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24.05.2003

Hände weg von der AHV

Streitgespräch mit Werner Marti im "Blick" vom 24. Mai 2003 BLICK: Pascal Couchepin will das AHV-Alter auf 67 erhöhen, ebenso die Mehrwertsteuer, und auch noch die Renten kürzen. Herr Blocher, ist das alles nötig? Christoph Blocher: "Eine Erhöhung des Rentenalters über 65 ist nicht nötig, wenn endlich das überschüssige Gold der Nationalbank für die AHV genutzt wird. Zudem ist der Anteil der Mehrwertsteuer, der für die AHV bewilligt wurde, auch wirklich der AHV zurückzugeben, statt in die Bundeskasse abzuführen. Es braucht jetzt auch keine neuen Mehrwertsteuer-Prozente. Leistungen müssen nicht gekürzt werden, aber sie dürfen auch nicht ausgebaut werden." Werner Marti: "Ich gehe mit Christoph Blocher in einem Punkt einig: kein Leistungsabbau bei der AHV! Im Gegenteil, die heutigen Leistungen brauchen eine Ergänzung. Wir müssen etwas für den flexiblen Altersrücktritt tun." Blocher: "Die SP will die Leistung der AHV ausbauen und die Mehrwertsteuern massiv erhöhen. Das bezahlen Junge und Alte." Marti: "Halt, halt. Der Nationalrat hat das Mehrwertsteuer-Prozent, das wegen der zunehmenden Zahl älterer Leute nötig ist, schon beschlossen." Blocher: "Bevor das Volk nicht Ja gesagt hat, ist nichts beschlossen. Sie haben letzten Sonntag erfahren, wie das Volk reagiert auf höhere Steuern, Abgaben und Kostenexplosion. Die SP hat sieben Mal verloren. Die SVP lehnt die Frühpensionierung mit voller Rente über die AHV ab. Das würde derartige Löcher in die AHV-Rechnung reissen, dass die Leute, die noch schaffen, die Last nicht mehr tragen könnten." Marti: "Wir haben doch ein Riesenproblem: Die Leute werden massiv aus dem Arbeitsprozess rausgedrückt. Das Auffangbecken ist dann die IV. Was da abläuft, ist eine Entlastung der Wirtschaft auf Kosten der IV." Blocher: "Bei der Invalidität ist der Missbrauch riesig und trifft auch die Pensionskassen. Je höher die Dichte von Psychologen, Psychiatern und Ärzten, desto mehr Invalide gibt es. Es müsste ja gegenteilig sein. Wenn wir hier nicht eingreifen, bekommen wir Zustände wie in Deutschland." Marti: "Was sollen die Leute denn tun, die in der Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden?" Blocher: "Grundsätzlich arbeiten bis 65. Wer keine Arbeit findet, dem hilft die Arbeitslosenversicherung, wo nötig die Fürsorge." Marti: "Die Leute in die Fürsorge treiben - da demaskiert die SVP ihre Sozialpolitik, Herr Blocher. Wenn die Unternehmen die älteren Leute nicht mehr brauchen und ihnen der flexibilisierte Altersrücktritt verwehrt ist, landen sie bei den Gemeinden." Blocher: "Fürsorge ist nichts Unanständiges. Die SP will dauern mehr Staatsausgaben, versaut das Geld und zerstört Wirtschaft und Staat: Auf Kosten des Staates die Kinder erziehen, bis 35 studieren auf Kosten des Staates und dann mit 55 aufhören zu arbeiten auf Kosten derjenigen, die arbeiten." Marti: "Ich habe mein Studium mit 24 abgeschlossen. Jeder soll eine anständige Ausbildung erhalten können, unabhängig von seinem Einkommen." BLICK: Herr Marti, wie wollen Sie denn den frühzeitigen Altersrücktritt finanzieren? Die SVP hat die Idee mit dem Gold... Marti: "Wir waren die ersten, die forderten, die überschüssigen Gold-Reserven sollten genutzt werden..." Blocher: "... 7 Milliarden für die Solidaritätsstiftung verschenken wollten Sie. Stehen Sie dazu!" Marti: "Wir sind auch der Meinung, dass ein Teil für die AHV verwendet werden sollte. Allerdings geben die Erträge nicht so viel her, wie Herr Blocher uns glauben machen will." Blocher: "Die Erträge machen ein halbes Mehrwertsteuer-Prozent aus. Ist das etwa nichts? Sagen Sie, wie Sie Ihre Ausbaupläne finanzieren wollen! Doch mit der Mehrwertsteuer?" Marti: "Richtig, mit der Mehrwertsteuer." Blocher: "Sie haben für die AHV und IV eine Mehrwertsteuer-Erhöhung von über drei Prozent beschlossen. Das sind über sechs Milliarden. Wissen Sie, was die zusätzlichen Prozente für eine Familie mit einem Warenkorb von 50 000 Franken bedeuten? 1500 Franken im Jahr." Marti: "Ich habe das sehr genau ausgerechnet. Es macht 1200 Franken aus, weil nämlich nicht alles der Mehrwertsteuer unterliegt. Wenn Ihnen die unteren Einkommensschichten so sehr am Herzen liegen, sollten Sie nicht grosszügige Steuergeschenke an Top-Verdiener verteilen." Blocher: "Ist die Revision der Familienbesteuerung ein Geschenk?" Marti: "Die Revision der Familienbesteuerung, die Sie befürworten, bringt unteren und mittleren Einkommenschichten praktisch keine Entlastung. Wer aber 300 000 Franken verdient, müsste in Zukunft 6500 Franken weniger Steuern bezahlen." Blocher: "Alle, die Steuern bezahlen, profitieren. Wer ohnehin keine bezahlt, nicht." BLICK: Kommen wir zur 2. Säule. Wer ist schuld am Schlamassel? Marti: "Wir waren immer für eine starke AHV. Die Bürgerlichen drückten die 2. Säule durch und verdonnerten damit die Leute zu einem übermässigen Zwangssparen. Das Sparkapital ist im Börsencrash zu einem guten Teil pulverisiert worden." Blocher: "Die 2. Säule ist etwas Gutes, sie müsste nicht obligatorisch sein. Obligatorien will die SP, nicht die SVP. Die Idee der SVP ist: Alle Pensionskassen sollten zu voller Transparenz verpflichtet werden. Zweitens sollte volle Freizügigkeit herrschen. Das heisst, jedermann kann die Pensionskasse wählen, die er will. Dann ginge man zu jener Pensionskasse mit der besten Rendite. Mindestzinse braucht es dann nicht mehr." Marti: "Die Bürokratie, die bereits heute grassiert, würde noch vollends ausufern. Zudem sehen wir heute bei den Krankenkassen, wohin das ständige Wechseln führt: zu nichts. Wenn eine Kasse günstig ist, wird sie überschwemmt und muss die Prämien erhöhen." BLICK: Couchepin will zur Sanierung defizitärer Kassen auch laufende Renten kürzen. Einverstanden? Blocher: "Wenn es bei einer Pensionskasse in den guten Jahren Überschüsse gab, die Rentner davon aber nichts hatten, bin ich dagegen. Wo auch die Rentner begünstigt wurden, muss es geschehen, sonst kommen die Mitarbeiter zu kurz." Marti: "Die Kürzung bei den Renten kommt nur dort in Frage, wo die Betroffenen vorher von den guten Ergebnissen profitiert haben." BLICK: Die Schweizer Wirtschaft steckt in der Krise. Wir haben eine Rezession und Arbeitslosigkeit. Was können wir dagegen machen? Marti: "Wir haben faktisch ein Nullwachstum..." Blocher: "Schon lange. Weil wir in den letzten 10 Jahren die Zwangsabgaben an den Staat erhöhten wie kein anderes Land." Marti: "Hören Sie auf damit. Reden wir von den wirklichen Problemen. Der Dollar wird schwächer und schwächer. Europa hockt auf einem relativ starken Euro. Wenn das so weitergeht, muss die Nationalbank den Franken gegenüber dem Dollar und dem Euro abschwächen. Sonst wird der Export noch viel schlimmer leiden." BLICK: Kann die Nationalbank den Franken gegenüber dem Dollar abwerten? Marti: "Das kann sie." Blocher: "Mit enorm grossen Risiken." Marti: "Da haben Sie Ihre Meinung geändert. Früher propagierten Sie ja immer einen möglichst starken Franken, der uns massiv geschwächt hat. Glücklicherweise hat bei der Nationalbank ein gewisses Umdenken stattgefunden." Blocher:"Ich bin auch heute noch für einen starken Franken. Nur ein Dummkopf kann eine schwache Landeswährung wollen. Die Inflationsgefahr ist gering. Die Nationalbank kann die Geldmenge etwas erhöhen, aber der Zinssatz ist schon bald bei Null. Doch mit dem rettet man die Wirtschaft nicht." BLICK: Ist die Währung das Einzige,was Ihnen einfällt? Marti: "Nein. Wenn es bis im Herbst nicht besser wird, braucht es staatliche Investitionsprogramme. Sonst wird es brutal für den Binnenmarkt, zumal auch Kantone und Gemeinden als wichtige Investoren ihre Budgets kürzen." Blocher: "Geld ausgeben sind stets die Rezepte der SP." BLICK: Wie wollen Sie denn der Wirtschaft helfen? Blocher: "Erstens, indem der Staat den Leuten nicht immer mehr wegnimmt. Dann können sie mehr kaufen und dann wird mehr investiert und produziert. Darum stehen Steuersenkungen im Vordergrund - und nicht Mehrwertsteuer- und Abgabenerhöhungen an allen Ecken und Enden. Zweitens müssen die bürokratischen Behinderungen aufhören, die in Bern unter Führung der SP von der Rot-Grün-Mitte-Koalition ständig beschlossen werden." Marti: Sie wollen mit Steuersenkungen den Konsum ankurbeln. Wo wollen Sie die Steuern senken? Bei den Reichen und Grossverdienern. Wer ein halbe Million und mehr verdient, konsumiert schon jetzt, was er konsumieren kann. Wenn man effektiv mehr Kaufkraft schaffen will, muss man die Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Die werden permanent mehr belastet. Allein die steigenden Krankenkassenprämien fressen die Lohnerhöhungen weg, wenn sie überhaupt noch eine bekommen." Blocher:"Wer hat uns die steigenden Krankenkassenprämien eingebrockt? Die Rot-Grüne-Mitte-Koalition gegen die SVP. Sie haben das Krankenversicherungsgesetz durchgeboxt und den Katalog ausgebaut, dass man die Prämien nicht mehr zahlen kann." Marti: "Hören Sie auf damit. Wenn wir mit Ihnen den Leistungskatalog durchgehen, bleibt am Schluss immer nur die Heroinabgabe übrig. Das sind im 40-Milliarden-Markt des Gesundheitswesens Peanuts. Die grossen Kostenverursacher sind die Medikamente, die Spitäler und die Ärzte." BLICK: Alle sagen, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Wie kann man den KMUs bei der Finanzierung helfen? Blocher: "Die brauchen keine aktive Hilfe. Aber der Staat darf sie nicht dauernd schröpfen." Marti: "Die Banken lassen die KMUs doch hängen." Blocher: "Das ist ein ernsthaftes Problem. In den letzten Jahren haben die beiden Grossbanken weniger Kredit gewährt. Sie haben auch enorm viel Geld verloren, weil sie zu lange Kredite gaben. Aber die Kreditversorgung ist im Moment nicht so prekär, dass der Staat eingreifen muss." Marti: "Die Grossbanken haben die KMUs systematisch nach Branchen und Regionen ausgesiebt. Das hat zu den grossen Kreditproblemen geführt. Die Kantonalbanken, das heisst die Staatsbanken, mussten einspringen. Die sitzen jetzt vor allem in den Randregionen auf Klumpenrisiken. Darum braucht es zusätzliche Player wie die Postbank." Blocher: "Wenn die Postbank in die KMU-Finanzierung einsteigt, was sie nicht kann, geht sie Pleite. Und wer zahlt das? Wieder die Bürger mit höheren Posttaxen und der Steuerzahler als Eigentümer." BLICK: Herr Blocher, Sie propagiern unter dem Titel "Mitenand gahts schlächter" eine neue Politik. Wieso sagen Sie das? Blocher: "Die Verfilzung von Politik und Wirtschaft - Sauhäfeli, Saudeckeli - ist ein Skandal. Zuerst macht man Pleite mit der Swissair, wo die Freisinnigen den Ton angaben. Nachher macht man die Swiss. Die Wortführer waren die Sozialdemokraten. Jetzt ist der Bund mit 20 Prozent grösster Aktionär. Die Steuerzahler verlieren 2,7 Milliarden. Die Verantwortung trägt niemand - weder die Privatwirtschaft noch der Staat. Verantwortung ist aber unteilbar." Marti: "Ihr Problem ist, dass Sie nicht bereit sind, Lösungen zu finden. Darum machen Sie ständig den Konsens schlecht. Er ist nicht partout schlecht, er muss aber transparent sein. Wir sollten im Parlament wie in der Formel 1 in farbigen Overalls mit entsprechenden Aufschriften auftreten. Bei mir würde drauf stehen: Sozialdemokrat; vertritt gewerkschaftliche Anliegen; ist Preisüberwacher. Bei Ihnen müsste draufstehen: SVP; Pharmainteressen; Grosskapital." Blocher: "Soll ich mit 3000 Mitarbeitern ein armer Schlucker sein? Die SVP will andere Lösungen: Wer ist angetreten bei der Swissair-Pleite, wer ist angetreten gegen das Grosskapital bei der Swiss? Die SP wollte eine Fluggesellschaft machen. Sie Herr Marti zuvorderst." Marti: "Bei der Swissair hätten wird es uns auch leicht machen und auf die Freisinnigen einprügeln können. Die haben ja das Ganze zu Boden gefahren. Aber wir konnten nicht, weil damit in der Region Zürich bis 40 000 Arbeitsplätze zerstört worden wären. Sie hätten den Verlust der Arbeitsplätze in Kauf genommen. Dafür sind wir das Risiko der Swiss-Lancierung eingegangen." Blocher: "Die Bürger verlieren 2,7 Milliarden, nicht die SP, und die Mitarbeiter der Swiss werden jetzt trotzdem entlassen. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik."

17.05.2003

Point de la situation: La vérité sort de la bouche des enfants»

Assemblée générale de l'ASIN du 17 mai 2003

17.05.2003

Standortbestimmung: Kinder und Narren sagen die Wahrheit

AUNS-Mitgliederversammlung vom 17. Mai 2003

03.05.2003

Gefährliche Experimente

Interview im "Bündner Tagblatt" vom 3. Mai 2003 SVP-Nationalrat Christoph Blocher ist gegen alle neun Vorlagen, die am 18. Mai zur Abstimmung gelangen. Die grössten Bedenken hat er bei den beiden Atom-Initiativen, wie er im BT-Interview ausführt. Von Christian Buxhofer Das Stimmvolk muss am 18. Mai gleich über neun eidg. Vorlagen befinden. Wird der Stimmbürger überfordert? Christoph Blocher: Ich glaube nicht. Die Stimmbürger haben es ja diesmal einfach: Sie müssen nur neun Mal Nein stimmen.Und wenn sie Ihrer Parole nicht telquel folgen, sondern sich eine eigene Meinung bilden wollen? Blocher: Es ist sicher ungeschickt, dass der Bundesrat diese Vorlagen alle auf den gleichen Abstimmungssonntag gelegt hat. Das hätte man besser verteilen können. Aber jetzt muss sich der Stimmbürger damit befassen und die Vorlagen prüfen. Aber er muss ja nicht in die Details gehen, sondern kann sich auf die grundsätzlichen Fragen konzentrieren. Sie sagen neun Mal Nein. Können Sie dies in einem Satz begründen? Blocher: Alle Initiativen führen zu ganz grossen neuen Belastungen für den Staat und den Steuerzahler: Höhere Steuern, höhere Abgaben, höhere Gebühren. Sie werfen die Initiativen alle in den gleichen Topf, obwohl sie verschiedene Urheber haben? Blocher: Die sieben Volksinitiativen stammen alle aus der Zeit der allerhöchsten Konjunktur, wo jede Verhältnismässigkeit verloren ging. Beispielsweise die beiden Atominitiativen, mit denen der Staat beauftragt werden soll, 40 Prozent der inländischen Energieproduktion stillzulegen. Solche Dinge kann man nur aus Übermut machen. Das Gleiche gilt für die Gesundheitsinitiative oder die Lehrstelleninitiative. Alles Experimente, die aus einer Zeit stammen, als es uns noch gut ging. Und weshalb bekämpfen Sie die Armee-Vorlagen? Blocher: Bei den beiden Armee-Vorlagen geht es um den Abschied von der Neutralität. Die Armee wird zwar kleiner, aber trotzdem teurer. Und man baut auf den Schutz der Nato, also auf den Schutz von Amerika. Das würde man heute nicht mehr machen, wenn man die Vorlage nochmals neu entwerfen könnte. Die Annäherung an die Nato ist doch längst Realität, sogar beim WEF oder im Juni in Evian. Das bedeutet aber noch lange nicht die Preisgabe der Neutralität. Blocher: Für den Schutz von Evian braucht es keine Armee-Reform. Ich betrachte übrigens die Standortwahl Frankreichs als einen unfreundlichen Akt. Frankreich bekommt den Gipfel und die Schweiz die Demonstration. Das ist also internationale Zusammenarbeit! Vielleicht erwachen wir nun endlich! Trotzdem: Internationale Polizeieinsätze bedeuten doch nicht das Ende der Neutralität. Blocher: Es geht eben weiter. Es geht um die Nato-Partnerschaft für den Frieden. Das ist eindeutig eine amerikanische Initiative, um die Nicht-Natomitglieder – also auch die Schweiz – in die Nato einzubinden. Und der Bundesrat will die Schweiz jetzt nicht mehr allein verteidigen, sondern sich darauf abstützen. Und was die Nato ist, haben wir im Irak-Krieg erlebt. Das sind die ganz schweren Fragen. Wenn wir dieser Vorlage zustimmen, wird die Schweiz unsicherer, weil wir dann eben nicht mehr neutral sein können, sondern uns im Kriegsfall für die eine oder andere Seite entscheiden müssen. Haben die beiden Armee-Vorlagen auch Stärken? Blocher: Dass sich das Bedrohungsbild geändert hat und wir eine Armeereform brauchen, ist auch mir klar. Vor allem hat die Bedrohung im Inland durch Terror, Demonstrationen und Einzelkämpfer zugenommen. Da besteht Handlungsbedarf. Aber man muss auf dem Boden der Neutralität bleiben, sonst werden wir in einen Krieg hineingezogen. Sie wollten bei den Armee-Vorlagen das Referendum nicht ergreifen. So schlecht scheinen die Vorlagen also gar nicht zu sein ... Blocher: Ja, ich betreibe auch keinen Abstimmungskampf. Ich war gegen das Ergreifen eines Referendums, weil dies am Schluss nur noch mehr zementiert. Wir hatten den Hauptkampf geführt, als es um die Truppeneinsätze im Ausland ging. Diesen Kampf haben wir leider knapp verloren. Bei welchen Initiativen haben Sie aus inhaltlichen Gründen die grössten Bedenken? Blocher: Am gefährlichsten sind die beiden Atom-Initiativen und die Gesundheitsinitiative. Die Atom-Initiativen bedrohen in der Schweiz Tausende von Arbeitsplätzen, insbesondere auch in Graubünden. Zum Beispiel bei uns in Domat/Ems. Denn die Ems-Chemie ist ein grosser Energieverbraucher und müsste mit enorm höheren Energiepreisen rechnen. Und zwar nicht erst, wenn die Atomkraftwerke stillgelegt würden, sondern sofort. Und das Verrückte: Profitieren würde nicht die einheimische Wasserkraft. Die fehlende Energie, 40 Prozent des heutigen Stromverbrauchs, müsste im Ausland gekauft werden und würde dort weiterhin in Atomkraftwerken produziert. Die Atomkraftwerke müssten nur schrittweise stillgelegt werden. Da bliebe genügend Zeit, Alternativenergien zu forcieren und neue Wasserkraftwerke zu bauen. Blocher: Die Wasserkraft ist ziemlich ausgeschöpft, da bestehen nicht mehr viel Möglichkeiten. Die Probleme mit der Umweltschutzgesetzgebung sind heute derart gross, dass neue Wasserkraftwerke finanziell nicht mehr machbar sind. Die Wasserkraft wäre gegenüber ausländischem Strom nicht mehr konkurrenzfähig. Denn die Wirtschaft muss den Strom dort kaufen, wo er am günstigsten ist. Und Alternativenergien? Blocher: Es gibt heute noch keine Alternativenergien grossen Stils, welche die heutigen Elektrizitätskraftwerke ersetzen können. Ob dies in 40 oder 50 Jahren anders sein wird, wird man sehen. Zum heutigen Zeitpunkt wäre es aber industriell und volkswirtschaftlich völlig verantwortungslos, gut funktionierende Kraftwerke vorzeitig stillzulegen. Die Kosten müssten die Energiebezüger, nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Konsumenten, bezahlen. Irgendwann werden die AKWs aber ausgedient haben, und neue AKWs wird es in der Schweiz auch nicht geben. Also schieben Sie das Problem nur hinaus. Blocher: In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, werden weiterhin neue Atomkraftwerke gebaut. Bis die bestehenden AKWs in der Schweiz altershalber stillgelegt werden, haben wir noch genügend Zeit. Ich könnte mir vorstellen, dass Gaskraftwerke bis dann besser sind und auch bei der Speicherung von Energie Fortschritte erzielt werden. Noch aber sind diese Möglichkeiten zu wenig ausgereift, als dass man auf den Atomstrom verzichten könnte. Wie stellen Sie sich generell zum Atomstrom. Keine Bedenken wegen der radioaktiven Abfälle, die über Jahrtausende einen Gefahrenherd darstellen? Blocher: Nein. Die Frage der Sicherheit ist verantwortbar gelöst. Natürlich dauert der Abbau lange. Ohnehin wäre mit Verzicht auf Kernenergie das Problem nicht gelöst. Es gibt ja auch andere Bereiche, wo radioaktive Abfälle entstehen, beispielsweise in der Medizin. Für die Schweiz wird das Problem insofern auch entschärft, da hier ja keine neuen Atomkraftwerke mehr entstehen werden. Bis die bestehenden Kraftwerke altershalber eingestellt werden, wird es aber noch Jahrzehnte dauern. Blocher: Wenn das Problem so schlimm wäre, müsste man ja die KKWs sofort abstellen. Aber das wollen ja nicht einmal die Initianten. Wenn es wirklich so gefährlich wäre, hätten sie ja die sofortige Stilllegung verlangt.

20.03.2003

Uno-Vorlage Volk nochmals vorlegen

Interview mit "Schaffhauser Nachrichten" vom 20. März 2003 SVP-Nationalrat Christoph Blocher ist mit der Neutralitätspolitik des Bundesrates im Irak-Konflikt nicht einverstanden. Interview: Beni Gafner Herr Blocher, wie empfinden Sie die Neutralitätspolitik des Bundesrates im Zusammenhang mit dem Irak-Konflikt? Christoph Blocher: Als aussen Stehender völlig chaotisch und widersprüchlich. Im Ausland werde ich bereits gefragt, ob die Schweiz eigentlich noch neutral sei. Von der dauerhaften Neutralität, die uns die Verfassung vorschreibt, ist nichts mehr zu spüren. In dieser Auseinandersetzung um den Irak ergreift der Bundesrat einzeln und gesamthaft dauernd Partei. Es ist unglaublich, wie schnell der Bundesrat seit dem Uno-Beitritt die Grundsätze der Neutralität verlässt. Es kommt jetzt aus, dass der Bundesrat gar nicht neutral sein will. Woran denken Sie konkret? Blocher: Zuerst nahm der Bundesrat gegen die USA Stellung, dann gingen Stellungnahmen raus, die besagten, die Schweiz stehe hinter der Mehrheit des Sicherheitsrates. Stellen Sie sich vor, die Mehrheit im Sicherheitsrat hätte beschlossen, dieser Krieg gegen den Irak sei zu führen. Dann wären wir auf der Seite Amerikas und Englands gewesen, aber gegen Frankreich und Russland. Hätte es aber eine Mehrheit für Russland und Frankreich gegeben, hätten wir gegen den Krieg sein müssen und damit gegen die Krieg führenden Staaten USA und England. Man merkt: Es ist ausgeschlossen, in der politischen Uno zu sein und die Neutralität aufrechterhalten zu wollen. Der Bundesrat hat aber gesagt, man könne in der politischen Uno sein und neutral bleiben. Er ging sogar noch weiter, indem er versprach, die schweizerische Neutralität werde bei einer Uno-Mitgliedschaft sogar noch gestärkt. Jetzt erleben wir das Gegenteil. Aber welche Rolle spielt die Uno- Mitgliedschaft der Schweiz in dieser neutralitätspolitischen Frage? Man könnte auch ausserhalb der Uno eine schlechte Neutralitätspolitik betreiben. Blocher: Der Bundesrat meint nun, die Schweiz müsse als Uno-Mitglied überall mitmischen und mitreden. Das hätte sie ausserhalb der Uno nicht gemacht, weil sie sich alleine auf die Neutralität hätte besinnen müssen. Ein schlechtes Beispiel des Bundesrates ist für mich auch das Einreiseverbot, das er gegen Saddam Hussein erlassen hat. Der Bundesrat hat ebenfalls gesagt, in einem Krieg sei bei den Überflugsrechten der USA von Fall zu Fall zu entscheiden. Unsere Neutralität sagt doch aber ganz klar, egal, ob der Uno-Sicherheitsrat zustimmt oder nicht, die Überflugsrechte kommen nicht in Frage. Welches ist Ihre Folgerung? Blocher: Der Fall ist eindeutig: Der Bundesrat hat im Uno-Abstimmungskampf das Volk falsch orientiert - um es einmal vornehm auszudrücken. Das Schweizervolk hat dem Uno-Beitritt zugestimmt, weil ihm gesagt wurde, die Neutralität werde gestärkt. Wir Gegner haben dieses Hauptargument bestritten. Jetzt sieht man, dass man die Neutralität nicht einhalten kann. Die Schlussfolgerung ist: Wir müssen diese Uno-Vorlage dem Volk nochmals vorlegen. Eine erneute Uno-Abstimmung? Wie das? Blocher: Darauf arbeiten wir hin. Nationalrat Hans Fehr wird nächstens eine entsprechende Motion einreichen. Diese wird vom Nationalrat voraussichtlich abgelehnt. Dann werden wir eine Volksinitiative lancieren müssen, wir haben keine andere Möglichkeit. Die Neutralität dürfen wir nicht preisgeben! Wer ist "wir"? Sie und Hans Fehr, die SVP oder die Auns? Blocher: Das wissen wir noch nicht. Es werden sicher viele unserer Partei die Motion Fehr unterzeichnen. Das habe auch ich getan. Wird eine Volksinitiative nötig, wird die Auns bei der Unterschriftensammlung bestimmt sehr aktiv helfen, denn die Neutralität wird nun stark verletzt. Der Bundesrat hat ja seinerzeit gesagt, es wäre kein grosses Problem, aus der Uno auch wieder auszutreten. Mit anderen Worten: Sie akzeptieren den vor kurzem gefällten Volksentscheid über den Uno-Beitritt nicht?Blocher: Doch, den akzeptieren wir. Aber der Entscheid kam unter falschen Voraussetzungen zustande. Deshalb soll das Volk unter richtigen Voraussetzungen nochmals abstimmen können.Sind Sie überzeugt, dass das Volk einen Uno-Austritt will? Blocher: Wenn heute über einen Uno-Beitritt abgestimmt würde, hätte dieser keine Chance. Auch die bewaffneten Auslandseinsätze unserer Soldaten hätten heute keine Chance, davon bin ich überzeugt. Denn man merkt jetzt, in welch heikle Situation die Schweiz bei dieser Neutralitätspolitik im Uno-Rahmen geraten könnte. Austreten ist allerdings schwieriger als gar nicht erst eintreten, das ist mir schon klar. Aber wissen Sie: Bis das Volk in drei oder vier Jahren abstimmen kann, werden wir noch viel erleben, das in diese neutralitätsrechtlich problematische Richtung geht.