Testi
22.12.2004
22.12.2004
Das Regieren ist ihm zur Freude geworden
22.12.2004, Neue Zürcher Zeitung (Martin Senti) Herr Blocher, seit einem Jahr sind sie kein freier Unternehmer mehr sondern Mitglied der Kollegialbehörde Bundesrat, gefällt Ihnen Ihr neuer Job? Gefallen wäre etwas viel gesagt, aber es geht mir auf jeden Fall besser als am Anfang. Wenn man sich in die Arbeit vertieft und die Aufgabe ernst nimmt, dann wird sie auch interessant und man bekommt auch Freude daran. Lässt sich ein Departement wirklich wie ein Unternehmen führen? Grundsätzlich bleiben Führungsaufgaben immer die gleichen, ob in der Wirtschaft oder in der Politik. Doch wird in der Politik Vieles, das führungsmässig bewältigt werden sollte, fälschlicherweise politisch angegangen. In der Verwaltung fehlt der Bezug zur Realität: Man gibt sich rasch zufrieden oder glaubt, die Realität sei so, wie man sie gerne hätte. Eine gute Problemanalyse ist immer schon die halbe Problemlösung, erst bei der Umsetzung zeigt sichder Unterschied: Die Entscheidungswege in der Politik sind länger und komplizierter. Sie haben gestern an Ihrer Medienkonferenz in Biel die Verwaltung offen kritisiert, müsste man hier anders rekrutieren? Nein, ich spüre auch viel Lernfähigkeit. Wenn man die Leute richtig in die Führung einbezieht, erkennen Sie rasch den Ernst der Vorgänge. Ich verlange zum Beispiel stur in allen Fragen klar und kurz formulierte Anträge mit verschiedenen Lösungsvarianten. Sie haben eine neue Streitkultur in den Bundesrat getragen. Da ecken Sie auch an, provozieren vielleicht Retourkutschen, die gar nicht nötig wären. Sie haben selbst das Bild vom Fuchs im Hühnerstall genannt - führt das nicht zu unnötigem Wirbel, der Konstruktives auch verhindert? Streit sollte eben nicht bloss als Angriff verstanden werden. Streit muss nichts Schlimmes sein, er ist immer auch ein Zeichen dafür, dass man eine Sache ernst nimmt. Am Anfang hat man das im Bundesrat vielleicht nicht so empfunden, aber es hat sich gebessert. Ich bin jedenfalls nicht ausgegrenzt worden. Dieser Prozess der Anpassung war ja wohl ein zweiseitiger? Ich habe im Leben oft in verschiedenen Gremien gearbeitet. Man passt sich immer auch einem Gremium an, das ist eine Frage der Gruppendynamik. Man kennt sich jetzt auch besser. Ist Ihrer Meinung nach das Kollegialprinzip für das Funktionieren des Bundesrates noch wichtig? Die Kollegialität ist die Voraussetzung, dass der Bundesrat funktioniert. Aber was bedeutet sie genau? Ich bin der Auffassung dass die Kollegialität nur besagt, dass der einzelne Bundesrat eine Entscheidung, die einmal getroffen worden ist, nicht mehr bekämpft. Das heisst aber nicht, dass man auch die Begründung für eine Entscheidung vertreten muss oder gar Einschätzungen der Auswirkungen eines Entscheides. So weit darf man nicht gehen, sonst kann man keine Persönlichkeiten in ein solches Gremium wählen. Denn nur wer keine Meinung hat, kann alles vertreten. Sie halten mit eigenen Einschätzungen nicht zurück, etwa bei der Personenfreizügigkeit. Ich habe im Ständerat die Vorteile aufgezählt, habe aber auch gesagt, dass dies Druck auf die Löhne nach sich ziehen wird und eine höhere Arbeitslosigkeit. Am Nachmittag hat mir dann ein Ständerat gesagt, ich dürfe das nicht sagen, denn es stehe nicht in der Botschaft. So etwas finde ich Unsinn. Bei der Freizügigkeit haben Sie deutlich gemacht, dass Sie den Schritt wagen würden. Anders bei Schengen: Diesen Vertrag haben Sie vor der eigenen Partei klar abgelehnt. Das habe ich nicht. Ich habe einfach auch die Nachteile dargelegt, nachdem Botschafter Ambühl alle Vorteile blumig aufgezählt hatte. Man kannte meine Meinung zu Schengen schon vor meiner Wahl. Aber ich bekämpfe Schengen heute nicht mehr, ich nenne bloss auch die Schattenseiten und die Probleme, die wir zu lösen haben. Es stellt sich generell die Frage nach der Rolle des Bundesrates in Abstimmungskämpfen. Beim Steuerpaket waren Sie sehr aktiv, bei den Einbürgerungsvorlagen nicht. Wirkt das Engagement des Bundesrates so nicht etwas willkürlich. Ich finde das nicht so schlimm. Wenn ein Bundesrat von einem Geschäft überzeugt ist, das der Gesamtbundesrat vertritt, dann soll er auch sagen dürfen, wie er denkt. Und wenn er anderer Meinung ist, dann muss er halt auf den Mund sitzen. Vorträge halten habe ich nie als unerlaubte Propaganda des Bundesrates empfunden. Ich habe aber die überbordende Propagandatätigkeit der Verwaltung kritisiert. Und da hat der Bundesrat jetzt auch einen Riegel geschoben. In Ihrem Departement lobt man Sie dafür, dass Sie die Stäbe abgebaut haben, dass keine Entourage mehr als Filter wirkt - mit viel Einfluss aber ohne Verantwortung. Ich bin es gewohnt, direkt zu führen. Ich arbeite direkt mit den Amtsdirektoren, und diese haben dadurch mehr Arbeit und mehr Verantwortung. Sie müssen häufiger antreten, dafür können sie aber auch ihre Anliegen direkter vortragen als früher. Umgekehrt sehe ich auch direkter in die Amtsführung, denn der Filter wirkte auch von oben nach unten. Generell werden Entscheidungswege dadurch kürzer. Die vielen Anträge und Lösungsvarianten, die Sie verlangen bedeuten doch aber auch Mehraufwand. Man hört, dass sie alles ins Deutsche übersetzen lassen. Führt das alles nicht zu mehr Bürokratie? Also, das mit dem übersetzen ist ein Ammenmärchen. Klar, dass wichtige Anträge auch einmal übersetzt werden. Und es geht mir auch nicht um viel Papier. Die Arbeit besteht im Gegenteil darin, langfädige Berichte auf kurze Anträge zu reduzieren, die auf zwei Seiten Platz finden. Sie haben vor Ihrer Wahl angekündigt, Sie würden sich zu 50 Prozent mit departementsfremden Geschäften beschäftigen, tun Sie das? Ja, wenn ich das überschlage, dann sind das etwa 50 Prozent. Ich trage dabei aber nicht einfach Mitberichte aus der Verwaltung in den Bundesrat, sondern befasse mich gezielt mit Geschäften, die mich interessieren. Sie haben sich vor Ihrer Wahl für die Konkordanz ausgesprochen. Wie steht es heute? In Bezug auf die Frauenemanzipation bin ich natürlich meilenweit weiter als die NZZ vermutet (lacht): Ich habe da gelesen, Blocher lasse seine Konkordanzkritik via seine Frau ausrichten. Meine Frau denkt in dieser Beziehung etwas anders als ich - radikaler, wie Frauen eben radikaler denken. Und Sie, wie denken Sie? Wir haben uns vor den letzten Wahlen klar zur Konkordanz bekannt und zwar in einem Ausmass wie es keine andere Partei tat. Wir haben jetzt die Konkordanz, und es ist müssig, ständig ihre Vor- und Nachteile aufzuzählen. Die Voraussetzungen für die Konkordanz sind heute nicht schlecht. Man muss aber als Politiker für einen allfälligen Wechsel zum Oppositionsmodell bereit sein, sonst wird man abhängig. Wie steht es um das Verhältnis zu ihrer Partei? Dieses Verhältnis ist heute zu locker. Am Anfang habe ich mich ganz von der Partei gelöst. Ich bin heute aber der Auffassung, wir verkehren zu wenig mit den Parteien, nicht nur mit der eigenen, auch mit den andern. Immerhin beraten Sie Ihre Kantonalpartei in Personalfragen. . . Das war eine Sitzung (lacht). Ich nehme praktisch an keiner Parteileitungssitzung mehr teil. In der Zürcher SVP trägt man sich mit dem Gedanken, Sie wieder auf die Nationalratsliste zu setzen, was für einen Bundesrat nicht gerade üblich wäre. Würden Sie dazu Hand bieten? Das ist eine Frage, mit der ich mich nicht vor 2007 beschäftige. Die Idee ist aufgekommen, weil es im Parlament namhafte Exponenten gibt - vor allem in der CVP, die sagen, dass man den Blocher nächstes Mal mit Unterstützung der Linken aus dem Bundesrat wählen soll - damit er von der politischen Bühne weg ist, als Oppositioneller ohne Mandat. Deshalb die Idee. Ausschliessen würden Sie das also nicht? Ich möchte das jetzt weder aus- noch einschliessen. Das liegt in weiter Ferne.
22.12.2004
«Über Hirschhorn rede ich nicht»
Bundesrat Christoph Blocher will im neuen Jahr noch "mehr nach draussen gehen, ausserhalb vom Bundeshaus, wo das wahre Leben abläuft", wie er im Interview zum Theme "Ein Jahr Blocher im Bundesrat" sagt. Der Magistrat gesteht auch, es habe Situationen gegeben, "in denen ich gesagt habe: 'Ich mag nicht mehr'". 22.12.2004, Aargauer Zeitung (Martin Furrer) Wie wollen Sie am liebsten angesprochen werden: Als Herr Blocher oder als Herr Bundesrat? Eigentlich ist mir das gleichgültig. Ihre Kritiker sprechen Ihnen Bundesratsformat noch immer ab. Wann ist jemand ein richtiger Bundesrat? Das müssen Sie meine Kritiker selber fragen. Aber wie definieren Sie Ihre Rolle? Ein Bundesrat hat zu führen und zu regieren und nicht nur die Meinung der Verwaltung gegen aussen zu vertreten. Man soll seine eigene Meinung in die Regierung einbringen. Wer mir vorwirft, ich sei bloss Parteienvertreter, nimmt die Parteien nicht ernst. Ich vertrete nie eine Meinung, weil sie meine Partei vertritt, sondern weil es meine überzeugung ist. Sie haben in Ihrer Jahresbilanz am Montag erklärt, bisher seien stets Persönlichkeiten in den Bundesrat gewählt worden, die keinen allzu pointierten Standpunkt eingenommen hätten. Eine Kritik an ihren sechs Kolleginnen und Kollegen. Überhaupt nicht. Tatsache ist, dass in der Vergangenheit pointierte Persönlichkeiten, die ausgesprochene Parteiexponenten waren, nicht gewählt wurden. Wer zum Beispiel? Liliane Uchtenhagen. Umso erstaunlicher, dass das Parlament mich, den vielgescholtenen Oppositionsführer, gewählt hat. Sie haben auch gelobt, man gehe im Bundesrat den Problemen wieder auf den Grund. Musste erst jemand wie Sie in die Regierung gewählt, werden, damit die Gesprächskultur besser wird? Ich frage nicht immer, ob ich die Ursache für eine Entwicklung sei oder nicht. Mir sagen einfache einzelne Regierungsmitglieder, dass wieder wesentlich mehr diskutiert werde als vor meiner Zeit. Das ist sehr positiv. Denn das Ringen um Probleme und Lösungen ist eine der Voraussetzungen, dass etwas gut herauskommt. Es gehe an den Bundesratssitzungen mitunter lustig zu, sagten Sie. Ein Beispiel? Es gibt immer wieder lustige Argumente. Wir sitzen nicht griesgrämig am Tisch herum. Lustige Argumente - das meinen Sie natürlich ironisch. Keineswegs. Das Leben ist doch eine fröhliche Angelegenheit! Jetzt lachen wir beide. Sehen Sie, das ist ein gutes Zeichen. Pascal Couchepin war nicht zum Lachen zumute, weil Sie den Ausgang der Einbürgerungs-Abstimmung nicht kommentieren wollten. Er hat Sie als Gefahr für die Demokratie bezeichnet hat. Das klingt nicht gerade nach guter Stimmung. Pascal Couchepin legt Wert darauf, nicht gesagt zu haben, ich sei eine Gefahr für die Demokratie, sondern meine Auffassung von Demokratie sei gefährlich. Ich habe mit ihm deswegen auf der menschlichen Ebene keine Probleme. Er hat bloss seine Auffassung von Demokratie auf den Tisch gelegt, die ich für elitär halte. Schade, dass diese Diskussion nicht weitergeführt worden ist. Ihre Intervention hat nichts bewirkt: Die Bundesräte wollen Abstimmungsergebnisse weiterhin kommentieren. Warten Sie ab. Ich bin überzeugt, dass künftig das Volk nicht mehr als Dummkopf hingestellt wird, wenn es anders entschieden hat als vom Bundesrat gewünscht. Der Bundesrat will die Abstimmungsergebnisse ja nur analysieren ... ... Sie meinen "Kaffeesatz lesen" ... ... und werten, weil in der vielschichtigen Schweiz auch die Meinung der unterlegenen Minderheit wichtig ist ... ... und ich bleibe dabei: Wenn das Volk etwa bei den Einbürgerungen gegen den Mainstream von Parlament, Bundesrat und Medien votiert hat, ist das zu akzeptieren. Punkt. Man muss das Volk ernst nehmen. Ich bin übrigens auch dagegen, dass man das Volk lobt, wenn es einer Vorlage zugestimmt hat. Man beleidigt es, wenn sich die Regierung zum Massstab aller Dinge nimmt. Sie plädieren weiterhin für öffentliche Bundesratssitzungen. Meinen Sie das ernst? Es ist eine provokative Forderung, die vermutlich nie verwirklicht wird. Aber grundsätzlich wüsste ich nicht, was wir zu verbergen hätten. Heute ist die Bevölkerung sehr schlecht informiert über die Vorgänge im Bundesrat. Darum muss sie von Indiskretionen leben, also von gezielten Halbwahrheiten. Das ist ärgerlich. In der Ems-Chemie wären Sie auch nicht auf die Idee gekommen, Verwaltungsrats-Sitzungen auf dem Marktplatz der öffentlichkeit abzuhalten. Die Ems-Chemie ist kein öffentliches Unternehmen, und es gab dort auch keine Indiskretionen. In der Politik hat die Bevölkerung grösseren Anspruch darauf zu erfahren, was sich in der Regierung abspielt, als in einem Unternehmen. In der Presse erhielten Sie gestern nach Ihrer Bilanz tendenziell positivere Noten als nach den ersten hundert Amtstagen. Und im Parlament anerkannte sogar die Linke, dass Sie zentrale Themen wie den freien Personenverkehr oder Schengen/ Dublin gemäss Bundesrat vertreten haben. Geht die Rechnung Ihrer Gegner, Sie einzubinden, langsam auf? Davon merke ich nichts. Haben Sie das Gefühl, ich sei eingebunden und könne keine eigenen Gedanken mehr entwickeln? Das fragen wir Sie. Eingebunden wäre ich erst dann, wenn ich hinstehen und das Gegenteil dessen erklären würde, was ich früher vertreten habe. So ist es natürlich nicht. Man kritisiert mich ja im Gegenteil nach wie vor, weil ich Mühe hätte, die Meinung des Bundesrates als meine eigene auszugeben. Das haben Sie auch. Stimmt. Wenn ich etwas innerlich nicht tragen kann, merkt man das. Dies ist ein Zeichen von Glaubwürdigkeit. Nur jemand, der keine Meinung hat, kann alles vertreten. Sie lobten auch die Vorteile der Konkordanz. Erstaunlich: Als Befürworter von klaren Verhältnissen müssten Sie doch für das Konkurrenzmodell mit klaren Regierungsmehrheiten sein. Sie unterstellen mir etwas. Die Frage Konkordanz oder Opposition beschäftigt mich seit Jahren. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Jetzt haben wir die Konkordanz, und es ist müssig, immer wieder zu spekulieren, ob das Oppositionsmodell besser wäre. Machen wir jetzt das beste aus der Konkordanz. Erst wenn wir sehen, dass sie nicht mehr funktioniert, weil wir uns gegenseitig blockieren, müsste man erneut darüber diskutieren. Ihre Frau hat öffentlich Sympathien für das Konkurrenzmodell geäussert. Das stimmt. Frauen sind oft radikaler. Ihre Frau ist radikaler als Sie? Frauen sind konsequenter, und wenn meine Frau sagt, dass es sinnvoller sei, wenn Leute zusammen regieren, welche die gleiche politische Meinung haben, weil sie dann eher zu Entscheiden kommen, ist das nicht falsch. Aber der Nachteile ist, dass Dritte von der Macht ausgeschlossen werden. Das ist nicht nur gut. In Ihrem Büro hängt das berühmte Bild des Holzfällers von Ferdinand Hodler. Könnten Sie verstehen, wenn es vielleicht auf gewisse Betrachter ebenso bedrohlich wirken würde wie eine Installation von Thomas Hirschhorn? Über Herrn Hirschhorn rede ich nicht. Hodlers Bild drückt Kraft aus, Lebensfreude, Ursprünglichkeit. Das gefällt mir. Herr Hirschhorn kann ausstellen, was er will. Kunst muss frei sein. Wenn der Staat aber dafür Geld gibt, beginnt er sich wie kürzlich einzumischen. Darum bin ich gegen staatliche Kulturförderung. Ferdinand Hodler wurde aber auch gefördert. Ja, durch Mäzene. Ich bin sehr für das private Mäzenatentum. Die USA beispielsweise fördern das Mäzenatentum, indem sie dafür steuerliche Erleichterungen vorsehen. Also auch eine indirekte staatliche Subventionierung von Kunst. Wenn der Staat einem nichts wegnimmt, ist das noch lange keine staatliche Förderung. Sie schlagen ein hohes Tempo an und schlafen wenig. Keine Angst, einmal ausgebrannt zu sein? Es gab auch schon Situationen, in denen ich gesagt habe: Ich mag nicht mehr. Aber ich habe eine kurze Regenerationszeit. Ihr Rezept gegen Burnout? Vierzig Jahre lang ging ich jeden Morgen um halb sechs auf meine fünfeinhalb Kilometer lange Joggingstrecke. Jetzt in Bern ist das nicht mehr so oft möglich, aber zuhause jogge ich weiterhin. Es ist schon fast eine Sucht. Ich bin gern draussen in der Natur. Was wünschen Sie der Schweiz und sich selber zum neuen Jahr? Der Schweiz mehr Selbstbewusstsein. Und mir die Möglichkeit, noch mehr nach draussen zu gehen, ausserhalb vom Bundeshaus, wo das wahre Leben abläuft.
22.12.2004
«Ich bin für Verbote»
Nachdem er am Montag Bilanz gezogen hat, blickt Christoph Blocher im Interview nach vorn. Er äussert sich zur Sanierung von AHV und Staatshaushalt, kritisiert das CO2-Gesetz und plädiert für Verbote statt komplizierte Regulierungen. Sein Ziel? Ein «ökonomisches Wunderwerk». 22.12.2004, St. Galler Tagblatt (Heidi Gmür) Das Jahr 2004 war für den Bundesrat ein relativ erfolgloses Jahr. Das Stimmvolk hat Avanti, Mietrecht, AHV-Revision und Steuerpaket abgelehnt. Ist der Aufbruch zur «bürgerlichen Wende», den sich die SVP nach Ihrer Wahl erhofft hat, schon gestoppt? Die SVP sagte, dass die Wende nötig wäre. Ich habe nie an die Wende geglaubt, nur weil einer mehr von einer anderen Partei im Bundesrat ist. Die Frage ist, ob sich etwas zum Besseren gewendet hat. Und, wurde es besser? Es stimmt, das Volk hat relativ viele Vorlagen verworfen - aber sie stammten alle von der früheren Regierung und dem früheren Parlament. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, dass vorerst nichts geschieht. Die Schweiz ist in einer Umbruchsituation, das zeigt auch meine Wahl in den Bundesrat. Es ist wie bei einem Unternehmen, das in die falsche Richtung läuft. Da ist ein Marschhalt nötig, bis man weiss, wohin es geht. Trotzdem: Das Steuerpaket und die AHV-Revision wurden im Mai von den Bürgerlichen als Aufbruch interpretiert. Wie wollen Sie nun die AHV sanieren? Es ist schwer zu sagen, warum die AHV-Revision genau verworfen wurde. Vielleicht wollte man zuviel auf einmal, man könnte vielleicht Einzelteile bringen. Zum Beispiel das Rentenalter 65 für alle, da könnte man eine Mehrheit hinbringen. Ein gestaffeltes Vorgehen also. Ja, wenn man zehn Veränderungen bringt, ist die Gefahr grösser, dass es fällt. Auch das Steuerpaket, für das Sie selber aktiv geworben hatten, wurde abgelehnt. Wie müsste hier eine neue Vorlage aussehen? Hier gilt das gleiche. Wir haben verschiedene Dinge vermischt. Es gab Entlastungen der Familie und der Hauseigentümer, es gab aber auch Mehrbelastungen. Der Bundesrat hat jetzt von einem Marschhalt gesprochen, es soll eine Gesamtkonzeption geben. Das Dringlichste ist sicher die Unternehmenssteuerreform. Sie bringt Arbeitsplätze. Sie glauben explizit nicht, dass es ein Votum gegen Sozialabbau und Steuersenkungen war? Es war ein Votum gegen diese Steuersenkung und gegen diese AHV-Reform. Schauen Sie das Jahr 2003 an, da wurden alle sozialen Verbesserungen verworfen. Das war alles gegen links. Und nun war alles gegen rechts. Es ist eine gewisse Stillstandsituation eingetreten, weil man sagt, lieber machen wir nichts, als etwas Falsches. Und was kommt nach dem Stillstand? Auf parlamentarischer Ebene spricht man derzeit von Polarisierung, es heisst, man bringe nichts mehr zustande. Das wäre die einfache Schlussfolgerung. Aber ein Beispiel aus meinem Departement zeigt, dass es nicht so sein muss: Ich habe gesehen, dass man das Bundesgerichtsgesetz nicht durchbringen wird und habe es gestoppt. Jetzt hat das Parlament die neue Vorlage praktisch einstimmig gutgeheissen, ohne dass sie völlig anders wäre. Man kann die Polarisierung also auch überwinden, indem man das Gespräch mit den Parteien sucht. Zu oft aber hat der Bundesrat bisher isoliert beschlossen und gesagt: Vogel friss oder stirb! Ihr Gegenrezept tönt simpel. Es gibt sicher Fälle, wo das nicht möglich ist, dort muss man eben eine breite Koalition erreichen. Zum Beispiel in der Ausländer- und Asylpolitik. Da muss man fühlen, wo das Volk die Präferenz hat. Bei der Ausländerpolitik wird das eher eine bürgerliche sein, in anderen Fragen eher eine linke. Das wird das Vorgehen für die Zukunft sein. Ich sehe da nicht so schwarz. Sie kritisieren die «Verregulierung» der Wirtschaft, die Wachstum verhindert. Warum sind Sie gegen Parallelimporte? Weil es ein grosser Eingriff in die Eigentumsfreiheit ist. Wenn ich etwas entwickle und patentiere, darf ich doch sagen, wo man das verkauft. Ansonsten wird niemand mehr forschen. Wo wollen Sie denn die Deregulierung ansetzen? Ja, bauen Sie mal ein Haus, eine Fabrik! Da gibt es Vorschriften, Einsprachen, es ist unglaublich. Allein im Umweltbereich wird bis ins Detail reguliert. Oder stellen Sie privat eine Person an - und zwar legal, mit AHV, Pensionskasse und Ferienregelung. Das ist fast nicht möglich, das ist so kompliziert. Es sind immerhin Vorschriften zum Schutz der Umwelt und zum Schutz der Arbeitnehmer. Ja natürlich, es gibt immer etwas! Die Frage ist, kann man denn die Umwelt nicht einfacher schützen? Wie? Beispiel CO2-Abgabe: Da müssten sie mal sehen, was die Unternehmer alles machen müssen. Wir können das natürlich alles tun, aber man muss dann nicht klagen, wenn die Wirtschaft nichts wächst. Sollen die späteren Generationen die schlechte Luft erben? Nein. Aber ich bin natürlich für klare Grenzwerte oder Verbote. Für Verbote? Ja, man kann sagen, soviel darf man ausstossen und dann ist fertig. Ich war nie dagegen, dass man Autos mit Katalysatoren einführt, das ist eine kleine Regulierung. Autos ohne Katalysatoren sind verboten. Das müssen Sie schon genauer erklären. Also: Man kann sagen, du kannst da bauen, wenn du das bis ins Detail so machst und so machst und so weiter. Aber man könnte auch sagen: Wir haben hier ein Grundstück, hier die Abstände und die Höhe, darauf kannst du bauen. Punkt. Das wäre eine ganz einfache Regulierung. Und bei den Schadstoffen? Da kann man auch sagen: Diese Schadstoffe darfst du ausstossen, jene nicht. Das haben wir bei den Autos gemacht. Am CO2-Ausstoss ändert dies allerdings nichts. Nein, aber wenn Sie den nicht mehr wollen, dann sagen Sie es, dann darf man das eben nicht mehr machen. Aber es will ja niemand das Auto verbieten. Also haben Sie den CO2-Ausstoss. Es geht um Anreize, damit weniger Auto gefahren wird. Ja und wer profitiert davon? Der Zürcher, aber nicht der Münstertaler. Das CO2-Gesetz ist für die Industrie ein unglaubliches Beispiel für Regulierung, es ist ein Beraterfirma-Bürokratie-Gesetz. Das können wir tun, aber dann schwächen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit massiv. Zurück zur Finanzpolitik: Auf Ihren Antrag soll der Bundesrat abklären, wie die Ausgaben um 40 Prozent gekürzt werden können. Das ist unrealistisch - was erreichen Sie damit? Ich sage nicht, wer welche Anträge stellt. Aber ich würde das machen. Die Frage ist: Geben wir zuviel Geld aus? Ich bin der Meinung ja, darum brauchen wir so hohe Steuern und Abgaben und lähmen unsere Wirtschaft. Wenn Sie die nun senken wollen, müssen Sie fragen, was ist wichtig und was nicht. Und wie finden Sie das heraus? Indem Sie sagen, jetzt nehmen wir mal an, der Staat gäbe 30 oder 40 Prozent weniger aus und schauen, was dann passiert. Man kann sich dann immer noch mit 10 oder 20 Prozent begnügen. Wo sind denn derart kräftige Ausgabenschnitte möglich? Ich möchte die Frage nicht beantworten. Sie ist bereits falsch gestellt. Sobald einer ruft, das wäre die Lösung, ist die übung bereits gestorben. Sie müssen das Ziel sehen, den Prozess, und Varianten erarbeiten. Sie reden von Sparen und zeigen keine Möglichkeiten auf. Ja, diesen Vorwurf muss man halt ertragen. Ich habe aber in meinem Departement 10 Prozent als Vorgabe genommen - und musste keine wesentlichen Aufgaben streichen. Die Vorgabe von 40 Prozent ist ein Tabubruch, wie Sie ihn bewusst gerne pflegen. Das löst vor allem Abwehrreflexe aus. Zunächst natürlich schon. Aber sie müssen den Vorgang den Leuten eben auch begreiflich machen. Die Vorgabe muss einfach relativ hoch sein, damit am Schluss nicht einfach überall ein wenig gespart wird. Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie eines Tages mit Genugtuung zurücktreten könnten? Das werde ich nie tun können. Ich war 30 Jahre Unternehmer und habe immer noch über die Probleme gesprochen, die wir haben und lösen müssen. Wie sähe sie aus, damit Sie einigermassen zufrieden wären? Wenn die Schweiz sagen könnte: Wir sind bereit, eine bessere, eine erfolgreichere staatliche Ordnung zu machen als alle anderen, indem wir weniger Geld ausgeben, dem Bürger mehr Freiheit gäben, eine höhere Selbstverantwortung und mehr Arbeitsplätze hätten. Ein ökonomisches Wunderwerk also. Zweitens, dass wir die direkte Demokratie beachten, sie nicht einschränken. Und drittens, dass wir die Kraft haben, unsere Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten und nicht in diese grossen Organisationen eintreten. Dann glaube ich, geht es der Schweiz gut. Glauben Sie denn, dieses Bild eines florierenden Unternehmens, das sie von der Schweiz zeichnen, sei mit der direkten Demokratie kompatibel? Durchaus. Viele sagen, es sei die direkte Demokratie die für die starke Regulierung verantwortlich sei, aber so einfach ist das nicht. Die Interventionisten sind in Bern viel zahlreicher als in der Bevölkerung. Sie glauben also, das Volk für ihre Vision eines sehr schlanken Staates gewinnen zu können? Ich sage nicht in allen Teilen. Der Schritt ist relativ gross, vor allem dort, wo die Leute auf etwas verzichten müssen. Sozial zurückzubuchstabieren ist schwierig, Nicht-Geben weniger. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass eine Mutterschaftsversicherung so viele Nein-Stimmen kriegt. Vor allem in der Deutschschweiz. Das zeigt, dass die Bevölkerung mit der Selbstverantwortung viel weiter ist als die Politiker in Bern.
22.12.2004