Testi

 

08.03.2007

Schweizer sind keine Dorftrottel

«Heute feiert die SVP des Bezirks Meilen ihren 50. Geburtstag. Der Herrliberger Bundesrat Christoph Blocher im Gespräch über seinen Werdegang und die Probleme am rechten Ufer.» 08.03.2007, Tages-Anzeiger, Raphael Briner Warum sind Sie in den Bezirk Meilen gezogen? Rein zufällig. Meine Frau war Lehrerin in Weinfelden. Sie füllte den Brotkorb für die Studentenehe. Dann war mein Arbeitsort Zürich. Vor der Geburt unseres ersten Kindes suchten wir etwas in der Nähe und fanden 1969 im vierten Stock eines Neubaus in Feldmeilen eine Blockwohnung. Vor zehn Jahren sind Sie von Meilen nach Herrliberg gezogen. Fühlen Sie sich heute als Herrliberger? Ja, auch wenn die örtliche Bindung nicht mehr ganz gleich ist wie in Meilen, wo unsere Kinder zur Schule gingen und meine Frau, die als Lehrerin in Feldmeilen manchmal aushalf, viel mehr Bekannte hatte. Wir kennen aber viele Leute in Herrliberg, die wir schon vorher gekannt hatten, auch viele aus der Partei. Heute ist es uns wohl in Herrliberg. Im Kulturkreis Herrliberg sind Sie Mitglied, man sieht Sie und Ihre Frau immer wieder an Vogtei-Anlässen. Sind Sie sonst noch irgendwo dabei? Kittenmühle-Aktionär? Sponsor des Fussball-Kunstrasens? Es gibt viele Vereine, die ich bei besonderen Anlässen unterstützt habe, und jawohl, Kittenmühle-Aktionär bin ich auch. Das ist eine Aktienbeteiligung, die mir als Bundesrat noch erlaubt ist! Ich bin aber auch Aktionär des Restaurants Vorderer Pfannenstiel in Meilen. Ich behandle die Konkurrenten also gleich. Bis vor zehn Jahren waren die Leute beeindruckt: Der Ems-Chemie-Multimillionär Blocher wohnt an der Rainstrasse in Meilen in einem bescheidenen Einfamilienhaus. Kein Vergleich zu Ihrer Festung auf dem Herrliberger Olymp. Wir bauten dieses Haus in Meilen für die Familie. Dort wohnt jetzt unsere Tochter mit ihrer Familie. Sie leitet heute die Ems Chemie. Wir zogen nicht nur nach Herrliberg, um da zu wohnen, sondern verlegten auch den Sitz der Ems dorthin. Das Gebäude in Herrliberg, von dem man nicht recht weiss, ob es jetzt eine Kirche oder ein Spital ist, das ist nicht unser Wohnhaus, sondern der Sitz der Ems Chemie Holding AG mit Büros. Sie sind als junger Jurist an die Goldküste gekommen und dann wirtschaftlich und politisch rasch aufgestiegen. Wie sind Sie hier aufgenommen worden an der Goldküste, in der guten Gesellschaft mit Familien wie Wille und Gut? Bereits an einem der ersten Abende - kaum hatten wir gezügelt - bin ich in die Politik hineingezogen worden. Wir gingen ans 1.-August-Feuer in Feldmeilen. Die Meilemer klagten mir ihre Not mit dem Zonenplan und der Ansiedlung der Alusuisse. Ich sagte: Das könnt Ihr ja nicht zulassen. Sie fragten mich, ob ich in einem Komitee mitmachen würde, das das Projekt verhindert, und ich stellte mich spontan zur Verfügung und habe die ganze Opposition mit angeführt, mit Leuten wie Florian Niggli und andern, alteingesessenen Feldnern. Und die Alteingesessenen nahmen die Einmischung hin? Ich wurde natürlich am Anfang sehr angefeindet. Damals war LdU­-Nationalrat Theodor Kloter Gemeindepräsident. Die Gemeindeversammlung fand in zwei Turnhallen statt. In der einen war er, in die andere wurden die Reden übertragen. Als ich zum zweiten Mal ans Rednerpult schritt, sagte Kloter - in der Meinung, das Mikrophon sei abgestellt - zu seinem Nachbarn am Präsidententisch: "Jetzt chunnt dä dumm Siech scho wider!", was dann über Lautsprecher in den andern Saal getragen wurde. Das mit der Alusuisse war eine harte Auseinandersetzung, da haben sich Leute zum Teil nicht mehr gegrüsst. Heute erinnert sich aber kaum noch jemand daran. Mit der Familie Wille bin ich befreundet! Mit Ihrem Status würde man Sie in der Haute volée der Goldküste ansiedeln: Unternehmer, reich, Bundesrat. Verkehren Sie heute mit Herrlibergern wie Nikolaus Senn, Hans Imhof, Jürg Marquard? Ich hatte noch nie Berührungsängste. Aber ich habe mich nie in einen Filz einbinden lassen. Nikolaus Senn kenne ich natürlich, der war ja Präsident der Schweizerischen Bankgesellschaft, als ich im Verwaltungsrat war. Er musste mich rauswerfen, weil ich gegen den EU-Beitritt war (lacht). Das waren harte Auseinandersetzungen, aber ich habe mit ihm immer noch ein gutes Verhältnis. Er wohnt ja gleich unterhalb von mir. Wo verkehren Sie denn? Handwerker, Kaminfeger, Bauern, Unternehmer, Hausfrauen, Lehrlinge - was Sie wollen. Ich habe immer in der breiten Bevölkerung verkehrt und habe auch Freude daran. Da mache ich keinen Unterschied. Ausnahme: Bei den Heuchlern und süssen Frommen, da bin ich immer ein bisschen vorsichtig. Das hat mir mein Vater, der Pfarrer war, beigebracht. Als Sie im Dezember 2003 in den Bundesrat gewählt worden waren, patrouillierte hinter Ihrem Haus die Polizei. Sie haben eine 2,2 Meter hohe Mauer um Ihre Festung herum gebaut. Ist Ihnen in Herrliberg jemals jemand zu nahe gekommen? Nein. Ein Bundesrat steht unter Polizeischutz, ob nötig oder nicht. Es gibt immer Situationen, wo es nötig ist. Doch über die eigene Sicherheit spricht man nicht. Zur Umfassungsmauer, die Sie läppischerweise als Festung bezeichnen: Ich habe ja Freude an den Menschen, aber wir möchten auch ab und zu allein sein. Sie sind die ganze Woche in Bern in einer Stadtwohnung und kommen kaum noch dazu, Ihr Herrliberger Heimetli zu geniessen. Das ist der Preis, den Sie zahlen, wenn Sie Bundesrat werden. Ich hatte grosse Freude, dass wir endlich in Herrliberg wohnten und ich zu Fuss den grossen Garten hinunter ins Büro gehen konnte und nicht mehr wie früher übers Bellevue in die Zürcher Selnau fahren musste. Und kaum habe ich drei Jahre lang dieses Glück gehabt, wohne ich in Herrliberg und arbeite in Bern. So ist das Leben! Wo versteuern Sie jetzt eigentlich Ihre gut 400'000 Franken Einkommen? Im Juli hiess es, Bundesräte müssten neu als Wochenaufenthalter 30 Prozent in der Bundesstadt versteuern. Bis jetzt habe ich alles im Kanton Zürich versteuert. Mal sehen, ob das geändert wird. Ich will keine Steuerregelung, die nicht auch für alle anderen gilt. Aber es geht lediglich um das Salär als Bundesrat, nicht um die Vermögenserträge und das Vermögen. Es war mal Gesprächsstoff in der Nachbarschaft, dass Sie sich -­ vielleicht nicht so oft wie damals Ruth Metzler ­- mit dem Bundeshelikopter hinter Ihrem Haus absetzen lassen könnten. Kommt das vor? Sehr selten. Wenn ich zum Beispiel am gleichen Tag nach Chur und dann nach Genf und nach Basel muss, dann bringt der Heli etwas. Von Bern nach Herrliberg ­- das lohnt sich nicht. Wenn ich in Herrliberg lande, dann auf dem Bauernhof der benachbarten Familie Stalder. Das Schöne ist: Die Familie hat Freude daran, besonders die Kinder. Manchmal sieht man Sie und Ihre Frau gegen Wetzwil hin spazieren am Sonntagmorgen. Früher waren Sie bekannt fürs frühmorgendliche Joggen. Tun Sie das noch, jetzt einfach "der Aare nah" statt über den Erich-Schärer-Weg? Nein, in Bern mach ich das nicht. Ich müsste einen Sicherheitsbeamten mitnehmen. Das ist mir zu kompliziert. Aber wenn ich zu Hause bin, bin ich gerne frühmorgens draussen. Die Sommerzeit hat aber Nachteile. Wenn es endlich hell wäre am Morgen, kommt wieder die Zeitverschiebung. Waren Sie damals dagegen? Da waren Sie ja schon nicht mehr Bauer. Ja, wir haben ja das Referendum ergriffen. Die Sommerzeit wurde beim ersten Mal abgelehnt, nach einem Jahr wurde sie dann trotzdem eingeführt. Wenn alle rundherum die Sommerzeit einführen, ist die Schweiz zu klein für eine eigene Zeitzone. Es ist vielleicht nicht wahrscheinlich, aber möglich, dass das Parlament Sie im Dezember bei den Bundesratswahlen in Pension schickt. Was machen Sie dann? Imkern in Wetzwil? Endlich mal nichts! Doch damit befasse ich mich gar nicht. Ich stelle mich wieder zur Verfügung ­- gegen starke rot-grüne Kräfte natürlich. Wenn ich nicht mehr gewählt werden sollte, hat die Partei auch schon entschieden: Dann gehen wir in die Opposition, und da werde ich nicht darum herumkommen, auch wieder eine Rolle zu übernehmen. Noch eine letzte Frage: Was machen Sie am 4. Oktober? Hoppla . . . (überlegt) Ich weiss es nicht, aber am 4. Oktober ist unser 40. Hochzeitstag. Ja, wir wollten nur sicher sein, dass Sie ihn nicht vergessen. Ich musste zuerst überlegen: "Da isch öppis Cheibs", aber ich habe zuerst nicht mehr gewusst, was. Heute beschäftigen Handyantennen, die Zubetonierung der Goldküste, Schulstreit und Südanflüge die Leute am See. Welche Themen waren neben der Alusuisse aktuell, als Sie in die Politik einstiegen? Grosse Themen waren die geplante Höhenstrasse dem Pfannenstiel entlang und der Seeuferweg. Zudem die drohende Überbevölkerung. Die Schweiz werde 10 Millionen Einwohner haben. Man solle weniger Kinder haben, hiess es. 20 Jahre später hat man gesagt, es gebe zu wenig Kinder. Jede Hochkonjunktur zimmerte eine eigene Weltuntergangskatastrophe! Welche weiteren Probleme gab es? Später waren das Waldsterben und das Ozonloch ein Thema, heute ist es der Klimawandel. Der Bezirk Meilen ist eben eine wohlhabende Region, da sprechen die Leute gerne auf Untergangsszenarien an. Neben der SVP hat sich auch die FDP um Ihre Mitgliedschaft bemüht. Weshalb haben Sie sich für die SVP entschieden und nicht für die damals dominante FDP? Die Freisinnigen wären in Frage gekommen vom Gedankengut her. Ich habe übrigens beim grossen Zugunglück in Feldmeilen 1971 den FDP-Ortsparteiprädidenten tot aus dem Zug geborgen. Wenige Tage zuvor hatte er mich um eine Parteimitgliedschaft gefragt! Die Leute von der SVP haben mir damals persönlich am Besten gefallen, das waren Handwerker und Bauern. Jetzt sind Sie in der grossen nationalen Politik. Beschäftigen Sie sich noch mit dem politischen Geschehen im Bezirk? Nur über meine Frau. Sie liest fleissig die Zeitungen und nimmt teil am Gemeindeleben. Allerdings beschäftige ich mich natürlich auf Bundesebene mit den Südanflügen. Ich habe ja zuhause in Herrliberg ab 6 Uhr Anschauungsunterricht dazu. Glauben Sie, dass die Schweiz in Sachen Südanflüge noch etwas ausrichten kann? Ja, da kann man schon etwas machen längerfristig. Wir müssen klar auf den gekröpften Nordanflug setzen. Wir haben den Eindruck, dass sich die Leute im Bezirk Meilen am meisten über die grosse Bautätigkeit aufregen. Sie haben zum Planungsrecht dissertiert. Haben Sie ein Rezept? Rund um mein altes Haus in Feldmeilen ist unterdessen auch alles verbaut. Meine Tochter lebt trotzdem noch dort. Das geht schon. Ich habe in Herrliberg aber so viel Land gekauft, dass man nicht vor meine Nase bauen kann. Nicht alle haben Ihre Möglichkeiten. Nochmals: Wie soll sich der Bezirk baulich entwickeln? Das rechte Seeufer ist natürlich eine sehr bevorzugte Wohnlage, darum ist es stark bebaut. Die Art des Bauens ist aber leider eine Folge des Zürcher Bau- und Planungsgesetztes. Ich habe dieses Mitte der Siebzigerjahre bekämpft und dabei die erste politische Niederlage erlitten. Ich wollte ein lockereres Gesetz und habe prophezeit, dass es zu einer Schemabauweise kommen werde, in der jeder verdichtete Bauten vor die Nase des anderen stellt. Sie können das Unbehagen der Leute also verstehen? Ja. Man muss aber auch sehen, dass früher die Devise war, man müsse die Leute zum Bauen zwingen, dazu, dass sie die Böden ausnützen. Es hat alles Vor- und Nachteile. Und jetzt herrscht Hochkonjunktur. Wenn mal wieder eine Rezession kommt, suchen alle nach Aufträgen in der Industrie und im Bauwesen. Was hat sich in der SVP-Bezirkspartei seit Ihrer Präsidentschaft verändert? Es ist die gleiche Veränderung, der das ganze rechte Seeufer unterworfen gewesen ist: Die Partei ist städtischer geworden. Wir haben heute viel mehr Leute aus dem Banken- und dem Dienstleistungssektor. Damals war der Bezirk - mit Ausnahme von Zollikon und Küsnacht - ländlich, so wie wir es heute noch in Hombrechtikon sehen. Und politisch? Als ich nach Meilen kam, war der Bezirk freisinnig. In den letzten Nationalratswahlen von 2003 war dann die SVP erstmals stärkste Partei. Das zeigt die Entwicklung, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren begonnen hat. Inwiefern? Wir wurden zur gesamtschweizerischen SVP, welche nicht nur bäuerliche und gewerbliche Kreise ansprach, sondern die ganze Bevölkerung. Damals wohnten neben mir weitere führende Exponenten am See wie der Stäfner Rudolf Reichling oder Walter Frey aus Küsnacht. Aus der Bezirkspartei kamen daher entscheidende Impulse für die SVP Schweiz. Die Zürcher SVP hat aber einen Regierungsratssitz verloren und zaubert eher profillose Leute aus dem Hut wie Ex-Parteipräsident Good, dessen Nachfolger Frei und den Ständeratskandidaten Geiger. Haben Sie ein Vakuum hinterlassen? An wem messen Sie diese Leute? An Ihnen. Ja eben. An jemandem, der 26 Jahre die Partei geführt hat, 24 Jahre Nationalrat war. Messen Sie sie doch an den Leuten der anderen Parteien. Die genannten profilierte, sehr gute Leute. Spontan kommt mir jetzt nicht gerade ein Präsident einer anderen Kantonalpartei in den Sinn. Sie haben im Prinzip versagt, weil Sie keine Nachfolge aufgebaut haben. Das ist Ihre Sichtweise. Aber die SVP des Kantons Zürich hat hervorragende Leute: Rita Fuhrer, Hans Hofmann, Ueli Maurer, Christoph Mörgeli, Walter Frey, und, und... Auch Hans Geiger halte ich für einen exzellenten Kandidaten. Früher hat der "Tages-Anzeiger" geschrieben, die Partei habe nur Blocher an der Spitze. Der sei wie eine Wettertanne, die alles überdacht. Und jetzt, da der von Ihrer Zeitung vielfach Verschnödete weg ist, müssen Sie die andern schlecht machen! Haben Sie bei der Ständeratskandidatur Geiger Ihren Einfluss geltend gemacht? Ich bin nur noch pro Forma im Vorstand der Kantonal- und der Bezirkspartei. Aber natürlich besprechen sich Parteifreunde. Ich kann Hans Geiger nur empfehlen! Zum Schluss eine ganz persönliche Frage, die aber auch eine politische ist: Sie gelten als Chefverteidiger der Schweizer Werte. Gleichzeitig sind Sie unschweizerisch in dem Sinn, dass Sie herausragen. Ist das nicht ein unauflöslicher Widerspruch, der Sie einsam macht? Das mit der Einsamkeit hat etwas. Das ist immer so in solchen Funktionen. Aber schweizerisch sein heisst nicht, dass man ein Dorftrottel ist. Das Schweizerische als Ganzes, weil es demokratisch und für Gleichberechtigung ist, hat jedoch immer etwas Durchschnittliches. Das ganz Besondere setzt sich nicht durch, aber das ganz Schlimme auch nicht. Das ist der Vorteil. Aber, und das ist das Wesentliche: Die Schweiz hatte immer "herausragende" Leute! Und auf diese wurde gehört. Sie haben das aber nicht getan zum persönlichen Vorteil, sondern um dem Gesamten zu nützen. Einmal ist ein amerikanischer Senator in die Schweiz gekommen. Er hat mich getroffen und gesagt, alle würden von mir reden. "Warum denn das? Sie sind ja gar nichts, nicht Bundesrat und nicht Parteipräsident", fragte er. "Sehen Sie", sagte ich ihm, "das ist eben die Schweiz! Es kommt nicht darauf an, welches Amt jemand hat, sondern ob er als Persönlichkeit etwas zu sagen hat." In diesem Sinne bin ich eine typisch schweizerische Person.

08.03.2007

Liberal-konservativ aus Überzeugung

Festrede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des Jubiläums 50 Jahre SVP Bezirk Meilen, 8. März 2007, in Herrliberg 08.03.2007, Herrliberg Herrliberg. Anlässlich ihrer Jubiläumsfeier sprach Bundesrat Christoph Blocher über Gründung und Entwicklung der SVP-Bezirkspartei Meilen, seinen eigenen politischen Werdegang und die Grundsätze der SVP. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Mit Stolz und Dankbarkeit Wir dürfen heute ein besonders schönes Jubiläum feiern: 50 Jahre SVP-Bezirkspartei Meilen. Ein solches Ereignis bietet immer auch eine Gelegenheit, uns auf die Ursprünge der Partei zu besinnen. Was hat die Gründer damals wohl bewogen, zu den zwei bestehenden bürgerlichen Parteien (Freisinnige und Demokraten) in Zürich eine dritte zu bilden? Worin bestanden denn die Grundsätze unserer Vorgänger? Haben Sie vielleicht andere Ziele verfolgt als wir? Und was können wir schliesslich aus der Vergangenheit lernen für die Zukunft unserer Partei? Damit wir dereinst mit Stolz und Dankbarkeit das hundertjährige Jubiläum feiern dürfen, so wie wir heute mit Stolz und Dankbarkeit diese 50-Jahr-Feier begehen. 2. Konstanz des Denkens Wenn wir uns den Anfängen zuwenden, fällt uns die Konstanz des Denkens auf. Die Zürcher SVP ist bereits im Jahre 1917 aus der Taufe gehoben worden – damals allerdings noch unter dem Namen "Bauernpartei". Es handelte sich bei der neuen Partei um eine Abspaltung vom Freisinn, dessen Politik die mittelständisch-gewerblich und landwirtschaftlich ausgerichtete Bevölkerung mehr und mehr enttäuschte. Im einem der Flugblätter kurz nach der Gründung forderte die Partei einen gesunden Finanzhaushalt des Staates, sie trat der übermässigen Verschwendung von Steuergeldern entgegen, verlangte den Schutz für die wirklich Schwachen, aber eine harte Hand gegen "Nachlässige und Faulenzer", sie strebte eine Politik an, die das Handwerk und Gewerbe fördert und sie hielt ihre schützende Hand über den Bauernstand. Wenn wir diese Postulate lesen, so könnten wir heute, rund 90 Jahre später, mit fast den gleichen Themen in den Wahlkampf steigen. Das zeigt uns, dass wir einerseits auf dem richtigen Weg sind. Andererseits ist es aber auch beelendend zu sehen, wie wir uns immer wieder neu gegen die alten Gelüste und Fehlentwicklungen zu wehren haben. Aber so ist die Politik: Wer aufgibt, verliert. Wer durchhält – man könnte auch sagen, wer stur bleibt – wird gewinnen. Auch die Bezirkspartei Meilen hielt sich an unsere liberal-konservativen Grundwerte. Und sie fand immer wieder Exponenten, die diese Haltung verkörperten und auf allen politischen Ebenen einbrachten. Ich erinnere an einen der markantesten BGB-Politiker, nämlich Dr. h.c. Rudolf Reichling sen. von Stäfa, der zum Nationalratspräsidenten und zum langjährigen Präsidenten des Schweizerischen Bauernverbandes aufstieg. 1959, also bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung, bestritt die Bezirkspartei die ersten Kantons- und Nationalratswahlen mit achtbarem Erfolg. Auch an den jeweiligen Bezirks- und Gemeindewahlen nahm die Partei fortan mit jeweils grossem Einsatz teil. Im Zuge der sechziger Jahre und damit der Hochkonjunktur und regen Bautätigkeit kämpfte die ländlich geprägte BGB gegen Stagnation und Wählerverlust. In der Person von Rudolf Reichling jun. stellte sie aber in den siebziger und achtziger Jahren wieder einen bedeutenden Vertreter auf Kantons- und Bundesebene, der sowohl das kantonale wie das eidgenössische Parlament präsidierte. Auf diesem Fundament konnte die SVP Meilen und die SVP des ganzen Kantons Zürich zur wählerstärksten Partei aufsteigen. Und mit der Jubiläumspräsidentin Theres Weber hat das rechte Zürichseeufer wiederum eine tüchtige und standfeste Streiterin für unsere Sache gewonnen. Und "unsere" Sache meint immer: Das Wohl von Land und Leuten. 3. Woher kommt der Erfolg? Wie ist der Erfolg erklärbar? Wir hielten an den Grundwerten fest, die unser Land stark und erfolgreich werden liessen: Wir standen ein für die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, wo sich keiner mehr für diese Fragen stark machte. Wir politisierten für jene Menschen im Land, die Leistung zeigen und in Eigenverantwortung leben, wo alle anderen auf den Staat und die Umverteilung setzten. Wir wollen einen freiheitlichen und schlanken Staat und nicht einen Staat, der ausgerechnet die tüchtigsten Bürger mit einer Unzahl von Steuern und Abgaben bestraft – bis es dem Letzten noch verleidet tüchtig zu sein. Diesen Grundsätzen waren wir verpflichtet bei der Gründung der SVP Zürich 1917, bei der Gründung der SVP Bezirkspartei Meilen 1957 und diesen Grundsätzen sind wir auch heute, im Jahr 2007, verpflichtet. Und falls Sie sich jetzt allzu selbstzufrieden zurücklehnen: Auch unser Misserfolg ist erklärbar – und auch den gibt es. Nämlich immer genau dann, wenn wir eben zurücklehnten, wenn wir unsere Grundwerte vernachlässigten, wenn wir uns dem vorherrschenden Konsens anschlossen, wenn wir so waren wie die anderen, uns anlehnten, die Harmonie suchten, nachgaben – dann bestrafte uns die Wählerschaft umgehend. Und das zu Recht. Solange wir aber durchhalten und unsere Grundsätze leben, solange wir unsere Überzeugungen in die Politik tragen und sie wachsen lassen – von unten nach oben, von den Ortsparteien, über die Bezirke bis hinauf in die höchsten Gremien, solange wir standhielten, honorierte der Wähler unsere Arbeit. Darum ist jeder von uns aufgerufen, ja geradezu verpflichtet, diese Grundsätze zu vertreten. In welcher Funktion auch immer. Ich habe meine politische Arbeit in Meilen, im Gemeinderat, begonnen und ich habe mich damals von den selben Überzeugungen leiten lassen. Später dann als Zürcher Kantonsrat und darauf während 24 Jahren im nationalen Parlament. Und ich versichere Ihnen: Der EINtritt in den Bundesrat 2003 war für mich nie gleichbedeutend mit einem AUStritt aus der SVP. Nein, ich bin und bleibe Vertreter der SVP im Bundesrat und damit vertrete ich auch die Grundsätze unserer Partei in der Regierung. So wie Sie alle an Ihrem Ort die Inhalte und Grundsätze unserer Partei vertreten. 4. Die Grundsätze bleiben Die Ursprünge der SVP Zürich gehen, wie gesagt, noch weiter zurück als die Geschichte der Bezirkspartei Meilen. Gegründet wurde die Partei als "Zürcher Bauernpartei" im Jahre 1917 und sie versuchte, die Interessen der Landbevölkerung zu bündeln, um sie erfolgreicher gegen den "roten und goldenen Internationalismus" behaupten zu können. Denn sowohl die Sozialisten wie auch die Freisinnigen schielten nach aussen, strebten nach Grösse und waren bereit die Werte der Schweiz zu verraten bzw. zu verkaufen. Das war 1917. Und manches davon kommt uns leider heute noch bekannt vor. Die Zürcher Bauernpartei hielt diesen Trends stand und formierte sich als Partei des "vaterlandstreuen und bodenständigen Zürchervolkes", kämpfte für die Gesundhaltung der Familie, für den Schutz des Privateigentums, für die demokratische Staatsform und für die Erhaltung eines starken Mittelstandes. Mag uns auch der eine oder andere Begriff heute etwas ungewohnt erscheinen. So sprachen unsere Vorväter von "Vaterlandstreue". Wir meinen aber dasselbe, wenn wir heute konsequent für die Unabhängigkeit und Freiheit der Schweiz eintreten. Wir kämpfen für das gleiche Ziel, wenn wir die Neutralität unseres Kleinstaates hochhalten, wenn wir für unsere Volksrechte einstehen, wenn wir den Föderalismus – also den Aufbau des Staates von unten nach oben – bewahren wollen. Wir stehen für die gleichen Werte, wenn wir für die Familie, für die Eigenverantwortung, für Leistung, Fleiss und Ordnung politisieren. Mag auch die Zürcher Bauernpartei heute Zürcher SVP heissen: die Grundsätze sind die gleichen geblieben. Denn Sie können nicht ein Jahr für die Volksrechte sein und im nächsten Jahr plötzlich dagegen – nur weil Sie vielleicht eine Abstimmung verloren haben. Sie können auch nicht einmal für die Selbstbestimmung der Schweiz eintreten, aber dann wieder dagegen – nur weil Sie vielleicht ein paar Franken mehr oder einfacher verdienen könnten. Denn man legt seine Überzeugungen nicht einfach ab wie Hut und Mantel an der Garderobe. 5. Es geht nicht ohne Kampf Unsere Grundsätze sind wie ein Kompass. An diesem Kompass wollen wir uns orientieren. Unsere Leitlinien lauten: Die Unabhängigkeit der Schweiz, die Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger und die grösstmögliche Freiheit für alle. Zur Freiheit gehört auch die freie Meinungsäusserung. Denn die Demokratie lebt von kontroversen Ansichten. Demokratie heisst auch Streit und Kampf und Auseinandersetzung. Da müssen wir uns nichts vormachen. Wer glaubt, in der Demokratie sei nur Kuscheln und Gemütlichkeit angesagt, täuscht sich. Die Demokratie ist ein Wettbewerb von Ideen und Lösungen. Wir stellen uns diesem Wettbewerb. Ich hatte nie ein Problem, wenn jemand andere Ansichten als ich vertrat. Trotzdem bekämpfe ich Ansichten, die ich für falsch halte – aber nicht, indem ich sie verbiete. Nicht, indem ich andere Meinungen moralistisch aburteile. Nicht, indem ich meine Gegner mundtot mache. Und schon gar nicht, indem ich Andersdenkende hinter Schloss und Riegel zu bringen versuche. Unser Land krankt nicht an zu viel Meinungsfreiheit. Im Gegenteil. In einer Demokratie muss es möglich sein, alle Themen auf den Tisch zu bringen. Auch die unbequemen Fragen. Darum halte ich die Meinungsfreiheit für die entscheidende Voraussetzung einer Demokratie. Besonders in der Schweiz, wo auch Sachthemen zur Abstimmung kommen. Hier muss jeder sagen können, was er denkt, ohne dass man ihn gleich verhaftet, oder ohne dass er für seine Meinung Nachteile im beruflichen oder öffentlichen Leben befürchten muss. Die 90er Jahre führten zu einem Klima der Einschüchterung. Wer über Ausländerkriminalität sprach, wurde sofort als Fremdenfeind abgestempelt oder gar mit dem Richter bedroht. Warum soll man nicht zugeben: Ja, wir haben Integrationsprobleme. Wer diese Probleme leugnet oder tabuisiert, löst die Probleme nicht. Nein. Er macht alles noch viel schlimmer. Wichtige Debatten wurden (und werden) mit der Moralkeule unterdrückt: Wer die Entwicklungshilfe in Afrika hinterfragt, wird als "Unmensch" oder gar "Rassist" bezeichnet. Dabei ist es dringend notwendig, sich über die Wirksamkeit solcher Gelder zu unterhalten. Wer den Sozialmissbrauch thematisiert, wird umgehend als "Populist" abgetan. Dabei wäre viel getan für die wirklich Bedürftigen, wenn sie geschützt würden vor jenen, die diese Hilfe zu Unrecht erschleichen. Wo immer einer auf den tausendfachen Asylbetrug hinwies, reichte die Reaktion von "Hetze", "Schande" bis "politische Propagandaaktion". Heute geben selbst unsere Gegner indirekt den Missbrauch zu. Nur sagen sie, man könne ohnehin nichts dagegen tun. Mit einer solchen Einstellung tatsächlich nicht. Wer schliesslich den überbordenden und letztlich nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat anspricht, dem schallt unisono der Begriff "Kaputtsparer!" entgegen. Dabei müsste allen klar sein: Unser Staat kann nur dann den Bedürftigen helfen, wenn wir auf eine freie Wirtschaft, auf Wachstum und Wohlstand bauen. 6. Unser Auftrag So kommen wir nicht weiter. Wie sollen wir zu Lösungen kommen, wenn nicht einmal das Problem selbst benannt werden darf? Es braucht wieder mehr Klartext im Land. Denn wer die Meinungsfreiheit scheut, scheut meist nur die Argumente, denen er sich stellen müsste. Sehen Sie: Hier war und ist unser Auftrag. Wir stehen für Grundsätze. Wir leben diese Grundsätze und wir kämpfen unsere Grundsätze. Der Kampf gehört dazu. Machen wir uns nichts vor: Die SVP wurde von Anfang an angefeindet, namentlich von der uns nicht eben gut gesinnten Presse. Daran hat sich nichts geändert. Es ist nun einmal so, dass man einen lästigen Konkurrenten am liebsten los wird, indem man ihn mundtot machen will. Machen wir uns nichts vor: Von Anfang an bedeutete das Einstehen der SVP für die Schweiz, das Partei nehmen für unser Land und seine Bürger – auch den Kampf gegen die Feinde der Schweiz zu führen, gegen all jene, die unser Land und seine Qualitäten kaputt machen wollen. So ist die Politik. Man muss Kämpfe ausfechten. Von Anfang an hat sich unsere Partei nicht gescheut, diesen Kampf gegen links zu führen. Und es ist noch heute eine Qualität der SVP, dass sie sich nicht scheut, in die Arena zu steigen. So wenig die Partei sich scheut, die heissen Eisen anzufassen. Sei es der Asylmissbrauch, sei es die Schuldenpolitik, sei es die Aushöhlung der schweizerischen Werte, sei es die Leistungsfeindlichkeit und Dekadenz der 68er, sei es die antiautoritäre Erziehungspolitik, deren Auswüchse wir heute tragen müssen, wie sie beispielsweise im massiven Anstieg der Jugendkriminalität zum Ausdruck kommt. So wollen wir den Schwur auf unsere Grundsätze erneuern: Wir nehmen Partei für die Schweiz und wir nehmen Partei für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Diese Grundsätze halten wir hoch. 1917, 1957, 2007. Und auch in Zukunft.

06.03.2007

Man kann immer missbraucht werden

«Justizminister Christoph Blocher rechtfertigt sein Treffen mit dem türkischen Amtskollegen Cemil Cicek kurz vor dem Armenierprozess in Lausanne.» 06.03.2007, Tages-Anzeiger, Verena Vonarburg Herr Blocher, warum haben Sie ausgerechnet kurz vor dem Prozess gegen einen türkischen Völkermordleugner den türkischen Justizminister in der Schweiz empfangen? Der Termin wurde anlässlich meines Besuchs in der Türkei im letzten Herbst vereinbart. Damals ist es gelungen, die zuvor schlechten Beziehungen mit der Türkei massgeblich zu verbessern. Das haben wir jetzt fortgesetzt. Es gab keinen Grund, den Besuch des türkischen Justizministers in der Schweiz abzusagen. Der bevorstehende Prozess in Lausanne war auch kein offizielles Thema. Wir haben über die Integration der vielen Türken in der Schweiz und über wirtschaftliche Interessen sowie über Garantien für den Vollzug von Auslieferungen gesprochen. Nochmals: Warum haben Sie den Justizminister genau jetzt empfangen? Das steht in keinem Zusammenhang mit dem Prozess gegen Herrn Perincek. Ich weiss auch gar nicht, was der Prozess in Lausanne und der Besuch von Cicek miteinander zu tun haben sollten. Es kann sich gar nicht um eine Beeinflussung des Gerichts handeln. Aber es ist doch von symbolischer Bedeutung, wenn Sie einen türkischen Minister kurz vor diesem hoch emotionalen Prozess zu Gast haben. Die Kritik ist an den Haaren herbeigezogen. Die Symbolik könnte höchstens darin bestehen, dass ein solcher Prozess die mittlerweile guten Beziehungen nicht trüben kann und darf. Es wäre das Dümmste gewesen, Herrn Cicek zu sagen: Kommen Sie nicht wegen dieses Prozesses! Haben Sie inoffiziell über den Prozess gesprochen? Am Rande des Treffens habe ich ihm gesagt, die Türkei müsse damit rechnen, dass Herr Perincek wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz verurteilt werden könnte. Das haben wir schon bei meinem Ankara-Besuch besprochen. Mein Amtskollege hat keinen Versuch unternommen, Einfluss auf den Prozess zu nehmen; ein solcher Besuch könnte auch in keinem Fall einen Prozess beeinflussen. Sie werden von den türkischen Nationalisten als Held gefeiert. Haben Sie denn kein Problem damit? Der "Tages-Anzeiger" hat davon geschrieben, ich habe bislang nichts gemerkt. Wenn schon, setze ich mich ganz sicher nicht für Herrn Perincek ein, sondern für die Meinungsäusserungsfreiheit. Aber es ist im Leben so: Man kann immer missbraucht werden. Das ist unangenehm, doch man kann nie ganz verhindern, dass sich die falschen Leute auf einen beziehen. Ich habe auch nicht gewusst, dass diese Nationalisten behaupten, dank ihnen wolle ich das Antirassismusgesetz revidieren: Das ist Unsinn. Die Frage bleibt: War es opportun, dass Sie in Ankara von Ihrem Bauchweh in Bezug auf das Antirassismusgesetz geredet haben? Der Bundesrat hat Sie deswegen auch kritisiert. Was ich in Ankara erklärt habe, war nichts Neues. Und es war nicht nur opportun, sondern notwendig, das zu sagen. Ich würde das nochmals tun. Der Bundesrat hat mir zudem auch nicht verboten, einen Vorschlag zur Revision des Gesetzes zu unterbreiten. Halten Sie den Mord an den Armeniern für einen Genozid oder nicht? Die Gräueltaten kann man nicht bestreiten. Der Bundesrat hat vor fünf Jahren festgehalten, die Bewertung dieser Frage sei nicht Sache der Regierung, sondern der historischen Forschung. Gleichzeitig hat die Schweiz der Türkei empfohlen, eine internationale Historikerkommission zu bilden, um diese Frage abzuklären. Damit ist die Türkei einverstanden. Wann öffnet die Türkei ihre Archive? Das ist ein wichtiges Ergebnis des neusten Treffens: Noch im letzten Oktober erklärte die Türkei, sie öffne ihre Archive, sofern die Armenier das Gleiche täten. Am Wochenende erklärte mein Amtskollege nun, die Türkei sei bereit, die Archive einseitig zu öffnen, und schweizerische Historiker hätten Zugang zu diesen Archiven. Und wie weit ist Ihre Arbeitsgruppe eigentlich punkto Revision des Antirassismusgesetzes? Wir diskutieren jetzt Varianten. Noch in diesem Halbjahr wollen wir einen Grundsatzentscheid im Bundesrat beantragen.

02.03.2007

«Ich bin kein Brandstifter»

«Blocher erklärt das Problem der Jugendgewalt zur Chefsache. Nicht wegen des Wahlkampfs, sagt er. Die Zeit der antiautoritären Erziehung sei definitiv vorbei.» 02.03.2007, Neue Luzerner Zeitung, Eva Novak und Raphael Prinz Christoph Blocher, ist die Zunahme der Jugendgewalt zurzeit Ihr grösstes Sorgenkind? Wir sind im Departement häufig mit dem Problem konfrontiert, ja. Es wird von aussen an uns herangetragen, von Lehrern, Gemeinden, Schulpsychologen und Leuten aus dem Strafvollzug, dass die Jugendgewalt stark zugenommen hat. Viele fühlen sich überfordert. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus verschiedenen Gebieten gebildet, die sich des Problems annimmt. Sie haben es sogar zur Chefsache erklärt. In einem ersten Schritt haben wir abgeklärt, wie gross das Problem wirklich ist. Dabei haben wir festgestellt, dass vor allem eine Radikalisierung stattgefunden hat. Jugendgewalt gab es immer schon. Heute ist sie ein Problem einer Gruppe von 10 Prozent der Jugendlichen. Das ist viel. Schlimmer geworden ist zudem die Art der Gewalt: Schwere Verletzungen werden bewusst in Kauf genommen und ein Opfer auch dann noch getreten, wenn es bereits wehrlos am Boden liegt. Dazu kommt das Vorgehen der Jugendlichen in Banden. All diese Feststellungen haben dazu geführt, dass ich mich der Sache selbst angenommen habe. Indem Sie die Jugendgewalt in der Öffentlichkeit immer wieder thematisieren, helfen Sie auch Ihrer Partei, die weitgehende Forderungen zum Thema aufgestellt hat. Sind Sie Brandstifter anstatt Feuerwehrmann? Das sind die Vorwürfe eines Wahljahres. Es ist in der Politik immer so: Wenn man ein Problem aufgreift, passt es den einen, während die andern finden, dass Problem existiere gar nicht. Ich bin jedenfalls froh, dass breit über die Jugendgewalt diskutiert wird, so kann man auch Lösungen finden. Die andern Parteien haben es lange Zeit nicht ernst genommen. Erst die gravierenden Vorfälle von Seebach, Rhäzüns und Steffisburg haben aufgerüttelt. Sie haben kürzlich die Jugendgewalt als Spätfolge der antiautoritären Erziehung bezeichnet. Müssen die Lehrer nun wieder den Zollstock und die Väter den Gürtel zücken oder die Kinder übers Knie legen? Ich stelle klar fest, dass die Zeit der antiautoritären Erziehung vorbei ist. Die Erziehung muss wieder strenger sein. Das bestätigen mir auch Leute aus dem anderen politischen Lager. Gefordert sind dabei in erster Linie die Eltern, die konsequent sein und Grenzen setzen müssen. Überschreitet das Kind diese Grenze, muss dies Folgen haben, sonst wird man schnell unglaubwürdig. Die Eltern sind verantwortlich für die Erziehung der Kinder und müssen auch für die Taten ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen werden. Wie weit geht diese Verantwortung? Die Verantwortung geht weit. Für Straftaten minderjähriger Jugendlicher haften die Eltern und müssen gerade stehen. Ausreden wie "es war halt niemand zu Hause" lasse ich nicht gelten. Dann muss man sich anders organisieren. Nehmen wir den Extremfall eines Tötungsdeliktes. Können die Eltern für eine solche Tat ihres minderjährigen Kindes zur Rechenschaft gezogen werden? Strafrechtlich nicht, da haftet nur der Täter oder die Täterin. Eine Ausnahme ist, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, sprich die Tat hätten verhindern können. Aber die Verantwortung der Eltern geht über das Strafrecht hinaus. Zum Beispiel können Schadenersatzzahlungen erhoben werden. Unter den straffälligen Jugendlichen ist der Ausländer-Anteil hoch, wie Sie jeweils betonen. Wie gravierend muss jemand über die Stränge schlagen, um ausgewiesen zu werden? Die ausländischen Jugendlichen sind in der Tat übervertreten. Und innerhalb der Ausländer sind die Jugendlichen aus dem Balkan übervertreten. Die Ausländer bekommen Gastrecht hier und müssen sich grundsätzlich unseren Gesetzen anpassen. Tut jemand das nicht, müssen wir handeln. Hierzu brauchen wir strengere Vorschriften. Können Sie ein Beispiel nennen? Reicht es, wenn jemand ein Töffli für eine Spritztour stiehlt... Unter Umständen schon. Wenn jemand eine Aufenthaltsbewilligung hat und mehrmals ein Töffli stiehlt, so achtet er unsere Gesetze nicht, und die Aufenthaltsbewilligung wird nicht verlängert. Das Gleiche gilt für Asylbewerber. Bei diesen ist das Asylgesuch prioritär zu behandeln. und eine allfällige Wegweisung ist rasch zu vollziehen. Bei Ausländern mit einer Niederlassungsbewilligung sieht es anders aus. Hier sind für eine Ausweisung gravierende Delikte nötig. Wie weit geht bei ausländischen Jugendlichen die Verantwortung der Eltern? Auch hier geht sie weit. Im Extremfall meines Erachtens bis zur Ausweisung der ganzen Familie. Eine Arbeitsgruppe unter Ihrem Vorsitz sucht derzeit nach Lösungen für solche Fälle. Haben Sie schon konkrete Vorschläge? Nein. Wir haben Ideen und Ansätze, diese sind aber noch nicht fertig ausgearbeitet und spruchreif. Das geltende Asylgesetz trägt Ihre Handschrift. Trotzdem ist die Zahl der Gesuche wieder gestiegen. Man beachte, dass der wesentliche Teil des neuen Asylgesetzes erst 2008 in Kraft tritt. Es konnte gar noch nicht wirken. Der Trend der Abnahme stimmt grundsätzlich immer noch. Leider haben wir eine unerwartete Zunahme. So wurden im Jahre 2006 im Vergleich zum Jahre 2005 über 1000 neue Asylgesuche mehr von Eritreern eingereicht. Dies ist sicher zu einem grossen Teil auf ein publiziertes Urteil der Asylrekurskommission zurückzuführen, wonach Dienstverweigerer aus Eritrea als Flüchtling anerkannt werden. Das stellt uns vor besondere Herausforderungen. Werden Sie die Schraube weiter anziehen? Weitere gesetzliche Verschärfungen sind momentan nicht geplant. Natürlich überlegt man sich, was noch zu verbessern wäre, aber internationale Abkommen setzen uns Leitplanken, die wir nicht überschreiten dürfen. Wo sehen Sie Ansätze, um die Integration der Asylbewerber zu verbessern? Asylbewerber sollen nicht integriert werden, wohl aber die anerkannten Flüchtlinge und diejenigen mit einer vorläufigen Aufnahme, die für längere Zeit oder für immer in der Schweiz bleiben. Bei der Sprachförderung ist zuerst anzusetzen. Menschen, die hier bleiben dürfen, müssen unsere Sprache beherrschen. Sonst haben sie auch sehr grosse Probleme, eine Arbeit zu finden. Wir müssen die Leute verpflichten, mindestens eine Landessprache zu beherrschen. Das klingt nach obligatorischen Sprachkursen. Ja, und es muss ein Anreiz bestehen, die Sprache zu lernen. Mit einem Sprachkurs als Voraussetzung für die Aufenthaltsbewilligung würde man die Leute zu ihrem Glück zwingen. Das würde ich sehr begrüssen. Wohlverstanden müssten die Bewerber den Sprachkurs aus der eigenen Tasche mitfinanzieren. Wie konkret sind Ihre Pläne? Wir machen zurzeit Erfahrungen mit Pilotprojekten. In einem ersten Schritt gilt dies für die anerkannten Flüchtlinge, das sind rund 25 Prozent der Asylbewerber. Später soll er auf die vorläufig Aufgenommenen ausgeweitet werden. Den Kantonen, bei denen der Vollzug liegt, können Sie aber keine Sprachkurse für Flüchtlinge vorschreiben. Das stimmt. Dennoch können wir von Seite des Bundes Leitplanken setzen. Bei Flüchtlingen kann z. B. die Sozialhilfe gekürzt werden, und bei Ausländern kann eine solche Verpflichtung für eine Niederlassungsbewilligung vorgesehen werden. So haben wir vom Bund aus ein Druckmittel. Sie scheinen überzeugt von der Idee. Bis wann sind Sprachtests für Flüchtlinge und Ausländer umsetzbar? Wenn der Wille vorhanden ist, sehr schnell. Ich denke, die rechtlichen Voraussetzungen für diese Kurse liegen ab Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes vor, also ab 01. Januar 2008.

02.03.2007

Jugendgewalt und Jugendkriminalität

Kriens. Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung von SVP Kriens und SVP Luzern 02.03.2007, Kriens Kriens. Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung von SVP Kriens und SVP Luzern Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Das Ausmass der Taten In der Stadt Zürich vergewaltigt eine Bande von Jugendlichen ein dreizehnjähriges Mädchen. Alle zwölf Verdächtigen haben polizeiliche Vorakten, unter anderem wegen Raubdelikten. Die Medien und Behörden versuchen die Herkunft der Täter zu vertuschen. Erst Tage später schreibt der Tages-Anzeiger: „Unter den zwölf Verhafteten sind sechs Schweizer. Es soll sich um eingebürgerte Jugendliche aus dem Balkan und der Türkei handeln; die restlichen stammen ebenfalls aus dem Balkan sowie je einer aus Italien und der Dominikanischen Republik.“ (Tages-Anzeiger, 18.11.2006) Im November 2006 wird eine Massenvergewaltigung in Steffisburg (BE) bekannt. Die Beschuldigten: Zwei albanische Brüder (15 und 16 Jahre alt), ein Pakistani (15), ein Schweizer tamilischer Herkunft (16), ein Brasilianer (18) und zwei weitere 18jährige Ausländer. (Blick, 15.11.2006) Ebenfalls im November 2006 wird die Schändung der katholischen Kirche von Muttenz bekannt. Die jugendlichen Täter aus dem Balkan (alle nichtchristlichen Glaubens) haben den Innenraum mit Kot und Urin besudelt. (Basellandschaftliche Zeitung, 21.11.2006) Bereits im Juni 2006 ereignete sich im bündnerischen Rhäzüns eine brutale Schändung eines 5jährigen Mädchens. Die Täter: Zwei Jungen (10 und 13 Jahre alt) stammen aus dem Kosovo. 1. Das Ausmass der Jugendgewalt und die Brutalität haben erschreckend zugenommen. 2. Viele der jugendlichen Täter sind schlecht integrierte Ausländer, namentlich aus dem Balkan. 3. Es herrscht allgemeine Hilflosigkeit gegenüber dieser Entwicklung. Alle fühlen sich zuständig – also ist niemand wirklich zuständig. Alle halten die anderen für schuldig – also trägt keiner Verantwortung. 4. Nach wie vor versuchen Amtsstellen, aber auch gewisse Medien und politische Kreise das Thema Gewalt von jungen Ausländern zu leugnen, zu vertuschen oder zu verharmlosen. 2. Arbeitsgruppe zur Jugendgewalt Die Gewalt unter Jugendlichen beschäftigt viele Menschen. Die Bürgerinnen und Bürger – vor allem auch Eltern und andere Erziehungsverantwortliche – sind beunruhigt über die Entwicklungen in der Jugendkriminalität. – Dies gilt nicht nur für Ausländer, sondern allgemein. Ausserdem sind verschiedene Fachleute, Direktbetroffene, Ämter an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gelangt. Die eingangs erwähnten Vorfälle haben uns weiter bestärkt, die Jugendgewalt zur Kernaufgabe im Jahr 2007 zu erklären. Es besteht Handlungsbedarf. Die Jugendgewalt hat massiv zugenommen. Zugenommen hat nicht nur das Ausmass. Beängstigend ist, dass die Gewalt härter, brutaler und gnadenloser geworden ist. Es wird auf Schwache eingeprügelt, auch wenn das Opfer bereits wehrlos am Boden liegt. Und es gibt immer mehr auch organisierte Gewalt durch Gruppen und Banden, die sich oft ad hoc zusammensetzen und aktiv werden. Die Gesamtzahl der Jugendstrafurteile wegen Gewaltdelikten hat von 2000 bis 2005 um mehr als 80 % zugenommen, hat sich also fast verdoppelt (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, S. 261). Jugendstrafurteile nach Delikt, 2000-2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 14) 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Einfache Körperverletzung 265 381 401 466 519 638 Raub (Art. 140 StGB) 209 241 259 322 332 374 Drohung (Art. 180 StGB) 148 208 218 244 298 317 Bekanntlich lässt sich von Strafanzeige- bzw. Strafurteilsstatistiken nicht ohne weiteres auf die tatsächliche Häufigkeit von Straftaten schliessen (sog. Dunkelfeldproblematik), so dass über das Ausmass und die Entwicklung der Jugendgewalt keine vollständige Klarheit besteht. Die Dunkelziffer dürfte aber erheblich sein: Oftmals getrauen sich die Opfer nicht, die Strafbehörden einzuschalten, häufig aus Furcht vor weiteren Repressalien. Vor diesem Hintergrund scheint es weitgehend sinnlos, sich über Steigerungsraten zu streiten. Fakt ist: Jugendgewalt besteht in einem beunruhigenden Ausmass und Jugendgewalt nimmt stark zu. Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Hemmschwelle bei Jungen stark gesunken ist; sie schlagen schneller zu. Dabei spielt zum Teil übertriebener Alkoholgenuss eine Rolle, aber auch die omnipräsenten Gewaltdarstellungen im Alltag. Die Ausländerfrage spielt mit hinein. Die Zahlen und die Erfahrungen der Fachleute sprechen ein klare Sprache: Auffallend hoch ist der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“. Und dort wieder vor allem von Jugendlichen aus dem Balkan. Das ist die übereinstimmende Aussage der Verantwortlichen. Jugendstrafurteile nach Aufenthaltsstatus, 2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle Total Schweizer/innen Ausländer/innen mit Wohnsitz in der Schweiz Anzahl Anzahl % Anzahl % Einfache Körperverletzung 638 270 42,3 347 54,4 Raub 374 161 43,0 198 52,9 Drohung 317 147 46,4 159 50,2   Setzt man die Anzahl der Verurteilungen zur Anzahl der Angehörigen der entsprechenden Wohnbevölkerung in Beziehung, so akzentuieren sich die Unterschiede: Bei verschiedenen Delikten werden jugendliche Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz um ein Mehrfaches häufiger straffällig als Schweizer ihrer Altersgruppe (vgl. die Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 10). Aber auch unter den Jugendlichen ausländischer Herkunft bestehen beträchtliche Unterschiede. So machen gemäss den neuesten Zahlen aus dem Kanton Zürich bei Delikten gegen Leib und Leben Jugendliche aus Balkanländern 52,6 Prozent von allen ausländischen tatverdächtigen Jugendlichen aus. (Neue Zürcher Zeitung, 9.2.2007. Daten aus der Kriminalstatistik der Kantonspolizei Zürich.) So weit die ersten Erkenntnisse. So weit die ersten Schlüsse. So weit die erste Einkreisung des Problems. 3. Das übliche Reaktionsschema Als ich ein erstes Mal über die Ergebnisse einer dazu gebildeten dieser Arbeitsgruppe sprach, lief das übliche Reaktionsschema ab (wir kennen den Vorgang ja aus anderen Zusammenhängen): Die einen verharmlosen den Sachverhalt oder streiten ihn rundweg ab. Aus diesen Kreisen tönt es dann, die Jugendkriminalität habe im Vergleich zum Vorjahr gar nicht zugenommen. Es komme einfach auf das Zählverfahren an. Interessant. Die Kriminalität ist also bloss eine Frage der Buchhaltung. Andere rufen sofort: Aber halt! Der Justizminister ist für diese Frage gar nicht zuständig! „Eigenmächtige Einmischung“, betitelte eine Sonntagszeitung ihren Kommentar. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität sei doch Sache der Kantone. Der Bundesrat dürfte ja gar nichts unternehmen gegen die Jugendgewalt. Eine dritte Gruppe beschwichtigt: Wir haben doch schon alles bestens geregelt. Wir verfügen über die nötigen Gesetze. Keine der vorgeschlagenen Massnahmen sei wirklich neu. Die Ausweisung von notorischen Jugendstraftätern etwa werde bereits praktiziert. Besonders beliebt ist es auch nach wie vor, jeden Hinweis auf den auffallend hohen Ausländeranteil unter jugendlichen Straftätern als „fremdenfeindlich“ abzutun. Auf die gleiche Weise wurde jahrelang der Asylmissbrauch verschlampt. Auf die gleiche Weise wurden sämtliche Ausländerprobleme geleugnet. Schlimmer noch: Wer die Ausländerkriminalität beim Namen nannte, wer die hohen Sozialkosten von Ausländern kritisierte, wer auf die Gewaltbereitschaft von Leuten aus dem Balkan verwies, wer auf die grossen Probleme in Schulen mit hohem Ausländeranteil zu sprechen kam, wurde sofort selbstherrlich von den Linken, den Medien und Gerichten in die fremdenfeindliche Ecke gestellt. Beim Thema Jugendgewalt läuft es ähnlich ab. Die einen sagen: Das Problem ist herbeigeredet. Die Anderen sagen: Doch, doch, wir haben ein Problem – aber schuld sind die anderen. Die Jugendämter sprechen von der Verantwortung der Schule. Die Schulen von der Verantwortung der Eltern. Die Eltern von der Verantwortung der Schulen. Die Politik von der Verantwortung der Polizei. Die Polizei von der Verantwortung der Politik. Das Fazit der ganzen Aufregung: Am Ende passiert gar nichts. 4. Probleme erkennen und benennen Der erste Schritt zur Problemlösung ist immer der gleiche: Zuerst muss das Problem erkannt werden und zweitens muss das Problem beim Namen genannt werden. Wie sieht es mit dem Anstieg der Jugendkriminalität aus? Es gibt Zahlen, soweit sich diese polizeilich erfassen lassen. Doch die Dunkelziffer ist relativ hoch. Einerseits stellt man fest, dass die Opfer sich aus Furcht vor Repressalien oft nicht getrauen, die Polizei einzuschalten. Andererseits bestehen namentlich in Schulen Hemmungen, die Polizei einzuschalten. Wie sieht es mit der Zusammensetzung bei den Jugendstraftätern aus? Der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“ ist sehr hoch. Dabei handelt es sich vor allem um Jugendliche mit Identitätsproblemen. Diese führt zu Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühlen. Unsicherheitsgefühle werden sehr oft durch Gewaltanwendung kompensiert. Wenn wir die Probleme lösen wollen, muss man sie ansprechen dürfen, ohne dass einem Rassismus vorgeworfen wird. Durch Verdrängen löst man keine Probleme. Wie sieht es mit den Erziehungsverantwortlichen aus? Wir leiden heute unter den Spätfolgen antiautoritärer Erziehungsformen. Die Kinder werden alleine gelassen. Die Eltern setzen Grenzen oder stellen Schranken oft zu spät auf. Oft erst, wenn die Kinder und Jugendlichen am Rand der Kriminalität stehen. Und verstehen Sie mich richtig: Die Erziehungsfrage betrifft uns alle. Schweizer und Ausländer. Es beginnt damit, dass nicht mehr feststeht, wer verantwortlich für die Erziehung ist. Ist es die Schule? Sind es die Eltern? Ist es „die Gesellschaft“? Eltern haben begonnen, einen Teil der Erziehung an die Schule auszulagern – das überfordert die Lehrer. Man kann nicht verlangen, dass die Schule allein für die Erziehung verantwortlich ist. Fachleute sprechen von einer eigentlichen „Erziehungsverweigerung“ der Eltern. Bei aller Idealisierung der externen Kinderbetreuung: Die Eltern sind und bleiben verantwortlich für das, was ihre Kinder tun. Sie sind auch in die Pflicht zu nehmen. Wie jeder Obhutspflichtige müssen auch Eltern zur Rechenschaft gezogen werden: Mit Schadenersatzzahlungen, bei ausländischen Kindern bis hin zur Ausweisung der ganzen Familie. Natürlich kann sich auch die Schule nicht aus der Erziehungsaufgabe abmelden. Die Lehrpersonen brauchen darin aber Unterstützung, was oft fehlt. In schweren Fällen hat die Schule mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Lange Zeit hatten viele Lehrpersonen ein gestörtes Verhältnis zur Polizei; sie duldeten keine Polizei im Schulumfeld. Erste Versuche zeigen, dass wir Gewaltprävention auch in den Schulen brauchen: Erziehung zum gewaltfreien Zusammenleben an Schulen durch dafür ausgebildete Personen wie etwa Polizisten, ähnlich der Verkehrserziehung. Passieren Straftaten auf den Pausenplätzen, muss die Schule die Polizei rufen: Verletzung von Regeln ist konsequent zu sanktionieren. Dort, wo die Situation sehr problematisch ist, sind regelmässige Polizeipatrouillen sinnvoll. 5. Was ist zu tun? Wo haben wir also anzusetzen? Ein Missstand ist, dass die Strafverfolgung nicht immer effizient funktioniert. Es scheint nicht in erster Linie ein Problem der Gesetze zu sein, sondern des Vollzugs. Die Verfahren dauern zu lange, die angeordneten Sanktionen greifen oft zu kurz und verfehlen deshalb ihre Wirkung, die Koordination staatlicher Tätigkeiten ist mangelhaft. Die Folgen sind gravierend: Polizisten und andere Vollzugsleute sind frustriert, weil sie sehen, dass nichts passiert. Das lähmt die Arbeit. Resignation ist weit verbreitet. Auch bei Lehrern. Tatsache ist auch, dass die Behörden zu wenig gut vernetzt sind; oft weiss die eine Behörde nicht, was die andere tut. Migrations-, Einbürgerungs- und Polizei-, Zivilstands- und Schulämter müssen besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele verfolgen. Die ersten Ergebnisse bringen uns zu folgenden Schlüssen: 1.Die Eltern sind durch geeignete Massnahmen zu unterstützen: Eine Vielzahl von Studien geht heute davon aus, dass eine Ursache für Jugendgewalt durch Beziehungsdefizite in den Generationenbeziehungen zu erklären ist – also gestörte Beziehungen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern, Lehrern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen. Auch die COCON Studie des Jacobs Centers for productive youth development bestätigt, wie wichtig die emotionale Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern ist und wie prägend für den Entwicklungsstand des Mitgefühls und der Verantwortungsbereitschaft von Jugendlichen. Zu prüfen ist aber auch eine verstärkte Verpflichtung der Eltern zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung in der Erziehung. Denkbar wäre z.B. eine Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung der Eltern bei Vernachlässigung elementarer Erziehungspflichten. 2. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden muss verbessert werden: Das gilt zunächst einmal für Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden. Es darf nicht sein, dass diese Amtsstellen unabhängig voneinander vorgehen und die eine Behörde nicht weiss, was die andere tut. Hier ist vermehrte Koordination unabdingbar. Zentral erscheint aber die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Polizei: Hier ist zu prüfen, ob für die Lehrkräfte bei Delikten einer bestimmten Schwere eine Anzeigepflicht geschaffen werden soll. Wenn auf Pausenplätzen gravierende Straftaten begangen werden, muss die Polizei darüber informiert werden. Diese Massnahmen haben aber nur dann Erfolg, wenn die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer pädagogischen und erzieherischen Funktion gezielt geschult und unterstützt werden sowie im Zusammenspiel mit präventiven und intervenierenden und repressiven Massnahmen im Rahmen der Schulsozialarbeit umgesetzt werden. 3. Die Präventionsarbeit muss intensiviert werden, vorab an der Schule. Gewalt ist nicht nur als Thema in den Unterricht einzubauen, denkbar scheint insbesondere auch der Beizug erfahrener Polizeibeamter nach dem Vorbild des sog. Verkehrsunterrichts. Viele Präventionsmassnahmen erfordern ferner die aktive Beteiligung der Familien. Aus diesem Grund müssen Bemühungen vermehrt darauf ausgerichtet werden, auch fremdsprachige und wenig gebildete Familien ausländischer Herkunft für Präventionsmassnahmen zu erreichen. 4. Die Integration ausländischer Jugendlicher muss stärker forciert werden. Namentlich Sprachkenntnisse müssen so früh als möglich vermittelt werden. Wo die Integration aber konsequent verweigert wird, müssen effiziente ausländerrechtliche Massnahmen zur Verfügung stehen. Das muss bis zur Ausweisung führen können. 5. Die Strafverfahren sollen nach Möglichkeit verkürzt werden: Jugendliche müssen für begangenes Unrecht so rasch als möglich sanktioniert werden. Erfahrungen in der Jugendarbeit belegen, dass grosse zeitliche Distanzen zwischen Straftat und Sanktionsmassnahmen zusätzlich zu problematischem Verhalten führen. Dabei geht es nicht darum, um jeden Preis eine hohe Strafe zu fordern. Es müssen "massgeschneiderte", dem Täter angepasste Sanktionen verhängt werden. 6. Das neue Jugendstrafgesetz ist jetzt seit dem 1.1.2007 in Kraft. Es sieht eine breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten vor, es können nun auch härtere Strafen verhängt werden (Freiheitsentzug bis zu vier Jahren: Art. 25 JStG; statt wie bisher Einschliessung bis zu einem Jahr: Art. 95 StGB alte Fassung). Die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich sind genau zu beobachten. Sollte sich das neue Gesetz als unzureichend erweisen, sind möglichst rasch entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private.