«Herr Blocher, soll sich die Schweiz künftig gar nirgends mehr engagieren?»

Interview mit den Obersee Nachrichten vom 3. Januar 2002

Christoph Blocher und die SVP kämpfen als einzige Bundesratspartei gegen einen Uno-Beitritt. Am 9. Januar findet im Hotel “Kreuz” in Jona eine SVP-Drei-Kantone-Veranstaltung statt, bei der Christoph Blocher die Besucher einmal mehr beschwört, warum man für Neutralität, Selbstbestimmungsrecht und Unabhängigkeit der Schweiz einzustehen hat. Aber er weiss auch, dass die Propaganda auf der Uno-Befürworter-Seite ganz massiv sein wird.

Verena Schoder

Herr Blocher, die CVP Bezirk See hatte Sie für ein Podiumsgespräch nach Jona eingeladen – mit Erika Forster, FDP, Eugen David, CVP, und Paul Rechsteiner, SP. Sie und Nationalrat Toni Brunner haben beide abgesagt. Warum sind Sie dieser Kontroverse um einen Uno-Beitritt ausgewichen?

Christoph Blocher: Ich habe der CVP schriftlich zugesagt, dass wir bereit seien, an einem kontradiktorischen Gespräch in Jona teilzunehmen. Voraussetzung sei aber eine ausgewogene Gesprächsrunde, das heisst je zwei Befürworter und zwei Gegner. Leider wollten die Befürworter aber unbedingt ein Übergewicht haben, nämlich drei Befürworter gegen zuerst einen, dann allenfalls gegen zwei Gegner. Diese ungleiche Behandlung kann ja nicht akzeptiert werden, deshalb gibt es nun bedauerlicherweise zwei Veranstaltungen, eine dafür und eine dagegen.

Die SVP ist ja auch als einzige Bundesratspartei gegen einen Uno-Vollbeitritt. Sind Sie auf einen harten Abstimmungskampf vorbereitet?

Blocher: Dass die SVP die einzige Bundesratspartei ist, die für das Selbstbestimmungsrecht, die Unabhängigkeit und die Neutralität der Schweiz eintritt, ist ja nicht neu. Schon bei der letzten Uno-Abstimmung war die SVP allein gegen den Beitritt. Das Schweizervolk und sämtliche Kantone haben sich dann klar der SVP angeschlossen und Nein zum Uno-Beitritt gesagt, sie haben sich also für die Unabhängigkeit und die Neutralität der Schweiz ausgesprochen. Dies war übrigens auch beim EWR so. Alle anderen Parteien, der Bundesrat und alle Verbände haben massiv für den EWR-Beitritt gekämpft. Wir waren allein dagegen. Das Schweizervolk und die Mehrheit der Kantone hat einen EWR-Beitritt abgelehnt. Als einzige Bundesratspartei ist die SVP auch gegen den EU-Beitritt – aber auf der Seite des Volkes.

Der Bundesrat und die politischen Träger der Kantone wollen Überzeugungsarbeit leisten, viele Institutionen sind im Vorbereitungskampf. Was ist Ihre Motivation, gegen so viele Gegner anzutreten?

Blocher: Man hat zur Schweiz und zu ihren Besonderheiten zu stehen. Dazu gehört eben auch eine glaubwürdige Neutralität. Die Schweiz soll nicht zum Spielball der Grossmächte werden. Der Uno-Beitritt würde uns den Grossmächten, die über ein Vetorecht im Sicherheitsrat verfügen, preisgeben. Diese könnten von uns Boykotte und Massnahmen nicht militärischer und militärischer Art gegen andere Länder verlangen. Ich hoffe sehr, dass das Schweizervolk, wie in den letzten Jahren bei der Uno-, der EWR- und der EU-Abstimmung, auch am 2./3. März den Beitritt zur politischen Uno klar ablehnen wird.

Was passiert mit der Schweiz bei einem Ja?

Blocher: Würden wir der Uno beitreten, so hätten die Schweizer einmal mehr viel zu bezahlen und viel zu verlieren. Es geht um den Beitritt der Schweiz zur politischen Uno. Bei allen anderen Uno-Organisationen, wo es um humanitäre, wirtschaftliche, Bildungs-, Umwelt- und Flüchtlings-Anliegen geht, sind wir ja längst dabei. Wir müssten uns dem von den Grossmächten dominierten Sicherheitsrat unterwerfen. Dies widerspricht der Neutralität. Wir hätten auch viel zu bezahlen. Das Schweizervolk hätte aber weniger zu sagen, denn in der Uno-Generalversammlung bestimmt ja nicht das Volk, dort bestimmen einzelne Diplomaten und schweizerische Politiker. Das so beschlossene Völkerrecht geht unserem Landesrecht vor, ohne dass das Schweizervolk noch etwas zu sagen hätte.

Was passiert mit der Schweiz bei einem Nein?

Blocher: Bei einem Nein würden unsere Neutralität und Unabhängigkeit gewahrt. Wir könnten uns in den nicht politischen Belangen der Uno voll entfalten. Aber in die politische Uno würden wir nicht einbezogen. Wir könnten auch unsere humanitären Dienste dort verwirklichen, wo es die anderen Länder wegen Parteinahme nicht tun können. Das ist das Wirkungsfeld eines wirklich neutralen Staates. Wir könnten weltoffen sein, ohne in die Grossmachtpolitik einbezogen zu werden.

Die Uno-Befürworter werfen der SVP vor, dass es ihr beim Nein nur um das Sparen geht. Die SVP wolle einmal mehr die Zitrone bis auf den letzten Tropfen ausdrücken. Was entgegnen Sie dem?

Blocher: Es geht nicht nur, aber auch um die Kosten. Wir bezahlen bereits heute 470 Mio. Franken pro Jahr an die Uno. Ein Beitritt in die politische Uno kostet weitere 75 Millionen. Dies allein für die Verwaltung. Wir hätten uns aber auch in Zukunft an den hohen Kosten für vielerlei Sonderaktionen der Uno zu beteiligen. Eine Kommission der Uno fordert auch von den Mitgliederstaaten eine weit höhere Entwicklungshilfe von 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes. Der Druck, dass wir dies erfüllen, würde massiv zunehmen. Das würde dann 1,6 Milliarden ausmachen. Und das, obwohl wir bereits jährlich 0,5 Milliarden an die Unterorganisationen bezahlen. Aber der wesentliche Punkt ist, dass die Schweiz eine ihrer grossen Stärken, nämlich die dauernde bewaffnete Neutralität, verlieren würde. Dank dieser Neutralität hat unser Land während 200 Jahren keinen Krieg mehr erlebt. Das können nicht viele Länder sagen. Einen solchen Wert gibt man doch nicht preis.

Wenn die Schweiz doch schon so lange Uno-Beiträge bezahlt, wäre es doch nur logisch, dass sie fürs Bezahlen auch endlich mitreden kann.

Blocher: Dort, wo die Schweiz bei den Unterorganisationen bezahlt, dort redet sie auch mit. Wir sind Mitglied der Unesco, der Welternährungsorganisation, der Flüchtlingsorganisation usw. Neutralitätspolitisch ist dies auch auch nicht bedenklich, weil es dort nicht um politische Belange geht, also nicht um Sanktionen gegen andere Länder, um andere Länder zu unterdrücken oder zu bekämpfen.

Heisst das, die Schweiz soll sich künftig gar nirgends mehr engagieren?

Blocher: Doch – aber dort, wo es eben nur ein streng Neutraler kann. Nämlich dort, wo alle anderen Länder Partei sind. Dies hat sich in der Geschichte bewährt und wird sich auch in schwerwiegenden Konflikten weiter bewähren. So sind das Rote Kreuz und das Katastrophenhilfskorps entstanden. Voraussetzung aber ist, dass wir nicht in Bündnisse oder Organisationen eintreten, welche uns dieser Neutralität berauben.

Die Uno hat die Neutralität der Mitgliederstaaten ausdrücklich anerkannt. Warum also diese diffuse Angst streuen?

Blocher:
Ich weiss nicht, von welcher ausdrücklichen Anerkennung der Neutralität Sie hier sprechen. Im Vertrag, den wir unterschreiben steht nichts von dem. Tatsache ist, dass ein Neutralitätsvorbehalt, der die Schweiz von Wirtschaftsboykotten, Unterbrechung von Beziehungen, Abbruch von diplomatischen Beziehungen, Truppeneinsatz usw. befreit hätte, weil das mit der Neutralität nicht zu vereinbaren ist, von Bundesrat und Parlament abgelehnt worden ist. Der Bundesrat sagt, man könne dies nicht tun, sonst würde man den Eindruck erwecken, dass man den Vertrag – die Uno-Charta – nicht erfüllen möchte. Der jetzige Beitritt der Schweiz zur Uno sieht keinen Neutralitäts-Vorbehalt vor, weil man die Neutralität nicht wahren will.

Herr Blocher, Ihre Prognose zur Uno-Abstimmung vom März?

Blocher: Ich glaube, dass auch diesmal die Mehrheit einen Uno-Beitritt ablehnen wird. Ich bin mir aber bewusst, dass die Propaganda auf der Befürworterseite ganz massiv sein wird. Die gleichen Kreise, die die Swissair ruiniert haben, werden Millionen für diese Abstimmung ausgeben. Zudem hat der Bundesrat 2 Millionen Franken Steuergelder bewilligt, um den Abstimmungskampf zu führen. Wir Steuerzahler bezahlen dies.

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