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21.09.2006

Meinungs- und Sprachenvielfalt fördern die Verantwortung

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Jubiläumsfeier 10 Jahre "La Quotidiana" vom 21. September 2006 in Flims 21.09.2006, Flims Flims. Bundesrat Christoph Blocher drückt in seinem Referat seine Freude über das 10-jährige Bestehen der ersten eigenständigen rätoromanischen Tageszeitung aus und tritt für die Meinungsäusserungsfreiheit, sowie die Presse- und Sprachenvielfalt ein. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Geschätzte Damen und Herren Wohl niemand von den hier Anwesenden hätte vor 10 Jahren daran gedacht, dass ich heute zu Ihnen am 10-Jahres-Jubiläum der Quotidiana sprechen würde. - Aber so läuft das Leben! 1. Das Dreititelkonzept Aber etwas anderes habe ich schon vor zehn Jahren geglaubt – auch wenn verschiedene Bündner dies damals für ausgeschlossen hielten – nämlich, dass das "Bündner Tagblatt", das ich damals aus den Händen geben hatte, auch nach 10 Jahren noch existieren wird. Hätte ich nicht daran geglaubt, so hätte ich der Übertragung an das damalige Verlagshaus Gasser, der heutigen Südostschweiz Mediengruppe, wohl nie zugestimmt. Dass Sie heute mit dem neuen Klartext-Buch nicht nur das zehnjährige Funktionieren des Zweititelsystems "Bündner Tagblatt"/"Die Südostschweiz" feiern können, sondern auch noch das 10-jährige Bestehen der ersten eigenständigen rätoromanischen Tageszeitung, freut mich nicht nur politisch, sondern von Herzen. So hat dieser bevölkerungsmässig kleine, aber flächenmässig grösste Kanton Graubünden drei verschiedene Tageszeitungen. Das ist ein Angebot, dessen Wert man nicht hoch genug einschätzen kann. 2. Rettung des Bündner Tagblattes Als ich mich vor 20 Jahren entschloss, das damals bereits tot gesagte "Bündner Tagblatt" zu retten, herrschte in Graubünden nicht nur Freude. Die Linke befürchtete, ich wolle den ganzen Kanton bekehren und das "Bündner Tagblatt" als Plattform für mich allein beanspruchen. Als ob ich eine solche Plattform in Graubünden nötig gehabt hätte. Und der damalige Verlag Gasser sah darin eine ungerechtfertigte Konkurrenz durch einen Zeitungstitel, der aus wirtschaftlichen Gründen damals hätte sterben müssen. Unrecht hatte die damalige Bündner Zeitung eigentlich nicht. Doch das "Tagblatt" rettete ich allein deshalb, weil mir erstens dieser Kanton und zweitens die Meinungsvielfalt in diesem Kanton am Herzen lag und liegt. 3. Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit Die Meinungsäusserungs- und die Pressefreiheit sind für das Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft von grosser Bedeutung. Nur so kann sich jeder einzelne Mensch entsprechend seiner inneren Überzeugung entfalten. Meinungen zu unterbinden, indem beispielsweise den Medien von aussen oder von innen Fesseln angelegt werden, das darf es in einem liberalen Staat nicht geben. Dass allerdings Tatsachen in den Medien falsch, ungenau, verdreht oder unvollständig wieder gegeben werden, ist zwar ärgerlich, besonders wenn es aus Kalkül, aus Bosheit und mit Absicht geschieht. 4. Wider die Einheit Aber noch schlimmer wird es dann, wenn sich die Herrschenden und die Meinungsmacher, also die Politiker und Journalisten, auf eine einzige Meinung verständigen und jeden, der nur schon ein bisschen von dieser Doktrin abweicht, gleich auf den medialen Scheiterhaufen führen. Das ist auch dann verwerflich, wenn es in so genannt „guter Absicht“ geschieht. Denn was heisst gut? Soll das die Macht bestimmen? Leicht wird die einheitliche Darstellung der herrschenden Zustände zur Lüge, auf die sich alle geeinigt haben. Das beste Mittel gegen solche Verhältnisse liegt jedoch nicht bei staatlicher Einflussnahme, sondern in der Gewährleistung redaktioneller Vielfalt. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn hinter den Redaktionen auch von einander unabhängige Verlage stünden. Nur ist das in Graubünden wirtschaftlich leider nicht möglich. Darum musste mit dem Dreititelkonzept – d.h. Unabhängigkeit der Redaktion und Gemeinsamkeit in Herstellung und Vertrieb – der zweitbeste Weg gewählt werden. 5. Einzige Lösung: Meinungsvielfalt Die Pressevielfalt kann wesentlich dazu beitragen, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt oder dass wirklich beide Seiten einer Medaille gezeigt werden. Ich sage bewusst "kann", denn die gegenseitige "Kontrolle" funktioniert eher selten und in vielen wesentlichen Fragen herrscht trotz Vielfalt der Titel leider ein grosser Einheitsbrei vor. Hier wünschte ich mir eine viel grössere Vielfalt. Denn je mehr Meinungen vorhanden sind, desto mehr wird in der Öffentlichkeit ein Thema diskutiert. Fakten werden ausgebreitet, Argumente pro und contra werden genauestens unter die Lupe genommen und abgewogen. Damit Sie mich klar verstehen: Ich erwarte nicht, dass die Medien eine bestimmte Meinung übernehmen. Ich bedaure einzig, dass die Pressevielfalt, die wir in der Schweiz glücklicherweise haben, nicht auch zu einer Meinungsvielfalt führt. Was nützt uns die Pressefreiheit, wenn doch keine Konkurrenz der Meinungen stattfindet? In Graubünden ist die Situation glücklicherweise nicht so schlimm wie auf nationaler Ebene. Aber ich denke, auch in Graubünden, wo ja mit drei Tageszeitungen nach wie vor gute Voraussetzungen bestehen, könnte die Meinungsvielfalt noch grösser sein. 6. Zur Meinungsvielfalt gehört auch die Sprachenvielfalt Wer die Meinungsfreiheit bejaht, muss auch die Sprachenfreiheit bejahen. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Denn nur wenn sich jeder in der Sprache äussern kann, die er am besten beherrscht, ist er in seiner Meinungsäusserung wirklich frei. Dass die kleine Schweiz noch immer vier Landessprachen kennt, ist alles andere als selbstverständlich. Schauen wir nur die sprachliche Entwicklung Europas in den letzten 100 bis 200 Jahren an. Sprachlich wurde Europa in dieser Zeitspanne immer eintöniger. Praktisch überall, wo sprachliche Minderheiten lebten, waren sie einem Homogenisierungsdruck durch das so genannte Mehrheitsvolk ausgesetzt. Die meisten europäischen Regierungen empfanden die Mehrsprachigkeit lange Zeit als Störung der nationalen Harmonie. In der Schweiz konnte sich die kleinste Landessprache nicht zuletzt auch deshalb behaupten, weil ein solcher Druck zumindest nicht von offizieller Seite kam. Im Gegenteil: Die Viersprachigkeit und damit insbesondere auch das Rätoromanische wurde früh zum Wesensmerkmal der Schweiz, das man nicht einfach hergeben möchte. Letztlich war es der föderalistische Staatsaufbau, dank dem die Mehrsprachigkeit der Schweiz erhalten blieb. Wäre die Schweiz ein zentralistischer Einheitsstaat geworden, würden wir heute wohl nur noch Deutsch oder allenfalls Französisch als Landessprache kennen. 7. La Quotidiana Das Rätoromanische aber ist ein wichtiges Stück unserer Kultur, und dies hat zuletzt auch zur „La Quotidiana“ geführt. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem nicht unbedeutenden Sprachrohr der Rumantschia entwickelt und will mit ihren verschiedenen Plattformen sowohl die Meinungs- als auch die Sprachenvielfalt leben! Aber: Das Rätoromanische muss sich im Alltag bewähren. Eine Tageszeitung, die spannende Themen aufgreift und für ein breites Meinungsspektrum sorgt, ist dafür am besten geeignet. So hoffe ich für die Rumantschia, dass "La Quotidiana" mit starken Themen einen Beitrag leisten kann, um diese Sprache nicht nur am Leben zu erhalten, sondern als Sprache der Meinungen überleben zu lassen!

19.09.2006

Neues Ausländer- und Asylgesetz

Referat von Bundesrat Christoph Blocher vom 19. September 2006 in Biel/BE 19.09.2006, Biel Biel. In seinem Referat zum neuen Ausländer- und Asylgesetz sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Ziele der beiden Vorlagen. Während mit beiden Gesetzen Missbräuche verhindert werden sollten, solle mit dem Ausländergesetz auch die Integration gefördert und mit dem Asylgesetz die humanitäre Tradition der Schweiz gewahrt werden. 1. Einleitung Es ist eine Tatsache, dass die Asyl- und Ausländerpolitik die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes stark beschäftigt. Die Schweiz hat heute in Europa mit 21,8 Prozent einen der höchsten Ausländeranteile überhaupt. Im Grossen und Ganzen funktioniert das Zusammenleben der einheimischen und der ausländischen Bevölkerung. Im Verlaufe der letzten Jahre haben sich jedoch Probleme gezeigt, die sowohl im Asyl- wie im Ausländerrecht zu lösen sind. Zudem haben sich die ausländerpolitischen Rahmenbedingungen mit der Einführung der Personenfreizügigkeit gegenüber den EU-Staaten grundsätzlich verändert. 2. Ziele des neuen Ausländergesetzes: Bessere Integration, weniger Missbrauch Das neue Ausländergesetz ist notwendig, damit die Schweiz die erforderlichen Arbeitskräfte erhält, ohne dass Arbeitslosigkeit entsteht und ohne dass die Sozialwerke unverhältnismässig belastet werden. Es gilt, die bestehenden Probleme, die unbestritten vorhanden sind, zu lösen: * Die Integration bedeutender Teile der ausländischen Wohnbevölkerung ist ungenügend. * Die Arbeitslosigkeit unter den Ausländerinnen und Ausländern ist mit 5.5 Prozent (Stand Juli 2006) deutlich höher als bei Schweizerinnen und Schweizern (2.4 %). * Besonders problematisch ist die Arbeitslosigkeit bei ausländischen Jugendlichen. Bei den ausländischen Jugendlichen betrug die Erwerbslosenquote im Jahr 2005 16.7 % und war mehr als 2.5 Mal so hoch wie diejenige der Schweizer Jugendlichen. * Die Straffälligkeit von Ausländern ist nach wie vor hoch. Gemäss der Polizeilichen Kriminalstatistik waren 52.8 % der Tatverdächtigen ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Von diesen hatten 78.5 % Wohnsitz in der Schweiz. * Ein weiteres Problem ist die hohe Anzahl der IV-Bezüger unter den ausländischen Personen. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen gab es (Stand Januar 2006, ohne Zusatzrenten für Ehegatten und Kinder) total 290'000 Rentenbezügerinnen und Rentenbezüger, davon 101'000 ausländische Personen (rund 35 %). * Im Weiteren fällt auf, dass die Sozialhilfestatistik des Jahres 2004 zeigt, dass 5.8 % der ausländischen Bevölkerung auf Sozialhilfe angewiesen ist. Bei den Schweizerinnen und Schweizern sind es 1.9 %. Die Hauptgründe für diese Probleme sind: * Schlecht qualifizierte ehemalige Saisonniers aufgrund der schweizerischen Rekrutierungspolitik v. a. in den 70er Jahren * Schlecht integrierte ausländische Jugendliche mit schulischen Schwierigkeiten, insbesondere wegen mangelhafter Sprachkenntnisse * Zu viele illegal anwesende Personen Das neue Ausländergesetz bekämpft diese Probleme: * Für Personen von ausserhalb der EU und der EFTA wird die Zulassung zum schweizerischen Arbeitsmarkt beschränkt und auf beruflich besonders qualifizierte Arbeitskräfte konzentriert. Stünde der schweizerische Arbeitsmarkt der ganzen Welt offen, wären hohe Arbeitslosigkeit und kaum verkraftbare Belastungen der Sozialwerke die Folgen. * Die Integration von Ausländerinnen und Ausländern wird verbessert, zum Beispiel durch eine möglichst frühe Einschulung ausländischer Kinder. * Berufs-, Stellen- und Kantonswechsel von Ausländerinnen und Ausländern werden vereinfacht, was den Zugang zur Erwerbstätigkeit erleichtert und viele bürokratische Hindernisse abbaut. * Die Massnahmen gegen Missbräuche wie Schleppertätigkeit, Schwarzarbeit und Scheinehen werden verstärkt. Freizügigkeitsabkommen und Ausländergesetz Das Freizügigkeitsabkommen mit der EU und der EFTA regelt den Personenverkehr mit diesen Staaten umfassend; nach einer Übergangsfrist ist hier eine uneingeschränkte Rekrutierung von Arbeitskräften möglich. Das neue Ausländergesetz gilt daher nur noch für Personen aus Staaten, mit denen kein Freizügigkeitsabkommen besteht. Personen ausserhalb der EU/EFTA - also Staaten wie zum Beispiel den USA, Indien oder China - können im Rahmen von Kontingenten nur dann zugelassen werden, wenn: * Sie beruflich besonders qualifiziert sind * Der Bedarf nach ihrer Arbeitskraft gegeben ist * Weder ein Schweizer noch ein EU/EFTA-Angehöriger dafür zu finden sind * Und ihnen die orts- und berufsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen gewährt werden. Diese besonders qualifizierten ausländischen Personen erhalten eine verlängerbare Aufenthaltsbewilligung oder eine befristete Kurzaufenthaltsbewilligung. Jahresaufenthalter und neu auch Kurzaufenthalter können die Familie nachziehen. Auch der Ehepartner hat die Möglichkeit, in der Schweiz zu arbeiten. Bei einer guten Integration kann die Niederlassungsbewilligung bereits nach fünf Jahren erteilt werden. Sie gewährt eine gute Rechtsstellung in der Schweiz, die mit dem Freizügigkeitsabkommen vergleichbar ist. 3. Asylgesetz Ziel der Teilrevision des Asylgesetzes ist: Die humanitäre Tradition der Schweiz wahren – und Missbräuche verhindern. Ende Juni 2006 befanden sich über 46'000 Personen im Asylbereich. Davon sind rund 25'000 Personen vorläufig aufgenommen. 9'300 Personen sind im Vollzug und müssen die Schweiz verlassen. Für über 6'300 von ihnen müssen zuerst Papiere beschafft werden. Wo liegen heute die Probleme im Asylbereich? * Eine Mehrheit der Asylsuchenden kann keine Gründe vorbringen, die zur Gewährung von Asyl führen. Im Jahr 2005 waren dies rund 86 Prozent. * Eine Mehrheit der Asylsuchenden, im Jahre 2005 waren es 73.5 %, gibt keine amtlichen Identitätspapiere (Pass oder Identitätskarte) ab. Erhalten diese Personen einen negativen Asylentscheid und müssen die Schweiz verlassen, so können sie mangels gültiger Reisedokumente nicht in den Herkunftsstaat zurück gebracht werden. Sie erzwingen so den Aufenthalt in der Schweiz. * Mit den heute bestehenden Zwangsmitteln ist es schwierig, ausreisepflichtige Asylsuchende zur Zusammenarbeit und zum Vorlegen von vollzugstauglichen Ausreisepapieren zu bewegen. * Die Kantone beklagen sich immer wieder, dass Personen die Ausschaffungshaft in Kauf nehmen, weil sie wissen, dass sie nach spätestens 9 Monaten wieder frei gelassen werden müssen. * Zahlreiche Asylsuchende nutzen die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auch in offensichtlich hoffnungslosen Fällen. Wir brauchen das revidierte Asylgesetz, damit die bestehenden Probleme, vor allem im Vollzugsbereich, gelöst werden können. Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang Verbesserungen sind bei denjenigen Personengruppen vorgesehen, die voraussichtlich für eine längere Zeit oder für immer in der Schweiz bleiben werden. Diese müssen besser integriert werden: * Vorläufig aufgenommene Menschen sollen einen erleichterten Zugang zur Erwerbstätigkeit erhalten, ihre Familien nach drei Jahren nachziehen sowie von Integrationsmassnahmen profitieren können. * Im Zusammenhang mit der Neuregelung der vorläufigen Aufnahme wird auch eine neue Härtefallregelung für den Asylbereich vorgesehen. So können die Kantone mit Zustimmung des Bundesamtes für Migration, unabhängig des Verfahrensstandes, einer gut integrierten Person eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Neben diesen wichtigen Integrationsmassnahmen müssen wir Missbräuche gezielt bekämpfen: * Denn zu viele Asylsuchende vernichten ihre Papiere, verschleiern ihre Identität und machen falsche Angaben, so dass ein geordnetes Asylverfahren schwer durchzuführen ist. Zu lange dauernde Asylverfahren, hohe Kosten und langer rechtswidriger Aufenthalt von abgewiesenen Asylsuchenden sind Folgen, die wir nicht länger verantworten können. Das neue Gesetz sieht deshalb vor, Asylsuchende, die keine Identitätspapiere abgeben, in einem beschleunigten Verfahren (Nichteintretensentscheid) abzuweisen, ausser sie können * glaubhaft erklären, warum sie keine Papiere haben, oder * wenn es offensichtlich Flüchtlinge sind, oder * wenn zusätzliche Abklärungen notwendig sind. Somit entfällt der Anreiz, vorhandene Ausweispapiere zu vernichten und nicht mit den Behörden zusammen zu arbeiten. * Viele abgewiesene Personen, die das Land verlassen müssen, reisen nicht aus. Durch die Ausrichtung grosszügiger Sozialhilfe an Personen, welche sich trotz eines negativen Asylentscheides rechtswidrig in der Schweiz aufhalten, entstehen der Allgemeinheit hohe Kosten. Die Ausrichtung von Sozialhilfe gibt Asylsuchenden zudem einen Anreiz, illegal in die Schweiz einzureisen, sich illegal hier aufzuhalten und das Asylrecht zu missbrauchen. Deshalb soll – wie dies bereits seit über zwei Jahren mit guten Erfahrungen bei Nichteintretensentscheiden gemacht wird – auch bei abgewiesenen Asylsuchenden bei Bedarf nur eine Nothilfe ausgerichtet werden. Damit wird die humanitäre Tradition unseres Landes gewahrt, aber die Schweiz ist für den Missbrauch im Asylbereich weniger attraktiv. * Den Kantonen soll ermöglicht werden, für renitente, illegal anwesende ausländische Personen die notwendigen Zwangsmassnahmen anzuwenden, z. B. die Verlängerung der Ausschaffungshaft von 9 auf 18 Monate und die Einführung der Durchsetzungshaft bis zu maximal 18 Monate. Allerdings setzt dies eine periodische Überprüfung durch den Richter voraus. 4. Schlusswort Meine Damen und Herren, das neue Ausländer- und Asylgesetz wahren die humanitäre Tradition der Schweiz und verhindern Missbräuche. Das neue Ausländergesetz ist notwendig, damit die Schweiz die erforderlichen Arbeitskräfte erhält, ohne dass Arbeitslosigkeit entsteht und die Sozialwerke in einer Art und Weise belastet werden, die wir nicht mehr verantworten können. Mit dem neuen Asylgesetz wird durch gezielte Massnahmen gegen Missbräuche verfolgten Menschen Schutz garantiert. Die Schweiz wird für illegale Einwanderer, Schlepper, Schwarzarbeiter und Kriminelle weniger attraktiv. Mit diesen beiden Revisionen wird auch dem Willen des Volkes Rechnung getragen, eine Gesetzgebung zu schaffen, die der tatsächlichen Situation im Asyl- und Ausländerbereich Rechnung trägt und die wahren Probleme dieses Landes wirksam angeht. Die humanitäre Tradition der Schweiz wollen und werden wir weiterhin wahren: Personen die auf den Schutz der Schweiz angewiesen sind, werden diesen nach wie vor vollumfänglich erhalten. Die im revidierten Asylgesetz vorgeschlagenen Neuerungen sind verfassungsmässig und völkerrechtskonform. Meine Damen und Herren, nur wenn es uns gelingt, Missbräuche so weit wie möglich zu verhindern, werden wir auch in Zukunft auf die Unterstützung der Bevölkerung für tatsächlich Verfolgte zählen können. Ich fordere Sie deshalb auf, am 24. September zweimal Ja zu stimmen; Ja zum neuen Ausländergesetz und Ja zum angepassten Asylgesetz.

15.09.2006

«Ich habe die Gegner nicht verunglimpft»

Christoph Blocher wehrt sich gegen den Vorwurf, unfair fürs Asylgesetz zu kämpfen. Er ist überzeugt, die Abstimmung zu gewinnen und denkt nicht über eine nächste Revision nach. 15.09.2006, Tages-Anzeiger, Philipp Mäder und Gaby Szöllösy Erst sah es so aus, als sei der Abstimmungskampf für Sie ein Sonntagsspaziergang. Nun kritisiert sogar der langjährige Chef des Bundesamts für Flüchtlinge, Urs Hadorn, das Asylgesetz als unverhältnismässig und wirkungslos. Erstaunt? Nein. Ich habe die Abstimmung nie als Sonntagsspaziergang betrachtet. Ich wusste stets, dass es auf diesem Gebiet militante Gegner gibt. Diese haben nun sogar Herrn Hadorn als Kritiker ausgegraben. In einem Punkt hat er aber recht: An den langen Verfahrensdauern wird sich auch mit dem neuen Gesetz leider nicht viel ändern. Herr Hadorn sagt aber auch... ... ich will mich jetzt nicht mit Urs Hadorn auseinander setzen, der dreissig Jahre im BFM tätig war und vielleicht auch ein bisschen ein schlechtes Gewissen hat, dass er nicht schon früher ein wirkungsvolleres Gesetz gemacht hat. Herr Hadorn hat ein schlechtes Gewissen, Rolf Bloch ist gegen das Asylgesetz, weil er Jude ist, die Kritik der Kirchen ist heuchlerisch -­ gehört es zu Ihrem Konzept, die Gegner zu verunglimpfen? Ich habe die Gegner nicht verunglimpft, sondern ich frage nach den Motiven. Nicht die Kirche - zu der auch ich gehöre - ist heuchlerisch. Aber die Behauptungen der Kirchenleute, sie müssten Leute aufnehmen, die sonst verhungern würden, und dann auf unsere Nachfrage hin keinen einzigen Fall nennen können. Und Rolf Bloch hat auch keine lauteren Gründe, gegen das Gesetz zu sein? Herr Bloch hat an einer Versammlung erklärt, er als Jude sei dagegen, weil er Angst habe, es komme wieder zu Situationen wie im Zweiten Weltkrieg. Daraufhin habe ich geantwortet und Verständnis gezeigt, dass die Juden in einer besonderen Situation seien, aber dass die Angst unbegründet sei. Tatsächlich hat man im Zweiten Weltkrieg eine Zeit lang, echte Flüchtlinge an der Grenze abgehalten. Doch mit dem neuen Gesetz werden wir gerade ausdrücklich keine Verfolgten abweisen. Doch befassen wir uns mit Gesetzen, nicht mit Gegnern. Reden wir also über den Inhalt. Am Problem der Rückschaffungen ändert sich nichts: Wenn sie die Identität der Leute nicht kennen, können Sie sie nicht ausschaffen. Wenn es aber nur noch Nothilfe gibt, reisen mehr freiwillig aus, was dazu führt, dass weniger unechte Flüchtlinge kommen. Da haben wir mit der Streichung der Sozialhilfe bei denjenigen mit einem Nichteintretensentscheid gute Erfahrungen gemacht. Deshalb will das neue Asylgesetz diese Massnahme nun auf alle Abgewiesenen ausweiten. Es gibt Leute, die unser Land verlassen müssen. In einzelnen Staaten bekommen illegal Anwesende nach einer gewissen Zeit überhaupt keine Unterstützung. Dafür bekommen im Ausland Schwangere, Kranke und Kinder die nötige Unterstützung. Bei uns steht das nicht im Gesetz. Diese Leute bekommen auch bei uns weiterhin die benötigte Unterstützung. Dafür sind die Kantone zuständig. Doch es bleibt im Ermessen der Kantone. Die Kantone tragen ihre Verantwortung. Die Kritiker beobachten sie geradezu mit dem Feldstecher. Auch die Asylbefrager erhalten mit dem neuen Gesetz mehr Ermessensspielraum: Sie entscheiden neu, ob die Geschichte eines Asylbewerbers, der sich ohne Papiere präsentiert, glaubwürdig ist und er damit Anrecht auf ein Asylverfahren hat. Steigt damit nichtdas Risiko von Fehlentscheiden? Nein. Die einzige Änderung ist, dass wir nur noch Pass und Identitätskarte als Beweis anerkennen. Denn es hat sich gezeigt, dass Fahrausweise, Geburtsurkunden in der Regel gefälscht sind. Es ist nicht die einzige Änderung: Für Asylbewerber ohne Papiere wird die Hürde erhöht, um ins Verfahren zu kommen. Ein Asyl Suchender muss glaubhaft begründen, weshalb er keine Papiere hat oder weshalb er verfolgt ist. Und er muss im Verfahren mitwirken, er muss uns sagen, wer er ist und woher er kommt. Ist das etwa zuviel verlangt? Die Befürworter des Gesetzes monieren, viele Asylbewerber würden missbräuchlich ein Gesuch einreichen. Wie gross ist das Problem tatsächlich? 85 Prozent reichen ein Gesuch ein, obwohl sie keine Asylgründe haben. Das nennt man Missbrauch. Zu den 15 Prozent der anerkannten Flüchtlinge kommen noch die über 30 Prozent der vorläufig Aufgenommenen. Auch bei ihnen anerkennt die Schweiz, dass sie zurecht Zuflucht gesucht haben. Warum erwähnen Sie diese mit keinem Wort? Weil sie keine Verfolgten sind, sondern ihre Heimkehr nicht unzumutbar ist. Aber sie sind aus Orten geflohen, an denen ihr Leben in Gefahr war ­- zum Beispiel aus dem Irak. Im Moment kann man sie nicht zurückschicken. Aber wenn sich die Lage wieder bessert, müssen sie zurück. Wenn man die vorläufig Aufgenommenen als Flüchtlinge anerkennen würde, hiesse das für die Menschen in allen Ländern: Geht in die Schweiz und schaut, dass ihr wegen Krankheit, Schwangerschaft oder aus anderen Gründen nicht zurückgeschickt werden könnt, dann lebt ihr wie ein Flüchtling. Kein Staat akzeptiert dies. Sie sagen jeweils, es sei nur ein Asylbewerber zu Unrecht zurückgeschickt worden: Stanley Van Tha aus Burma. Amnesty International hingegen hat ein halbes Dutzend weitere Fehlentscheide dokumentiert. Wir haben diese Fälle geprüft. Und ich bleibe dabei: Bis jetzt ist uns nur ein Fehlentscheid bekannt. In allen anderen Fällen hatten die Verhaftungsgründe nichts mit dem Asylgesuch zu tun. Im Fall von Stanley Van Tha haben Sie zuerst gesagt, er könnte wegen «Diebstahl oder so etwas» verhaftet worden sein... ...wieso unterstellen Sie mir eigentlich immer solche Sachen? Das war doch nicht eine endgültige Aussage. Das steht im Protokoll des Ständerats. Ich habe erklärt: Wir wissen im Moment nicht, weshalb er verhaftet wurde. Es müsste untersucht werden, warum. Ist es wegen Diebstahls? Oder wegen Dienstverweigerung? Oder ist es etwas anderes? Wir wissen es auch heute noch nicht. Obwohl Sie es noch nicht wissen, sagten Sie kürzlich, Van Tha sei verhaftet worden, weil er den Militärdienst verweigert habe. Was wir heute glauben ist, dass für Vergehen, welche die Burmesen ihm zur Last legen -­ darunter auch verweigerten Militärdienst -19 Jahre Haft zuviel ist. Tatsache ist, dass wenn man es gewusst hätte, die zuständigen Leute anders entschieden hätten. Also war es ein Fehlentscheid. Wo entschieden wird, kann es auch einmal einen Fehlentscheid geben. Tatsächlich korrigiert die Asylrekurskommission (ARK) ein Viertel aller beanstandeten Fälle. Das zeigt doch, dass die Fehlerquote schon heute hoch ist. Im Jahre 2005 wurden total 15.7 % der Gesamterledigungen von der ARK gutgeheissen beziehungsweise das Bundesamt für Migration wurde angewiesen, den Fall neu zu beurteilen. Aber dazu hat man ja die Asylrekurskommission! Ich habe nie gesagt, man solle sie abschaffen. Aber Sie haben sie wiederholt kritisiert. Ich habe die langen Fristen kritisiert. Sie kritisierten die Asylrekurskommission auch harsch, weil diese zwei angeschuldigten Albanern Asyl gewährte. Ja, weil sie Asyl bekamen und man sie damit nicht zur gerichtlichen Beurteilung bringen konnte. Ich habe den Zeitpunkt kritisiert. Die Sache kratzte an Ihrer Glaubwürdigkeit. Sie hätten den Ständerat in dieser Sache angelogen, rügte die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Parlaments. Ich war im Ständerat überzeugt, nichts Falsches gesagt zu haben. Erst danach habe ich mir meine mündliche Rede nochmals angehört. Und dabei gemerkt, dass ich entgegen meinem schriftlichen Text versehentlich die Albaner als Kriminelle statt als mutmasslich Kriminelle bezeichnet hatte. Darauf habe ich öffentlich erklärt, dass mir dies Leid tut. Es kam als Stimmungsmache gegen Ausländer an ­- untergräbt die Geschichte Ihre Glaubwürdigkeit im Abstimmungskampf? Ich merke - ausser bei denen, die ohnehin Gegner sind - nichts davon. Dass es mir passierte, liegt daran, dass ich eben frei spreche. Ich werde es - trotz des Risikos - weiterhin tun. Sie wären gerne bei der jetzigen Revision noch etwas weiter gegangen - kommt bald die nächste Reform auf den Tisch? Ich denke nicht über eine nächste Revision nach. Was wären die Folgen eines Nein? Fürs Land wären die Folgen tragisch. Die Zahl der unechten Asylgesuche würde rapid ansteigen, weil sich unter Schleppern herumspräche, dass die Schweiz Verschärfungen abgelehnt habe. Ja? Das jetzige Gesetz wäre doch weiter gültig und die Anzahl Asylgesuche sinkt ja heute schon beträchtlich. Das Problem ist aber, dass wir für über 6'000 Personen, die die Schweiz verlassen müssten, Papiere zu beschaffen haben. 9000 aus dem Asylbereich sollten das Land verlassen, sind aber widerrechtlich hier. Ich glaube übrigens, dass das Gesetz angenommen wird. Die Gegner haben keine Lösungsvorschläge für die bestehenden Probleme. Probleme, die unsere Bevölkerung zu Recht beschäftigen. Deshalb führen sie den Kampf nur noch auf einer persönlichen Ebene. All diese angeblich so prominenten Gegner. Unlängst fragte mich jemand, wie man prominent werde. Da hab ich ihm geantwortet: Du musst sagen: „Ich bin bürgerlich und bin gegen das Asylgesetz“, dann giltst Du als prominent. Da muss man gar nicht so viel von der Materie verstehen. Spielen Sie auf Herrn Rauh an? Ich spiele auf niemanden an. Ich sage nur, dass man auf diese Weise sehr schnell zur Prominenz gehört.

14.09.2006

Man muss immer einen Entscheid treffen

14.09.2006, Schaffhausner Nachrichten, Michael Brunner Herr Bundesrat Blocher, Sie werden heute Donnerstag in Schaffhausen über das neue Asylgesetz und das Ausländerrecht informieren. Was darf das Publikum von Ihnen erwarten? Als Parlamentarier trat ich in Streitgesprächen auf. Das war lebendiger. Dafür kann ich nun das Publikum detaillierter informieren. Zudem können die Bürger Fragen stellen, selbstverständlich auch kritische. Als Bundesrat ist es meine Aufgabe zu orientieren und nicht, einen Abstimmungskampf zu führen. Der vielleicht umstrittenste Punkt des neuen Asylgesetzes ist, dass Asylsuchende, die innerhalb der ersten 48 Stunden keine Identitätspapiere oder einen Reisepass vorlegen, keine Chance mehr auf ein ordentliches Asylverfahren haben. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn sie das Fehlen der Papiere gut begründen können. Warum ist diese Verschärfung aus Ihrer Sicht nötig? Der einzige Unterschied zur bisherigen Regelung besteht darin, dass wir Dokumente wie Fahrausweis oder Geburtsurkunde nicht mehr als Beweis für die Identität werten. Diese Dokumente können zu leicht gefälscht werden. Die Frist von 48 Stunden gilt schon heute. Wir geben damit denen, die keine Papiere vorweisen, die Möglichkeit, sich diese zu beschaffen oder, wenn sie wirklich keine besitzen, sich bei ihrer Botschaft welche zu beschaffen. Und wer beispielsweise schon illegal in der Schweiz lebt und die Papiere bei Verwandten hat, kann sie dort holen. Wer nach 48 Stunden noch immer keine Papiere vorweist, muss zumindest seine Identität, seine Herkunft und seine Asylgründe offen legen. Hingegen haben alle ein Asylverfahren. Warum ist es wichtig, möglichst rasch zu wissen, wer jemand ist? Damit unechte Flüchtlinge nach Hause geschickt werden können, müssen wir wissen, aus welchem Land sie kommen. Heute legen 70 bis 80 Prozent derer, die keine Asylgründe haben, keine Papiere vor. Bei echten Flüchtlingen ist es gerade umgekehrt: 70 bis 80 Prozent von ihnen reisen mit gültigen Identitätspapieren ein. Die neue Regelung wird dazu führen, dass wir nicht mehr so viele Asylsuchende haben, von denen wir nicht wissen, in welches Land sie gehören. Das wird von den Gegnern bestritten. Und tatsächlich hat doch ein Afrikaner, der aus einem sicheren Land kommt, auch weiterhin kein Interesse daran, seine Papiere vorzulegen. Sicher wird auch weiterhin ein Teil der Personen, die offensichtlich keine Flüchtlinge sind, ohne Identitätspapiere in die Schweiz reisen. Wenn sich herumspricht, dass wir falsche Flüchtlinge rasch wieder nach Hause schicken, wird das Schlepperwesen kaum mehr Kunden finden. Schliesslich ist die von Schleppern organisierte Reise in die Schweiz eine teure Sache. Im Weiteren wird durch den Ausschluss aus der Sozialhilfe der Aufenthalt für diejenigen weniger attraktiv, die die Schweiz nach einem rechtskräftigen Entscheid verlassen müssen und illegal hier sind. Hilfswerksvertreter kritisieren, viele echte Flüchtlinge könnten es unter Umständen künftig gar nicht mehr ins ordentliche Asylverfahren schaffen. Folteropfer etwa hätten oft Mühe, rasch über das Erlebte zu berichten. Ohne Reisepass oder Identitätspapiere riskierten diese Menschen einen Nichteintretensentscheid. Ich weiss nicht, warum Hilfswerksvertreter diese Bedenken haben. Wer ohne Papiere kommt, wird - wie gesagt - angehört. Dann hat er Zeit, Papiere zu beschaffen. Hat er danach immer noch keine Papiere, wird er nochmals angehört. Bei diesen Gesprächen sind Hilfswerksvertreter dabei. Folgt danach tatsächlich ein Nichteintretensentscheid, kann der Fall an die Asylrekurskommission weitergezogen werden. Scheint es zudem nur schon möglich, dass jemand ein Flüchtling ist oder dass weitere Abklärungen nötig sind, wird kein Nichteintretensentscheid gefällt und die betroffene Person kommt ins ordentliche Asylverfahren. Auch das neue Gesetz gewährleistet also, dass Flüchtlinge aufgenommen werden - ob mit oder ohne Papiere. Daran scheint aber selbst Ihr Rechtsgutachter Kay Hailbronner, laut dem das neue Gesetz der Genfer Konvention gerecht wird, seine Zweifel zu haben. So spricht er davon, dass die Aufnahme echter Flüchtlinge nur mit hinreichender Sicherheit gewährleistet bleibe. Nehmen Sie es zu Gunsten der Missbrauchsbekämpfung also in Kauf, dass echte Flüchtlinge eher einen Nichteintretensentscheid erhalten? Nein. Aber klar, man muss immer einen Entscheid treffen. Mehr als hinreichende Sicherheit kann nie jemand garantieren. Doch wir können nicht einfach alle aufnehmen, damit ja nie ein Fehlentscheid getroffen wird. Bis heute ist ein einziger Fall eines falschen Entscheides bekannt - von gesamthaft über 530 000 Entscheiden seit 1964. Sie rechnen also wegen des neuen Gesetzes nicht mit mehr Fehlentscheiden zu Ungunsten der Asylsuchenden? Nein, nein. Die zuständigen Stellen bleiben ja die gleichen. Wir haben bisher sicher viel häufiger Fehlentscheide getroffen, indem wir falsche Flüchtlinge aufnahmen. Einige dieser Flüchtlinge wurden später kriminell - und nun kann man sie nicht zurückschicken. Heute hat eine nicht aussergewöhnlich hoch qualifizierte Peron aus Afrika, die in der Schweiz arbeiten will, nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie heiratet eine Schweizerin oder einen Schweizer, oder sie versucht es über das Asylwesen. Müsste die Schweiz diesen Leuten nicht einen anderen Weg anbieten? Die Gegner des neuen Ausländergesetzes fordern, dass alle Menschen den Europäern und den Schweizern gleichgestellt werden. Das würde Personenfreizügigkeit für die ganze Welt bedeuten. Das wäre zwar wunderschön, ist aber praktisch nicht machbar. Daher haben diese Menschen tatsächlich keine Chance auf eine Arbeitsstelle in der Schweiz. Einzige Ausnahme: Es gibt für eine Stelle keinen qualifizierten schweizerischen oder europäischen Bewerber. Es müsste ja nicht gleich volle Personenfreizügigkeit herrschen. Die Schweiz könnte Greencards verlosen oder Tests durchführen, bei denen die Besten eine Aufenthaltsbewilligung gewinnen. Die Schweiz muss zuerst die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union verkraften. 450 Millionen Menschen sind ab 2011 im Schweizer Arbeitsmarkt den Einheimischen rechtlich gleichgestellt. Das müssen wir zunächst ohne höhere Arbeitslosigkeit und grössere Spannungen über die Bühne bringen. Zudem würde eine Verlosung von Greencards auch nichts bringen. Diejenigen, die nicht gewinnen, wären dann doch nicht zufrieden. Entscheidend ist daher, dass afrikanische Staaten Wirtschaftsreformen durchführen. Ziel muss es sein, dass diese Leute in ihrer Heimat Arbeitsstellen finden. Herr Bundesrat, Sie wollen wie gesagt orientieren und nicht Abstimmungskampf betreiben. Orientieren heisst, Vor- und Nachteile aufzuzeigen. Haben das neue Asylgesetz und das neue Ausländerrecht auch Nachteile? Selbstverständlich. Der Nachteil des Ausländergesetzes ist, dass nicht alle Ausländer in der Schweiz arbeiten können. Manche haben weniger Rechte als Schweizer und Europäer, das stimmt. Beim Asylgesetz ist der Nachteil, dass wir Menschen nach Hause schicken müssen. Ich mache das nicht gerne, die tun auch mir leid. Aber es geht nicht anders.

14.09.2006

«Auch Sie lügen oft»

Nach einem Exkurs über das Lügen verteidigt Bundesrat Christoph Blocher seine Vorlage zum Asylgesetz und lobt die Vorbildfunktion Chinas für Entwicklungsländer. 14.09.2006, Facts, Othmar von Matt und David Schaffner Herr Bundesrat, ihre 75-jährige Schwester sprach sich gegen die Gesetze aus. Seither wird sie massiv bedroht, was sagen Sie als Justizminister dazu? Bedroht zu werden ist nicht schön. Aber meine Schwester wird sich daran gewöhnen müssen. Ich lebe damit seit 30 Jahren. Ist das nicht ein erbärmliches Zeichen für unsere Demokratie? Wer in der Öffentlichkeit auftritt, bekommt auch wüste Briefe und wird beschimpft. Das sind Einzelfälle. Wird meine Schwester wirklich bedroht, muss sie zur Polizei. Sind Sie auch bedroht worden? Natürlich. Aber darüber sollte man nicht reden. Viele Prominente werfen ihnen vor, dass Sie lügen. Ein harter Vorwurf. Viele sind es nicht. Aber die Gegner beschimpfen mich als Lügner, weil ich anderer Meinung bin. Wenn die Gegner behaupten, papierlose Flüchtlinge könnten nicht mehr aufgenommen werden, dann ist das unwahr. Ob es eine Lüge ist, weiss ich nicht: Lügen heisst, mit Absicht und wider besseres Wissen etwas Falsches zu sagen. Genau das wirft Ihnen SP-Präsident Hans-Jürg Fehr vor. Er kritisiert, sie hätten gelogen, als sie sagten, dass bisher 70 bis 80 Prozent der anerkannten Flüchtlinge Papiere vorweisen konnten, die nach dem neuen Gesetz akzeptiert würden. 70 bis 80 Prozent der anerkannten Flüchtlinge weisen gültige Papiere vor. Bei den Abgewiesenen weisen 70 bis 80 Prozent keine gültigen Papiere vor, weil sie sie fälschen, wegwerfen, vernichten oder verstecken. Das ist so. Etwas anderes habe ich auch nie behauptet. Unter den anerkannten Flüchtlingen waren aber viele, die Papiere vorwiesen, die künftig nicht mehr gültig sind, zum Beispiel Fahrausweise oder Schulzeugnisse. Aber bisher waren sie anerkannt, also mussten sie auch keine anderen Papiere vorweisen. Sie können davon ausgehen, dass all diese Personen Papiere vorweisen konnten, die klare Rückschlüsse auf ihre Identität zuliessen. Ich bezichtige meine Gegner nicht der Lüge, obwohl sie sehr viele Sachen verbreiten, die unwahr sind. Sind Lügen ein Kavaliersdelikt? Wir müssen jetzt keine Grundsatzdiskussion übers Lügen führen. Auch Sie lügen oft. Ab und zu sicher. Was der SP-Präsident hingegen oft tut: Jemandem eine falsche Äusserung in den Mund zu legen, um ihn dann der Lüge zu bezichtigen. Das ist in einer Demokratie unwürdig. Doch Sie sind wegen der Abstimmung gekommen, und nicht, um ein philosophisches Seminar über das Lügen abzuhalten. Eine zentrale Kritik am Gesetz ist: Künftig gelten nur noch Pass und ID als Ausweispapiere. Wer keines von beidem hat, wird nach 48 Stunden abgewiesen. Nein. Wie heute bekommt die Person 48 Stunden Zeit, die Papiere zu holen, wenn er solche hat, oder bei der Botschaft den Ersatz zu beschaffen. Bringt sie keine solchen Papiere, dann gibt es eine Anhörung, bei der auch die Hilfswerke vertreten sind. Die Person kann sagen, wie sie heisst, woher sie kommt und welche Gründe sie hat, ein Asylgesuch zu stellen. Der Wohnort und so weiter kann dann überprüft werden. Im Zweifelsfall werden auch Papierlose aufgenommen. Jeder Asylsuchende, hat zudem die Möglichkeit, bei der Rekurskommission einen Rekurs gegen den Entscheid des Bundesamtes für Migration einzureichen. Es könnte ja auch sein, dass das Bundesamt einmal einen Fehlentscheid fällt. Bisher ist nur eine Person bekannt, die man nicht hätte zurückschicken dürfen. Das muss der Burmese Stanley Van Tha sein, der nach seiner Ausschaffung aus der Schweiz in ein Foltergefängnis gesteckt und zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde. Er bekam 19 Jahre Haft für unseres Erachtens nicht sehr schwere Vergehen. Darum wurden die Ausweisungen dorthin gestoppt. Macht Ihnen das ein schlechtes Gewissen? Das ist ein tragisches Schicksal. Ja, ich bedaure das. 19 Jahre Gefängnis. Ja, das ist in diesem Fall unverhältnismässig. Finden Sie das nicht tragisch? Wie oft wollen sie es noch hören? Aber: Seit 1964 wurden über 530'000 Entscheide getroffen – da treffen die Menschen, die entscheiden müssen, auch einmal einen Fehlentscheid. Beim neuen Asylgesetz haben wir darauf geachtet, dass möglichst keine Fehlentscheide passieren. Die Chance, dass das Gesetz angenommen wird, ist relativ gross. Das werden wir sehen. Auf jeden Fall werden wir nicht eines der strengsten europäischen Asylgesetze bekommen, wie Sie das geschrieben haben. Es wird etwa im europäischen Durchschnitt liegen. Wir behaupteten, dass die Schweiz das strengste Gesetz in ganz Europa hätte. Was nicht stimmt. Nehmen wir nur das Wichtigste, die Sozial- bzw. Nothilfe: Einzelne Länder wie Italien geben Nothilfe nur über eine gewisse Zeit. Danach zahlen sie nichts mehr. Wir dagegen haben keine zeitliche Limite. Andere beschränken sogar die Sozialhilfe nicht nur bei Abgewiesenen, sondern auch im Asylverfahren. Oder nehmen Sie die Zwangsmassnahmen: Gewisse Länder haben für die Ausschaffungshaft keine gesetzliche Begrenzung nach oben, bei uns sind maximal 18 Monate vorgesehen. Die Migrationsströme reissen aber nicht einfach ab. Kann man etwas machen gegen den Wunsch der Menschen, an einem besseren Ort zu leben? Dieser Wunsch ist verständlich. Doch jeder Staat ist primär für seine Bürger verantwortlich. Ein Staat muss etwas dafür tun, dass er bessere ökonomische Verhältnisse hat, so dass die Leute bleiben. Die Staaten können dafür etwas tun. Viele Staaten – wie zum Beispiel China – führten eine neue Wirtschaftsordnung ein. 1980 warf es wirtschaftlich den Kommunismus über Bord und führte ein «freies» Wirtschaftssystem ein. Nun geht es vielen Menschen besser. Es gibt Experten, die vorschlagen, dass sich die Schweiz öffnen soll für arbeitswillige Personen aus nicht europäischen Ländern. Man könnte ein Kontingent an Arbeitsbewilligungen schaffen. Wer verschafft den Arbeitssuchenden die Arbeit, ohne sie den anderen wegzunehmen? Die Schweiz beschäftigt bereits heute sehr viele Ausländer. Die Gegner des Ausländergesetzes wollen den freien Personenverkehr für die ganze Welt. Jeder, der in die Schweiz käme und eine gewisse Zeit arbeitete, hätte das Recht zu bleiben, auch wenn er arbeitslos wird. Ab 2011 sind alle Personen aus der EU auf dem Arbeitsmarkt den Schweizern gleichgestellt. Das müssen wir zuerst verkraften. Wir können nur so vielen Menschen Arbeit geben, wie wir Arbeit haben. Geht es wirtschaftlich schlechter, steigt die Arbeitslosigkeit und die Sozialwerke werden stark belastet. Das kann zu Spannungen in der Bevölkerung führen. Da müssen wir vorsorgen. Die Öffnung der Grenze für alle Länder hiesse hohe Arbeitslosigkeit, untragbare Belastung der Sozialwerke und Fremdenfeindlichkeit. Wie könnte ein vernünftiger Umgang mit der Migration aussehen? Global gesehen: Die betroffenen Länder müssen Bedingungen schaffen, damit die Menschen gar nicht wegwollen. Afrika kenne ich gut. Wie man es industrialisieren könnte, weiss ich leider auch nicht. Während der Kolonialzeit hatte es wirtschaftlich bessere Verhältnisse, aber keine Freiheit. Die Menschen konnten ihr Schicksal nicht selber bestimmen. Oft taucht die Idee eines Marshall-Plans für Afrika auf. Was würde das bedeuten? Was die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland machten: Sie gaben Kredite, um Industrien und Fabriken aufzubauen. In Afrika gelingt das leider oft nicht, obwohl es schon praktiziert wird, wenn auch nicht im grossen Stil. Warum nicht? Dort existiert keine industrielle Denkweise. In Unternehmen, in denen ich tätig war, bauten wir zwei Fabriken zur Herstellung von Synthesefasern auf. Nach zwei Jahren sahen die Anlagen so aus, dass sie nicht mehr betrieben werden konnten. Die Schweiz kann gar nichts tun? Wir tun viel mit der Entwicklungshilfe. Ob sie nützt, ist eine andere Frage. Eine andere Theorie ist auch, Afrika sich selber zu überlassen: Afrika, das in sich selbst ruht. Nur sehen die Menschen dort im Fernsehen die Verhältnisse in anderen Ländern, sie wollen dasselbe. Und die Schlepper versprechen ihnen viel. Das gibt einen Sog. Deshalb dränge ich darauf, dass Asylgesuche schnell entschieden werden. Wer nach vier Wochen abgewiesen in sein Dorf zurückkehrt, obwohl er viel Geld bezahlt hat, erzählt das weiter. Das macht den Schleppern den Markt kaputt. Ist das Thema Asyl für Sie mit einem Ja erledigt? Nein, nein. Es beginnt erst. Was planen Sie? Das Gesetz muss vollzogen werden. Und die Integration ist zu verbessern. Wir benötigen zwei Dinge: Erstens müssen die jungen Leute unsere Sprache lernen, bevor sie zur Schule gehen. Zweitens müssen die Erwachsenen die Sprache lernen und arbeiten. So arbeitet heute nur ein Viertel der Flüchtlinge, die hier bleiben. Sind sie nicht im Arbeitsprozess, können sie sich nicht integrieren. Um das zu verbessern, machen wir ab Herbst ein Pilotprojekt für eine so genannte Flüchtlingslehre. 2007 wird die Situation für Sie mit den Wahlen als Bundesrat heikel. Was heisst heikel? SP und die Grünen wollen Sie nicht wieder wählen – ebenso CVP-Präsident Christophe Darbellay. 2007 wird es ähnlich sein wie 2003. Nicht ganz so schlimm, denn wer mich wählt, muss niemanden abwählen. Ich mache meine Arbeit und kann nicht immer nach Wahlchancen fragen. Überlegen Sie sich einen Rücktritt? Nein. (Blickt ganz erstaunt) Einen Rücktritt? Auf keinen Fall. Sie fragten sich in «Le Temps», ob Sie für die SVP nützlicher seien als Bundesrat oder als Oppositionsführer. Ich bin nicht einfach für die SVP im Bundesrat. Aber nach vier Jahren muss man Bilanz ziehen und sich fragen: Bewirke ich mehr im Bundesrat oder in der Opposition im Parlament? Bis jetzt ist die Bilanz als Bundesrat ganz eindeutig positiv. Wird sich das bis 2007 ändern? Man wird es sehen. Kaum. Ich gehe voran. Es geht sehr gut. Offensichtlich ist aber, dass es 2007 für Sie sehr eng wird. Sicher, es wird eng, denn SP und Grüne wollen einen schwachen SVP-Bundesrat. Was planen Sie? Ich hirne nicht stets an diesen Wahlen herum. Wer unbedingt wieder gewählt werden will, ändert seine Politik. Genau das wollen aber meine Gegner. Es ist eine grosse Ehrbezeugung, dass SP und Grüne mich derart verbissen aus dem Bundesrat drängen wollen. Offensichtlich bin ich ihnen zu stark, bewirke zu viel. Einen schwachen Gegner will niemand aus der Regierung werfen.