Testi

 

11.11.2005

1 Jahr und 11 Monate im Bundesrat

Landwirtschaft gestern, heute und morgen 11.11.2005, Montreux Montreux, 11.11.2005. Am Rencontre national nahm Bundesrat Christoph Blocher eine kleine Standortbestimmung vor. Er nannte die Mitgliedschaft in der EU eine Gefahr für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in der Schweiz. Zum Thema «Landwirtschaft gestern, heute und morgen» legte er dar, dass jetzt für die Zukunft eine neue Landwirtschaftspolitik entworfen werden müsse, die den Bauern das Überleben und der Schweiz eine gute Landwirtschaftspolitik ermögliche. Rede von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich des Rencontre national 2005, am 11. November 2005, in Montreux Mesdames et Messieurs Chers amis de la Suisse romande Cari amici della Svizzera italiana Chars amis da la Svizra rumantscha Meine Damen und Herren aus der alemannischen Schweiz Chers Compatriotes Liebe Miteidgenossen Nach einem Jahr und elf Monaten im Bundesrat möchten Sie von mir eine kleine Standortbestimmung hören. Im Besonderen wünschen Sie meine Gedanken zur „Landwirtschaft gestern, heute und morgen“ zu erfahren. Ich bin ein Landwirt von gestern (vielleicht sogar von vorgestern). Ich habe vor fünfzig Jahren Landwirt gelernt und den Beruf auch an der landwirtschaftlichen Schule abgeschlossen. Noch mit Pferdefuhrwerk, Pflug und Sense. Während sechs Monaten habe ich auch im waadtländischen Pampagny die Pferde und Schweine betreut. Als mich mein Vater zwei Monate nach Arbeitsbeginn fragte, ob ich nun endlich französisch könne, sagte ich ihm: Die Schweine und Pferde verstehen mich auf jeden Fall. Diese schönen Zeiten sind vorbei. Was ich heute als Bauer tun würde, wenn ich damals die Möglichkeit bekommen hätte, einen Betrieb zu übernehmen, weiss ich nicht. Eines aber, weiss ich bestimmt: Wenn ich heute diesen Beruf ausübte, möchte ich selber entscheiden können, was ich pflanze, wie ich arbeite und wie viel ich produziere. Diese Freiheit habe ich schon vor fünfzig Jahren so gewollt. Ich bin überzeugt, dass die Bauern Unternehmer sein müssen, wenn Sie erfolgreich sein wollen und wenn Sie für unser Land die beste aller möglichen Landwirtschaften betreiben wollen. Das gilt für gestern, das gilt für heute und auch für morgen. Warum will ich unternehmerische Bauern? Weil ich weiss, dass die hohen Ziele der Landwirtschaftspolitik nur auf diese Weise kostengünstig und erfolgreich umgesetzt werden können. Selbstverständlich – das ist unbestritten – braucht es Naturschutz- und Tierschutzauflagen. Für alle, die mit dem Boden und mit Tieren zu tun haben, gelten diese Bestimmungen. Für den Weinbauern Bugnon im Waadtland, für den Bergbauern Brunner im Toggenburg, für den Biobauern Hassler im Bündnerland. So wie diese Gesetze auch für alle andern, nämlich für den Chemieunternehmer Blocher, gegolten haben und für jeden Bürger in diesem Land gelten. Dafür braucht es keine spezielle Bürokratie, die den Bauern gängelt, seine Arbeit erschwert und die Produkte verteuert. Worin bestehen denn die hohen Ziele der Landwirtschaftspolitik? Der Staat hat dem Bauern eine Reihe Aufgaben übertragen. Er will, dass die Bauern - das Land bewirtschaften, damit der Boden nicht vergandet. Damit gewähr-leisten sie den Schutz unseres Lebensraumes. - die dezentrale Besiedlung aufrechterhalten. - eine minimale Nahrungsmittelversorgung aus eigener Produktion gewähr-leistet wird. Der Schutz des Lebensraumes und die dezentrale Besiedlung des Landes kann der Bauer auf dem freien Markt nicht absetzen. Darum muss der Staat vom Bauern diese Leistung kaufen, mit einem Beitrag pro Fläche. Als Entgelt für eine minimale Bewirtschaftung. Gleichgültig, ob der Bauer einen grossen oder kleinen Betrieb besitzt, ob er arm oder reich ist: Wer immer diese Leistung erbringt, muss abgegolten werden. Der Bauer erbringt eine Leistung, auf die man nicht verzichten will, dafür ist er zu bezahlen, sonst wird sie nicht mehr erbracht! Und ich will an dieser Stelle einmal festhalten: Der öffentliche Verkehr kostet uns mittlerweile 7,6 Milliarden Franken im Jahr. Doppelt so viel wie die ganze Landwirtschaft. Diese riesigen Flächen in den Gebieten der Alpen, des Juras, des Flachlandes werden erhalten für den halben Betrag der Bahndefizite! Diese marktfremden Aufgaben sollen also entschädigt werden, die Nahrungsmittelproduktion dagegen ist Sache des Bauern. Hier soll er sein eigenes Risiko, sein unternehmerisches Risiko tragen. Er produziert für die Konsumentinnen und Konsumenten. An diesen Bedürfnissen soll der Bauer sich orientieren. Hier soll der Markt über den Erfolg entscheiden. Hier zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten den Bauern für seine erbrachten Leistungen. Die Situation für die künftige Landwirtschaft spitzt sich dramatisch zu: Im schlimmsten Fall setzt die WTO einen Zollabbau in der Höhe von drei Milliarden Franken durch. Das heisst konkret drei Milliarden Franken weniger für die Landwirtschaft – was dem gesamten Arbeitsverdienst der Schweizer Bauern entspricht! Bei zehn Milliarden Rohertrag ergäbe dies etwa dreissig Prozent Ausfall. So kann der Bauernstand nicht überleben. Darum muss jetzt für die Zukunft eine neue Landwirtschaftspolitik entworfen werden, die den Bauern das Überleben und der Schweiz eine gute Landwirtschaftspolitik ermöglicht. Wie diese aussieht, ist jetzt nicht zu befinden. Aber sie ist jetzt zu entwerfen und dann zu beschliessen. Damit wir die Landwirtschaftspolitik überhaupt frei gestalten können; damit wir überhaupt in der Lage sind zu entscheiden, was wir in Zukunft wollen und was nicht, ist es wichtig, dass wir über den Handlungsspielraum verfügen, frei entscheiden zu können. Damit – meine Damen und Herren – bin ich mitten drin in der grossen Politik! Hauptgefahr EU – Beitritt Meine Damen und Herren Die grösste Gefahr für die schweizerische Wirtschaft, die grösste Gefahr unserer Arbeitsplätze, die grösste Gefahr unserer Freiheit, die grösste Gefahr unserer direkten Demokratie und der Neutralität sind nicht Billiglohnländer in Asien. Nein, die grösste Gefahr lauert im eigenen Land: Dass wir die politischen Weichen falsch stellen. Damit, meine Damen und Herren, sind all jene gemeint, die offen, leise oder sogar geheim den EU-Beitritt anstreben. Eine Mitgliedschaft in der EU würde unsere Freiheit, Sicherheit und unseren Wohlstand gefährden. Meine Damen und Herren. Immerhin ist es uns nach Jahren gelungen, dass die Schweiz heute wenigstens den EU–Beitritt als „strategisches Ziel“ aufgegeben hat. Der EU–Beitritt wird lediglich noch als Option, als eine Möglichkeit unter vielen, bezeichnet. Ja, der Beitritt ist eine Möglichkeit, aber auf jeden Fall eine schlechte, möchte ich beifügen. Meine Damen und Herren, bleiben wir uns selbst. Wofür müssten wir uns eigentlich schämen, Schweizer bleiben zu wollen? Für unsere friedvolle Geschichte? Dass wir ein neutraler Kleinstaat sind? Für unsere Wohlfahrt? Schauen Sie doch die Schweiz an. Sie bildet eine Identität. Sie hat ihren Weg selbst gefunden. Schauen Sie, wie weltoffen unser Land ist, ohne sich deswegen je politisch zu verleugnen oder seine Selbstbestimmung aufzugeben. Schauen Sie, wie erfolgreich die Schweiz schon in der Geschichte war. In der Wirtschaft finden Sie Zuhauf solcher Beispiele: Den Aargauer Strohfabrikanten Den Neuenburger Uhrenmacher Den Genfer Privatbankier Den Basler Chemieunternehmer Den Ostschweizer Maschinenindustriellen Die Zürcher Versicherungsgesellschaft Den Innerschweizer Bergbauern Den Tessiner Dienstleister Den Bündner Hotelier Alle diese Branchen produzierten in der Schweiz, für die Schweiz und für die Welt. Das gilt auch heute. Unsere Verbundenheit mit der Welt ist Realität – aber immer auf der Grundlage der eigenen Souveränität. Die Souveränität ist das Fundament unseres Erfolges. Trotz aller Weltoffenheit: Wir sollten uns nie institutionell einbinden lassen. Denn beides gehört zusammen: Weltoffenheit und Unabhängigkeit. Meine Damen und Herren, das Gesagte gilt nicht nur für die Wirtschaft und Politik. Schauen Sie das Leben an. Es besteht doch nicht nur aus der Wirtschaft, nicht nur aus der Politik. Das Leben ist mehr. Das Leben hat auch eine Seele, ein Herz, Gefühl und eine geschichtliche Vergangenheit. In unserem Land sind alle drei grossen europäischen Kulturen vereinigt. Trotzdem: Wir identifizieren uns nicht mit einer dieser Kulturen, sondern wir identifizieren uns mit den schweizerischen Werten, die entstanden sind aus dem Zusammenleben dieser Kulturen. Das Gemeinsame hat die Vielfalt ermöglicht: Gemeinsam ist uns der Freiheitswille, der Wille zur Neutralität, der Wille zum Föderalismus und zur direkten Demokratie. Politik ist mehr als nur eine Sache von Sitzungen, Programmen, Kompromissen, Finanzen und Beschlüssen. Die Schweiz ist bereits eine verwirklichte Vision, die sich zudem schon Jahrhunderte lang bewährt hat. Das Wesentliche ist, dass diese Schweiz ohne Regierungs- Verwaltungs- oder Parlamentsbeschluss entstanden ist – genau dies macht ihren Wert aus. Am besten lässt sich das an ihrer Kultur erleben. Die Kultur verbindet die Regionen, sie verbindet die Kantone, die Landesteile. Ohne staatlichen Kulturförderungsapparat! Diese Verbundenheit ist gewachsen. Machen wir doch die Probe aufs Exempel. Singen wir zusammen auf Deutsch und Französisch einen alten Kuhreihen. Kuhreihen gibt es in den Alpen, im Mittelland und im Jura. So wie das „Lioba“ der Freiburger in ihren Bergen erklingt oder im Jura der französische Kuhreihen, so erklingt anderenorts das Sennela hoha. Wir singen die erste Strophe auf Schweizerdeutsch, dann die zweite und dritte Strophe auf Französisch und zum Schluss nochmals eine Strophe auf Schweizerdeutsch. Gang rüef de Bruune Gang rüef de Gèèle Sie sölid allsam Sie sölid allsam Gang rüef de Bruune Ganz rüef de Gèèle Sie sölid allsam In Stall ie cho Appelle les grandes Appelle les petites Il faut qu'elles rentrent Il faut qu'elles rentrent Appelle les grandes Appelle les petites Il faut qu'elles rentrent de l'alpage Appelle les Simmental Appelle les vaches d'Hérens Il faut qu'elles rentrent Il faut qu'elles rentrent Appelle les Simmental Appelle les vaches d'Hérens Il faut qu'elles rentrent de l'alpage Gang rüef de Gflekkete Gang rüef de Gschekkete Sie sölid allsam Sie sölid allsam Gang rüef de Gflekkete Gang rüef de Gschekkete Sie sölid allsam In Stall ie cho Auch in der Kultur war und ist und bleibt unser Land offen. In der Malerei, in der Kunst, in der Literatur, im Gesang, in der Musik. Sie hat sich an allen Kulturen beteiligt. Auch dank der vier Landessprachen. Aber bestimmen über unsere Zukunft, über unser Schicksal – das wollen wir Schweizer selbst. So hören wir jetzt Beiträge aus dem Bündneroberland, aus dem rätoromanischen Teil, aber auch viel Italienisches: Verdi, Rossini, Donizetti und andere Kompositionen. Die europäische Kultur kennt keine Grenzen. Sie steht über der Politik. Ich darf Sie um Aufmerksamkeit bitten für die Compagnia Rossini

03.11.2005

Freiheit braucht Mobilität

Zürich, 03.11.2005. Anlässlich der Eröffnung der «Auto Zürich» sprach sich Bundesrat Christoph Blocher angesichts der finanziellen Belastung der Autofahrer durch Benzinzoll, Autobahnvignette, LSVA und Fahrzeugsteuern gegen eine Senkung des Toleranzwertes bei Geschwindigkeitsübertretungen und «Road-Pricing» aus. Er setzte das Gesamtdefizit der Bahnbetriebe von 7598 Millionen Franken den 800 Millionen Franken gegenüber, die der Privatverkehr in die öffentlichen Kassen spüle, und lobte das Auto, das eine individuelle, effiziente und kostendeckende Mobilität ermögliche. 03.11.2005, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Wie viel Toleranz braucht ein «Toleranzwert»? Wenn Sie heute Nacht das Licht löschen werden, hat die Stadt Zürich 1'600 Ordnungsbussen verteilt. 1’600 Bussen in vierundzwanzig Stunden! Dabei kassiert die Stadt Zürich 220'000 Franken von den Bürgerinnen und Bürgern. Täglich. Das ergäbe ein schönes Auto. Oder auch zwei. 1'600 Bussen am Tag ergeben 50'000 Bussen im Monat beziehungsweise 600'000 Bussen im Jahr. Ich habe jetzt nur von der Stadt Zürich gesprochen. Der Stadtrat budgetiert jährlich 79,5 Millionen Franken Einnahmen aus Ordnungsbussen. Da Politiker, wenigstens wenn es um Einnahmen geht, ziemlich kreativ sein können, wundert es wenig, dass man auch bei diesem Posten versucht, noch mehr aus den Bürgern herauszuholen. Das soll mit einer neuen Technik geschehen, den Lasermessgeräten. Was ja an sich eine wunderbare Erfindung ist: Die Metallindustrie etwa profitiert von den hochpräzisen Laserschneidern. Oder auch die Chirurgie, wo die Ärzte komplizierteste Eingriffe am Auge vornehmen können. Nun hat auch die Polizeidirektorin der Stadt Zürich diese Lasertechnologie entdeckt. Zum Wohl der Bürger? Nein, zum Wohl der Staatskasse. Die Geräte messen genauer, also kann man auch viel genauer büssen. Viel genauer heisst in diesem Fall: mehr büssen. Denn «dank» der neuen Technologie wurde der «Toleranzwert» von heute fünf auf drei Stundenkilometer reduziert. Aus purer Vorfreude hat der Stadtrat die budgetierte Bussensumme schon mal vorsorglich um drei Millionen erhöht… auf 82,5 Millionen Franken. Künftig flattert also schon ab 53 Stundenkilometer innerorts ein Bussenzettel ins Haus. Noch drei Stundenkilometer «Toleranzwert». Diese mickrigen drei Stundenkilometer sind Ausdruck einer schädlichen Grundhaltung: Im Zweifel geht offenbar das Interesse des Staates vor. Meine Devise dagegen lautet: Im Zweifelsfall für den Bürger. So sähe doch der Massstab eines freiheitlichen Staates aus. Begründet wird dieser neue Toleranzwert – wie immer – mit einer Erhöhung der Sicherheit. Ich weiss nicht: Gilt jemand, dessen Tacho 54 km/h anzeigt, bereits als gefährlicher Raser? Das Sicherheitsargument scheint mir bloss ein moralistisches Pseudoargument, um von den versteckten Fiskalgelüsten abzulenken. Wir sind uns ja alle einig: Niemand will mehr Verkehrsunfälle. Aber ob dieser reduzierte Toleranzwert tatsächlich der Sicherheit dient, wage ich zu bezweifeln. Sie wissen selber, wie leicht man ein paar Stundenkilometer zu schnell fährt. Vor allem dann, wenn man nicht nur den Tacho, sondern auch den Verkehr beobachtet. Und schliesslich wollen wir Gesetze, die auch im Alltag bestehen können. Ich weiss, auf der Strasse möchte mancher schneller unterwegs sein und gefährdet damit seine Mitmenschen. Genau hier muss der Sicherheitsgedanke Grenzen setzen. Nur darf dieses wichtige Ziel nicht für jeden Akt gegen den Bürger herangezogen werden, nur um jede Kritik sofort abblocken zu können und um die Lust an mehr Staatsabgaben zu verstecken! Freiheit braucht Mobilität Wer frei ist, will sich auch frei bewegen. Freiheit ohne Mobilität ist nichts wert. Wer in eine Zelle eingesperrt wird, dem nützt es auch nichts, wenn er nur in diesen paar Quadratmetern frei herumturnen kann. Freiheiten muss man sich stets erkämpfen. Nicht nur die Bewegungsfreiheit. Auch die anderen Freiheiten, die uns die Verfassung garantiert. Oder garantieren sollte. Die Meinungsfreiheit zum Beispiel. Oder die Freiheit der Wissenschaft und Lehre, welche uns beispielsweise viele Errungenschaften beschert hat, die wir auch an der heutigen Ausstellung bewundern können. Das Auto ist ja an und für sich ein technisches Wunderding. Denken Sie nur an die Sicherheit! Vom Airbag über das Antiblockierbremssystem bis zu den stabiler konstruierten Fahrzeugen: Hier sind die grossen Fortschritte erzielt worden. Dank der Freiheit der Forschung und Entwicklung im Bereich der Sicherheit. Wie sieht es aber mit der Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger aus? Wir können uns in der Schweiz ja weitgehend frei bewegen. Sie werden einwenden, Freiheit hat aber immer auch ihre Grenzen. Sicher. Das muss man heute nicht besonders betonen. Wir leben in einer eher freiheitsfeindlichen Epoche. Jedes Gesetz, jede Verordnung, jede Vorschrift ist ein Stück Freiheit weniger. Und jeder neue Gesetzesartikel kann übertreten werden. Es ist relativ einfach, eine Volksgruppe zu kriminalisieren. Ein neues Verbot genügt. Wenn wir das Tragen von Krawatten verbieten würden, hätten wir in diesem Saal schon ein paar Hundert Kleinkriminelle sitzen. Mit einer kleinen Veränderung des Gesetzes. Wer den Toleranzwert von fünf auf drei Stundenkilometer senkt, schafft auch mit einem Federstrich und ohne grosse Umstände ein paar Zehntausend Gesetzesübertreter mehr. Ohne, dass sich irgendjemand in seinem Verhalten geändert hätte. Dasselbe geschah mit der Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5. 2004 wurden rund 63'400 Ausweise entzogen. 2003 noch gut 60'000. Was einer Zunahme von fast fünf Prozent entspricht. Solche Wachstumsraten wünschte ich mir eigentlich in der Volkswirtschaft. Wie frei sind die Schweizerinnen und Schweizer noch? Wie mobil ist unser Land? Wo beschneidet der Staat mit seiner Verkehrspolitik die freie Mobilität der Bürger. Die neueste Idee heisst «Road-Pricing». Klingt wahnsinnig chic. Aber was ist damit gemeint? Politische Kreise – auch Bürgerliche – wollen den Zutritt zu den städtischen Strassennetzen mit zusätzlichen Gebühren verrechnen. Da «Road-Pricing» so hübsch klingt, will ich es mit einer Übersetzung versuchen: Strassenzoll. Was also so modern daherkommt, ist nichts anderes als ein Rückfall ins Mittelalter. Die Überwindung solcher Wegzölle wurde vor nicht allzu langer Zeit als fortschrittliche Befreiung gefeiert. Dabei möchte ich – nicht nur als Justizminister – darauf verweisen, dass selbst in unserer Verfassung die Benützung öffentlicher Strassen für gebührenfrei erklärt wird. (Art. 82) Bewegungsfreiheit sollte jedem Bürger zustehen. Und nicht zum Privileg für jene werden, die sich diese Mobilität im wahrsten Sinne noch leisten können. Die beste Kuh im Stall Angesichts dieser verzweifelten Versuche, noch mehr Geld beim privaten Verkehr herauszuholen, könnte man meinen, die Autofahrer würden den Staat zu viel kosten. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die beste Kuh im schweizerischen Bundesstall hat nicht vier Beine, sondern vier Räder. Ob Benzinzoll, Autobahnvignette, LSVA, Fahrzeugsteuern: Lastwagen und PWs zahlen über zehn Prozent mehr Steuern, Zölle und Abgaben (nämlich 7,6 Milliarden Franken), als ihre gesamte Infrastruktur pro Jahr kostet (6,8 Milliarden). Mit anderen Worten: Der Privatverkehr spült sogar ca. 800 Millionen Franken in die öffentlichen Kassen. Es wäre insofern nicht mehr als Anstand, die beste Milchkuh nicht dauernd als Feindbild zu behandeln. Wie sieht es denn bei anderen Kühen aus? Etwa bei den heiligen Kühen? Der Bahn zum Beispiel? Die Schweizerische Eisenbahnrechnung sieht im Vergleich zum Strassennetz einiges deprimierender aus: Die 41 erfassten Bahnbetriebe erwirtschaften lediglich 41,7 Prozent ihrer Kosten und fahren pro Jahr ein Gesamtdefizit von 7598 Millionen Franken ein. Und mit jedem Ausbau der Schieneninfrastruktur (Bahn 2000, Neat, internationale Anschlüsse) verschlechtert sich die Bahnrechnung nochmals massiv. Ein nicht unwesentlicher Grund für diese miserable Bilanz liegt darin: Zu wenig Bürger wollen überhaupt von diesem Angebot Gebrauch machen. Die Wahlfreiheit des Bürgers endet weit öfter beim Auto als beim öffentlichen Verkehr. Offensichtlich stimmen mehr Leute an den Urnen für die Verlagerungspolitik, als dass sie sich tatsächlich selber in die Züge und Busse verlagern würden. Die Entlastung findet weniger auf den Strassen statt, sondern beim schlechten Gewissen. Man stimmt für den öffentlichen Verkehr und hat damit seinen Beitrag geleistet. So wie es Leute gibt, die ein Fitnessabonnement kaufen und dann glauben, etwas für die Gesundheit getan zu haben. Freiheit und Freude Sie sind mehrheitlich alles Branchenvertreter, die sich hier heute zur Eröffnung eingefunden haben. Automobilimporteure, Garagisten, Verbandsvertreter, Aussteller. Ihnen muss ich die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie eigentlich nicht erklären. Aber angesichts der zahlreichen «Freiheiten», die Ihnen ins Gesicht schlagen, soll Ihnen auch einmal jemand aus dem Bundesrat ein Lob spenden. Wir dürfen durchaus festhalten: Das Auto ermöglicht eine individuelle, effiziente und kostendeckende Mobilität. Und diese Ausstellung zeigt, dass das Auto mehr sein kann als ein reines Fortbewegungsmittel, nämlich ein ästhetisches Vergnügen, das Spass macht. Der Käufer soll die Freiheit haben, sich nicht nur ein funktionales Auto auszusuchen, sondern möglicherweise auch ein besonders schönes, extravagantes Fahrzeug. Der Erfolg Ihrer Messe beweist, dass dieses Bedürfnis besteht. Als Vertreter des Staates sage ich Ihnen: Wenn der Staat nicht nur für die Verkehrspolitik zuständig wäre, sondern auch noch für die Herstellung von Autos, müssten wir heute keine Ausstellung veranstalten. Die letzten Staatskarossen konnten wir in der DDR bewundern: hässliche, stinkige, graue Trabis. Bei Bezugsfristen von mehreren Jahren… Also: Sie dürfen mit einer guten Portion Selbstbewusstsein Ihre Produkte präsentieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Und kommen Sie heil, das heisst ohne Bussen, wieder nach Hause. Vor allem dann, wenn Sie durch die Stadt Zürich müssen.

28.10.2005

Finanzzentren in einer globalisierten Wettbewerbswirtschaft: Möglichkeiten und Grenzen der Regulierung

Referat von Bundesrat Christoph Blocher zur Finanzmarktregulierung, Liechtenstein Dialog 2005, Freitag, 28. Oktober 2005, in Vaduz 28.10.2005, Vaduz Vaduz, 27.10.2005. Anlässlich des «Liechtenstein Dialog 2005» sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Finanzmarktregulierung. Die Regulierungen in diesem Bereich seien in den letzten Jahren rasant angewachsen, nicht nur aufgrund der schweizerischen Bundesgesetzte und Verordnungen des Bundesrats sondern ebenso durch Verordnungen, Rundschreiben und Wegleitungen der Eidg. Bankenkommission. Einhellig werde ein sauberer und integrer Finanzplatz Schweiz und die Bekämpfung der Geldwäscherei begrüsst. Im Einzelfall aber sei die Kritik geballt. Klar sei, dass die Finanzmarktregulierung an sich, der Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen soll und nicht zum Gegenteil führen dürfe. Es gilt das gesprochene Wort Fragt man einen Beamten – gar noch einen Juristen – nach Regulierung im Finanzbereich, wird er Ihnen antworten: „Da ist noch viel zu tun!“ Fragen Sie einen schweizerischen Bankier, so wird er Ihnen antworten: „Wir ersticken bald ob all der Regulierung.“ Obwohl ich als Mitglied des Bundesrates zur Verwaltung gehöre, glaube ich, der Bankier steht in diesem Fall näher bei der Lebenswirklichkeit. Zunahme der Regulierung - Regulierungsquellen Es ist unbestritten: Der Finanzmarkt hat eine äusserst dynamische Entwicklung erlebt. Aber ebenso dynamisch war das Wachstum der Regulierung in diesem Bereich. Das gilt nicht nur für die Regulierung durch schweizerische Bundesgesetze und Verordnungen des Bundesrates. Sondern ebenso für die Regulierung durch Verordnungen, Rundschreiben und Wegleitungen der Eidg. Bankenkommission – sowie durch die sog. Selbstregulierung. Diese bezeichne ich als halbstaatlich, denn auch die Erlasse der Selbstregulierung werden nämlich in engem Kontakt mit der Eidg. Bankenkommissionen erarbeitet. Oft erlangen sie als so genannte Mindeststandards eine verbindliche Wirkung für alle Finanzinstitute. Neben verbindlichen Akten der Selbstregulierung gibt es dann noch die Standesregeln, die als Satzungsrecht von der Schweizerischen Bankiervereinigung durchgesetzt werden, nötigenfalls sogar mit strafrechtsähnlichen Sanktionen. All das - die Erlasse der rechtsetzenden Behörden - die Erlasse der Bankenkommission - sowie die Selbstregulierungserlasse der Bankiervereinigung - der Swiss Funds Association - der SWS Swiss Exchange - und der Treuhandkammer ergibt einen schier unüberblickbaren Regulierungswust, dem höchstens noch das schweizerische Landwirtschaftsrecht das trübe Wasser reichen könnte. Woher kommt dieser Regulierungswust? Ein wesentlicher Teil ist hausgemacht. Aber nur ein Teil. Ein anderer Teil wird vom Ausland und von internationalen Organisationen, die Sie alle bestens kennen, durch ungeheuren Druck auf mehr und dichtere Regulierung des Finanzmarktes aufgebaut. Sei es im Rahmen - des IWF (Internationalen Währungsfonds) in Washington - der IOSCO (International Organization of Securities Commissions) in Madrid - oder im Rahmen der FATF (Financial Action Task Force on Money Laundering) in Paris - oder gar im Rahmen der BIZ - bzw. des Basel Comitees on Banking Supervision überall wird eifrig an neuen Regulierungen geschraubt, gehämmert und gefeilt, und alles, was da schliesslich die Produktionsstrasse verlässt, muss dann in die jeweiligen Landesregulierungen implementiert werden. Das belastet den Finanzplatz Schweiz stark. Aus einer Untersuchung des Instituts für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich vom April 2004 ergibt sich, dass sich die gesamten Kosten der Regulierung bei kleinen Banken auf 9,8% des Gesamtaufwands belaufen, bei Grossbanken auf 4,1%. Grenzen der Regulierung Sind wir dem Trend auf fortwährende Erweiterung und Verdichtung der Regulierung im Finanzmarktbereich schutzlos ausgeliefert? Nein! Es gibt Grenzen dieser Regulierung. Man muss sie nur erkennen und respektieren. Vorab setzt die eigene schweizerische Bundesverfassung mit der Garantie der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) einen klaren Grenzpunkt, denn diese gilt selbstverständlich auch für den Finanzmarkt. Ferner gilt es zu beachten, dass das Grundrecht des Schutzes der Privatsphäre (Art. 13 BV) auch das Bankkundengeheimnis umfasst. Zwar darf ein Gesetz diese Grundrechte beschränken, doch müssen die Beschränkungen im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Diese Kriterien sind auch bei der Umsetzung internationaler Abkommen und Standards ernst zu nehmen. In dieser Hinsicht gilt es, die Regelungs- und Interpretationsspielräume, die den internationalen Abkommen und Standards eigen sind, zu unsern Gunsten zu nutzen und auf unnötige Perfektionierungen zu verzichten. Dabei ist auch dem Kostenfaktor gebührend Beachtung zu schenken. Auch ist der Wettbewerbsverzerrung durch Regulierung grösste Beachtung zu schenken. Das gilt nicht nur zwischen Ländern, sondern auch zwischen den einzelnen Bankinstituten. Eine Regulierung soll wettbewerbsneutral ausgestaltet sein. Denn jede Bank muss die Regulierungskosten auf irgendeine Weise letztlich ihren Kunden belasten. Bei kleinen Banken fällt dies offensichtlich schwerer ins Gewicht als bei Grossbanken. Derzeitige Revisionsvorhaben Wenden wir uns nun zwei konkreten Themenbereichen zu, bei denen zurzeit Revisionsvorhaben anstehen. 1. Umsetzung GAFI Anfangs dieses Jahres ist der Vorschlag des Bundesrates für die Umsetzung der revidierten GAFI-Empfehlungen in die Vernehmlassung gegeben worden. Einhellig wird ein sauberer und integrer Finanzplatz Schweiz und die Bekämpfung der Geldwäscherei begrüsst. Aber im Einzelnen ist die Kritik stark. So bereiten der Versuch, die Tätigkeiten ausserhalb des klassischen Finanzsektors in die Bekämpfung der Geldwäscherei einzubeziehen, aber auch die Handelstätigkeiten wie den Immobilienhandel und den Handel mit Edelsteinen grösste Sorgen. Damit laufen auch unbescholtene Bürger Gefahr, als Geldwäscher verdächtigt zu werden, wenn sie teure Juwelen kaufen. Begrüsst wurde hingegen, dass Gewinnwarnungen in die Insider-Strafnorm einbezogen werden sollen. Aufgrund der geballten Kritik hat der Bundesrat einen Marschhalt beschlossen. Die Bundesverwaltung analysiert zurzeit eingehend die Kosten und den Nutzen der neuen Regulierung. Diese Analyse wird die weitere Marschrichtung bestimmen. 2. Integrierte Finma-Aufsicht Ein weiterer aktueller Bereich ist die organisatorische Zusammenlegung der Finanzmarktaufsicht in einer Behörde. Zusammengelegt werden sollen die Bankenaufsicht, die Versicherungsaufsicht und die Kontrollstelle zur Bekämpfung der Geldwäscherei. Das Ganze folgt dem Grundsatz "same business, same risk, same rules". Verzichten will der Bundesrat jedoch auf eine Unterstellung der unabhängigen Vermögensverwalter unter die Finma. Mit der Integration erhofft man sich, Doppelspurigkeiten zu beheben und die Effizienz zu steigern. Hoffen wir, dass die Hoffnung in Erfüllung geht. Schlussfolgerungen Ziehen wir aus dem Dargelegten einige Folgerungen. Der schweizerische Finanzplatz ist für die gesamte Volkswirtschaft von erstrangiger Bedeutung. Er steht im Wettbewerb mit andern global orientierten Finanzplätzen. Klar ist, dass die Finanzmarktregulierung an sich, der Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen soll und nicht zum Gegenteil führen darf. Im Vordergrund steht der Schutz, - der Anleger und Einleger - die Funktion der Banken - die Stabilität des Bankwesens. Jede Schweizer Regulierung muss sich aber vor dem Hintergrund der Schweizer Gegebenheiten und Besonderheiten wie der Wirtschaftsfreiheit und des Bankkundengeheimnisses rechtfertigen lassen. Dabei ist insbesondere die Verhältnismässigkeit jeder Regulierung ernsthaft und gründlich zu prüfen. Gefahr droht heute nicht so sehr von der fehlenden, als vielmehr von der Überregulierung.

27.10.2005

Das Ziel ist das Ziel. – Warum sich die Politik endlich an ihren Ergebnissen messen lassen sollte

Referat von Bundesrat Christoph Blocher gehalten am Donnerstag, 27. Oktober 2005, anlässlich des 9. Gewerbekongresses des Kantonalen Gewerbeverbandes Zürich. 27.10.2005, Zürich Zürich, 27.10.2005. Bundesrat Christoph Blocher nahm heute am 9. Gewerbekongress des Kantonalen Gewerbeverbandes Zürich teil. In seinem Referat sprach der Justizminister über das Bundeshaushaltsdefizit, den Anstieg von über 25 Milliarden Franken Schulden seit dem Volks-Ja zur Schuldenbremse und nahm Stellung zu der ihm vorgeworfenen „Sparwut“. Es gilt das gesprochene Wort Es gilt sowohl das schriftliche wie das gesprochene Wort. Der Referent behält sich vor, allenfalls auch stark vom Manuskript abzuweichen. «Der Weg ist das Ziel» Sie kennen sicher alle den Satz „Der Weg ist das Ziel“. Es wird einem dabei ganz wolhig zumute. Darum hört man ihn auch so oft. Wer immer diesen Gedanken einbringt, erntet zustimmendes Gemurmel. Der „Weg ist das Ziel“ meint: Nicht auf das Erreichen des Ziels kommt es an. Wir sollten es schön miteinander haben. Der „Weg ist das Ziel“ meint: Wir sollten mehr Wert auf die Zusammenarbeit legen und einen angenehmen Umgangston pflegen und nicht alles an der Zielerreichung messen. Der „Weg ist das Ziel“ meint, es ist nicht so wichtig, wohin wir gehen; vielleicht weiss man nicht einmal, ob der Weg überhaupt an ein Ziel führt. Hauptsache, man ist unterwegs und hat es gut miteinander. Unter uns gesagt: Es handelt sich genau besehen um einen der dümmsten Sätze. Vielleicht gilt die Devise für den Sonntagsspaziergang mit der Familie. Aber auch dort nur bedingt und wenn, dann für die Eltern. Die Kinder wissen meist genau, wohin sie wollen – Richtung Ausflugsrestaurant. Mein Verständnis von erfolgreicher Arbeit ist ein anderes: Auf die Zielerreichung, den Erfolg, die Auftragserfüllung allein kommt es an. Nicht die persönliche Befindlichkeit ist in den Mittelpunkt zu stellen. Sonst scheitert man unweigerlich, sobald ein Entscheid unangenehm ist oder Zumutungen mit sich bringt. Führen heisst, im Interesse der Sache Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Tut das der oberste Chef nicht, so tun es seine Mitarbeiter noch viel weniger und damit bleibt das ganze Unternehmen auf der Strecke. Oder jede andere Einrichtung, die Resultate erbringen sollte. Was nützt mir der schönste Weg, wenn das Resultat nicht stimmt? Angenommen ein Schreiner montiert Ihnen eine Türe, dann erwarten Sie doch auch, dass diese Türe einwandfrei gefertigt wurde und sich anstandslos öffnen und schliessen lässt. Kein Handwerker wird Ihnen vorschwärmen können, wie toll das Arbeitsklima in seinem Betrieb gewesen wäre und wie integrativ die Zusammenarbeit, um so allfällige Mängel wegzuschwatzen. Sie werden mit Recht darauf bestehen, dass das Ergebnis stimmen muss. Der Prozess ist zweitrangig. Denn der Weg ist nur ein Bestandteil des Ergebnisses, aber nie das Ergebnis selber. Sie alle haben zumindest geschmunzelt über das Beispiel mit dem Schreiner und der Türe. Im Gewerbe, in der Industrie, im freien Markt weiss jeder, dass die Resultate zählen. Und wer es nicht weiss, dem wird dieses Prinzip durch den Markt, das heisst durch die Konsumenten und Kunden unsanft beigebracht. Leider feiert «Der Weg ist das Ziel» in anderen Bereichen regelrechte Triumphe. Unsere Schulen wurden jahrelang nach diesem Grundsatz geführt. Mit dem Ergebnis, dass Schulabgänger Mühe haben, überhaupt einen deutschen Text zu verstehen. Dabei gehörten solche Grundfertigkeiten zu den selbstverständlichen und auch verbindlichen Zielen im Bildungswesen. Über Rechtschreibung und mathematische Fähigkeiten wollen wir hier gar nicht reden. Eine Pädagogik – und ich rede jetzt nicht nur von Schulen, sondern auch vom Elternhaus -, die nur über den Weg palavert, von Atmosphäre und Wohlfühlen, betrügt die Kinder um andere, ebenso wichtige Eigenschaften: Durchhaltewillen, Verantwortungsbewusstsein, Leistungsbereitschaft, Zielorientierung. Primäres Ziel: Haushaltssanierung Und wie steht es in der Politik? „Die Schweiz muss ihre Stärken pflegen und ihre Schwächen beheben, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können… Zu behebende Schwächen: der Bundeshaushalt ist dauerhaft auszugleichen.“ So steht es in der Legislaturplanung des Bundesrates. Immer nach den nationalen Parlamentswahlen verabschiedet der Gesamtbundesrat ein Papier, das die wichtigsten Ziele für die kommenden vier Jahre benennt. 2003 entschied sich der Bundesrat dafür, die Sanierung der öffentlichen Finanzen an oberste Stelle zu setzen. Kein einfacher Job. Aber ein klares Ziel. Über den Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist freilich zu diskutieren. Man hat den besten Weg zu wählen. Aber nicht, weil er das Ziel ist, sondern, weil er zum Ziel führt. Jeder Weg muss zumindest eines garantieren – das Erreichen der gesetzten Ziele. Die Sanierung der Haushalte ist allerdings ein altes Postulat. Schon bei seinem Amtsantritt als Finanzminister hielt Kaspar Villiger 1996 die gleichen Ziele fest. Ich zitiere wörtlich: - „Das Haushaltsdefizit ist innerhalb von wenigen Jahren zu beseitigen.“ (Das war 1996!) - „Steuer- und Abgabenquoten müssen im internationalen Vergleich tief bleiben.“ (Das war 1996!) - „Jede kleine Sparmöglichkeit muss energisch genützt werden.“ (Auch dieses Ziel datiert aus dem Jahre 1996!) Neun Jahre später können wir bilanzieren: Keines der Ziele wurde auch nur annähernd erreicht. Die Haushaltsdefizite sind nach wie vor traurige Realität. Seit 1996 sind sogar 40 Milliarden Franken Schulden dazugekommen. Zu den Steuer- und Abgabenquoten: In keinem westlichen Industrieland sind von 1990 bis 2002 die Steuern so stark gewachsen wie in der Schweiz. Dazu kommen all die verstecken Abgaben, die ungebremst ansteigen. Ich erinnere an die Krankenkassenprämien oder den ganzen Gebührendschungel von Bund, Kantonen und Gemeinden. Kommen wir zu Villigers dritter Forderung: „Jede kleine Sparmöglichkeit muss energisch genützt werden.“ Ich spüre nichts davon. Die Politik verwendet ihre Energie vor allem darauf, an möglichst viele Geldquellen zu kommen. Leider mit Erfolg. Das war schon vor 1996 so. Und danach nicht anders. Auch seit 2003 sieht die Sache leider nicht besser aus. Das Legislaturziel 2003/07 sollte bezüglich des Bundeshaushaltes eine Wegmarke setzen. In diesem Sommer wurde nun das Finanzdepartement beauftragt, die Staatsausgaben zu „überdenken“, um diese bis zu 20 Prozent zu reduzieren. Ich muss sie nicht daran erinnern, dass darauf selbst Regierungsmitglieder an die Öffentlichkeit traten, um die allgemeine „Sparwut“ zu beklagen. Noch bevor irgendwo ein Franken effektiv eingespart wurde! Es wird schon über rein hypothetische Folgen präventiv gejammert. Wer nur den Weg sieht, der beschwerlich sein kann und manchmal beschwerlich sein muss, bringt natürlich die Kraft nicht auf, an ein Ziel zu gelangen. Wer grundsätzlich jede Verantwortung verweigert, wird sich auch jedem verbindlichen Ziel verweigern. Wer die eigene Wehleidigkeit zum Massstab nimmt – was eine Spezialität der 68er zu sein scheint – wird nichts erreichen… ausser ein paar persönliche Vorteile. Weil auch die Politiker um ihre eigenen Schwächen wissen, schuf man die Schuldenbremse, um gewissermassen eine gesetzliche Verpflichtung zur Sanierung des Haushaltes herbeizuführen. Im Jahr 2001 haben schliesslich Volk und Stände mit 84,7 Prozent dieser Vorlage zugestimmt und damit die Politik auf ein klares Ziel hin verpflichtet: Keine neuen Schulden. Wollen Sie wissen, wie viele Milliarden allein der Bund seit diesem denkwürdigen Urnengang angehäuft hat? Sie wollen es lieber nicht wissen, aber ich sage es Ihnen trotzdem: Die Schulden werden 2006 132,6 Milliarden Franken betragen. Weitere Defizite sind schon budgetiert. Damit haben wir seit dem Ja zur Schuldenbremse einen Anstieg von über 25 Milliarden Franken Schulden zu verzeichnen – was umgerechnet rund 5 Milliarden Franken zusätzliche Schulden jährlich ergeben. 5 Milliarden pro Jahr. Trotz Schuldenbremse. So sehen die Ergebnisse aus. Trotz Verfassungsauftrag. Trotz klarer Ziele. Allerdings hat schon wenige Monate nach dem Ja zur Schuldenbremse die damalige Präsidentin der SP, Christiane Brunner, öffentlich erklärt: „Ich bin überzeugt, dass der Bundesrat nochmals über die Bücher muss. Er muss die Einführung der Schuldenbremse verschieben und darf nicht gleich in eine Sparhysterie verfallen.“ (Tages-Anzeiger, 19.2. 2002) In „Sparhysterie verfallen“... offenbar hat sich der Bundesrat an Christiane Brunners Ratschläge gehalten. Und auch das Parlament: Schon die Schlagzeilen der Budgetdebatte aus dem Jahr 2001 sprechen Bände: Die Berner Zeitung titelte „Nationalrat von Sparkurs abgewichen“. Die Aargauer Zeitung berichtete: „SVP-Kürzungswünsche gebodigt“. Die Neue Zürcher Zeitung konstatierte: „Budgetdebatte jenseits der Schuldenbremse – Begehrlichkeiten zuhauf“. Finanzreferendum? Das Ziel ist das Ziel. Warum sich auch die Politik an ihren Ergebnissen messen lassen sollte. 25 Milliarden Franken neue Schulden seit 2001. Und ein Ausgabenwachstum, das weit über dem realen Wirtschaftswachstum inklusive Teuerung liegt. In den nächsten vier Jahren nehmen die Ausgaben in der ordentlichen Rechnung um 14,5 Prozent zu. Das sind durchschnittlich 3,4 Prozent im Jahr. Können Sie sich noch erinnern, wann die Schweizer Wirtschaft letztmals um 3,4 Prozent gewachsen ist? Die Schuldenbremse war der erste Versuch der Politik, sich selbst zu überlisten. Ein anderer Versuch wurde diesen Sommer wieder einmal ins Gespräch gebracht: Die Einführung eines Finanzreferendums. Eine gute Idee – aber nicht ganz neu. Mit dem Finanzreferendum sollte eine verfassungsrechtliche Möglichkeit geschaffen werden, Budgetposten über das Referendum zu bekämpfen. Jede Ausgabe, die einen bestimmten Betrag überschreitet (zum Beispiel 10 Millionen Franken) könnte mit Hilfe der direkten Demokratie hinterfragt und eventuell erfolgreich verhindert werden. Schon formierte sich der Widerstand. Der Präsident der nationalrätlichen Finanzkommission und CVP-Nationalrat, Felix Walker, ist nach eigenen Worten „kein Fan des Finanzreferendums“: „Das Parlament wird vom Volk gewählt und hat den Auftrag, für ein ausgewogenes Budget zu sorgen.“ Mit dem Finanzreferendum werde der Entscheid an das Volk delegiert, das Parlament flüchte sich also aus der Verantwortung. Na bitte: Besser man delegiert die Verantwortung, als dass man sie laufend nicht wahrnimmt. Das Parlament hat es schliesslich trotz Verfassungsauftrag, trotz Schuldenbremse nicht geschafft, für einen ausgeglichenen Haushalt zu sorgen. Die CVP-Präsidentin fürchtet sogar, mit einem Finanzreferendum könnte das Parlament geschwächt werden. Nicht geschwächt, nur bevormundet… durch den Souverän. Wobei allein schon ein drohendes Referendum in der Politik Wunder wirken kann. Das weiss jeder, der die innere Mechanik des schweizerischen Systems kennt. Dass die SP am Vehementesten gegen das Finanzreferendum wettert, braucht uns nicht weiter zu wundern. Ihr ganzes Programm läuft ja darauf hinaus, Steuergelder, also das hart erarbeitete Geld der anderen auszugeben, umzuverteilen, in die eigenen Gärtchen zu leiten. Aber sind es wirklich nur die Linken? Diese verfügen ja nicht über die Mehrheit. Nein, an der Zielverfehlung sind auch viele bürgerliche Politiker, die Mitteparteien, und die meisten Wirtschaftsverbände (dazu gehört in den letzten zwanzig Jahren leider auch der Gewerbeverband) mitschuldig! Kosten senken – Leistung steigern Sie haben sich eine Gegenüberstellung von Verwaltung und Unternehmen gewünscht. Im Unterschied zu vielen anderen Politikern sehe ich eine Verwaltung gar nicht als Gegensatz zu einem Unternehmen. Es braucht an beiden Orten eine deutliche Führungsstruktur, die klare Ziele erreicht durch Effizienz und ausgeprägtes Kostenbewusstsein. Führungsstruktur Was die Führungsstruktur betrifft: Den Kurs gibt die Politik vor – die Verwaltung setzt um. Oder um es noch einfacher zu sagen: Die Politik führt – die Verwaltung führt aus. Das heisst: So sollte es sein. Eine Aufgabenteilung, die nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist. Gelegentlich muss man gegen die Eigenmächtigkeit der Verwaltung antreten. Oft politisiert sie auch lieber, als dass sie umsetzt. Und genauso oft muss man sich selber vor der Versuchung schützen, sich ganz in die umsorgenden Händen der Verwaltung zu begeben. Kostenbewusstsein Zum Kostenbewusstsein: Dieses ist in der Bundesverwaltung erschreckend mangelhaft ausgeprägt. Weder besteht eine Kostenrechnung, noch weiss man, welche Leistung im Staat wie viel kostet. Was für einen Gewerbetreibenden wie Sie alles Selbstverständlichkeiten wären. Sie finden Standardantworten bis in die obersten Etagen hinauf, die zum Beispiel so lauten: „Im Bund muss man weder mit Abschreibungen noch Zinsen rechnen. Und auch die Personalkosten muss man nicht rechnen, denn die Leute sind ja sowieso da!“ Gezielte Kostensenkungen können auf dieser Basis gar nicht durchgeführt werden. Ich spreche von Kostensenkungen, die keinen Leistungsabbau bringen. In der laufenden Verwaltungsreform sollen darum die Kostenrechnung und die Kostenbewirtschaftung rasch verwirklicht werden. Die Schaffung eines Kostenbewusstseins ist überlebenswichtig für die Schweiz, damit wir überhaupt eine vernünftige Grundlage bekommen, um auch beim Staat wirtschaftlich arbeiten zu können. Angenehm wird diese Aufgabe nicht sein. Ich hoffe nicht, dass man am Schluss mit Zufriedenheit lediglich feststellt: „Der Weg war das Ziel“! und nichts erreicht hat. In meinem Departement habe ich eine kleine Reorganisation der zentralen Dienste eingeleitet und in diesem Sommer zum Abschluss gebracht. Diese Reorganisation ist intern umgesetzt worden. Dabei wurden die Bereiche Information, Informatik, Finanzen, Personal, Betriebe und Logistik und das Sekretariat durchleuchtet. Es ist eine normale Entwicklung, dass jede Abteilung (in der Verwaltung: jedes Amt) ihr eigenes kleines Reich schafft. Das ergibt eine Menge Doppelspurigkeiten. In einer ersten Phase wurde für jeden Mitarbeiter – ich betone, für jede der insgesamt 585 Vollzeitstellen – sein Aufgabenbereich definiert und durch einen Wertanalytiker bestimmt, wie viele Tage Arbeit jede Aufgabe im Jahr beansprucht. Die Daten wurde ausgewertet und entsprechende Gespräche geführt. In einer zweiten Phase fragten wir uns, wo mehr Effizienz möglich ist, wo Reduktionen angebracht sind und wo noch andere Verantwortungsbereiche zugewiesen werden können. Wir haben festgestellt, dass unsere Zentralen Dienste die gleiche Leistung mit 116 Stellen weniger erfüllen können. Also mit rund 20 Prozent weniger Personal. Wie gesagt, die Reorganisation ist abgeschlossen. Natürlich haben wir nicht einfach 116 Personen auf die Strasse gesetzt. Vakante Stellen wurden nicht ersetzt, befristete Anstellungen nicht erneuert, Pensen reduziert, Pensionierungen vorgenommen. Den restlichen Mitarbeitenden stehen sechs Monate Zeit zur Verfügung, in Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und dem Personaldienst für eine neue Beschäftigung zu suchen. Danach besteht allerdings die Möglichkeit zur Kündigung. Das Ziel ist das Ziel Das Ziel ist das Ziel. Unser erklärtes Ziel ist mehr Effizienz in der Verwaltung und damit weniger Kosten für die Allgemeinheit. Die Aufgabenverzichtplanung des Bundesrates sah für das EJPD Einsparungen in der Höhe von 19 Millionen Franken vor – erreicht wurden 28 Millionen. Das Budget 2004 sah für den Gesamtbereich Justizdepartement Ausgaben in der Höhe von 1493 Millionen vor – wir schlossen mit 1422 Millionen ab. 70 Millionen darunter. In diesem Jahr ist eine Budgetunterschreitung von ca. 120 Millionen Franken vorgesehen. Und wir sind auf guten Wegen. Bis ins Jahr 2008 sollen die Ausgaben von heute 1490 auf 1150 Millionen gesenkt werden. Das Ziel ist gesetzt. Der Weg ist nicht leicht. Aber er ist auch nicht das Ziel. Damit wären die Ausgaben dann um 23 Prozent tiefer. Und dies ohne, dass nur eine einzige Aufgabe gestrichen worden wäre. Auf die ganze Bundesverwaltung übertragen, könnten Kostensenkungen in der Höhe von 14 Milliarden erreicht werden. Steuersenkungen im grossen Stil wären angesagt. Das Ziel ist gesetzt.

08.10.2005

«Ich bin verpflichtet, zu sagen, wie es ist»

Blocher über Rechtsextremismus 08.10.2005, Berner Zeitung (Heinerika Eggermann) Justizminister Christoph Blocher verwahrt sich gegen den Vorwurf, er sei auf dem rechten Auge blind. Und bezichtigt die Medien, insbesondere den «Blick», Aufmärsche von Rechtsextremen zu provozieren. Herr Bundesrat Blocher, wie halten Sie es mit dem Rechtsextremismus? (lacht) Weshalb fragen Sie mich das? Haben Sie das Gefühl, ich hätte etwas mit denen zu tun? Die Frage taucht auf angesichts deren Aufmarsch am Rütli und an der Feier in Brig. Da wird Ihnen von einigen Medien vorgeworfen, Sie hätten geschwiegen. Sie meinen den «Blick». Seit zwei Jahren läuft dessen Kampagne gegen mich, die mich verunglimpft und auch viele Unwahrheiten enthält. Auf dieses Blatt gehe ich nicht ein. Die Frage des Rechtsextremismus ist durchaus ernsthaft. Es gibt in der extremistischen Szene in der Schweiz rassistische Tendenzen und Rassisten, die auch mit den ausländischen Szenen vernetzt sind. Dies seit Jahren. Die Zahl in der Schweiz ist relativ konstant. Es sind zirka 1000 Personen. Sie sagen «konstant»: Auf welchen Zeitraum beziehen Sie das? Seit vier, fünf Jahren haben wir festgestellt, dass die rechtsextreme Szene nicht massgeblich wächst. Und es sind vorwiegend jüngere Leute. Polizeilich gesehen stellt sich nicht die Frage nach deren Gesinnung, sondern ob sie Straftaten begehen. Im Wallis glauben wir, dass sie gegen den Rassismusartikel verstossen haben. Darum sind auch Strafklagen gegen einzelne dieser Leute eingereicht worden. Gewalttätig werden sie vor allem, wenn sie mit Gegenströmungen, insbesondere aus der linksextremen Szene, zusammentreffen. Daher versucht die Polizei, zu verhindern, dass die beiden Gruppierungen in der Schweiz aufeinander treffen. Die linksextreme Szene ist grösser, rund 2000 Personen, sie ist besser organisiert und ebenfalls gewalttätig. Das sah man am 1.August in Winterthur und Luzern, als 'sie Sachbeschädigungen und Körperverletzungen begingen. Aber es ist klar, wir müssen beide Strömungen polizeilich im Griff haben, das heisst erstens, es sind Straftaten zu verhindern, und wir wollen zweitens nicht, dass sie Anlässe durchführen, an denen sie zu Straftaten aufrufen. Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie die Gewalt von rechts verharmlosen, während Sie der Iinken Szene mehr Gewaltbereitschaft und Organisation zuschreiben. Ich bin als Bundesrat verpflichtet, zu sagen, wie es ist. Ich kann nicht das sagen, was man gerne hören würde. Ich stütze mich auf die Berichte der Polizei, insbesondere den Extremismusbericht, der auch in der Parlamentskommission zur Kenntnis genommen wurde. Die Frage ist auch: Wird sich deren extremistisches Gedankengut ausdehnen? Ich denke, dass weder die Rechtsextremen noch die Linksextremen auf Sympathie in der Schweizer Bevölkerung zählen können. Da besteht also keine Ansteckungsgefahr. Die Rechtsextremen findet man abstossend und will mit ihnen nichts zu tun haben, mit den Linksextremen genauso wenig. Es sind Extremisten, die wir gut beobachten müssen, um Straftaten zu verhindern. Handelt es sich dabei um eine einzige gewalttätige Gruppierung? Das sind keine homogenen Gruppen. Die Rechtsextremen sind locker organisiert. Sie verfügen auch nicht über einen eigentlichen Chef oder eine «Regierung». Bei den Linksextremen ist die Organisation besser, aber auch dort gibt es keine einheitliche Gruppe. Seit Wochen wurde im Internet auf das Konzert und Treffen der Rechtsextremen aufmerksam gemacht. Die Walliser Kantonspolizei wurde aber sehr spät informiert. Hat der Inlandnachrichtendienst schlecht recherchiert? Nein, auch wenn der «Blick» das seit Tagen schreibt. Sehr früh war in den Nachrichtenbulletins auf den 17. September aufmerksam gemacht worden. Am 9. September wurden die Kantone informiert, dass der 17. September als Anlass für «Konzerte» gebraucht werden könnte. Wo, war noch nicht bekannt. Sobald der Ort feststand, am Abend vor dem Konzert, wurden die dortigen Behörden informiert. Der genaue Ort wurde erst am 17. bekannt. Die Rechtsextremen reservieren diverse Lokale unter harmlosen Privatnamen und sagen erst im letzten Moment, wo sie sich treffen werden. Heute ist bekannt, wie die Einladungen erfolgen: Sie ziehen die Musikgruppen an einem bestimmten Treffpunkt in der Schweiz zusammen und bestellen sie erst am Auftrittstag in das entsprechende Lokal. Ihre Anhänger laden sie via SMS ebenfalls erst an diesem Tag ein, im letzten Augenblick. Von dem Moment an, wo die Kantonspolizei informiert ist, liegt es in deren Hand, den Anlass allenfalls zu verbieten, zu beobachten oder einzuschreiten, wenn Straftaten begangen werden. Das Wallis liess das Konzert zu - wohl, weil es dachte, es werde nicht randaliert. Aber Straftaten gegen den Rassismusartikel wurden offenbar begangen. In welchem Umfang, muss nun die Justiz klären. Wird dieses Konzert nun als Privatanlass oder als öffentlicher Anlass gewertet? Juristisch sind das heikle Fragen; darüber müssen letztlich die Gerichte entscheiden. Wir sind der Meinung, dass bei so vielen Anwesenden der private Rahmen gesprengt wurde. Gewisse Kantone verbieten solche Anlässe generell, andere warten ab und beobachten. Wie beurteilen Sie diese unterschiedlichen Vorgehensweisen? Das sind Beurteilungen. In der Schweiz müssen Gründe vorliegen, um etwas zu verbieten. Es sind Musikgruppen an der Grenze abgewiesen worden, weil sie extremistisches Material einführen wollten. Jeder Anlass ist besonders zu beurteilen. Oft wird verharmlosend behauptet, die Neonazis seien pubertierende Jugendliche. «Pubertierend» ist zu harmlos ausgedrückt. Aber es stimmt, dass vor allem Jugendliche beteiligt sind. Das zeigt sich auch daran, dass die Szene relativ konstant bleibt: Wenn laufend Junge neu dazukämen, müsste die Gruppe auch zunehmend ältere Mitglieder aufweisen. Das ist aber nicht der Fall. Sie haben auch gesagt, diese jungen suchten Aufmerksamkeit. Wie können die Gesellschaft und die Politikerinnen und Politiker diese Entwicklung verhindern? Sie wollen Aufmerksamkeit, und wenn sie diese erhalten, wird es für sie erst interessant. Der «Blick» ist zweifellos mitschuldig am Rütli-Aufmarsch der Rechtsextremen. Während Wochen war zu lesen: Die kommen am 1. August aufs Rütli. So wurde es natürlich für die Rechtsextremen interessant, dahin zu gehen. Sie wurden direkt eingeladen. Versetzen Sie sich einmal in junge Menschen, die in Opposition sind zu der herrschenden Gesellschaft: Da gibt es doch nichts Schöneres als mediale Aufmerksamkeit. Ich war eine Woche vor dem 1. August auf dem Rütli. Da vergass der «Blick» seinen Aufruf — an diesem Anlass waren praktisch keine Rechtsextremen. Das Gleiche ist vom 1. Mai für die Linksextremen zu sagen. Was ist Ihr Vorschlag, damit es künftig nicht mehr zu solchen Aufmärschen kommt? Die Medien müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie den Rechtsextremen nicht auf diese Art und Weise Aufmerksamkeit schenken sollten. Und die Gesellschaft als Ganzes muss den Jugendlichen beibringen, worin der Unsinn und die Grausamkeit jener Theorien liegen, die die Extremisten vertreten. Eine allzu grosse Dämonisierung hilft sicher nicht weiter; denn für solche Jugendliche liegt darin der eigentliche Reiz. Wichtig ist auch, dass Straftaten geahndet werden.