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17.03.2006

«Ich kann nicht mal Schreibmaschine schreiben»

Gestern stellte sich Bundesrat Christoph Blocher im eTalk von 20minuten.ch den Fragen der User. 17.03.2006, eTalk mit 20minuten Rother: Herr BR Blocher, wieviele Leute haben Sie bis heute arbeitslos gemacht? Blocher: Noch keine. Aber in meinem Leben für sehr viele gesorgt, dass sie Arbeit haben. swerner: Können Sie inzwischen einen Computer bedienen? Blocher: Nein, leider nicht. Ich kann nicht einmal Schreibmaschine schreiben oder eine Rechenmaschine bedienen. Obwohl ich mein ganzes Leben als Unternehmer mit Zahlen zu tun hatte. ale66: Mich interessiert, was Sie eigentlich gegen Asylanten haben. Blocher: Wie kommen Sie auf die absurde Idee, ich hätte etwas gegen Asylanten? Aber ich habe sehr wohl etwas gegen den Missbrauch unseres Schweizer Asylrechts. Verfolgte Menschen, das heisst echte Flüchtlinge, werden in unserem Lande aufgenommen und das soll auch so bleiben. Echte Flüchtlinge aufnehmen, Asylrechtmissbrauch verhindern: Wenn Sie das wollen, müssen Sie dann im Herbst Ja stimmen zum neuen Asyl- und zum neuen Ausländergesetz. seegras: Immer mehr Junge werden zu IV-Rentnern. Welche Massnahmen schlagen Sie vor? Blocher: Zunächst in der Erziehung dafür sorgen, dass die Jungen psychisch und physisch eine gewisse Robustheit haben. Damit sie die Härten des Lebens besser ertragen können. Schwierigkeiten muss man nicht beseitigen, sondern überwinden lernen. Aber man muss auch nicht dafür sorgen, dass jede kleinste Unbill schnell zum Invaliditätsfall erklärt wird. seegras: Glauben Sie, dass die Ärzte die Patienten zu schnell zu IV-Rentnern machen und Ihnen auf Wunsch alles unterschreiben? Blocher: Ja. Es gibt tatsächlich viele solche Ärzte, wie mir Ärzte auch immer wieder schreiben. Dazu kommen noch die Anwälte, welche solche Wege finden. Die neueste IV-Revision will hier Verbesserung schaffen. jojo2000: Sehen Sie irgendeinen Vorteil in einem EU-Beitritt der Schweiz? Blocher: Ja, kleine Vorteile hat es. Sie müssen dann nicht mehr das Geld wechseln, wenn es keinen Franken mehr gibt. Aber die Nachteile sind riesig. seemann: Beim Pitbull-Verbot argumentieren Sie juristisch. Geht es nicht einfach darum, die Kinder vor Kampfhunden zu schützen? Blocher: Doch, doch, es geht darum. Aber wenn der Staat etwas macht, muss er stets fragen, ob eine gesetzliche Grundlage besteht, denn nur dann darf eine Regierung handeln. Wir wollen auch nicht wahllos irgendwelche Hunde verbieten, sondern die Leute vor gefährlichen Hunden schützen. Und es fragt sich, ob wir, anstatt Gesetze für Hunde zu schaffen, nicht vielmehr die Halter zur Verantwortung ziehen sollen. wellenreiter: Haben Sie oder Ihre Kinder schon einmal gekifft? Wie tolerant sind/waren Sie innerhalb der Familie bezüglich weicher Drogen? Blocher: Ich selber habe noch nie gekifft. Was meine Kinder anbelangt, glaube ich auch nicht. Aber sicher ist ein Vater ja nie. Gegenüber Drogen bin ich für eine sehr restriktive Praxis. Würde eines meiner Kinder drogensüchtig, ich würde alles tun, um es aus dieser Situation zu befreien. Auch mit harten Massnahmen. Im Interesse des Kindes. RitschRatsch: Ist es wahr, dass Sie der Götti von Mörgelis Kind sind? Blocher: Der Götti eines seiner Kinder. Ein gefreutes Kind!

14.03.2006

Die Wirklichkeit als Provokation

Rede von Bundesrat Christoph Blocher beim Schweizer Marketingpreis, am 14. März 2006, im Kultur- und Kongresszentrum Luzern 14.03.2006, Luzern Luzern, 14.3.2006. Der nachhaltige Erfolg eines Produkts oder einer Sache liegt gemäss Ueberzeugung von Bundesrat Christoph Blocher in der Konzentration auf dessen Qualität. Notwendig sei auch eine schonungslose Analyse des Umfeldes bzw. der Wirlichkeit; dies wirke häufig schon als Provokation, sagte der Justizminister an der Verleihung des Schweizer Marketingpreises in Luzern. Sehr geehrte Damen und Herren Haben Sie sich auch schon gefragt, warum gerade eine bestimmte Firma über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg mit Erfolg arbeitet? Oder weshalb ausgerechnet ein Produkt über so lange Zeit eine beinahe ungefährdete Spitzenposition einnimmt? Ich gehe davon aus, dass Sie sich diese Fragen öfters stellen. Schliesslich arbeiten Sie im Marketing. Es ist Ihr täglicher Job, mit Ihrer Firma oder dem Ihnen anvertrauten Produkt exakt eine solche beherrschende Stellung im Markt zu erobern. Sie alle kennen ein paar wenige Erzeugnisse, die scheinbar seit ewigen Zeiten gekauft und genutzt oder konsumiert werden. Ich frage mich beispielsweise, warum ich seit den ersten Lebenstagen bis heute täglich Nivea-Crème nehme? Oder, um zwei berühmte Beispiele aus dem Lebensmittelbereich zu nennen: Warum haben Coca Cola oder der Hamburger von McDonald’s seit Jahren einen solchen Erfolg? Als ich noch Unternehmer war und nicht Bundesrat, ging ich aus verständlichem Interesse den Gründen des beispiellosen Erfolgs des Hamburgers von McDonald’s nach. (Nur damit es Ihnen klar ist, ich habe keinerlei persönliches Interesse an dieser Firma, aber deren Erfolg hat mich damals als Unternehmer beschäftigt.) Und – wie könnte es anders sein – konzentrierte ich mich zunächst vor allem auf Fragen des Marketings. Ich fragte mich: Macht vielleicht das gigantische Werbebudget den Erfolg aus? – Nein. Liegt es am unkomplizierten und in diesem Sinn auch familienfreundlichen Aufbau der Lokale? – Vielleicht. Oder finden wir das Geheimnis in der schlichten Antwort auf ein schlichtes Bedürfnis: Nämlich möglichst schnell einen möglichst satten Bauch zu bekommen? Warum aber können das andere nicht auch mit dem gleichen fulminanten Erfolg? 1. Konzentration auf Weniges Keine der Standardantworten konnte mich ganz überzeugen. Bis mir schliesslich ein amerikanischer Generaldirektor von McDonald’s vor vielen Jahren das Geheimnis anvertraute, ohne vielleicht zu wissen, dass es ein Geheimnis sein könnte. Ich sage es Ihnen heute weiter, denn ich bin überzeugt, dass, wenn Sie es begreifen und tun, Sie in Ihrem Leben viel, sehr viel Erfolg haben werden. Nun, was nannte mir der Generaldirektor als Grund: Es liegt in der Konzentration auf das Produkt – hier auf den Hamburger und vor allem an dessen Qualität! Ich fragte den betreffenden Generaldirektor ungläubig: „Wie bitte, was soll denn so speziell daran sein, etwas Fleisch zwischen das bisschen Brot oben und unten zu klemmen?“ Seine Antwort: „Alles Grosse ist einfach.“ Ja, die Qualität macht’s aus! Selbst bei einem Fastfood-Artikel. Das, was sich von allem anderen abhebt, ist das Bessere. Und dies soll auch bei einem Hamburger, den jeder machen kann, gelten? Sie, als Marketingleute, sind vielleicht von diesem ebenso einfachen Unternehmer-Rezept enttäuscht. Aber die einfache Antwort und der Freimut dieses Managers widerspiegelten gerade das Selbstbewusstsein seines Unternehmens. Er schilderte mir, dass für die Herstellung eines Hamburgers nur das beste Rindfleisch verwendet werde. Trotz der niedrigen Endpreise wird an der Qualität nichts abgestrichen. Das gehe soweit, dass die Firma mit eigenen oder zumindest kontrollierten Mastbetrieben zusammenarbeite, die das einwandfreie Rindfleisch für den Hamburger garantieren. Zum Fleisch gehören die beiden Brothälften. Ein guter Hamburger brauche eben auch besondere Brötchen. Mehl aus einem speziellen Weizen, der von McDonald’s in langer Forschung herausgezüchtet worden sei und der laufend verbessert werde. So hängt also alles von der Qualität des Produktes ab: Beim Fleisch, beim Weizen, bei den Pommes frites, beim Frittieröl, bei der Hygiene etc. Totale Konzentration auf das Produkt und dessen Qualität. Wer sich während Jahren mit nichts anderem als mit einem Produkt und dessen Qualität beschäftigt, während quasi 24 Stunden am Tag an nichts anderes, als an sein Produkt – hier an einen einfachen Hamburger – denkt, der braucht wahrlich nicht zu befürchten, dass es ihm ein anderer gleich tun könnte. Aber wehe, wenn er sich nicht mehr mit der Qualität beschäftigt, wenn er hochmütig wird, wenn er ausruht: Es wird ihn ein Besserer schlagen. Diese kleine Geschichte (ich muss hier aufhören, sonst glauben Sie doch noch, ich hätte finanzielle Interessen an McDonald’s) birgt eine Wahrheit. Diese Wahrheit, die da drin steckt, hat mich als Unternehmer, aber auch als Politiker zu einem wichtigen Grundsatz geführt: Nämlich, weg von der Diversifikation – das heisst, weg vom „alles machen, aber nichts ganz richtig“. Das Erfolgsrezept in der Lebensgestaltung, in der Unternehmensführung, in der Politik, wo auch immer Sie tätig sind, heisst: Konzentriere dich auf weniges, auf das, worin du stark bist und du wirst noch stärker und wirst gewinnen. 2. Die Wirklichkeit als Massstab Die Qualität misst sich immer auch am Erfolg. Was nützt mir die beste Erfindung, wenn sich diese im Markt nicht behaupten kann oder keine Nachfrage dafür besteht. Der Markt ist die massgebende Realität. Man muss den Markt nicht nur studieren. Man muss in ihm aufgehen, seine Bedürfnisse erspüren, seine Launen ergründen, seine Beschaffenheit bis ins kleinste Detail kennen lernen. Sie haben sich – um es kurz zu sagen – bedingungslos seiner Wirklichkeit zu stellen. Ich bin im Verlaufe meiner jahrzehntelangen Arbeit immer mehr zum Schluss gekommen, dass es nur einen Massstab geben kann: die Wirklichkeit. Wenn wir erkennen, was ist – wenn wir benennen, was ist, erhalten wir die beste Basis zum erfolgreichen Handeln. Nach diesem Prinzip ist übrigens auch in der Politik zu handeln. Wie Sie wissen, bin ich seit gut zwei Jahren im Bundesrat. Meine politischen Gegner nennen dies „einbinden“. Jedes Amt bringt zwangsläufig bestimmte Verhaltensweisen mit sich. Wer in einem Regierungskollegium Einsitz nimmt, kann sich nicht mehr so frank und frei äussern wie als Parlamentarier. So lauten die Gesetze der Politik. Gleichwohl darf das Kollegialitätsprinzip nicht dazu führen, lügen zu müssen. Auch die Politik darf sich nicht an der Wirklichkeit vorbeimogeln wollen. Sie sollte der gemeinsame Nenner sein, denn die Wirklichkeit befindet sich jenseits aller Ideologie und auch jenseits des Parteiengezänks. Was viele nicht unterscheiden: Die Wirklichkeit benennen heisst ja noch lange nicht, ihr zuzustimmen. Nein, führen heisst oft gerade das, was ist, zu ändern, damit es so wird, wie es sein soll. Ein Unternehmen, das Verlust macht, muss zu einem Unternehmen geführt werden, das Gewinn macht. Aber bevor man dieses Problem lösen kann, muss man die Verlustsituation des Unternehmens, ihre Ursachen und ihre Hintergründe sorgfältig analysieren. Wer das tut, hat mindestens 50% der Lösung. Aber zuerst müssen Sie bereit sein, die Misere zuzugeben, die Wirklichkeit – den realen Zustand – anzuerkennen. Das ist oft nicht einfach. Gerade traditionsreiche Firmen leiden daran, ihren schlechten Zustand nicht zugeben zu wollen, die Verluste zu verdrängen, die Überschuldung zu leugnen. Schon gar nicht wollen sie die Ursachen gestehen, weil die natürlich immer mit Fehlern in der Führung zusammenhängen. Noch schlimmer ist es bei einem defizitären Bundeshaushalt. Was wird dort verdrängt und beschönigt. Die Regierungen aller Länder sind nie so kreativ, wie wenn sie die defizitäre Lage ihrer Haushalte vertuschen müssen. Die Situation zu analysieren und zuzugeben, dass man defizitär arbeitet, das ist schon viel der Besserung! Wer das nicht tut, kann nichts sanieren. Gleich verhält es sich auch bei einem Produkt, das sich nicht verkaufen lässt. Sie kennen alle die wortreichen Erklärungen von Managern: Wir haben ein Spitzenprodukt, das beste überhaupt, aber der Verkauf rentiert nicht. Analysieren Sie warum. Vielleicht liegt es am fehlenden Marketing? Vielleicht sind die falschen Leute beteiligt? Ist es die mangelhafte Qualität? Fragt der Markt gar nicht danach? Sind die Entstehungskosten zu hoch und damit auch der Verkaufspreis? Oder ist halt doch die Konkurrenz besser? Machen Sie eine schonungslose Analyse. Das heisst, schauen Sie genau hin. Nehmen Sie die Wirklichkeit zum Massstab. Seien Sie schonungslos. Auch Ihnen gegenüber. Einer der Hauptmängel in der wirtschaftlichen, aber auch in der politischen Führung und sogar im privaten Bereich liegt nämlich darin, dass man die Wirklichkeit nicht sehen will. Denn die Wirklichkeit ist oft unangenehm und immer unbestechlich. Nochmals: Sie können nur richtig entscheiden auf der Grundlage der Wirklichkeit, also auf der Basis der verfügbaren Daten, Zahlen, Fakten. Dieses Recht auf Fakten sollte man in einer Demokratie auch den Bürgerinnen und Bürgern zukommen lassen. Sehr oft treiben wir zu viel Geheimniskrämerei, um die Bürgerinnen und Bürger in einem undurchschaubaren Nebelfeld zu belassen. Dabei vergessen wir, der Bürger ist meistens näher bei der Wirklichkeit als viele Politiker. Der Bürger sieht die Missstände zum Beispiel im Bereich der Steuern, der Abgaben und der Gebühren, weil er sie ja selber bezahlt. Es nützt nichts, ihm eine schöne Statistik vorzulegen, die das Gegenteil beweist. Die Geheimniskrämerei, die ach so edle Diskretion besteht meistens darin, die Wirklichkeit zu vertuschen und zu beschönigen. Auf der Basis falscher Beurteilung der wirklichen Situation kann es nichts Gescheites ergeben. Je länger die Wirklichkeit verfälscht wird, desto grösser wird der Schock, wenn die Wirklichkeit aufgedeckt wird. 3. Die Wirklichkeit als Provokation Sie fragen in Ihrem Tagungsthema nach dem Zusammenspiel von Marketing und Provokation? Ich gehöre nicht zu denen, die Provokation von vornherein als etwas Schlimmes bezeichnen. Nein, Provokation – und vor allem eine gute Provokation – kann ein brauchbares Mittel sein, um eben die Wirklichkeit und die Tatsachen darstellen zu können. Wissen Sie, mich treibt nicht die Provokation als solche an. Was ich aber mit Erstaunen festgestellt habe: Es reicht in unserem auf Verdrängung getrimmten Polit-Betrieb aus, zu sagen, was ist, und schon ernten Sie oft einen Sturm der Entrüstung. Die Darstellung der Wirklichkeit wird bereits als Provokation empfunden. Was nicht sein darf, existiert nicht. Wer dieses Gebot bricht, wird sogleich als unanständig und nicht-konsensfähig gebrandmarkt. Die Moralisten jeder Epoche haben immer versucht, die Diskussion vom Boden der Fakten in die luftigen Höhen der Ethik zu verlagern. Denn nur dort muss man sich nicht den Argumenten und unbequemen Tatsachen stellen. Das Wort „Provokation“ entstammt dem lateinischem Verbum provocare heraus-, hervorrufen. Die Provokation kann also etwas tatsächlich Vorhandenes, nur eben gut Verstecktes, ans Tageslicht befördern. Die Provokation kann Wirklichkeit freilegen und nur schon deswegen für aufgeregte Reaktionen sorgen. Ein Beispiel gefällig? Haben Sie gewusst, dass bei einem nicht genannt sein wollenden Bundesbetrieb jeder Arbeitnehmer durchschnittlich 16,5 Tage (Kalendertage) im Jahr fehlt. Ohne Ferien und Feiertage, wohlverstanden. Wirkt diese Zahl auf sie provozierend? Was genau provoziert Sie? Dass dies ein Bundesrat sagt? Oder provoziert Sie die Tatsache, dass ein Staatsangestellter im Jahr zusätzlich zweieinhalb Wochen nicht am Arbeitsplatz erscheint? Wie sah Ihr erster Reflex auf diese 16,5 Tage (Kalendertage) aus: Haben Sie ausgerechnet, wie oft Sie letztes Jahr gefehlt haben? Möchten Sie auch so lange im Jahr nicht arbeiten? Empfinden Sie gar Neid? Oder wünschen Sie Massnahmen, dass diese Zahl gesenkt wird? Oder finden Sie solche Statistiken nur kleinlich? Dabei möchte ich eines festhalten: Diese Zahl finden Sie im offiziellen Personalbericht. Sie ist nicht erfunden, sondern greifbar, wirklich. Dieser Betrieb beschäftigt ca. 28’000 Menschen. Somit beläuft sich die Gesamtsumme der Absenzen auf 462’000 Kalendertage im Jahr. Das heisst, es bleiben durchschnittlich 1’280 Angestellte permanent krankheits- oder unfallbedingt zu Hause. Kürzlich erwähnte ich in der Öffentlichkeit diese 16,5 Tage (Kalendertage), verbunden mit der Aufforderung, wir sollten etwas tun, um diese Zahl herunterzubringen. Ein Personalvertreter sagte mir darauf, wir bitten Sie, diese Zahl nicht in der Öffentlichkeit zu nennen. Die Mitarbeiter fühlten sich so nicht wertgeschätzt… Sie sehen: So einfach funktioniert die Wirklichkeit als Provokation! Warum bringe ich dieses Beispiel? Sicher nicht, um mich über Menschen lustig zu machen, die tatsächlich aus Krankheit der Arbeit fernbleiben müssen. Ich denke nur, dass jeder Betrieb ein Interesse daran hat, dass seine Mitarbeiter gesund sind oder möglichst bald wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Wichtig ist: Ein reales Problem muss erkannt und als solches auch benannt werden. Denn nur auf dieser Grundlage können Sie die Dinge ändern. 4. Mut zur Wirklichkeit Als Winston Churchill mitten im Krieg die Regierungsgeschäfte übernahm, hielt er jene berühmte Antrittsrede, wo er seinen Landsleuten Blut, Tränen, Schweiss und – was oft unterschlagen wird – auch Mühsal versprach. Normalerweise versprechen Politiker ihren Bürgerinnen und Bürgern lieber Milch und Honig und im Überfluss. Doch Churchill mochte den Engländern nichts vorheucheln, da er genau erkannte, wie es ist und was die Zukunft erforderte. Er wusste: gerade in Notzeiten, in schweren Zeiten ist Klartext vorzuziehen. Darum hat er die Wirklichkeit ausgesprochen, hat die Konsequenzen gezogen und wurde so zur treibenden Kraft, die Europa von der Tyrannei befreite und zur Freiheit führte. Dass er am Ende dieser Tätigkeit in England als Premierminister abgewählt wurde, ist kein Beweis, dass es nicht richtig war, sondern viel mehr ein Zeichen für die Grösse seiner Tat. Er hat der Wirklichkeit in die Augen gesehen. Er hat das Unangenehme ausgesprochen. Er hat darauf beharrt und den Menschen dafür die Freiheit gebracht. Er tat dies alles aufgrund der Wirklichkeit und ohne Rücksicht auf sein eigenes Ansehen. Diese Haltung ist auch erfolgreich für Marketingleute!

13.03.2006

Die Regulierungsdichte ist heute zu hoch

«Bundesrat Christoph Blocher über die Freiheit, die Bedeutung des Privateigentums und seine Zeit als Bauernknecht.» 13.03.2006, immobilia (Zeitschrift des SVIT Schweiz, Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft), Simon Hubacher immobilia: "Herr Bundesrat, welche volkswirtschaftliche Bedeutung messen Sie der schweizerischen Immobilienwirtschaft zu?" Die Freiheit des Immobilienmarktes ist die Grundlage für das ganze Wirtschaftswachstum. Ohne freie Immobilien gibt es keine Wirtschaft. Alle absolutistischen Länder haben die Immobilien verstaatlicht. Alle diese Länder sind denn auch an wirtschaftlichen Problemen zugrunde gegangen. Ein freier Immobilienmarkt ist für unser Land von grösster Bedeutung. Ist der Immobilienmarkt aus Ihrer Sicht von Regulierungen übermässig betroffen? Ich meine ja. Der landwirtschaftliche Boden ist beispielsweise sehr stark reguliert. Aber auch wenn sie an die ganzen Zoneneinteilungen und Bauvorschriften denken, besteht dort keine grossräumige, sondern vielmehr eine klein karierte Regulierung. Ich habe keine Probleme damit, wenn beispielsweise eine Bündner Berggemeinde die Vorschrift erlässt, dass keine Häuser mit Flachdächern gebaut werden dürfen. Das ist relativ einfach zu erfüllen. Wenn die Vorschriften aber dermassen kompliziert werden, so dass sie kaum mehr zu verstehen sind, ist die Regulierungsdichte im Immobiliensektor zu hoch. Selbst bei einfacheren Bauten benötigen sie heute rasch einen Rechtssachverständigen. Das ist kein gutes Zeichen. Am Schluss muss man sich fragen: Wer war eigentlich wichtiger, der Architekt oder der Anwalt? Wo wird dereguliert, wo ist etwas geplant? Das landwirtschaftliche Bodenrecht wird derzeit dahingehend untersucht. Gegen eine Grobeinteilung, also die Unterscheidung in eine Landwirtschafts- und eine Bauzone, habe ich nichts einzuwenden. Es wird heute kaum mehr Spekulanten geben, die in der Landwirtschaftszone Land kaufen um es einmal bebauen zu können. Denn damit kann heute keiner mehr ernsthaft rechnen. Man könnte also in diesem Bereich weiter liberalisieren. Aber es gibt auch neue Regulierungen, denken sie etwa an die ganzen Alpenkonventionen. Man ist bei uns seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten hinter dem eisernen Vorhang gegenüber Eigentumseinschränkungen viel sensibler geworden. Wenn ich aber an die vielen kleinlichen Vorschriften in manchen Gemeinden und Städten denke, dann sehe ich dort im Bauwesen noch keinen Gesinnungswandel. Sie haben sich in Ihrer Rede am SVIT-Immobilienforum in Pontresina stark mit dem Eigentumsgedanken auseinandergesetzt. Wo kann der Staat das Eigentum noch mehr fördern? Leider sprechen heute zu wenig Politiker vom Schutz des Privateigentums. Als Grundsatz ist dieser Schutz zwar anerkannt, aber manchmal habe ich das Gefühl, die grundsätzliche Zustimmung ist gleichzeitig die höflichste Form der Ablehnung. Wer Eigentum immer mehr einschränkt, nimmt die Verantwortung vom Bürger weg, oder der Bürger schiebt die Verantwortung selber ab. Das lähmt letztlich die Eigeninitiative und die Selbstverantwortung des Menschen, die aber notwendig sind für den Wohlstand. Es ist unsere Aufgabe, den Stellenwert des Eigentums als Fundament des Staates zu erklären. Gerade gegenüber jüngeren Menschen, welche die Bedrohung des Eigentums durch den Sozialismus nicht mehr erlebt haben. Sie plädieren für einen Paradigmenwechsel: Der Schutz des Eigentums soll wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Jawohl, das ist richtig. Es braucht eine Änderung, deshalb spreche ich auch oft über dieses Thema. Ich halte nie einen wirtschaftspolitischen Vortrag, ohne dass ich den Schutz des Privateigentums – nicht nur der Immobilien – betone. Der St. Moritzer Kur- und Verkehrsdirektor hat in seiner Begrüssungsansprache vor den Teilnehmern des SVIT-Immobilien Forums erwähnt, dass er mit Ihnen vor 40 Jahren auf demselben Bauernhof gearbeitet hat - er als Praktikant, Sie als Knecht. Denken sie gerne an diese Zeit zurück? Ja, sehr gerne. Man könnte im Rückblick meinen, dass seien verlorene Jahre gewesen. Aber ich vergesse nie, wie es ist, wenn man einmal richtig unten durch muss. Ich muss den Kopf nie hoch tragen, habe ich als Industrieller immer gesagt, der Arbeiter bleibt ein Teil von mir. Ich hatte nie das Gefühl, über dem Arbeiter zu stehen. Ich trug einfach eine grössere Verantwortung. Damals ging ich aus Überzeugung in die Landwirtschaft, weil ich nahe bei der Natur sein wollte. Und von der Natur lernt man sehr viel, glauben Sie mir.

06.03.2006

«Ich plädiere für Zurückhaltung»

«Christoph Blocher - die Verschärfung des Asylrechts und die Forderung nach einem Einbürgerungsstopp für Muslime» 06.03.2006, SonntagsZeitung, Christoph Lauener und Denis von Burg SonntagsZeitung: "Sie reduzieren die Asylinfrastruktur um die Hälfte und wollen stattdessen im Notfall die Armee einsetzen. Ist das nicht ein Missbrauch der Armee?" Nur für allfällige Notfälle, d.h. in kriegsähnlichen Zuständen, wenn ....zig Tausend in das Land strömen sollten und nur bis maximal sechs Monate. In dieser Zeit sind die Kapazitäten in Bund und Kantonen aufgebaut. Wäre es nicht besser, Ihre ursprüngliche Idee aufzunehmen und in den jeweiligen Krisengebieten Sammellager einzurichten, um die Flüchtlingsströme aufzuhalten? Die Idee besteht noch immer. Die EU arbeitet an Schutzzonen; da könnte sich die Schweiz auch beteiligen. Wenn dies konkret wird, werde ich es dem Bundesrat vorschlagen. Das entbindet uns aber nicht von einer konsequenten Asylpolitik im eigenen Land. Sie können die Infrastruktur massiv abbauen: Warum braucht es noch eine Verschärfung des Asylrechts? Mit über 10'000 Asylgesuchen pro Jahr gehört die Schweiz immer noch zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Zugang pro Kopf der Bevölkerung. Und nach wie vor sind die meisten keine echten Flüchtlinge, d.h. ohne Asylgründe. Ca. 20 % aller Asylsuchenden werden zudem leider polizeilich wegen Straftaten aufgegriffen - insbesondere wegen Drogenhandel. Viele Abgewiesene bleiben illegal im Land und beziehen Sozialhilfe. Diese Situation kann nur mit dem neuen Asylgesetz verbessert werden. Im Abstimmungskampf werden sie mit der Kirche eine moralische Instanz gegen sich haben. Es ist zwar in Ordnung, wenn die Kirche sich um die Armen kümmert. Aber im Asylbereich stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Und sagt leider Tatsachenwidriges. Nämlich? Kirchliche Kreise behaupten, einer ohne Papiere habe in Zukunft keine Chance mehr auf Asyl. Dabei steht im neuen Gesetz, dass dies nicht stimmt. Kein echter Flüchtling wird negativ betroffen sein! Wer ohne Papiere ist, muss jedoch seinen Namen, Wohnort und sein Herkunftsland bekannt geben, sowie Fluchtweg und Fluchtgrund. Ist das wirklich zu viel verlangt? Nur für solche, die das Asylrecht missbrauche wollen, ist dies ein Problem. Viele bekämpfen das Asylgesetz, weil sie von diesen Missbräuchen profitieren! Die Asyl- und Ausländerdebatte wird auch von der Frage des richtigen Umgangs mit den Muslimen in der Schweiz beeinflusst. Sind unsere Grundwerte durch den Islam bedroht? Dies ist eine Frage der Anzahl. Die Bedrohung wird geringer, wenn wir unsere Grundwerte im eigenen Land entschieden verteidigen. Wer hier ist, muss sich an die hier geltenden Regeln halten. Es gibt den Ruf nach Sonderregelungen, wie etwa Dispensationen von bestimmten Schulfächern. Sehr fragwürdig. Die gesetzlichen Regeln sind von allen einzuhalten. Besteht zum Beispiel eine Vorschrift, den Schwimmunterricht zu besuchen, so haben diesen auch Gegner zu besuchen. ... und dürfen auch kein Kopftuch tragen? Wenn es für Schüler keine Kleidervorschrift gibt, ist das Kopftuch erlaubt. Wer aber unsere Grundwerte ablehnt und die Gesetze und Vorschriften nicht einhalten will und kann, muss konsequent sein und das Land verlassen! Dürfen wir umgekehrt die Muslime mit Mohammed-Karikaturen provozieren? Natürlich ist nicht jede Provokation nötig und gescheit. Aber der Staat hat sich keinesfalls einzumischen. Denn es geht jetzt um viel: Um die Erhaltung unserer Freiheitsrechte - in diesem Fall der Pressefreiheit. Es ist die höchste Pflicht des Staates, diese zu verteidigen. Das gilt auch im aktuellen Fall der Muslim-Karrikaturen. Der Staat hat der Pressefreiheit lediglich strafrechtliche Grenzen zu setzen. Er darf die Pressefreiheit keinesfalls mit moralischen oder ethischen Begründungen einschränken. Soll etwa der Staat sagen, was moralisch, was dumm, was gescheit, was anständig ist? Auch den Muslimen kann man erklären, dass sie gerade von diesen Freiheitsrechten profitieren. Zum Beispiel von der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Aber wir selbst müssen entschieden zu unseren Werten stehen und diese hochhalten! Auch wenn dies manchmal unangenehm ist. Immer weniger Leute glauben, dass die Muslime das verstehen. Die SVP der Stadt Luzern fordert einen Einbürgerungsstopp für Muslime. Was sagen Sie dazu? Dies ist wohl etwas zu generell. Man würde die Leute zum vornherein stigmatisieren. Aber es ist bedeutungsvoll, bei der Einbürgerung genau darauf zu achten, dass sich die Bewerber mit unseren Werten und unserer Rechtsordnung identifizieren können. Man hat vorsichtig zu sein. Was heisst vorsichtig sein? Viele Muslime leben in einer anderen Kultur. Die Einbürgerung ist aber auch ein Bekenntnis zu unserer Kultur. Die Eingebürgerten erhalten schliesslich auch das Stimmrecht und können dann zum Beispiel auch über aus ihrer Sicht zu fortschrittliche Frauenrechte abstimmen. Das gibt Konflikte. Auch Identitätskonflikte. Deshalb plädiere ich für Vorsicht und Zurückhaltung, wenn nicht klar ist, ob sich diese Menschen mit unserer Wertordnung identifizieren können. War man sich der Problematik zu wenig bewusst? Eindeutig. In ganz Europa. Wir waren lange zu wenig sensibilisiert. Die Anschläge in London haben gezeigt, dass schon lange eingebürgerte englische Muslime eben doch gegen England Partei nahmen. Trotz Einbürgerung fühlten sie sich nicht als Engländer. Vorsicht und Zurückhaltung sind hier keine schlechten Ratgeber. Einbürgerungen könnten eine Integrationshilfe sein. Einbürgerungen sind nicht der Anfang sondern die Folge einer Integration. Einbürgerungen können den Identitätskonflikt auch verschärfen. Sie müssen sehen: Diese Menschen leben dann in einer Doppelkultur. Man darf nicht glauben, wer eingebürgert wird, wechselt automatisch auch die Identität. Eine staatliche Anerkennung des Islams und eine staatliche Imamausbildung könnte doch die Integration fördern? Auch das glaube ich nicht. Sie fördern damit eine fremde Kultur auf Kosten der eigenen. Die Religionsfreiheit haben wir zu garantieren, aber nicht staatlich die Religionen zu fördern. Stösst die multikulturelle Gesellschaft an Grenzen? Die Gefahren einer lange Zeit unkritisch angestrebten multikulturellen Gesellschaft werden heute wenigstens diskutiert. Man glaubte an die friedliche Koexistenz völlig verschiedener Kulturen, Religionen, Sitten und Gebräuche, indem man forderte, die eigenen Grundwerte zurückzunehmen. So wurde in der Schweiz in den letzten 20 Jahren nicht nur das Fremde überhöht sondern die eigenen Werte, das Besondere und die schweizerische Geschichte schlecht gemacht. Zur Schweiz stehen, galt vielerorts als anrüchig. Nicht nur der Karrikaturenstreit und die Terroranschläge zeigen, wie bedroht heute unsere Werte sind, wenn wir sie nicht entschieden verteidigen. Wir dürfen stolz sein auf diese. Immer mehr Menschen erkennen dies erfreulicherweise.

03.03.2006

Die Welt ist voller theologischer Themen

«Im schweizerischen Bundesrat sitzen Persönlichkeiten mit prononciert protestantischem Hintergrund: Nach Moritz Leuenberger hat die "Reformierte Presse" nun auch Christoph Blocher auf diesen Hintergrund hin befragt - und zu einigen brisanten politischen Themen.» 03.03.2006, Reformierte Presse, Monika Dettwiler und Stephan Landis Reformierte Presse: Herr Bundesrat, wo und wie erleben Sie heute die Kirche? Bundesrat Christoph Blocher: Ich gehöre zur Landes-kirche, ich leide mit und unter ihr: Ich besuche hin und wieder den sonntäglichen Gottesdienst – wenn er denn stattfindet: Kürzlich versuchte ich es in einer Berner Oberländer Kirche. Auf 10 Uhr war die Verkündigung von Gottes Wort angesagt. Nach einem Fussmarsch standen wir – ein kleines zufälliges Grüpplein – zur „befohlenen“ Zeit vor der Kirchentür. An ihr hing ein Zettel: Heute, Gottesdienst um 17 Uhr. „Unordnung“, murmelte ein vor der Tür stehender Dorfbewohner. Und in der leeren Kirche waren die schönen, mittelalterlichen Fresken geschmacklos mit zerknitterten, fahlfarbenen Stoffbahnen verhängt: „ Wieder eine Kirche, die ihren Auftrag nicht wahrnimmt“ – so war mein Gedanke. Aber schön ist: Auch dies vermag die alles umfassende Kirche nicht zu zerstören. Erzählen Sie ihren Enkeln die biblischen Ge-schichten? Wie beschäftigen Sie sich persönlich mit kirchlichen und theologischen Themen? Natürlich haben unsere Enkel Kinderbibeln. Natürlich wollen sie sie erzählt haben. Das gehört doch schon zur Allgemeinbildung. Die Welt ist voller theologischer Themen. Wie sollte ich mich nicht damit beschäftigen. Der Theologe, mit dem ich mich am meisten beschäftige, ist Karl Barth. Ich lese gerade zum sechsten Mal seinen „Römerbrief“. Das ist zentral: Der Glaube als Zuspruch Gottes. Kein billiges Mittel, um das Himmelreich zu erreichen. Alle, alle sind wir erlöst. Das ist die frohe Botschaft. Wann und wie haben Kirche und protestantischer Glaube Sie geprägt? Wo und wie man geprägt wurde, weiss man nie schlüssig. Ich vermute, für meinen Teil, wohl schon im Elternhaus. Ich stamme aus einem reformierten Pfarrhaus. Mein Vater war ein Pfarrer positiver Richtung, seine engen Beziehungen zur damaligen Bekennenden Kirche in Deutschland und zu Karl Barth habe ich als kleiner Knabe intensiv miterlebt. Theologen gingen ein und aus, man hörte Diskussionen mit, wohl ohne viel zu verstehen. War es das? Oder die täglichen Geschichten und Gebete der Mutter? Sonntagsschule? Vielleicht, aber vielleicht auch ganz anderes. So wichtig ist das alles nicht. Gottes Geist weht, wo er will. Christ und Unternehmer – das geht heute für manche Menschen schlecht zusammen. Und für Sie? O diese Wortpaare: Christ und Pfarrer, Christ und Beamter, Christ und Unternehmer, Christ und Verbrecher, Christ und… Hier der gute Christ – dort der böse Unternehmer! Wer so fragt, weiss nicht, was ein Christ und nicht was ein Unternehmer ist. Die Kirche ist alles umfassend. Alle gehören wir dazu. Ich weiss nicht, warum ein Unternehmer nicht dazu gehören sollte. Der Unternehmer steckt sein Vermögen, seine Arbeitskraft, sein Wissen in die Forschung, die Produktion und den Verkauf von Gütern. Macht er es gut, wird er reich, wie seinerzeit Abraham. Macht er es schlecht, wird er arm. Macht er es gut, entstehen Arbeitsplätze und Wohlstand, mit dem sich auch Löhne der Kirchenleute zahlen lassen. Was soll da so verwerflich sein? Erfolg hat der Unternehmer nur dann, wenn er dem Auftrag gemäss lebt. Zentral ist dabei die Verantwortung. Und in der Politik? Als Sie Bundesrat geworden sind, haben Sie gesagt, Sie träten Ihr Amt an im Vertrauen darauf, „dass Gott uns helfe, dass es gut herauskommt“ – und sind danach von einigen Medien kritisiert worden. Sind Sie ein eminent christlicher Politiker? Ich habe damals die Formulierung der Präambel der Bundesverfassung sinngemäss gebraucht. Sie heisst nicht: „ Es kommt gut, weil ich Christ bin“. Nein, es ist ein Hilferuf. Es ist der alteidgenössische Ruf: „So wahr uns Gott helfe“. Wer daran Anstoss nimmt, will wohl selber Herr und Meister sein. Die Aufgabe als Bundesrat, die ich damals - an jenem Tag - neu zu übernehmen hatte, ist schwierig. Es ist ja vieles schief gelaufen im Staate. Ich liess mich wählen, um das zu korrigieren. Ist es da vermessen, in den Saal zu rufen: „So wahr uns Gott helfe?“ Im Bundeshaus, wo so viel Nebensächliches, so viele Intrigen, so viel Miss- und Mediengunst vom Auftrag abhalten! Nehmen Sie als Beispiel die Asylpolitik: Die Lösung der bestehenden Probleme ist eine Gratwanderung, wo man auf beide Seiten abstürzen kann: Zu nachgeberisch führt zu unhaltbaren Verhältnissen. Zu hart führt zu unrecht gegenüber Verfolgten. Mir scheint die kirchliche Obrigkeit hat sich aus dieser grossen Verantwortung geschlagen: Sie erweckt den Eindruck, sich für Flüchtlinge einzusetzen. Wer will dies nicht? Doch sie nimmt in Kauf, dass sie den grossen Missbrauch fördert und damit die Flüchtlingspolitik in Verruf bringt. Dies hat viel mit Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit zu tun. Aber geht das in der Asylpolitik zusammen: Christsein und Abschreckung von Flüchtlingen, etwa indem abgewiesene Asylsuchende nur noch Nothilfe bekommen? Abgewiesene Asylsuchende sind gerade keine Flüchtlinge. Sie haben das Land zu verlassen. Flüchtlinge werden durch das neue Asylgesetz nicht abgeschreckt. Aber solche, die keine sind. Auch für einen Christen ist das verständlich. Natürlich ist es eine undankbare und schwierige Aufgabe, Asylgesuche zu entscheiden und Abgewiesene zurückzuschicken. Für wen denn nicht? Doch ohne die konsequente Anwendung des Asylgesetzes geht es nicht. Darum gilt: Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind, nehmen wir auf. Das ist traditionelle schweizerische Flüchtlingspolitik und soll auch so bleiben, wenn das neue Asylgesetz angenommen wird. Dies hat wohl auch einen christlichen Hintergrund. Wer aber nicht bedroht ist und keine Bewilligung hat, muss nach Haus zurückkehren. Wen man die Kritiker der Asylgesetzrevision fragt: „Sollen wir denn alle aufnehmen?“, ist die Antwort: „Nein, das denn doch nicht.“ Darum ist die Zustimmung zum neuen Asylgesetz unerlässlich. Flüchtlinge sind aufzunehmen und Missbräuche zu verhindern. Aber Flüchtlinge ohne Papiere werden doch schlechter behandelt. Und viele echte Flüchtlinge haben keine Papiere. Flüchtlinge werden nicht schlechter behandelt. Übrigens: Echte Flüchtlinge – nicht irgendwelche Personen mit asylfremden Gründen – kommen heute zu 80 Prozent mit Papieren. Bei den anderen, die keine Flüchtlinge sind, ist es gerade umgekehrt. Auch in Zukunft wird kein wirklich bedrohter Flüchtling, der ohne Papiere kommt, abgewiesen werden. Aber alle diejenigen, die heute die Papiere vernichten, die Identität leugnen, falsche Angaben machen, nicht sagen wollen, wo und wie sie gekommen sind, damit sie hier bleiben können, obwohl sie kein Recht dazu hätten, müssen die Schweiz verlassen. Darunter sind leider viele Kriminelle, oft Drogenhändler. In diesen Fällen muss gehandelt werden können, ohne dass man die Flüchtlinge trifft. Das gewährleistet das neue Asylgesetz. Schüren Sie mit Ihrer Politik nicht Fremdenangst? Beschönigen bringt nichts. Schlimm ist es, wenn über die tatsächlichen Verhältnisse nicht gesprochen oder diese beschönigt werden. Viele, weniger bemittelte Schweizer erleben die Illegal-Anwesenden als Bedrohung. Sie leben auch täglich damit. Dies erzeugt Angst. Sie glauben, dass diese Personen vom Staat verhätschelt werden. Diese Menschen leben in einfachen Verhältnissen und erleben das Zusammensein mit diesen Fremden hautnah. Oft erleben sie viele Leute davon als Dealer oder als sehr gewaltbereit. Um Fremdenangst zu beseitigen, soll die Obrigkeit die Missstände nicht vertuschen, sondern die Probleme nennen. Darum haben die Leute auch das Verlangen, dass Probleme angegangen und gelöst werden. Das gibt Vertrauen und nimmt die Fremdenangst. Der neue Zürcher SVP-Präsident Hansjörg Frei sagt, die jetzt staatstragende SVP müsse anständiger, respektvoller politisieren. Eine Stiländerung? Ich schaue nicht in erster Linie auf den Stil, sondern auf die Substanz. Manchmal ist es unanständig gegenüber Missständen anständig zu bleiben. Als Oppositionspartei, was die SVP in den neunziger Jahren war, musste Sie provokativ auftreten. Ich bin glücklich, wenn dies nicht mehr nötig sein sollte. Also mehr Zurückhaltung, weniger Aggressivität, Stichwort Messerstecherplakat? Das besagte Plakat hat die Wirklichkeit symbolisiert und aufgerüttelt – Politiker, Strafverfolger, Richter. Es rief auf, Verantwortung zu übernehmen. Wer Verantwortung für ein Anliegen trägt, muss manchmal provozieren. Doch nicht jede Provokation macht Sinn. Es kommt auf das Motiv an. So wurde ich angefragt, ob es richtig sei, die viel besprochenen Karikaturen zu veröffentlichen. Meine Antwort: Der Staat hat dies nicht zu entscheiden. Er hat sich hier nicht reinzumischen. Es gilt die Rede- und Pressefreiheit und Sie hat allerhöchste Priorität. Als Privatmann gebe ich einem solchen Journalisten den Ratschlag: Wenn Sie mit der Veröffentlichung ein grosses Anliegen vertreten, dann müssen Sie’s machen. Aber wenn Sie’s tun, um eine Glaubensgemeinschaft zu verletzen, dann ist das ein schlechtes Motiv. Dann lassen Sie es besser sein. Aus einem guten Motiv geschieht selten etwas Schlechtes, umgekehrt aus einem schlechten Motiv selten etwas Gutes. Noch ein anderes politisches Feld: Vertreten Sie und ihre Partei ein konservatives Familienmodell? Müsste dann nicht auch ihre Tochter Magdalena zu Hause bei ihren kleinen Kindern bleiben? Die SVP glaubt, dass die Familie, wo Vater und Mutter für die Kinder gemeinsam sorgen, eine nicht überlebte Familienform ist. Sie wehrt sich dagegen, dass man versucht, diese traditionelle Familie schlechter zu stellen und vom Staat aus zu benachteiligen. Die SVP ist eine Mittelstandspartei mit vielen Selbständigerwerbenden und Familienbetrieben, bei denen die Frauen schon immer mitarbeiteten. Die SVP wehrt sich zum Beispiel gegen eine Benachteiligung der Familienfrau gegenüber der Frau, die ihre Kinder auf Kosten des Staates in die Krippe bringt, auch wenn Sie das finanziell nicht nötig hat. Aber die SVP ist auch eine freiheitsliebende Partei und schreibt den Leuten kein Familienbild vor. Jeder soll leben können, wie er will, nur die Verantwortung für die Kinder haben die Eltern zu tragen. Wenn das nicht mehr geht, weil es sich um einen schweren Sozialfall handelt, dann hat die Fürsorge einzugreifen. Meine Tochter und ihr Mann leben in einer traditionellen Familie, auch wenn beide berufstätig sind. Sie haben für ihre Kinder zu sorgen und ihre „Nanny“ selbst zu finanzieren. Was Kirchengremien momentan sehr beschäftigt, sind Probleme der Globalisierung. Wie stehen Sie dazu? Die Kirche beschäftigt sich mit allen, was Mode ist. Globalisierung ist eine Tatsache. Die Menschen reisen, gehen aufs Internet. Dass sie auch miteinander Handel treiben, ist ein Ausdruck davon. Damit hatte ich nie Mühe; schliesslich habe ich auch ein Unternehmen geführt, dass 90 Prozent der Produkte aus der Schweiz im Ausland verkaufte. Auch die Kirche schätzt es ja, wenn Grenzen fallen – der grösste Glo-balisierer war schliesslich der Apostel Paulus. Und manche Kirchenleute sind von allem Fremden gerade zu fasziniert. Ich bin allerdings für klar definierte Grenzen. Diese stecken Verantwortungsbereiche ab. In grenzenlosen Gebilden sind alle für alles verantwortlich, niemand für eine bestimmte Sache. Das gefällt Politikern. Das ist begreiflich. Sie betonen die personale Verantwortung: Typisch protestantisch? Auftrag und Verantwortung sind namentlich dort, wo geführt werden sollte, zentrale Begriffe. Sie liegen auch in der Tradition der grossen protestantischen Ethiker und eines Max Webers. Könnten Sie sich vorstellen, nach Ihrer Bundesratszeit eine leitende Funktion in der Kirche zu übernehmen? (lacht) Nein. Wenn ich manchmal als Prediger für einen Laiensonntag angefragt werde, antworte ich: Ich halte nur Vorträge. Predigen sollen die Pfarrer, aber die sollen dann auch wirklich predigen. Zur Zukunft der Kirche: Was denken Sie zu einer Trennung von Kirche und Staat? Ich glaube, eine Loslösung läge im Interesse der Kirche, die dann keine Rücksichten mehr auf den Staat nehmen müsste. Aber das ist keine zentrale Frage. An ihrer Beantwortung wird die Kirche nicht zugrunde gehen – ebenso wenig wie sie von der Kirchenobrigkeit, die nicht bei der Sache ist, zugrundegerichtet werden kann. Die Kirche ist nicht nur eine Organisationsstruktur: Die Kirche, von der die Glaubensbekenntnisse sprechen, ist eine allumfassende Gemeinschaft. Sie mag viele Fehlentwicklungen ertragen und wird überleben!