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06.11.2006

Solide Berufsleute für eine überlebensfähige Wirtschaft

Referat von Bundesrat Christoph Blocher zum 10-Jahre-Jubiläum der Rieter-Junior-Arena in Winterthur 06.11.2006, Winterthur Winterthur. Anlässlich des 10-Jahre-Jubiläums der Rieter-Junior-Arena sprach Bundesrat Christoph Blocher über den hohen Wert einer guten Berufsausbildung. Ihr sei es zu verdanken, dass Schweizer Qualität mit Genauigkeit, hohem handwerklichen Können und Verlässlichkeit gleichgesetzt werde. Eine gute Berufsausbildung stelle nicht nur Anforderungen an die Auszubildenden und die Betriebe; auch die Politik habe ihren Beitrag zu leisten. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Weltweit spitze Die Schweizer Berufsleute seien weltweit spitze. Das zeigen die jährlichen Lehrlingsmeisterschaften, bei denen die schweizerischen Vertreter regelmässig ganz vorne abschneiden. Das ist nicht nur eine Auszeichnung für den Prämierten selbst, sondern für seinen ganzen Berufsstand. Ausserdem zeigen diese Preise uns und der Welt: Schweizer Qualität ist und bleibt ein Gütesiegel. Das Schweizer Kreuz bürgt für Genauigkeit, hohes handwerkliches Können, Verlässlichkeit. Für diese Schweizer Qualität kann man auf dem Markt auch ein paar Schweizer Franken mehr verlangen. Das ist wichtig für unser Hochlohn-Land, denn wir können nur mit Qualität gegen die billigere Massenware konkurrenzieren. Die Schweizer Berufsleute sind weltweit spitze. Und ihr Ruf ist nach wie vor intakt. Der Ruf unserer Berufsleute ist über Jahrhunderte erarbeitet worden. In ganz verschiedenen Sparten. Weil wir ein rohstoffarmes, kleines Land sind, konnten wir gar nicht anders, als durch Tüchtigkeit zu glänzen. Nehmen Sie als Beispiel die Engadiner Zuckerbäcker. Die sind nach 1600 zu Hunderten vor allem nach Norditalien ausgewandert. Was sie mitbrachten, war: Fleiss, Einfallsreichtum, handwerkliche Perfektion. Und ausserdem verfügten sie über einen weiteren strategischen Vorteil: Sie waren Protestanten und mussten sich im katholischen Italien nicht an die strengen Vorgaben der Kirche halten, insbesondere während der Fastenzeit. 1704 gehörten in Venedig von 104 Zuckerbäckerläden 95 Bündnern. Wie reagiert man auf einen guten Konkurrenten? Entweder man wird besser als der Konkurrent oder man schaltet den Konkurrenten aus. Sie können sich denken, für welche Variante sich Venedig entschied: 1764 wurden sämtliche Bündner Gewerbetreibende aus der Stadt verbannt. 2. Alle Türen offen Was will ich mit diesem historischen Beispiel sagen? Erstens, wer sein Handwerk versteht, dem gehört die Welt. Denn eine Fähigkeit kann jeder überallhin mitnehmen. Was Sie im Kopf haben oder mit den Händen können, tragen Sie immer mit sich. Oder auf die Engadiner Zuckerbäcker übertragen: Gute Torten schmecken überall gut. Im Engadin, in Venedig oder sonst wo. Und überall gibt es Leute, die etwas Spezielles wollen und darauf warten, dass ihnen dieses Spezielle angeboten wird. Wenn Sie dieser Spezialist sind, dann haben Sie Arbeit und Erfolg. Wenn Sie in der Schweiz eine gute Berufsausbildung genossen haben, wenn Ihnen Schweizer Qualität etwas bedeutet (Präzision, Gewissenhaftigkeit, Verlässlichkeit, Fleiss), dann stehen Ihnen noch heute alle Türen offen. Ich will Sie jetzt natürlich nicht überreden, möglichst bald die Schweiz zu verlassen. Ich will damit nur sagen: Wenn die Berufsleute eines Landes überall in der Welt gefragt sind, dann kann die Ausbildung so schlecht nicht sein. Und jeder kann stolz sein, wenn er etwas mit seinen Händen anzustellen weiss. Denn das sind universale Fähigkeiten. Schauen Sie sich die Juristen an. Die kann man nur in der Schweiz gebrauchen, weil sie nur die Schweizer Gesetze kennen und anwenden können. Ich darf das sagen, ich habe schliesslich auch Jus studiert. Zweitens, zeigt das Beispiel mit den Engadiner Zuckerbäckern, dass es immer wieder Versuche gab und gibt, mit unfairen Methoden einen Mitbewerber auszuschalten. Wer aber auf die eigenen Stärken setzt und sich der eigenen Stärken bewusst ist, braucht die Konkurrenz nicht zu fürchten. So ist auch die Schweizer Wirtschaft gefordert, sich im weltweiten Markt zu stellen. Drittens, zeigt das Beispiel, dass der gute Ruf der Schweizer Berufsleute über Jahrhunderte aufgebaut worden ist. Aber – und so ist es leider mit dem Ruf – was Jahrhunderte aufgebaut haben, ist in wenigen Tagen wieder niedergerissen. Wir haben also alle eine Verpflichtung, diesen guten Ruf zu erhalten. Sie als junge Berufsleute. Die Lehrbetriebe, indem sie eine gute Ausbildung ermöglichen. Die Unternehmen, indem sie sich als Unternehmen weiterentwickeln und sich immer nach vorne, nach oben orientieren. 3. Wirklichkeitsnahe Ausbildung Wer bildet Sie denn aus? Es ist nicht der Staat, sondern die Unternehmen, die sich in ihrem jeweiligen Branchenverband zusammengetan haben. Die Unternehmen organisieren die Berufsausbildung. Mit Unternehmen sind in der Regel die vielen kleinen und mittleren Gewerbebetriebe gemeint. Diese Betriebe haben alle ein Interesse, dass die Lehrlinge das beigebracht bekommen, was ihnen in der täglichen Arbeit auch nützt. Die Betriebe wollen eine praxisbezogene, wirklichkeitsnahe Ausbildung. Die Betriebe wollen tüchtige junge Berufsleute, denn ohne gut ausgebildete Leute kann ein produzierendes Unternehmen seine Aufträge nicht erfüllen. Die gute Berufsausbildung hat also vor allem auch damit zu tun, dass die Branchen sich selber organisieren können. Die Politik sollte dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Wir befinden uns heute in der Arena der Maschinenfabrik Rieter. Diese Firma ist ein erfolgreiches, weltweit tätiges Unternehmen. Hier werden hochspezialisierte Maschinen hergestellt. Wenn die Rieter in der Schweiz produziert (wo die Löhne derart hoch sind), kann sich ein solches Unternehmen nur behaupten, wenn es der Billig-Konkurrenz voraus ist in Sachen Qualität und Technik. Nur wenn jemand ein viel besseres Produkt anbietet, ist der Kunde auch bereit, mehr dafür zu bezahlen. Die Schweiz ist dort erfolgreich, wo sie auf Qualität setzt. Wo wir auf simpel hergestellte Massenware setzen, sind wir in der Regel nicht konkurrenzfähig. 4. Jeder trägt seinen Anteil Wer aber auf Qualität setzt, muss auch auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgreifen können. Und zwar auf jeder Position. Jeder Mitarbeiter arbeitet – wie das Wort sagt – mit am gemeinsamen Erfolg. Auch Sie arbeiten mit. Die Betriebe wiederum sind aufgefordert, die Berufsausbildung hochzuhalten. Und sie werden es tun. Denn gute Berufsleute sind die Voraussetzung für eine gute Arbeit. Eine gute Berufsausbildung ist aber auch mit Anforderungen an den Auszubildenden verbunden. Diese Anforderungen müssen Sie erfüllen. Das nimmt Ihnen niemand ab. Leistungswillen und Fleiss sind keine Schulfächer. Fleiss und Leistungswillen sind eine Frage der Einstellung. Für Ihre Einstellung sind Sie selber verantwortlich. Aber auch die Politik hat ihren Beitrag zu leisten. Wir haben dafür zu sorgen, dass es weiterhin möglich sein wird, in der Schweiz zu produzieren. Trotz der hohen Löhne und Kosten. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Land attraktiv bleibt, auch für grosse Unternehmen. Damit wir uns im weltweiten Markt behaupten können. Damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Damit aber auch viele lokale Zulieferer ihr Auskommen finden. Denn nur, wenn es der Wirtschaft insgesamt gut geht, kann sie Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Das ist entscheidend für Sie. Junge Menschen brauchen eine Perspektive. Sie müssen sehen, dass es sich lohnt zu arbeiten. Sie müssen sehen, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Und ich bin überzeugt, dass Leistung Erfolg bringt.

28.10.2006

20 Jahre AUNS – 20 Jahre Einsatz für eine unabhängige, neutrale, freie Schweiz

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher an der Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre AUNS in Interlaken 28.10.2006, Interlaken Interlaken. In seiner Jubiläumsrede zu ihrem 20-jährigen Bestehen lobte Bundesrat Christoph Blocher den Einsatz der AUNS für eine unabhängige Schweiz. Die AUNS sei der Stosstrupp der Unabhängigkeit, die Verteidigerin der direkten Demokratie und das Bollwerk der Neutralität. Zwanzig Jahre AUNS seien nicht genug. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Inhalt 1. Die Mission der AUNS Man kann die Bedeutung und Mission der AUNS in einem Satz zusammenfassen: Ohne AUNS hätten wir unsere Unabhängigkeit verloren. Ohne AUNS wären wir heute Mitglied der Europäischen Union. Ohne AUNS wäre das Schweizer Volk entmündigt worden. Denn eine EU-Mitgliedschaft wäre auch das Ende der direkten Demokratie und damit das Ende unserer einzigartigen Volksrechte. Ohne AUNS hätte die Schweiz ihre Neutralität aufgegeben. Jene aussenpolitische Maxime also, die unser Land 150 Jahre lang erfolgreich vor allen Kriegshandlungen bewahrt hat. Darum gilt es festzuhalten: Die AUNS ist der Stosstrupp der Unabhängigkeit. Die AUNS ist die Verteidigerin der direkten Demokratie. Die AUNS ist das Bollwerk der Neutralität. Seit zwanzig Jahren kämpft die AUNS diesen Kampf für die Unabhängigkeit der Schweiz. Da steht Zähigkeit und Überzeugung dahinter. Hier wurde viel Herzblut vergossen. Das sind zwanzig Jahre Widerstand gegen alle Verlockungen, es auch so zu machen wie alle anderen. Zwanzig Jahre Beharrlichkeit gegen alle Druckversuche der Medien, der Parteien, der Obrigkeiten, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und der Universitätsprofessoren. Als ich in den Nationalrat eintrat, hätte ich gesagt: eine Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz ist nicht nötig, weil die Staatssäulen Unabhängigkeit, Neutralität, Selbstbestimmung selbstverständlich waren. Vor 20 Jahren begannen jedoch modern sein Wollende diese Säulen für überholt zu erklären. Da war der Zeitpunkt gekommen, die AUNS zu gründen. Und schon bald darauf hatte die AUNS ihre wichtigste Bewährungsprobe zu bestehen. 2. Die EWR-Abstimmung 1992 Die Frage, ob die Schweiz dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten sollte oder nicht, war die Bewährungsprobe. Am 6. Dezember 1992 lehnten Volk und Stände den Beitritt zum EWR ab. Bei einer Stimmbeteiligung von über 78 Prozent haben sich die Bürgerinnen und Bürger für einen eigenständigen Weg, den schweizerischen Weg in Europa und der Welt, entschieden. Diese Abstimmung war eine Schicksalsabstimmung. Die wichtigste seit dem 2. Weltkrieg. Die Befürworter machten vor allem ökonomische Gründe geltend. Die Wirtschaftsverbände warnten vereint mit der Classe politique, den Massenmedien, Gewerkschaften und Hochschullehrern eindringlich vor einem Nein zum EWR-Vertrag. Unser Land würde nicht mehr konkurrenzfähig sein, war der Grundtenor der offiziellen Schweiz. Stellvertretend möchte ich Ihnen eine Aussage zitieren. Der damalige Verkehrsdirektor der Stadt Luzern behauptete 1992: "Ohne EWR kann die Schweiz nicht überleben." Wie die meisten Propheten wurde auch dieser Prophet durch die Zukunft widerlegt. Vierzehn Jahre Abstand ermöglichen eine nüchterne Bestandesaufnahme der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung: Die apokalyptischen Voraussagen über eine Schweiz ohne EWR haben sich als gigantische Fehlprognosen erwiesen. Die Schweiz hat ohne EWR überlebt. Gerade deswegen sogar sehr gut überlebt! Die Schweiz konnte ihren Wohlstand gerade ausserhalb vom EWR – und nicht zuletzt deswegen – behaupten. 3. Nur eine Zeitungsmeldung? Vor circa zwei Monaten ist eine Zeitungsmeldung erschienen, die es in sich hatte. Das World Economic Forum (WEF) hat die Ergebnisse einer breit angelegten Studie veröffentlicht. Es wurde weltweit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieländer untersucht. Und siehe da: Die Schweiz belegte den ersten Rang. Das Nicht-EU-Land Schweiz. Jene Schweiz, die doch laut EWR-Befürworter auf den Knien um eine EU-Mitgliedschaft betteln würde. Jene Schweiz also, die man für ökonomisch verloren erklärte. Der man prophezeite, sie würde ausserhalb der EU nicht mehr konkurrenzfähig sein. Die WEF-Untersuchung zeigte, dass die Schweiz über besondere Qualitäten verfügt: einen robusten Finanzplatz, eine hervorragende Forschung, politische Stabilität, vergleichsweise tiefe Steuern und gute Infrastrukturen. Es ist klar, dass die ganze Koalition der EU-Enthusiasten diese Meldung totgeschwiegen hat. Es ist klar, dass die meisten Zeitungen diese Meldung verschämt irgendwo im Wirtschaftsteil versteckt haben. Die Zerknirschung ging so weit, dass man sich nicht einmal mehr richtig freuen konnte: Denn eigentlich wäre dieser erste Platz doch eine Auszeichnung für die Schweiz. Wir könnten uns doch bestätigt fühlen. Und es könnte ein Ansporn sein, noch mehr auf die Karte Eigenständigkeit zu setzen, sie sogar auszubauen, auf unsere Stärken zu vertrauen. Wir haben die einmalige Chance zu beweisen, dass es auch andere Wege gibt. Dass die Unabhängigkeit für einen Kleinstaat kein Makel, sondern ein Vorteil ist. Die Studie über die Wettbewerbsfähigkeit war nicht die einzige erfreuliche Nachricht der letzten Monate. Auch punkto Standortqualität nimmt die Schweiz eine Spitzenstellung in Europa ein. Das zeigte eine Umfrage unter Managern international tätiger Firmen. Das zeigt aber vor allem die Realität: Im letzten Jahr haben sich rund 510 ausländische Unternehmen in der Schweiz niedergelassen. Ausgerechnet im Nicht-EU-Land Schweiz. Oder ist es gerade deswegen? Grosse Firmen haben ihren europäischen Hauptsitz in die Schweiz verlegt. Ist das Zufall? Die Summe der Direktinvestitionen in der Schweiz (also die Summe Geld, die ausländische Firmen in der Schweiz investieren) hat einen Höchstwert erreicht. Alles Zufall? Nein: Die Schweiz kann dank ihrer Unabhängigkeit eine eigenständige Politik machen, die optimal auf unseren neutralen Kleinstaat zugeschnitten ist. Dank der Steuerautonomie lockt die Schweiz mit attraktiven Bedingungen für Unternehmen. Die Schweiz hat einen robusten Finanzmarkt und hervorragende Banken. Das wäre ohne den Schweizer Franken und ohne eine souveräne Währungspolitik nicht denkbar. 4. AUNS. U wie Unabhängigkeit Das Schweizer Volk hat 1992 den EWR-Vertrag mit guten Gründen abgelehnt. Die Schweiz hat auch 2001 den EU-Beitritt mit guten Gründen abgelehnt. Der Souverän hat sich damit für einen eigenständigen Weg der Schweiz in Sicherheit und Wohlstand entschieden. Ein EWR-Vertrag oder eine EU-Mitgliedschaft würde die Grundlagen unserer erfolgreichen Schweiz zerstören: * Eurokratie statt direkte Demokratie mit Volksinitiative und Referendum * Fremdbestimmung statt wachsame Selbstbestimmung * Zentralismus statt föderalistische Vielfalt * Verlust der Direkten Demokratie * Einschränkung statt Handlungsfreiheit * höhere Arbeitslosigkeit * Verlust der Währung und damit der Inflation ausgeliefert. * höhere Schuld- und Hypothekarzinsen * entsprechend höhere Wohnungsmieten * zusätzliche Steuern, Prämien und Abgaben * Attraktivitätsverlust des schweizerischen Wirtschaftsstandortes Darum ist es erfreulich, dass der Bundesrat in der Europapolitik die Weichen neu gestellt hat. Der Bundesrat sieht den Beitritt nicht mehr als "strategisches Ziel". Und für die bilateralen Verträge hält der Bundesrat ausdrücklich fest: Nur, soweit die Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt wird, d.h. ohne sich institutionell einbinden zu lassen. 5. AUNS. N wie Neutralität Eine der wichtigsten aussenpolitischen Massnahmen der Schweiz bildet die immerwährende Neutralität. Die Neutralität wurde in den 90-Jahren schwer vernachlässigt. Aber die dauernde Neutralität wird wieder an Bedeutung gewinnen: Neutralität schützt uns vor Kriegsbegeisterung, vor Medien-Manipulation, vor eilfertigem Nachgeben unter Druck. Sie erlaubt uns unparteiische Hilfe, wo sie wirklich gebraucht wird. Sie errichtet, zusammen mit dem Milizsystem, eine hohe Schwelle für den Einsatz der Schweizer Armee. Aber sie ist nicht gratis. Sie braucht standfeste, selbstbewusste Politiker, Diplomaten und Soldaten. Die Neutralität schützt uns – und das ist nicht ihr geringster Verdienst – vor den Wünschen der Eliten nach Grösse, Medienauftritten, Applaus und Ruhm, was ja meistens nicht mit den Interessen der breiten Bevölkerung deckungsgleich ist. Was heisst eigentlich Neutralität und was bringt sie uns? Bequem ist sie nicht. Neutral sein, heisst oft – und vor allem im Ernstfall – alleine sein, einsam sein. Es ist die Einsamkeit, von der verantwortungsbewusste Regierungsleute und gute Führungskräfte wissen, dass sie unvermeidlich ist. Sie wird aber von schwachen Leuten, welche die Verantwortung meiden, gefürchtet. Gerade die jüngsten, bis nach Europa hineingetragenen Terroranschläge zeigen, dass die Neutralität auch in Zeiten überstaatlicher Auseinandersetzungen einen besseren Schutz bietet, als voreilige Parteinahme. Es ist die AUNS, die immer wieder unermüdlich für die Neutralität einsteht. Seit zwanzig Jahren. Tun Sie es auch in Zukunft. 6. AUNS. S wie Schweiz Letztlich geht es in all unseren Bemühungen um die Schweiz. Und die Schweiz wäre nicht die Schweiz, würde sie nicht die Instrumente der direkten Demokratie kennen. Der Sonderfall Schweiz hat einen Namen: Direkte Demokratie. Die Arbeit der Politiker ist mit den Wahlen nicht abgeschlossen. Nein. Sie müssen mindestens vier Mal im Jahr dem Volk erklären, warum jene Vorlage gut oder jene Vorlage schlecht ist. Denn der Souverän hat auch in Sachfragen das letzte Wort. Natürlich ist es mühsam für uns Politiker, sich dauernd erklären zu müssen. Natürlich ist es eine Herausforderung, den Bürgerinnen und Bürgern ein Thema in verständlichen Worten darlegen zu können. Natürlich kann es frustrierend sein, Abstimmungen zu verlieren. Natürlich droht das Referendum immer wie ein Damoklesschwert über Regierung und Parlament. Und manchmal saust das Damoklesschwert auch tatsächlich nieder. Ja, so ist die direkte Demokratie. So wirkt die direkte Demokratie. Nicht selten lehnt sich das Volk gegen die vorherrschende, von oben diktierte Meinung auf. Wir haben in der letzten Asylabstimmung wieder einmal gesehen: Die Menschen sind viel näher am Leben als die vielen sich zur Elite zählenden Schichten. Die Menschen erleben die Fehlentwicklungen der Politik hautnah. Am Arbeitsplatz, in den Schulen, auf den Strassen, als Gewerbler, Steuerzahler, Autofahrer, Konsument… wo auch immer – in welcher Form auch immer. Umso wichtiger ist es, dass am Ende das Volk auch in Sachfragen entscheidet. Denn es sind die Menschen, die den Folgen der Politik konkret ausgesetzt sind. Das hat auch die AUNS erkannt. Ohne direkte Demokratie wäre die AUNS wirkungslos. Nur die direkte Demokratie ermöglicht der AUNS, Einfluss auf die Politik zu nehmen – auch von ausserhalb der Parlamente und Regierungen. Machen wir uns nichts vor: Ohne direkte Demokratie wäre die Schweiz schon längstens Mitglied der Europäischen Union. Wer also für eine unabhängige Schweiz eintritt, muss sich genauso für den Erhalt der Volksrechte einsetzen. Dass auch der EU etwas mehr Demokratie gut täte, sieht man immer dann, wenn einzelne Länder doch einmal "grosszügig" eine Abstimmung zulassen. Ich erinnere an das dänische Nein zu Schengen. Ich erinnere an das schwedische Nein zum Euro. Ich erinnere an das französische und niederländische Nein zur Europa-Verfassung. Die letzten beiden Ablehnungen waren so deutlich, dass die folgenden, bereits geplanten Urnengänge in anderen Ländern gleich abgesagt wurden. Die Demokratie beinhaltet insbesondere das Recht, Nein zu sagen. Die direkte Demokratie ist aber nie bloss ein formelles Abstimmungsverfahren gewesen. Die direkte Demokratie setzt Gedanken-, Rede- und Meinungsfreiheit voraus. Ohne diese gibt es keine Demokratie. Jeder Bürger muss frei seine Meinung äussern können. In undemokratischer Weise wird zunehmend von denen, die etwas zu sagen haben, versucht, Meinungen zu verbieten, zu unterdrücken oder gar zu verfälschen, statt dass man andere Meinungen zulässt und – wenn nötig – widerlegt. Ich staune, wie in vielen Fragen nur eine einzige Meinung zugelassen wird. Eine Demokratie muss jedoch in Alternativen denken, handeln und regieren, sonst macht sie keinen Sinn! Die Meinungsfreiheit darf darum nicht durch Gesinnungsgesetze eingeschränkt werden. Die Meinungsfreiheit darf nicht durch eine Gesinnungsjustiz verfolgt werden. Die Meinungsfreiheit darf nicht einer vorherrschenden Gesinnungspolitik geopfert werden. 7. Die Mission weiter erfüllen Zwanzig Jahre AUNS heisst zwanzig Jahre Einsatz für eine unabhängige Schweiz. Denn Unabhängigkeit schafft Freiraum für die Bürger, ihren Staat so zu gestalten, wie es ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Nur die Freiheit erlaubt diese lebensnahe Vorstellung von Politik. Diese Mission ist Ihr Auftrag. Zwanzig Jahre AUNS sind nicht genug. Treten Sie weiter ein für eine unabhängige, neutrale, freie Schweiz!

22.10.2006

Gedenkfeier 50 Jahre Ungarn-Aufstand: Sorge tragen zur Freiheit

Festrede von Bundesrat Christoph Blocher im alten Börsensaal in Zürich Zürich. An der Gedenkfeier erinnerte Bundesrat Christoph Blocher an die Opfer des Ungarn-Aufstands und daran, mit wieviel Sympathie und Solidarität die 14'000 ungarischen Flüchtlinge in der Schweiz empfangen worden seien. Er lobte die gute Integration der Flüchtlinge und mahnte die Schweizer, zur gemeinsam errungenen Freiheit Sorge zu tragen. 22.10.2006, Zürich Sehr geehrte Damen und Herren Sorge tragen zur Freiheit Der Ruf nach Freiheit Als im Oktober 1956 Zehntausende Menschen in Budapest auf die Strasse gingen, äusserte sich ihr Protest in einem eindrücklichen Akt: Die Demonstranten holten das Stalin-Denkmal von seinem Sockel. Mit dem symbolischen Sturz des Diktators wollten die Ungarn auch ganz konkret das Ende der sozialistischen Knechtschaft herbeiführen. Der Ruf nach Freiheit und demokratischen Reformen erfüllte das Land. Es gibt geschichtliche Momente, die sich im Gedächtnis regelrecht einbrennen. Als sich die Ungarn 1956 erhoben, blickte die westliche Welt mit Sorge und grosser Anteilnahme über den Eisernen Vorhang. Für jeden Schweizer wurde augenfällig demonstriert, was es heisst, in einem freiheitlichen Land leben zu dürfen – oder eben nicht. Der Aufstand der Ungarn war auch für die so ganz anders geartete Schweiz ein tief empfundener Kampf für die Freiheit und Demokratie. In diesem Sinn liess sich damals auch der Schweizerische Bundesrat verlauten: "Mit Bestürzung hat der Bundesrat die Ereignisse, die sich in Ungarn abspielen, zur Kenntnis genommen. Der Bundesrat weiss sich einig mit dem Schweizervolk, wenn er seinem Schmerz Ausdruck gibt darüber, dass die Unabhängigkeit, Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht des mit der Schweiz befreundeten ungarischen Volkes unterdrückt werden." Drei Schweigeminuten Einen Monat später, am 20. November 1956, stand die ganze Schweiz im eigentlichen Wortsinne still. Das galt auch für den sechzehnjährigen Christoph Blocher, der gerade mit dem Fahrrad durch das Zürcher Weinland in die landwirtschaftliche Fortbildungsschule unterwegs war. Die Bevölkerung gedachte mit drei Schweigeminuten der Opfer der brutalen Niederschlagung des Ungarnaufstandes. Ich höre heute noch, wie die Kirchglocken durch die stille Winterlandschaft klangen. Die Schweiz, alle Autos, alles was unterwegs war, stand still. Uns Jungen rollten die Tränen über die Wangen! Es kam vieles zusammen in diesem Herbst 1956. Unruhen in Polen, die Suez-Krise im Nahen Osten, Chruschtschows Raketendrohungen gegen Frankreich und Grossbritannien und dann die sowjetischen Truppen in Budapest. Im Schatten dieser Ereignisse ergriffen über 200'000 Ungarn die Flucht und fanden eine erste Aufnahme in Österreich. Von dort aus verteilten sich die Menschen im restlichen Europa. Rund 12'000 kamen in die Schweiz und fast alle Zeitzeugen bestätigen: Ihnen brandete eine uneingeschränkte Welle der Solidarität und Sympathie entgegen. Unbürokratische Hilfe Der Bundesrat stellte damals für die Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge keine Bedingungen, wie dies die Schweiz im Zeichen kollektiver Not stets getan hat. Die Aufnahme erfolgte rasch, unbürokratisch und ohne Prüfung individueller Fluchtgründe. Die Menschen wurden allesamt als politische Flüchtlinge oder als vorläufig Aufgenommene mit sofortiger Arbeitsbewilligung anerkannt. Die Behörden durften dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. Von Sympathie getragen In unserem Gedenken sollten wir einen Umstand nicht vergessen: Bei der Aufnahme der Ungarn handelte es sich nicht einfach um einen von den Behörden verordneten Bürokratieakt. Nein, die Schweizer Bevölkerung fühlte sich mit dem bedrängten Kleinstaat auf ganz besondere Weise verbunden: Wohltätigkeitskonzerte, Kerzenaktionen, Spendenaufrufe erfolgten. Die Zürcher Tageszeitungen erstellten während sechs Monaten ein Gratis-Mitteilungsblatt auf Ungarisch, den "Hirado" (Anzeiger). Die Flüchtlinge wurden in den Bahnhöfen von Schweizer Bürgern empfangen, die keineswegs dorthin bestellt waren. Die Ungarn-Sympathie ging sogar soweit, dass sich die Schweiz aus Protest gegen die sowjetische Vorgehensweise zum Boykott der Olympischen Spiele, die vom 22. November bis zum 8. Dezember 1956 stattfinden sollten, entschied. Man muss sich heute, 50 Jahre nach dem Aufstand und 17 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung des Eisernen Vorhanges, wieder in Erinnerung rufen, was es heisst, in einer freien Demokratie zu leben. Den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern im Jahr 1956 musste diese Wertschätzung nicht speziell beigebracht werden. So schrieb mir angesichts des 40. Jahrestages im Jahre 1996 ein ungarischer Freund: "In einem kleinen Land kämpften wir – damals junge Menschen – gegen Tyrannen. Und wir kämpften für all das, was den Schweizern höchstes Gut war: Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit!" Vorbildliche Integration Die Eingliederung der Ungarn geschah deshalb so vorzüglich, weil die Verfolgten sich ohne Einschränkung auf ihr neues Heimatland einliessen und der Wunsch gross war, sich in dieser neuen, freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu bewähren. Wir können der jetzt erschienen Gedenkschrift "Flucht in die Schweiz" entnehmen, dass sich laut einer Umfrage 98,6 Prozent der Befragten als gut bis sehr gut in der Schweiz integriert sieht. Das ist eine Erfolgsgeschichte – nicht nur für unser Land – sondern vor allem für jeden einzelnen der ehemaligen Flüchtlinge. Auch schwierige Momente Wir wollen aber trotz der geglückten Integration nicht vergessen: Jeder Flüchtling brachte sein persönliches Schicksal mit: Den Verlust der Heimat. Die Trennung von der Familie und Freunden. Ein abrupter Schnitt von der ungarischen Kultur und Sprache. Auch die Eingliederung selbst forderte die Betroffenen. Jeder Integrationsprozess ist für die Beteiligten mit Schwierigkeiten, Erwartungen und Enttäuschungen verbunden. So war es auch bei den Ungarn, die durch ihre Flucht aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wurden. Dabei sind (wie im Bericht des Eidgenössichen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. März 1957 über die Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge ausgeführt wird) "zwei Welten" aufeinander gestossen: Die Flüchtlinge mussten sich nach den Erfahrungen in einer Diktatur an die Verhältnisse in der Schweiz anpassen, eine Arbeitsstelle suchen, eine Wohnung finden, die Landessprachen erlernen, sich an das für sie neue politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umfeld in der Schweiz gewöhnen. Kurz: Jede Freiheit ist eine Chance, aber auch die Pflicht, ein Leben in Eigenverantwortung zu führen. Frei und neutral Wie bei Volksaufständen üblich, hatten die Aufständischen in Ungarn keine Zeit für ein detailliertes politisches Programm. Ein solches wäre wahrscheinlich auch nicht zustande gekommen. Nur eines verband die Widerstandskämpfer: Die Einigkeit in der Ablehnung des Terrors, der Bevormundung, der täglichen Propagandalügen, der servilen Anbetung der sowjetischen Macht. Beweggrund des Aufstandes war die schwer gekränkte nationale Würde. Im Willen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit, der Freiheit und Neutralität waren sich Linke wie Rechte einig! Die geflüchteten Ungarn erhielten damals die Möglichkeit, ein Land auszuwählen, in dem sie sich niederlassen wollten. Abgesehen von persönlichen Motiven nannten jene Befragten, die sich für die Schweiz entschieden, folgende Gründe: * Die schweizerische Demokratie * Die schweizerische Neutralität * Die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten Man könnte die Auswahl der Schweiz also auch als eine Art Auszeichnung verstehen. Darum verbindet sich der Gedenktag zum Ungarnaufstand von 1956 mit einem Auftrag für die Gegenwart: Tragen wir Sorge zu unserer Demokratie, zu unserer Neutralität und zu unserer liberalen Wirtschaftsordnung. Oder in einem Satz: Tragen wir Sorge zu unserer gemeinsam errungenen Freiheit. Die Ungarn in der Schweiz haben erlebt, was passiert, wenn man diese hohen Güter preisgibt. Die Ungarn haben damals zwar äusserlich eine Niederlage einstecken müssen. Doch die verlorene Schlacht bereitete den späteren Sieg vor. Sie mussten allerdings noch 30 Jahre bis zur Befreiung warten! Der heutige Gedenktag sei auch uns allen ein Mahnmal!

21.10.2006

Die Partei der Grundsätze – Warum es eine starke SVP im Bundesrat braucht

Ansprache an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz in Fribourg von Bundesrat Christoph Blocher 21.10.2006, Freiburg Freiburg. Es brauche eine starke SVP im Bundesrat, weil diese Partei gute Grundsätze vertrete – so äusserte sich Bundesrat Christoph Blocher an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz. Gute Lösungen müsse man erkämpfen und erstreiten, dazu brauche es starke Vertreter in allen Parteien. Andernfalls habe die Konkordanz keinen Sinn. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Die Partei der Grundsätze Warum braucht es eine starke SVP im Bundesrat? Nehmen wir die Frage auseinander! 1. Warum hat die SVP Anrecht auf eine Zweier-Vertretung im Bundesrat? * Weil wir die wählerstärkste Partei der Schweiz sind. * Weil in unserem Konkordanzsystem die Parteien gemäss ihrer Stärke im Bundesrat vertreten sein sollen. Das ist die rein mathematische Seite der Frage. Die kann jeder nachvollziehen. Wenn er bereit und fähig ist, auf zwei zu zählen. 2. Warum braucht es eine starke SVP im Bundesrat? Ich muss die Frage andersherum stellen: Wer will denn eine schwache SVP im Bundesrat? Ich nicht. Sie nicht. Wir nicht. Aber unsere Gegner wollen eine schwache SVP im Bundesrat. Aber wir machen ja nicht Politik für unsere Gegner. Sondern wir machen Politik für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Und das ist ziemlich genau das Gegenteil der Politik unserer Gegner. Darum müssen wir auch das Gegenteil tun. Dazu braucht es Stärke! Und eine starke SVP in der Regierung. Warum rufen die Linken und Grünen lautstark nach einer schwachen SVP im Bundesrat? Nur schwache Parteien können starke Gegner nicht ertragen. Ich meine, die Zeiten sollten vorbei sein, wo man, wie etwa in sozialistischen Regimes, den Gegnern mundtot macht, ihn ein- oder aussperrt. Nein, das schweizerische System lebt davon, dass wir alle Themen kontrovers behandeln. Dazu braucht es unterschiedliche Köpfe. Ich habe auch als Unternehmer gelernt: Man muss jede Frage möglichst von allen Seiten betrachten. Möglichst alle Alternativen durchdenken. Jedes Problem und jede Lösung muss kritisch durchleuchtet werden. Das ist die Grundlage des Erfolgs. Wenn alle gleich denken, erreichen sie nur eine Pseudeo-Harmonie. Eine Pseudo-Harmonie ist das Gegenteil einer guten Lösung. Gute Lösungen muss man sich erarbeiten. Gute Lösungen muss man erkämpfen und erstreiten. Das gilt im Unternehmen – und auch in der Politik. Dazu braucht es starke Vertreter in allen Parteien! Sonst macht die Konkordanz keinen Sinn. Wenn alle vier Bundesratsparteien die gleiche Meinung vertreten, brauchen wir nicht vier verschiedene Bundesratsparteien. 3. Warum braucht es die SVP? Warum braucht es eine starke SVP im Bundesrat? Weil wir gute Grundsätze vertreten. Die Grundsätze zählen. Wer als Politiker nicht weiss, wofür seine Partei grundsätzlich steht, wird in den konkreten Fragen immer scheitern oder die falsche Politik machen. Wer seinen Kompass nicht richtig einstellt, wird seinen Weg nicht finden. Andererseits: Ist der Kompass erst einmal richtig eingestellt, kann die Lösung im konkreten Fall so falsch nicht sein. Der Hauptfehler in der Politik liegt in der Regel darin, dass man vom Grundsatz abweicht! Darum ist es wichtig, die richtigen Grundsätze zu haben. Und ebenso wichtig ist es: An seinen Grundsätzen festzuhalten. Gegen alle Widerstände von aussen. Denn wenn die Gegner merken, dass eine Partei Grundsätze hat, sogar wichtige und richtige Grundsätze, dann wird diese Partei der Grundsätze aufs Erbitterste bekämpft. Das ist so. Und Sie wissen, wovon ich spreche. Ich weiss es auch. Denn eine Partei mit Grundsätzen – und erst noch eine, die diese verfolgt – ist für den Gegner gefährlich. Die SVP ist die wählerstärkste Partei der Schweiz. Damit haben wir einen Wählerauftrag zu erfüllen. Die Bürgerinnen und Bürger wählen uns, weil sie an unsere Grundsätze, an unsere Lösungen, an unsere Durchsetzungskraft, an unsere Politik glauben. Darum halten wir an unseren Grundsätzen fest: 1. Wir stehen für eine unabhängige Schweiz ein. Darum lassen wir uns nicht institutionell einbinden. Ein EU-Beitritt würde das Ende unserer Unabhängigkeit, das Ende unserer Neutralität, das Ende unserer direkten Demokratie bedeuten. Dafür gilt es zu kämpfen. 2. Wir wollen eine unabhängige Schweiz, damit wir unsere Handlungsfreiheit bewahren können. Nur so können wir eine optimale Politik und optimale Gesetze für unseren Kleinstaat machen. Wir setzen auf die Stärken der Schweiz: Schlanker Staat, wenig Regulierungen, tiefe Steuern, möglichst viel Eigenverantwortung. 3. Ohne die SVP und ohne die direkte Demokratie wäre die Schweiz schon lange Mitglied der Europäischen Union. Man hat uns schon 1992 bei der EWR-Debatte schlimme Konsequenzen vorausgesagt. Der damalige Staatssekretär Franz Blankart sagte, wir würden die EU nach fünf Jahren auf den Knien bitten, „uns um jeden Preis als Mitglied aufzunehmen“. Wie gut, dass so viele Propheten immer wieder durch die Zukunft widerlegt werden. Heute – d.h. 14 Jahre nach dem EWR-Nein – hat eine Studie des WEF (World Economic Forum) ergeben, dass die Schweiz das wettbewerbsfähigste Land der Welt sei. Dies ohne EWR und ohne EU. Aber dank unserer Unabhängigkeit, dank einer starken SVP, dank der direkten Demokratie, dank der Standhaftigkeit unserer Bürgerinnen und Bürger. Dank Ihnen, liebe Delegierte der Schweizerischen Volkspartei. Wenn die SVP ihre Arbeit richtig macht, dann bringt sie ihre Grundsätze überall ein. In den Gemeinden, Kantonen und im Bund. Politik hat man dort zu machen, wo es sich aufdrängt, in den Parlamenten und Exekutiven, aber vor allem auch mit den Mitteln der direkten Demokratie. Darum bringen wir das Gedankengut der SVP auch in den Bundesrat ein. Und zwar mit voller Überzeugung und vollem Einsatz. 4. Der Auftrag der SVP Es nützt nichts, eine Alibi-SVP im Bundesrat zu haben. Wir wollen keine „Wir-sind-im-Bundesrat-und-das-genügt-uns-SVP“. Die Wahl in ein Gremium heisst: Jetzt beginnt die Arbeit. Die Wahl in den Bundesrat darf nicht das Ziel sein, um sich dann zurückzulehnen und das Amt und die Vergnügungen dieses Amts zu geniessen. Nein. Dann erreicht man mit der Opposition mehr. Mit der Wahl verbindet sich ein Auftrag der Bürgerinnen und Bürger. Und diesen Auftrag gilt es zu erfüllen. Dies bringt Bürde. Und wenn man es recht macht, dann mehr Bürde als Würde! Wir werden gewählt, weil wir für ein klar definiertes Parteiprogramm stehen. Wir werden gewählt, weil wir tun, wofür wir gewählt werden. Wir werden gewählt, weil wir Lösungen, Konzepte, Köpfe bieten. Wir werden gewählt, weil wir wissen, dass zuerst alle Probleme schonungslos auf den Tisch gehören. Angenehm kann diese Arbeit nicht sein! Unsere Stärke muss sein: Hinschauen. Wir orientieren uns an der Wirklichkeit. An den Fakten. Wir interessieren uns für die Bürgerinnen und Bürger und was sie beschäftigt. Wer die Wirklichkeit zum Massstab nimmt, muss auch sagen können, wo die Probleme liegen. In einer Demokratie muss es möglich sein, alle Themen auf den Tisch zu bringen. Auch die unbequemen Fragen. Darum halte ich die Meinungsfreiheit für die entscheidende Voraussetzung einer Demokratie. Besonders in der Schweiz, wo auch Sachthemen zur Abstimmung kommen. Hier muss jeder sagen können, was er denkt, ohne dass man ihn gleich verhaftet oder ohne dass er für seine Meinung Nachteile im beruflichen oder öffentlichen Leben befürchten muss. Die vergangenen Jahre führten zu einem Klima der Einschüchterung im Land. Wer eine andere Meinung hat, wird moralistisch abgeurteilt. Wer über Ausländerkriminalität spricht, wird sofort als Fremdenfeind abgestempelt oder gar mit dem Richter bedroht. Warum soll man nicht zugeben: Ja, wir haben Integrationsprobleme. Wer diese Probleme leugnet oder tabuisiert, löst die Probleme nicht. Im Gegenteil: Er verschärft sie. Die Grundlage einer Demokratie ist immer die Meinungsäusserungsfreiheit. Diese Meinungsfreiheit ist zurzeit weltweit bedroht. Zum Beispiel durch islamische Extremisten, die auf gewaltsame Einschüchterung setzen. Aber die Meinungsfreiheit kann nur jemand glaubwürdig vertreten, der sich nicht zu einer moralistischen Koalition zählt, die ganze Tabuzonen errichtet, um wichtige Debatten zu unterdrücken. Das war bei den Asyl-Missständen jahrelang so. Das ist bei der Ausländerkriminalität so. Das war beim IV-Missbrauch der Fall und ist es zum Teil heute noch. Das ist bei der Schuldenpolitik der öffentlichen Hand so. Das ist bei der Finanzierung unserer Sozialwerke so. Es wird tabuisiert. Es wird moralisiert. Es wird die Wirklichkeit geleugnet. So kommen wir nicht weiter. Man muss die Tatsachen aussprechen können. Man muss seine Meinung sagen können. Das sind wir einer direkten Demokratie schuldig. Das gehört zum Freiheitsverständnis unserer Schweiz. Es ist Aufgabe der SVP, dies aufzudecken. Schonungslos. Die Wirklichkeit ist oft unangenehm. Warum sind wir stark geworden? 1. Weil die SVP in den dunklen 90-er Jahre Grundsätze vertrat. Gegen den Modetrend. 2. Weil die SVP die Wirklichkeit sehen wollte. 3. Weil die SVP damit Probleme sehen und sie auch benennen konnte. 4. Weil die SVP Lösungen bot. Andere als die anderen. 5. Aufbauend auf dem Boden der Wirklichkeit, den Problemen offen in die Augen schauend, die Lösungen unbeirrt vertretend – trotz aller Anfeindungen – das hat die SVP stark gemacht. Wir konnten den Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments wenigstens für einen Teil unserer Lösungen gewinnen. Und schliesslich hat das Volk mit fast siebzig Prozent dem neuen Asylgesetz zugestimmt. Ein Lichtblick! Sie sehen: Es lohnt sich. Es braucht Zeit. Aber es lohnt sich. Das Wichtigste ist Durchhalten. Und an unseren Grundsätzen festhalten. Wer seinen Kompass richtig stellt, wird seinen Weg finden. Weil er ein Ziel erreichen will. Dafür nimmt man auch einen beschwerlichen Weg in Kauf. Denn wir wollen Ziele erreichen. Dafür engagieren wir uns. Meine Damen und Herren, ich verstehe nicht, dass sich da und dort in der SVP Selbstzufriedenheit und Anerkennungssucht breit machen. Das erfüllt mich mit Sorge. Merken Sie sich: Je weniger Sie an sich denken, desto mehr denkt der Bürger an Sie! Halten Sie durch. Halten Sie an unseren Grundsätzen fest. Dann kommt es gut.

20.10.2006

Was macht die schweizerische Wirtschaft erfolgreich?

Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung der Tessiner Handels-, Gewerbe- und Industriekammer in Lugano 20.10.2006, Lugano Lugano. "Handelsfreiheit setzt politische Handlungsfreiheit voraus" – diese Devise begründe den Erfolg der Schweizer Wirtschaft, liess Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung der Tessiner Handels-, Gewerbe- und Industriekammer verlauten. Wegen des Mangels an natürlichen Ressourcen sei die Schweiz von jeher auf den Handel angewiesen und mit anderen Ländern und Regionen vernetzt gewesen. Entscheidend sei, dass die Schweiz sich nie habe institutionell einbinden lassen. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren 1. Das Tessin – ein Glücksfall für den Rest der Schweiz Wenn immer Deutschschweizer sich über das Tessin äussern, drohen zwei Fallen. Die eine Falle ist die Romantisierung: Man spricht mit verträumtem Blick über die Valli, preist den Merlot und die gute Küche und wir staunen über das Miteinander von alpiner Welt und südlichem Flair: Hier die schneebedeckten Berge und gleich daneben die mediterranen Palmen und Kakteen. Der Deutschschweizer fährt ja ins Tessin, um sich tageweise als besserer Mensch zu fühlen. Die zweite Falle ist die Dämonisierung des Tessins. Sobald eine politische Unkorrektheit bekannt wird oder irgend eine behördliche Schlamperei, rümpft der gemeine Deutschschweizer seine Nase (die er in diesem Fall noch etwas höher trägt als normal) und sagt vielwissend: "Typisch Tessin". Das zeigt, man muss nicht unbedingt ins Tessin fahren, um sich als besserer Mensch zu fühlen. Sie kennen meine Meinung: Wir leiden in der Politik eher an zu viel Moralismus als an zu wenig. Wenn ich also in eine der beiden Fallen tappen möchte, dann mit vollem Bewusstsein in die erste. Ich bin der Ansicht, man soll das Tessin als das nehmen, was es ist: Eine glückliche Fügung für die ganze Schweiz. Die Schönheit der Schweiz ist ihre Vielfältigkeit und die Südschweiz stellt eine besonders gelungene Variation davon dar. Und Sie wissen gar nicht, wie oft mir ihr Kanton schon Freude bereitet hat bei Abstimmungen, besonders zu europapolitischen Fragen. Nie konnten die Kommentatoren einfach einen Graben zwischen der deutschen und der lateinischen Schweiz herbeireden. Denn hier unten widersetzte sich das Stimmvolk beharrlich allen Verlockungen des Mainstreams und sagte Nein, wo das Ja zur unabhängigen Schweiz bedroht war. 2. Politik, Staat und Wirtschaft Nun bin ich nicht hierher gekommen, um über die Befindlichkeiten von Deutschschweizern gegenüber dem Tessin und umgekehrt zu berichten. An einer Generalversammlung der Handels-, Gewerbe- und Industriekammer soll ein anderes Thema im Mittelpunkt stehen: Die Wirtschaft. Im heutigen Fall die Frage: "Was macht die schweizerische Wirtschaft erfolgreich?" Denn offenbar ist unsere Wirtschaft erfolgreich. Weil anders könnte man folgende Meldung gar nicht interpretieren: Eine umfangreiche, erst kürzlich erschienene Studie des World Economic Forum (WEF) setzte die Schweiz auf den ersten Rang als wettbewerbsfähigstes Land der Welt. Ich will hier jetzt nicht auf die näheren Faktoren eingehen – denn es gibt durchaus Bereiche, wo die Schweiz nur Mittelmass ist und diese beziehen sich vor allem auf staatliche Aufgaben. Nein, freuen wir uns vorbehaltlos an diesem ersten Platz und fragen wir uns gleichzeitig, warum die Schweiz so erfolgreich geworden ist. Der wichtigste Punkt ist: Ein Staat steht dann gut da, wenn möglichst viele Leute in der Wirtschaft tätig sind, und es ist gleich anzufügen: Die Menschen können dann mit Erfolg wirtschaftlich tätig sein, wenn der Staat sie möglichst gewähren lässt. Warum aber geht es der Schweiz denn – ich formuliere jetzt vorsichtig – weniger schlecht als anderen Ländern? Die Schweiz kennt schliesslich von der Natur her keinen Standortvorteil. Wir verfügen praktisch über keine natürlichen Ressourcen und Bodenschätze. Die Schweiz hat keinen eigenen, nennenswert grossen Binnenmarkt, kein Meeresanstoss usw. Das mag uns bedauerlich erscheinen. Aber nur auf den ersten Blick. Denn die Schweizer waren so von Anfang an gezwungen, auf anderen Gebieten zu reüssieren. Mit Geld und Geist. Mit Produkten und Präparaten. Mit Wissen und Kenntnissen. Wer über wenig natürliche Ressourcen verfügt, ist auf den Handel angewiesen. Die Schweiz war von jeher vernetzt mit anderen Ländern und Regionen. Wir haben seit jeher Handel getrieben, importiert, exportiert; aber – und das ist entscheidend – wir haben uns dafür nie institutionell einbinden lassen. Darum lautet die schweizerische Devise, die unseren Erfolg begründet: Handelsfreiheit setzt politische Handlungsfreiheit voraus. Wir sind ein weltoffenes Land – wobei die Welt über die Europäische Union hinausgeht. Weltoffenheit heisst aber nicht Vereinbarungen einzugehen, die unsere Souveränität einschränken! Die Unabhängigkeit ist die Grundlage. Sie ermöglicht uns, eine Politik zu betreiben und Gesetze zu erlassen, die optimal sind für unseren rohstoffarmen Kleinstaat. In diesem Rahmen konnte sich unser Staat herausbilden und mit ihm seine liberalen Säulen: die direkte Demokratie, der Föderalismus und die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. In diesem Rahmen kommen auch unsere wirtschaftlichen Stärken zum Ausdruck. 3. Die Stärken der Schweiz Die Hauptstärken der Schweizer Wirtschaft sind nach wie vor: * wir haben einen flexiblen Arbeitsmarkt (immer im Vergleich zu den meisten europäischen Staaten) * wir haben qualifizierte und fleissige Beschäftigte (wir haben auch andere) * wir gewährleisten ein stabiles politisches Umfeld * wir haben in vielen Bereichen kein optimales, aber immerhin ein akzeptables Steuerklima * wir haben einen leistungsfähigen Finanzplatz, der die Unternehmen mit Krediten zu versorgen weiss * wir haben hochstehende öffentliche Infrastrukturen und * wir sind gegenüber dem Ausland offen. * Wir verfügen über innovative Unternehmen, was wohl am Wichtigsten ist. Wenn ich sage, dass wir einen flexiblen Arbeitsmarkt haben und dass die Beschäftigten qualifiziert und fleissig sind, heisst dies auch, dass wir in erster Linie wegen der Menschen, die hier arbeiten, Erfolg haben. 3.1. Flexibler Arbeitsmarkt Obwohl wir diese Flexibilität mit der Übernahme der Personenfreizügigkeit eingeschränkt haben, stehen wir etwas besser da. Vor allem wenn wir bedenken, was in andern Ländern der Kündigungsschutz bewirkt. Dort sieht der Staat die Beschäftigten als "Lohnabhängige". Und da dieser abhängig ist, muss notfalls der Staat dafür sorgen, dass er weiterhin Lohn bekommt, und nicht nur während einer beschränkten Zeit Lohnersatz wie bei uns mit der Arbeitslosenversicherung. Da der Staat diesen Lohn als notwendig erachtet, aber diese Notwendigkeit nicht erfüllen kann, überträgt der Staat in den umliegenden Ländern diese Verantwortung für die Weiterbeschäftigung von Angestellten an die Unternehmen, indem er ihnen strenge Kündigungsvorschriften auferlegt. Mit unserem schweizerischen Kündigungsschutz, ja mit der Arbeitsmarktregulierung generell, stehen wir glücklicherweise dem angelsächsischen Modell näher als dem kontinentaleuropäischen. So ernten wir die Früchte in Form einer vergleichsweise tiefen Arbeitslosigkeit und kennen gute Chancen der Wiedereinstellung nach einem Stellenverlust. 3.2. Qualifizierte und fleissige Beschäftigte Selbstverantwortung ist der Schlüssel zum Erfolg. Es ist wichtig, dass die Beschäftigten Mitarbeiter sind und nicht nur Befehlsempfänger. Das Wort "Mitarbeiter" bringt zum Ausdruck, dass sie am Erfolg des Unternehmens mitarbeiten. Dass die Schweizer fleissig sind, ist eine kulturelle Frage, dafür kann der Staat nichts. Aber der Staat kann den Leuten die Lust nehmen, fleissig zu sein. Zum Beispiel, indem er zu hohe Steuern einfordert und so den Tüchtigen straft. Wir haben eine Tendenz, Erfolg und Leistung mit einer Vielzahl von Abgaben und Steuern zu bestrafen und dafür Misserfolg und Bequemlichkeit mit einer ebenso grossen Zahl von staatlichen Leistungen zu belohnen. Ein solches Signal an die Bevölkerung ist verheerend für die Volkswirtschaft als ganzes. 3.3. Politische Stabilität Die selbständigen und selbstbewussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auch selbständige und selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger. Dies ist neben unseren Institutionen ein wesentlicher Grund, dass sich die Schweiz durch hohe politische Stabilität auszeichnet. Mancher Wandel geht bei uns etwas zähflüssiger voran als in andern Staaten. Das stört zum Teil auch die Wirtschaft, die rasch auf neue Herausforderungen reagieren können muss. Wenn wir aber den Verantwortungskreis des Staates nicht zu gross machen, ist es kein Nachteil, wenn die politischen Institutionen Stabilität vermitteln. Dass die Mühlen des Gesetzgebers langsam mahlen, hat auch Vorteile. Schon manch unsinniges Gesetz ist bereits auf dem langen Entstehungsweg glücklich entschlafen. 3.4. Hochstehende öffentliche Infrastrukturen Im Infrastrukturbereich rühmen wir die hohe Qualität der öffentlichen Leistungen. Müssen wir hier, wo der Staat traditionellerweise als Unternehmer tätig war, etwas ändern? Ich meine ja. Wenn der Staat sowohl als Regulator und Mitbewerber in einem Markt auftritt, haben wir es mit einer heiklen Wettbewerbssituation zu tun. Denn der Staat ist ja nicht nur Konkurrent, er definiert auch die Spielregeln des Markts. Spieler und Schiedsrichter zu trennen, ist eine weise Devise. Und welche Rolle dem Staat zukommt, ist klar: Er sollte, wenn möglich, nicht Spieler, d.h. Unternehmer sein. Nur schon deshalb, weil neben ihm dann keine andere Instanz die Rolle des Schiedsrichters, d.h. des Regelsetzers, ausüben kann. 3.5. Akzeptables Steuerklima Unser Steuerklima ist gut, jedenfalls für die Unternehmen. Deshalb kommen immer wieder auch ausländische Firmen in die Schweiz. Sollte sich der Staat anders finanzieren, das heisst andere Steuern erheben? Sicher könnte man bei der Konsumbesteuerung etwas hinaufgehen und im Gegenzug die Einkommenssteuersätze etwas herunternehmen. Das würde voraussichtlich Wachstum bringen, ist aber politisch ein höchst schwieriges und unsicheres Manöver. Das Problem der Steuern muss deshalb weniger von der Seite der Steuerstruktur her angegangen werden. Man muss es von der Seite der Staatsquote her angehen, d.h. das Niveau der öffentlichen Ausgaben ist zu hinterfragen und herunter zu setzen. Jeder Franken, den der Staat weniger ausgibt, ist ein Franken mehr für die Bürgerinnen und Bürger, für die Unternehmerinnen und Unternehmer. Zudem darf die Steuerhoheit der Gemeinden und Kantone nicht angetastet werden. Nur die Steuerautonomie und damit die direkte Vergleichbarkeit der Steuersätze schafft den nötigen Druck auf die Politik, die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Gerade der Kanton Tessin hat gezeigt, dass eine zielgerichtete Entlastungspolitik und eine offensive Strategie bei der Besteuerung von Unternehmen zum Erfolg führt. So gehört das Tessin heute zu den attraktivsten Standorten, was sich vor allem auch über die Grenze nach Norditalien herumgesprochen hat. Und vergessen wir an dieser Stelle nicht, dass der Vater der Tessiner Steuerpolitik eine Mutter ist: Marina Masoni. Sie hat erkannt, dass die beste Politik für die Menschen eine gute Wirtschaftspolitik ist. Das Tessin steht heute im innerkantonalen Steuervergleich weit vorne. Gleichzeitig sind die Aufgaben und Ausgaben des Kantons konsequent hinterfragt worden. Das ist keine dankbare Aufgabe – wer in der Politik Bequemlichkeit sucht, geht andere Wege. Umso grösseren Respekt gebührt jenen, die das Undankbare tun. 3.6. Offenheit gegenüber dem Ausland Wenn wir schauen, welche Branchen in der Schweiz sich besonders dynamisch entwickeln, dann sind es vorab diejenigen, welche sich auf die globalen Märkte ausgerichtet haben: Banken, Versicherungen, Chemie und weite Teile der Maschinenindustrie. Gerade auch das Wachstum über Direktinvestitionen im Ausland ist ein wesentlicher Pfeiler der unternehmerischen Dynamik in der Schweiz. Dank dieser Entwicklung weitet sich das Angebot an qualifizierten Stellen bei uns aus, was der immer besseren Ausbildung der Bevölkerung entgegenkommt. 3.7. Gutes betriebliches Innovationsvermögen Internationalen Vergleichserhebungen zufolge ist die Schweizer Volkswirtschaft weiterhin auch eine der innovativsten. Wie in vielen andern Sektoren auch hat die Konkurrenz allerdings zur Schweiz aufgeschlossen. 4. Das Fundament des Erfolgs: Die Souveränität der Schweiz Trotz aller Einflussmöglichkeiten des Staates dürfen wir eines nicht vergessen: Der Staat kann Wachstum nur mitgestalten, aber nicht selber direkt verantworten. Mitgestalten heisst aber in erster Linie nicht behindern. Der Bundesrat trägt als Kollegium eine Verantwortung dafür, dass die Schweizer Wirtschaft stark ist. Bei vielen Determinanten des Wachstums kommt zusätzlich den Kantonen eine grosse Verantwortung zu. Ich habe in der Einleitung von den widerspenstigen Tessinern gesprochen, die sich ihre Unabhängigkeit bewahrt haben und damit auch die Unabhängigkeit der ganzen Schweiz. Wenn wir daran denken, was unser Land und unsere Wirtschaft erfolgreich macht, dann sollten wir immer wieder an das Fundament dieses Erfolgs denken: Unser unabhängiger, föderalistischer, neutraler Kleinstaat, der auf dieser Basis Gesetze und Rahmenbedingungen schaffen kann, die diesem Kleinstaat am besten dienen. Ein entscheidender Verdienst kommt dabei der direkten Demokratie zu. Machen wir uns nichts vor: Ohne direkte Demokratie würde die Schweiz heute der EU angehören und hätte damit ihre entscheidenden Vorteile (Handlungsfreiheit, unabhängige Währungspolitik, niedriges Zinsniveau, tiefere Steuern, Neutralität usf.) eingebüsst. Auch unsere Steuergesetze und – vor allem – unsere Steuersätze sähen ohne direkte Demokratie ganz anders aus! Es ist gerade auch die direkte Demokratie, der wir beispielsweise einen so tiefen Mehrwertsteuersatz zu verdanken haben. Denn jede Steuererhöhung in der Schweiz muss vor das Volk. Ich erinnere daran, dass erst vor zwei Jahren eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,8% für die AHV durch den Souverän deutlich verworfen wurde. Ich erinnere an Deutschland. Da hatte die SPD vor den Wahlen jegliche Erhöhung kategorisch abgelehnt, die CDU kündigte eine Erhöhung von zwei Prozent an. Doch nach den Wahlen war alles anders: Die beiden Parteien schlossen einen „Kompromiss“, nämlich eine Erhöhung von drei Prozent… Das wäre bei der direkten Demokratie nie möglich gewesen. Die direkte Demokratie ist ein Disziplinierungsmittel für Politiker! Gewonnene Wahlen heissen gar nichts, denn schon am nächsten Tag muss sich die Politik wieder bewähren und ihre Entscheide erklären, sonst gibt es die rote Karte durch den Souverän schon bei der nächsten Sachabstimmung. Zu den Rahmenbedingungen gehört auch der Föderalismus, der völlig zu Unrecht als "Kantönligeist" verschrien wird. Gerade das Tessin beweist die Vorzüge dieses Systems. Wir organisieren unseren Staat von unten nach oben. Gemeinde, Bezirk, Kanton, Bund. Wäre dem nicht so, müssten Sie sich heute gar nicht treffen. Denn eine Tessiner Wirtschaftskammer ergibt nur dann Sinn, wenn sie im Tessin selbst auch Einfluss nehmen kann. So wie es in einer Demokratie Alternativen geben muss, damit der Bürger nicht nur wählen, sondern auch auswählen kann, bietet der Föderalismus dem Bürger Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Systemen. Auch über die Landesgrenzen hinaus. Der Mendrisiotto ist in den Mailänder Wirtschaftsraum integriert, aber eben politisch der Schweiz zugehörig. Das macht die erfolgreiche Mischung aus. Die norditalienischen Produktionsbetriebe haben das Tessin als vorteilhaften Standort entdeckt. Eine viel tiefere Unternehmensbesteuerung (in Italien liegt diese bei über 40 Prozent, im Tessin unter 20 Prozent), niedrige Lohnnebenkosten, kaum Streiks, ein gutes Bildungsniveau, Mehrsprachigkeit, politische Stabilität, flexibler Arbeitsmarkt – Sie sehen, ich komme wieder auf die allgemeinen Vorzüge des schweizerischen Wirtschaftsstandortes zu sprechen. Sie gelten für die ganze Schweiz und dazu kommen die speziellen Pluspunkte Ihres Kantons. Wenn ich jetzt viel von der Verantwortung der Politik für den wirtschaftlichen Erfolg gesprochen habe, dann will ich es nicht versäumen, den Hauptverantwortlichen für Wohlstand und Wachstum zu nennen: Das sind Sie, Ihre Unternehmen und Ihre Mitarbeiter. Für diesen Einsatz danke ich Ihnen im Namen der Landesregierung. An uns liegt es, Sie in Ihrer Arbeit wenigstens nicht zu behindern.