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21.04.2006

Kommunikation ist Marktwirtschaft

Rede von Bundesrat Christoph Blocher am Tag der Werbung / 81. Mitgliederversammlung der Schweizer Werbung vom 21. April 2006, Lake Side, Zürich 21.04.2006, Zürich Zürich, 21.04.2006. Am Schweizer Tag der Werbung nahm Bundesrat Christoph Blocher Bezug auf den Leitsatz des Verbandes "Kommunikation ist freie Marktwirtschaft" und rief dazu auf, die Marktwirtschaft und ihre grosse Bedeutung für die Güterversorgung der Menschen – also letztlich für die Wohlfahrt der Menschen – in den Mittelpunkt zu stellen. Der Staat habe in der Marktwirtschaft nichts zu suchen. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. "Kommunikation ist freie Marktwirtschaft" Wer immer die Homepage Ihres Verbandes besucht, wird von einem dominant platzierten Satz begrüsst. Dieser Satz steht zuoberst, unmittelbar neben dem Verbandslogo. Und welche Seite Sie auch zusätzlich auf dieser Homepage aufsuchen, der Satz bleibt stehen. Er ist gleichzeitig Begrüssung, Losung, ständiger Begleiter in einem; ich meine auch Mahnmal. Vielleicht fragen Sie sich neugierig: Welcher Satz steht denn da? Vielleicht haben Sie ihn schon oft gedankenlos gelesen. Es heisst dort: "Kommunikation ist freie Marktwirtschaft". 2. Einer Grundhaltung verpflichtet Sie denken jetzt vielleicht: Das habe ich gar nicht gewusst. Was nicht weiter tragisch ist. Ob Sie diesen Satz bewusst gespeichert haben, ist viel weniger entscheidend als die Frage, ob Sie ihn als Grundhaltung verinnerlicht haben. Erachten Sie es als eine Selbstverständlichkeit, dass Kommunikation – und damit Ihr ureigenstes Metier – nur in einer freien Marktwirtschaft bestehen kann? Denn es gibt in der Tat keine Kommunikation, keine Werbung, kein Marketing ohne eine freie Marktwirtschaft. Warum aber sprechen Sie – und wir alle immer wieder – von „freier“ Marktwirtschaft? Eine Marktwirtschaft definiert sich dadurch, dass sie frei von staatlicher Einflussnahme wirken kann. So wie ein Schimmel weiss und ein Rappe schwarz sind, muss die Marktwirtschaft per Definition frei sein. Eine regulierte Marktwirtschaft verdient ihren Namen nicht. Das Gegenteil der Marktwirtschaft ist die Planwirtschaft. – Niemandem käme es in den Sinn von staatlicher Planwirtschaft zu reden. Denn die Planwirtschaft ist immer staatlich, sonst ist sie keine Planwirtschaft. Und die Marktwirtschaft ist frei, sonst ist sie keine Marktwirtschaft. 3. Der Segen der Marktwirtschaft Diese Freiheit, welche die Marktwirtschaft erst ausmacht, ist gerade heute wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Der Staat hat in der Marktwirtschaft nichts zu suchen. Die Neigung der Politik, und namentlich der Politiker, in die Marktwirtschaft einzugreifen, war und ist gross. Immer wieder und überall versucht man diesen Markt zu "gestalten", zu formen, zu bemuttern. Ich denke an all die wohlgemeinten staatlichen "Förderungen", Unterstützungen, Umverteilungen, Vorschriften, Regulierungen, Ausgleichungen. Immer wieder soll der Mensch vor der Unbill des Marktes geschützt werden. Es ist Aufgabe unserer Zeit, wieder vermehrt die Marktwirtschaft und ihre grosse Bedeutung für die Güterversorgung der Menschen – also letztlich für die Wohlfahrt der Menschen – in den Mittelpunkt zu stellen. Vor lauter gut gemeintem, "sozialem", ideologischem Gebaren wird leicht vergessen, wie sozial die Marktwirtschaft an sich ist. Nur sie gewährleistet eine funktionierende Versorgung der Menschen mit Gütern. Wo sie nicht existierte (am konsequentesten wurde sie im Kommunismus bekämpft), gingen Staaten und Völker gleichermassen Bankrott. Die Aufrechterhaltung der Marktwirtschaft ist die soziale Forderung unserer Tage! 4. Der Markt als Feind Warum ist die Marktwirtschaft, zwar nicht als Einrichtung als solche, aber im politischen Alltag so unter Druck geraten? Ist es vielleicht deswegen, weil die Marktwirtschaft unbequem und anstrengend sein kann? Oder erträgt man sie darum nicht, weil die Marktwirtschaft Ungleichheiten schafft oder diese zumindest sichtbar macht? In einem öffentlichen Parkhaus finden Sie die Nobelkarosse neben einem Auto, das mehr einem aufgeblasenen Staubsauger als einem Fahrzeug ähnelt. Freiheit schafft in der Tat Verschiedenheit und führt zur Ungleichheit. Das ist so. Nur: Ist der Weg zur Gleichheit der bessere, der wünschbarere? Der frühere britische Premier Winston Churchill formulierte das Dilemma auf seine rotzig-intelligente Art: "Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die Verteilung der Güter (nicht an alle gleich viel). Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmässige Verteilung des Elends." Sie haben die Wahl. Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt: Dem Westen geht es so gut wie noch nie in der Geschichte. Nicht zuletzt wegen des Systems der Marktwirtschaft. Aber auch der Luxus – oder das, was unter Luxus verstanden wird – erfährt eine fortlaufende "Demokratisierung". Alte Unterschiede verschwinden, weil eine breite Bevölkerung an der materiellen Entwicklung teilnehmen kann, nur manchmal mit etwas Verzögerung. Was vor wenigen Jahrzehnten noch ein exklusives Gut war – etwa ein Auto, ein Fernseher oder ein Kühlschrank – gehört heute in den Katalog der Selbstverständlichkeiten. Doch trotzdem: Freiheit schafft Ungleichheit. Die Freiheit lässt dem Menschen eben die Wahl, wodurch er selig werden will. Die Marktwirtschaft begünstigt auch den Tüchtigeren. Derjenige, der ein besseres Produkt erfindet, produziert und verkauft, wird belohnt. Das schlechtere Produkt bleibt auf der Strecke. Einziger Massstab des Erfolges ist das Bedürfnis der Kunden. Die Befriedigung der Nachfrage! Die modernen Gegner der Marktwirtschaft stossen sich gerade daran, denn der Markt ist in dieser Hinsicht tatsächlich gnadenlos und kennt keine Moral. Das mag im ersten Moment erschrecken. Das Positive daran ist: Der Markt kennt auch keine Rassen, keine Religionen, keine politischen Wertungen. Denn der Markt kennt nur ein Gesetz: Angebot und Nachfrage. Qualität und Preis. Ob jemand zu Allah, Christus oder Jehova betet, interessiert den Markt keinen Deut. Der Bessere möge gewinnen. Wer auch immer der Bessere ist. Und es ist jedem überlassen, auf welche Weise er besser sein will als sein Konkurrent. Dies mag vielen zu archaisch klingen. Es klingt nach "der Stärkere setzt sich durch", nach Sozial-Darwinismus. Darum möchte man hilfreich eingreifen. Nicht etwa um einem Armen persönlich zu helfen, sondern um umzuverteilen, staatlich zu fördern, zu lenken, auszugleichen! Das ist interessant für die Politiker, denn je grösser das Umverteilungssystem wird, desto grösser wird die Macht der Politik. Wer umverteilt, hat Macht. Er weist den einen etwas zu, nimmt anderen etwas weg und diejenigen, denen er zuteilt, werden an der Urne seine Macht stärken. Sagen wir es offen: Unter dem Deckmantel der Gleichheit haben wir es mit einer kaum kaschierten Form der Korruption zu tun. Doch die Erfahrung zeigt: Dieses Prinzip führt ins Elend. 5. Kommunikation Sie haben als Ihren Leitsatz: "Kommunikation ist freie Marktwirtschaft" gewählt. Ich drehe diesen Satz um: Ohne Kommunikation gibt es keine Marktwirtschaft. Wie ist es möglich, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, ohne dass diese wissen, welche Produkte überhaupt im Angebot sind? Wie soll Nachfrage entstehen, wie soll jemand entscheiden können, ohne dass er über die Qualität, den Preis, die Vorzüge, Nachteile und Unterschiede informiert wird? Diese Informationen können nur über die Werbung oder eine andere Form der Kommunikation an die mögliche Kundschaft gelangen – ohne Kommunikation gibt es keine funktionierende Marktwirtschaft. Auch anderes nicht, etwa keine Demokratie. Denn sowohl die Marktwirtschaft wie die Demokratie setzen Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit, Rede- und Pressefreiheit, Freiheit für die Werbung voraus. Diese Freiheiten gilt es auch heute wieder mit Nachdruck zu betonen. Zwar sind sie nicht öffentlich als Institutionen in Frage gestellt, aber auch die bürgerlichen Freiheiten werden schleichend untergraben. Darum ist Ihr Leitbild "Kommunikation ist (freie) Marktwirtschaft" höchst aktuell und höchst bedeutsam. Denken Sie im politischen Bereich an die Islam-Karikaturen. Denken Sie an all die Zensurversuche bei politischen Inseraten, an die Einschränkungen von Fernsehwerbung, der Zigarettenreklame und vielem mehr. Die Bevormundung der Bürger hat nie zu guten Resultaten geführt, aber sie wird dauernd moralisch begründet. 6. Reglementierte Sprache Die sozialistischen Staaten des Ostens sind untergegangen. Aber der Sozialismus lebt weiter. Auch bei uns. Er handelt einfach verdeckter. Die Ziele sind dieselben geblieben: Verstaatlichung, Bevormundung, Umverteilung. Schlussendlich will der Sozialismus die Freiheit und damit auch die Marktwirtschaft aushebeln. Das läuft über den Moralismus und zeigt sich zum Beispiel in der Sprache. In der Kommunikation. Wenn Ihr Verband schreibt "Kommunikation ist freie Marktwirtschaft", dann müssen wir uns fragen, was passiert mit einer Marktwirtschaft, in der die Kommunikation mit einer Vielzahl von Auflagen und Tabus belegt wird. Eigentlich führt eine "geregelte" Kommunikation zu einer "geregelten" Marktwirtschaft. Das klingt alles noch wenig gefährlich, sondern scheint sogar vernünftig und besonnen zu sein. Aber schauen Sie genau hin: Die geregelte Sprache heisst heute neudeutsch political correctness und ist nichts anderes als der Versuch, über die Sprache die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zu bevormunden. Ein solches Unterfangen zerstört letztlich die Grundlagen einer freiheitlich organisierten Gesellschaft. Unter dem Vorwand der Volkserziehung – es wollen ja alle nur das Beste für die Menschen, besonders die Ideologen – greift der Staat immer mehr in die Sphäre der bürgerlichen Freiheiten ein. Im Zweifelsfall sollte man sich immer für die Freiheit entscheiden. Es ist den Menschen in der Regel weit mehr zuzutrauen als die Politik glaubt. 7. Auch der Bundesrat ist gesponsert Wie ich gesehen habe, steht auf Ihren Tagungsprogrammen jeweils, welche Firma den Auftritt eines Künstlers bezahlt hat. Oder von wem der Apéro finanziert ist. Da soll bloss keiner schnöde die Nase rümpfen wegen dieses Sponsorings. Sie praktizieren im Prinzip nur, wofür Ihr Berufsstand steht. Das kann man nicht von jedem Berufsstand behaupten. Ich persönlich bin über jede Veranstaltung im Land froh, die sich selber finanziert und nicht durch den Bund unterstützt werden muss. Sonst kommt jeweils sofort der Bundesfaktor ins Spiel. Und wie wir bei der Fussball-EM 08 gesehen haben, kann der ziemlich hoch sein. In Ihrem Programm fehlt beim Programmpunkt "Referat des Bundesrates" ein solcher Sponsorenhinweis. Vielleicht sind ja Bundesräte nicht zuletzt deshalb so beliebt als Vortragende, weil Bundesräte ohne Honorar reden und dadurch auch keinen Sponsor brauchen. Das stimmt so leider nicht. Bundesräte sind nicht gratis. Eigentlich müsste in Klammern noch stehen: Dieser Auftritt wird freundlicherweise durch den Steuerzahler ermöglicht. Ich danke Ihnen.

12.04.2006

Drogenpolitik. Zwischen Verharmlosung und Hysterie.

Rede von Bundesrat Christoph Blocher bei der Berufs- / Mittelschule Pfäffikon, SZ, 12.04.2006. Bundesrat Christoph Blocher forderte die Berufs- und Mittelschüler von Pfäffikon zu mehr Verantwortungsbewusstsein auf - im Generellen und im Speziellen in Bezug auf den Konsum von Betäubungsmitteln. 12.04.2006, Pfäffikon Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Was Schüler nicht hören möchten Bevor man zu einem Publikum spricht, sollte man sich stets gut überlegen, wen man vor sich hat und was man mitteilen möchte. Was aber mindestens so wichtig ist: Ein Redner muss auch bedenken, was man nicht sagen sollte. Thematisch dreht sich mein Referat um Drogen, um Suchtprobleme, um den richtigen Umgang mit Rauschmitteln. Mein Problem liegt darin, dass ich keinen direkten Einblick in Ihre Erfahrungswelt mitbringe. Ich kann mich auf Untersuchungen stützen, auf Medienberichte oder auf das, was Experten – auch aus meinem Departement – mir zutragen. Trotz aller Fülle von Informationen bleibt Ihre Welt für mich eine fremde Welt. Sie wachsen in einer vollkommen anderen Umgebung auf als ich, ja sogar als meine Kinder. Darum habe ich das Gespräch mit einem Lehrer geführt, der Jugendliche in Ihrem Alter unterrichtet. Er hat darauf seine Schüler gefragt: Worüber würden Sie gerne etwas erfahren von einem Politiker, der ein Justiz- und Polizeidepartement führt und folglich mit Betäubungsmittelgesetzen beruflich zu tun hat? Unter anderem konnten die Jugendlichen aufschreiben, was sie auf keinen Fall in einer Politiker-Rede über Drogen und Sucht hören möchten. Ich gehe davon aus, dass die Antworten auch auf Sie einigermassen zutreffen: „Ich möchte, dass uns erspart bleibt anhören zu müssen, dass die heutige Jugend sowieso viel schlimmer ist als früher.“ „Probier das ja nie aus! Du wirst es ein Leben lang bereuen.“ „Die heutige Jugend… bla bla bla … - als ob wir schlechter sind als die Jugend von gestern.“ „Drogen sind schädlich, die darf man nicht nehmen.“ „Wenn der Redner versucht, sich in uns hineinzuversetzen. Beziehungsweise sagt, ich weiss, dass ihr euch momentan in einer schwierigen Phase befindet. – Oder versucht uns zu verstehen.“ „Wir wissen schon, dass Nikotin und zu viel Alkohol schädlich ist, das muss man uns nicht mehr sagen.“ „Dass sie früher weniger gesoffen und geraucht hätten.“ „Suchtmittel sind ungesund und ihr dürft sie nicht konsumieren! Das schadet eurer Zukunft. – Ja, das wissen wir doch schon.“ 2. Keine Anbiederei Wenn ich mir die Liste so anschaue, dann wird eines klar: Sie wollen keine Zeige-finger-Predigt hören. Sie wollen auch nicht, die Vergleiche mit früher hören. Sie wollen nicht hören, was Sie längst wissen. Sie wollen nicht, dass der Redner sich in Ihre Lage hineinversetzt. Gut. Jetzt frage ich mich: Wollen Sie überhaupt etwas hören? Wenn ich Ihnen eingangs sagte, man müsse sich immer gut überlegen, was das Publikum hören oder eben nicht hören möchte, dann meine ich damit keineswegs, dass man den Leuten einfach nur nach dem Mund reden soll. Auf billige Zustim-mung aus sein kommt nie an. Doch zurück zu den Schülerantworten. Ein Mädchen hat geschrieben, sie möchte keinesfalls hören: „Drogen sind schädlich. Die darf man nicht nehmen.“ Sie werden verstehen, dass ich das Gegenteil auch nicht vertreten kann, im Stil von „Drogen sind gesund. Besorgen Sie sich so viel davon, wie Sie nur bekommen.“ Aus einem einfach Grund: Drogen sind tatsächlich schädlich. Das kann Ihnen jeder Mediziner sehr anschaulich und sehr eindrücklich aufzeigen. Wir alle wissen, wie eine Sucht einen Menschen Schritt für Schritt zerstören kann. 3. Was man darf und was nicht Kommen wir zum zweiten Teil der Aussage obiger Schülerin, kommen wir zum „dürfen“ bzw. „nicht dürfen“. Was die Gesetze betrifft, wissen Sie genauso gut Be-scheid wie ich. Es gibt legale Substanzen und verbotene. Was verboten ist, ist verboten. Punkt. Dass schwere Suchtmittel wie Heroin oder Kokain verboten sind, jeglicher Konsum oder Handel damit strafbar ist, muss ich Ihnen nicht sagen. Dass diese Mittel sehr schnell und sehr konsequent abhängig machen, wissen Sie und wollen Sie vielleicht nicht hören. Ich sage es trotzdem: Wer mit solchen Dro-gen hantiert, zerstört seine Existenz. Nicht nur das. Er schädigt auch seine Um-welt. Seine Familie, seine Freunde und wird nicht selten zur kostspieligen Last für die Allgemeinheit. Wer nur auf sein angebliches Recht auf Rausch pocht, handelt als rücksichtsloser Egoist. Viel interessanter für Sie wird es, wenn wir auf den rechtlichen Status von Canna-bis zu sprechen kommen. Hier müssen wir uns nichts vormachen: Die Gesetze sagen etwas anderes, als wie sie gehandhabt werden. Cannabis ist verboten, doch wird weder der Besitz kleiner Mengen noch der Konsum bestraft. So ist die Realität und mit dieser verworrenen Situation müssen Sie klar kommen. Wir Politi-ker übrigens auch. Es wird mittlerweile schon ein paar Jahre über die Legalisierung von Cannabis debattiert. Und es wurde sogar kürzlich erfolgreich eine Volksinitiative dazu einge-reicht. Ob das klug ist oder nicht, ob damit eine Verbesserung erzielt werden kann, will ich an dieser Stelle nicht erläutern. Aber auf eine Sache möchte ich hinweisen: Dass in absehbarer Zeit die Schweizerinnen und Schweizer – also auch Sie – über die Legalisierung von Cannabis an der Urne abstimmen können, gibt es sonst nir-gendwo auf der Welt. Nur in der Schweiz kennt man das Recht, dass jeder Bürger eine Initiative starten kann, um ein Gesetz in seinem Sinn abzuändern. 4. Alkohol und Nikotin Wir wollen uns heute aber nicht mit einer möglichen Zukunft befassen. Sondern mit der Gegenwart. Und was uns beschäftigt im Zusammenhang mit jungen Men-schen, ist vor allem der Umgang mit Nikotin und Alkohol. Seit ein paar Monaten gibt es keine Raucherabteile mehr in den Zügen. In öffentli-chen Gebäuden darf nicht geraucht werden. Wie es an Ihrer Schule ausschaut, weiss ich nicht. Im Kanton Tessin haben die Stimmberechtigten kürzlich überra-schend hoch einem Rauchverbot in allen Restaurationsbetrieben zugesagt. Auf die Frage, ob Nikotin und Alkohol in den Bereich der Suchtmittel gehören, meinte ein Schüler kurz und bündig: „Es kommt drauf an, wie man mit dem Zeugs umgeht.“ So ist es. Der frühere englische Premier Winston Churchill, der Zigarren liebte, meinte: „Ein leidenschaftlicher Raucher, der immer von der Gefahr des Rauchens für die Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.“ 5. Die Einsamkeit ertragen können Warum nimmt ein Mensch Drogen? Ihre Altersgenossen nannten Gründe wie Stress, Probleme zu Hause, Coolness, Gruppendruck, Spass, Entspannung, Neu-gier, zur Enthemmung, Unzufriedenheit mit sich selber und der Welt, Ablenkung, Ausgang. Was dabei auffällt: Der Konsum von Rauschmitteln ist oft nicht ein Entschluss von innen, sondern durch Faktoren von aussen bestimmt. Ich glaube, ein un-abhängiges Leben sieht anders aus. Sie haben es doch auch nicht gerne, wenn Sie bevormundet werden, wenn Ihnen alles vorgeschrieben wird, was Sie zu tun und zu lassen haben. Aber genau das passiert bei der Sucht: Es sind plötzlich die Drogen, die über ihr Leben bestimmen und nicht mehr Sie selber. Es ist nicht der Staat, der Sie vor einem Drogenabsturz bewahren kann. Auch nicht die Schule oder die Suchtmittelprävention oder die Eltern, die Freunde oder ein Bundesrat. Ganz am Ende tragen Sie alleine den Entscheid und damit die Verantwortung über Ihr Leben. Wissen Sie, ich kenne diese Momente auch. Nicht, dass mir jemand im Parlament je einen Joint angeboten hätte. Rauschmittel waren in meinem Leben kein Thema. Aber ich kenne das Gefühl sehr wohl, sich entscheiden zu müssen. Das musste ich als Unternehmer sehr oft und ich spürte die Verantwortung für 2'700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und ich kenne diese Einsamkeit in der Politik, wo man sich laufend entscheiden muss und die Ent-scheide dann auch durchzusetzen hat. Diese Einsamkeit müssen Sie ertragen können. All die Gesetze, die ganze Präventionsarbeit, die Aufklärung durch Schule und El-tern, alles, was Sie in Ihrem Leben erfahren, befreit Sie nicht von der Tatsache, dass am Schluss Sie selber entscheiden, ob Sie sich auf Drogen einlassen. Sie haben die Wahl. Es liegt an Ihnen. Ich kann Ihnen nur sagen: Entscheiden Sie richtig.

08.04.2006

Asyl- und Ausländergesetz – Die Haltung des Bundesrates

Schriftliche Kurzfassung der Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP vom 8. April 2006 in Maienfeld 08.04.2006, Maienfeld Maienfeld, 8.4.2006. In seinem Referat anlässlich der SVP-Delegiertenversammlung ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Unzlänglichkeiten in der heutigen Ausländer- und Asylgesetzgebung ein. Unter anderem bemängelte er die häufig schlechte Integration von Ausländerinnen und Ausländern, sowie zu wenig gesetzliche Mittel bei den Zwangsmassnahmen im Asylbereich. Diese Probleme würden mit der Revision des Ausländer- und des Asylgesetzes zielgerichtet angegangen. Es gilt das gesprochene Wort Schriftliche Kurzfassung der Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP vom 8. April 2006 in Maienfeld. 1. Das neue Ausländergesetz (AuG) Die Schweiz hat heute mit 20 Prozent einen der höchsten Ausländeranteile. Jeder vierte Arbeitsplatz wird von einer Ausländerin oder einem Ausländer besetzt. Das Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung funktioniert im Grossen und Ganzen gut. Dennoch bestehen Probleme, die mit dem neuen AuG gelöst werden. Das Freizügigkeitsabkommen mit der EU und der EFTA regelt den Personenverkehr mit diesen Staaten umfassend. Das neue Ausländergesetz gilt daher nur für Personen ausserhalb von EU und EFTA. Was funktioniert heute im Ausländerbereich nicht? - Die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung ist mangelhaft; - die Arbeitslosigkeit unter den Ausländerinnen und Ausländern ist zu hoch; - dies gilt auch für die Straffälligkeit und die Zahl der IV-Bezüger. Was sind die Ursachen? - Zu viele illegal Anwesende und Asylsuchende, die keine Asylgründe haben; - schlecht qualifizierte ehemalige Saisonniers aus früheren Jahren und schlecht integrierte ausländische Jugendliche mit schulischen Schwierigkeiten; - lückenhafte Grenzkontrollen und Kriminaltouristen. Was können wir dagegen unternehmen? Mit der Revision des Ausländergesetzes können die bestehenden Schwierigkeiten zielgerichtet angegangen werden: - durch eine beschränkte Zulassung von gut qualifizierten Arbeitskräften; - mit Massnahmen gegen Missbräuche, z.B. Scheinehen; - mit einem früheren Familiennachzug und damit verbesserter Integration; - mit einer Vereinfachung des Berufs-, Stellen- und Kantonswechsels nach der Zulassung und einem vereinfachten Bewilligungsverfahren 2. Die Teilrevision des Asylgesetzes (AsylG) Ende Februar 2006 befanden sich über 47'000 Personen aus dem Asylbereich in der Schweiz. Davon sind rund 25'000 Personen vorläufig aufgenommen. Über 9'500 Personen müssen die Schweiz verlassen. Für über 6'500 von ihnen müssen Papiere beschafft werden. Diese immer noch zu hohen Vollzugszahlen zeigen klar auf, dass auch im Asylbereich Handlungsbedarf angezeigt ist. Was funktioniert heute im Asylbereich nicht? - Tatsache ist, dass eine Mehrheit der Asylsuchenden keine Asylgründe vorbringen kann; - viele der Asylsuchenden geben keine amtlichen Identitätspapiere ab und erzwingen so den Aufenthalt in der Schweiz, da sie mangels Papieren trotz eines negativen Asylentscheides nicht in den Heimatstaat zurückgeführt werden können; - die Kantone beklagen sich, dass Asylsuchende die Ausschaffungshaft in Kauf nehmen, weil sie nach 9 Monaten bereits wieder entlassen werden müssen; - auch mit den übrigen heute bestehenden Zwangsmitteln ist es schwierig, ausreisepflichtige Asylsuchende zur Zusammenarbeit zu bewegen; - viele der Asylsuchenden nutzen die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel selbst in offensichtlich hoffnungslosen Fällen. Was sind die Ursachen? - Zu viele Asylsuchende, die keine Asylgründe haben, geben keine Reise- oder Identitätspapiere ab; - zu wenig gesetzliche Mittel bei den Zwangsmassnahmen; - zu lange Asylverfahren vor allem in zweiter Instanz; Was können wir dagegen unternehmen? Damit die bestehenden Probleme im Bereich der Wegweisungen gelöst werden können, brauchen wir das revidierte Asylgesetz. Dieses sieht folgende Verbesserungen vor: - Asylsuchende, die ohne Grund keine Reise- und Identitätspapiere abgeben, sollen einen Nichteintretensentscheid erhalten; Asylgesuche von tatsächlich verfolgten Personen oder von Personen, bei denen noch weitere Abklärungen gemacht werden müssen, werden jedoch nach wie vor materiell behandelt, auch wenn sie keine Papiere vorweisen können. - Einführung neuer Zwangsmassnahmen, wie z. B. die Verlängerung der Ausschaffungshaft von 9 auf 18 Monate und die Einführung der Durchsetzungshaft bis zu maximal 18 Monaten. Diese Massnahmen sollen den Kantonen, die für die Wegweisung zuständig sind, für die allerschwierigsten Fälle griffigere und effizientere Mittel geben. - Einführung von Gebühren bei Wiedererwägungs- und Zweitgesuchen. - Ausdehnung des Sozialhilfestopps auf alle Personen mit einem rechtskräftigen negativen Entscheid, die die Schweiz verlassen müssen. Neu sollen auch diese Personen nur noch Nothilfe erhalten. - Weitere Massnahmen zur Beschleunigung des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens, damit unbegründete Asylgesuche rasch entschieden werden können. Ein weiteres Ziel der Teilrevision ist es, die Rechtstellung derjenigen Personen zu verbessern, die voraussichtlich für eine längere Zeit in der Schweiz bleiben werden: - Diese sollen durch eine verbesserte vorläufige Aufnahme einen erleichterten Zugang zur Erwerbstätigkeit erhalten und ihre Familie nach drei Jahren nachziehen können. Mit dieser Neuerung werden diese Personen besser integriert und die Sozialhilfekosten gesenkt. - Zudem sollen mit der neuen Härtefallregelung die Kantone die Möglichkeit erhalten, unabhängig des Verfahrensstandes einer gut integrierten Person eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.

17.03.2006

«Ich kann nicht mal Schreibmaschine schreiben»

Gestern stellte sich Bundesrat Christoph Blocher im eTalk von 20minuten.ch den Fragen der User. 17.03.2006, eTalk mit 20minuten Rother: Herr BR Blocher, wieviele Leute haben Sie bis heute arbeitslos gemacht? Blocher: Noch keine. Aber in meinem Leben für sehr viele gesorgt, dass sie Arbeit haben. swerner: Können Sie inzwischen einen Computer bedienen? Blocher: Nein, leider nicht. Ich kann nicht einmal Schreibmaschine schreiben oder eine Rechenmaschine bedienen. Obwohl ich mein ganzes Leben als Unternehmer mit Zahlen zu tun hatte. ale66: Mich interessiert, was Sie eigentlich gegen Asylanten haben. Blocher: Wie kommen Sie auf die absurde Idee, ich hätte etwas gegen Asylanten? Aber ich habe sehr wohl etwas gegen den Missbrauch unseres Schweizer Asylrechts. Verfolgte Menschen, das heisst echte Flüchtlinge, werden in unserem Lande aufgenommen und das soll auch so bleiben. Echte Flüchtlinge aufnehmen, Asylrechtmissbrauch verhindern: Wenn Sie das wollen, müssen Sie dann im Herbst Ja stimmen zum neuen Asyl- und zum neuen Ausländergesetz. seegras: Immer mehr Junge werden zu IV-Rentnern. Welche Massnahmen schlagen Sie vor? Blocher: Zunächst in der Erziehung dafür sorgen, dass die Jungen psychisch und physisch eine gewisse Robustheit haben. Damit sie die Härten des Lebens besser ertragen können. Schwierigkeiten muss man nicht beseitigen, sondern überwinden lernen. Aber man muss auch nicht dafür sorgen, dass jede kleinste Unbill schnell zum Invaliditätsfall erklärt wird. seegras: Glauben Sie, dass die Ärzte die Patienten zu schnell zu IV-Rentnern machen und Ihnen auf Wunsch alles unterschreiben? Blocher: Ja. Es gibt tatsächlich viele solche Ärzte, wie mir Ärzte auch immer wieder schreiben. Dazu kommen noch die Anwälte, welche solche Wege finden. Die neueste IV-Revision will hier Verbesserung schaffen. jojo2000: Sehen Sie irgendeinen Vorteil in einem EU-Beitritt der Schweiz? Blocher: Ja, kleine Vorteile hat es. Sie müssen dann nicht mehr das Geld wechseln, wenn es keinen Franken mehr gibt. Aber die Nachteile sind riesig. seemann: Beim Pitbull-Verbot argumentieren Sie juristisch. Geht es nicht einfach darum, die Kinder vor Kampfhunden zu schützen? Blocher: Doch, doch, es geht darum. Aber wenn der Staat etwas macht, muss er stets fragen, ob eine gesetzliche Grundlage besteht, denn nur dann darf eine Regierung handeln. Wir wollen auch nicht wahllos irgendwelche Hunde verbieten, sondern die Leute vor gefährlichen Hunden schützen. Und es fragt sich, ob wir, anstatt Gesetze für Hunde zu schaffen, nicht vielmehr die Halter zur Verantwortung ziehen sollen. wellenreiter: Haben Sie oder Ihre Kinder schon einmal gekifft? Wie tolerant sind/waren Sie innerhalb der Familie bezüglich weicher Drogen? Blocher: Ich selber habe noch nie gekifft. Was meine Kinder anbelangt, glaube ich auch nicht. Aber sicher ist ein Vater ja nie. Gegenüber Drogen bin ich für eine sehr restriktive Praxis. Würde eines meiner Kinder drogensüchtig, ich würde alles tun, um es aus dieser Situation zu befreien. Auch mit harten Massnahmen. Im Interesse des Kindes. RitschRatsch: Ist es wahr, dass Sie der Götti von Mörgelis Kind sind? Blocher: Der Götti eines seiner Kinder. Ein gefreutes Kind!

14.03.2006

Die Wirklichkeit als Provokation

Rede von Bundesrat Christoph Blocher beim Schweizer Marketingpreis, am 14. März 2006, im Kultur- und Kongresszentrum Luzern 14.03.2006, Luzern Luzern, 14.3.2006. Der nachhaltige Erfolg eines Produkts oder einer Sache liegt gemäss Ueberzeugung von Bundesrat Christoph Blocher in der Konzentration auf dessen Qualität. Notwendig sei auch eine schonungslose Analyse des Umfeldes bzw. der Wirlichkeit; dies wirke häufig schon als Provokation, sagte der Justizminister an der Verleihung des Schweizer Marketingpreises in Luzern. Sehr geehrte Damen und Herren Haben Sie sich auch schon gefragt, warum gerade eine bestimmte Firma über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg mit Erfolg arbeitet? Oder weshalb ausgerechnet ein Produkt über so lange Zeit eine beinahe ungefährdete Spitzenposition einnimmt? Ich gehe davon aus, dass Sie sich diese Fragen öfters stellen. Schliesslich arbeiten Sie im Marketing. Es ist Ihr täglicher Job, mit Ihrer Firma oder dem Ihnen anvertrauten Produkt exakt eine solche beherrschende Stellung im Markt zu erobern. Sie alle kennen ein paar wenige Erzeugnisse, die scheinbar seit ewigen Zeiten gekauft und genutzt oder konsumiert werden. Ich frage mich beispielsweise, warum ich seit den ersten Lebenstagen bis heute täglich Nivea-Crème nehme? Oder, um zwei berühmte Beispiele aus dem Lebensmittelbereich zu nennen: Warum haben Coca Cola oder der Hamburger von McDonald’s seit Jahren einen solchen Erfolg? Als ich noch Unternehmer war und nicht Bundesrat, ging ich aus verständlichem Interesse den Gründen des beispiellosen Erfolgs des Hamburgers von McDonald’s nach. (Nur damit es Ihnen klar ist, ich habe keinerlei persönliches Interesse an dieser Firma, aber deren Erfolg hat mich damals als Unternehmer beschäftigt.) Und – wie könnte es anders sein – konzentrierte ich mich zunächst vor allem auf Fragen des Marketings. Ich fragte mich: Macht vielleicht das gigantische Werbebudget den Erfolg aus? – Nein. Liegt es am unkomplizierten und in diesem Sinn auch familienfreundlichen Aufbau der Lokale? – Vielleicht. Oder finden wir das Geheimnis in der schlichten Antwort auf ein schlichtes Bedürfnis: Nämlich möglichst schnell einen möglichst satten Bauch zu bekommen? Warum aber können das andere nicht auch mit dem gleichen fulminanten Erfolg? 1. Konzentration auf Weniges Keine der Standardantworten konnte mich ganz überzeugen. Bis mir schliesslich ein amerikanischer Generaldirektor von McDonald’s vor vielen Jahren das Geheimnis anvertraute, ohne vielleicht zu wissen, dass es ein Geheimnis sein könnte. Ich sage es Ihnen heute weiter, denn ich bin überzeugt, dass, wenn Sie es begreifen und tun, Sie in Ihrem Leben viel, sehr viel Erfolg haben werden. Nun, was nannte mir der Generaldirektor als Grund: Es liegt in der Konzentration auf das Produkt – hier auf den Hamburger und vor allem an dessen Qualität! Ich fragte den betreffenden Generaldirektor ungläubig: „Wie bitte, was soll denn so speziell daran sein, etwas Fleisch zwischen das bisschen Brot oben und unten zu klemmen?“ Seine Antwort: „Alles Grosse ist einfach.“ Ja, die Qualität macht’s aus! Selbst bei einem Fastfood-Artikel. Das, was sich von allem anderen abhebt, ist das Bessere. Und dies soll auch bei einem Hamburger, den jeder machen kann, gelten? Sie, als Marketingleute, sind vielleicht von diesem ebenso einfachen Unternehmer-Rezept enttäuscht. Aber die einfache Antwort und der Freimut dieses Managers widerspiegelten gerade das Selbstbewusstsein seines Unternehmens. Er schilderte mir, dass für die Herstellung eines Hamburgers nur das beste Rindfleisch verwendet werde. Trotz der niedrigen Endpreise wird an der Qualität nichts abgestrichen. Das gehe soweit, dass die Firma mit eigenen oder zumindest kontrollierten Mastbetrieben zusammenarbeite, die das einwandfreie Rindfleisch für den Hamburger garantieren. Zum Fleisch gehören die beiden Brothälften. Ein guter Hamburger brauche eben auch besondere Brötchen. Mehl aus einem speziellen Weizen, der von McDonald’s in langer Forschung herausgezüchtet worden sei und der laufend verbessert werde. So hängt also alles von der Qualität des Produktes ab: Beim Fleisch, beim Weizen, bei den Pommes frites, beim Frittieröl, bei der Hygiene etc. Totale Konzentration auf das Produkt und dessen Qualität. Wer sich während Jahren mit nichts anderem als mit einem Produkt und dessen Qualität beschäftigt, während quasi 24 Stunden am Tag an nichts anderes, als an sein Produkt – hier an einen einfachen Hamburger – denkt, der braucht wahrlich nicht zu befürchten, dass es ihm ein anderer gleich tun könnte. Aber wehe, wenn er sich nicht mehr mit der Qualität beschäftigt, wenn er hochmütig wird, wenn er ausruht: Es wird ihn ein Besserer schlagen. Diese kleine Geschichte (ich muss hier aufhören, sonst glauben Sie doch noch, ich hätte finanzielle Interessen an McDonald’s) birgt eine Wahrheit. Diese Wahrheit, die da drin steckt, hat mich als Unternehmer, aber auch als Politiker zu einem wichtigen Grundsatz geführt: Nämlich, weg von der Diversifikation – das heisst, weg vom „alles machen, aber nichts ganz richtig“. Das Erfolgsrezept in der Lebensgestaltung, in der Unternehmensführung, in der Politik, wo auch immer Sie tätig sind, heisst: Konzentriere dich auf weniges, auf das, worin du stark bist und du wirst noch stärker und wirst gewinnen. 2. Die Wirklichkeit als Massstab Die Qualität misst sich immer auch am Erfolg. Was nützt mir die beste Erfindung, wenn sich diese im Markt nicht behaupten kann oder keine Nachfrage dafür besteht. Der Markt ist die massgebende Realität. Man muss den Markt nicht nur studieren. Man muss in ihm aufgehen, seine Bedürfnisse erspüren, seine Launen ergründen, seine Beschaffenheit bis ins kleinste Detail kennen lernen. Sie haben sich – um es kurz zu sagen – bedingungslos seiner Wirklichkeit zu stellen. Ich bin im Verlaufe meiner jahrzehntelangen Arbeit immer mehr zum Schluss gekommen, dass es nur einen Massstab geben kann: die Wirklichkeit. Wenn wir erkennen, was ist – wenn wir benennen, was ist, erhalten wir die beste Basis zum erfolgreichen Handeln. Nach diesem Prinzip ist übrigens auch in der Politik zu handeln. Wie Sie wissen, bin ich seit gut zwei Jahren im Bundesrat. Meine politischen Gegner nennen dies „einbinden“. Jedes Amt bringt zwangsläufig bestimmte Verhaltensweisen mit sich. Wer in einem Regierungskollegium Einsitz nimmt, kann sich nicht mehr so frank und frei äussern wie als Parlamentarier. So lauten die Gesetze der Politik. Gleichwohl darf das Kollegialitätsprinzip nicht dazu führen, lügen zu müssen. Auch die Politik darf sich nicht an der Wirklichkeit vorbeimogeln wollen. Sie sollte der gemeinsame Nenner sein, denn die Wirklichkeit befindet sich jenseits aller Ideologie und auch jenseits des Parteiengezänks. Was viele nicht unterscheiden: Die Wirklichkeit benennen heisst ja noch lange nicht, ihr zuzustimmen. Nein, führen heisst oft gerade das, was ist, zu ändern, damit es so wird, wie es sein soll. Ein Unternehmen, das Verlust macht, muss zu einem Unternehmen geführt werden, das Gewinn macht. Aber bevor man dieses Problem lösen kann, muss man die Verlustsituation des Unternehmens, ihre Ursachen und ihre Hintergründe sorgfältig analysieren. Wer das tut, hat mindestens 50% der Lösung. Aber zuerst müssen Sie bereit sein, die Misere zuzugeben, die Wirklichkeit – den realen Zustand – anzuerkennen. Das ist oft nicht einfach. Gerade traditionsreiche Firmen leiden daran, ihren schlechten Zustand nicht zugeben zu wollen, die Verluste zu verdrängen, die Überschuldung zu leugnen. Schon gar nicht wollen sie die Ursachen gestehen, weil die natürlich immer mit Fehlern in der Führung zusammenhängen. Noch schlimmer ist es bei einem defizitären Bundeshaushalt. Was wird dort verdrängt und beschönigt. Die Regierungen aller Länder sind nie so kreativ, wie wenn sie die defizitäre Lage ihrer Haushalte vertuschen müssen. Die Situation zu analysieren und zuzugeben, dass man defizitär arbeitet, das ist schon viel der Besserung! Wer das nicht tut, kann nichts sanieren. Gleich verhält es sich auch bei einem Produkt, das sich nicht verkaufen lässt. Sie kennen alle die wortreichen Erklärungen von Managern: Wir haben ein Spitzenprodukt, das beste überhaupt, aber der Verkauf rentiert nicht. Analysieren Sie warum. Vielleicht liegt es am fehlenden Marketing? Vielleicht sind die falschen Leute beteiligt? Ist es die mangelhafte Qualität? Fragt der Markt gar nicht danach? Sind die Entstehungskosten zu hoch und damit auch der Verkaufspreis? Oder ist halt doch die Konkurrenz besser? Machen Sie eine schonungslose Analyse. Das heisst, schauen Sie genau hin. Nehmen Sie die Wirklichkeit zum Massstab. Seien Sie schonungslos. Auch Ihnen gegenüber. Einer der Hauptmängel in der wirtschaftlichen, aber auch in der politischen Führung und sogar im privaten Bereich liegt nämlich darin, dass man die Wirklichkeit nicht sehen will. Denn die Wirklichkeit ist oft unangenehm und immer unbestechlich. Nochmals: Sie können nur richtig entscheiden auf der Grundlage der Wirklichkeit, also auf der Basis der verfügbaren Daten, Zahlen, Fakten. Dieses Recht auf Fakten sollte man in einer Demokratie auch den Bürgerinnen und Bürgern zukommen lassen. Sehr oft treiben wir zu viel Geheimniskrämerei, um die Bürgerinnen und Bürger in einem undurchschaubaren Nebelfeld zu belassen. Dabei vergessen wir, der Bürger ist meistens näher bei der Wirklichkeit als viele Politiker. Der Bürger sieht die Missstände zum Beispiel im Bereich der Steuern, der Abgaben und der Gebühren, weil er sie ja selber bezahlt. Es nützt nichts, ihm eine schöne Statistik vorzulegen, die das Gegenteil beweist. Die Geheimniskrämerei, die ach so edle Diskretion besteht meistens darin, die Wirklichkeit zu vertuschen und zu beschönigen. Auf der Basis falscher Beurteilung der wirklichen Situation kann es nichts Gescheites ergeben. Je länger die Wirklichkeit verfälscht wird, desto grösser wird der Schock, wenn die Wirklichkeit aufgedeckt wird. 3. Die Wirklichkeit als Provokation Sie fragen in Ihrem Tagungsthema nach dem Zusammenspiel von Marketing und Provokation? Ich gehöre nicht zu denen, die Provokation von vornherein als etwas Schlimmes bezeichnen. Nein, Provokation – und vor allem eine gute Provokation – kann ein brauchbares Mittel sein, um eben die Wirklichkeit und die Tatsachen darstellen zu können. Wissen Sie, mich treibt nicht die Provokation als solche an. Was ich aber mit Erstaunen festgestellt habe: Es reicht in unserem auf Verdrängung getrimmten Polit-Betrieb aus, zu sagen, was ist, und schon ernten Sie oft einen Sturm der Entrüstung. Die Darstellung der Wirklichkeit wird bereits als Provokation empfunden. Was nicht sein darf, existiert nicht. Wer dieses Gebot bricht, wird sogleich als unanständig und nicht-konsensfähig gebrandmarkt. Die Moralisten jeder Epoche haben immer versucht, die Diskussion vom Boden der Fakten in die luftigen Höhen der Ethik zu verlagern. Denn nur dort muss man sich nicht den Argumenten und unbequemen Tatsachen stellen. Das Wort „Provokation“ entstammt dem lateinischem Verbum provocare heraus-, hervorrufen. Die Provokation kann also etwas tatsächlich Vorhandenes, nur eben gut Verstecktes, ans Tageslicht befördern. Die Provokation kann Wirklichkeit freilegen und nur schon deswegen für aufgeregte Reaktionen sorgen. Ein Beispiel gefällig? Haben Sie gewusst, dass bei einem nicht genannt sein wollenden Bundesbetrieb jeder Arbeitnehmer durchschnittlich 16,5 Tage (Kalendertage) im Jahr fehlt. Ohne Ferien und Feiertage, wohlverstanden. Wirkt diese Zahl auf sie provozierend? Was genau provoziert Sie? Dass dies ein Bundesrat sagt? Oder provoziert Sie die Tatsache, dass ein Staatsangestellter im Jahr zusätzlich zweieinhalb Wochen nicht am Arbeitsplatz erscheint? Wie sah Ihr erster Reflex auf diese 16,5 Tage (Kalendertage) aus: Haben Sie ausgerechnet, wie oft Sie letztes Jahr gefehlt haben? Möchten Sie auch so lange im Jahr nicht arbeiten? Empfinden Sie gar Neid? Oder wünschen Sie Massnahmen, dass diese Zahl gesenkt wird? Oder finden Sie solche Statistiken nur kleinlich? Dabei möchte ich eines festhalten: Diese Zahl finden Sie im offiziellen Personalbericht. Sie ist nicht erfunden, sondern greifbar, wirklich. Dieser Betrieb beschäftigt ca. 28’000 Menschen. Somit beläuft sich die Gesamtsumme der Absenzen auf 462’000 Kalendertage im Jahr. Das heisst, es bleiben durchschnittlich 1’280 Angestellte permanent krankheits- oder unfallbedingt zu Hause. Kürzlich erwähnte ich in der Öffentlichkeit diese 16,5 Tage (Kalendertage), verbunden mit der Aufforderung, wir sollten etwas tun, um diese Zahl herunterzubringen. Ein Personalvertreter sagte mir darauf, wir bitten Sie, diese Zahl nicht in der Öffentlichkeit zu nennen. Die Mitarbeiter fühlten sich so nicht wertgeschätzt… Sie sehen: So einfach funktioniert die Wirklichkeit als Provokation! Warum bringe ich dieses Beispiel? Sicher nicht, um mich über Menschen lustig zu machen, die tatsächlich aus Krankheit der Arbeit fernbleiben müssen. Ich denke nur, dass jeder Betrieb ein Interesse daran hat, dass seine Mitarbeiter gesund sind oder möglichst bald wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Wichtig ist: Ein reales Problem muss erkannt und als solches auch benannt werden. Denn nur auf dieser Grundlage können Sie die Dinge ändern. 4. Mut zur Wirklichkeit Als Winston Churchill mitten im Krieg die Regierungsgeschäfte übernahm, hielt er jene berühmte Antrittsrede, wo er seinen Landsleuten Blut, Tränen, Schweiss und – was oft unterschlagen wird – auch Mühsal versprach. Normalerweise versprechen Politiker ihren Bürgerinnen und Bürgern lieber Milch und Honig und im Überfluss. Doch Churchill mochte den Engländern nichts vorheucheln, da er genau erkannte, wie es ist und was die Zukunft erforderte. Er wusste: gerade in Notzeiten, in schweren Zeiten ist Klartext vorzuziehen. Darum hat er die Wirklichkeit ausgesprochen, hat die Konsequenzen gezogen und wurde so zur treibenden Kraft, die Europa von der Tyrannei befreite und zur Freiheit führte. Dass er am Ende dieser Tätigkeit in England als Premierminister abgewählt wurde, ist kein Beweis, dass es nicht richtig war, sondern viel mehr ein Zeichen für die Grösse seiner Tat. Er hat der Wirklichkeit in die Augen gesehen. Er hat das Unangenehme ausgesprochen. Er hat darauf beharrt und den Menschen dafür die Freiheit gebracht. Er tat dies alles aufgrund der Wirklichkeit und ohne Rücksicht auf sein eigenes Ansehen. Diese Haltung ist auch erfolgreich für Marketingleute!