Testi
Elezioni
23.04.1999
15.04.1999
Wir müssen so viele Truppen schicken, wie es braucht!
Blocher bricht nach drei Abstimmungsniederlagen - LSVA, Neat-Finanzierung, Hauseigentümerinitiative - sein Schweigen. Interview mit der "Basler Zeitung" vom 15. April 1999 Nach einer Schweigepause meldet sich SVP-Nationalrat Christoph Blocher zurück. Er fordert den Schluss der Bombardements und einen Grosseinsatz von unbewaffneten Schweizer Hilfstruppen im Kosovo-Konflikt. Zugleich kritisiert er die Rettungsaktion von Ruth Dreifuss - und attackiert die geplante Solidaritätsstiftung aufs Gröbste. Interview: Catherine Duttweiler und Pierre Weill Herr Blocher, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder der Kosovo-Flüchtlinge sehen? Christoph Blocher: Dieser Konflikt ist entsetzlich. Das kommt davon, wenn eine Seite einen Bodenkrieg und die andere Seite einen Luftkrieg mit sinnlosen Bombardierungen führt - dann fliehen die Menschen. Wie hätten Sie versucht, den Konflikt zu lösen? Blocher: Man hätte diese Bombardierungen nicht durchführen dürfen. Denn die Nato und die USA, die in der Lage wären, diesen Krieg zu führen, sind nicht wirklich bereit dazu. Ich verstehe dies, denn einen Krieg dort zu führen und zu gewinnen heisst, dass man unglaubliche Menschenopfer erbringen muss, und zwar auf beiden Seiten. Die Serben sind dazu bereit, aber die Nato-Staaten wollen diese Opfer nicht erbringen. Wenn man dazu nicht bereit ist, kann man eigentlich nur töten - wie dies jetzt der Fall ist. Sie würden die Bombardierungen also einstellen? Blocher: Es ist schwierig zu sagen, ob es jetzt richtig wäre, aufzuhören und einen Waffenstillstand zu schliessen. Ich würde meinen, ja. Man sollte Russland entgegenkommen, das Friedensbemühungen unternimmt. Die Amerikaner haben die Nato aktiviert, weil ein Vorstoss bei der UNO durch das Veto der Russen und der Chinesen blockiert worden wäre. Die USA haben Russland tief gedemütigt. Damit haben die USA den Russen gezeigt, dass ihr Land keine Weltmacht mehr ist. Einen Schwachen aber sollte man nie demütigen. Wo kann die Schweiz helfen, angesichts des riesigen Flüchtlingselends? Blocher: Noch nie ist in den letzten zehn Jahren die Neutralität so im Vordergrund gestanden. Diese wäre jetzt ganz wichtig. Leider werden wir als Neutrale nicht mehr ganz ernst genommen, weil der Bundesrat dauernd seine Sympathien in Erklärungen ausdrückt. Es gibt nichts als die humanitäre Hilfeleistung. Das heisst, man muss unverzüglich für die Kriegsflüchtlinge sorgen. Allerdings nicht, indem man sie hier integriert! Sondern? Blocher: Kriegsflüchtlinge müssen unverzüglich aufgenommen werden in Flüchtlingslagern. Für ihre primitivsten Bedürfnisse muss gesorgt werden: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Wir verfügen in der Schweiz über Formationen, die derartige Hilfe leisten könnten, beispielsweise unsere Betreuungseinheiten. Die Schweizer Armee soll also ganze Einheiten ins Grenzgebiet entsenden, anstelle der drei Superpumas? Blocher: Jawohl, wenn es nötig ist. Wir müssen so viele unbewaffnete Truppen schicken, wie es braucht. Drei Pumas können nicht genügen. Katastrophenhilfe durch Truppen eines neutralen Staates ist glaubwürdig, denn es gibt immer Flüchtlinge auf beiden Seiten, auch bei den Serben. Sie beharren darauf, dass die Hilfstruppen unbewaffnet sind. Die Schweizer Festungswächter, die bereits im Krisengebiet weilen, sind zum eigenen Schutz leicht bewaffnet, aber Piloten und Mechaniker der Superpumas müssen von ausländischen Soldaten beschützt werden. Das ist doch absurd! Blocher: Nein. Was heisst Selbstschutz? Es ist eine romantische Vorstellung, wenn man glaubt, eine Pistole genüge. Wenn sie selber eine Pistole mitnehmen, dann hat der Angreifer schwere Waffen, dann müssen sie Schützenpanzer haben und so weiter. Die Amerikaner sagen heute eindeutig: "Humanitärer Einsatz und Intervention mit bewaffneten Truppen decken sich nicht." Was soll mit jenen Flüchtlingen passieren, die innerhalb der nächsten Wochen in die Schweiz einreisen, etwa weil sie hier in der Schweiz Verwandte haben? Blocher: Grundsätzlich sollen diese Flüchtlinge in Lagern untergebracht werden. Wenn man sie genau registriert und es wirklich Familien gibt, die sie privat aufnehmen wollen, wäre ich einverstanden, dass sie später privat untergebracht werden. Aber wir dürfen sie nicht integrieren! In der Schweiz glaubt man, wir müssten den Flüchtlingen in einer Woche Deutsch lehren und sie in die Schule schicken. Dabei dürfen wir keinerlei Anstrengungen unternehmen, dass diese Flüchtlinge hier bleiben. Laut der Asyl-Initiative, die Sie im Februar lanciert haben, müssten vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, beispielsweise aus dem Kosovo, interniert werden. Sie würden also von ihren Familien getrennt. Diese Forderung finden wir angesichts des grossen Elends unhaltbar. Blocher: Überhaupt nicht. Es gibt einfach keinen Rechtsanspruch für Flüchtlinge und Asylsuchende, die aus sicheren Ländern kommen, aber Flüchtlingshilfe schliesst dies nicht aus. Die Kosovo-Albaner kommen nicht aus einem sicheren Land. Ziehen Sie Ihre Initiative zurück? Blocher: (lacht) Sie können ja schreiben, er lacht, aber er sagt nichts... Wieso wehren Sie sich so gegen die Einwanderung? Die Schweiz ist überaltert. Die AHV hat Probleme. Wäre es wirklich so katastrophal, wenn jetzt junge, gut ausgebildete Leute hierher kämen? Blocher: Ich kenne kein Land, das so viele Ausländer hat wie die Schweiz. Ich wehre mich gegen eine unkontrollierte Masseneinwanderung. Ich kenne Kleinbasel nicht, aber nehmen Sie zum Beispiel Zürich, den Schulkreis Limmattal. Da sind 75 Prozent der Schüler Ausländer und in gewissen Klassen werden acht, neun Sprachen gesprochen. Wenn viele Leute kommen, die nicht ausgebildet sind und aus völlig anderen Kulturen stammen, schafft das Probleme. Diese Last tragen nicht wir, die tragen andere - auch wenn Frau Dreifuss 20 Flüchtlinge mit in die Schweiz bringt. Ich habe gedacht, sie nähme sie wenigstens zu sich nach Hause. Das ist eine eigenartige Geschichte. Würden Sie denn in Ihrer Villa einige Zimmer für Flüchtlinge räumen? Blocher: Nein, aber ich habe keine zwanzig Flüchtlinge in die Schweiz mitgenommen und mache auch keine Propaganda damit. Das wäre ja widerrechtlich. Wieso widerrechtlich? Die symbolische Aktion der Bundespräsidentin war mit den Behörden abgesprochen. Blocher: Darf die Bundespräsidentin mehr als andere Menschen? Kann ich auch auf Staatskosten ein Lager anschauen und dann zwanzig Flüchtlinge mitnehmen - um zu zeigen, dass ich ein guter Mensch bin? Es geht doch gar nicht mehr darum, dass die Flüchtlingsfrage gelöst wird. Es geht nur um die eigene reine Weste, darum, dass man sagen kann: "Schaut her, ich habe geholfen." Deshalb schickt man lächerlicherweise auch drei Pumas. Aber diesen zwanzig Menschen hat Ruth Dreifuss wirklich geholfen. Ihnen geht es jetzt besser als vorher. Blocher: Zu Lasten von anderen. Von wem? Blocher: Von allen Schweizern. Ist das nicht kleinlich? Die Schweiz als reiches Land vermag doch wenigstens einer kleinen Gruppe zu helfen? Blocher: Natürlich. Ich habe nicht gesagt, dass wir es nicht vermögen. Es geht um die Haltung, die dahinter steckt, diese Wichtigtuerei. Dreifuss kann jetzt sagen, sie habe zwanzig Leute gerettet. Dabei hat sie keinen Streich dafür getan, nicht einmal das Flugticket hat sie selber bezahlt. Sie selber hatten nie das Bedürfnis, etwas für die Flüchtlinge zu tun? Blocher: Wichtig zu tun? Nein, Hilfe zu leisten! Blocher: Wichtigtuerei, darum geht es. Ob und wo ich Hilfe leiste, ist meine Privatsache, sonst würden Sie es auch an die grosse Glocke hängen (lacht). Die Betreuung der Flüchtlinge muss finanziert werden. Könnten Sie sich vorstellen, dass diese Gelder aus der geplanten Solidaritätsstiftung für die Hilfe verwendet würde? Blocher: Dafür brauchen wir keine Solidaritätsstiftung. Dies ist nur eine weitere Heuchelaktion. Man will solidarisch sein - indem man dem Volk ein paar Milliarden Franken wegnimmt. Man nimmt dem Volk nicht Geld weg, man fragt es. Blocher: Wie fragt man es? Jetzt haben sie schon mal einen Dreh gefunden, dass keine Verfassungsabstimmung über die Solidaritätsstiftung durchgeführt werden muss. Nein, für die Unterstützung von Flüchtlingen und Asylbewerbern brauchen wir keine Solidaritätsstiftung. Die Solidaritätsstiftung soll auch im Inland Arme und Jugendliche unterstützen. Sind Sie auch dagegen? Blocher: Ich kenne diese Mätzchen. Jetzt versucht man, die Stiftung dem Volk schmackhaft zu machen. Jetzt sagt man plötzlich, das hat alles nichts mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust zu tun. Zudem wehre ich mich dagegen, dass man Geld verteilt, das dem Schweizervolk gehört. Falls aber das Schweizervolk in einer Abstimmung der Stiftung zustimmt, entfällt dieses Argument. Blocher: Natürlich. Wenn das Schweizervolk ja sagt, bekämpfe ich die Solidaritätsstiftung nicht mehr. Aber ich werde mich vorher mit Händen und Füssen dagegen wehren. Wenn wir diese Stiftung realisieren, wird die Schweiz jedes Jahr unter Druck gesetzt werden. Wie soll die Schweiz unter Druck gesetzt werden, und von wem? Blocher: So wie sie es bisher gemacht haben. Was wollen Sie damit sagen? Der Verwendungszweck der Gelder ist genau umrissen. Blocher: Diese Gelder wurden versprochen, als die Stiftung angekündigt wurde. In derselben Nacht wurde den amerikanischen Kreisen übermittelt, was wir tun werden. Der Vizepräsident der USA hat am Weltwirtschaftsforum in Davos auf diese Stiftung gepocht. Andere Kreise pochen darauf. Es sind die gleichen, die uns sagten, wir müssten für die Wiedergutmachung für den Zweiten Weltkrieg zahlen. Es sind die gleichen. Wer denn? Blocher: Es ist der Jüdische Weltkongress. Dieser kann gar nicht mehr klagen, denn er ist Teil der Globallösung, auf die sich die Banken mit den Sammelklägern und dem Jüdischen Weltkongress geeinigt haben. Alle Beteiligten sind verpflichtet, keine weiteren Klagen zu erheben. Blocher: Sie müssen nicht mehr klagen, Druck ausüben kann man immer. Und es können auch andere Kreise Appetit bekommen. Deshalb werden wir in zehn Tagen die Lancierung einer Volksinitiative beschliessen: Wir fordern, dass die überschüssigen Goldreserven der Nationalbank nicht in die Solidaritätsstiftung, sondern in die AHV geleitet werden. Warum sollen die Überschüsse ausgerechnet für die AHV verwendet werden? Ihr Vorschlag ist sicherlich populär, aber ordnungspolitisch völlig falsch: Sie betreiben damit reine Symptombekämpfung. Das strukturelle Defizit der AHV bleibt erhalten. Blocher: Ich habe nicht gesagt, dass wir damit sämtliche Probleme der AHV lösen. Tatsache ist, dass wir für die AHV entweder weitere Lohnabzüge oder zusätzliche Prozente bei der Mehrwertsteuer brauchen. Wenn Sie den Goldüberschuss in den AHV-Fonds einzahlen und nur die Erträge verwenden, sparen wir etwa 0,5 bis ein Lohnprozent ein. Man könnte das Geld aber auch noch anders zurückführen. Man könnte das Geld dem Volk verteilen: Jeder Schweizer würde 3000 Franken erhalten; doch dies könnte wegen der höheren Kaufkraft zu Inflationsproblemen führen. Man muss das Geld also so einsetzen, dass es allen zugute kommt. Beim AHV-Fonds ist dies so. Weshalb spielen Sie die beiden Vorschläge zur Verwendung des Goldes gegeneinander aus? Was spricht gegen den Kompromissvorschlag der SP, Nationalbank-Gold sowohl für die AHV als auch für die Solidaritätsstiftung zu verwenden? Blocher: Ja, die Linken waren sehr beunruhigt über meinen Vorschlag. Das habe ich bemerkt... Der Vorschlag, Nationalbank-Gold für die AHV zu verwenden, kommt ursprünglich von der SP selbst! Blocher: So, das ist mir neu. Warum aber nur ein Teil dessen, was dem Volk gehört, diesem zukommen lassen? Sie scheinen wenig kompromissbereit. Sie lancieren ihre Initiative gegen die Solidaritätsstiftung, weil Sie dringend ein populäres Wahlkampfthema suchen - denn mit Ihren bekannten Positionen in der Europa- und Asylpolitik sind derzeit nicht allzu viele Stimmen zu holen. Blocher: Woher nehmen Sie das? Ich führe jetzt seit 22 Jahren die Zürcher SVP, und ich muss Ihnen sagen, wir haben weit unten angefangen. Wir legen alle vier Jahre zu. Wir haben mit vier Zürcher Nationalräten angefangen, heute haben wir neun, und es sieht nicht so aus, als würden wir nächsten Sonntag die Zürcher Kantonswahlen verlieren... Wir reden nicht vom Kanton Zürich, wo Sie zweifellos Erfolge vorzuweisen haben. Wir reden von der nationalen Ebene. Also: Lancieren Sie Ihre seit eineinviertel Jahren gut gelagerte Initiative erst jetzt, weil Sie AHV und Solidaritätsstiftung zum Thema im Nationalratswahlkampf machen wollen? Blocher: Nein. Wir haben zuerst den parlamentarischen Weg ausgeschöpft, daher die Verzögerung. Aber offenbar haben wir ein gutes Thema gewählt, wenn Sie es für wahlkampfwürdig halten (lacht). Uns fällt auf, dass Sie in letzter Zeit auf der nationalen Ebene kaum präsent waren. Es ist beispielsweise bekannt, dass Sie gegen die neue Bundesverfassung sind - aber aus dem Abstimmungskampf haben Sie sich völlig herausgehalten! Blocher: Das ist nichts Neues. Es fällt in letzter Zeit nur mehr auf, weil bei jeder Vorlage darauf geachtet wird, wo der Blocher steht. Ich war im Laufe meiner Zeit bei Dutzenden von Vorlagen anderer Meinung als der Bundesrat, ohne den Kampf überall zu führen. Man muss wissen, was wesentlich und wichtig ist. Beim Kernthema Ihrer Politik, der Europafrage, haben Sie sich aber ebenfalls um eine Stellungnahme gedrückt: Sie haben sich noch immer nicht festgelegt, ob Sie die bilateralen Verträge mit einem Referendum bekämpfen wollen! Blocher: Das sage ich, wenn es soweit ist! Die Vernehmlassungsfrist ist am Dienstagabend abgelaufen. Blocher: Ich lasse mir Zeit bis im Herbst, bis die Vorlagen im Parlament verabschiedet sind. Es gibt Dinge, die ich sehr früh einleite. Bei der Frage der Entsendung von bewaffneten Truppen ins Ausland etwa engagiere ich mich frühzeitig. Dieser Kampf muss an vorderster Front geführt werden - in einer Volksabstimmung. Das Gesetz, welches bewaffnete Truppen im Ausland vorsieht, ist dem Volk vorzulegen. Bei den bilateralen Verträgen aber verschiesse ich doch nicht das Pulver, bevor ich überhaupt weiss, was im Detail darin steht. Es kommt ja jeden Tag etwas Neues hervor. Dass das schlechte Verträge sind, ist mir klar. Aber es könnte ja sein, dass man auch schlechte Verträge schlucken muss! Beim EWR haben Sie nicht so lange zugewartet... Blocher: ...weil die Sache eindeutig war. Wir sagten damals: Entweder wir erhalten ein Vetorecht, oder der EWR wird bekämpft... ...und diesmal ist Ihr Spielraum für einen Abstimmungskampf viel kleiner. Der Bundesrat ist geschickt vorgegangen und kann beim heikelsten Dossier, dem Personenverkehr, nochmals Stellung beziehen, bevor die Personenfreizügigkeit in die entscheidende Phase tritt. Ihnen sind die Hände gebunden! Blocher: Mir sind nirgends die Hände gebunden! Sie haben in letzter Zeit mehrere Niederlagen an der Urne einstecken müssen, während der Bundesrat die letzten zehn Volksabstimmungen gewonnen hat. Am Sonntag werden Sie mit Ihrer Opposition gegen die neue Bundesverfassung vermutlich erneut unterliegen. Sind Sie deshalb so schweigsam geworden? Blocher: Ja, die Bundesverfassung, das ist schon eine traurige Angelegenheit (grinst). Ich muss Ihnen sagen, ich habe, seit ich Nationalrat bin, zu achtzig Prozent Niederlagen eingesteckt. Auch wenn Sie diese scheinbar locker wegstecken: Sie haben in letzter Zeit wenig Erfolg gehabt. Auch Ihre "Jubiläumsspende" ist gescheitert: Anstelle von 50 Millionen Franken sind nur 3,5 Millionen zusammengekommen. Blocher: Das war zumindest eine der wenigen echten solidarischen Aktionen im Jubiläumsjahr! Dann ist es also aus einem anderen Grund in letzter Zeit so ruhig geworden: Sie haben eine Kunstpause eingelegt - um danach wieder umso wirkungsvoller ins Rampenlicht zu treten! Blocher: Ich lege hier gewiss nicht meine Taktik offen. Aber vielleicht liegen Sie gar nicht so falsch.
12.02.1998
Natürlich wollen wir die AUNS weiter ausbauen
Die folgende Fassung beinhaltet im Gegensatz zur publizierten Version den ungekürzten Text. Interview mit FACTS vom 12. Februar 1998 Herr Blocher, kandidieren sie im Herbst 1999 noch einmal für den Nationalrat? Christoph Blocher: Das habe ich im Sinn, ja. Sie machen aber Ihre Politik ausserhalb des Parlaments - mit der AUNS. Warum setzen Sie nicht vollumfänglich auf die wirkungsvollere ausserparlamentarische Opposition? Blocher: Ich mache überall dort Politik, wo ich etwas bewirken kann. Wenn es geht im Bundeshaus, was man vielleicht weniger merkt. Wenn die Entscheide aber im Volk fallen, und wenn ich merke, dass ich im Parlament nichts bewirken kann, muss ich ausserhalb arbeiten. Bei der ganz grossen Frage der Unabhängigkeit und Neutralität unseres Landes kann ich im Bundesrat und Parlament nichts mehr ausrichten. Die wollen in die EU. Die AUNS ist in der Offensive. Mit einer Millionenkampagne werben Sie um neue Mitglieder und bauen eine schlagkräftige Zentrale auf. Was bezwecken Sie damit? Blocher: Von einer Kampagne weiss ich nichts. Ich habe einen Rechenschaftsbericht über die Schweiz fünf Jahre nach dem EWR-Nein in jede Haushaltung geschickt. Dies kostete Fr. 840'000.-, davon habe ich Fr. 600'000.-- persönlich bezahlt. Sie haben recht: Das bringt viele neue Mitglieder. Diese Organisation kann nicht mehr ad interim von einem Sekretariat betreut werden. Zudem kommen jetzt dann ganz wichtige Abstimmungskämpfe, z.B. über den EU-Beitritt. Sie wollen aus der AUNS doch mehr machen als nur ein Abstimmungskomitee? Blocher: Natürlich wollen wir die AUNS weiter ausbauen. Weil wir die gesamte Presse gegen uns haben, brauchen wir viele Mitglieder aus der ganzen Schweiz, die Flugblätter verteilen und unser Gedankengut unter die Leute bringen. Das steht im Vordergrund. Die AUNS wurde einst als Kampftruppe gegen den EWR- und EU-Beitritt gegründet. Jetzt haben Sie Themen wie die Schwerverkehrsabgabe, die AHV-Finanzierung und die Volkswahl des Bundesrates aufgeschaltet. Planen Sie eine neue, rechtskonservative Oppositionspartei? Blocher: Ihre Fragestellung ist falsch. Die AUNS wird weder zur Schwerverkehrsabgabe noch zur AHV-Finanzierung Stellung nehmen, weil es hier nicht um die Unabhängigkeit der Schweiz geht. Wir wollen aus der AUNS keine Partei machen. Ich will ein überparteiliches Gremium, das die Interessen einer unabhängigen und neutralen Schweiz wahrt - nichts anderes. Immerhin wollen Sie die Volkswahl des Bundesrates notfalls mit der AUNS durchbringen. Blocher: Dieses Thema könnte die AUNS tatsächlich interessieren. Wir sind gegen einen Bundesrat, der sich ausschliesslich dem Parlament verantwortlich fühlt und sich im Ausland erst noch für Volksentscheide entschuldigen geht. Jeder vierte Schweizer würde, so eine Umfrage, für eine AUNS-Partei stimmen. Was zögern Sie? Blocher: Ich bin Mitglied der SVP und versuche dort mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass unsere Partei auf einer guten Linie bleibt. Bisher hatte ich keinerlei Grund, mich von dieser Partei abzusetzen. Ogi hat am letzten SVP-Parteitag jene Parteigänger kritisiert, die "einfach gegen alles Neue antreten". Fühlen Sie sich betroffen? Blocher: Nein. Es ist ein altes Thema, dass Herr Ogi meint, eine Partei müsse immer ganz genau das vertreten, was der Bundesrat will. Das halte ich für falsch. Wir sind gegenüber unserem Bundesrat auch grosszügig und ertragen politische Differenzen. Er offenbar nicht ganz. Ist Adolf Ogi ein guter Bundesrat? Blocher: Was ist ein guter Bundesrat? Bundesrat Ogi beispielsweise ist, ganz im Gegensatz zu Ihnen, für den EU-Beitritt, für die Solidaritäts-Stiftung und für die Schwerverkehrsabgabe. Blocher: Der ganze Bundesrat ist da auf der falschen Linie. Herr Ogis persönliche Meinung zu diesen Themen interessieren hier leider nicht. Denn er ist in einer Kollegialbehörde eingebunden. Ist Ogi ein gutes Parteimitglied? Blocher: Bis jetzt kann ich mich jedenfalls nicht beklagen. Für Sie ist die SVP doch nur noch der parlamentarische Arm der AUNS. Blocher: Nein. Mit den Themen, die ich in Bern behandle wie etwa die Bundesfinanzen, die Politik der Nationalbank oder die Solidaritäts-Stiftung, beschäftigt sich die AUNS überhaupt nicht. Ich weiss, dass sehr viele Leute den Wunsch haben, aus der AUNS eine Partei zu machen. Das hat damit zu tun, dass die Leute generell mit den traditionellen Parteien unzufrieden sind. Ich aber lehne die Parteibildung der AUNS ab. Welches ist denn Ihr politisches Karriereziel? Blocher: Ich habe keines. Aber dieser Blocher will doch in die Geschichtsbücher eingehen. Blocher: Was in die Geschichtsbücher eingeht, kann man erst in hundert oder zweihundert Jahren beurteilen. Vielleicht ist dann alles nebensächlich, was wir heute tun.
07.12.1997
Des Kaisers neue Kleider
Meine Kolumne für die SonntagsZeitung vom 7. Dezember 1997 Vor 5 Jahren - am 6. Dezember 1992 - haben das Schweizervolk und die Stände bei einer ungewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von 78,3 % - der höchsten seit 1947 - den EWR-Vertrag abgelehnt. Die Schweiz hat sich für die Freiheit und die Selbstbestimmung entschieden. Offenbar war das Schweizervolk der Meinung, dass die Schweiz die zweifelsohne schwierige Zukunft in Eigenverantwortung besser meistern kann, als wenn sie in einen grosseuropäischen Bundesstaat eingegliedert wird. Bedrohliche Prognosen Dieses Resultat kam zustande, obwohl die offizielle Schweiz - die "classe politique" -, allen voran der Bundesrat, das Parlament und die Parteien, die Presse, die Massenmedien, die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, zahlreiche Hochschullehrer und wissenschaftliche Institute, Manager internationaler Konzerne, volkswirtschaftliche Berater der Grossbanken, Kulturschaffende - kurz: alles, was Rang und Namen hatte - in einem fast unheimlich eintönigen und gedankenlosen Chor schwerwiegende Nachteile für den Fall des EWR-Neins prophezeite. Die wirtschaftlichen Konsequenzen wären fürchterlich, hiess es. Konkret wurde eine massive Abwanderung schweizerischer Firmen in den EU-Raum, ein wirtschaftlicher Vertrauensverlust in unser Land, der Zerfall des Schweizerfrankens mit grässlichen Folgen für Zinsen und Inflation, Börseneinbrüche etc. vorausgesagt. Kurz: Wer den Mut hatte, zum eigenen Weg zu stehen, musste bereit sein, negative Auswirkungen in Kauf zu nehmen. Und siehe da: Das Volk entschied sich trotzdem für die Selbständigkeit. Warum diese Fehlprognosen? Wer heute - 5 Jahre nach dem EWR-Nein - unvoreingenommen Bilanz zieht, merkt, dass es sich bei all diesen katastrophalen Prognosen um gigantische Fehlurteile gehandelt hat. So ziemlich genau das Gegenteil der angedrohten Prognosen ist eingetreten. Man fragt sich, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass alle sogenannt führenden Kreise damals diese Fehlprognosen so einhellig gemacht und vielleicht sogar selbst geglaubt haben. Warum konnte es passieren, dass alle grossen Zeitungen, die meisten Politiker, Massenmedien, Kulturschaffende, die Grosskonzerne, die Gewerkschaften bis hin zur Mehrzahl der Wissenschaftler an so unsinnige Prognosen glaubten oder diese zumindest verkündeten? Und warum hat ein "unwissendes" ("Die Dummen haben nein gestimmt") Volk diese Gehirnwäsche überstanden? Der Kaiser ist nackt Kennen Sie das berühmte Andersen-Märchen von des Kaisers neuen Kleidern? Vom Kaiser, der splitternackt durch die Strassen stolzierte, weil ihm seine Berater neue Kleider aufgeschwatzt hatten, die angeblich nur von gescheiten Leuten gesehen wurden. Wer wollte schon zugeben, dass er diese Kleider nicht sah? Auch der Kaiser selbst hütete sich davor. So lobten nun all die führenden Leute des Kaiserreiches die prächtigen neuen Kleider des nackten Kaisers. Keiner wollte als dumm gelten, jeder wollte bei den sogenannt gescheiten dabeisein. So wollte es der Trend. So war es "in". So gehörte es sich. Wer etwas auf sich gab, stimmte in den unkritischen Chor mit ein: "Wie prächtig sind doch diese Kleider!" Bis endlich ein kleines Kind, unschuldig, unverdorben und ohne Hemmungen - wie Kinder das oft tun - die Wahrheit beim Namen nannte: "Seht doch den Kaiser, er ist ja ganz nackt!" Damit war der Spuk vorbei. Der Mythos der Integration Spätestens heute kommt es aus: Die EU ist für die führenden, sich gescheit gebenden Kreise ein nackter Kaiser. Sie ist für die offizielle Schweiz und die Medien längst zu einem Mythos geworden, der das kritische, eigenständige Denken einschläfert. Das machte und macht blind für die Tatsache, dass die EU-Struktur auf dem veralteten Machbarkeitswahn und auf das überholte planwirtschaftliche Denken der sechziger Jahre zurückgeht. In ihrer Blindheit kann die offizielle Schweiz die Stärken eines übersichtlichen, dezentralen Kleinstaates nicht mehr erkennen, weil sie von der Grösse und Aufgeblasenheit zentraler Strukturen geblendet ist. Was als zeitgemäss und zukunftsträchtig angepriesen wird, ist in Wirklichkeit längst überholt. Die Gescheit-sein-Wollenden realisieren nicht, dass die Zugehörigkeit unseres Landes zur EU die künftigen Probleme der Schweizerinnen und Schweizer in keiner Art und Weise lösen kann. Man verkennt, dass es der Schweiz ausserhalb der EU wesentlich besser geht als den EU-Staaten. Es wird auch unkritisch darüber hinweggesehen, dass die vor 5 Jahren gestellten negativen Prognosen nicht nur nicht eingetroffen sind, sondern so ziemlich genau das Gegenteil. Blind für die Wirklichkeit! Glaube an die Freiheit statt an die Prognosen Nun fragen sie wieder - auch die "SonntagsZeitung": "Wie sieht es denn aus mit der Schweiz im Jahre 2010?" Erneut werden die gleichen Prognostiker wichtigtuerisch die gleichen Fehlurteile abgeben wie vor 5 Jahren. Auch ich werde gefragt. Ich frage mich: Wie wird die Schweiz im Jahre 2010 aussehen? Ich weiss es nicht. Kann und muss ich das überhaupt wissen? Nein - muss ich nicht. Aber eines weiss ich: Mit der politischen Freiheit ist auch die wirtschaftliche Freiheit des Volkes besser gesichert. Eine unabhängige und souveräne Schweiz hat die Chance, innovativer, wirtschaftlich leistungsfähiger und konkurrenzfähiger zu sein als die schwerfällige Europäische Union. Geht die Schweiz ihren eigenen Weg, wird es den Schweizern besser gehen, d.h. Wohlfahrt, Freiheit und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger werden auch im Jahre 2010 grösser sein, als wenn sich unser Land den Machtstrukturen der Europäischen Union unterordnen müsste. Die Konsequenzen eines EU-Beitrittes - auch dies lässt sich unschwer feststellen - wären: - das Ende der tatsächlichen direkten Demokratie in allen EU-Belangen - die Abtretung politischer Macht des Volkes an die Regierungen in Bern und Brüssel - den Verzicht auf eine eigenständige Aussen- und Sicherheitspolitik - den Verzicht auf die Neutralität - EU-Machtpolitik anstelle Schweizer Selbstbestimmung - Einschränkung der Handlungsfreiheit - Anheizung der Arbeitslosigkeit - Reduktion des Wohlstandes - Lohneinbussen - höhere Schuldzinsen - höhere Hypothekarzinsen - zusätzliche und höhere Steuern - Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 6,5 % auf mindestens 15 % - Verzicht auf den Schweizerfranken und Verlust von Volksvermögen - Aufhebung der Grenzkontrollen und der nationalen Einwanderungspolitik - weniger Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger - Rückkehr zu feudalistischen Zuständen in der Politik durch Reduktion der Entscheidungsträger und - Einschränkung des Mitspracherechtes des Volkes. Weitermachen Aus all diesen Gründen lohnt sich der Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit. Der Einsatz dafür ist heute zur zentralen Aufgabe geworden. Aber Freiheit und Unabhängigkeit allein genügen nicht, um dem Land eine erfolgreiche Zukunft zu sichern. Freiheit und Unabhängigkeit sind nicht die Lösung aller Probleme. Aber sie sind die Voraussetzung dafür. Sicher wird die Zukunft schwierig werden. Dass die Schweiz um den Wandel nicht herumkommt, steht fest. Den Strukturwandel hat sie durchzustehen, und sie hat gleichzeitig die Fehler des Umverteilungsstaates zu korrigieren. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz dies kann. Je übersichtlicher und je beweglicher eine Volkswirtschaft ist, desto besser kann sie mit den Herausforderungen des Wandels und des Umbaus verfehlter Strukturen fertig werden. Schnelle, kleine Boote sind hierfür geeigneter als die unbeweglichen grossen Tanker. Zentralisierung und die Gleichmacherei sind sowohl für die Wirtschaft wie für die Politik keine Rezepte. Fest steht, dass die Schweiz mit der Lösung der neuen Aufgaben weiter ist als ihre europäischen Nachbarn. Deshalb dürfen wir aber nicht stillstehen. Wir haben den Wandel weiter voranzutreiben. Probleme dürfen nicht einfach verwaltet, sondern sie müssen gelöst werden. Das gilt insbesondere für das Hauptproblem, unsere maroden Staatsfinanzen. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll und verlangt viel von der Wirtschaft und von der Politik. Sie verlangt vor allem viel Flexibilität, Kreativität, Konsequenz, Standfestigkeit und Durchsetzungsvermögen. Für das Jahr 2010 bin ich zuversichtlich, weil es in der Schweiz viele Menschen gibt, die die Nacktheit des Kaisers sehen und sich auch getrauen, das zu sagen.
05.12.1997