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Independence

15.03.2000

Die Bilateralen an ihren Inhalten messen

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 15. April 2000 SVP-Kantonalpräsident Christoph Blocher bleibt dabei: Er will nicht in den Abstimmungskampf um die bilateralen Verträge ein- greifen, tut seine Meinung aber trotzdem kund. Die kantonale SVP-Delegiertenversammlung hat am Donnerstag zu den bilateralen Verträgen die Nein-Parole beschlossen. Der Entscheid ist aber mit 171 gegen 168 Stimmen so knapp ausgefallen, dass man von einem Zufallsmehr oder Patt sprechen könnte. Wäre nicht die Stimmfreigabe der richtige Schluss gewesen? Blocher: Das stimmt. Wenn der Antrag aus den Reihen der Mitglieder gekommen wäre, hätte ich ihn unterstützt. Aber ich wollte ihn als Präsident und Versammlungsleiter nicht selber stellen. Wie interpretiert das Parteibüro jetzt seinen Auftrag? Lanciert die kantonale SVP im Hinblick auf den 21. Mai eine überzeugte Nein-Kampagne oder eine halbherzige, die den Willen der grossen Minderheit respektiert? Blocher: Eine Kampagne gibt es nicht. Es ist nicht unsere Gewohnheit, zu nationalen Vorlagen einen Abstimmungskampf zu führen - ausser es handle sich um grundlegende Themen wie den EWR- oder den EU-Beitritt, wo wir keine knappen Parolen beschliessen. Sie selber haben sich an der Delegiertenversammlung nicht zu Wort gemeldet. Blocher: Als Versammlungsleiter halte ich mich stets zurück. Ich habe meine Meinung zu den bilateralen Verträgen schon vor der Schlussabstimmung im Parlament im letzten Oktober geäussert und von einem Referendum abgeraten. Es hat einfach keinen Sinn, einen Kampf zu führen, wenn nachher sowieso wieder derselbe EU-gläubige Bundesrat neue Verhandlungen führen müsste. Darin hat sich meine Haltung nicht geändert. Schweigen Sie auch heute Samstag an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz? Blocher: In Appenzell spreche ich zur Europapolitik als solcher, das ist etwas anderes. Man soll die Bilateralen an ihren Inhalten messen und nicht an der Souveränitätsfrage. Eine Vermutung: Als Parteipräsident halten Sie sich trotz Ihrer öffentlichen Kritik am Bundesrat punkto Bilaterale vornehm zurück, sorgen aber hinter den Kulissen schon dafür, dass durch Ihre Parteikollegen Hans Fehr und Ulrich Schlüer und in der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) gegen die Vorlage Stimmung gemacht wird. Blocher: Die Auns hat beschlossen, keine Stellung zu beziehen. Sie äussert sich nur zu Fragen, welche die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz betreffen. Im Auns-Vorstand gab es zu den Bilateralen drei Anträge: einen Antrag, keine Parole zu fassen, weil sie kein Auns-Thema seien; einen Antrag auf eine Ja-Parole, weil die Bilateralen faktisch einen EU-Beitritt verhindern; und einen Antrag auf eine Nein-Parole, weil das doppelte Spiel des un- glücklich agierenden Bundesrats zu einem schlechten innenpolitischen Recht führen werde. Wir entschieden uns für den ersten Antrag, nämlich keine Parole zu fassen. Für die Auns-Versammlung eine Woche vor der Abstimmung ist das Geschäft nicht traktandiert, doch viele Mitglieder werden es behandeln wollen. Sie meinen immer, die Auns sei eine Partei. Doch die bilateralen Verträge sind ein politisches Thema ausserhalb der Auns-Bandbreite. Was Hans Fehr und Ulrich Schlüer als Nationalräte sonst unternehmen, kann und will ich nicht bestimmen. Herr Blocher, wer mit anschaut, auf wie vielen Hochzeiten Sie als Politiker, "Heimatschützer" und Chemieunternehmer mit vorweggenommenem Anschluss an den europäischen und internationalen Wirtschaftsraum tanzen, fragt sich, ob es den "widersprüchlichen" Christoph Blocher eigentlich nie in Stücke reisst. Geht es Ihnen gut? Blocher: Da unterstellen Sie mir jetzt etwas viel. Meine Persönlichkeit ist nicht widersprüchlich, sie ist eine Einheit, eine Stärke, darum kann ich ja so aktiv sein. Wir verkehren mit allen Staaten freundschaftlich, auf politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet, aber wir lassen uns nie vereinnahmen. Diese Überzeugung vertrete ich als Politiker, Unternehmer und Mensch. Natürlich gibt es Interessengegensätze. Die bilateralen Verträge bringen aus unternehmerischer Sicht gewisse Vorteile, zum Beispiel billigere Leute durch den freien Personenverkehr. Für das Gesamtinteresse des Landes, für den Bürger und den Wirtschaftsstandort, bringen sie aber Nachteile, eine starke Steuerbelastung und Arbeitslosigkeit. Deshalb muss ich die Interessen als Unternehmer eben zurückstellen. Ich wehre mich nicht gegen Weltoffenheit, das wäre nicht einmal aus wirtschaftlicher Sicht richtig. Aber ich wehre mich gegen die Einbindung.

26.01.2000

Die sieben Geheimnisse der SVP

Albisgüetli-Rede 2000  

21.01.2000

The seven secrets of the SVP

Speech at the Albisgüetli Conference, 21 January 2000

21.01.2000

I sette segreti dell’UDC

Discorso del Albisgüetli del 21 gennaio 2000

01.01.2000

Neujahrsansprache 2000

1. Januar 2000 Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, Wenn ich heute - am 1. Januar des Jahres 2000 - eine Bilanz über das eben zu Ende gehende Jahrhundert ziehe, dann tue ich es mit zwiespältigen Gefühlen: Wir blicken zurück auf ein Jahrhundert der schlimmsten Auswüchse des Nationalismus und des Sozialismus, wobei sich beide menschenfeindlichen Systeme zeitweise als "Nationalsozialismus" vereinigt haben. Braune und rote Diktatoren haben den für alles zuständigen Staat zum Abgott gemacht und die Freiheit des Einzelmenschen verachtet und erstickt. Die Folge war Rassenhass auf der einen Seite, Klassenhass auf der anderen Seite mit vielen Millionen von Toten, mit Hunger, Elend, Kriegen und unendlichen Flüchtlingsströmen. Aber immer, wenn besonders Schlimmes geschieht, geschieht ja gleichzeitig auch Wunderbares: Am zu Ende gehenden Jahrhundert dürfen wir Schweizerinnen und Schweizer dankbar feststellen, dass unser kleines Land auch in den Jahren der schlimmsten Diktaturen und der totalitären Herausforderung das Lämpchen der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Demokratie hochgehalten hat, zeitweise als praktisch einziger Staat auf dem europäischen Festland. Es ging darum, unsere Souveränität, unsere Neutralität, unsere direkt demokratischen Volksrechte und unseren Föderalismus gegen die Herausforderung von menschenverachtenden Diktaturen zu verteidigen. Der "Wohlfahrtsstaat" als neues Mittel zur Unterjochung Doch am Übergang zum 21. Jahrhundert ist besorgt die Frage zu stellen: Ist etwa mit dem Zusammenbruch der braunen und roten Gewaltherrschaft die Idee des allmächtigen Staates überwunden worden? Ist der Einzelmensch heute endgültig wieder in den Mittelpunkt gerückt worden? Leider nicht! An der Schwelle zum 21. Jahrhundert klammern sich die geistig schiffbrüchig gewordenen Sozialisten an einen neuen Rettungsring: Es ist der alle Bereiche umfassende "Wohlfahrtsstaat", den sie mit lautstarken moralistischen, fortschrittlich tönenden Phrasen bejubeln. Es ist ihnen gleichgültig, dass dieser Wohlfahrtsstaat die Menschen zu Staatssklaven macht, dass er zwangsläufig in Abhängigkeit und Knechtschaft mündet und dass er die persönliche Freiheit, Unabhängigkeit, Risikobereitschaft und das Eigentum zerstört. Die auch von bürgerlichen Kreisen zunehmend geförderte staatliche Umverteilung führt zu Vermassung, Zentralismus und Sozialbürokratie. Es ist kein Zufall, dass linke Moralisten und eifernde Intellektuelle mit Schlagwörtern wie "Gerechtigkeit" und "Solidarität" nach dem ruinösen Ausbau des "Wohlfahrtsstaats" rufen. Sie sind es ja schliesslich, die als gut bezahlte Funktionäre in diesem Zwangsapparat die Kommandostellen innehaben. Die kleineren Kreise - angefangen bei den Familien - mit ihrer menschliche Wärme und echter Solidarität müssen so der anonymen Bürokratie weichen. Diesen Umverteilern gefällt dies. Diesen Pseudo-Heiligen mit ihrem Totalanspruch ist die Beschränkung der Staatsmacht, die Gemeindeautonomie, der Föderalismus oder die direkte Demokratie ein Greuel. Am liebsten möchten sie sofort der EU beitreten, wo die staatliche Allmacht, die bürokratische Erstarrung und die Steuerlast des Einzelnen auf höherer Ebene und darum noch ungehemmter und umfassender wäre. Die Selbstverantwortung als Weg der Zukunft Diese zunehmende staatliche Massenversorgung kann nicht allein von den hohen Einkommen getragen werden; die Kosten davon werden auch denen aufgehalst, für die sie bestimmt ist, und so holt der Staat in unserem Land den Bürgern das Geld aus der linken Tasche, um es ihnen wieder in die rechte Tasche zu stecken - nur leider mit den gewaltigen Leistungsverlusten dieses staatlichen Umwegs! Dem ruinösen "Wohlfahrtsstaat", der zum Armutsstaat wird, müssen wir deshalb im 21. Jahrhundert wie nie zuvor die Selbstverantwortung und freie Marktwirtschaft entgegenhalten. Diese allein sind Voraussetzung für Freiheit, Recht, Friede und Gerechtigkeit. Ihr Erfolgs-Geheimnis heisst Konkurrenz, Risikobereitschaft und Privateigentum. Niemals darf der Staat die Herrschaft über das gesamte Leben an sich reissen. Genau wie in der Demokratie der mündige Stimmbürger, muss im Markt der mündige Konsument die letzte Entscheidungsmacht besitzen. Eine ständig steigende Last von Steuern, Gebühren und Zwangsabgaben lähmt unsere Wirtschaft und unser Leben zunehmend und wird diese schliesslich zersetzen. Denn mit der immer hemmungsloseren Besteuerung besitzt der Staat ein heimtückisches und diskretes Lenkungsinstrument, um das freie Spiel der Marktwirtschaft willkürlich zu verzerren und die Leistungswilligen zu bestrafen. Pseudomonarchische Allüren Die Politik mit ihrer Umverteilung, Staatsverschuldung und Bürokratie ist leider auch in unserem Land viel zu mächtig, viel zu wichtig und viel zu teuer geworden. In Bern tun Regierung, Parlamentarier und die ihnen zugetanen Medien so, als ob sich das Schicksal der Schweiz im Bundeshaus entscheiden würde. Dabei ist dies ein ähnlich grobes Zerrbild der Wirklichkeit, wie wenn wir bei einem Glas Milch lediglich den obenauf schwimmenden Schaum beachten würden. Nein, die wirklichen Leistungen in diesem Land werden nicht an politischen Sitzungen, Sessionen und Presse-Konferenzen erbracht, sondern durch die Bürgerinnen und Bürger in den Familien, an den Arbeitsplätzen, in den Behörden und Vereinen. Dies scheint unsere Regierung aber immer weniger einzusehen. Bundespräsidenten und Bundesräte stellen ihre Funktion im Rahmen einer Kollegialbehörde immer mehr auf die gleiche Stufe mit ausländischen Staatschefs oder gar gekrönten Häuptern und scheinen zu vergessen, dass hierzulande alle Souveränität vom Volke ausgeht. In unserer Alpenrepublik haben sich in den letzten Jahren pseudomonarchische Allüren ausgebreitet. Einzelne Bundesräte glauben, sie müssten das Schweizervolk wie despotische Hausväter mit tugendsamen Reden, moralischen Gesten und eindringlichen Zukunfts-Beschwörungen eindecken. Dabei hätte das Schweizervolk in allererster Linie das Recht, von seinen Politikern in Ruhe gelassen zu werden, um sich ungestört den Pflichten des Alltags zu widmen. Es wäre höchste Zeit, dass der Bundesrat merken würde: Selbst wer auf Stelzen geht, steht noch immer auf seinen gewöhnlichen Beinen, und selbst wer auf dem prächtigsten Regierungssessel thront, sitzt dort noch immer mit seinem gewöhnlichen Gesäss! Lob des Kleinen Der moderne Staat des 21. Jahrhunderts muss sich auf seine Kernaufgaben beschränken. In jenen Bereichen, die ihm zukommen, müsste er sich aber mit der ganzen Kraft seiner Autorität durchsetzen. Gerade dies geschieht heute nicht, etwa in den Bereichen des Asylwesens oder der zunehmenden Kriminalität. Stattdessen führen hektische Staatsaktivitäten und Staatsinterventionen auf unnötigen Gebieten zunehmend zu Staatsverdrossenheit, Gesetzesverachtung und Steuermüdigkeit. Ich wünsche, dass im 21. Jahrhundert anstelle der sozialistischen Vermassung der Wert des Individuums wieder erkannt wird, die Bedeutung des Einzelmenschen, der etwas Unvergleichliches, Unvertauschbares, Unschätzbares ist. Wir Bürgerinnen und Bürger, erst recht aber unsere Behörden, müssen wieder zu den Werten unseres direkt demokratischen Kleinstaates stehen und das Heil nicht weiterhin im Kult des Kolossalen und im Kniefall vor dem Grossen suchen. Denn oft ist das äusserlich Kleine und Vielgestaltige innerlich grösser als die machtvolle Grösse und Einheit. Wenn wir dazu den Mut und die Kraft haben, bleibt die Schweiz auch im neuen Jahrtausend ein europäischer und weltweiter Sonderfall. Sie hat in ihrer Geschichte den Ausgleich von Stadt und Land, von Tradition und Modernität, von Freiheit und Ordnung, von Tapferkeit und Friedensliebe bewältigt. Bei allen Mängeln und Unvollkommenheiten wird sie auch künftige Stürme meistern, sei es dank eigener Kraft, sei es dank einer gütigen Vorsehung. Voraussetzung dazu aber bleibt der Wille, resistent zu bleiben gegenüber dem Gift des Sozialismus, der Staatsallmacht und dem Feudalismus - der Herrschaft weniger über viele! Ich stelle täglich immer wieder fest, dass dieser Wille und diese Kraft in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden ist - trotz dauernder gegenteiliger Berieselung von oben. Ich wünsche Ihnen und uns allen viel Kraft, um sich auf die Stärken unseres Landes - Souveränität, Selbstverantwortung, Freiheit und Friedensliebe - zu besinnen und wünsche Ihnen und unserem Lande ein gutes neues Jahr! Christoph Blocher, Nationalrat SVP