Problematik zu wenig bewusst? Eindeutig. In ganz Europa. Wir waren lange zu wenig sensibilisiert. Die Anschläge in London haben gezeigt, dass schon lange eingebürgerte englische Muslime eben doch gegen England Partei nahmen. Trotz Einbürgerung fühlten sie sich nicht als Engländer. Vorsicht und Zurückhaltung sind hier keine schlechten Ratgeber. Einbürgerungen könnten eine Integrationshilfe sein. Einbürgerungen sind nicht der Anfang sondern die Folge einer Integration. Einbürgerungen können den Identitätskonflikt auch verschärfen. Sie müssen sehen: Diese Menschen leben dann in einer Doppelkultur. Man darf nicht glauben, wer eingebürgert wird, wechselt automatisch auch die Identität. Eine staatliche Anerkennung des Islams und eine staatliche Imamausbildung könnte doch die Integration fördern? Auch das glaube ich nicht. Sie fördern damit eine fremde Kultur auf Kosten der eigenen. Die Religionsfreiheit haben wir zu garantieren, aber nicht staatlich die Religionen zu fördern. Stösst die multikulturelle Gesellschaft an Grenzen? Die Gefahren einer lange Zeit unkritisch angestrebten multikulturellen Gesellschaft werden heute wenigstens diskutiert. Man glaubte an die friedliche Koexistenz völlig verschiedener Kulturen, Religionen, Sitten und Gebräuche, indem man forderte, die eigenen Grundwerte zurückzunehmen. So wurde in der Schweiz in den letzten 20 Jahren nicht nur das Fremde überhöht sondern die eigenen Werte, das Besondere und die schweizerische Geschichte schlecht gemacht. Zur Schweiz stehen, galt vielerorts als anrüchig. Nicht nur der Karrikaturenstreit und die Terroranschläge zeigen, wie bedroht heute unsere Werte sind, wenn wir sie nicht entschieden verteidigen. Wir dürfen stolz sein auf diese. Immer mehr Menschen erkennen dies erfreulicherweise.

03.03.2006

Die Welt ist voller theologischer Themen

«Im schweizerischen Bundesrat sitzen Persönlichkeiten mit prononciert protestantischem Hintergrund: Nach Moritz Leuenberger hat die "Reformierte Presse" nun auch Christoph Blocher auf diesen Hintergrund hin befragt - und zu einigen brisanten politischen Themen.» 03.03.2006, Reformierte Presse, Monika Dettwiler und Stephan Landis Reformierte Presse: Herr Bundesrat, wo und wie erleben Sie heute die Kirche? Bundesrat Christoph Blocher: Ich gehöre zur Landes-kirche, ich leide mit und unter ihr: Ich besuche hin und wieder den sonntäglichen Gottesdienst – wenn er denn stattfindet: Kürzlich versuchte ich es in einer Berner Oberländer Kirche. Auf 10 Uhr war die Verkündigung von Gottes Wort angesagt. Nach einem Fussmarsch standen wir – ein kleines zufälliges Grüpplein – zur „befohlenen“ Zeit vor der Kirchentür. An ihr hing ein Zettel: Heute, Gottesdienst um 17 Uhr. „Unordnung“, murmelte ein vor der Tür stehender Dorfbewohner. Und in der leeren Kirche waren die schönen, mittelalterlichen Fresken geschmacklos mit zerknitterten, fahlfarbenen Stoffbahnen verhängt: „ Wieder eine Kirche, die ihren Auftrag nicht wahrnimmt“ – so war mein Gedanke. Aber schön ist: Auch dies vermag die alles umfassende Kirche nicht zu zerstören. Erzählen Sie ihren Enkeln die biblischen Ge-schichten? Wie beschäftigen Sie sich persönlich mit kirchlichen und theologischen Themen? Natürlich haben unsere Enkel Kinderbibeln. Natürlich wollen sie sie erzählt haben. Das gehört doch schon zur Allgemeinbildung. Die Welt ist voller theologischer Themen. Wie sollte ich mich nicht damit beschäftigen. Der Theologe, mit dem ich mich am meisten beschäftige, ist Karl Barth. Ich lese gerade zum sechsten Mal seinen „Römerbrief“. Das ist zentral: Der Glaube als Zuspruch Gottes. Kein billiges Mittel, um das Himmelreich zu erreichen. Alle, alle sind wir erlöst. Das ist die frohe Botschaft. Wann und wie haben Kirche und protestantischer Glaube Sie geprägt? Wo und wie man geprägt wurde, weiss man nie schlüssig. Ich vermute, für meinen Teil, wohl schon im Elternhaus. Ich stamme aus einem reformierten Pfarrhaus. Mein Vater war ein Pfarrer positiver Richtung, seine engen Beziehungen zur damaligen Bekennenden Kirche in Deutschland und zu Karl Barth habe ich als kleiner Knabe intensiv miterlebt. Theologen gingen ein und aus, man hörte Diskussionen mit, wohl ohne viel zu verstehen. War es das? Oder die täglichen Geschichten und Gebete der Mutter? Sonntagsschule? Vielleicht, aber vielleicht auch ganz anderes. So wichtig ist das alles nicht. Gottes Geist weht, wo er will. Christ und Unternehmer – das geht heute für manche Menschen schlecht zusammen. Und für Sie? O diese Wortpaare: Christ und Pfarrer, Christ und Beamter, Christ und Unternehmer, Christ und Verbrecher, Christ und… Hier der gute Christ – dort der böse Unternehmer! Wer so fragt, weiss nicht, was ein Christ und nicht was ein Unternehmer ist. Die Kirche ist alles umfassend. Alle gehören wir dazu. Ich weiss nicht, warum ein Unternehmer nicht dazu gehören sollte. Der Unternehmer steckt sein Vermögen, seine Arbeitskraft, sein Wissen in die Forschung, die Produktion und den Verkauf von Gütern. Macht er es gut, wird er reich, wie seinerzeit Abraham. Macht er es schlecht, wird er arm. Macht er es gut, entstehen Arbeitsplätze und Wohlstand, mit dem sich auch Löhne der Kirchenleute zahlen lassen. Was soll da so verwerflich sein? Erfolg hat der Unternehmer nur dann, wenn er dem Auftrag gemäss lebt. Zentral ist dabei die Verantwortung. Und in der Politik? Als Sie Bundesrat geworden sind, haben Sie gesagt, Sie träten Ihr Amt an im Vertrauen darauf, „dass Gott uns helfe, dass es gut herauskommt“ – und sind danach von einigen Medien kritisiert worden. Sind Sie ein eminent christlicher Politiker? Ich habe damals die Formulierung der Präambel der Bundesverfassung sinngemäss gebraucht. Sie heisst nicht: „ Es kommt gut, weil ich Christ bin“. Nein, es ist ein Hilferuf. Es ist der alteidgenössische Ruf: „So wahr uns Gott helfe“. Wer daran Anstoss nimmt, will wohl selber Herr und Meister sein. Die Aufgabe als Bundesrat, die ich damals - an jenem Tag - neu zu übernehmen hatte, ist schwierig. Es ist ja vieles schief gelaufen im Staate. Ich liess mich wählen, um das zu korrigieren. Ist es da vermessen, in den Saal zu rufen: „So wahr uns Gott helfe?“ Im Bundeshaus, wo so viel Nebensächliches, so viele Intrigen, so viel Miss- und Mediengunst vom Auftrag abhalten! Nehmen Sie als Beispiel die Asylpolitik: Die Lösung der bestehenden Probleme ist eine Gratwanderung, wo man auf beide Seiten abstürzen kann: Zu nachgeberisch führt zu unhaltbaren Verhältnissen. Zu hart führt zu unrecht gegenüber Verfolgten. Mir scheint die kirchliche Obrigkeit hat sich aus dieser grossen Verantwortung geschlagen: Sie erweckt den Eindruck, sich für Flüchtlinge einzusetzen. Wer will dies nicht? Doch sie nimmt in Kauf, dass sie den grossen Missbrauch fördert und damit die Flüchtlingspolitik in Verruf bringt. Dies hat viel mit Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit zu tun. Aber geht das in der Asylpolitik zusammen: Christsein und Abschreckung von Flüchtlingen, etwa indem abgewiesene Asylsuchende nur noch Nothilfe bekommen? Abgewiesene Asylsuchende sind gerade keine Flüchtlinge. Sie haben das Land zu verlassen. Flüchtlinge werden durch das neue Asylgesetz nicht abgeschreckt. Aber solche, die keine sind. Auch für einen Christen ist das verständlich. Natürlich ist es eine undankbare und schwierige Aufgabe, Asylgesuche zu entscheiden und Abgewiesene zurückzuschicken. Für wen denn nicht? Doch ohne die konsequente Anwendung des Asylgesetzes geht es nicht. Darum gilt: Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind, nehmen wir auf. Das ist traditionelle schweizerische Flüchtlingspolitik und soll auch so bleiben, wenn das neue Asylgesetz angenommen wird. Dies hat wohl auch einen christlichen Hintergrund. Wer aber nicht bedroht ist und keine Bewilligung hat, muss nach Haus zurückkehren. Wen man die Kritiker der Asylgesetzrevision fragt: „Sollen wir denn alle aufnehmen?“, ist die Antwort: „Nein, das denn doch nicht.“ Darum ist die Zustimmung zum neuen Asylgesetz unerlässlich. Flüchtlinge sind aufzunehmen und Missbräuche zu verhindern. Aber Flüchtlinge ohne Papiere werden doch schlechter behandelt. Und viele echte Flüchtlinge haben keine Papiere. Flüchtlinge werden nicht schlechter behandelt. Übrigens: Echte Flüchtlinge – nicht irgendwelche Personen mit asylfremden Gründen – kommen heute zu 80 Prozent mit Papieren. Bei den anderen, die keine Flüchtlinge sind, ist es gerade umgekehrt. Auch in Zukunft wird kein wirklich bedrohter Flüchtling, der ohne Papiere kommt, abgewiesen werden. Aber alle diejenigen, die heute die Papiere vernichten, die Identität leugnen, falsche Angaben machen, nicht sagen wollen, wo und wie sie gekommen sind, damit sie hier bleiben können, obwohl sie kein Recht dazu hätten, müssen die Schweiz verlassen. Darunter sind leider viele Kriminelle, oft Drogenhändler. In diesen Fällen muss gehandelt werden können, ohne dass man die Flüchtlinge trifft. Das gewährleistet das neue Asylgesetz. Schüren Sie mit Ihrer Politik nicht Fremdenangst? Beschönigen bringt nichts. Schlimm ist es, wenn über die tatsächlichen Verhältnisse nicht gesprochen oder diese beschönigt werden. Viele, weniger bemittelte Schweizer erleben die Illegal-Anwesenden als Bedrohung. Sie leben auch täglich damit. Dies erzeugt Angst. Sie glauben, dass diese Personen vom Staat verhätschelt werden. Diese Menschen leben in einfachen Verhältnissen und erleben das Zusammensein mit diesen Fremden hautnah. Oft erleben sie viele Leute davon als Dealer oder als sehr gewaltbereit. Um Fremdenangst zu beseitigen, soll die Obrigkeit die Missstände nicht vertuschen, sondern die Probleme nennen. Darum haben die Leute auch das Verlangen, dass Probleme angegangen und gelöst werden. Das gibt Vertrauen und nimmt die Fremdenangst. Der neue Zürcher SVP-Präsident Hansjörg Frei sagt, die jetzt staatstragende SVP müsse anständiger, respektvoller politisieren. Eine Stiländerung? Ich schaue nicht in erster Linie auf den Stil, sondern auf die Substanz. Manchmal ist es unanständig gegenüber Missständen anständig zu bleiben. Als Oppositionspartei, was die SVP in den neunziger Jahren war, musste Sie provokativ auftreten. Ich bin glücklich, wenn dies nicht mehr nötig sein sollte. Also mehr Zurückhaltung, weniger Aggressivität, Stichwort Messerstecherplakat? Das besagte Plakat hat die Wirklichkeit symbolisiert und aufgerüttelt – Politiker, Strafverfolger, Richter. Es rief auf, Verantwortung zu übernehmen. Wer Verantwortung für ein Anliegen trägt, muss manchmal provozieren. Doch nicht jede Provokation macht Sinn. Es kommt auf das Motiv an. So wurde ich angefragt, ob es richtig sei, die viel besprochenen Karikaturen zu veröffentlichen. Meine Antwort: Der Staat hat dies nicht zu entscheiden. Er hat sich hier nicht reinzumischen. Es gilt die Rede- und Pressefreiheit und Sie hat allerhöchste Priorität. Als Privatmann gebe ich einem solchen Journalisten den Ratschlag: Wenn Sie mit der Veröffentlichung ein grosses Anliegen vertreten, dann müssen Sie’s machen. Aber wenn Sie’s tun, um eine Glaubensgemeinschaft zu verletzen, dann ist das ein schlechtes Motiv. Dann lassen Sie es besser sein. Aus einem guten Motiv geschieht selten etwas Schlechtes, umgekehrt aus einem schlechten Motiv selten etwas Gutes. Noch ein anderes politisches Feld: Vertreten Sie und ihre Partei ein konservatives Familienmodell? Müsste dann nicht auch ihre Tochter Magdalena zu Hause bei ihren kleinen Kindern bleiben? Die SVP glaubt, dass die Familie, wo Vater und Mutter für die Kinder gemeinsam sorgen, eine nicht überlebte Familienform ist. Sie wehrt sich dagegen, dass man versucht, diese traditionelle Familie schlechter zu stellen und vom Staat aus zu benachteiligen. Die SVP ist eine Mittelstandspartei mit vielen Selbständigerwerbenden und Familienbetrieben, bei denen die Frauen schon immer mitarbeiteten. Die SVP wehrt sich zum Beispiel gegen eine Benachteiligung der Familienfrau gegenüber der Frau, die ihre Kinder auf Kosten des Staates in die Krippe bringt, auch wenn Sie das finanziell nicht nötig hat. Aber die SVP ist auch eine freiheitsliebende Partei und schreibt den Leuten kein Familienbild vor. Jeder soll leben können, wie er will, nur die Verantwortung für die Kinder haben die Eltern zu tragen. Wenn das nicht mehr geht, weil es sich um einen schweren Sozialfall handelt, dann hat die Fürsorge einzugreifen. Meine Tochter und ihr Mann leben in einer traditionellen Familie, auch wenn beide berufstätig sind. Sie haben für ihre Kinder zu sorgen und ihre „Nanny“ selbst zu finanzieren. Was Kirchengremien momentan sehr beschäftigt, sind Probleme der Globalisierung. Wie stehen Sie dazu? Die Kirche beschäftigt sich mit allen, was Mode ist. Globalisierung ist eine Tatsache. Die Menschen reisen, gehen aufs Internet. Dass sie auch miteinander Handel treiben, ist ein Ausdruck davon. Damit hatte ich nie Mühe; schliesslich habe ich auch ein Unternehmen geführt, dass 90 Prozent der Produkte aus der Schweiz im Ausland verkaufte. Auch die Kirche schätzt es ja, wenn Grenzen fallen – der grösste Glo-balisierer war schliesslich der Apostel Paulus. Und manche Kirchenleute sind von allem Fremden gerade zu fasziniert. Ich bin allerdings für klar definierte Grenzen. Diese stecken Verantwortungsbereiche ab. In grenzenlosen Gebilden sind alle für alles verantwortlich, niemand für eine bestimmte Sache. Das gefällt Politikern. Das ist begreiflich. Sie betonen die personale Verantwortung: Typisch protestantisch? Auftrag und Verantwortung sind namentlich dort, wo geführt werden sollte, zentrale Begriffe. Sie liegen auch in der Tradition der grossen protestantischen Ethiker und eines Max Webers. Könnten Sie sich vorstellen, nach Ihrer Bundesratszeit eine leitende Funktion in der Kirche zu übernehmen? (lacht) Nein. Wenn ich manchmal als Prediger für einen Laiensonntag angefragt werde, antworte ich: Ich halte nur Vorträge. Predigen sollen die Pfarrer, aber die sollen dann auch wirklich predigen. Zur Zukunft der Kirche: Was denken Sie zu einer Trennung von Kirche und Staat? Ich glaube, eine Loslösung läge im Interesse der Kirche, die dann keine Rücksichten mehr auf den Staat nehmen müsste. Aber das ist keine zentrale Frage. An ihrer Beantwortung wird die Kirche nicht zugrunde gehen – ebenso wenig wie sie von der Kirchenobrigkeit, die nicht bei der Sache ist, zugrundegerichtet werden kann. Die Kirche ist nicht nur eine Organisationsstruktur: Die Kirche, von der die Glaubensbekenntnisse sprechen, ist eine allumfassende Gemeinschaft. Sie mag viele Fehlentwicklungen ertragen und wird überleben!

04.02.2006

Swisscom – Haltung des Bundesrates

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz vom 4. Februar 2006 in Stans (NW) 04.02.2006, Stans Stans, 4. Februar 2006. Christoph Blocher erläuterte anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz die Gründe und Auswirkungen des Bundesratsbeschlusses betreffend der Swisscom. Dabei ging er auf deren Auslandstrategie und das Risiko für den Bund ein, welches sich durch den grossen Bundesanteil ergäbe. Er thematisierte den Rücktritt des CEO’s, die verschiedenen Varianten des Verkaufs sowie die Sicherung der Grundversorgung. Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort Herr Parteipräsident Meine Damen und Herren Der Bundesrat hat in den vergangenen Monaten wegweisende Entscheide zur Zukunft der Swisscom gefällt. Er hat dies getan, nachdem er sich in den zwei vergangenen Jahren wiederholt mit der Beteiligung des Bundes an dieser Unternehmung befasst hatte. Ich werde Ihnen in meinem Referat darlegen, welche Beschlüsse der Bundesrat gefasst hat und welches die Gründe und Auswirkungen sind. 1. Ausgangslage Die Swisscom ist seit 1998 eine börsenkotierte Unternehmung. Der Bund hat seither stets einen Anteil von rund zwei Dritteln gehalten. Auf ihrem Höchststand war die Swisscom-Aktie im März 2000 über 750 Franken wert. Zu diesem Zeitpunkt entsprach der Bundesanteil mehr als 35 Milliarden Franken. Unterdessen – und bereits vor dem Beschluss des Bundesrates, die Swisscom zu verkaufen – ist dieser stolze Betrag auf rund die Hälfte geschmolzen. Die Aktienkurse der grossen Schweizer Unternehmungen sind im vergangenen Jahr um rund einen Drittel gestiegen. Der Kurs der Swisscom fiel um 7 %. Der Bund hat mit seinem Swisscom-Engagement massiv Vermögen verloren. Die Swisscom, welche aus einer Monopolsituation gekommen ist, ist vermehrt dem freien Markt und damit der Konkurrenz ausgesetzt. Darum kämpft sie gegen stagnierende Umsätze. Die Unternehmensleitung sah ihr Heil im Zukauf von grossen ausländischen Unternehmungen. Offenbar hatte man nichts gelernt aus den zahlreichen gescheiterten Auslandengagements: In Indien, Malaysia, Österreich, Deutschland, Tschechien und Ungarn. Dort hat die Swisscom Milliarden mit einer aggressiven und abenteuerlichen Auslandstrategie verloren. Der Bund als Eigentümer musste mit dieser Strategie ein gigantisches Risiko eingehen. Mit Sicherheit würde der Bund weit mehr haften als ein privater Aktionär. Zudem kommen alle Telekommunikationsunternehmen, so auch die Swisscom, in zunehmend schwierige Verhältnisse, da immer mehr leitungsunabhängige Technologien benützt werden. 2. Was hat der Bundesrat beschlossen? Im November 2005 standen die Verhandlungen zur Übernahme der irischen Gesellschaft Eircom durch die Swisscom kurz vor dem Abschluss. Auch für die dänische Gesellschaft TDC zeigte die Swisscom Interesse. Der Bundesrat – als Vertreter des Mehrheitsaktionärs Bund – musste rasch handeln, wenn er diese abenteuerliche Strategie verhindern wollte. Er wies nach gründlichen Diskussionen die Swisscom an, Investitionen in ausländische Telekommunikationsunternehmen zu unterlassen, was er später spezifizierte in „Telekommunikationsunternehmen mit Grundversorgungsauftrag“. Im Weiteren beschloss er, die Ausschüttungen zu erhöhen, um ein vernünftiges Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital zu erhalten. Gleichzeitig erkannte der Bundesrat, dass der Bund nicht der richtige Eigentümer einer Unternehmung ist, die international in grossem Umfang tätig sein will. Der Staat darf kein derart grosses unternehmerisches Risiko tragen. Er muss das Unternehmertum den Privaten überlassen. An einem Unternehmen, das im freien Markt steht, sollte es daher überhaupt keine Bundesbeteiligung geben. Deshalb beschloss der Bundesrat, die gesetzliche Verpflichtung abzuschaffen, wonach der Bund eine Mehrheitsbeteiligung an der Swisscom halten muss. 3. Wo stehen wir heute? Erfreulicherweise hat in der Zwischenzeit selbst der Verwaltungsrat der Swisscom eingesehen, dass der eingeschlagene Weg der Auslandexpansion ein zu risikoreicher Weg ist. Er hat die geplanten Akquisitionen darum annulliert. Er wird eine andere Strategie innerhalb der vom Bund festgesetzten Eckwerte ausarbeiten! Der Verwaltungsrat und der CEO haben sich konsequenterweise getrennt. Für die Ausschüttung der überschüssigen flüssigen Mittel kann der Bund – als Mehrheitsaktionär – sorgen. Damit steht von den Beschlüssen des Bundesrates einzig noch die Aufhebung der gesetzlichen Verpflichtung zur Mehrheitsbeteiligung zur Umsetzung an. Vor 10 Tagen hat der Bundesrat seine Vorschläge in die Vernehmlassung gegeben. Bis Anfang März haben alle Parteien, Verbände, Behörden und weitere Kreise die Möglichkeit, zur Vorlage Stellung zu nehmen. Die SVP tut gut daran, dieses Geschäft eingehend zu prüfen und ihre Vorschläge einzubringen! In dieser Vernehmlassung stellt der Bundesrat neben der Grundsatzfrage des Verkaufs Varianten zur Diskussion, wie sich der Bund von seinen Swisscom-Aktien trennen soll. Eine Möglichkeit besteht darin, nur die Hälfte der Aktien des Bundes zu verkaufen und die andere Hälfte dem Volk gratis zu verteilen und eine gewisse Zeit lang zu sperren. So würde das Bundesvermögen an diejenigen zurückbezahlt, welche diese durch die überhöhten Gebühren zur Monopolzeit der Swisscom geschaffen haben. Das Vermögen würde damit auch dem Einfluss der Politik entzogen. Es käme in den privaten Umlauf. Denn es darf nicht vergessen werden, dass diese Milliarden bei einer Verteilung ans Volk nicht einfach verloren gehen, sondern wieder in den privaten Sektor zurückfliessen. Dort sorgen sie für Konsum, für Arbeitsplätze, für Wirtschaftswachstum. 4. Sicherung der Grundversorgung Der Bundesrat hat sich auch die Frage gestellt, ob seine Beschlüsse Auswirkungen auf die Grundversorgung der Schweizer Bevölkerung mit Dienstleistungen der Telekommunikation haben. Der Bundesrat ist klar zum Schluss gekommen, dass die Grundversorgung auch ohne Bundesbeteiligung an der Swisscom vollumfänglich gewährleistet bleibt. Im Gesetz, in der Verordnung und in der Konzession ist die Grundversorgung im Detail geregelt und damit gewährleistet. An diesen Bestimmungen wird mit dem Verkauf der Swisscom kein Komma geändert. Zur Grundversorgung gehört demnach der Telefondienst genauso wie der Zugang zum Internet. Weiter ist sichergestellt, dass der Umfang der Grundversorgung regelmässig den Bedürfnissen von Gesellschaft und Wirtschaft und dem Stand der Technik angepasst wird. Die Grundversorgung wird heute bekanntlich durch die Swisscom erbracht. Die entsprechende Konzession ist bis Ende 2007 befristet und wird anschliessend neu ausgeschrieben. Auch andere, private Unternehmungen sind sehr interessiert, die Grundversorgung erbringen zu können. Das Interesse der Privaten beweist, dass auch die Erbringung von Grundversorgungsdienstleistungen wirtschaftlich attraktiv und daher gesichert ist. 5. Auswirkungen des Beschlusses Für die Swisscom bedeuten die Beschlüsse des Bundesrates vorerst eine Einschränkung, weil sie im Ausland nicht so tätig werden kann wie sie es wünscht. Diese Einschränkung gilt selbstverständlich nur so lange, als der Bund Eigentümer ist. Nachher ist es Sache der neuen Eigentümer, eine Strategie festzulegen. Es ist daher wichtig, dass sich der Bund schnell von der Swisscom trennt. Für den Bund bedeutet der Entscheid, dass er das unternehmerische Risiko nicht mehr tragen muss. Wir haben bei der Swissair gesehen, was es heisst, wenn man im Ausland Gesellschaften kauft, die unter der gleichen Schwäche leiden wie die eigene Gesellschaft. Ein Fall Swissair genügt. Dort besass der Bund nur 6%, bei der Swisscom sind es über 60%. 6. Schluss Der Bundesrat hat seine Beschlüsse zur Verselbständigung der Swisscom nach reiflicher Überlegung gefasst. Er entspricht bewährten unternehmerischen Grundsätzen und der politischen Haltung, welche die SVP seit Jahren konsequent verfolgt. Nun gilt es, den Kampf im Parlament und im Hinblick auf die Volksabstimmung weiterzuführen.

26.01.2006

Gedanken über das Verhältnis von Bürger und Staat am Vorabend von Mozarts 250. Geburtstag

Rede von Bundesrat Christoph Blocher bei der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft am 26. Januar 2006 in der Rathauslaube, Schaffhausen Schaffhausen, 26.01.2006. In seiner Rede bei der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft rühmte Bundesrat Christoph Blocher Mozart für seine positive Art, zu fühlen und zu denken, und nannte Mozart einen Menschen, der bedingungslos dem Leben zugewandt gewesen sei. Letzteres sei das Ziel – auch und gerade in der Politik. 26.01.2006, Schaffhausen Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort Sehr geehrte Damen und Herren I. Von Grundsätzen Ihr Schaffhauser Vortragszyklus hat sich viel vorgenommen: Die Veranstalter wollen grundsätzliche Gedanken hören und fragen nach dem Verhältnis von Bürger und Staat. Dies vorneweg: Ich bin ein Freund von Grundsätzen. Denn wer das Grundsätzliche nicht geklärt hat, kann im praktischen Fall nicht reüssieren. Er reagiert wie ein Fähnchen auf den kleinsten Windstoss und folglich nach allen Seiten. Das gilt übrigens nicht nur in der Politik, sondern überall: in der Unternehmensführung, im täglichen Leben, in der Erziehung von Kindern, bis hin zu den eigenen Sorgen und Schwierigkeiten. Ich verehre nicht viele Menschen über alle Massen. Aber Mozart gehört dazu. Zufälligerweise fiel die heutige Veranstaltung auf den Vorabend seines 250. Geburtstages. Diese Terminierung hat niemand so beabsichtigt. Darum nehme ich sie besonders ernst. Denn gerade diese Konstellation könnte Ausgangspunkt von ein paar – im besten Sinne – „abwegigen“ Gedanken sein. II. Was hat dies mit Mozart zu tun? Der Vortragszyklus fragt nach dem Verhältnis von Bürger und Staat: Was hat dies mit Mozart zu tun? Der Salzburger Musiker – so denken Sie wohl – ist doch ein völlig unpolitischer Mensch. Immerhin: Auch Mozart ist Bürger. Auch Mozart musste sich mit den staatlichen Gegebenheiten seiner Zeit abfinden. Schliesslich befanden sich sowohl der Bürger Mozart wie der Staat, in dem er damals lebte, in einem Spannungsverhältnis. Und in welchem Spannungsverhältnis! Viele der adeligen Regenten hielten sich ein paar begabte Menschen, die mit ihren Kunstwerken vor allem für eines sorgen sollten: den Glanz mehren; den Glanz der Fürsten und Bischöfe, den Glanz der Repräsentanten des Staates und der Macht. Nun, Sie sind ja nicht hierher gekommen, um über das Verhältnis von Bürger und Staat im 18. Jahrhundert belehrt zu werden. Doch Mozart ist eben Mozart. Seine Bedeutung ist heute noch überragender als damals! Seine Musik birgt auch eine grundsätzliche Botschaft über die Bürger und ihren Staat. Wie könnten wir ihn einfach ignorieren? Mozarts erster, längerer Arbeitgeber war der Erzbischof seiner Geburtsstadt Salzburg. Heute sind Salzburg und Mozart synonym geworden. Die Stadt ist stolz auf ihren berühmten Bürger. Doch trotz der heutigen Schwemme von Mozartkugeln und anderer verkaufbarer Devotionalien muss der Redlichkeit erwähnt werden, dass Mozart Salzburg und seine Bewohner von Herzen hasste! Er war froh, nach Wien entrinnen zu können und entsprechend aufschlussreich beschreibt Mozart in einem Brief am 9. Juni 1781, wie ihn ein Vertreter der Kirche mit einem Fusstritt aus dem Audienzsaal befördert hat, nachdem er um Entlassung aus den Diensten des damaligen Erzbischofs Colloredo gebeten hatte. III. Mozart und der Absolutismus Mozart lebte in einem absolutistischen Staat, insofern war er auch ein Kind des Absolutismus – was ihn für das heutige Vortragsthema so interessant macht. Denn in historischen Kategorien betrachtet, nimmt der moderne Staat seine Anfänge im Zeitalter des Absolutismus. In einer Epoche also, wo sich der Herrscher uneingeschränkte Macht anmasst und losgelöst von allen Gesetzen –„legibus absolutus“ – regiert. Der absolute Monarch verlangt nach einem starken Staat. Dies findet Ausdruck in einer Berufsarmee (die es zuvor nicht gegeben hat) und in den ersten Ansätzen einer modernen Verwaltung, die allerdings schon damals auf ihr – offenbar universales – Ziel ausgerichtet ist: Geldquellen erschliessen, Geld eintreiben, Geld verwalten, Geld umverteilen, Geld ausgeben. Dafür sorgen Beamte und dafür soll auch eine zunehmend dirigistische Wirtschaftsform sorgen. Ein solcher Staat braucht Geld. Viel Geld. Der ganze Apparat verschlingt Unsummen. Die Ausgaben explodieren: Innerhalb von neun Jahren steigt der französische Haushalt von 70 Millionen Livres (1669) auf 129,5 Millionen (1678). Wahrscheinlich denken Sie jetzt, solche Exzesse wären heute nicht mehr möglich. Da täuschen Sie sich: 1970 betrugen die Ausgaben des Bundes niedliche 8 Milliarden Franken. 1980 sind es bereits 17,8 (eine Verdoppelung in zehn Jahren!), 1990 31,6, 2000 47,1 Milliarden. Faktor sechs in nur dreissig Jahren. Der starke Staat kann nie so viel Geld bei den Bürgern holen, wie er ausgeben möchte und letztlich auch ausgibt. Das absolutistische Frankreich wird in Glanz und Gloria und Millionenschulden untergehen. Die Französische Revolution fegt die Monarchie weg. Mozart ist Zeitzeuge dieser Vorgänge. Mehr allerdings nicht. Der scheinbar desinteressierte Bürger Mozart stellt die Monarchie als solche nicht in Frage. Äusserlich! Wer Mozarts Musik hört, weiss: Innerlich – und bei der durch sie ausgelösten Resonanz zwangsläufig auch äusserlich - allerdings schon. Und in einer Wirksamkeit, die stärker und andauernder ist, als die der lautstarken Revolutionäre! Dies geschieht durch sein Leben und sein Talent selbst: In einer ständischen Gesellschaft, wo Ansehen und Stellung sich allein von der Geburt ableiten, verdankt er seinen Ruhm einzig und allein seinem Talent. Darin ist er wahrhaftig revolutionär. Oder um den Begriff Revolution in ein deutsches Worte zu fassen: ein Umwälzer. Mozarts Genie überwindet Standesgrenzen, denn für diese göttlichen Gaben darf es keine weltlichen Schranken geben. Und indem wir uns dem Menschen Mozart annähern, werden wir uns nicht nur der politischen Dimension, seiner Musik, sondern auch seinem Leben annähern - denn trotz der fast überirdischen Fähigkeiten bleibt Mozart Mensch. IV. Das Geheimnis Mozarts Welches ist das Geheimnis der in diesem Jubiläumsjahr so vielberufenen ‚Genialität’ Mozarts? Antwort kann uns nur seine Musik selbst geben. Hören wir zunächst den wohl bedeutendsten Theologen des letzten Jahrhunderts. Ich lesen Ihnen einen Satz vor, den Karl Barth 1956, also 200 Jahre nach dessen Geburt auf Erden – an Mozart im Himmel’ geschrieben hat: „Wenn immer ich Sie, lieber Mozart – höre, sehe ich mich an der Schwelle einer Welt versetzt, die bei Sonnenschein und Gewitter, am Tag und bei Nacht eine gute, geordnete Welt ist, und finde mich jedes Mal mit Mut (nicht mit Hochmut!), mit Tempo (keinem übertriebenen Tempo!), mit Reinheit (keiner langweiligen Reinheit!), mit Frieden (keinem faulen Frieden!) beschenkt. Mit Ihrer musikalischen Dialektik im Ohr kann man jung sein und alt werden, arbeiten und ausruhen, vergnügt und traurig sein, kurz: leben!“ „Kurz: leben!“ Merken Sie, dass uns Mozart jetzt unversehens schon dicht an das vorgegebene Vortragsthema herangeführt hat? Wenn es nicht nur in der Musik Mozarts, sondern auch – vielleicht erst recht? – im Staat und seiner Politik darum geht, dass man als Bürger leben kann? V. Fragen stellen Aber gemach! Ich will Mozart nicht verlassen. Irgendwo habe ich einmal gelesen, die entscheidende Triebfeder Mozarts sei seine ausgesprochene Neugierde gewesen (auch die Neugierde ist ein Impuls des Lebens und des Lebendigen); überall, wo Musik erklang, habe er wissen wollen, was es sei und warum es so sei und was darin noch alles stecken möge. Alles, was in seiner Zeit musikalisch zur Verfügung stand, hat Mozart unablässig in Frage gestellt. Spätestens jetzt merken wir, wie politisch Mozart ist! ‚In Frage stellen’ – ‚alles in Frage stellen’: Das haben Vorgesetzte – vor allem Politiker – normalerweise nicht gerne. Es ist höchst unbequem. Weil das dauernde in Frage stellen auch zur Zerstörung, zur Destruktion führen kann. Doch Mozarts ständige Infragestellung traditioneller Gegebenheiten hat alles andere als einen Trümmerhaufen angerichtet. Warum? Das liegt an seiner durch und durch positiven Art, zu fühlen und zu denken. Das eigentliche Motiv liegt nicht im Zersetzen-Wollen, sondern im genauen Gegenteil: Mozart gräbt die verborgenen Fälle aus und bringt sie zur Entfaltung. Das ist die Triebfeder seines kompositorischen Handelns. Das hat man sich als Politiker hinter die Ohren zu schreiben: Mehr Mut (keinen Missmut und keinen Hochmut), mehr Freude (keine läppische Ausgelassenheit), mehr Kraft (keine Kraftmeierei), mehr Reinheit (kein erstickender Purismus), ein besseres Tempo (kein übertriebenes Tempo) und ein besserer Friede (kein fauler Friede). Das lässt Mozarts Musik erklingen. Darin war seine Infragestellung eine schöpferische Tat! Warum soll das nicht für alle Lebensbereiche gelten können? Warum nicht insbesondere für das Verhältnis von Bürger und Staat? (Es ist wie bei einer Schülerprüfung durch den Lehrer. Die einen Lehrer stellen Prüfungsfragen, um die Schüler zeigen zu lassen, was sie wissen und können – die andern wollen in einer Prüfung sehen, was ihre Schüler nicht wissen und nicht können, also Versager sind. Das sei – so lehrt die biblische Theologie – der Unterschied zwischen der göttlichen Prüfung und der satanischen Versuchung. Es wäre wohl auch und gerade in der Politik auf diesen fundamentalen Unterschied aufmerksam zu machen!) Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang VI. Genau soviel wie nötig! Nochmals sei die Frage nach dem Motiv von Mozarts Tätigkeit gestellt. Nach der Uraufführung des Singspiels ‚Die Entführung aus dem Serail’ soll der Kaiser Joseph ll. bemängelt haben, es habe in dieser Musik ‚etwas gar viele Noten’, worauf Mozart ihm geantwortet habe: ‚Majestät, es sind genau so viele wie nötig.’ Mozart hätte auch die Achseln zucken können und irgend etwas von ‚künstlerischer Freiheit’ oder von modernen Usancen, wohl gar von Anti-Sparprogrammen, von persönlicher Entfaltung und anderem ideologischem Unrat reden können. Er aber sprach von dem, dem er Zeit seines Lebens treu geblieben ist, ‚bis in den Tod’: seinem Auftrag! – Ich meine: Bei Mozart darf man dies heute wohl sagen: seinem göttlichen Auftrag. Da kann keine Note zu viel sein. Diese Bestimmung und Bestimmtheit musste unweigerlich in einem schweren, bitteren Konflikt enden: dem Kampf der sachgemässen Auftragserfüllung gegen alles nur Prestigemässige, das der Auftragserfüllung immer radikal und erbittert im Wege steht. Mozart hat den Kampf verloren. Er ‚reüssierte’ nicht, starb an Überforderung und fand nur ein bald vergessenes Grab. VII. Auf der politischen Bühne Meine Damen und Herren, Was einem da im Blick auf die politische Bühne in den Sinn kommt, ist so massiv, dass sich jetzt der Stau nicht mehr zurückhalten lässt. Bürger und Staat haben mir fast mein ganzes Leben lang zu denken gegeben und ich habe dabei häufig und intensiv Mozart gehört. Jetzt, am Vorabend seines 250. Geburtstags, will ich, was ich politisch denke, im Lichte Mozarts sagen: 1. Der entscheidende Lebensbezug: Auf das Leben (die Wirklichkeit) kommt alles an! Denn nur das Leben selbst ist unser Auftrag! Gleichzeitig heisst dies Absage an alle Ideologien, Visionen und dergleichen mehr! 2. „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1. Thessalonicher 5,21) 3. Mit dem Auftrag anfangen, beim Auftrag bleiben, mit dem Auftrag aufhören. 4. Prestigefragen aller Arten sind ohne jeden Belang. 5. „… und setzt ihr nicht das Leben ein: nie wird euch das Leben gewonnen sein!“ Das, meine Damen und Herren, verkündet uns Mozarts Musik in einer beängstigenden Kraft – auch noch nach 250 Jahren! Nehmen wir Mozarts Botschaft als Bürger und Staat ernst und folgen wir seinem Anspruch. Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang VIII. Das Leben Auf das Leben (die Wirklichkeit) kommt alles an! Denn nur das Leben selbst ist unser Auftrag! Versuche zeigten: In U-Bahnhöfen sank die Verbrechensrate mit der „Kleinen Nachtmusik“! Nachweislich – (solchen Statistiken glaube ich gerne). Man mag zu Mozart nicht stehlen, prügeln oder gar morden. Woher kommt das Lebendige, Sprühende, Überschäumende? Vater Leopold tingelte mit dem kleinen Mozart durch halb Europa und präsentierte ihn als musizierendes Wunderkind. Irgendwann war das Wunder weg und es blieb das Kind. Seine Schwester schrieb: „Ausser Musick war und blieb er fast immer ein Kind; und dies ist ein HauptZug seines Charaktes auf der schattigten Seite.“ Vielleicht gäbe es ohne seine kindliche Sorglosigkeit dieses überwältigende Werk nicht. Mozart erfreut sich am Leben wie ein Kind. Im Kind und im Kindlichen pflanzt sich das Leben fort. IX. Prüfet „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1. Thessalonicher 5,21) Ein Umstürzler – wie gesagt – ist Mozart nicht. Auch kein Traditionsfresser oder Verächter des bereits Geschaffenen, Erhabenen, Schönen. Warum auch? Hätte er Grund gehabt, Bach zu verachten? Was er tat: Er hat das Bestehende erweitert. Die Französische Revolution hat Mozart nie selber kommentiert und wohl auch nicht begrüsst. Dazu widerstrebte ihm die Gottlosigkeit der Revolutionäre zu sehr. Nicht wenige seiner schönsten Werke huldigten keiner weltlichen Macht, sondern dienten einzig der Lobpreisung des Allerhöchsten. Allerdings entsprach ihm der aufklärerische Drang nach Freiheit. Er befreite sich immer wieder. Von Salzburg. Von allzu engen Konventionen der Kompositionslehre. Vom Vater. In seinen letzten Jahren blieb ihm sogar mehr Freiheit, als ihm lieb sein konnte: Aber einer Freiheit, die sich stets aus der Konsequenz seines Auftrages ergab. Es gehört ja zur bewunderten Tragik seines Lebens, dass er als ein in Freiheit verarmter Künstler endete. Als Mozart Salzburg endlich hinter sich lassen konnte, beschimpfte er den Erzbischof wenig zurückhaltend als „unthier“ und „erzlimmel“. Wobei auch der so beleidigte Geistliche durchaus auszuteilen wusste. Mozart sei ein „liederlicher Kerl“, ein „Lump“ und „Lausbub“. Ein „Lump“? Vielleicht. Ein „liederlicher Kerl“? Wahrscheinlich. Ein „Lausbub“? Ganz bestimmt. Noch in späteren Jahren bewahrte sich Mozart etwas Kindliches, manchmal auch Infantiles. Seine oft ins Obszöne kippende Sprache enthüllt diese pubertäre Lust, etwas Verbotenes zu tun oder zu sagen. X. Auftrag oder Prestige Mit dem Auftrag anfangen, beim Auftrag bleiben, mit dem Auftrag aufhören. Prestigefragen aller Arten sind ohne jeden Belang. Wer den Auftrag lebt, folgt eben nicht den Gesetzen der persönlichen Karriereplanung. Laut Mozarts Biographen Wolfgang Hildesheimer forderten Mozart „Amt und Rang und Titel nicht den geringsten Respekt“ ab. Was ihn interessiert, ist allein die Musik – und diese so erklingen zu lassen, wie sie erklingen musste. Soll denn das alles nur für die Musik gelten? Nein: grundsätzlich. Eben auch und vor allem für Bürger und Staat. XI. Und setzt ihr nicht das Leben ein… „… und setzt ihr nicht das Leben ein: nie wird euch das Leben gewonnen sein!“ Ja, Mozart stirbt im 35. Lebensjahr. Er eilte voran, als ob er insgeheim von seinem jungen Tod schon wüsste. In eine Zeit geboren, wo nicht Leistung, Talent und Fähigkeiten zählten, sondern Herrschergunst, Heuchelei und Servilität musste Mozarts Lebensführung scheitern. Er, der so unverstellt war und so vertrauensselig bis zur Naivität sein konnte. Dafür gewann er Unsterblichkeit. Heute ist im Hinblick auf Mozarts Geburtstag Vorabend – also kein „Mozarttag“. Auch das will beachtet sein. Ich will nämlich nicht etwa sagen, Mozart sei unser ‚Vorbild’ – auch nicht, er solle es sein. Dazu ist er zu ‚jenseitig’, als dass er von uns wie ein Vorbild ‚nachgemacht’, abgebildet werden könnte. (Schon gar kein „haushälterisches“ Vorbild. Er hat zwar gutes Geld verdient. In heutigen Massstäben ein Jahreseinkommen von mehreren hunderttausend Franken. Doch Mozart lebte gern und verschwenderisch, so dass er immer in Geldnöten steckte.) Aber das will ich sagen: Er ist unser Ziel – auch und gerade in der Politik! Er ist unser Ziel als Mensch, der bedingungslos dem Leben zugewandt ist. Damit klärt sich das Verhältnis von Bürger und Staat. Mozart ist unser Ziel, meine Damen und Herren! Und niemand tröste sich, es genüge, sich immer strebend zu bemühen – also immer ‚auf dem Wege’ zu sein. Niemand soll glauben, es genüge, sich mit einer reinen Weste stets in Sicherheit zu bringen! Niemand rühme sich, er sei ‚unterwegs’ und also eigentlich schon am Ziel! Denn es heisse doch, der Weg sei das Ziel… Ich sage Ihnen mit Nachdruck: Nicht der „Weg ist das Ziel’ – sondern das Ziel ist das Ziel!

21.01.2006

Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen… (… und tausend Vorschriften beachten)

Rede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des SVIT-Immobilien 21.01.2006, Pontresina Pontresina, 21.01.2006. Anlässlich des SVIT-Immobilien Forums referierte Bundesrat Christoph Blocher über Eigentum und Freiheit. Der Staat habe primär den Auftrag, Privateigentum zu schützen, da dieses die Voraussetzung für Wohlstand sei. Die im Referatstitel formulierten Lebensziele eines Mannes seien als generelle Aufforderung zu verstehen, etwas im Leben zu leisten. Eigentum und Freiheit Sie kennen alle die Geschichte von „Wilhelm Tell“. Von jenem rebellischen Bergbauern und Gebirgsjäger, der sich gegen die habsburgische Tyrannei auflehnte, bis er schliesslich den Reichsvogt Gessler ins Jenseits beförderte und damit seinen Landsleuten die Freiheit wieder brachte. Sie werden sich jetzt vielleicht denken, was hat Schillers Drama mit der Immobilienwirtschaft, dem 21. Jahrhundert und dem heutigen Forum zu tun. Mehr, als Sie auf den ersten Blick vermuten würden. Wie alle guten Geschichten kann man den „Tell“ ganz verschieden lesen: Einmal als eine kluge Studie darüber, dass Freiheit sich immer auch über die Eigentumsfrage definiert. Dass Freiheit eben auch den freien Zugang zu Eigentum meint und jeder ohne Einschränkungen über sein Eigentum verfügen kann. Es gibt aber auch Eigentum jenseits des profanen Materiellen. Im ausgehenden 13. Jahrhundert nahmen die neuen Herrscher den Eidgenossen ihre alten Rechte und beraubten sie damit ihrer Selbstbestimmung. Der Rechtsstaat stellt selber so etwas wie ein gemeinsamer Besitz dar, den sich die Bürgerinnen und Bürger eines Staates geben und gegenseitig schützen. Der zweite Diebstahl oder zumindest der zweite versuchte Diebstahl im „Tell“ lautet: Mit dem Gesslerhut, den jeder zu grüssen hat, will man den Eidgenossen noch zusätzlich ihre Würde nehmen. Ein Volk aber, das ohne eigene Rechte (also ohne Selbstbestimmung) und ohne Würde (also ohne Selbstachtung) dasteht, ist kein freies Volk mehr, sondern eine willfährige Masse im Spiel fremder Mächte. Was Sie als Vertreter der Immobilienwirtschaft vielleicht erstaunen mag, es geht im „Tell“ auch um die freiheitliche Garantie des Grundeigentums bzw. des Hauseigentums. Der brutale Herrscher Gessler kann die durch das Hauseigentum geschaffene Unabhängigkeit nicht dulden! Noch im ersten Akt des Stücks erzählt der angesehene Schwyzer Landmann Werner Stauffacher, der zufrieden vor seinem schönen, selbst erbauten Haus sitzt, seiner Frau Gertrud eine kleine Begebenheit: „Vor dieser Linde sass ich jüngst wie heute, Das schön Vollbrachte freudig überdenkend, Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg, Der Vogt mit seinen Reisigen geritten. Vor diesem Hause hielt er wundernd an, Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen, Der uns des Kaisers richterliche Macht Vorstellt im Lande. ‚Wessen ist dies Haus?’, Fragt’ er bösmeinend, denn er wusst es wohl. Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm: ‚Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers und Eures und mein Lehen’ – da versetzt er: ‚Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt, Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue Auf seine eigne Hand, und also frei Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande, Ich wird mich unterstehn, euch das zu wehren.’ Dies sagend ritt er trutziglich von dannen, Ich aber blieb mit kummervoller Seele, Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.“ Der Vogt will nicht, dass der Bürger ein eigenes Haus errichtet und folglich so lebt, „als ob er Herr wär in dem Lande“. Was uns auffällt an dieser kleinen, scheinbar nebensächlichen Szene: Jede Zwangsherrschaft zu jeder Zeit hat es auf das Eigentum der Bürger abgesehen. Die hier beschriebene Begegnung zwischen Landesherr und Untertan zeigt die feudale Struktur des Hochmittelalters, wo adelige Geschlechter die ehemals freien Bauern in ihre Abhängigkeit brachten. Doch selbst die französischen Revolutionäre, die ja unter dem Banner von Freiheit und Gleichheit ebendiese feudale Gesellschaftsordnung pulverisieren wollten, enteigneten im grossen Stil: Schon gut drei Monate nach dem Sturm auf die Bastille wurde das gesamte Kirchengut zum „Nationalbesitz“ erklärt. Durch den Verkauf dieser Güter wollten die Jakobiner eine Umschichtung des Landbesitzes erreichen – wobei am Ende die Kleinbauern trotzdem leer ausgingen! Halbtax-Sozialismus Das zwanzigste Jahrhundert wird den Totalitarismus auf die Spitze treiben. Wobei dem gesellschaftlichen Umbau immer ein radikaler Verlust von Eigentum und Eigentumsrechten voranging. Die Nationalsozialisten enteigneten die Juden und nannten diesen Raubzug beschönigend „Arisierung“. Der Sozialismus weitete die Enteignung auf sämtlichen Privatbesitz aus. Es ist nicht zufällig, dass Karl Marx in seinem „Kommunistischen Manifest“ die Enteignung des Grundeigentums als oberste und wichtigste „Massregel“ notierte. Sie ist Voraussetzung seiner sozialistischen Utopie – und ihr barbarisches Ziel zugleich. Woher kommt diese fast instinktive Feindseligkeit gegenüber dem Eigentum? Offensichtlich verschafft Eigentum dem Eigentümer ein Mass an Unabhängigkeit, das sich der staatlichen Bevormundung konsequent entziehen kann. Wer über die Bürger folglich uneingeschränkt herrschen will, muss sie in seine Abhängigkeit zwingen – indem er den Einzelnen seiner materiellen Freiheit beraubt. Das geschieht nicht notwendigerweise gewaltsam, sondern – noch viel öfter – schleichend, durch Gewöhnung, durch falsche Anreize, durch den steten Ausbau der staatlichen Tätigkeit, die sich in einer schlichten Zahl – der Staatsquote – ablesen lässt. Der Sozialismus strebt eine Staatsquote von hundert Prozent an. In der perfekten sozialistischen Gesellschaft gibt es keinen Privatbesitz mehr, weil jegliches Eigentum, ja jeder Lebensbereich staatlich organisiert ist. So sähe der Extremfall aus. Das Heimtückische am Sozialismus freilich ist, dass er sich auf leisen Sohlen, in kleinen, stetigen Prozentschrittchen auszubreiten vermag. Darum heisst die korrekte Frage nicht: Leben wir in einem sozialistischen Land? Sondern: Wie viel Sozialismus haben wir bereits verwirklicht? Heute verfügt der schweizerische Staat über fünfzig Prozent Ihres privaten Einkommens. Oder anders ausgedrückt: Wir haben einen Halbtax-Sozialismus. Das ist weniger lustig, als es klingen mag. Die direkten Steuern machen dabei nur einen relativ geringen Anteil aus. Indirekte Steuern, Zwangsabgaben, Prämien, Gebühren – ich nenne als Beispiel die Abgaben für Sozialversicherungen und Krankenkasse – sie bilden die grossen Brocken. Natürlich sind nicht alle indirekten Abgaben zwangsläufig. Sie könnten etwa ihren Konsum einschränken oder aufs Auto verzichten, dann sparen Sie auf alle Güter und Artikel die Mehrwertsteuer oder objektbezogene Sondersteuern. Wohin aber eine konsumkritische bis konsumscheue Haltung führt, sehen wir in Deutschland, wo schon seit Jahren ein Angstsparen die Binnenkonjunktur lähmt. Wenn Söhne zu Kindern werden… „Haus bauen, Sohn zeugen, Baum pflanzen“, so heisst eine alte, aufmunternde Redewendung. Ich habe diese als Titel meinem heutigen Referat vorangestellt. Es ist eine altmodische Aufforderung an den Mann, was er in seinem Leben erschaffen sollte. Doch der ursprüngliche, in dem Sinne auch originale Satz, hat die emanzipatorische Schleuse meines Sekretariats nicht unbeschadet überwunden. Im „Zuge der Gleichberechtigung“ – so der Antrag der Dame, die das Referat überarbeitete, lautet der offizielle Titel: Haus bauen Kind zeugen (statt Sohn) Baum pflanzen… (…und tausend Vorschriften beachten). Wenn schon die zeitgemässe Emanzipation einen zwingt, dieses alte Sprichwort abzuändern, habe ich mir erlaubt, eine ebenfalls zeitgemässe – und leider auch realitätsbezogene – Ergänzung anzubringen: „…und tausend Vorschriften beachten“. Meine Überlegung dazu: Wer auch immer diese Aufforderung beherzigt, merkt in unserer durchreglementierten Zeit sehr schnell, dass es gar nicht mehr so einfach ist, ein Haus zu bauen, selbst wenn man es wollte. Denn die Auflagen und Vorschriften, die dabei zu beachten sind, könnten einem die Lust auf ein Eigenheim gründlich vergällen. Wer schon gebaut hat, fragt sich, wer eigentlich wichtiger ist: der Architekt oder der Anwalt? Über die Vorschriftenwut im Bauwesen brauche ich Sie nicht im Detail aufzuklären. Ich will Ihnen ja nicht die Wochenendlaune und das schöne Engadin verderben. Grundsätzlich aber gilt: Der Ausbau von Regel- und Gesetzeswerken geht notwendigerweise einher mit der Beschränkung des freien Umgangs mit Eigentum. Das Eigentum an einem Grundstück würde ja insbesondere das Recht beinhalten, dieses Grundstück zu bebauen, zu verkaufen, anderen Recht daran teilhaben zu lassen, es zu vererben. Dieses auch vom Staat zugesicherte Recht wird aber gerade durch den Staat selber wieder nahezu marginalisiert: Mit dem offenbar uferlosen Ausbau von Vorschriften und Auflagen. Jedes Gesetz hat die Tendenz Freiheits- und Eigentumsrechte zu beschneiden. Darum ist die politische Grundausrichtung so folgenschwer. Der gute Politiker stellt die Freiheit ins Zentrum und damit das Interesse der Bürger: Denn diese sollen selber so weit wie möglich über ihr Leben verfügen – wovon sich aber auch immer eine Verpflichtung ableiten lässt: Freiheit fordert Eigenverantwortung. So sieht das Fundament einer liberalen Gesellschaft aus. Staat und Politik sind für den Bürger da und nicht umgekehrt. Grundeigentum sichert Grundrechte Eigentum ist wichtig für die Gesellschaft als Ganzes und den Einzelnen im Besonderen. Die Wichtigkeit für den Einzelnen wird auf Anhieb einleuchten. Warum aber auch für den Staat – die Gesellschaft als Ganzes? Weil: je mehr Eigentum vorhanden ist, desto grösser wird der gemeinsame Wunsch nach Stabilität, nach Rechtssicherheit, nach der Verlässlichkeit von Verträgen, nach demokratischen Verhältnissen. Wer etwas hat, kann auch etwas verlieren. Wenn viele besitzen, können auch viele ihren Besitz verlieren. Damit steigt das vereinte Interesse an einer funktionierenden Rechtsordnung. Das biblische „Du sollst nicht stehlen“ muss ergänzt werden: Auch Du, Staat, sollst die Bürger nicht bestehlen. Der Staat hat also primär den Auftrag das Privateigentum zu schützen und nicht, möglichst raffinierte Mittel und Wege zu finden, wie er dem Bürger das Eigentum wieder abluchsen kann. Wo sich jemand nicht an die biblischen Gebote hält – und wir können davon ausgehen, dass dies ab und zu vorkommt… – ist wiederum der Staat bzw. Polizei und Justiz gefordert, das Delikt zu ahnden. Es gibt keine intakte Rechtsordnung ohne Garantie des Eigentums. Je breiter Eigentum möglich ist, desto breiter ist der Konsens, das Eigentum durch einen demokratischen Rechtsstaat zu schützen. Privat-Eigentum ist die Voraussetzung für Wohlstand. Sie können weltweit leicht erkennen, welche Staaten erfolgreiche Volkswirtschaften gebildet und auf diesem Weg Wohlstand für einen grossen Teil ihrer Bevölkerung geschaffen haben und welche nicht. Erfolgreiche Staaten schützen und fördern das Eigentum und die Freiheit aller. Eigentum als Selbstvorsorge Warum ist das Eigentum für den Einzelnen so wichtig? Das Eigentum dient der Selbstvorsorge. Eigentum schafft persönliche Sicherheit. Eigentum führt zum mündigen, weil unabhängigen Handeln der Bürger. Man darf diesen Punkt nicht unterschätzen: Die materielle Unabhängigkeit kann – muss aber nicht – die geistige und politische Unabhängigkeit eines Menschen unterstützen. Das ist übrigens auch der Hauptgrund, warum wir in der Schweiz auf jeden Fall an einem Milizparlament festhalten sollten. Wir gehen doch von einer ganz anderen Voraussetzung aus, wenn Politiker von ihrem Amt nicht existenziell abhängig sind. Ein Politiker wird nur dann ohne Scheu Missstände anprangern, wenn er für die Politik lebt. Ich überlasse es Ihnen, zu untersuchen, wie viele von der Politik leben. Aufbauen – weiterbauen So ganz wörtlich sollte man Redensarten nie nehmen. Die im Referatstitel formulierten Lebensziele eines Mannes (Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen) sind als generelle Aufforderung zu verstehen, etwas im Leben zu leisten. Ich persönlich habe sehr spät ein eigenes Haus gebaut. Weil ich zuvor das ganze Eigentum in mein Unternehmen investierte. Was das Kind zeugen betrifft, habe ich die Aufforderung allerdings wörtlich genommen: Wir haben es sogar auf vier Kinder gebracht, die heute alle in der Wirtschaft arbeiten. Jedes wohnt in einer Mietwohnung, weil auch sie unternehmerisch tätig sein müssen. Die Geschäftsleitung meines ehemaligen Chemieunternehmens hat übrigens meine älteste Tochter inne (soviel zum Thema „Emanzipation“). Ein anderes Werk führt mittlerweile mein Sohn. Einen Baum gepflanzt habe ich für mich persönlich nie. Als ehemaliger Bauernlehrling jedoch schon. In meinem Bundesratsbüro hängt dafür das bekannte, monumentale Hodlerbild „Der Holzfäller“. Keineswegs (nur) zur Einschüchterung gedacht. Es zeigt aber, dass Führen und Entscheiden auch Kraft braucht! Wie der Holzfäller, nur in ganz anderen Zusammenhängen. Wer diese Kraftanstrengung scheut, hat noch nie wirkungsvolle Führungsverantwortung wahrgenommen – oder er wird längerfristig in seiner Funktion scheitern. Auch in der Funktion als Beschützer von Privateigentum; wie auch in der Funktion als Erzieher von Kindern, die in Freiheit und Selbstverantwortung aufwachsen sollen. Wohlstand schaffen Ja, ich strebe eine Gesellschaft an, welche wieder Respekt vor Leistung und Erfolg bezeugt. Darum auch mein Bekenntnis zur Freiheit und zum Eigentum. Beide sind Grundlage und Ausdruck einer leistungsorientierten Gesellschaftsordnung. Der Aufbruch der Schweiz zur Freiheit und Selbstverantwortung hat im 19. Jahrhundert aus einem an Ressourcen armen Land einen Staat mit allgemeinem Wohlstand geschaffen. Dass Wohlstand satt macht, dass ererbter Reichtum immer wieder neu erworben werden muss, zeigt ein anderes einfaches, aber nicht minder wahres Sprichwort aus Schottland: „Grossvater kauft. Vater baut. Sohn verkauft. Enkel geht betteln.“ Für die Schweiz sage ich es milder: Die erste Generation erschafft das Vermögen, die zweite Generation verwaltet es und die dritte studiert Kunstgeschichte. Ich hoffe, dass meine Nachkommen wenigstens als Ausnahme die Regel bestätigen. Uns Sie alle hier im Saal auch! Schaffen wir eine Ordnung, die jede Generation neu anspornt, unser Land aufzubauen und weiterzubauen – auf der Grundlage der Freiheit, der Selbstverantwortung, des Schutzes der Privateigentümer und persönlicher Leistung!