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12.11.2004

Zehn Jahre danach

10-jähriges Jubiläum der «Assemblée interjurassienne», Sprechnotiz von Bundesrat Ch. Blocher, Moutier, 12. November 2004 12.11.2004, Moutier Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrter Herr Präsident der "Assemblée interjurassienne", Sehr geehrte Mitglieder der "Assemblée", Sehr geehrte Herren Regierungspräsidenten der Kantone Bern und Jura, Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, Sehr geehrte Damen und Herren, Einführung Vor zehn Jahren, am 11. November 1994, trat die "Assemblée jurassienne" hier in Moutier zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Damals schon vertraten die Herren Regierungsräte Annoni und Roth die Kantone Bern und Jura. Der Bundesrat war durch Herrn Arnold Koller vertreten. Man kriegt fast den Eindruck, kantonale Karrieren dauerten länger als diejenigen im Bund, und auch als diejenigen der Mitglieder der "Assemblée": Von den 24 Mitgliedern waren nur vier, nämlich Frau Maryvonne Schindelholz und die Herren Hubert Frainier, André Lecomte und René Schaffter, schon an der Eröffnungssitzung der "Assemblée" dabei. Der Jurakonflikt war zweifellos eine der heftigsten Auseinandersetzungen, welche die moderne Schweiz seit dem Sonderbundskrieg durchgemacht hat. Zwar war der Jurakonflikt geographisch limitierter und betraf zum Teil blosse Tagesinteressen, aber er berührte doch auch grundlegende Werte unserer nationalen Kultur: Die Sprache, die Religion, die Geschichte, den Bundesfrieden. Die zwischen der bernischen und der jurassischen Regierung und dem Bundesrat geschlossene Vereinbarung vom 25. März 1994 markiert mit der Gründung der "Assemblée interjurassienne" den Ausgangspunkt zu einer Lösung des Konflikts im gegenseitigen Einvernehmen. Dieses Vorgehen entspricht auch der neuen Bundesverfassung, welche in Artikel 44 Absatz 3 festhält, dass Streitigkeiten zwischen Kantonen oder zwischen Kantonen und dem Bund nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt werden sollen. Bilanz und Vergangenheit Zehn Jahre sind seither vergangen. Ein Geburtstag lädt dazu ein, Bilanz zu ziehen, zu fragen, was erreicht worden ist . Ihre Bilanz fällt äusserst positiv aus. Wichtiger noch als gutgeheissene Resolutionen oder gemeinsame Institutionen, die verwirklicht worden sind oder geplant werden, ist der interjurassische Dialog, den Sie erfolgreich in Gang gebracht haben. Es war ein konstruktiver, von einem positiven Geist getragener Dialog. Gestatten Sie, dass ich an dieser Stelle die drei politischen Persönlichkeiten erwähne, welche in den letzten zehn Jahren Ihre Arbeiten geleitet haben. Unter dem ersten Präsidenten Ihrer Versammlung, Herrn Bundesrat René Felber, wurde Pionierarbeit geleistet. Es waren wichtige Weichen. Dies brachte die "Assemblée" in Schwung und verlieh ihr die nötige Dynamik. Unter Herrn Nationalrat Jean-François Leuba, dessen kürzlicher Tod uns alle mit grosser Trauer erfüllt, wurden neue Dimensionen eröffnet. Es gab Ihrer Arbeit ein stärkeres Profil. Seit über zwei Jahren leitet nun Herr Serge Sierro Ihr Gremium. Der Bundesrat ist dankbar, dass er diese Aufgabe übernommen hat und dass er es auf sich nimmt, diese wichtige Aufgabe weiterzuführen. Zukunft Schon zehn Jahre "Assemblée"? Um ganz genau zu sein, wie das im "Uhrenland" Jura ja Verpflichtung ist, sind es exakt zehn Jahre und ein Tag. Eine unnötige Präzisierung? Ein Detail? Vielleicht doch nicht. Ich sehe darin etwas Symbolhaftes: Sie packen Ihre Zukunft an. Dieser eine, zusätzliche Tag steht für die neue Etappe, die Sie bei der institutionellen Frage in Angriff genommen haben. Ich habe mit Interesse verfolgt, in welcher Weise Sie am heutigen Nachmittag darüber diskutiert haben. Sollte es diesbezüglich noch Zweifel gegeben haben, so beweist gerade diese Idee, dass Sie keine Tabuthemen akzeptieren wollen. Ich hoffe, dass Sie die Diskussion darüber in aller Ruhe weiter führen. Der "jurassische Bogen der Mikrotechnik" An dieser Stelle möchte ich eine Ihrer Initiativen besonders hervorheben: Sie wollen ein Projekt für einen "jurassischen Bogen der Mikrotechnik" auf die Beine stellen. Dieses Vorhaben erscheint mir als zukunftsweisend. Da geht es um ein ambitiöses und intelligentes Projekt, das Personen zusammenführt. Ein Projekt, welches das nationale und internationale Ansehen einer ganzen Region aufzuwerten vermag. Erwartungen Es ist sehr anspruchsvoll, ein Projekt wie dasjenige des "jurassischen Bogens der Mikrotechnik" zu entwickeln. Aber es hilft, Ihre Region wirtschaftlich und kulturell voran zu bringen. Der Kanton Jura und der Berner Jura haben Grund genug, stolz auf sich zu sein und das Augenmerk Anderer auf sich zu lenken. Ein solches gemeinsames Projekt kann Wohlfahrt, wirtschaftliche Prosperität - kurz Zukunft - bringen! Verstehen Sie mich richtig: Ich halte niemanden dazu an, seine Überzeugungen aufzugeben! Überzeugungen dürfen jedoch nicht zum Bremsklotz werden, der Ihre Arbeit blockiert. Sie, meine Damen und Herren der "Assemblée interjurassienne", führen nun schon seit zehn Jahren einen Dialog, der in seiner konstruktiven, sachbezogenen und zukunftsorientierten Art beispielhaft ist. Sie mussten sich deswegen nicht selber verleugnen oder Ihre Überzeugungen aufgeben. Zehn Jahre und einen Tag nach Ihrer ersten Sitzung wünsche ich mir, dass wenn vom Jura oder Berner Jura die Rede ist, das Bild einer dynamischen, über kantonale Grenzen hinaus erfolgreichen Zusammenarbeit haften bleibt. Ein Prozess, der für die ganze Region nur von Vorteil sein kann. Ich danke Ihnen, dass Sie auch nach zehn Jahren weiter daran arbeiten, gemeinsam mit der bernischen und der jurassischen Regierung und mit der Unterstützung des Bundesrates. Ich wünsche Ihnen, ich wünsche Ihrer Region, ich wünsche der AIJ viel Prosperität und innovative Lösungen für die Zukunft.

03.11.2004

Wie weiter in der Migrationspolitik

Referat von Bundesrat Christoph Blocher bei der SVP des Kantons Aargau, Mehrzweckhalle Holziken, Mittwoch, 3. November 2004 03.11.2004, Holziken Es gilt das gesprochene Wort Einleitende Bemerkungen Seit meinem Amtsantritt als Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) am 1. Januar 2004 ist nahezu ein Jahr vergangen. Ich habe mich seither auf jene Themen meines Departements konzentriert, in denen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger möglichst rasch Lösungen gefunden werden müssen. Einer dieser Bereiche ist die Asyl- und Ausländerpolitik. Hier gibt es - und darin sind sich sowohl die Bevölkerung als auch die zuständigen Behörden in Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden einig - Probleme. Diese sind zu lösen. Eine intensive Analyse der Situation im Asyl- und Ausländerbereich hat gezeigt, dass nur eine ganzheitliche Betrachtungsweise eine brauchbare Lösung bringen wird. Zwischen der Asyl- und Ausländerpolitik bestehen zahlreiche Überschneidungen. Diese müssen im Rahmen einer schweizerischen Migrationspolitik angegangen werden, die drei Zielen dient: Dem Wohlstand des Landes, der Sicherheit der ganzen Bevölkerung und dem Schutz von echt Verfolgten. Weshalb eine schweizerische Migrationspolitik? I. Ausgangslage: Veränderte Rahmenbedingungen Die Situation im Asyl- und Ausländerbereich hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Dies verdeutlichen die folgenden drei Punkte: - Aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs seit den 1960er Jahren hat die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte stark zugenommen. Ebenfalls gestiegen ist der Anteil der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung - von 11% im Jahre 1960 auf 20,2% heute. Die Herkunft der Einwanderer änderte sich laufend. Früher kamen vor allem Italiener, Portugiesen und Spanier, häufig beruflich wenig qualifiziert. In den 80er Jahren wurden sehr viele Arbeitskräfte aus dem damaligen Jugoslawien rekrutiert. Und heute bilden Deutsche und Portugiesen die grösste Einwanderergruppe. Die nationale Ausländerpolitik war stets ein innenpolitisch kontrovers diskutiertes Thema. Von 1965 bis 1995 wurden insgesamt sieben Volksinitiativen für Begrenzungsmassnahmen eingereicht, die teils nur knapp scheiterten. - Seit dem Erlass des ersten Asylgesetzes im Jahr 1979 haben sich die Herkunft und die Fluchtgründe von Asylsuchenden geändert. Bis Ende der 1970er Jahre wurden die Asylgesuche mehrheitlich von Menschen aus osteuropäischen (damals kommunistischen) Ländern eingereicht, von denen viele in der Schweiz aufgenommen wurden. Seit Beginn der 1980er Jahre hingegen kommt die Mehrzahl der Asylsuchenden aus Ländern der Dritten Welt. Viele dieser Personen erfüllen die Kriterien nicht, um als politische Flüchtlinge oder schutzbedürftige Personen anerkannt zu werden. - Die Migration ist ein weltweites Phänomen. Insgesamt leben heute schätzungsweise 175 Millionen Menschen ausserhalb ihres Heimatlandes. Viele flüchten vor Krieg, Armut, Hunger und Not. Sie suchen Schutz vor Verfolgung oder ein besseres Leben. Ein Teil dieser Menschen kommt in die Schweiz. Darunter sind Flüchtlinge, deren Anspruch auf Schutz in der Schweiz anerkannt wird; und Arbeitssuchende, die einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand unseres Landes leisten. Aber es sind auch etliche darunter, die kein Bleiberecht in der Schweiz erhalten und wieder ausreisen müssen. II. Herausforderungen an die zukünftige Migrationspolitik Aufgrund dieser Entwicklungen steht die Schweiz vor wichtigen Herausforderungen: - Um den Wohlstand zu sichern, muss die Schweiz offen und attraktiv für tatsächlich benötigte ausländische Arbeitskräfte bleiben, vor allem für gut qualifizierte. Wir müssen festlegen, welche Menschen in der Schweiz leben und arbeiten dürfen und welche nicht. - Es ist sicherzustellen, dass echt Verfolgte nach wie vor in der Schweiz Schutz finden und aufgenommen werden. - Um das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten erfolgreich zu gestalten, müssen sich Menschen, die ein Bleiberecht in der Schweiz haben, so gut wie möglich integrieren. Dies gilt für Arbeitskräfte und deren Familien ebenso wie für Flüchtlinge. - Um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten sind die illegale Migration und der Missbrauch des Asyl- und Ausländerrechts möglichst zu verhindern. Eine schweizerische Migrationspolitik, die von der Bevölkerung mitgetragen wird und die Behörden auf allen Stufen entlastet, muss sich diesen Herausforderungen verstärkt stellen. Hierzu werden in vielen Bereichen, zum Beispiel bei der geplanten Revision des Asylgesetzes und des neuen Ausländergesetzes, bereits wichtige Vorschläge gemacht. Ich will darauf nun näher eingehen. Asylpolitik I. Um was geht es? Personen, die tatsächlich verfolgt sind und in der Schweiz um Schutz ersuchen, erhalten diesen auch. In der Schweiz leben rund 24'500 anerkannte Flüchtlinge. Weitere rund 23'500 Personen haben zudem unter dem Titel der vorläufigen Aufnahme eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Entwicklung im Asylbereich für das laufende Jahr zeigt folgende Trends auf (Stand 30.9.2004): - Das Total der Personen im Asylbereich (ohne anerkannte Flüchtlinge) hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich abgenommen. Betrug deren Anzahl im Jahr 2002 66'500 Personen, so sind es für dieses Jahr noch 58'000 Personen. Dies entspricht einer Abnahme von über 10%. - Die Verfahrens- und Vollzugspendenzen sind im Vergleich zur Vorjahresperiode um gut 15% gesunken. Die Zahl der erstinstanzlichen Pendenzen konnte um mehr als ein Drittel gesenkt werden. - Die Zahl der Asylgesuche ist im Vergleich zur Vorjahresperiode um knapp 30% gesunken. - Im Vergleich zur Vorjahresperiode konnten die Pendenzen der Asylrekurskommission leicht gesenkt werden (Pendenzenrückgang um 12%). II. Wo brennt es? In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde 1'202 Personen Asyl gewährt. Dies entspricht einer Anerkennungsquote von knapp 9 Prozent. Zudem erhielten knapp 3'300 Personen des Asylbereichs eine vorläufige Aufnahme. Schwierigkeiten gibt es im Hinblick auf jene Personen, welche die Schweiz verlassen müssen. Mehr als drei Viertel aller Asylsuchenden können keine asylrelevanten Gründe vorbringen. Viele dieser Personen verlassen die Schweiz nicht pflichtgemäss und weigern sich, mit den Behörden bei der Vorbereitung der Ausreise zusammenzuarbeiten. Dies führt dazu, dass die Zahl der Personen im Vollzugsprozess trotz leicht rückläufigem Trend noch immer sehr hoch ist. 1. Fehlende Identitätspapiere Die Mehrzahl der Asylsuchenden gibt keine amtlichen Identitätspapiere (Pass oder Identitätskarte) ab, sei es, dass sie über keine Papiere verfügen, diese während der Flucht ihren Schleppern abgeben mussten, oder dass sie diese willentlich vernichten. Im vergangenen Jahr (2003) hat nur rund ein Fünftel aller Asylsuchenden entsprechende Papiere vorgelegt (21,7%). Die Zahl der Personen, für die im Hinblick auf ihre Ausreise Papiere beschafft werden müssen, ist in den letzten zwölf Monaten gestiegen. Wegen fehlender Papiere kann in vielen Fällen die Wegweisung nach einem rechtskräftigen Asylentscheid nicht vollzogen werden, da ein Staat nur Staatsangehörige mit gesicherter Identität zurücknimmt. Viele Asylsuchende reisen mit Hilfe von Schleppern über die "grüne Grenze" in die Schweiz ein. Hierzu ist zu bemerken, dass oft nur punktuelle Grenzkontrollen durchgeführt werden. Auch kommt es vor, dass Asylsuchende ein Touristenvisum benutzen, um legal in die Schweiz einzureisen, und ihre Identitätspapiere nachher verstecken oder vernichten. 2. Vollzug der Wegweisung Der Vollzug der Wegweisung kann nur ungenügend durchgesetzt werden. Von den insgesamt rund 15'000 Abgängen der vergangenen neun Monate sind nur rund 2'000 Personen pflichtgemäss ausgereist. Die grosse Mehrheit (rund 8'000) ist untergetaucht, das heisst, entweder unkontrolliert ausgereist oder weiterhin ohne Bewilligung in der Schweiz anwesend. Die Behörden können dazu keine Angaben machen. Allein mit den bestehenden Zwangsmitteln wird es immer schwieriger, ausreisepflichtige Asylsuchende zur Kooperation und zum Vorlegen der notwendigen Ausreisepapiere zu bewegen. Auch die Verhandlung von Rückübernahmeabkommen ist schwierig. Die Schweiz sieht sich zunehmend mit Gegenforderungen wie beispielsweise der Zulassung zum Arbeitsmarkt konfrontiert. Als Folge davon verbleiben viele abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz, meistens illegal. Dies wiederum stellt die Kantone, Städte und Gemeinden vor grosse Sicherheits- und soziale Probleme mit bedeutenden Kostenfolgen. III. Lösungen Durch Massnahmen auf verschiedenen Ebenen wird es möglich sein, die genannten Probleme mittel- und längerfristig besser zu bewältigen. Lösungsmöglichkeiten gibt es in folgenden Bereichen: - Konsequente Nutzung bestehender Handlungsspielräume; - Verbesserungsvorschläge im Rahmen der Asylgesetzrevision; - Längerfristig grundlegende Änderungen des bestehenden Asylsystems. 1. Kurzfristige Lösungen: Handlungsspielräume optimal nutzen Kurzfristig müssen die bestehenden Handlungsspielräume optimal genutzt werden. Das bedeutet beispielsweise, dass wo immer möglich Rückübernahmeabkommen abgeschlossen werden, womit die Bereitschaft zur Rückübernahme erhöht wird. Ein anderes Beispiel ist die konsequente Anwendung der Zwangsmassnahmen durch die Kantone. 2. Massnahmen im Rahmen der Teilrevision des Asylgesetzes Im Rahmen der Teilrevision des Asylgesetzes hat der Nationalrat in seiner Sondersession vom Mai dieses Jahres verschiedenen Vorschlägen zugestimmt, die Verbesserungen bringen werden. Besonders hervorzuheben sind vier dieser Massnahmen: Ein neues Finanzierungssystem: Neu richtet der Bund den Kantonen für jeden Asylsuchenden aufgrund der durchschnittlichen Verweildauer im Verfahrens- und Vollzugsprozess eine Pauschale aus. An Stelle der zahlreichen Einzelpauschalen tritt eine Globalpauschale. Unabhängig von der Anzahl Tage, die ein Asylsuchender im Kanton verbleibt, richtet der Bund eine bestimmte Summe an den Kanton aus. So werden Anreize für die Kantone geschaffen, die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient zu nutzen. Einführung der humanitären Aufnahme: Damit kann ein Teil der heute vorläufig Aufgenommenen, die wegen einer gefährlichen Situation im Herkunftsland unverschuldet längere Zeit in der Schweiz bleiben, besser integriert werden. Neuerungen in der Zusammenarbeit mit Herkunftsländern von Asylsuchenden: Zum einen ist der Bundesrat verpflichtet, Verhandlungen über Rückübernahmeabkommen anzustreben. Zum anderen hat er die Möglichkeit, Entwicklungshilfegelder an Staaten, die im Bereich der Rückübernahme nicht kooperieren, zu streichen. Neu können die Schweizer Behörden nun bereits nach einem erstinstanzlichen negativen Asylentscheid Kontakt mit Heimat- und Herkunftsländern von Asylsuchenden aufnehmen, um die notwendigen Reisepapiere zu beschaffen. Verschiedene Massnahmen mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung. 3. Verbesserungsvorschläge für die Beratung im Ständerat Der Bundesrat hat mich in meinem Anliegen unterstützt, Vorschläge in der vorberatenden Kommission des Ständerates einzubringen, die die Papierbeschaffung erleichtern, den Vollzug verbessern, das Verfahren beschleunigen und neue Sanktionsmöglichkeiten schaffen, im Umgang mit renitenten Asylbewerbern, das heisst solchen, die sich den Anordnungen der Behörden widersetzen. Es handelt sich um folgende Massnahmen: - Ausschluss aus der Sozialhilfe für alle abgewiesenen Asylsuchenden mit rechtskräftig negativem Entscheid; - Die Verlängerung der Ausschaffungshaft auf eine Maximaldauer von 18 Monaten; - die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ein- und Ausgrenzung nach einem negativen Asylentscheid; - Einführung einer kurzfristigen Festhaltung; - Einführung einer Bestimmung, welche das Eintreten auf Asylgesuche grundsätzlich vom Vorliegen von vollzugsgenüglichen Ausweispapieren abhängig macht, es sei denn, es handle sich um tatsächliche Flüchtlinge; - Einführung einer Kostenvorschusspflicht bei ausserordentlichen Rechtsmitteln; - Beschleunigung der Beschwerdeverfahren; - Erweiterung der Datenbekanntgabe im Rahmen des Weg- und Ausweisungsvollzugs. Inwiefern die vom Bundesrat abgelehnte Durchsetzungshaft sowie das neue Konzept der vorläufigen Aufnahme in den eidgenössischen Räten wieder aufgenommen wird, bleibt abzuwarten. Ausländerpolitik I. Um was geht es? Die Schweiz ist - wie alle entwickelten Staaten in- und ausserhalb Europas - auf die Mitarbeit ausländischer Arbeitskräfte angewiesen. Rund ein Viertel der Arbeitsplätze in der Schweiz werden von Ausländerinnen und Ausländern besetzt. Dass dies vermutlich auch in Zukunft der Fall sein wird, zeigt sich bereits aufgrund der erwarteten demographischen Entwicklung. Die Migrations- und Ausländerpolitik wird uns also auch künftig stark beschäftigen. Bei der Ausländerpolitik geht es um den Entscheid - welche Ausländerinnen und Ausländer bei uns wohnen und arbeiten dürfen (Zulassung); - welche Aufenthaltsregeln für diese Personen gelten und wie sie sich integrieren sollen und müssen; - wie die illegale Migration und der Missbrauch des Ausländerrechtes zu bekämpfen sind. II. Welche Zulassungspolitik? Bei der Regelung der Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens könnte man alle Ausländerinnen und Ausländer aufnehmen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Diese Politik wäre nur machbar, wenn für eine längere Übergangszeit keine Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit ausgerichtet würden. Eine solche ungebremste und unkontrollierte Zulassung würde zu grösseren Integrationsproblemen etwa in den Schulen und in den Wohnquartieren sowie zu grösseren wirtschaftlichen und finanziellen Problemen führen. Erfahrungsgemäss reisen Personen, die ihre Stelle verlieren, in der Regel nicht aus, sondern versuchen, sich mit Schwarzarbeit durchzuschlagen, was nicht in unserem Interesse ist. Eine zweite Möglichkeit ist die Steuerung der Einwanderung mit dem dualen Zulassungssystem, für das sich der Bundesrat und der Nationalrat ausgesprochen haben. Dieses besteht aus der schrittweisen Einführung des gegenseitigen freien Personenverkehrs mit den EU- und EFTA-Staaten und einer beschränkten Zulassung für beruflich gut qualifizierte Personen aus Drittstaaten. Diese seit einigen Jahren bewährte Praxis soll auch mit dem neuen Ausländergesetz weitergeführt werden. Das geltende Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer ANAG stammt aus dem Jahr 1931; ein erster Anlauf für ein neues Ausländergesetz scheiterte 1982 knapp in einer Volksabstimmung. Eine grundlegende Anpassung dieses Gesetzes an die heutigen Herausforderungen ist notwendig. Sie gibt dem Parlament auch die Gelegenheit, die Grundsätze der Migrationspolitik im Ausländerbereich festzulegen, die der Bundesrat bisher weitgehend auf dem Verordnungsweg geregelt hat. III. Wo brennt es? Die Zulassung der ausländischen Arbeitskräfte funktioniert heute gut und unbürokratisch. Die Hauptprobleme im Ausländerbereich betreffen die illegale Einwanderung, den illegalen Aufenthalt in der Schweiz, den Rechtsmissbrauch (v.a. missbräuchliche Asylgesuche, Scheinehen) und die teilweise mangelhafte Integration. Zu oft wird der Aufenthalt in der Schweiz auch für die Begehung von Straftaten missbraucht - etwa im Drogenbereich - oder es wird Schwarzarbeit verrichtet. Dies zeigt der Bericht über illegale Migration, den die Bundesbehörden verfasst haben. Er wird bestätigt durch viele Kantons- und Gemeindevertreter, die für den Sozialbereich, die Polizei oder den Strafvollzug zuständig sind. Viele Kantone beklagen, dass ihnen zuwenig griffige Instrumente zur Verfügung stünden, um gegen Missbrauch effizient vorzugehen. IV. Lösungen Die Missbrauchsbekämpfung wird mit dem neuen Ausländergesetz verstärkt, insbesondere in den Bereichen des Familiennachzugs, der Schwarzarbeit, der Zwangsmassnahmen und der Schlepperbekämpfung. Das neue Ausländergesetz enthält hier wichtige Verbesserungen. Als Beispiele sind zu nennen: - Verweigerung oder Widerruf der Eheschliessung bei Scheinehen; - neuer Straftatbestand: Täuschung der Behörden (v.a. durch Scheinehen); - generell erhöhte Strafandrohungen bei einer Missachtung des Gesetzes; - Wirksame Sanktionen gegen Fluggesellschaften, welche Personen in die Schweiz bringen, die die Einreisebestimmungen nicht erfüllen; - besserer Datenaustausch zwischen den Behörden sowie auch zwischen Behörden und Fluggesellschaften; - Möglichkeit der Registrierung biometrischer Daten etwa in Ausweisen. Die mit der Revision des Asylgesetzes vorgesehenen Verschärfungen im Bereich der Zwangsmassnahmen werden sich zudem auch auf das neue Ausländergesetz auswirken, da diese Bestimmungen sowohl für Personen aus dem Ausländer- wie auch aus dem Asylbereich gelten. Im Bericht zur illegalen Migration werden noch weitere Massnahmen vorgeschlagen, deren Umsetzbarkeit nun geprüft wird: zum Beispiel verstärkte mobile Grenzkontrollen, die systematische Erfassung von biometrischen Daten bei der Visumserteilung und in den Ausländerausweisen sowie die vermehrte Ausrichtung der Integrationsmassnahmen auf die Gewalt- und Krimininalitätsbekämpfung. Die schweizerische Migrationspolitik der Zukunft Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft tun: Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Asyl- und die Ausländerpolitik eng verzahnt sind. Beispielsweise ist es bei der Bekämpfung der illegalen Migration oder beim Vollzug der Wegweisung von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern und Ausländerinnen sinnvoll, Synergien aufzuzeigen und diese konsequent zu nutzen. Wir versuchen dies sowohl auf der gesetzgeberischen Ebene umzusetzen wie auch mit organisatorischen Massnahmen zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass die Zusammenschliessung des Bundesamtes für Flüchtlinge und des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung mithilft, die Probleme umfassend anzugehen. Migration wird es auch in Zukunft geben, verstärkt sogar. Dabei muss aber - neben dem unbestrittenen Schutz von echt verfolgten Flüchtlingen - auch die Frage erlaubt sein: Welche Migration nützt unserem Land? I. Gelenkte Zuwanderung Der Zuzug von Arbeitsmigranten wird für die Schweiz weiterhin im wirtschaftlichen Interesse liegen. Die Nachfrage der Wirtschaft gebietet weiterhin eine gelenkte, kontrollierte Zuwanderung. Wie gross der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften allerdings sein wird, wird die Zukunft zeigen. Hier besteht mit den Kriterien für die Zulassung von Erwerbstätigen aus Nicht-EU-Staaten ein wichtiges Steuerungselement. Aus heutiger Sicht ist es richtig, dass von ausserhalb der EU-/EFTA-Staaten nur gut qualifizierte Arbeitskräfte in beschränktem Ausmass zugelassen werden. Das seit 2002 gültige Freizügigkeitsabkommen, begleitet durch flankierende Massnahmen gegen Lohndumping, ermöglicht es, den Hauptbedarf an ausländischen Arbeitskräften in der EU zu finden - sowohl qualifizierte Berufsleute wie Hilfskräfte. II. Bessere Integration Wer dauerhaft in der Schweiz lebt, muss sich hier integrieren. Die dafür notwendigen Anstrengungen kann der Staat den Eingewanderten nicht abnehmen. Er kann aber die nötigen Voraussetzungen schaffen (zum Beispiel Schule, Lehre), damit die Integration besser gelingt. Gutes Verhalten soll in Zukunft belohnt, schlechtes bestraft werden. - Wer in die Schweiz kommt, sei dies als Arbeitskraft, als Ehepartner oder als Flüchtling und sich hier den Lebensbedingungen anpasst, wer die Gesetze achtet und die Regeln akzeptiert, der soll hier bleiben können und gute Bedingungen antreffen. Solche Leute wollen wir. - Wer sich unseren Regeln widersetzt, zum Beispiel seine Identität im Asylverfahren willentlich nicht preisgibt, oder die Gesetze nicht achtet, der soll schlechter behandelt werden. Das heisst, auf sein Asylgesuch wird nicht eingetreten, oder wer kriminell ist, muss mit harten Sanktionen rechnen. Viele Probleme können und könnten übrigens durch gesunden Menschenverstand verhindert werden. Viele Lehrmeister, Lehrerinnen und Lehrer leisten im Alltag mit den Jungen mit ihrem Engagement sehr viel "Integrationsarbeit". Daran müssen wir arbeiten. Gleichzeitig ist von seiten der Behörden eine klare Sprache nötig: Missbräuche im Asyl- und Ausländerrecht müssen klar benannt und konsequent bekämpft werden. III. Schlussfazit Es ist mein Wille auch unpopuläre Ideen zu entwerfen und wenn nötig weiter zu verfolgen, wenn sie in der Sache etwas bringen. Das neue Bundesamt hat den Auftrag, dasselbe zu tun. Wir wollen eine Ausländer- und Asylpolitik, - die die Migration besser steuert; - die das Potential ausländischer Arbeitskräfte für unsere Volkswirtschaft nutzt; - die echte Flüchtlinge aufnimmt; - die Missbrauch auf allen Ebenen hart bekämpft; - die ausländische Personen mit Bleiberecht in der Schweiz rasch integriert; - die vom Volk verstanden und mitgetragen wird. Dafür setze ich mich ein.

25.10.2004

Die Hauptprobleme der Schweiz und ihre Lösungen

Referat von Bundesrat Christoph Blocher vor der «Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft» 25.10.2004, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Meine Damen und Herren, Als Hauptprobleme der europäischen Staaten werden überall genannt: 1. Die Staaten leben über ihre Verhältnisse. 2. Nicht zuletzt als Folge der übermässigen Staatsausgaben leiden die europäischen Staaten unter einer stark verminderten ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit und - damit verbunden - einem ungenügenden Wirtschaftswachstum. 3. Die Sicherheit der Staaten ist infolge der globalisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus gefährdet. I. Mangelndes Problembewusstsein Leider bildet die Schweiz bei diesen Hauptproblemen keine Ausnahme. Und es ist zu fragen: Ist die Schweiz diesen Herausforderungen gewachsen? Erlauben Sie, dass ich - bevor ich hier Antwort gebe - eine andere Frage stelle: Hat die Schweiz diese Herausforderungen überhaupt in ihrer Tragweite erkannt? Diese Frage zu stellen ist wichtig, denn nur eine ungeschminkte Analyse der Wirklichkeit kann zu brauchbaren Lösungen führen. Schon alleine die richtige Fragestellung und die schonungslose Benennung der Probleme ergeben mehr als die halbe Lösung. Und ich stelle fest, dass zurzeit den wichtigsten Fragen meistens ausgewichen wird und ein wenig ausgeprägtes Problembewusstsein besteht, obwohl viele überzeugt sind, sie wüssten bestens Bescheid. Gewiss, das Problem wird angetippt - geradezu inflationär - aber man untersucht es nicht in seiner Tiefe. Dies ist schlimmer als darüber zu schweigen, denn so entsteht der irrtümliche Eindruck, man sei drauf und dran, die Probleme zu lösen. Dieser Beruhigungsaktivismus war zwar immer eine Spezialität von Politikern - hat sich aber heute zusätzlich in Gesellschaft, Wirtschaft und vor allem in den Medien stark verbreitet. II Vom Verantwortungs- zum Versorgungsstaat Nennen wir die Probleme und scheuen wir nicht, ihnen auf den Grund zu gehen. Galt die Schweiz früher als beispielhafter Staat mit hohem Selbstverantwortungsgrad, ist sie heute ebenfalls zum Versorgungsstaat mutiert. Dieses Urteil mag Ihnen zu drastisch erscheinen. Doch je länger ich im Bundesrat bin, je mehr Unterlagen mir zur Verfügung stehen, umso ernster wird der Befund. In den Nachkriegsjahren entwickelte sich unser Land von einem Verantwortungsstaat zu einem Wohlfahrtsstaat. Das starke Wirtschaftswachstum gaukelte unbeschränkte Möglichkeiten vor. Seit den 70-er Jahren wurden vor allem in der Sozialpolitik Versicherungen auf- und ausgebaut mit immer neuen Leistungen, welche die späteren Kosten ins Unermessliche trieben. Denken Sie an die IV, an die Krankenversicherung, aber auch an diverse AHV-Revisionen. Die Folgen dieses rasanten Ausbaus zeigen sich erst heute in aller Konsequenz. Wegen diesem unrealistischen, weit über der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegenden Ausbau ist heute der Wohlfahrtsstaat als Gesamtkonstrukt in Frage gestellt: Dies zeigt sich in der miserablen Finanzsituation von Bund und vieler Kantone. Die etatistische Grundstimmung - vor allem der 80-er und 90-er Jahre, die übrigens auch nichtlinke Parteien erfasste - hat der Schweiz einen perfektionierten Dienstleistungsstaat beschert, der den Bürgern eine Totalversorgung zum Nulltarif vortäuscht. Dieser schleichende Verstaatlichungsprozess konnte nur über eine gewaltige Neuverschuldung finanziert werden: Betrug die Bruttoverschuldung des Bundes 1990 noch 38,5 Milliarden Franken, waren es 2003 bereits 123,7 Milliarden. Und wir steuern gegen 150 Milliarden - trotz einer Schuldenbremse, der alle Kantone und 85% der Bevölkerung bereits 2001 zugestimmt haben! Es ist auffallend, wie die fortschreitende Steuer-, Gebühren- und Abgabenlast, die in den Wahljahren 1999 und 2003 wenigstens noch für heftige Auseinandersetzungen gesorgt hat, heute ruhig entgegen genommen wird. Es ist erstaunlich, mit welchem Gleichmut und mit welcher unerschütterlichen Ignoranz solche Entwicklungen ertragen werden. - Die jährlichen Milliardendefizite, die unvermindert andauern? Sie werden akzeptiert, als wären sie eine fünfte Jahreszeit. - Nachtragskredite, Kostenüberschreitungen und Planungsabweichungen sind längst zum courant normale geworden. - Die Rekordzunahme von IV-Rentnern provoziert höchstens ein Schulterzucken. - Die Milliarden-Kosten unserer Beziehungen zum Ausland werden unter den Begriffen von "öffnung", "Gerechtigkeit" und "internationale Solidarität" der Diskussion entzogen. - Das Ausgabenwachstum der nächsten Jahre wird in weiten Teilen geleugnet. Man verbreitet die Mär, der Staat spare Geld, die Ausgaben würden gesenkt, der Gürtel werde enger geschnallt. Andere sprechen von "kaputt sparen" und "den Staat aushungern". Doch ich frage Sie ernsthaft: Wo wird in diesem Staate eigentlich gespart? Werden denn die Ausgaben gegenüber den Vorjahren gesenkt? Irgendjemand hat das Gerücht in die Welt gesetzt, im Bund würden die Ausgaben gesenkt. Und alle plappern es nach. Und alle schreiben es einander ab. Wenden wir uns der ungeschminkten Wahrheit zu: In den nächsten Jahren ist ein Ausgabenwachstum von 10 Prozent geplant. Trotz aller Entlastungsprogramme! Die Staatsausgaben wurden und werden nicht gesenkt. Aber man kann sich natürlich von allen Anstrengungen fernhalten, indem man vorsorglich über die Folgen einer Massnahme lamentiert, die es gar nicht gibt. Dass interessierte politische Kreise dies tun, gehört zum Tagesgeschäft und ist nicht weiter schlimm. Aber wenn diese Realitätsverweigerung in führende Kreise übergreift - und das ist so - führt es zu Fehlentscheiden und in die Katastrophe. Woher kommt diese Gleichgültigkeit - diese Realitätsverweigerung? Das Zurkenntnisnehmen von Problemen ist lästig und undankbar, denn es zwingt zum Handeln. Verdrängen ist bequemer. Die Gründe des Verdrängungsprozesses könnten aber auch tiefere Ursachen haben als nur die Bequemlichkeit. Könnte es etwa sein, dass immer mehr Menschen den Versuchungen des Wohlfahrtsstaates erliegen? Und dies bis weit in die gehobenen Berufschichten, bis weit in die Chefetagen von Politik und Wirtschaft hinein? Sind wir schon so weit, dass die Menschen lieber schauen, wie sie sich vom Staat beziehungsweise der Allgemeinheit aushalten lassen können, statt in Eigenverantwortung für sich und die Nächsten das Leben zu verbessern und selber für Güter und Dienstleistungen zu sorgen? Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn Erfolg und Leistung durch höhere Steuern und Abgaben bestraft, dafür Misserfolg und Faulheit durch Sozialleistungen belohnt werden. III. Beurteilung als Bundesrat und Unternehmer Meine Damen und Herren, ich bin seit bald zehn Monaten im Amt als Bundesrat. Es wäre übertrieben zu sagen, der Bundesrat habe in diesen 10 Monaten nichts anderes getan, als Ausgaben gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Wohl haben wir über Ausgabenreduktionen gesprochen, aber nur bisherige Pläne nach unten korrigiert. Der Bundesrat hat die Sanierung des Bundeshaushaltes im Legislaturprogramm folgerichtig zum Hauptproblem erklärt. Doch eine eigentliche Reduktion von Ausgaben ist noch nicht greifbar. Im Gegenteil: Wir haben zwar Ausgaben gesenkt, aber an anderer Stelle wieder erhöht und gleichzeitig neue Einnahmen und Steuern besiegelt. Wir stehen noch vor den grossen Entscheiden! Wie sehe ich als ehemaliger Unternehmer die Bundesverwaltung? Ich bin erschrocken über das mangelnde Kostenbewusstsein der Bundesverwaltung. Weder besteht eine Kostenrechnung, noch weiss man, welche Leistung im Staat wie viel kostet. Sie finden Standardantworten bis in die obersten Etagen hinauf, die zum Beispiel lauten: "Im Bund muss man weder mit Abschreibungen noch Zinsen rechnen. Und auch die Personalkosten muss man nicht rechnen, denn die Leute sind ja sowieso da!" Gezielte Kostensenkungen können so gar nicht durchgeführt werden. Ich spreche von Kostensenkungen, die keinen Leistungsabbau bringen. Als Unternehmer wusste ich, dass es in den goldenen Nachkriegsjahren Firmen mit einer ähnlichen Kostenauffassung gab. Diese Firmen sind entweder bankrott gegangen oder - wenn sie Glück hatten - durch einen Ditten übernommen worden. Ist das die Zukunft unseres Staates? Ich hoffe, dass in der angestrebten und jetzt anlaufenden Verwaltungsreform die Kostenrechnungen, das leidige Bundespersonalrecht (im Wesentlichen hat man in der letzten Revision die Pflichten des Beamtenstatus abgeschafft, aber die Rechte weitgehend beibehalten) und die Kostenbewirtschaftung rasch verwirklicht werden. Die Schaffung des Kostensbewusstseins ist überlebenswichtig für die Schweiz, damit wir endlich die Realität erkennen. Ich bin zudem überzeugt, dass ein massives Aufgaben- und Ausgabenverzichtspaket erarbeitet werden muss. Ich glaube, hier hat der Staat in Bezug auf die Vorgehensweise die wirtschaftlichen Unternehmen als Vorbild zu nehmen. Angenehm ist es nicht. Wir kommen nicht darum herum, die Tabuthemen zu nennen und auszuleuchten. IV. Wettbewerbs- und Wachstumsschwäche Das Gleiche ist zur verminderten Wettbewerbsfähigkeit zu sagen: Die Abgaben und Steuern, die vom Staate angeordnete dichte Regulierung und die bürokratischen Massnahmen bilden das Haupthindernis für das Vorwärtskommen der Wirtschaft. Für Unternehmer sind Abgaben, Steuern und Gebühren nichts anderes als Kosten. Sind diese hoch, hat man einen Kostennachteil gegenüber der Konkurrenz. Wer mir als ehemaliger Praktiker nicht glauben will und es lieber etwas akademisch mag, soll die neusten Studien des World Economic Forum zur Hand nehmen (NZZ, 14.10.2004). Danach leidet die Schweiz als Wirtschaftsstandort vor allem unter "der verschwenderischen Finanzpolitik und dem damit verbundenen Haushaltsdefizit". Sie merken: Wem der Wirtschaftsstandort am Herzen liegt, hat hier anzusetzen. Laut der gleichen Studie werden von der Schweizer Wirtschaft als besonders hinderlich und belastend empfunden: "Die ineffiziente Verwaltung, der ungenügende Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, restriktive Arbeitsmarktbestimmungen, Steuervorschriften und Steuerhöhe." Hier haben wir mit aller Entschiedenheit Gegensteuer zu geben. V. Wo steht die Wirtschaft? Die Politik kam in den letzten Jahren in der Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht voran. Aber wo steht die Wirtschaft? In einer direkten Demokratie ist die Stimme der Wirtschaft in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik entscheidend. Aber wo ist diese Stimme? Ich jedenfalls fühle mich als Bundesrat von der Wirtschaft nicht bedrängt, endlich vorwärts zu machen. Und von den Wirtschaftsverbänden erst recht nicht. Eine gute Ordnungspolitik - die wichtigste Grundlage für einen funktionierenden Wirtschaftsstandort - scheint geradezu vergessen gegangen zu sein. Im Gegenteil: Das Verhalten der verantwortlichen Verbände steht im krassen Widerspruch zur Klage ihrer Mitglieder. Natürlich gibt es schöne, wortreiche, bunt illustrierte Broschüren dieser Wirtschaftsverbände, die eine massvolle Ausgaben- und Steuerpolitik predigen. Sobald es aber konkret wird, lösen sich diese schönen Worte in Luft auf. Es scheint mir auch, dass die Wirtschaft nach der verlorenen Abstimmung betreffend Steuerpaket und AHV den Mut verloren hat, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Die Schweiz braucht keine Wirtschaft, die sich am liebsten mit Parlament, Bundesrat und Medien zu sicheren Mehrheiten für neue finanzpolitische Abenteuer und kostspieligen aussenpolitischen Aktivismus verbandelt. Statt dass Funktionäre von Wirtschaftsverbänden in linken Boulevardmedien über den Stil von Abstimmungskampagnen klagen, sollten sie sich für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort Schweiz einsetzen. Ihr Urauftrag heisst, für eine gute Wirtschaftspolitik zu sorgen. Ich meine, es sei dringend, dass die Unternehmen nicht nur über die schludrige Ordnungspolitik klagen, die zu hohen Steuern und immer neuen Sozialabgaben führt, sondern endlich eine glaubwürdige Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben, und zwar im Konkreten und auch im Kleinen. Sie müssten uns Bundesräten immer wieder zeigen, was eine gute Wirtschaftspolitik ist. Sie müssten als Wirtschaftsvertreter Ihre Nöte ins Bundeshaus tragen. Wir arbeiten im Bundeshaus in einer geschützten Werkstatt. Den täglichen Kampf ums überleben, der tägliche Konkurrenzkampf der Industrie und der Wirtschaft kennen wir nur aus den Statistiken, Berichten und Medien. Sie stehen näher am Puls. Auch so haben Sie die Parteien zu beraten, ich meine sogar, Sie müssten sie in der Wirtschaftspolitik führen. Sie werden vielleicht als Rufer in der Wüste angesehen. Aber ohne diese Rufer in der Wüste wird die Schweiz bald eine Wüste ohne Rufer sein! Die Parteien brauchen nicht "Freunde aus der Wirtschaft", die ihre Sonderwünsche in der Politik durchbringen wollen. Parteien, Regierungen und Parlamente brauchen Warner und Stimmen für die ganze Wirtschaft zum Wohle des Landes und des Volkes. Das gibt gute wirtschaftspolitische Entscheidungen. VI. Sozialstaat und Verschuldung Meine Damen und Herren, Staatshaushalt und Wirtschaftswachstum stehen in engem Zusammenhang. Wer die bestehenden Probleme in der Tiefe angehen will, muss auch in die Tiefe schauen und die Sache beim Namen nennen. Tun wir dies an zwei, drei schon länger verdrängten Gebieten. Es muss in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden, dass die Hauptgründe für den rasanten Anstieg der Sozialausgabenquote im Ausbau der Altersvorsorge, in der Zunahme von Invalidenrentenbezüger und im neuen Krankenversicherungsgesetz liegen. 1950 - kurz nach Einführung der AHV - betrugen die Sozialausgaben in der Schweiz noch 1,5 Milliarden Franken. Bis 1990 - vor der Einführung des neuen Krankenversicherungsgesetzes - erhöhten sich die Ausgaben auf 63,2 Milliarden Franken. Darauf erfolgte der Dammbruch: Zwölf Jahre später, 2002, haben sich die Kosten auf gut 123 Milliarden Franken verdoppelt. Gemessen am volkwirtschaftlichen Ertrag (Bruttoinlandprodukt) hat sich die Sozialausgabenquote von 19,3 (1990) auf 28,8 (2002) erhöht. Wachstumsraten, die weit über jenen der Wirtschaft mitsamt der Teuerung liegen. Wer angesichts dieser Zahlen von "Sozialabbau" spricht, hat jeden Bezug zur Realität verloren. Von den Sozialversicherungen drückt zurzeit vor allem die IV auf die Bundesfinanzen. Hier ist erfreulich, dass nun doch auch weitere Kreise und die Medien über die IV-Probleme sprechen. Ein guter Anfang. Vorneweg die Fakten: Waren 1990 noch rund 160'000 Personen IV-Bezüger, sind es 2003 schon über 280'000. Nicht nur in absoluten Zahlen haben die IV-Rentner rasant zugenommen, sondern auch proportional zur arbeitenden Bevölkerung. Seit 1990 hat sich ihr Anteil an der aktiven Bevölkerung um über 50 Prozent erhöht. Jeder 5. Mann im 64. Lebensjahr bezieht eine IV-Rente. Diese alarmierende Entwicklung schlägt sich auch auf der Ausgabenseite nieder: 1990 bezahlten die Schweizerinnen und Schweizer für die Invalidenversicherung noch ca. 4 Milliarden - heute sind es bereits rund 11 Milliarden Franken pro Jahr. Die Zusammensetzung der Invaliden zeigt, dass immer mehr psychische Ursachen eine IV-Rente nach sich ziehen (40 Prozent aller Neurentner). Eine Vielzahl neuer Krankheitsbilder dienen als kaum überprüfbarer Einstieg zur Invalidität. Ich will Ihnen nur ein paar Beispiele nennen: Soziale Phobie, Internet-Sucht, erhöhter Cholesterinspiegel, übergewicht, Menopause, Weichteilrheumatismus, Reizdarmsyndrom, Schlafstörungen, Verstopfungen, Burnout-Syndrom, Hyperaktivität, starkes Schwitzen, Entwurzelungssyndrom, psychosoziale Depression, Tinnitus (Pfeifen im Ohr) oder Vitaminmangel. Bei dieser Fülle ist jeder Bürger ein potenzieller Neurentner. Sicher kann sich jeder von Ihnen auf eines dieser Symptome berufen. Persönliche oder soziale Schwierigkeiten werden heute als medizinisches Problem verkauft. Unterschiedliche menschliche Temperamente pathologisiert. Ein Chemieunternehmen hat sich ein nach der Kaiserin Sissi benanntes Syndrom ausgedacht: Die betroffenen Patienten leiden nach Darstellung des Konzerns an einer starken Depression, überspielen ihre Krankheit aber durch ein besonders aktives, lebensbejahendes Verhalten. In Deutschland wird die Zahl der am "Sisi-Syndrom" leidenden Menschen auf drei Millionen geschätzt. Drei Millionen krankhaft fröhliche Menschen, die sofort und teuer therapiert werden müssen. Ebenfalls sehr hoch sind die Anteile jener IV-Bezüger, die über Kopf- und Rückenschmerzen oder ein Schleudertrauma klagen. Auffällig ist auch, dass im öffentlichen Sektor besonders viele Beschäftigte vorzeitig für arbeitsunfähig erklärt werden. Meine Damen und Herren, Das sind unangenehme Dinge, über die man aber sprechen muss. Leider gibt es gerade auch in der Politik zahlreiche Interessenvertreter, die von diesen Problemen, dem umfangreichen Sozialbetrieb, profitieren und alles daran setzen, dass die Steuermilliarden weiter in ihre Gärten fliessen - und dort versickern. VII. Die Ausländerpolitik Ein weiteres wenig beliebtes Thema, über das gerade in diesem Zusammenhang gesprochen und behandelt werden muss, ist das Ausländerproblem: Es werden hauptsächlich demographische Verschiebungen geltend gemacht, um die schwierige Finanzierungslage der Sozialwerke zu erklären. Nicht wenige versprechen sich von einer freizügigen Einwanderungspraxis eine vorteilhaftere Bevölkerungsstruktur, ja sogar die Sicherung unserer Sozialwerke. Ein genaues Hinsehen zeigt allerdings anderes: Die Ausländerpolitik orientiert sich immer weniger an den volkswirtschaftlichen Interessen der Schweiz. Der Anteil der erwerbstätigen Ausländer ist gegenüber den siebziger Jahren gesunken. Allein die Zahl der Erwerbstätigen unter den Einwanderern hat sich seit 1990 von 53,4% auf 30,2% verringert. Das hat auch mit der Zusammensetzung der Immigranten zu tun, die sich in den letzten Jahren markant verändert hat. Aufgrund zahlreicher Gesetze und Verträge (Familiennachzug, Heiraten, Asylimmigration) ist die Schweiz längst nicht mehr im Stande, die Qualität ihrer Zuwanderung auch nur annähernd selber zu bestimmen. Zudem ist die Zahl der Einwanderer, die nicht für sich selber sorgen können, ungewöhnlich hoch. So landen trotz der immensen Integrationsleistungen überproportional viele Ausländer im sozialen Netz (Stichwort: Fürsorge, IV-Renten, Arbeitslosenkasse). Der Ausländeranteil bei der Arbeitslosigkeit beträgt heute um die 40 Prozent. Ca. zwei Fünftel der neuen IV-Rentenbezüger sind Ausländer. Jede 7. Rente wird ins Ausland überwiesen. 40 Prozent der zürcherischen Fürsorgeleistungen gehen an Ausländer. Zürich ist der Kanton mit den besten statistischen Unterlagen. Dramatisch ist die Situation auch im Bildungsbereich: Ein volles Drittel der Aufwendungen für die Zürcher Volksschule betreffen sonderpädagogische Massnahmen - nicht zuletzt Integrationsleistungen für Ausländerkinder. Besonders bedrückend ist im Kanton Zürich die Bildungssituation für Jugendliche aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien: Nur 25% von ihnen absolvieren eine Berufslehre - meist mit tiefem Ausbildungsniveau. 67% bleiben ohne Ausbildung (Tages-Anzeiger, 8.8.2002). Dabei sind in den letzten Jahren in der Schweiz etwa 200'000 Stellen für niedrig Qualifizierte verschwunden. Arbeitslosigkeit ist die logische Folge. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie über die Immigrationsrealität in Deutschland. Gemäss des Münchner Ifo-Instituts erhält ein durchschnittlicher Einwanderer, der noch keine zehn Jahre in Deutschland ist, Jahr für Jahr 2400 Euro mehr vom Staat, als er diesem in Form von Steuern und Abgaben leistet: "Rechnet man die Zahl auf eine fünfköpfige Familie hoch, ergibt dies eine Transferleistung von fast 120 000 Euro im Laufe von zehn Jahren. Die Zuwanderer müssten mehr als 25 Jahre in Deutschland leben, um über die ganze Periode hinweg netto mehr an den Staat zu leisten, als sie erhalten. Allerdings kehren 80% der Zuwanderer früher wieder in ihre Heimat zurück (oder sterben)." (NZZ, 8.7.2004) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Es wird unangenehm, über diese Dinge zu reden. Doch tun wir es nicht, bleiben die Hauptprobleme ungelöst. Das Ausländer- oder das Asylproblem anzusprechen, gilt nicht gerade als schick, aber wie soll man Fehlentwicklungen korrigieren können, wenn diese nicht einmal öffentlich ausgesprochen werden dürfen? VIII. Sicherheit Die wichtigste aller Staatsaufgaben ist die Sicherheit der Bürger. Leider steht es mit dem Kampf gegen die Kriminalität nicht zum Besten. Die Herausforderungen sind gross: - Terrorismus heisst die neue Kampfform in der weltweiten Auseinandersetzung. Terroristen sind nicht einfach Amokläufer, sondern es handelt sich um gezielt eingesetzte Kämpfer im Dienste - in unserem Falle - des Islam gegen den Westen. Hier hat für die Schweiz die Neutralität ein neues grosses Gewicht bekommen, was leider noch nicht von allen Politikern anerkannt worden ist. Eine unnötige Parteinahme für Staaten, seien sie noch so unbestritten, schwächt uns im Umgang mit dem Terrorismus. Denn wer sich in eine Sache hineinziehen lässt, wird auch Zielscheibe. In der Sicherheitspolitik ist es besonders folgenschwer, wenn Wunsch und Wirklichkeit verwechselt werden. - Neben den internationalen Unsicherheiten ist auch der inneren Sicherheit grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Die Kantone klagen seit Jahren über zu wenig Polizisten. Dieser Mangel wird sich noch verschärfen, wenn mit Schengen die Grenzkontrollen fallen und Verdächtige innerhalb des Landes aufgespürt und kontrolliert werden müssen. - Der beabsichtigte Schengen-Beitritt stellt in dieser Hinsicht grosse Ansprüche an unsere Sicherheitsvorkehrungen. Die Gewährleistung des heutigen Standards wird personelle Aufstockungen nötig machen. IX. Plädoyer für einen liberalen Staat Wie lösen wir all diese Probleme? Meines Erachtens sind die Probleme nur dann nicht lösbar, wenn man sie verdrängt. Indem wir die Probleme erkennen, das Problem benennen und den Weg zur Selbstverantwortung frei schaufeln, gewinnen wir viel. Dann heisst der Lösungsschlüssel "Selbstverantwortung"! Vergessen Sie nicht, der Ausbau des Staates hat die Einschränkung des Einzelnen zur Folge. Leider haben sich in den vergangenen Jahren die Staatsgläubigen durchgesetzt. Das Ergebnis davon ist der stetige Ausbau des Staates zum Alles-Regler und Alles-Bestimmer. Unser Staat ist schon lange nicht mehr nur auf die Hilfe für besonders schwache Randgruppen und Bedürftige ausgerichtet. Unter diesem Vorwand ist er zu einem Transferstaat geworden mit dem Ziel der Umverteilung von Privatvermögen zugunsten einer durchorganisierten Bezügergemeinde. Wer unsere Wohlfahrt langfristig sichern möchte, tut gut daran, diesen Mechanismus zu durchbrechen. "Privateigentum, Freiheit und Selbstverantwortung der Bürger setzen Grenzen der Machtanhäufung in der Gesellschaft und damit auch Grenzen der Staatstätigkeit voraus." (Erich Weede: Mensch, Markt und Staat, S. 51.) Das heisst aber auch Kampf gegen die Zentralisierung: Je mehr kleinräumige, föderalistische Strukturen desto mehr Freiheit bleibt dem Bürger - und wenn es nur die Freiheit ist, die Gemeinde zu wechseln wegen besserer Steuersätze. Der Föderalismus garantiert die Rivalität zwischen politischen Einheiten mit dem Ergebnis, dass möglichst hohe Lebensqualität durch möglichst wenig Steuermittel geschaffen wird. Das schöne Wort "Harmonisierung" heisst in Wirklichkeit nur Gleichschaltung, Zentralisation, weniger Selbstbestimmung und weniger Freiheit, mehr Zwang und Regulierung. Der Zeitgeist der Zentralisierung löst keine Probleme, er schafft sie. Die Schweiz muss ihren Wettbewerbsföderalismus nicht abbauen, sondern stärken, was nur auf kantonaler und kommunaler Ebene geschehen kann. Darum: Möglichst wenig staatliche Lenkung, möglichst wenig Staat auf nationaler Ebene. Dafür weitgehende Autonomie in Finanz- und Steuerfragen für die Kantone und Gemeinden. Das heisst aber auch, dass es keine Gleichheit der Lebensbedingungen geben kann. Wer diese Illusion auf Kosten des Föderalismus und des Wettbewerbs anstrebt, gefährdet insgesamt den Wohlstand, beschneidet unnötig Freiheiten und schwächt die Eigenverantwortung. Meine Damen und Herren, Ist die Schweiz diesen grossen Herausforderungen gewachsen? Ich kann die Frage leider nicht mit Ja beantworten. Voraussetzung ist die schonungslose Offenlegung der Probleme und der Wille, diese Aufgaben anzugehen. Daran gilt es zu arbeiten. Helfen Sie mit. Damit diese Missstände nicht weiter unter den Tisch gekehrt werden. Das schweizerische Erfolgsmodell basiert auf einem massvollen Staat mit freier, prosperierender Wirtschaft. Es gibt keinen vernünftigen Grund, davon abzuweichen!

07.10.2004

Wer vor einer Volksdiktatur warnt, der handelt zynisch

07.10.2004, Weltwoche (Markus Somm und Urs Paul Engeler) Bundesrat Pascal Couchepin bezeichnet Sie als «eine Gefahr für die Demokratie». Eine härtere Kritik an einem Bundesrat ist kaum möglich. Dennoch reagierten Sie erst mit Verzögerung. Ich wollte keine Folge der Serie «Knatsch im Bundesrat» schreiben. Dafür sind die Themen zu wichtig für unser Land. Sie stecken die Attacken einfach weg? Im Gegenteil, ich bin zufrieden, dass die wichtige Diskussion über den Zustand unserer Demokratie, über das Verhältnis der Institutionen zum Volk endlich lanciert ist. Ich habe am Abend des Abstimmungssonntags bewusst versucht eine Kursänderung einzuleiten. Bis jetzt war es üblich, dass der Bundesrat nach einer Abstimmung das Volk beurteilt hat: er lobte, wenn es der Regierung gefolgt war, oder er tadelte, wenn es eine abweichende Haltung eingenommen hatte. Nun ist diese Belehrung nicht mehr möglich. Das erschüttert die Politik und auch die Presse, die ja in den meisten Fragen meinungsgleich sind. Herr Couchepin hat mein Anliegen aufgenommen. Er hat den Satz geprägt «Das Volk ist nicht der Souverän» und vor einer «Volksdiktatur» gewarnt. Bundespräsident Joseph Deiss hat sich der Meinung angeschlossen, die Mehrheit sei nicht immer massgebend. Die Positionen sind bezogen, die Debatte kann beginnen. Sie heben einen Streit oder Machtkampf im Bundesrat auf die Ebene eines demokratietheoretischen Seminars. Es gab im Bundesrat weder Streit noch Machtkampf. Aber jetzt ist eine heilsame Erschütterung des politischen Systems nötig. Mit den Wahlen vom 10. Dezember wurde, zum erstenmal in der Geschichte des Bundesstaates, der so genannte Oppositionsführer in die Regierung gewählt. Daraus ergeben sich zwangsläufig politische Auseinandersetzungen, auch über das Verhältnis zwischen Regierung, Parlament und Volk. Auch ein Volksentscheid kann falsch sein. Die Feststellung ist bezeichnend. Wer heute vor einer «Volksdiktatur» warnt, der handelt geradezu zynisch. In ganz Europa ist eher der gegenteilige Trend auszumachen. Darum will man im Hinblick auf einen EU-Beitritt die Demokratie auch hierzulande abbauen. Dies ist das langfristige Ziel der Relativierung der Volksentscheide. Bereits der Schengen-Vertrag entzieht gewisse Bereiche der direkten Demokratie, der EU-Beitritt täte dies noch mehr. Würden Sie sagen, Couchepins Vorliebe für die Integration in die EU ist ebenso gefährlich? Lassen Sie die Personen beiseite. Zu klären gilt: Welches sind die wahren Gefahren? Ist es die «Volksdiktatur» oder der allmächtige Staat? Keiner der Diktatoren des letzten Jahrhunderts, auch Hitler nicht, ist durch eine Volkswahl an die Macht gekommen. Aber er wurde durch das Volk bestätigt. Erst als die Demokratie nicht mehr funktionierte und nur mit Hilfe einer gleichgeschalteten Presse. Angenommen die Demokratie funktioniert: Hat das Volk immer Recht? Man kann es verführen. Nehmen Sie das Volk ernst. Natürlich gibt es solche Gefahren, aber man kann auch den Bundesrat verführen und auch das Parlament - und das ist viel einfacher, weil das sehr viel weniger Leute sind. Manipulieren Sie einmal vier Millionen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger! Denken Sie nur an die Medien: Bundesrat und Parlament sind viel anfälliger auf Kritik und Lob in der Presse als das Volk. Da kommt es vor, dass eine Zeitung Ereignisse, die angeblich im Bundesrat stattgefunden haben, zum Gegenstand einer Kampagne macht. Und dabei ist nie etwas Derartiges vorgefallen. Am Schluss glauben manche Bundesräte selbst daran und nehmen Stellung zu Dingen, die so nie passiert sind. Tatsache ist, es braucht ungeheure Mittel, um in einer Abstimmung eine Mehrheit zu gewinnen. Die SVP hat offensichtlich diese Mittel und kann so die Meinung der Bürger beeinflussen. Dem glaubt die Regierung etwas entgegensetzen zu müssen. Die Mittel der SVP werden massiv überschätzt - im übrigen muss die Partei diese Gelder mühsam zusammenkratzen. Wichtiger ist: Wären die Mittel so entscheidend, wären viele Abstimmungen anders ausgegangen. Zudem: Wer die Presse hinter sich weiss, spart viel Geld. In den vergangenen Jahren standen bei wichtigen Auseinandersetzungen praktisch alle Medien auf der Seite der Befürworter. Wieviele Artikel wurden zugunsten der Einbürgerungsvorlagen verfasst? Wieviele dagegen? Ich habe keinen einzigen ablehnenden Artikel gelesen, und das Volk sagte trotzdem Nein. Wer muss da Inserate schalten? Die befürwortende Seite kann da getrost verzichten. Die Gegenpartei dagegen muss Inserate bringen, weil ihre Argumente im redaktionellen Teil nicht vorkommen. Natürlich sind die dann etwas provokativ, aber das ist nötig, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ging das Muslime-Inserat Ihres Parteifreundes Schlüer nicht zu weit? Als Bundesrat beteilige ich mich nicht an solchen ästhetischen Debatten. Es geht um mehr als ästhetik: Mit gewissen Themen kann man die Bevölkerung manipulieren, indem man an dessen niedere Instinkte appelliert: Gegen Ausländer, für die Todesstrafe, für einen Krieg. Das lehrt nicht zuletzt die Geschichte. Hat eine Demokratie je beschlossen, einen Angriffskrieg zu führen? Stimmen die Bürger dem so leichtfertig zu? Gemäss meinen Kenntnissen wurden Kriege stets von den führenden Kreisen eines Landes ausgelöst - nie wurde darüber abgestimmt. Einzige glückliche Ausnahme: England 1940. Damals wählten die Briten mit Churchill vermutlich den Krieg. Kein Volk ist kriegslüstern - solange wirklich demokratische Verhältnisse herrschen. Zu den niederen Instinkten, die Sie erwähnen: Es ist eine Tatsache - ob es uns gefällt oder nicht -, dass unsere Ausländerpolitik für viele Bürger ein Problem ist. Würde man diese Sorgen Ernst nehmen, kämen die niederen Instinkte gar nicht erst auf. Niedere Instikte gibt es überall, nicht nur im Volk. Dass Regierungen gefährlich sind, ist seit zwei hundert Jahren unbestritten. Deshalb haben wir die Demokratie und keine Monarchie. Doch auch das Volk braucht Checks. Die haben wir ja - denken Sie an das Ständemehr, an die Menschenrechte, das Volksrecht und so weiter. Ich habe nie die absolute Volksherrschaft verlangt. Doch unsere Ordnung ist klar. Das Volk und die Stände sind der Souverän, der die Verfassung erlässt und ändert. Das Volk hat sich einen Teil der Entscheidungsbefugnisse - zum Beispiel bei den Steuern - ganz klar ausbedungen. Es will den Politikern nur eine beschränkte Macht geben. Die Regierung hat keine Kompetenz, die Entscheide der übergeordneten Instanz, des Volks, auszuhebeln. Der Bundesrat untersteht auch dem Parlament - eine Tatsache, die heute nicht überall geteilt wird. Wo stellt der Bundesrat sich über das Parlament? Es gäbe eine Diskussion bei der Unterzeichnung und Anwendung dringlicher völkerrechtlicher Verträge. Das er es auch gegenüber dem Volk tut, das hat noch niemand so klar gesagt. Pascal Couchepin hat diesen Trend der Machterweiterung der Exekutive angesprochen. Sie übertreiben. Er hat von den Grenzen einer Basisdemokratie gesprochen. Diese Grenzen gibt es bereits mehr als genug: die internationalen Verträge, die über dem Landesrecht stehen, Völkerrecht und Menschenrechte. Da gibt es Konventionen, die zwar von Volk und Ständen angenommen wurden aber laufend ausgebaut werden. Wie der Schengen-Vertrag, der später erweitert werden kann. Was mit einem Beitritt akzeptiert würde. Das muss man dem Volk vor der Abstimmung klar sagen. Was Sie wohl tun werden. Das sind Fehler. Sie darzulegen ist meine Pflicht.. Die politische Realität ist, dass die Macht im Land relativ kompliziert geteilt ist. Sie aber verabsolutieren den Volkswillen. Nicht das Volk leidet unter den Grenzen der direkten Demokratie. Den Politikern ist die Kompetenzordnung lästig. Darum versuchen sie, sich davon zu lösen. Das erzeugt in der Bevölkerung das lähmende Gefühl, nichts bewirken zu können. Die Urnengänge werden - immer mit Hilfe der regierungsfreundlichen Medien - in Bern hinterfragt, interpretiert, relativiert, umgebogen. Dass zwischen Bundesrat und Volk ein Spannungsverhältnis besteht, ist nicht neu. Die Regierung muss Reformen vorbereiten, voran gehen, Vorlagen unterbreiten. Aber der Bundesrat muss sich strikte an die Entscheide des Volkes halten! Wenn der Vorschlag gut ist, wird er auch angenommen; wenn er schlecht ist, nicht. Wenn die erleichterte Einbürgerung dreimal mit immer höheren Nein-Anteilen abgelehnt wird, dann war der Antrag schlecht und ist der Volkswille zu respektieren. Warum dürfen verworfene Vorlagen nicht wieder aufgegriffen werden? Viele Projekte wurden erst im dritten oder vierten Anlauf genehmigt - so die auch die AHV, die heute im Volk völlig unbestritten ist. Solange sich nicht wesentliche Rahmenbedingungen geändert haben, kann man die gleiche Vorlage nicht mehr bringen. Steuersenkungen sind nach dem Nein zum Steuerpaket also kein Thema mehr? Sicher nicht mehr in dieser Form. Wenn die Regierung einen Urnenentscheid kommentiert, verletzt sie die demokratischen Regeln doch nicht. Es geht um die prinzipielle Frage des Respekts gegenüber dem Souverän. Die Leute sind es mehr als überdrüssig, nach dem doppelten Nein zu den Einbürgerungsvorlagen sich von Medien und Politikern als «Rassist und Ausländerfeinde» betiteln zu werden. Demokratie gibt das Recht, Nein zu stimmen. Sie führen einen Rachefeldzug; Sie sind immer noch verletzt, weil der Bundesrat am 6. Dezember 1992, als das Nein zum EWR feststand, den Tag als «schwarzen Sonntag» bezeichnet hat. Nein. Das war nur ein besonders krasser Fall der bis heute andauert. Ich weise seit langem auf dieses Problem hin; nur hat es bis jetzt niemand aufgenommen. Der Bundesrat kommentiert, weil er weiss, dass die Leute ihn respektieren und eine Einschätzung erwarten. Es freut mich, dass die Leute den Bundesrat respektieren. Meine Kontakte mit der Bevölkerung zeigen aber, dass man auf diese Belehrungen gerne verzichtet. Sie wollen den Bundesrat doppelt schwächen: zum einen mit dem Maulkorb nach den Abstimmungen, zum andern mit dem Verbot einer aktiven Informationspolitik. Unsinn. Ich will den Bundesrat stärken in seinem Kompetenzbereich. Er soll dort seine Verantwortung wahrnehmen und zum Beispiel die Finanzen in Ordnung bringen. Er soll aber nicht länger politische Gruppierungen und Veranstaltungen finanzieren, Meinungsumfragen (die gar nie publiziert wurden) organisieren oder Leserbriefschreiber beschäftigen. Das wurde in den letzten Jahren gemacht, nun aber dank Bundesratsbeschluss gestoppt. Abstimmungskämpfe sind Sache der Parteien und Verbände. Die jetzige Zusammensetzung der Regierung entspricht der Stärke der Parteien. Wird sie künftig mehr Abstimmungen gewinnen? Das ist nicht entscheidend. Sie können immer Vorlagen ausarbeiten, die garantiert eine Mehrheit finden. Wenn Sie grosse Veränderungen anstreben - wie sie jetzt nötig wären, um die Probleme des Landes zu lösen -, dann werden Sie auch Niederlagen erleiden. Ich weiss nicht, ob das Volk einem radikalen Paradigmawechsel hin zu mehr Selbstverantwortung und 30 Prozent weniger Staat heute zustimmen würde. Das überraschend knappe Ja zur Mutterschaftsversicherung und die Zustimmung zum Zürcher Sparpaket zeigen allerdings, dass viele Leute viel Selbstverantwortung tragen wollen. Sind die verschärften Auseinandersetzungen im Bundesrat Ausdruck davon, dass das Konkordanzsystem am Ende ist? Sollte man zu einem Oppositionssystem wechseln? Das muss das Parlament entscheiden. Wenn sich drei Parteien zusammenraufen können und die Kraft haben gegen eine starke Opposition zu regieren, sollen sie es tun. Wer regiert die Schweiz? Das grösste Gewicht hat die Verwaltung. Ebenfalls ziemlich einflussreich sind die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften. Das liegt nicht zuletzt daran, dass dem Schweizer die Wirtschaft am Herzen liegt. Wieviel Macht hat der Bundesrat? Der gehört meistens auch zur Verwaltung - das hängt vom einzelnen Departementsvorsteher ab. Als Bundesrat läuft man immer Gefahr, von der Verwaltung geführt zu werden. Die Beamten haben die Mittel, sie stellen die Anträge. Wer Anträge stellen kann, ist immer stark. Zu einem gewissen Grad muss das auch sein. Ehrlich gesagt: Als Bundesrat könnten sie es sehr schön haben. Sie müssten einfach alles unterschreiben, was von unten kommt..Kraft um Nein zu sagen, braucht es da nicht. Droht statt einer Volksdiktatur die Verwaltungsdiktatur? Diktatur ist der falsche Begriff - das würde ja bedeuten, dass einer allein etwas diktieren kann. Das ist bei der Verwaltung natürlich nicht der Fall - ich würde von einer Dominanz sprechen. Sollte der Bundesrat direkt vom Volk gewählt werden? Ich war immer dafür und bin es heute noch. Wir haben in den Kantonen mit der Volkswahl der Regierungsräte gute Erfahrungen gemacht. Die Regierung muss alle vier Jahre vor die Bevölkerung treten, muss sich der Kritik aussetzen und ab und zu gibt es auch Abwahlen. Welche anderen Institutionen wollen Sie verändern? Das ist ein Missverständnis: Ich will institutionell gar nichts verändern - die Volkswahl ist ein altes Thema. Ob meine Partei das verfolgt, weiss ich nicht. Die Institutionen sollen so bleiben, wie sie sind. Aber ich möchte, dass die Politik die Bevölkerung ernst nimmt. Dass ich am Abstimmungssonntag aus diesem Grund darauf verzichtet habe, das Volk darüber zu belehren, wie gut oder schlecht es gestimmt hat, war nur ein kleiner Schritt in diese Richtung. Ein kleiner Kulturbruch, der zeigen soll, was ich anstrebe. Und die Botschaft ist angekommen - sonst würden wir heute kaum mehr darüber sprechen. Mit anderen Worten, es läuft gut. Es läuft gut? Man wirft Ihnen vor, dauernd die Kollegialität zu verletzen. Ich wüsste nicht, wann. Es ist ja interessant, wie aufmerksam mich alle beobachten an einer Pressekonferenz: Verletzt er die Kollegialität oder nicht? Hat er genug Herzblut? Da stimmt doch etwas nicht. Das Kollegialitätsprinzip darf nicht missbraucht werden, um unangenehme Dinge zuzudecken. Ich bin für Transparenz. Kollegial sein heisst: Wenn die Regierung etwas beschlossen hat, darf ich nicht mehr dagegen kämpfen. Das habe ich noch nie gemacht. Aber ich bin nicht verpflichtet, meine eigene Meinung in den Kühlschrank zu legen. Und Tatsachen auszusprechen ist kein Widerspruch zum Kollegialitätsprinzip. Daraus kann man auch eine Kunstform entwickeln. In der Arena haben Sie die Einbürgerungsvorlagen bekämpft, indem sie nichts erwähnten, das dafür sprach. Weil alle wussten, wie Sie wirklich denken, war das ein sehr effiziente Methode. Ich habe die Vorlagen nicht bekämpft. Die Wahl vom 10. Dezember war eine Entscheidungswahl. Das Parlament hat jemanden gewählt, von dem man ganz genau weiss, dass er in den wesentlichen Fragen anders denkt. Früher war es ja oft so, dass man vor der Wahl eines Bundesrates nicht wusste, wo er eigentlich steht. Das erleichtert es ungemein, "kollegial" zu sein. Ist es im Rahmen der Kollegialität, wenn Ihnen Couchepin vorhält, Sie seien totalitär? Ich habe das nicht so gelesen. Kollegial? Ich weiss es nicht und kümmere mich hier nicht darum. Dieser Begriff ist so abgedroschen, dass er nichts mehr heisst. Man soll nicht so empfindlich sein: Es ist doch einem Regierungskollegen nicht verboten, mich zu kritisieren.

07.10.2004

Der regulierte Bauer

Ansprache von Bundesrat Blocher an der Eröffnungsfeier der OLMA, Schweizer Messe für Landwirtschaft und Ernährung 07.10.2004, St. Gallen Es gilt das gesprochene Wort Herr Nationalratspräsident Meine Damen und Herren Vertreter der Eidgenössischen Räte Herr Präsident des Bundesgerichtes Frau Kantonsratspräsidentin Herren Regierungspräsidente des Kantons St. Gallen und des Tessins Meine Damen und Herren Regierungsrätinnen und Regierungsräte Herr Stadtpräsident Vertreterinnen und Vertreter der Politik, der Justiz, des Militärs, der Wirtschaft und der Landwirtschaft, der Kirchen, der Kultur und der Medien Liebe Frauen und Männer Cari amici della Svizzera Italiana OLMA OLMA. Die meisten - vor allem jüngere Leute - wissen heute nicht mehr, was sich ganz ursprünglich hinter den vier Buchstaben verbirgt. Das ist an sich auch nicht tragisch, denn die OLMA ist ein Markenzeichen besonderer Art geworden. An der OLMA können wir den rasanten Wandel der Zeit verfolgen, den gerade auch die Landwirtschaft in den letzten 60 Jahren erfasst hat. Die OLMA als Ostschweizerische Land- und Milchwirtschaftliche Ausstellung ist zum Gütezeichen für eine weit über die Landwirtschaft hinaus wirkende bedeutende Ausstellung und Messe geworden. Doch vieles hat sie aus den Ursprüngen mitgenommen. Die Ostschweiz Ganz gewiss die Ostschweiz. Ich verhehle es nicht: Gerade weil die OLMA ein Grossereignis für die Ostschweiz darstellt, bin ich besonders gerne gekommen. Ich weiss, meine Damen und Herren: Die Ostschweiz hat oft das Gefühl, von der Bundeshauptstadt vernachlässigt zu werden. Ganz unberechtigt ist dieses Gefühl nicht. Von den Grossagglomerationen der Schweiz und der Romandie wird in Bern weit mehr geredet, als von der Ostschweiz. Weil sie auch mehr fordern als die Ostschweiz. Und da zähle ich Zürich dazu. Wer mehr fordert, bekommt auch mehr. Ich meine aber, seien Sie froh. Die Ostschweizer sind besonders fleissig, tüchtig und vor allem selbstverantwortliche Menschen. Darum stehen diese Kantone in Bern nicht gerade im Rampenlicht, dafür stehen sie insgesamt besser da. Eine Reise durch die Kantone beweist meinen Eindruck: Diese Ostschweizer Qualität prägt die Menschen, die Landschaft, die Sauberkeit, den Blumenschmuck, die Gärten, die Firmen und vieles mehr. Ich meine, der Ostschweizer Charakter habe Vorbildfunktion für die Schweiz und die OLMA ist Ausdruck davon. Das Tessin Es trifft sich gut, dass in diesem Jahr der Kanton Tessin Ihr Gast ist. Viele Tessiner verspüren nämlich auch das Gefühl, dass ihr Kanton von Bern geradezu vernachlässigt werde. Auch dieses Gefühl ist nicht ganz unberechtigt. Es fällt mir auf, dass zum Bespiel dann, wenn von "welschen" Kantonen gesprochen wird, die Südschweiz oft vergessen wird. Dabei verfügt auch der Tessin wie die Ostschweiz über ganz besondere Eigenheiten und trägt so zum grossen Reichtum unseres Landes bei. Also lassen wir den Kantonen und Regionen nicht nur ihre Besonderheiten, sondern pflegen wir sie - gerade an einem Tag und Anlass wie heute. Es ist schön, dass die Ostschweiz und das Tessin die beiden neuen höchsten Gerichte in St. Gallen und Bellinzona bekommen. Die Landwirtschaft Noch heute stehen an der OLMA aber auch die Landwirtschaft und die Bauernkultur im Vordergrund. Ein junger Bauer erzählte mir kürzlich, sein Vater hätte ihm auf dem Totenbett gesagt: "Nimm mit, was ich dir sage, mein Sohn: Du musst immer genau hinhören, was sie dir in Bundesbern empfehlen und dann stets das Gegenteil tun." Als Bundesrat gibt mir dieser Ratschlag zu denken: Ein wahrer Kern steckt leider darin. Unsere so stark gelenkte Landwirtschaft wird von Bern aus zentral gesteuert. So oft ein Missstand oder eine Lücke erkannt wird, versucht man sofort zu korrigieren, zu lenken, zu planen. Was geschieht? Der Markt reagiert sensibel auf jede staatliche Massnahme, aber weil alle das gleiche tun, kommt es zu einer Überreaktion des Marktes und die Misere beginnt wieder von vorne. Daher glaubt der alte Bauer: Wer stets das Gegenteil tut, ist dann der Erste, wenn in Bern das Gegenteil vom Gegenteil empfohlen wird. Aber aus dieser Äusserung spricht natürlich auch eine gewisse Resignation. Nämlich die Erkenntnis, dass die Schweiz zum Opfer ihrer eigenen Agrarbürokratie geworden ist. Alles - der kleinste Missstand - wurde und wird durch eine neue Vorschrift reguliert, so dass die Bauern zunehmend in eine heillose, die Produktion verteuernde Zwangsjacke gesteckt wurden und sich nicht mehr recht zu bewegen wissen. Es ist dringend und zwingend, die Bauern aus ihrer dauernden Bevormundung in die Mündigkeit zu entlassen. Dies zum Wohle des Landes, zum Wohle der wichtigen Aufgaben, die der Bauernstand zu erfüllen hat, aber nicht zuletzt auch zum Wohle der Bauern selbst. Nur wenn der Bauer wieder ein freier Unternehmer sein kann, können wir diese Probleme lösen. Ein Rheintaler Bauer hat kürzlich in einer Zeitschrift beschrieben, wie ihm die hiesige Bürokratie das Leben schwer macht: "Ich will ja nicht jammern, aber de huere Gugus mit all diesen Richtlinien... Mein künftiger Schwiegersohn bauert ennet dem Rhein, und der lacht nur, wenn er mich mit dem Blöckli im Poschettli herumlaufen und immer alles aufschreiben sieht. Wie viel bschütte ich? Wann? Wo? Was spritze ich wohin? Bei mir kommt der Milchinspektor, der Tierschutzkontrolleur, der IP-Suisse-Kontrolleur, der Schweine-Inspektor, der Henneneier-Kontrolleur, insgesamt acht Kontrollen pro Jahr. Drüben kommen sie einmal in zehn Jahren und erst noch nach Voranmeldung." Bürokratie kostet. Den Preis zahlen wir alle. Die Bedeutung der Landwirtschaft Meine Damen und Herren, wir haben es zu weit gebracht mit unseren wohlmeinenden Interventionen des Staates. Lassen wir die Bauern wieder Unternehmer werden! Wir haben doch mit dem Unternehmertum in der übrigen Wirtschaft gute Erfahrungen gemacht und so eine ausgezeichnete Versorgung der Konsumenten mit Gütern erreicht. Unsere Wirtschaft leidet ja höchstens darunter, dass es zu wenig echte Unternehmer gibt, das heisst Menschen, welche die Unternehmen besitzen und diese selbst führen, die Gewinn und Risiko tragen. Meine Damen und Herren, was ist denn der Bauer anderes als Eigentümer seines Hofes, den er auch selbst zu führen hat? Aber kann er in unserer bürokratisierten Landwirtschaft überhaupt als Unternehmer tätig werden? Es wird heute oft vergessen, dass die Bundesverfassung und das Landwirtschaftsgesetz dem Bauernstand sehr bedeutende Aufgaben zugewiesen haben. Und wir müssen uns fragen, ob wir mit diesen Aufgaben die Bauern nicht grundsätzlich überfordern. So haben die Landwirte laut Gesetz und Verfassung dafür zu sorgen: - dass das Land nicht vergandet. Der Bauer ist Landschaftspfleger, - dass die Nahrungsmittelversorgung aus eigenem Boden gewährleistet ist. Der Bauernstand ist Nährstand, - dass die Entvölkerung abgelegener Gebiete gestoppt wird. Aber nicht nur die genannten Aufgaben haben die Bauern zu erfüllen. Man hat auch bis ins letzte Detail geregelt, wie sie diese zu erfüllen haben - mit Vorschriften, Geboten und Verboten. Ich bin der Ansicht, dass die Bauern weiterhin per Verfassung angehalten werden, dafür zu sorgen, dass das Land nicht vergandet. In Oberitalien hat die EU jedem Bauer eine Prämie versprochen, wenn er seinen Betrieb stilllegt. Gehen Sie heute dort wandern. Es könnten einem die Tränen kommen. Innerhalb weniger Jahre ist die Region vollkommen verödet. Diesen Prozess müssen wir aus gemeinsamem Interesse heraus verhindern. Die minimale Bewirtschaftung soll man abgelten, die heutigen Direktzahlungen sogar erhöhen. Hingegen könnte man die Nahrungsmittelproduktion ganz dem Bauern überlassen, ohne Lenkung, ohne staatliche Unterstützung und Bevormundung. Bei den Produkten soll der Markt möglichst frei spielen. So können wir den bürokratischen Ballast kurzerhand streichen. Es ist ja verrückt, wie viele Formulare der Bauer jeden Tag auszufüllen hat. Das verteuert bloss die Produktion und schwächt die Konkurrenzfähigkeit. Der Kontrollapparat ist zu reduzieren. Es braucht diesen extensiven, speziellen Kontrollapparat nicht. Zum Beispiel ist völlig überflüssig, dass man dem Bauern vorschreibt, wie viele Kühe er pro hundert Quadratmeter Land halten darf. Oder ab welchem Tag er das Gras mähen kann, wie schwer ein geschlachteter Ochse sein darf oder wie viel Milch einer melken darf. Das ist doch absurd. Es braucht Vorschriften, damit der Boden nicht vergiftet wird, aber die gelten ja für alle, auch für Industrielle. Die Produkte werden ohnehin schon heute von den Grossverteilern, von der Lebensmittelkontrolle und von den Konsumenten überprüft. Auch die generellen Vorschriften des Tierschutzgesetzes genügen als Richtlinien für die Tierhaltung. Wenn der Konsument beispielsweise Eier von glücklichen Hühnern will, so werden die Grossverteiler diese von den Bauern verlangen. Und wenn der Kunde Eier von superglücklichen Hühnern mit psychologischer Rundumbetreuung will und bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, dann wird er diese superglücklichen Eier bekommen. Der Staat muss hier nicht eingreifen. Wenn der Markt danach verlangt, so werden die Bauern ökologisch produzieren. Qualitätskriterien müssen die Bauern und die Abnehmer untereinander aushandeln. Der regulierte Bauer als Sündenbock Das grundsätzliche Problem wird vielerorts gesehen. Nur will man die Ursachen nicht erkennen. Man lastet alles den Bauern an: Die hohen Lebensmittelkosten, die Subventionen, Umweltverschmutzungen. Es mangelt nicht an Kritikern und Besserwissern. Doch was ihnen allen gemeinsam ist: Sie kritisieren nur das, was ist, und verschweigen, warum es so weit gekommen ist. So hat kürzlich wieder einmal ein Wirtschaftsprofessor - er bezieht seinen Lohn kaum aus der freien Marktwirtschaft - pauschal mit den Bauern abgerechnet. Er warf den Bauern vor, die Umwelt zu belasten, ja gar zu zerstören. Aber was versteht besagter Wirtschaftsprofessor unter "Umweltzerstörung"? Er schreibt: "Unsere heiligen Kühe produzieren nicht nur beruhigendes Glockengeläut, sondern nebst dem Mist auch schädliches Methangas in rauen Mengen. Industriell produzierte Treibhausgase werden scharf besteuert. Nicht so die aufgeblähten Mägen unseres aufgeblähten Viehbestandes." Was will er nun, der Herr Wirtschaftsprofessor? Eine Umweltabgabe für furzende Kühe? Zu den "aufgeblähten Mägen" also noch eine aufgeblähte Steuerbürokratie? Gewissermassen eine verursachergerechte Furzsteuer auf Kühe? Abgesehen davon, der Internationalist hat vergessen: Furzen etwa nur Schweizer Kühe? Verströmen die Kühe Argentiniens oder Frankreichs einzig Wohlgerüche? Müssen wir einen Vorstoss der Grünen erwarten, der die Abschaffung aller Kühe fordert? Wegen verantwortungslosem Ausstoss von Methangas? Lasst endlich die Bauern in Ruhe - und lasst endlich die Kühe in Ruhe... Die hohen Kosten Ein ebenso verbreitetes Gesellschaftsspiel ist, die Bauern für die hohen Lebensmittelpreise verantwortlich zu machen. Dass ein Hochpreisland auch eine Folge von vielen hohen Preisen - so auch gerade der hohen Löhne - ist, übersehen die Kritiker geflissentlich. Ein Innerschweizer Milchbauer berichtete mir nach einer Besichtigung österreichischer Landwirtschaftsbetriebe: Er habe nach dem Besuch nachgerechnet. Er könnte seine Milch dem hiesigen Verarbeiter gratis abgeben - ich wiederhole: GRATIS - die Milch würde dennoch teurer zum Verkauf angeboten als in österreichischen Läden. Offensichtlich leidet die Verarbeitung auch unter dem Preisniveau wie die Bauern. Ein anderes Beispiel: Ein bekannter Walliser Hotelier verbreitet regelmässig den Eindruck, die Bettenbelegung seines Hotels sei direkt an den Kartoffelpreis gebunden. Natürlich ist die Schweiz kein billiges Reiseland. Doch ist daran der Bauer schuld? Wie erklärt sich dieser Hotelier dann die Preisdifferenz zum Beispiel bei den Getränken? Oder macht er die Bauern auch für die Preisdifferenz eines Mineralwassers oder eines Kamillentees verantwortlich? Der unternehmerische Bauer der Zukunft Es ist dringend, dass die Landwirtschaftspolitik den Weg zum unternehmerischen Bauer ebnet. Das gilt auch für jeden einzelnen: Wer heute denkt, ich warte lieber ab, ich mache einfach weiter wie bis anhin und schaue, wie die Situation in fünf, zehn Jahren ausschaut, wird letztlich keinen Schritt weiter kommen. Noch schlimmer: Er wird immer einen Schritt zu spät sein. Das ist übrigens kein auf den Bauernstand beschränkter Vorgang. Auch ein Metallbauer, Drucker oder Informatiker muss beweglich bleiben. Jede Berufsgattung hat ihre Probleme und kann nur ahnen, was die Zukunft bringt, und sich entsprechend wappnen. Auch die Landwirtschaftspolitik der EU ist kein brauchbarer Ersatz. Die Union kennt die gleichen Probleme wie in der Schweiz, wenn auch auf einer höheren Ebene: Wer im deutschen Allgäu einen kleineren Betrieb mit vielleicht 30 Stück Vieh bewirtschaftet, steckt in der gleich schwierigen Situation, wie hierzulande ein Bauer mit 15 Kühen. Die Schweiz muss ihren eigenen Weg gehen, auch in der Landwirtschaft. Kopieren hat uns nie weiter gebracht. Mit der industriellen Produktion können wir ohnehin nicht konkurrenzieren. Wir müssen es anders und besser machen - nicht die anderen kopieren: Ich kenne viele deutsche Geschäftskunden von früher, die immer, wenn sie die Schweiz aufsuchten, hier Fleisch einkauften. Ich fragte: "Was? Fleisch? Ist doch hier viel teurer!" "Ja", sagten sie: "Aber die Qualität sei besser und insofern das Fleisch den höheren Preis wert." In den Grenzgebieten ist es keineswegs so, dass alle ins Ausland pilgern, um an billigeres Fleisch zu kommen. Denn viele Schweizer sind sich an andere Standards, an höhere Standards gewöhnt. Ein grosser Teil eines geschlachteten Viehs gelangt gar nie in unsere Läden. Im Gegensatz zum benachbarten Ausland. Qualität hat ihren Preis. Wenn bloss 50 statt 80 Prozent eines Schlachtviehs effektiv zu Lebensmittel verarbeitet werden, wird das Fleisch teurer - aber auch exklusiver! Meine Damen und Herren, Die gegenwärtige Agrarpolitik ist weit mehr eine erzieherische Sozialgesetzgebung mit Umweltschutz, Naturerhaltung und einem Wildwuchs bürokratischer Kontrollen. Die Landwirtschaftspolitik ist dermassen staatlich verknorzt, dass sie niemanden befriedigt: Sie wird teurer und trotzdem verarmen die Bauern. Das muss ändern! Es wäre zum Wohle des Landes, der Finanzen und nicht zuletzt des Bauernstandes - mindestens aller tüchtiger und unternehmerischer Bauern. OLMA als Zeichen des Besonderen Auch wenn der Zeitgeist in eine ganz andere Richtung weht: Es ist noch heute von Bedeutung, dass ein Land einigermassen autark funktioniert. Wir müssen weitsichtig und vorsichtig genug sein, einen gewissen Grad der Selbstversorgung aufrecht zu erhalten. Ein Land, das sich nicht mehr selber ernähren kann, ist abhängig, erpressbar und vielerlei Bedrohungen ausgeliefert. Nur: Diese wichtige Aufgabe verdient eine bessere Landwirtschaftspolitik. Meine Damen und Herren, die OLMA zeigt zum 62. Mal, was fähige, innovative Menschen erzeugen und erarbeiten können. Alle dürfen stolz darauf sein: die Ostschweiz - stellvertretend für die ganze Schweiz -, die Produzenten und die Konsumenten, der Nährstand und die Konsumenten. Am vergangenen Wochenende war ich Gast der Toggenburger Berggemeinde Mosnang. Sie feierte ihr 1150-Jahr-Jubiläum. Ich durfte eine intakte Dorfgemeinschaft in einer wunderschönen Landschaft erleben. Wir wurden verköstigt mit feinen Gerichten aus Schweizer Produktion. Wir waren Teilhaber einer lebendigen Volkskultur. Die Schweiz ist berühmt und beliebt für ihre Vielfältigkeit. Das zeigt sich gerade in der Volkskultur. Sei es bei der Musik, bei den Trachten oder in den kulinarischen Spezialitäten. Luganighe aus dem Tessin, Raclette aus dem Wallis, Weisswein aus der Romandie, Äpfel aus dem Thurgau, Bratwürste aus St. Gallen. Fast jede Region kennt ihre eigenen Brot- und Käsesorten. Diese ganze Vielfalt gründet in der Bauernkultur. Je mehr von Globalisierung geschwärmt wird, desto mehr schätzen die Menschen das Besondere und Eigenständige. Machen Sie es ihnen bekannt! Vermarkten Sie es! Werden Sie zu Verkäufern und Unternehmern Ihrer Produkte! Befreien Sie sich darum vom Vorschriftenkorsett des Staates. Viel Glück auf diesem steinigen Weg! Ich bin als Bundesrat bereit mit Ihnen den Weg der Entbürokratisierung des Bauernstandes zu gehen!