20 Jahre AUNS – 20 Jahre Einsatz für eine unabhängige, neutrale, freie Schweiz

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher an der Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre AUNS in Interlaken

28.10.2006, Interlaken

Interlaken. In seiner Jubiläumsrede zu ihrem 20-jährigen Bestehen lobte Bundesrat Christoph Blocher den Einsatz der AUNS für eine unabhängige Schweiz. Die AUNS sei der Stosstrupp der Unabhängigkeit, die Verteidigerin der direkten Demokratie und das Bollwerk der Neutralität. Zwanzig Jahre AUNS seien nicht genug.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Inhalt

1. Die Mission der AUNS

Man kann die Bedeutung und Mission der AUNS in einem Satz zusammenfassen:

Ohne AUNS hätten wir unsere Unabhängigkeit verloren.

Ohne AUNS wären wir heute Mitglied der Europäischen Union.

Ohne AUNS wäre das Schweizer Volk entmündigt worden. Denn eine EU-Mitgliedschaft wäre auch das Ende der direkten Demokratie und damit das Ende unserer einzigartigen Volksrechte.

Ohne AUNS hätte die Schweiz ihre Neutralität aufgegeben. Jene aussenpolitische Maxime also, die unser Land 150 Jahre lang erfolgreich vor allen Kriegshandlungen bewahrt hat.

Darum gilt es festzuhalten:
Die AUNS ist der Stosstrupp der Unabhängigkeit.
Die AUNS ist die Verteidigerin der direkten Demokratie.
Die AUNS ist das Bollwerk der Neutralität.

Seit zwanzig Jahren kämpft die AUNS diesen Kampf für die Unabhängigkeit der Schweiz. Da steht Zähigkeit und Überzeugung dahinter. Hier wurde viel Herzblut vergossen. Das sind zwanzig Jahre Widerstand gegen alle Verlockungen, es auch so zu machen wie alle anderen. Zwanzig Jahre Beharrlichkeit gegen alle Druckversuche der Medien, der Parteien, der Obrigkeiten, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und der Universitätsprofessoren.

Als ich in den Nationalrat eintrat, hätte ich gesagt: eine Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz ist nicht nötig, weil die Staatssäulen Unabhängigkeit, Neutralität, Selbstbestimmung selbstverständlich waren. Vor 20 Jahren begannen jedoch modern sein Wollende diese Säulen für überholt zu erklären. Da war der Zeitpunkt gekommen, die AUNS zu gründen. Und schon bald darauf hatte die AUNS ihre wichtigste Bewährungsprobe zu bestehen.

2. Die EWR-Abstimmung 1992

Die Frage, ob die Schweiz dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten sollte oder nicht, war die Bewährungsprobe. Am 6. Dezember 1992 lehnten Volk und Stände den Beitritt zum EWR ab. Bei einer Stimmbeteiligung von über 78 Prozent haben sich die Bürgerinnen und Bürger für einen eigenständigen Weg, den schweizerischen Weg in Europa und der Welt, entschieden.

Diese Abstimmung war eine Schicksalsabstimmung. Die wichtigste seit dem 2. Weltkrieg. Die Befürworter machten vor allem ökonomische Gründe geltend. Die Wirtschaftsverbände warnten vereint mit der Classe politique, den Massenmedien, Gewerkschaften und Hochschullehrern eindringlich vor einem Nein zum EWR-Vertrag. Unser Land würde nicht mehr konkurrenzfähig sein, war der Grundtenor der offiziellen Schweiz.

Stellvertretend möchte ich Ihnen eine Aussage zitieren. Der damalige Verkehrsdirektor der Stadt Luzern behauptete 1992: « Ohne EWR kann die Schweiz nicht überleben. » Wie die meisten Propheten wurde auch dieser Prophet durch die Zukunft widerlegt. Vierzehn Jahre Abstand ermöglichen eine nüchterne Bestandesaufnahme der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung: Die apokalyptischen Voraussagen über eine Schweiz ohne EWR haben sich als gigantische Fehlprognosen erwiesen. Die Schweiz hat ohne EWR überlebt. Gerade deswegen sogar sehr gut überlebt! Die Schweiz konnte ihren Wohlstand gerade ausserhalb vom EWR – und nicht zuletzt deswegen – behaupten.

3. Nur eine Zeitungsmeldung?

Vor circa zwei Monaten ist eine Zeitungsmeldung erschienen, die es in sich hatte. Das World Economic Forum (WEF) hat die Ergebnisse einer breit angelegten Studie veröffentlicht. Es wurde weltweit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieländer untersucht. Und siehe da: Die Schweiz belegte den ersten Rang. Das Nicht-EU-Land Schweiz. Jene Schweiz, die doch laut EWR-Befürworter auf den Knien um eine EU-Mitgliedschaft betteln würde. Jene Schweiz also, die man für ökonomisch verloren erklärte. Der man prophezeite, sie würde ausserhalb der EU nicht mehr konkurrenzfähig sein. Die WEF-Untersuchung zeigte, dass die Schweiz über besondere Qualitäten verfügt: einen robusten Finanzplatz, eine hervorragende Forschung, politische Stabilität, vergleichsweise tiefe Steuern und gute Infrastrukturen.

Es ist klar, dass die ganze Koalition der EU-Enthusiasten diese Meldung totgeschwiegen hat. Es ist klar, dass die meisten Zeitungen diese Meldung verschämt irgendwo im Wirtschaftsteil versteckt haben. Die Zerknirschung ging so weit, dass man sich nicht einmal mehr richtig freuen konnte: Denn eigentlich wäre dieser erste Platz doch eine Auszeichnung für die Schweiz. Wir könnten uns doch bestätigt fühlen. Und es könnte ein Ansporn sein, noch mehr auf die Karte Eigenständigkeit zu setzen, sie sogar auszubauen, auf unsere Stärken zu vertrauen. Wir haben die einmalige Chance zu beweisen, dass es auch andere Wege gibt. Dass die Unabhängigkeit für einen Kleinstaat kein Makel, sondern ein Vorteil ist.

Die Studie über die Wettbewerbsfähigkeit war nicht die einzige erfreuliche Nachricht der letzten Monate. Auch punkto Standortqualität nimmt die Schweiz eine Spitzenstellung in Europa ein. Das zeigte eine Umfrage unter Managern international tätiger Firmen. Das zeigt aber vor allem die Realität: Im letzten Jahr haben sich rund 510 ausländische Unternehmen in der Schweiz niedergelassen. Ausgerechnet im Nicht-EU-Land Schweiz. Oder ist es gerade deswegen? Grosse Firmen haben ihren europäischen Hauptsitz in die Schweiz verlegt. Ist das Zufall? Die Summe der Direktinvestitionen in der Schweiz (also die Summe Geld, die ausländische Firmen in der Schweiz investieren) hat einen Höchstwert erreicht. Alles Zufall?

Nein: Die Schweiz kann dank ihrer Unabhängigkeit eine eigenständige Politik machen, die optimal auf unseren neutralen Kleinstaat zugeschnitten ist. Dank der Steuerautonomie lockt die Schweiz mit attraktiven Bedingungen für Unternehmen. Die Schweiz hat einen robusten Finanzmarkt und hervorragende Banken. Das wäre ohne den Schweizer Franken und ohne eine souveräne Währungspolitik nicht denkbar.

4. AUNS. U wie Unabhängigkeit

Das Schweizer Volk hat 1992 den EWR-Vertrag mit guten Gründen abgelehnt. Die Schweiz hat auch 2001 den EU-Beitritt mit guten Gründen abgelehnt. Der Souverän hat sich damit für einen eigenständigen Weg der Schweiz in Sicherheit und Wohlstand entschieden.

Ein EWR-Vertrag oder eine EU-Mitgliedschaft würde die Grundlagen unserer erfolgreichen Schweiz zerstören:

* Eurokratie statt direkte Demokratie mit Volksinitiative und Referendum
* Fremdbestimmung statt wachsame Selbstbestimmung
* Zentralismus statt föderalistische Vielfalt
* Verlust der Direkten Demokratie
* Einschränkung statt Handlungsfreiheit
* höhere Arbeitslosigkeit
* Verlust der Währung und damit der Inflation ausgeliefert.
* höhere Schuld- und Hypothekarzinsen
* entsprechend höhere Wohnungsmieten
* zusätzliche Steuern, Prämien und Abgaben
* Attraktivitätsverlust des schweizerischen Wirtschaftsstandortes

Darum ist es erfreulich, dass der Bundesrat in der Europapolitik die Weichen neu gestellt hat. Der Bundesrat sieht den Beitritt nicht mehr als « strategisches Ziel ». Und für die bilateralen Verträge hält der Bundesrat ausdrücklich fest: Nur, soweit die Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt wird, d.h. ohne sich institutionell einbinden zu lassen.

5. AUNS. N wie Neutralität

Eine der wichtigsten aussenpolitischen Massnahmen der Schweiz bildet die immerwährende Neutralität. Die Neutralität wurde in den 90-Jahren schwer vernachlässigt. Aber die dauernde Neutralität wird wieder an Bedeutung gewinnen: Neutralität schützt uns vor Kriegsbegeisterung, vor Medien-Manipulation, vor eilfertigem Nachgeben unter Druck. Sie erlaubt uns unparteiische Hilfe, wo sie wirklich gebraucht wird. Sie errichtet, zusammen mit dem Milizsystem, eine hohe Schwelle für den Einsatz der Schweizer Armee. Aber sie ist nicht gratis. Sie braucht standfeste, selbstbewusste Politiker, Diplomaten und Soldaten. Die Neutralität schützt uns – und das ist nicht ihr geringster Verdienst – vor den Wünschen der Eliten nach Grösse, Medienauftritten, Applaus und Ruhm, was ja meistens nicht mit den Interessen der breiten Bevölkerung deckungsgleich ist.

Was heisst eigentlich Neutralität und was bringt sie uns? Bequem ist sie nicht. Neutral sein, heisst oft – und vor allem im Ernstfall – alleine sein, einsam sein. Es ist die Einsamkeit, von der verantwortungsbewusste Regierungsleute und gute Führungskräfte wissen, dass sie unvermeidlich ist. Sie wird aber von schwachen Leuten, welche die Verantwortung meiden, gefürchtet.

Gerade die jüngsten, bis nach Europa hineingetragenen Terroranschläge zeigen, dass die Neutralität auch in Zeiten überstaatlicher Auseinandersetzungen einen besseren Schutz bietet, als voreilige Parteinahme. Es ist die AUNS, die immer wieder unermüdlich für die Neutralität einsteht. Seit zwanzig Jahren. Tun Sie es auch in Zukunft.

6. AUNS. S wie Schweiz

Letztlich geht es in all unseren Bemühungen um die Schweiz. Und die Schweiz wäre nicht die Schweiz, würde sie nicht die Instrumente der direkten Demokratie kennen.

Der Sonderfall Schweiz hat einen Namen: Direkte Demokratie. Die Arbeit der Politiker ist mit den Wahlen nicht abgeschlossen. Nein. Sie müssen mindestens vier Mal im Jahr dem Volk erklären, warum jene Vorlage gut oder jene Vorlage schlecht ist. Denn der Souverän hat auch in Sachfragen das letzte Wort. Natürlich ist es mühsam für uns Politiker, sich dauernd erklären zu müssen. Natürlich ist es eine Herausforderung, den Bürgerinnen und Bürgern ein Thema in verständlichen Worten darlegen zu können. Natürlich kann es frustrierend sein, Abstimmungen zu verlieren. Natürlich droht das Referendum immer wie ein Damoklesschwert über Regierung und Parlament. Und manchmal saust das Damoklesschwert auch tatsächlich nieder.

Ja, so ist die direkte Demokratie. So wirkt die direkte Demokratie. Nicht selten lehnt sich das Volk gegen die vorherrschende, von oben diktierte Meinung auf. Wir haben in der letzten Asylabstimmung wieder einmal gesehen: Die Menschen sind viel näher am Leben als die vielen sich zur Elite zählenden Schichten. Die Menschen erleben die Fehlentwicklungen der Politik hautnah. Am Arbeitsplatz, in den Schulen, auf den Strassen, als Gewerbler, Steuerzahler, Autofahrer, Konsument… wo auch immer – in welcher Form auch immer. Umso wichtiger ist es, dass am Ende das Volk auch in Sachfragen entscheidet. Denn es sind die Menschen, die den Folgen der Politik konkret ausgesetzt sind.

Das hat auch die AUNS erkannt. Ohne direkte Demokratie wäre die AUNS wirkungslos. Nur die direkte Demokratie ermöglicht der AUNS, Einfluss auf die Politik zu nehmen – auch von ausserhalb der Parlamente und Regierungen.
Machen wir uns nichts vor: Ohne direkte Demokratie wäre die Schweiz schon längstens Mitglied der Europäischen Union. Wer also für eine unabhängige Schweiz eintritt, muss sich genauso für den Erhalt der Volksrechte einsetzen.

Dass auch der EU etwas mehr Demokratie gut täte, sieht man immer dann, wenn einzelne Länder doch einmal « grosszügig » eine Abstimmung zulassen.
Ich erinnere an das dänische Nein zu Schengen.
Ich erinnere an das schwedische Nein zum Euro.
Ich erinnere an das französische und niederländische Nein zur Europa-Verfassung.
Die letzten beiden Ablehnungen waren so deutlich, dass die folgenden, bereits geplanten Urnengänge in anderen Ländern gleich abgesagt wurden. Die Demokratie beinhaltet insbesondere das Recht, Nein zu sagen.

Die direkte Demokratie ist aber nie bloss ein formelles Abstimmungsverfahren gewesen. Die direkte Demokratie setzt Gedanken-, Rede- und Meinungsfreiheit voraus. Ohne diese gibt es keine Demokratie. Jeder Bürger muss frei seine Meinung äussern können.

In undemokratischer Weise wird zunehmend von denen, die etwas zu sagen haben, versucht, Meinungen zu verbieten, zu unterdrücken oder gar zu verfälschen, statt dass man andere Meinungen zulässt und – wenn nötig – widerlegt. Ich staune, wie in vielen Fragen nur eine einzige Meinung zugelassen wird. Eine Demokratie muss jedoch in Alternativen denken, handeln und regieren, sonst macht sie keinen Sinn!

Die Meinungsfreiheit darf darum nicht durch Gesinnungsgesetze eingeschränkt werden.
Die Meinungsfreiheit darf nicht durch eine Gesinnungsjustiz verfolgt werden.
Die Meinungsfreiheit darf nicht einer vorherrschenden Gesinnungspolitik geopfert werden.

7. Die Mission weiter erfüllen

Zwanzig Jahre AUNS heisst zwanzig Jahre Einsatz für eine unabhängige Schweiz. Denn Unabhängigkeit schafft Freiraum für die Bürger, ihren Staat so zu gestalten, wie es ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Nur die Freiheit erlaubt diese lebensnahe Vorstellung von Politik. Diese Mission ist Ihr Auftrag. Zwanzig Jahre AUNS sind nicht genug. Treten Sie weiter ein für eine unabhängige, neutrale, freie Schweiz!

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