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07.05.1999

Unsere vier Kinder sind auf der richtigen Spur

Interview mit CASH vom 7. Mai 1999 Christoph Blocher über seine Nachfolge bei der Ems-Chemie, seine Bücher schreibenden Geschwister und über die erste Pflicht der Politik, Nein zu sagen Christoph Blocher startet mit neuem Schub in die Spätphase seiner Karriere. CASH sprach mit ihm über seine Familie, die Nachfolge bei der Führung der Ems-Chemie, über seine Wirtschaftspolitik und über Antisemitismus. Interview: Markus Gisler, André Kienzle Herr Blocher, Sie werden nächstes Jahr sechzig Jahre alt. Wie lange bleiben Sie noch CEO der Ems-Chemie Holding? Christoph Blocher: Ich bin daran, über die Nachfolgeregelung nachzudenken. Was kommt dabei heraus? Blocher: Ich habe vier Kinder. Die Älteste, 29 Jahre alt, hatte ihr Ökonomiestudium vor vier Jahren abgeschlossen, arbeitete dann für die amerikanische Firma Johnson & Johnson und leitet heute das Marketing bei Rivella. Der Sohn, 28, schliesst demnächst seine Dissertation als ETH-Chemiker ab, verdient danach noch den Hauptmann ab und steigt dann ebenfalls in die Wirtschaft ein. Die jüngere Tochter, 24, steht vor dem Abschluss des ETH-Studiums, und die Jüngste, 22, studiert ebenfalls Ökonomie. Sie sehen: Unsere Kinder sind auf der richtigen Spur. Ob sie das Unternehmen auch führen können oder wollen, wird man in den nächsten zwei Jahren besser sehen. Wir spüren, Sie wollen Ihr Unternehmen in der Familie behalten. Blocher: Natürlich. Das geht wohl jedem Vater so. Erzwingen will ich nichts, aber wenn ich sehe, dass es geht, dann ja. Zumindest die Berufsrichtung meiner Kinder stimmt. Keines studiert Psychologie oder Altphilologie, keines sagt: "Nur ja nichts mit Wirtschaft zu tun haben!" Das wäre wohl ganz grässlich für Sie? Blocher: Gar nicht. Ich selber hätte sehr gerne gehabt, wenn ein Kind zum Beispiel Geschichte studiert hätte, aber dann könnte es nicht ins Unternehmen einsteigen. Jetzt ist alles möglich: alle vier Kinder oder nur eins oder zwei oder drei - oder gar keines. Nachfolgeregelungen sind ja vor allem auch Erbschaftsfragen. Blocher: Wenn ich heute sterben würde, müsste die Familie 180 Millionen Franken Erbschaftssteuern bezahlen. Das könnte sie gar nicht, ohne einen Teil des Unternehmens zu verkaufen. Deshalb muss ich eine klare Lösung finden. Wenn die Kinder alle nicht in Frage kommen - was sein kann - , dann lautet die Frage: Behält man die Mehrheit des Unternehmens in der Familie und ein Dritter führt es, oder müsste - was ich nicht möchte - das Unternehmen verkauft werden. Diese Themen diskutieren Sie auch mit Ihren Kindern. Was sagen sie dazu? Blocher: Wir haben keinerlei Hemmungen, über die Nachfolgefrage zu reden. Bis jetzt war der Tenor immer: Hör zu, Vater, wir sind selbst wer. So haben wir sie auch erzogen, nach Selbstverantwortungsprinzipien. Keines erhält ein Auto, bis es selber verdienen kann. Mein Sohn musste bis 27 darauf verzichten. Zahlen Sie ihm wenigstens die Ausbildung? Blocher: Seit er Halbtagsassistent ist, zahlt er alles selber. Nicht, dass ich geizig wäre, ich sagte meinen Kindern aber immer: Man muss das Leben selber gestalten, ich sorge für eure Ausbildung bis zum Abschluss, ohne Luxus, nachher steht ihr auf euren eigenen Beinen. Stolz und unabhängig von mir. Aber wenn Sie morgen unter das sprichwörtliche Tram kämen - was wir Ihnen natürlich nicht wünschen - was wäre dann? Blocher: Dafür ist gesorgt. Dann läuft die Ems-Chemie makellos ein bis zwei Jahre weiter. In dieser Zeit muss eine Lösung getroffen werden. Mein VR-Ausschuss muss dieses Szenario nur aus der Schublade herausziehen. Wir folgern daraus: Blocher bleibt auf absehbare Zeit CEO der Ems-Chemie. Blocher: Ja. Mir geht es gesundheitlich gut, und ich habe noch genügend Kraft. Aber in den nächsten paar Jahren muss die Nachfolge geregelt werden - doch Sie sehen ja, in der Familie reift es schon. Haben Ihre Kinder eigentlich die gleiche politische Sicht wie der Vater? Blocher: In den grundsätzlichen politischen Fragen haben wir keinerlei Differenzen. Wobei ich keinen Druck ausübe. Es gibt Fragen, in denen wir nicht übereinstimmen. Während des Studiums waren die beiden Älteren ziemlich grosszügig, was staatliche Ausgaben angeht. Seit sie verdienen, sind sie sehr auf meiner Linie. Auf jeden Fall sind alle vier gegen den EU-Beitritt, was mich freut. Ich habe keinerlei Probleme mit den Kindern, keines ist bei den Sozialdemokraten gelandet - bis jetzt (lacht). Wenn Sie weiterhin als Ems-Konzernchef amten, bleibt Ihnen wohl keine Zeit, um Ihre Memoiren zu schreiben. Blocher: Das ist auch gut so. Bald alle Ihre Geschwister haben ein Buch geschrieben - nur Sie nicht, obschon im Grunde nur Sie der Inhalt sind. Blocher: Kürzlich war ein grosser deutscher Verlag bei mir und bat mich, meine Memoiren zu schreiben. Ich sagte: "Hört mir bloss auf mit dem 'Chabis'." Bevor jemand nicht hundert Jahre tot ist, lässt sich gar nicht beurteilen, ob ein Lebenswerk überhaupt von geschichtlichem Wert war. Wie beurteilen Sie diese literarische Vergangenheitsbewältigung Ihrer Geschwister? Blocher: Meine zehn Schwestern und Brüder sind sehr verschieden. Das neueste Buch von meiner ältesten Schwester (der Sozialarbeiterin Judith Giovannelli-Blocher, die Red.) fand ich interessant. Ich habe mein Elternhaus aber nicht so erlebt wie sie. Wie blicken Sie zurück auf Ihre Jugend? Blocher: Ich bin acht Jahre jünger - in der Jugend ein riesiger Unterschied. In meiner Erinnerung bin ich in einem sehr fröhlichen Elternhaus aufgewachsen. Weil wir so viele Kinder waren, gingen wir absolut frei von Überbetreuung durchs Leben. Als kleiner Junge wurde ich morgens vor die Türe gestellt und war mir selber überlassen. Wir trieben einen Haufen Schabernack. Ich konnte auch einen völlig unkonventionellen Lebensweg einschlagen, zuerst Bauer werden, dann studieren. Meine Schwester dagegen hatte ihr Leben lang das Gefühl, als Frau sei sie zu kurz gekommen. Sie sagt, der Vater hätte ein Mädchen nie studieren lassen. Dabei studierte eine Schwester Theologie und wurde Pfarrerin, eine andere machte die Mittelschule und wurde Lehrerin, eine absolvierte die A-Matur und wandte sich der Kunstgeschichte zu. Dieser Vater steigt aus allen Büchern als strenge, protestantisch-trockene Figur auf. Wie sehen Sie sich im Vergleich zu Ihrem Vater? Blocher: Mein Vater, ein Calvinist, war ein strenger Mann. Er war ein Freund von Karl Barth (dem Anführer des Kirchenkampfes gegen die Nationalsozialisten in Deutschland, die Red.). Die Theologie war ihm wichtig. Innerlich hat er wohl sein Leben lang darunter gelitten, dass er Pfarrer sein musste, denn er hatte sehr viele andere Interessen. Aber - und das finde ich das Grossartige an ihm - er hielt bis zum Schluss durch und blieb seiner Sache treu. Er hatte eine klare eigene Meinung, war ein geistig vielseitig orientierter Mensch, gross und hager. Er war nicht von leichter Natur, hatte oft an den Dingen zu beissen. Schon sein Vater war Pfarrer gewesen, seine Mutter eine deutsche Professorentochter. Gleichen Sie nun eher dem Vater oder der Mutter? Blocher: Meine Mutter stammt aus gesundem Säuliämter Boden, aus einer Bauern- und Ziegelbrennerfamilie, sie war klein und rundlich - ziemlich genau das Gegenteil vom Vater. Die einen Geschwister gleichen eher dem Vater, die anderen mehr der Mutter. Sie gleichen wohl eher der Mutter. Blocher: Ja, wie auch mein Bruder, der Pfarrer ist und der zu reden gibt. Meine älteste Schwester und der andere Bruder, der das Buch "Mein Bruder Christoph" geschrieben hat, gleichen mehr dem Vater. Ihre Geschwister scheinen permanent mit ihrer Jugend zu hadern. Sie auch? Blocher: Gar nicht. Für mich ist das Elternhaus abgeschlossen. Doch wenn ich das Buch meiner Schwester lese, kämpft sie mit ihren 68 Jahren noch immer damit, wie es denn gewesen wäre, wenn sie anders erzogen worden wäre. Haben die Geschwister Blocher noch Kontakt unter sich? Blocher: Solange die Mutter noch lebte, immer wieder. Jetzt beschränkt sich der Kontakt auf diejenigen, die ähnlich denken. Die anderen kennen mich eigentlich nur noch aus der Zeitung. Aber die Familie ist Ihnen wichtig. Blocher: Ja, nur habe ich jetzt meine eigene. Was bedeuten Ihnen Freunde? Blocher: Ich habe wenige Freunde, aber gute. Es sind Leute, die an meinem Leben teilnehmen und ich an ihrem, nicht solche, die nur um mich herumschwirren und mir gratulieren, wenn ich die Wahlen gewonnen habe. Meine Freunde halten auch zu mir, wenn ich in der Tinte sitze. Viele würden wahrscheinlich staunen, wenn sie deren Namen wüssten. Vertreten diese Freunde andere politische Haltungen? Blocher: Es sind keine Leute aus dem politischen Vordergrund. Sie würden politisch wohl ganz anders eingestuft als ich. Auch ich habe ganz andere politische Stärken, als allgemein behauptet wird. Welche denn? Blocher: Es heisst immer, dass ich gut reden könne -einer, der so redet, dass ihn das Volk versteht - , und ich könne auf die Pauke hauen. Wollen Sie etwa behaupten, dass dies nicht stimmt? Blocher: All das ist absolut belanglos. Meine Stärke ist, dass ich ein klares Konzept für die politische Arbeit habe. Also genau das Gegenteil von dem, was alle sagen: "Der hat ja nur Schlagwörter." Schlagwörter sind bei mir das Ende, nicht der Anfang. Am Anfang stehen Szenarien, Analysen und viele Diskussionen über die richtige Richtung, viele Selbstzweifel und Sorgen. Das klingt nach Arbeit in Ausschüssen. Blocher: Ich bin nicht so sehr für institutionalisierte Abläufe. Lieber im Freundeskreis zusammenhokken, diskutieren und überlegen. Ich habe aus Studienzeiten viele Freunde, die im Hintergrund an politischen Fragen herumdenken. Ergo gibt es so etwas wie einen geheimen Ausschuss in der SVP! Blocher: Aber nicht in festen Ausschüssen, sondern in abendfüllenden Gesprächen und langen Telefonaten. So eine Albisgütli-Rede wird monatelang vorbereitet. Das Problem nicht institutioneller Abläufe heisst: Wer steuert sie? Blocher: Da kommt meine zweite Stärke: die Durchsetzung. Ich leiste jetzt seit 22 Jahren Knochenarbeit als Präsident der zürcherischen SVP. Ich sitze mit Fraktionen zusammen, streite, überzeuge, sage, wie man es machen sollte bis zum Befehl an die Ortssektionen runter: "Hängt mal die Plakate auf!" - Und wenn die Wahlen vorbei sind: "Jetzt hängt sie wieder ab." Ihre Devise lautet folglich: Wie in der Wirtschaft braucht es auch in der Politik einen Chef, und der sind Sie. Blocher: Ich bin es nicht allein, aber ich bin der Präsident, ich schaue dass ich einen Sekretär und Leute habe, die vorwärts machen, ich suche die richtigen Köpfe aus. Ich schaffe ein Klima, damit die Regierungsräte gewählt werden können, die fähig sind und nicht einfach nach dem Freundschafts- und Anciennitätsprinzip obenauf schwingen. Das ist meine Stärke. Nicht gut reden. Ich kann gar nicht gut reden. Sie führen die Partei wie Ihr Unternehmen. Beherrschen Sie sie auch wie Ihr Unternehmen? Blocher: Es gibt Leute, die sagen: Die SVP hat nur einen, den Blocher. Wer das sagt, hat keine Ahnung. Klar: Wenn einer vorne stark zieht, dann treten die anderen weniger in Erscheinung. Wir haben im Übrigen sehr gute Köpfe. Christoph Mörgeli hat mit seiner Vorrede vor dem Bundesrat am Ustertag in zehn Minuten alles in den Schatten gestellt. Der hat intellektuelle Substanz. Man sagt, er könnte Ihr Nachfolger sein. Blocher: Zum Beispiel. Dann Ruedi Ackeret, Ersatzbundesrichter und Präsident unserer Programmkommission - sein SVP-Programm stellt in der Substanz die Programme aller anderen Kantonalparteien in den Schatten. Und dann hat es halt auch Bauern und Gewerbler, die bringen ihre vernünftige Meinung ein und halten eine klare Linie durch. Es können nicht alle Chefnaturen sein, die vorne stehen, davon braucht es immer nur ein paar. Erhebt die SVP jetzt den Anspruch, die Wirtschaftspartei der Schweiz zu sein? Blocher: Ich stelle keinen solchen Anspruch. Mir wäre es am liebsten, wenn die SVP überflüssig würde, weil die anderen Parteien die richtige Politik vertreten, nämlich weniger Steuern, Abgaben, Gebühren, einen Staat, der dem Bürger weniger wegnimmt, in dem die Wirtschaft sich entwickeln kann, einen Staat mit weniger Gesetzen und Bürokratie. Parteien mit der Kraft, zu all den ungebührlichen Ansprüchen Nein zu sagen, die sich weigern, uns in den EU-Bürokratismus zu führen. Parteien, die sagen: Dieses drückende Asylproblem wird jetzt gelöst, statt nur immer zu begründen, warum man es nicht lösen könne. Wenn die anderen das endlich machen würden, wären wir ja überflüssig. Sind Sie primär Unternehmer oder Politiker? Blocher: Das Unternehmen muss vorgehen. Das entspricht meinem konservativen Wertbild. Der Mensch muss zuerst schauen, dass er für sich über die Runden kommt. Schafft er das, kann er auch für eine Familie sorgen. Schafft er etwas mehr, kann er als Unternehmer für ein Unternehmen sorgen, und wenn er noch Reserven hat, kann er daneben im Milizsystem für die Politik im Lande sorgen - dann ist es langsam fertig. Wenn ich im Unternehmen keine Ordnung mehr halten könnte, müsste ich aus der Politik aussteigen. Für viele Bürgerinnen und Bürger sind Sie der mächtigste Schweizer. Blocher: Ich empfinde dies nicht so, wobei ich zugebe, dass meine Unabhängigkeit als Unternehmer eine meiner Stärken ist. Ich darf immer sagen, was ich will, mir kann praktisch nichts passieren. Meine Kunden befinden sich vor allem im Ausland, die sagen nicht: Jetzt kaufen wir bei dem nichts mehr. Genau so funktioniert es aber in den CVP-Kantonen. Schert einer aus, werden ihm die Aufträge gestrichen. Ihre Gegner bezeichnen das nicht als Ihre Stärke, sondern als Schizophrenie. Der Politiker Blocher predigt den Alleingang gegen die EU, doch als Unternehmer ist er in Europa längstens integriert. Blocher: Das ist ein idiotisches Argument. Überlegen Sie mal: Ich habe doch nicht die geringste Mühe, in den USA 15 Prozent meines Umsatzes zu erzielen, ohne gleich zu fordern, die Schweiz müsse den Vereinigten Staaten beitreten. Ich bin überhaupt nicht für eine geschlossene, isolierte Schweiz - weder politisch, wirtschaftlich noch kulturell. Ich bin sehr froh, dass meine Kinder während der Schulzeit ihre Austauschjahre machten und in die Welt hinausgingen. Aber ich bin völlig dagegen, dass wir uns in ein Grossgebilde einbinden lassen, in dem wir unser Schicksal nicht mehr selber bestimmen können. Die Vereinigten Staaten von Amerika funktionieren einwandfrei. Warum sollte ein vereinigtes Europa als mächtiger Wirtschaftsblock nicht ebenso einwandfrei funktionieren? Blocher: Europa ist nicht gleich USA. Die Amerikaner haben nur eine Sprache und ziehen im Schnitt alle sechs Jahre um - die sind flexibel. Wenn im Silicon Valley Hochkonjunktur ist, ziehen sie nach Kalifornien, wenn es in Ohio gut läuft, zügeln sie dorthin. Aber dass die Deutschen wegen eines konjunkturellen Rückgangs nach Spanien umziehen - das können Sie vergessen. Das ist auch gar nicht nötig. Blocher: Es ist aber die ökonomische Idee: Wenn Europa eine Einheitswährung hat, unter der die Länder ihre Konjunkturen nicht mehr mit einer eigenen Geldpolitik steuern können, dann werden die Konjunkturunterschiede nur über den freien Personenverkehr ausgeglichen. Das funktioniert jedoch nicht. Der Europäer bleibt einfach in der Arbeitslosigkeit. Darum diese hohe Arbeitslosigkeit in Europa, das ist doch leicht zu begreifen. Die Europäer müssen nicht so mobil sein wie die Amerikaner, weil sie eine bessere Arbeitslosenversicherung haben. Wollen Sie etwa die ALV abbauen, um grössere Mobilität zu erzwingen? Blocher: Das ist politisch nicht durchsetzbar, auch wenn es Flexibilität erzeugen würde. Die Amerikaner haben es gemacht und die Fristen für den ALV-Bezug gekürzt. Doch ich sage nicht, was die EU tun oder lassen soll, sondern es geht mir um die Schweiz. Für die Schweiz wäre es falsch, in die EU zu gehen und der EU nützt es auch nichts, ausser dass dann noch ein weiteres Land EU-Beiträge bezahlt. Wird die SVP gegen die bilateralen Verträge das Referendum ergreifen? Blocher: Diese Frage ist im Herbst zu entscheiden. Ich halte die Verträge für schlecht. Die EU stellte sich auf den Standpunkt: Wenn die Schweiz künftig in die EU will, kann sie die Nachteile davon heute schon übernehmen. Und das hat man hier leichtfertig geschluckt. Ob man die Verträge deshalb aktiv bekämpfen soll, bleibt zu sehen. Denn die Frage ist ja, was denn die Konsequenz aus einem Volksnein zu den bilateralen Verträgen wäre. Ein Bundesrat würde deswegen in der Schweiz ja sicher nicht zurücktreten. Dann verhandeln einfach die Gleichen nochmals. Wenn sich Ihr jüngster Erfolgstrend in den Nationalratswahlen im Herbst fortsetzt, steht Bern ein Erdrutsch bevor. Blocher: Zuerst mal darf man diesen Wahlerfolg nicht überschätzen. Im Grunde genommen ist nichts passiert, ausser dass die SVP in fünf Kantonen einen Stimmenzuwachs erzielte. Das Ausmass ist wahrscheinlich einer glücklichen Konstellation zuzuschreiben. Vor allem der Kosovo-Krieg hat unsere Asylpolitik, das Festhalten an der Neutralität und unseren Kampf gegen den Einsatz bewaffneter Truppen im Ausland aktualisiert und gezeigt, dass unsere über Jahre verkündete Politik richtig ist. Einen gesamtschweizerischen Erdrutsch werden wir im Herbst deswegen aber nicht auslösen. Mein Ziel ist, die grösste Partei des Kantons Zürich zu bleiben, vielleicht gibt es ein Mandat mehr. Erzählen Sie uns einmal Konkretes aus Ihrem Wirtschaftsprogramm. Blocher: Ich setze mich massiv für eine bessere Ordnungspolitik ein. Wir müssen endlich aufhören mit dieser Flut von neuen Gesetzen und der zunehmenden Bürokratie. Im Baubereich ist das so, jetzt beginnt es im Bildungsbereich bei den Fachhochschulen. Es muss ein Ende haben mit der ständigen Erhöhung der Staatsquote über Steuern, Gebühren, Abgaben. Das leidige Krankenversicherungs-Gesetz muss man aufbrechen - weg von der obligatorischen Krankenversicherung. Doch stattdessen kommt die Mutterschaftsversicherung - wieder eine neue Zwangsversicherung. Ordnungspolitik heisst bei Ihnen offensichtlich Nein sagen. Blocher: Der renommierte liberale Ökonom August von Hayek sagte: "Die wichtigste Aufgabe in der Politik ist Nein zu sagen gegen die Begehrlichkeiten an den Staat." Heute wird jedoch eine mehr oder weniger sozialistische Politik betrieben, deren Grundsatz lautet: Mehr Geld wegnehmen und umverteilen. Das vernichtet unsere Arbeitsplätze. Würden Sie Abstriche am bestehenden staatlichen System verlangen? Blocher: Wir sind für Steuersenkungen, das wäre der Anfang. Weniger Einnahmen bedeutet auch weniger Ausgaben. Welche würden Sie zuerst streichen? Blocher: Zuerst würde ich mal das Volksvermögen richtig bewirtschaften. Die Nationalbank, der AHV-Fonds, die Suva - sie müssen mal nachzählen, wie viel Klotz da sinnlos herumliegt, da kann man fast nicht zusehen. Da wären bei einer intensiven Bewirtschaftung jährlich hunderte Millionen herauszuholen. Zweitens müsste der Staat eine Menge seiner ungenutzten Vermögen verkaufen und wäre mehr in die Miete zu ziehen. Was allein die SBB für Grundstücke besitzt - und überhaupt nicht bewirtschaftet. Welche weiteren konkreten Schritte schlagen Sie vor? Blocher: Zweitens sind die Ausgaben zu kürzen, zum Beispiel die Milliarde für das Asylwesen. Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um eine Geldkürzung für die Flüchtlinge, sondern für diesen Leerlauf in der Asylbürokratie, die sowieso 90 Prozent aller Asylanträge ablehnt. Dann bin ich für die Abschaffung des Obligatoriums zur Krankenversicherung. Das ist sehr wichtig. Gerade die schlechter Verdienenden würden zuerst an der Krankenversicherung sparen. Und gerade die geraten in Existenznot, wenn sie sich ein Bein brechen. Was macht Ihr Staat mit denen? Blocher: Ihrer nimmt sich die Fürsorge an. Heute existiert einfach für alle eine Zwangsversicherung mit einem sehr hohen Leistungsangebot. Der Grundsatz soll sein: mehr Selbstverantwortung. Würden Sie die Fürsorge stärken? Blocher: Fürsorge heisst: Der Staat sorgt für die Notfälle. Sozialstaat heisst hingegen: Der Staat sorgt für alle, egal ob es der individuelle Fall wirklich benötigt oder nicht. Und überall hängt daran eine Verwaltung, die man ebenfalls kürzen kann. Man kann sehr viele Dienstleistungen an die Wirtschaft auslagern. Dies alles sind ordoliberale Ansätze. Dafür haben Sie die SVP. Sie haben aber auch noch die Auns. Wir sehen in der Auns Ihre Abkapselungspartei. Blocher: Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) ist keine Partei, sondern eine Lobby für die Unabhängigkeits- und Selbstbestimmungsinteressen in unserem Land. Vor allem hat es in der Auns aber zahlreiche rechtsextreme Exponenten, die einen Schatten auf Ihren Ruf werfen. Blocher: Das stimmt nicht. Wir hatten zwei, drei solche Rechtsextreme, die haben wir ausgeschlossen. Natürlich hat es auch einige Anhänger der Schweizer Demokraten drin, mit denen uns die Unabhängigkeit und die Neutralität verbinden. Was ist für Sie eigentlich ein Rechtsextremer? Blocher: Jemand mit einem übersteigerten Nationalitätsbewusstsein, für den alle anderen Nationen nichts wert sind. Das gilt bei uns nicht. Aber wir sagen, dass wir die Souveränität in unserem Land nicht aufgeben. Ich verkehre mit meinen Nachbarn auf der Basis gegenseitiger Achtung, aber wir ziehen deshalb trotzdem nicht alle in ein und dasselbe Haus. Der Rechtsextreme jedoch sagt: Alle Nachbarn sind minderwertige Kerle, die man ausmerzen muss. Es geht uns nicht primär um diesen krankhaften Nationalismus gegen die Nachbarhäuser, sondern viel mehr um den Rassismus und den Antisemitismus im Innern des Hauses Schweiz. Blocher: Bis zu der Affäre mit dem World Jewish Congress (WJC) habe ich in der Schweiz keinen Antisemitismus festgestellt, mit Ausnahme von ein paar Spinnern. Auch in der Auns nicht. Nachher fingen leider auch in der Schweiz gewisse Leute an, einzelne Juden zu verunglimpfen und alles zu verallgemeinern - sie setzten den WJC mit den Juden gleich. Ich habe stets davor gewarnt. Ich habe stets gesagt, ich kritisiere den Jüdischen Weltkongress, und wenn ich den kritisiere, dann nicht, weil sie Juden sind. Kürzlich schrieb mir jemand, ich würde Ursula Koch nur kritisieren, weil sie jüdisch sei. Das ist doch dummer Mist. Ich kritisiere sie, weil sie eine sozialistische Politik betreibt, und zwar eine himmeltraurige. Im Übrigen bin ich für eine offene Diskussion. Man sollte offen über diese Probleme sprechen. Sie selber äusserten sich aber noch nie klar zum heiklen Thema Rassismus und Antisemitismus. Deshalb haftet Ihnen in den Augen vieler Schweizer, die in politischen Sachfragen mit Ihnen durchaus übereinstimmen könnten, ein Geruch des Rassismus und Antisemitismus an. Blocher: Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich ein Antisemit sein könnte? Sagen Sie mir das mal! Weil ich klar Stellung bezogen habe gegen dieses erpresserische Manöver von Seiten des WJC, wird mir das unterschoben. Die Antisemitismus-Bedenken gegenüber Ihrer Adresse sind aber viel älter als die WJC-Debatte. Blocher: Das höre ich zum ersten Mal. Ich trat gegen die Erpressungen des WJC an. Wie viele sagten mir, wir tun es nicht, sonst gelten wir als Antisemiten. Da war bei mir der Zapfen ab. Wenn jeder nur seine reine Weste sucht, kann man mit dem Antisemitismus-Vorwurf jeden politisch mundtot machen - aber mich nicht! Deshalb nannte ich die Dinge beim Namen: Nicht weil, sondern obwohl sie Juden sind, trete ich gegen die erpresserischen Manöver an. Sie reagieren heftig. Wollen Sie kein Rassist und Antisemit sein? Blocher: Ich bin keiner und der Vorwurf ist verletzend. Und dennoch gab es bisher noch nie eine programmatische Rede von Christoph Blocher über Rassismus und Antisemitismus. Wann klären Sie diese uralte Frage endlich? Blocher: Rassismus und Antisemitismus sind nicht das Hauptproblem der Schweiz. Da tut man den Schweizern Unrecht. Wir glauben allerdings nach Treu und Glauben beobachten zu können, dass sowohl die Rassismus- als auch die Antisemitismus-Bedenken seit einer ganzen Dekade über Ihnen und der SVP schweben. Blocher: Das ist eine bösartige Unterstellung. Lesen Sie alle meine Reden, Vorträge und Interviews. Es sind ausschliesslich meine politischen Gegner, die den Antisemitismus-Vorwurf benützen, um mich mundtot zu machen. Sie merken, dass mich das trifft, denn ich bin auf keinen Fall ein Antisemit. Antisemitismus finde ich etwas Furchtbares. Ich weiss, wovon ich rede: Mein Vater war Mitglied der bekennenden Kirche von Karl Barth (siehe oben, die Red.). Erpressungen muss man jedoch grundsätzlich entgegentreten, auch wenn sie vom WJC kommen.

20.04.1999

Keine Kompromisse mehr nach links

Christoph Blocher zu den neuen Machtverhältnissen im Kanton Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. April 1999 Erdrutschartig haben sich die Gewichte im Kanton Zürich zugunsten der SVP verschoben. Mit 60 von 180 Kantonsratssitzen stellt die Partei die klar stärkste Fraktion und wird in den Kommissionen markant mehr Gewicht haben als heute. Die NZZ wollte von Parteipräsident Christoph Blocher wissen, wie die SVP in der neuen Position agieren wird und wie sie sich die Zusammenarbeit mit den anderen bürgerlichen Parteien vorstellt. Die Fragen stellte Lorenz Baumann. Herr Blocher, die SVP hat auf der ganzen Linie gesiegt. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück? Blocher: Wir stellen seit ungefähr einem Jahr einen Wandel in der Bevölkerung fest, vor allem auch bei den jungen Leuten. Man besinnt sich auf die Werte, die die Schweiz stark gemacht haben, und weiss, dass diese Werte erhalten bleiben müssen, wenn die Schweiz stark sein soll. Die Angst vor "Tabu-Themen" Wie stark ist Ihre Ausländerpolitik ins Gewicht gefallen? Blocher: Wir führten in den letzten Jahren einen mühsamen Kampf gegen Asylrechtsmissbrauch und illegale Einwanderung. Echte Flüchtlinge sollen aufgenommen werden, für die anderen darf die Schweiz nicht attraktiv sein. Flüchtlinge sind zu integrieren, die anderen aber auf die Rückkehr vorzubereiten. Wir haben dieses Thema zum Schwergewicht gemacht, weil wir wissen, dass hier ein ungelöstes Problem besteht. Dafür wurden wir von den andern Parteien getadelt, was uns genützt hat. Sie sagten am Sonntag nach den Wahlen, andere Parteien scheuten sich vor sogenannten Tabu-Themen. Weshalb gibt man der SVP dieses Feld preis? Blocher: Weil Ausländerpolitik unangenehm ist. Man wird von den Massenmedien und der classe politique hart kritisiert. Das Bundeshaus ist eine Gesellschaft für sich, abgeschottet von der übrigen Bevölkerung. Wenn Sie in diesen Kreisen einen Posten wollen - das Parlamentspräsidium oder ein Kommissionspräsidium -, dann dürfen Sie die Tabu-Themen nicht ansprechen. Die SVP hatte die Kraft, es trotzdem zu tun. Welche Politik vertritt die SVP im Kosovo-Konflikt? In welcher Form sollen die Schweiz und der Kanton Zürich helfen? Blocher: Sofern es notwendig ist, soll die Schweiz ihre Kräfte zur Verfügung stellen zum Bau und Betrieb von Flüchtlingslagern an Ort und Stelle. Wenn Flüchtlinge nach Zürich kommen und wir in Albanien Lager betreiben, müssen wir diese Leute sofort in diese Lager zurückschaffen. Solange die Lager nicht stehen, müssen wir auch hier Flüchtlinge aufnehmen, diese aber nicht integrieren, damit sie später wieder heimkehren. Gestärkte innerparteiliche Position Der Wahlerfolg gibt Ihnen Rückendeckung für die Auseinandersetzung mit anderen Kantonalparteien... Blocher: Die Ergebnisse in Zürich haben nicht nur Signalwirkung für die nationalen Wahlen im Herbst, sie sind auch wichtig für die innerparteiliche Auseinandersetzung. Es gab in den letzten Monaten einige Anpasser, die auf Ämter schielten und sagten, man solle eine andere Politik machen. Heute gibt es nichts mehr zu rütteln: Die Politik, die jetzt gewonnen hat, ist die richtige Politik der SVP. Alle andern Kantonalparteien werden merken, welche Politik von der Bevölkerung getragen wird. Das Verhältnis zur FDP Im Zürcher Kantonsrat stellt die SVP neu die stärkste Fraktion. Wie wird sich das Verhältnis der SVP zur FDP verändern? Blocher: Die bürgerlichen Parteien insgesamt sind dank unseren Gewinnen deutlich gestärkt worden. Es ist sogar so, dass FDP und SVP zusammen die absolute Mehrheit haben. Dieser Vorteil lässt sich aber nur ausspielen, wenn die FDP anders politisiert. Sie bekam einen Denkzettel, weil sie laviert hat. Die FDP hat Politiker, die nur auf sich schauen, Leute, die in Einzelfällen fanden, es sei lustiger, mit den Linken zu gehen und mit den Grünen eine Listenverbindung einzugehen. Es wird in Zukunft stark davon abhängen, wie die Freisinnigen politisieren. Wir hoffen, dass diese Partei endlich wieder - wie wir das früher mit Erfolg getan haben - mit uns politisiert, gegen eine sozialistische Politik. Die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit wären gut. Die SVP ist nun im Übrigen in der Lage, alleine über ein fakultatives Referendum zu bestimmen. In der letzten Legislatur war es allerdings oft die SVP, die bremste, namentlich bei Reformvorhaben. Blocher: Reformen um der Reformen willen können wir nicht unterstützen. Wenn die Verwaltung ausgedehnt und das Recht des Bürgers geschwächt werden soll, machen wir nicht mit. Reformen müssen von einer Werteordnung ausgehen und ein Ziel haben. Im Kanton Zürich sind zu viele technokratische Reformbestrebungen im Gange. Welche konkret? Blocher: Nehmen wir die Verwaltungsreform: Wir müssen am Schluss eine billigere Verwaltung haben, eine effizientere Verwaltung und eine bürgernahe Verwaltung. Wenn nur Reformen kommen mit New Public Management, bei dem niemand weiss, was das ist, wenn die Regierung schlechter kontrolliert werden soll und das Ganze am Schluss noch teurer ist, dann sagen wir Nein. Droht stärkere Polarisierung? Empfindlich geschwächt wurden die Mitte-Parteien, verloren hat die Linke. Droht dem Kanton eine stärkere Polarisierung? Blocher: Wenn die linken Parteien merken, dass es einen Wechsel geben muss, dann werden wir keine Polarisierung machen. Wenn die Linke eine Polarisierung will, werden wir diese aber austragen. Wir sind nicht mehr bereit, Kompromisse nach links zu machen, nur weil man gerne Kompromisse hat. Wir wollen nicht noch mehr Staat, wir dulden den Asylrechtsmissbrauch nicht mehr, wir akzeptieren nicht, dass Rita Fuhrer sich von anderen Parteien abkanzeln lassen muss, weil sie bei den Bosnienflüchtlingen ihre Pflicht tut. Wir haben für unsere Politik vom Volk einen gewaltigen Auftrag bekommen. Der Erfolg in den Wahlen kontrastiert auffällig mit Misserfolgen in zahlreichen Abstimmungen, Stichworte: Lastenausgleich, Herrmann. Worauf führen Sie das zurück? Blocher: Das kann ich nicht sagen. Wir haben beim Lastenausgleich den Kampf nicht geführt, weil wir nicht alles bekämpfen können, das falsch ist, dazu fehlt uns die Kraft. Es ist eine Masche der Regierung, so viele Vorlagen zu bringen, dass der Stimmbürger darin ersäuft. Die Bürger merken später, dass Versprechungen bei Abstimmungen nicht gehalten werden. Solche Niederlagen haben uns glaubwürdiger gemacht. Wird sich die Art des Politisierens im Kantonsrat bei der SVP dank dem grösseren Einfluss in den Kommissionen ändern? Blocher: Mit einer so grossen Fraktion wollen wir früher Einfluss nehmen. Schon am Anfang eines Geschäfts müssen wir daran denken, ob wir ein fakultatives Referendum ergreifen wollen. Wir müssen die Fraktion wie die Partei gemäss unserem Auftrag anders führen. Wir brauchen einen stärkeren Führungsapparat. Unsere Art des Politisierens wird von den Mehrheiten abhängen. Wenn die FDP und die CVP weiterhin mit der SP liebäugeln, werden wir zum Nein-Sagen verdammt sein. Wenn nicht, dann wird die SP zur Nein-Sager-Partei. Kein Platz für Rechtsaussenparteien Wie gewichten Sie die Schlappe der Rechtsaussenparteien? Blocher: Man weiss nicht, welche Wähler von wem zu wem wanderten. 1995 hatten wir 600'000 Parteistimmen, jetzt etwa 900'000. Diese können nicht nur von diesen Parteien kommen. Allerdings: Die Freiheitspartei hat keine eigenen Themen mehr. Wenn die bürgerlichen Parteien richtig politisieren, darf es rechts von ihnen keine Partei geben. Die SVP betrieb vor vier und acht Jahren erfolgreich provokative Wahlkämpfe. Jetzt waren Sie zurückhaltender und noch erfolgreicher. Ein Wandel von Dauer? Blocher: Wir wählen den Stil, den die Zeit braucht. Vor vier und acht Jahren wollten wir schockieren, um ein Thema auf den Tisch zu bringen. Wir sagten: "Das haben wir den Linken und den Netten zu verdanken": den Messerstecher - das hat aufgerüttelt. Jetzt sind die Themen da, wir müssen nur noch argumentieren. Bei den Steuern sagen wir heute: "Steuern runter, damit deinem Schatz mehr zum Leben bleibt" - geradezu eine liebliche Sache. Wenn wir aber merken, dass wir mit dem Thema nicht durchkommen, werden wir wieder provokativ. Es ist alles genau berechnet. Manchmal sind wir auch zu besonderen Methoden gezwungen, weil die Medien die Anliegen eines grossen Teils des Volkes unterschlagen.

19.04.1999

Anker drückt eine tiefe Liebe zu den Menschen aus

Nationalrat Christoph Blocher zeigt zum ersten Mal seine Anker-Sammlung Interview mit der Schweizer Illustrierten vom 19. April 1999 Dass er Kunst sammelt, wussten bisher nur ein paar Eingeweihte. Jetzt tritt Christoph Blocher erstmals mit einem Teil seiner riesigen Kunstsammlung an die Öffentlichkeit. In Biel zeigt er 97 Bilder des beliebten Schweizer Malers Albert Anker (1831 bis 1910). Interview: Peter Rothenbühler Warum sind Sie plötzlich bereit, Ihre Anker-Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren Christoph Blocher: Mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe. Herr Gerhard Saner hat mich überzeugt, es zu tun. Aber eigentlich ist diese Sammlung noch gar nicht so weit, dass man sie als Gesamtheit zeigen könnte. Sie haben immerhin 130 Werke von Albert Anker und sind damit der grösste Anker-Sammler überhaupt. Blocher: Die Zahl allein ist nicht massgebend. Ein Sammler ist nie zufrieden. Was hatten Sie denn sonst vor mit der Sammlung? Blocher: Ich habe die Bilder alle bei mir aufgehängt, und ich freue mich jeden Tag daran. Ich habe ja auch die nötigen Wände dazu, zum Beispiel in unserem Schloss im Kanton Graubünden. Ich leihe einzelne Bilder auch für Ausstellungen aus Haben Sie Ihr neues Haus in Herrliberg auch um die Bilder herum gebaut? Blocher: Ja. Ich habe vor allem darauf geachtet, dass es viele Wände hat. Ein gutes Bild wird bei längerer Betrachtung immer schöner. Ich sitze gerne am Esszimmertisch und schaue das Bild an, das mir gegenüber hängt, den "Schulspaziergang". Ich entdecke noch jeden Tag Neues auf dem Bild. Wieviel Geld haben Sie schon in den Ankauf von Anker-Bildern gesteckt? Das müssen ja zig Millionen sein. Blocher: Ich weiss es nicht und will es auch nicht wissen. Wenn ich ein Bild habe, dann denke ich nicht mehr an den Preis. Aber solche Kunst ist auch eine gute Geldanlage. Blocher: Ich sammle nur aus Freude an der Kunst, aber als Unternehmer kann ich nur das Beste kaufen, denn eines Tages, wenn es schlecht gehen sollte und ich plötzlich das Geld im Unternehmen brauche, muss ich die Sammlung auch gut verkaufen können. Es ist doch sicher gut für Ihr Image, sich dem Volk als Kunstliebhaber darzustellen, der etwas Urschweizerisches wie Anker sammelt. Blocher: Hat jemand ein Ansehen, weil er Kunst sammelt? Ich bin bis jetzt immer wegen meiner Politik gewählt worden. Sicher wird auch darüber gelästert. Ich kann machen, was ich will, es wird mir immer eine böse Absicht unterschoben. Denken Sie daran, in dreissig Jahren mal ein Blocher-Museum zu machen? Blocher: Nein, nein, im Moment denke ich überhaupt nicht daran, was mit dieser Sammlung mal passieren wird. Das wäre doch ein schönes Denkmal für Sie? Blocher: Ich brauche kein Denkmal. Ich werde auch mal verlocht wie die anderen Leute. Ich wüsste nicht, wofür ich ein Denkmal bekommen sollte. Sie werden in die Schweizer Geschichte eingehen als der, der zu wichtigen Dingen nein sagte, die dann trotzdem gekommen sind. Das reicht nicht für ein Denkmal. Aber Ihre Kunstsammlung, die wird Bestand haben. Blocher: Mit dem Nein sagte ich gleichzeitig ja zu wichtigen Dingen. Und die werden erhalten bleiben. Ob es für mich mal ein Denkmal geben wird, kann man erst zweihundert Jahre nach meinem Tod entscheiden. Rennen Sie als Sammler eigentlich jedem Anker nach, der irgendwie in den Verkauf kommt? Blocher: Nein. Ich bin wählerisch. Es gibt hingegen Bilder, die ich jahrelang suche. Wenn ich ein solches finde, dann fiebere ich schon. Haben Sie auch schon ein Bild etwas teurer bezahlt, damit es nicht ins Ausland geht? Blocher: Nur einmal, weil ich wusste, dass es ein Japaner kaufen wollte. Ich habe gesagt, wir lassen dieses Bild doch nicht nach Japan gehen, was soll das dort? Aber eigentlich finde ich es nicht schlimm, dass die Kunst auf der ganzen Welt verstreut ist. Ich finde es nur schade, wenn sie in einem Safe verschwindet. Die Bilder von Anker haben viel mit dem zu tun, was Sie als Politiker vertreten: zurück zur heilen Welt. Dr Ätti sitzt auf dem Ofenbänkli, und ds Vreneli strickt fleissig einen Spenzer. Blocher: Wer das sagt, kennt Anker nicht. Anker ist kein Bluemete-Trögli-Maler. Nur Banausen denken so. Dass Anker heute allein aus künstlerischen Gründen weltweit hoch anerkannt ist, daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Was die Sujets anbelangt, reiht sich Anker in eine Tradition von grossen Schweizer Künstlern am Ende des letzten Jahrhunderts ein, die alle ähnlich eingestellt waren. Denken Sie an Ferdinand Hodler, der mit Besessenheit unberührte Landschaften gemalt hat, ohne Fabriken, ohne Bauten, ohne Anzeichen der aufkommenden Industrialisierung. Auch ohne Eisenbahnen? Blocher: Ja, ohne Züge. Von Anker gibt es immerhin ein Bild von einem Geometer, der das Land für den Eisenbahnbau vermisst. Oder denken Sie neben Anker und Hodler an Segantini, der als Landschaften ebenfalls die unberührte Bergwelt gemalt hat. Diese Künstler waren alle so etwas wie Kulturkritiker: Sie haben bewusst im Zeitalter der Industrialisierung das Gegebene, das Gewachsene gemalt, das, was ohne Konstruktionen entstanden ist. Die Menschen, die Anker malte, waren doch recht arm. Wer Armut schön darstellt, kann damit auch andeuten, dass er an der Verbesserung der Zustände nicht interessiert ist. Und damit wären wir wieder bei Ihrer Politik. Blocher: Lassen wir diese Unterstellung. Auch dies könnten Sie bei Hodler und Segantini sagen. Anker kam aus einem gut-bürgerlichen Hause, der Vater war Kantonstierarzt in Neuenburg. Segantini und Hodler hatten eine ganz schlimme Jugend in grosser Armut. Segantini hat als Maler in seinen Landschaften auch die Armut dargestellt. Ich glaube nicht, dass er damit die Armut akzeptiert hat. Auch "Der Zinstag" von Anker ist doch eine traurige Szene, die die Abhängigkeit der armen Bauern darstellt. Aber selbst darin hat er das Schöne gesehen. "Die Kinderkrippe" ist ein erschütterndes Bild, aber Anker hat jeden kleinen Kerl mit viel Liebe schön gemalt, denn selbst in dieser Situation ist für jedes Kind Gnade gegeben. Er schreibt in einem seiner Briefe, er wolle bei jedem Menschen das Schöne darstellen. Er wollte das Schöne sehen, und er liebte den Spruch aus dem Buch Hiob: "Siehe, die Welt ist nicht verdammt!" In welchem Alter haben Sie gemerkt, dass Kunst Sie interessiert? Blocher: Das habe ich nie überlegt. Ich hatte schon als Kind immer Freude an Bildern. Noch heute, wo immer ich hinkomme, schaue ich zuerst die Bilder an. Das ist einfach so. Zu Hause hatten wir unter anderen Hodler, Anker und Segantini an der Wand. Natürlich nicht Originale, sondern Drucke. Die Zeitschrift "Beobachter" hat ja jahrelang Schweizer Kunst auf den Titelbildern reproduziert. Die hat mein Vater eingerahmt. Sobald ich etwas Geld hatte, fing ich an, Zeichnungen zu kaufen. Von wem? Blocher: Früher habe ich vor allem Holzschnitte gesammelt, die waren ja auch noch zahlbar. Dann kam ich auf Anker-Zeichnungen, Skizzen. Sehr früh hat mich dann vor allem das Porträt interessiert. Warum? Blocher: Weil in der Einzelfigur die Botschaft von Anker, dass im einzelnen die ganze Welt, der ganze Kosmos gezeigt werden kann, noch besser zum Ausdruck kommt. Die Porträtierung des einzelnen drückt auch die tiefe Liebe zum Menschen aus. Anker hat vor allem ganz junge und ganz alte Leute gemalt. Ich habe Bilder von Greisen, die kurz vor dem Tod stehen, die immer schön sind. Er hat auch Menschen auf dem Totenbett gemalt. Und keine im besten Mannes- oder Frauenalter. Blocher: Wenig. Das hat damit zu tun, dass ihn das werdende Leben und das vergehende Leben am meisten interessiert haben. Mit welcher Figur, die Anker gemalt hat, würden Sie sich persönlich am meisten identifizieren? Blocher: Mit dem Buben, der auf das Plakat kommt. Er hat ja ein Buch in der Hand, hat also alles, worauf man heute soviel Wert legt, Bildung und Studium und so. Aber er schaut misstrauisch über das Buch hinweg in die Welt hinaus. Ich war immer skeptisch gegen alles Dogmatische. Sie sind aber nicht gegen das Bücherlesen? Blocher: Nein, ich lese wahnsinnig viele Bücher, immerzu, vor allem nachts, wenn ich nicht schlafen kann, am liebsten Biographien. Ich lese gerade die Lebensgeschichten von Segantini und Hodler. Ich will herausfinden, in welcher Relation die Lebensgeschichte zum Werk der Künstler steht. Wie würden Sie in einem Kurzporträt die Persönlichkeit Albert Anker umschreiben? Blocher: Er stammte aus bürgerlichem Haus, war gebildet, war ein sehr ernster Mann, hatte einen Bart, stechende Augen, war ein guter Beobachter, er lebte im Sommer in Ins, im Winter in Paris. Er war sicher ein sehr rechtschaffener Mann, hat sich um seine Familie gekümmert und nie über die Schnur gehauen. Er sprach meistens französisch, weil er in Neuenburg aufgewachsen ist. Er hat in Deutschland studiert, war in Italien. Was gibt Ihnen die Kunst von Anker ganz persönlich? Blocher: Sehr viel Kraft. Sie gibt das Wissen, dass man in dieser Welt bestehen kann, die Gewissheit, dass man nicht untergeht, auch wenn es noch so schwierig wird. Das ist besonders heute wichtig, wo so viele behaupten, die Welt werde untergehen, wenn man nicht dieses oder jenes täte. Diesem Grössenwahn stellt Anker das "Siehe, die Welt ist nicht verdammt" gegenüber. Was empfehlen Sie den Besuchern der Anker-Ausstellung? Wie sollen sie die Bilder betrachten? Blocher: Es sollte jeder möglichst unvoreingenommen an die Bilder herangehen. Er soll sich keine Mühe geben, die Bilder schön zu finden. Wenn jemand ein Bild schön findet, umso besser. Ich will überhaupt nicht erzieherisch wirken. Kunst ist kein Buch, das man auswendig lernen muss. Mir gefallen auch die Titel von Anker, er will gar nichts Besonderes erzählen, er nennt sein Bild "Strickendes Mädchen" oder "Kaffee und Kartoffeln". Punkt. Entweder sieht jemand die Schönheit der Kaffeekanne und der Kartoffeln, oder er sieht sie eben nicht und sagt, wegen einer solchen blöden Kaffeekanne bin ich bis nach Studen gefahren. Warum haben die meisten Menschen auf Ankers Bildern eher traurige Augen? Blocher: Es gibt nur ganz wenige Bilder, auf denen Menschen lachen. Meistens sind es Kinder, wenn sie ein Bäbi oder eine Katze bei sich haben oder Schabernack treiben. Aber Leute, die allein sind und etwas tun, lachen nicht. Das entspricht auch der Wirklichkeit. Wir müssen immer "grinsen", vor allem für Fotos, aber eigentlich lachen wir doch nicht vom Morgen bis zum Abend, vor allem nicht, wenn wir allein sind. Kinder, die etwas tun, sind ganz konzentriert bei der Sache, machen ein ernstes Gesicht, wenn sie lismen, malen oder Aufgaben machen. Das ist ein wichtiges Thema bei Anker: Seine Leute sind bei der Sache. Im Gegensatz zu vielen "namhaften" Leuten. Die Manager rennen über Nacht aus der Bude raus, wenn es ihnen nicht mehr passt. In der Politik macht auch jeder etwas Neues: Ich habe ja in Bern gar keine Gegner mehr. Alle sind verreist. Der eine geht in den Walliser Staatsrat, dort ist er auch schon wieder draussen, der Ledergerber verschlauft sich im Zürcher Stadtrat, Jaeger, mit dem ich oft die Klinge gekreuzt habe, geht zurück an die Universität und verkündet dort plötzlich, was er früher bekämpfte. Haben Sie kein Interesse an moderner Kunst? Blocher: Ich will es so sagen: Ich habe es schwer mit nichtgegenständlicher Kunst. Ich schaue auch ein Bild von Max Bill sofort an, es gefällt mir auch in den Farben und Formen, aber ich könnte es nicht zu Hause aufhängen und dauernd anschauen. Wenn ich auf Geschäftsreisen in die Kunsthäuser gehe, interessiert mich alles, aber als Sammler habe ich mich auf die Schweiz des neunzehnten Jahrhunderts konzentriert, mit Anker als Schwergewicht * * * Die Fondation Saner befindet sich in Studen bei Biel, an der Autobahn Bern-Biel, Ausfahrt Studen. Die Ausstellung "Albert Anker - Sammlung Christoph Blocher" ist vom 25. April bis am 29. August 1999 zu folgenden Zeiten geöffnet: Freitag, 17.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag, 10.00 bis 17.00 Uhr. Gruppen nach Vereinbarung. Parkplätze sind vorhanden. Telefon 032 - 373 13 17, Fax 032 - 373 40 09.

30.03.1999

Wir konnten dies nicht akzeptieren

Algroup-Aktionär Christoph Blocher: "Sergio Marchionne wird jetzt neue Möglichkeiten zur Stärkung der Firma ergreifen." Interview mit der "Berner Zeitung" vom 30. März 1999 Nicht zuletzt an der harten Haltung von Alusuisse-Aktionär Christoph Blocher ist die Fusion mit Viag gescheitert. Im BZ-Interview erklärt der Chef der Ems-Chemie, weshalb er nicht nachgeben wollte. Interview: Andy Bantel Herr Blocher, der Aufsichtsrat der Viag hat gestern die Zustimmung zur Fusion verweigert. Überrascht? Christoph Blocher: Nein. Wir wussten, dass die andere Seite über ein Gutachten verfügen soll, welches besagt, das Verhältnis müsste bei 67,5 respektive 32,5 Prozent liegen. Wir konnten dies jedoch nicht akzeptieren, denn damit wäre das Potential der Alusuisse zu wenig berücksichtigt worden. Für Sie gab es keinen Zweifel an der Richtigkeit des 65-zu-35-Prozent-Verhältnisses? Blocher: Für uns war stets klar: Wenn die deutsche Seite sagt, sie wolle ein anderes Verhältnis, werden wir nicht nachgeben können. Ich möchte aber festhalten, dass wir lediglich an unseren vereinbarten Bedingungen festgehalten haben. Trotzdem: Im Grunde ist es doch normal, dass sich bei der genauen Überprüfung beider Gesellschaften Veränderungen ergeben können. Blocher: Es gibt keine neuen Erkenntnisse, die ein anderes Umtauschverhältnis rechtfertigen würden. Im Gegenteil: Unsere Beurteilung zeigte, dass die Risiken in Deutschland eher grösser sind, als man allgemein annimmt. Ich denke etwa an die Kernengerie-Diskussion. In diesem Geschäft ist die Viag stark engagiert. Ich denke auch an die politische Situation in Deutschland, die relativ unsicher ist. Dennoch haben wir das Verhältnis nie in Frage gestellt. Die Unruhe mitsamt dem Hosenlupf von Herrn Tschopp dürfte dem Deal nicht gerade förderlich gewesen sein. Blocher: Das war kein Hosenlupf: Herr Tschopp ist von sich aus zurückgetreten. Das ist sein Entscheid. Ganz so harmonisch dürfte es nicht gegangen sein: Im Alusuisse- Verwaltungsrat war es offensichtlich zu grossen Meinungsverschiedenheiten gekommen. Blocher: Das ist nicht auszuschliessen. Ich denke auch, Herr Tschopp hat eingesehen, dass er es schwer haben wird, die Angelegenheit in seinem Sinn zu einer Lösung zu bringen. Es ist deshalb verständlich, wenn er sagte: Ich mache es lieber nicht. Herr Tschopp war offensichtlich gegen die Fusion. Blocher: Er war derjenige, der die Fusion ursprünglich beantragt hatte. Aber Herr Tschopp hatte auch schwere Bedenken, denn schliesslich ist ein solcher Zusammenschluss alles andere als ein einfaches Vorhaben. Deshalb kam er dann zum Schluss, er könne das nicht weiter mittragen. Sie haben nie einen Hehl aus Ihrer Unterstützung für Herrn Marchionne gemacht, weil er für Sie der beste Garant für die von Ihnen geforderte aggressive Strategie ist. Blocher: Es ist richtig, dass ich Herrn Marchionne für einen guten Manager halte. Er redet nicht bloss, er macht auch, was er sagt. Er geht konzeptionell absolut richtig an die Sache heran. Daher ist es klar, dass er für uns im neuen Vorstand eine wichtige Person gewesen wäre. Jetzt wird er sich mit seinen Fähigkeiten wieder ganz auf die heutige Alusuisse konzentrieren können und auch neue Möglichkeiten zur Stärkung der Firma ergreifen.

30.03.1999

Wir halten an unseren Bedingungen fest

Interview mit der "Tages Anzeiger" vom 30. März 1999 Algroup-Grossaktionär Christoph Blocher über die Gründe, warum die Fusion mit der deutschen Viag gescheitert ist. Mit Christoph Blocher sprach Martin Spieler Herr Blocher, warum haben Sie und Martin Ebner die Algroup/Viag-Fusion platzen lassen? Blocher: Wir haben diese Fusion nicht platzen lassen. Wir waren davon überzeugt, dass der Zusammenschluss Sinn macht, und es gibt keinen Grund, unsere Abmachungen zu ändern. Anders tönt es in München: Die Viag schiebt die Verantwortung für das Scheitern Ihnen und Herrn Ebner zu. Blocher: Wir halten an den im November zwischen der Viag und der Algroup vereinbarten Bedingungen fest. Viag glaubt, diese unter Berufung auf ein Gutachten ändern zu müssen. Doch dafür gibt es keinen Grund. Das von Ihnen erwähnte Gutachten kommt zum Schluss, dass die Viag mehr Wert hat. Dennoch waren Sie nicht bereit, mehr zu zahlen. Haben Sie zu hoch gepokert? Blocher: Nein. Im Laufe unserer Analyse sind wir sogar zum Schluss gekommen, dass wir das Austauschverhältnis zu unseren Gunsten ändern müssten. Das haben wir aber nicht getan. Wir haben Wort gehalten. Warum sind Sie nicht mehr zu weiteren Verhandlungen mit der Viag bereit? Blocher: Wir sind durchaus zu weiteren Gesprächen bereit. Das haben wir der Viag bereits am Sonntag übermittelt. Doch gibt es keinen Grund, vom Austauschverhältnis abzuweichen. Wenn da keine Einigung möglich ist, muss man eine Absage in Kauf nehmen. Gibt es eine Rückkehr an den Verhandlungstisch? Blocher: Wir sind bereit, nochmals über alles zu sprechen. Aber wir halten an unseren Bedingungen fest. Aus Sicht der Deutschen ist die Fusion geplatzt. Sind Sie überrascht, dass der Zusammenschluss nicht zu Stande kommt? Blocher: Damit musste man immer rechnen. Bei Fusionen und schwierigen Verhandlungen gehört dies dazu. Ging es Ihnen nicht allein ums Geld? Blocher: Es ging darum, eine Strategie für eine effiziente, ertragsreiche Firma zu entwickeln. Natürlich muss auch der Wert stimmen. Seit dem letzten Herbst haben Martin Ebner und Sie unzählige Male betont, warum die Fusion für die Algroup das Beste ist. Jetzt sagen Sie das Gegenteil. Sie verlieren das Gesicht. Blocher: Wenn die Deutschen jetzt plötzlich mehr Geld wollen, sehe ich keinen Grund, warum wir darauf eingehen sollten, zumal zwei unabhängige Gutachten unser Austauschverhältnis als fair bezeichneten. Ich bedaure, dass die Fusion gescheitert ist. Man hätte etwas Gutes daraus machen können. Wie geht es jetzt mit der Algroup weiter? Blocher: Da werden wir eine andere Lösung finden, um die Firma zu stärken. Das Unternehmen ist jetzt wieder frei und handlungsfähig. Werden Sie mit einem anderen Partner über einen Zusammenschluss sprechen? Blocher: Das ist eine Möglichkeit - aber nur eine von mehreren. Jetzt ist alles wieder offen. Die Fusion ist gescheitert: Sprang Algroup-Präsident Theodor Tschopp umsonst über die Klinge? Blocher: Er konnte sich mit unserem Vorhaben nicht mehr identifizieren. Er ist freiwillig ausgeschieden. Aber Sie haben Druck auf ihn ausgeübt. Blocher: Nein, weder ich noch Martin Ebner haben auf Theodor Tschopp Druck ausgeübt. Sein sofortiger Rücktritt war allein seine Entscheidung.