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06.03.2007

Man kann immer missbraucht werden

«Justizminister Christoph Blocher rechtfertigt sein Treffen mit dem türkischen Amtskollegen Cemil Cicek kurz vor dem Armenierprozess in Lausanne.» 06.03.2007, Tages-Anzeiger, Verena Vonarburg Herr Blocher, warum haben Sie ausgerechnet kurz vor dem Prozess gegen einen türkischen Völkermordleugner den türkischen Justizminister in der Schweiz empfangen? Der Termin wurde anlässlich meines Besuchs in der Türkei im letzten Herbst vereinbart. Damals ist es gelungen, die zuvor schlechten Beziehungen mit der Türkei massgeblich zu verbessern. Das haben wir jetzt fortgesetzt. Es gab keinen Grund, den Besuch des türkischen Justizministers in der Schweiz abzusagen. Der bevorstehende Prozess in Lausanne war auch kein offizielles Thema. Wir haben über die Integration der vielen Türken in der Schweiz und über wirtschaftliche Interessen sowie über Garantien für den Vollzug von Auslieferungen gesprochen. Nochmals: Warum haben Sie den Justizminister genau jetzt empfangen? Das steht in keinem Zusammenhang mit dem Prozess gegen Herrn Perincek. Ich weiss auch gar nicht, was der Prozess in Lausanne und der Besuch von Cicek miteinander zu tun haben sollten. Es kann sich gar nicht um eine Beeinflussung des Gerichts handeln. Aber es ist doch von symbolischer Bedeutung, wenn Sie einen türkischen Minister kurz vor diesem hoch emotionalen Prozess zu Gast haben. Die Kritik ist an den Haaren herbeigezogen. Die Symbolik könnte höchstens darin bestehen, dass ein solcher Prozess die mittlerweile guten Beziehungen nicht trüben kann und darf. Es wäre das Dümmste gewesen, Herrn Cicek zu sagen: Kommen Sie nicht wegen dieses Prozesses! Haben Sie inoffiziell über den Prozess gesprochen? Am Rande des Treffens habe ich ihm gesagt, die Türkei müsse damit rechnen, dass Herr Perincek wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz verurteilt werden könnte. Das haben wir schon bei meinem Ankara-Besuch besprochen. Mein Amtskollege hat keinen Versuch unternommen, Einfluss auf den Prozess zu nehmen; ein solcher Besuch könnte auch in keinem Fall einen Prozess beeinflussen. Sie werden von den türkischen Nationalisten als Held gefeiert. Haben Sie denn kein Problem damit? Der "Tages-Anzeiger" hat davon geschrieben, ich habe bislang nichts gemerkt. Wenn schon, setze ich mich ganz sicher nicht für Herrn Perincek ein, sondern für die Meinungsäusserungsfreiheit. Aber es ist im Leben so: Man kann immer missbraucht werden. Das ist unangenehm, doch man kann nie ganz verhindern, dass sich die falschen Leute auf einen beziehen. Ich habe auch nicht gewusst, dass diese Nationalisten behaupten, dank ihnen wolle ich das Antirassismusgesetz revidieren: Das ist Unsinn. Die Frage bleibt: War es opportun, dass Sie in Ankara von Ihrem Bauchweh in Bezug auf das Antirassismusgesetz geredet haben? Der Bundesrat hat Sie deswegen auch kritisiert. Was ich in Ankara erklärt habe, war nichts Neues. Und es war nicht nur opportun, sondern notwendig, das zu sagen. Ich würde das nochmals tun. Der Bundesrat hat mir zudem auch nicht verboten, einen Vorschlag zur Revision des Gesetzes zu unterbreiten. Halten Sie den Mord an den Armeniern für einen Genozid oder nicht? Die Gräueltaten kann man nicht bestreiten. Der Bundesrat hat vor fünf Jahren festgehalten, die Bewertung dieser Frage sei nicht Sache der Regierung, sondern der historischen Forschung. Gleichzeitig hat die Schweiz der Türkei empfohlen, eine internationale Historikerkommission zu bilden, um diese Frage abzuklären. Damit ist die Türkei einverstanden. Wann öffnet die Türkei ihre Archive? Das ist ein wichtiges Ergebnis des neusten Treffens: Noch im letzten Oktober erklärte die Türkei, sie öffne ihre Archive, sofern die Armenier das Gleiche täten. Am Wochenende erklärte mein Amtskollege nun, die Türkei sei bereit, die Archive einseitig zu öffnen, und schweizerische Historiker hätten Zugang zu diesen Archiven. Und wie weit ist Ihre Arbeitsgruppe eigentlich punkto Revision des Antirassismusgesetzes? Wir diskutieren jetzt Varianten. Noch in diesem Halbjahr wollen wir einen Grundsatzentscheid im Bundesrat beantragen.

02.03.2007

«Ich bin kein Brandstifter»

«Blocher erklärt das Problem der Jugendgewalt zur Chefsache. Nicht wegen des Wahlkampfs, sagt er. Die Zeit der antiautoritären Erziehung sei definitiv vorbei.» 02.03.2007, Neue Luzerner Zeitung, Eva Novak und Raphael Prinz Christoph Blocher, ist die Zunahme der Jugendgewalt zurzeit Ihr grösstes Sorgenkind? Wir sind im Departement häufig mit dem Problem konfrontiert, ja. Es wird von aussen an uns herangetragen, von Lehrern, Gemeinden, Schulpsychologen und Leuten aus dem Strafvollzug, dass die Jugendgewalt stark zugenommen hat. Viele fühlen sich überfordert. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus verschiedenen Gebieten gebildet, die sich des Problems annimmt. Sie haben es sogar zur Chefsache erklärt. In einem ersten Schritt haben wir abgeklärt, wie gross das Problem wirklich ist. Dabei haben wir festgestellt, dass vor allem eine Radikalisierung stattgefunden hat. Jugendgewalt gab es immer schon. Heute ist sie ein Problem einer Gruppe von 10 Prozent der Jugendlichen. Das ist viel. Schlimmer geworden ist zudem die Art der Gewalt: Schwere Verletzungen werden bewusst in Kauf genommen und ein Opfer auch dann noch getreten, wenn es bereits wehrlos am Boden liegt. Dazu kommt das Vorgehen der Jugendlichen in Banden. All diese Feststellungen haben dazu geführt, dass ich mich der Sache selbst angenommen habe. Indem Sie die Jugendgewalt in der Öffentlichkeit immer wieder thematisieren, helfen Sie auch Ihrer Partei, die weitgehende Forderungen zum Thema aufgestellt hat. Sind Sie Brandstifter anstatt Feuerwehrmann? Das sind die Vorwürfe eines Wahljahres. Es ist in der Politik immer so: Wenn man ein Problem aufgreift, passt es den einen, während die andern finden, dass Problem existiere gar nicht. Ich bin jedenfalls froh, dass breit über die Jugendgewalt diskutiert wird, so kann man auch Lösungen finden. Die andern Parteien haben es lange Zeit nicht ernst genommen. Erst die gravierenden Vorfälle von Seebach, Rhäzüns und Steffisburg haben aufgerüttelt. Sie haben kürzlich die Jugendgewalt als Spätfolge der antiautoritären Erziehung bezeichnet. Müssen die Lehrer nun wieder den Zollstock und die Väter den Gürtel zücken oder die Kinder übers Knie legen? Ich stelle klar fest, dass die Zeit der antiautoritären Erziehung vorbei ist. Die Erziehung muss wieder strenger sein. Das bestätigen mir auch Leute aus dem anderen politischen Lager. Gefordert sind dabei in erster Linie die Eltern, die konsequent sein und Grenzen setzen müssen. Überschreitet das Kind diese Grenze, muss dies Folgen haben, sonst wird man schnell unglaubwürdig. Die Eltern sind verantwortlich für die Erziehung der Kinder und müssen auch für die Taten ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen werden. Wie weit geht diese Verantwortung? Die Verantwortung geht weit. Für Straftaten minderjähriger Jugendlicher haften die Eltern und müssen gerade stehen. Ausreden wie "es war halt niemand zu Hause" lasse ich nicht gelten. Dann muss man sich anders organisieren. Nehmen wir den Extremfall eines Tötungsdeliktes. Können die Eltern für eine solche Tat ihres minderjährigen Kindes zur Rechenschaft gezogen werden? Strafrechtlich nicht, da haftet nur der Täter oder die Täterin. Eine Ausnahme ist, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, sprich die Tat hätten verhindern können. Aber die Verantwortung der Eltern geht über das Strafrecht hinaus. Zum Beispiel können Schadenersatzzahlungen erhoben werden. Unter den straffälligen Jugendlichen ist der Ausländer-Anteil hoch, wie Sie jeweils betonen. Wie gravierend muss jemand über die Stränge schlagen, um ausgewiesen zu werden? Die ausländischen Jugendlichen sind in der Tat übervertreten. Und innerhalb der Ausländer sind die Jugendlichen aus dem Balkan übervertreten. Die Ausländer bekommen Gastrecht hier und müssen sich grundsätzlich unseren Gesetzen anpassen. Tut jemand das nicht, müssen wir handeln. Hierzu brauchen wir strengere Vorschriften. Können Sie ein Beispiel nennen? Reicht es, wenn jemand ein Töffli für eine Spritztour stiehlt... Unter Umständen schon. Wenn jemand eine Aufenthaltsbewilligung hat und mehrmals ein Töffli stiehlt, so achtet er unsere Gesetze nicht, und die Aufenthaltsbewilligung wird nicht verlängert. Das Gleiche gilt für Asylbewerber. Bei diesen ist das Asylgesuch prioritär zu behandeln. und eine allfällige Wegweisung ist rasch zu vollziehen. Bei Ausländern mit einer Niederlassungsbewilligung sieht es anders aus. Hier sind für eine Ausweisung gravierende Delikte nötig. Wie weit geht bei ausländischen Jugendlichen die Verantwortung der Eltern? Auch hier geht sie weit. Im Extremfall meines Erachtens bis zur Ausweisung der ganzen Familie. Eine Arbeitsgruppe unter Ihrem Vorsitz sucht derzeit nach Lösungen für solche Fälle. Haben Sie schon konkrete Vorschläge? Nein. Wir haben Ideen und Ansätze, diese sind aber noch nicht fertig ausgearbeitet und spruchreif. Das geltende Asylgesetz trägt Ihre Handschrift. Trotzdem ist die Zahl der Gesuche wieder gestiegen. Man beachte, dass der wesentliche Teil des neuen Asylgesetzes erst 2008 in Kraft tritt. Es konnte gar noch nicht wirken. Der Trend der Abnahme stimmt grundsätzlich immer noch. Leider haben wir eine unerwartete Zunahme. So wurden im Jahre 2006 im Vergleich zum Jahre 2005 über 1000 neue Asylgesuche mehr von Eritreern eingereicht. Dies ist sicher zu einem grossen Teil auf ein publiziertes Urteil der Asylrekurskommission zurückzuführen, wonach Dienstverweigerer aus Eritrea als Flüchtling anerkannt werden. Das stellt uns vor besondere Herausforderungen. Werden Sie die Schraube weiter anziehen? Weitere gesetzliche Verschärfungen sind momentan nicht geplant. Natürlich überlegt man sich, was noch zu verbessern wäre, aber internationale Abkommen setzen uns Leitplanken, die wir nicht überschreiten dürfen. Wo sehen Sie Ansätze, um die Integration der Asylbewerber zu verbessern? Asylbewerber sollen nicht integriert werden, wohl aber die anerkannten Flüchtlinge und diejenigen mit einer vorläufigen Aufnahme, die für längere Zeit oder für immer in der Schweiz bleiben. Bei der Sprachförderung ist zuerst anzusetzen. Menschen, die hier bleiben dürfen, müssen unsere Sprache beherrschen. Sonst haben sie auch sehr grosse Probleme, eine Arbeit zu finden. Wir müssen die Leute verpflichten, mindestens eine Landessprache zu beherrschen. Das klingt nach obligatorischen Sprachkursen. Ja, und es muss ein Anreiz bestehen, die Sprache zu lernen. Mit einem Sprachkurs als Voraussetzung für die Aufenthaltsbewilligung würde man die Leute zu ihrem Glück zwingen. Das würde ich sehr begrüssen. Wohlverstanden müssten die Bewerber den Sprachkurs aus der eigenen Tasche mitfinanzieren. Wie konkret sind Ihre Pläne? Wir machen zurzeit Erfahrungen mit Pilotprojekten. In einem ersten Schritt gilt dies für die anerkannten Flüchtlinge, das sind rund 25 Prozent der Asylbewerber. Später soll er auf die vorläufig Aufgenommenen ausgeweitet werden. Den Kantonen, bei denen der Vollzug liegt, können Sie aber keine Sprachkurse für Flüchtlinge vorschreiben. Das stimmt. Dennoch können wir von Seite des Bundes Leitplanken setzen. Bei Flüchtlingen kann z. B. die Sozialhilfe gekürzt werden, und bei Ausländern kann eine solche Verpflichtung für eine Niederlassungsbewilligung vorgesehen werden. So haben wir vom Bund aus ein Druckmittel. Sie scheinen überzeugt von der Idee. Bis wann sind Sprachtests für Flüchtlinge und Ausländer umsetzbar? Wenn der Wille vorhanden ist, sehr schnell. Ich denke, die rechtlichen Voraussetzungen für diese Kurse liegen ab Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes vor, also ab 01. Januar 2008.

02.03.2007

Jugendgewalt und Jugendkriminalität

Kriens. Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung von SVP Kriens und SVP Luzern 02.03.2007, Kriens Kriens. Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung von SVP Kriens und SVP Luzern Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Das Ausmass der Taten In der Stadt Zürich vergewaltigt eine Bande von Jugendlichen ein dreizehnjähriges Mädchen. Alle zwölf Verdächtigen haben polizeiliche Vorakten, unter anderem wegen Raubdelikten. Die Medien und Behörden versuchen die Herkunft der Täter zu vertuschen. Erst Tage später schreibt der Tages-Anzeiger: „Unter den zwölf Verhafteten sind sechs Schweizer. Es soll sich um eingebürgerte Jugendliche aus dem Balkan und der Türkei handeln; die restlichen stammen ebenfalls aus dem Balkan sowie je einer aus Italien und der Dominikanischen Republik.“ (Tages-Anzeiger, 18.11.2006) Im November 2006 wird eine Massenvergewaltigung in Steffisburg (BE) bekannt. Die Beschuldigten: Zwei albanische Brüder (15 und 16 Jahre alt), ein Pakistani (15), ein Schweizer tamilischer Herkunft (16), ein Brasilianer (18) und zwei weitere 18jährige Ausländer. (Blick, 15.11.2006) Ebenfalls im November 2006 wird die Schändung der katholischen Kirche von Muttenz bekannt. Die jugendlichen Täter aus dem Balkan (alle nichtchristlichen Glaubens) haben den Innenraum mit Kot und Urin besudelt. (Basellandschaftliche Zeitung, 21.11.2006) Bereits im Juni 2006 ereignete sich im bündnerischen Rhäzüns eine brutale Schändung eines 5jährigen Mädchens. Die Täter: Zwei Jungen (10 und 13 Jahre alt) stammen aus dem Kosovo. 1. Das Ausmass der Jugendgewalt und die Brutalität haben erschreckend zugenommen. 2. Viele der jugendlichen Täter sind schlecht integrierte Ausländer, namentlich aus dem Balkan. 3. Es herrscht allgemeine Hilflosigkeit gegenüber dieser Entwicklung. Alle fühlen sich zuständig – also ist niemand wirklich zuständig. Alle halten die anderen für schuldig – also trägt keiner Verantwortung. 4. Nach wie vor versuchen Amtsstellen, aber auch gewisse Medien und politische Kreise das Thema Gewalt von jungen Ausländern zu leugnen, zu vertuschen oder zu verharmlosen. 2. Arbeitsgruppe zur Jugendgewalt Die Gewalt unter Jugendlichen beschäftigt viele Menschen. Die Bürgerinnen und Bürger – vor allem auch Eltern und andere Erziehungsverantwortliche – sind beunruhigt über die Entwicklungen in der Jugendkriminalität. – Dies gilt nicht nur für Ausländer, sondern allgemein. Ausserdem sind verschiedene Fachleute, Direktbetroffene, Ämter an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gelangt. Die eingangs erwähnten Vorfälle haben uns weiter bestärkt, die Jugendgewalt zur Kernaufgabe im Jahr 2007 zu erklären. Es besteht Handlungsbedarf. Die Jugendgewalt hat massiv zugenommen. Zugenommen hat nicht nur das Ausmass. Beängstigend ist, dass die Gewalt härter, brutaler und gnadenloser geworden ist. Es wird auf Schwache eingeprügelt, auch wenn das Opfer bereits wehrlos am Boden liegt. Und es gibt immer mehr auch organisierte Gewalt durch Gruppen und Banden, die sich oft ad hoc zusammensetzen und aktiv werden. Die Gesamtzahl der Jugendstrafurteile wegen Gewaltdelikten hat von 2000 bis 2005 um mehr als 80 % zugenommen, hat sich also fast verdoppelt (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, S. 261). Jugendstrafurteile nach Delikt, 2000-2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 14) 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Einfache Körperverletzung 265 381 401 466 519 638 Raub (Art. 140 StGB) 209 241 259 322 332 374 Drohung (Art. 180 StGB) 148 208 218 244 298 317 Bekanntlich lässt sich von Strafanzeige- bzw. Strafurteilsstatistiken nicht ohne weiteres auf die tatsächliche Häufigkeit von Straftaten schliessen (sog. Dunkelfeldproblematik), so dass über das Ausmass und die Entwicklung der Jugendgewalt keine vollständige Klarheit besteht. Die Dunkelziffer dürfte aber erheblich sein: Oftmals getrauen sich die Opfer nicht, die Strafbehörden einzuschalten, häufig aus Furcht vor weiteren Repressalien. Vor diesem Hintergrund scheint es weitgehend sinnlos, sich über Steigerungsraten zu streiten. Fakt ist: Jugendgewalt besteht in einem beunruhigenden Ausmass und Jugendgewalt nimmt stark zu. Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Hemmschwelle bei Jungen stark gesunken ist; sie schlagen schneller zu. Dabei spielt zum Teil übertriebener Alkoholgenuss eine Rolle, aber auch die omnipräsenten Gewaltdarstellungen im Alltag. Die Ausländerfrage spielt mit hinein. Die Zahlen und die Erfahrungen der Fachleute sprechen ein klare Sprache: Auffallend hoch ist der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“. Und dort wieder vor allem von Jugendlichen aus dem Balkan. Das ist die übereinstimmende Aussage der Verantwortlichen. Jugendstrafurteile nach Aufenthaltsstatus, 2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle Total Schweizer/innen Ausländer/innen mit Wohnsitz in der Schweiz Anzahl Anzahl % Anzahl % Einfache Körperverletzung 638 270 42,3 347 54,4 Raub 374 161 43,0 198 52,9 Drohung 317 147 46,4 159 50,2   Setzt man die Anzahl der Verurteilungen zur Anzahl der Angehörigen der entsprechenden Wohnbevölkerung in Beziehung, so akzentuieren sich die Unterschiede: Bei verschiedenen Delikten werden jugendliche Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz um ein Mehrfaches häufiger straffällig als Schweizer ihrer Altersgruppe (vgl. die Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 10). Aber auch unter den Jugendlichen ausländischer Herkunft bestehen beträchtliche Unterschiede. So machen gemäss den neuesten Zahlen aus dem Kanton Zürich bei Delikten gegen Leib und Leben Jugendliche aus Balkanländern 52,6 Prozent von allen ausländischen tatverdächtigen Jugendlichen aus. (Neue Zürcher Zeitung, 9.2.2007. Daten aus der Kriminalstatistik der Kantonspolizei Zürich.) So weit die ersten Erkenntnisse. So weit die ersten Schlüsse. So weit die erste Einkreisung des Problems. 3. Das übliche Reaktionsschema Als ich ein erstes Mal über die Ergebnisse einer dazu gebildeten dieser Arbeitsgruppe sprach, lief das übliche Reaktionsschema ab (wir kennen den Vorgang ja aus anderen Zusammenhängen): Die einen verharmlosen den Sachverhalt oder streiten ihn rundweg ab. Aus diesen Kreisen tönt es dann, die Jugendkriminalität habe im Vergleich zum Vorjahr gar nicht zugenommen. Es komme einfach auf das Zählverfahren an. Interessant. Die Kriminalität ist also bloss eine Frage der Buchhaltung. Andere rufen sofort: Aber halt! Der Justizminister ist für diese Frage gar nicht zuständig! „Eigenmächtige Einmischung“, betitelte eine Sonntagszeitung ihren Kommentar. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität sei doch Sache der Kantone. Der Bundesrat dürfte ja gar nichts unternehmen gegen die Jugendgewalt. Eine dritte Gruppe beschwichtigt: Wir haben doch schon alles bestens geregelt. Wir verfügen über die nötigen Gesetze. Keine der vorgeschlagenen Massnahmen sei wirklich neu. Die Ausweisung von notorischen Jugendstraftätern etwa werde bereits praktiziert. Besonders beliebt ist es auch nach wie vor, jeden Hinweis auf den auffallend hohen Ausländeranteil unter jugendlichen Straftätern als „fremdenfeindlich“ abzutun. Auf die gleiche Weise wurde jahrelang der Asylmissbrauch verschlampt. Auf die gleiche Weise wurden sämtliche Ausländerprobleme geleugnet. Schlimmer noch: Wer die Ausländerkriminalität beim Namen nannte, wer die hohen Sozialkosten von Ausländern kritisierte, wer auf die Gewaltbereitschaft von Leuten aus dem Balkan verwies, wer auf die grossen Probleme in Schulen mit hohem Ausländeranteil zu sprechen kam, wurde sofort selbstherrlich von den Linken, den Medien und Gerichten in die fremdenfeindliche Ecke gestellt. Beim Thema Jugendgewalt läuft es ähnlich ab. Die einen sagen: Das Problem ist herbeigeredet. Die Anderen sagen: Doch, doch, wir haben ein Problem – aber schuld sind die anderen. Die Jugendämter sprechen von der Verantwortung der Schule. Die Schulen von der Verantwortung der Eltern. Die Eltern von der Verantwortung der Schulen. Die Politik von der Verantwortung der Polizei. Die Polizei von der Verantwortung der Politik. Das Fazit der ganzen Aufregung: Am Ende passiert gar nichts. 4. Probleme erkennen und benennen Der erste Schritt zur Problemlösung ist immer der gleiche: Zuerst muss das Problem erkannt werden und zweitens muss das Problem beim Namen genannt werden. Wie sieht es mit dem Anstieg der Jugendkriminalität aus? Es gibt Zahlen, soweit sich diese polizeilich erfassen lassen. Doch die Dunkelziffer ist relativ hoch. Einerseits stellt man fest, dass die Opfer sich aus Furcht vor Repressalien oft nicht getrauen, die Polizei einzuschalten. Andererseits bestehen namentlich in Schulen Hemmungen, die Polizei einzuschalten. Wie sieht es mit der Zusammensetzung bei den Jugendstraftätern aus? Der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“ ist sehr hoch. Dabei handelt es sich vor allem um Jugendliche mit Identitätsproblemen. Diese führt zu Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühlen. Unsicherheitsgefühle werden sehr oft durch Gewaltanwendung kompensiert. Wenn wir die Probleme lösen wollen, muss man sie ansprechen dürfen, ohne dass einem Rassismus vorgeworfen wird. Durch Verdrängen löst man keine Probleme. Wie sieht es mit den Erziehungsverantwortlichen aus? Wir leiden heute unter den Spätfolgen antiautoritärer Erziehungsformen. Die Kinder werden alleine gelassen. Die Eltern setzen Grenzen oder stellen Schranken oft zu spät auf. Oft erst, wenn die Kinder und Jugendlichen am Rand der Kriminalität stehen. Und verstehen Sie mich richtig: Die Erziehungsfrage betrifft uns alle. Schweizer und Ausländer. Es beginnt damit, dass nicht mehr feststeht, wer verantwortlich für die Erziehung ist. Ist es die Schule? Sind es die Eltern? Ist es „die Gesellschaft“? Eltern haben begonnen, einen Teil der Erziehung an die Schule auszulagern – das überfordert die Lehrer. Man kann nicht verlangen, dass die Schule allein für die Erziehung verantwortlich ist. Fachleute sprechen von einer eigentlichen „Erziehungsverweigerung“ der Eltern. Bei aller Idealisierung der externen Kinderbetreuung: Die Eltern sind und bleiben verantwortlich für das, was ihre Kinder tun. Sie sind auch in die Pflicht zu nehmen. Wie jeder Obhutspflichtige müssen auch Eltern zur Rechenschaft gezogen werden: Mit Schadenersatzzahlungen, bei ausländischen Kindern bis hin zur Ausweisung der ganzen Familie. Natürlich kann sich auch die Schule nicht aus der Erziehungsaufgabe abmelden. Die Lehrpersonen brauchen darin aber Unterstützung, was oft fehlt. In schweren Fällen hat die Schule mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Lange Zeit hatten viele Lehrpersonen ein gestörtes Verhältnis zur Polizei; sie duldeten keine Polizei im Schulumfeld. Erste Versuche zeigen, dass wir Gewaltprävention auch in den Schulen brauchen: Erziehung zum gewaltfreien Zusammenleben an Schulen durch dafür ausgebildete Personen wie etwa Polizisten, ähnlich der Verkehrserziehung. Passieren Straftaten auf den Pausenplätzen, muss die Schule die Polizei rufen: Verletzung von Regeln ist konsequent zu sanktionieren. Dort, wo die Situation sehr problematisch ist, sind regelmässige Polizeipatrouillen sinnvoll. 5. Was ist zu tun? Wo haben wir also anzusetzen? Ein Missstand ist, dass die Strafverfolgung nicht immer effizient funktioniert. Es scheint nicht in erster Linie ein Problem der Gesetze zu sein, sondern des Vollzugs. Die Verfahren dauern zu lange, die angeordneten Sanktionen greifen oft zu kurz und verfehlen deshalb ihre Wirkung, die Koordination staatlicher Tätigkeiten ist mangelhaft. Die Folgen sind gravierend: Polizisten und andere Vollzugsleute sind frustriert, weil sie sehen, dass nichts passiert. Das lähmt die Arbeit. Resignation ist weit verbreitet. Auch bei Lehrern. Tatsache ist auch, dass die Behörden zu wenig gut vernetzt sind; oft weiss die eine Behörde nicht, was die andere tut. Migrations-, Einbürgerungs- und Polizei-, Zivilstands- und Schulämter müssen besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele verfolgen. Die ersten Ergebnisse bringen uns zu folgenden Schlüssen: 1.Die Eltern sind durch geeignete Massnahmen zu unterstützen: Eine Vielzahl von Studien geht heute davon aus, dass eine Ursache für Jugendgewalt durch Beziehungsdefizite in den Generationenbeziehungen zu erklären ist – also gestörte Beziehungen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern, Lehrern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen. Auch die COCON Studie des Jacobs Centers for productive youth development bestätigt, wie wichtig die emotionale Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern ist und wie prägend für den Entwicklungsstand des Mitgefühls und der Verantwortungsbereitschaft von Jugendlichen. Zu prüfen ist aber auch eine verstärkte Verpflichtung der Eltern zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung in der Erziehung. Denkbar wäre z.B. eine Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung der Eltern bei Vernachlässigung elementarer Erziehungspflichten. 2. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden muss verbessert werden: Das gilt zunächst einmal für Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden. Es darf nicht sein, dass diese Amtsstellen unabhängig voneinander vorgehen und die eine Behörde nicht weiss, was die andere tut. Hier ist vermehrte Koordination unabdingbar. Zentral erscheint aber die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Polizei: Hier ist zu prüfen, ob für die Lehrkräfte bei Delikten einer bestimmten Schwere eine Anzeigepflicht geschaffen werden soll. Wenn auf Pausenplätzen gravierende Straftaten begangen werden, muss die Polizei darüber informiert werden. Diese Massnahmen haben aber nur dann Erfolg, wenn die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer pädagogischen und erzieherischen Funktion gezielt geschult und unterstützt werden sowie im Zusammenspiel mit präventiven und intervenierenden und repressiven Massnahmen im Rahmen der Schulsozialarbeit umgesetzt werden. 3. Die Präventionsarbeit muss intensiviert werden, vorab an der Schule. Gewalt ist nicht nur als Thema in den Unterricht einzubauen, denkbar scheint insbesondere auch der Beizug erfahrener Polizeibeamter nach dem Vorbild des sog. Verkehrsunterrichts. Viele Präventionsmassnahmen erfordern ferner die aktive Beteiligung der Familien. Aus diesem Grund müssen Bemühungen vermehrt darauf ausgerichtet werden, auch fremdsprachige und wenig gebildete Familien ausländischer Herkunft für Präventionsmassnahmen zu erreichen. 4. Die Integration ausländischer Jugendlicher muss stärker forciert werden. Namentlich Sprachkenntnisse müssen so früh als möglich vermittelt werden. Wo die Integration aber konsequent verweigert wird, müssen effiziente ausländerrechtliche Massnahmen zur Verfügung stehen. Das muss bis zur Ausweisung führen können. 5. Die Strafverfahren sollen nach Möglichkeit verkürzt werden: Jugendliche müssen für begangenes Unrecht so rasch als möglich sanktioniert werden. Erfahrungen in der Jugendarbeit belegen, dass grosse zeitliche Distanzen zwischen Straftat und Sanktionsmassnahmen zusätzlich zu problematischem Verhalten führen. Dabei geht es nicht darum, um jeden Preis eine hohe Strafe zu fordern. Es müssen "massgeschneiderte", dem Täter angepasste Sanktionen verhängt werden. 6. Das neue Jugendstrafgesetz ist jetzt seit dem 1.1.2007 in Kraft. Es sieht eine breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten vor, es können nun auch härtere Strafen verhängt werden (Freiheitsentzug bis zu vier Jahren: Art. 25 JStG; statt wie bisher Einschliessung bis zu einem Jahr: Art. 95 StGB alte Fassung). Die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich sind genau zu beobachten. Sollte sich das neue Gesetz als unzureichend erweisen, sind möglichst rasch entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private.

01.03.2007

«Denken kann ich immer noch»

«Bundesrat Christoph Blocher würde das Messerstecher-Inserat nicht mehr machen, findet es überflüssig, Mitarbeiter zu loben, und sieht sich als eher einsamen, nicht sehr mächtigen Politiker.» 01.03.2007, Weltwoche, Roger Schawinski Herr Bundesrat, Sie waren lange Unternehmer. Seit drei Jahren sind Sie Manager. Was ist besser? Unternehmer. Man hat dort mehr Gestaltungsmöglichkeiten, das ist eindeutig. Das Kommandieren haben Sie immer als Ihre Stärke bezeichnet. Das können Sie jetzt nicht mehr. Fehlt das Ihnen heute? Kommandieren ist weder meine Art noch meine Stärke. Ich musste viel führen, darum kann ich dies relativ gut. Als Unternehmer und Mehrheitsaktionär war mein Schicksal mit dem Unternehmen verbunden. Als Unternehmer stand ich unter dauerndem Druck der Konkurrenz. Das stärkt. Das ist jetzt in der Verwaltung etwas anders. Dafür stehe ich hier unter politischem Druck. Und ich habe mehr Einengungen und weniger Entscheidungskompetenzen. Aber wenn Sie sagen, die Unternehmerrolle ist die stärkere, weshalb haben Sie zur schwächeren gewechselt? Ich war Unternehmer und Politiker und habe während zwanzig Jahren massiv Einfluss genommen auf die Politik. Am Schluss leider als Oppositioneller, weil die anderen aus meiner Sicht einen falschen Weg gegangen sind. Dann hat die SVP in den Wahlen so stark zugelegt und war plötzlich doppelt so stark wie 15 Jahre zuvor. Die Übernahme der Regierungsverantwortung hat sich daraus ergeben. Es war eine Sache der Glaubwürdigkeit. Ich konnte es verantworten, weil meine Kinder selbst das Unternehmen übernehmen konnten. Sie sagen also, die Wirtschaft sei effizienter als die Bundesverwaltung. Ja. Aber auch nicht alle Unternehmen. Aber als System? Ja, als System. Nicht weil die Wirtschaftsleute bessere Menschen sind, sondern weil sie unter gewaltigem Wettbewerbsdruck stehen. Wir haben in der Wirtschaft auch immer erst unter Druck reagiert. Dieser Druck fehlt in der Verwaltung. Es gibt ja keine Konkurrenz, die es besser macht. Deshalb bin ich der Meinung, dass man Bereiche wenn immer möglich der Wirtschaft übergeben soll. Ein Kennzeichen dieser besser funktionierenden Wirtschaft gegenüber der Verwaltung sind die Altersbeschränkungen. Leute, die ein gewisses Alter erreicht haben, sind offenbar nicht mehr in der Lage, dieser Konkurrenz standzuhalten. In der Politik ist das anders. Ich hätte als Unternehmer meine Firma bis neunzig führen können. Die grossen Firmen werden nicht von Unternehmern geführt, sondern von Managern. Ja, und grosse Unternehmen haben Altersbeschränkungen bei siebzig, unabhängig davon, ob dies im Einzelfall richtig oder falsch ist. Nein, die meisten schon bei 65 oder gar bei 62. Ich habe Altersbeschränkungen immer als eine fragwürdige Einrichtung gesehen. Das ist nämlich das Zeichen, dass man nicht den Mut hat, jemandem zu sagen: Jetzt bist du vorbei. Dabei hätte man auch sagen können: Wir kennen uns, du bist nicht mehr tüchtig! Ich habe immer die Haltung vertreten, wir brauchen ältere und jüngere Leute. Junge sind entscheidungsfreudiger. Aber sie haben weniger Erfahrung. Ich bin der älteste Bundesrat. Körperlich bin ich weniger leistungsfähig als vor dreissig Jahren. Doch ich mache vieles schneller und besser, weil ich grössere Erfahrung habe. Sie haben mehrfach gesagt, dass Konrad Adenauer Ihr Vorbild ist. Früher erklärten Sie mir immer, Sie würden bis 2026 SVP-Präsident des Kantons Zürich sein. Inzwischen haben Sie Ihr Ziel etwas höher gesteckt, nämlich bis zu diesem Datum im Bundesrat zu verbleiben. In den meisten Demokratien gibt es Amtszeitbeschränkungen, sogar in Russland. Eine Amtszeit von über zwanzig Jahren wäre schon sehr seltsam. Ganz ernst war ja diese Bemerkung nicht, aber ich verachte die Unsitte, dass, kaum ist man gewählt, man schon über einen möglichen Rücktritt spricht. Wer eine Aufgabe anpackt und bereits schon daran denkt zurückzutreten, nimmt das Amt nicht ernst. Clausewitz hat gesagt: Wer den Rücktritt plant, tritt ihn auch an. Im Übrigen werden wir ja gewählt. Das heisst, andere bestimmen, wann man ein Amt beendet. Also entscheide ich ja nicht selber. Doch. Bei Schweizer Bundesräten ist es seltsamerweise die Regel. Sie entscheiden selbst. Bei einem umstrittenen Politiker, wie ich es bin, würde man, wenn man auch nur schon mit der Lupe eine Spur von Altersmüdigkeit erkennen könnte, sofort den Rücktritt fordern. Sie schlagen fürs neue Aktienrecht viel mehr Demokratie vor als bei der Wahl des Bundesrats. Jeder Verwaltungsrat soll Ihrer Meinung nach jedes Jahr von den Aktionären neu gewählt werden müssen. Die Bundesräte werden hingegen nicht vom Volk gewählt, und dann nur alle vier Jahre. Das erscheint mir recht seltsam. Ja, das ist seltsam. Sie wissen, dass ich seit zwanzig Jahren für die Volkswahl der Bundesräte eintrete. Leider hat das jetzt keine Chance. Wenn Bundesräte auch jährlich ihre eigene Entschädigung festsetzen würden wie in Verwaltungsräten, dann habe ich kein Problem damit, dass sie jährlich gewählt werden. Sie haben Ihren langjährigen Generalsekretär Walter Eberle von der Ems Chemie hierher ins Bundeshaus mitgenommen, wo er eine ähnliche Funktion für Sie ausübt. Er hat mir einmal mit strahlenden Augen erzählt, dass Sie ihn seit zwanzig Jahren nicht ein einziges Mal gelobt haben. Das ist möglich. Wenn ich jemanden einstelle, dann sage ich, dass ich diese Loberei nicht mitmache. Leute, mit denen man eng zusammenarbeitet, die merken, ob man mit ihnen zufrieden ist oder nicht. Das hat ihn sicher nie gestört. Es erstaunt mich nur, weil es ein feudalistisches Gehabe ist. Der König muss seine Untergebenen nicht loben, weil die Positionsunterschiede eindeutig und unverrückbar sind. Sie sehen, er arbeitet gerne mit mir. Diese billige Loberei – das ist ja wirklich billig, ihm ständig zu sagen: «Das häsch dänn guet gmacht.» Bei Ihnen hat man das Gefühl, man muss dafür dankbar sein, dass man in Ihrer Nähe sein darf. Das entspricht nicht ganz dem heutigen Zeitgeist. Ich kann Ihnen sagen: Die Leute, die nicht auf diese Loberei angewiesen sind, das sind gute Leute. Sie arbeiten mehr als andere. Tun Sie das, weil Sie das möchten oder weil Sie weniger lang schlafen können? Ich bin nicht arbeitssüchtig. Ich freue mich, wenn ich die Arbeit niederlegen kann. Ich habe einen disziplinierten Wochenverlauf. Als Unternehmer habe ich nur bis Samstagabend um fünf Uhr gearbeitet. Nie am Sonntag. Das ist heute nicht immer möglich, weil ich gewisse Repräsentationspflichten habe. Wenn ich ein Problem sehe, dann muss ich es lösen. Daher muss ich viel arbeiten. Wann stehen Sie am Morgen auf? Um halb sechs. Manchmal früher, wenn es nötig ist. Das halte ich so seit meiner Zeit als Bauernknecht. Aber da ging man auch früher schlafen und nicht noch zu irgendwelchen Veranstaltungen. Nein, da war ich noch im Flegelalter. Da waren wir nicht immer um neun Uhr im Bett. Gibt es Momente, wo Sie sich schlapp fühlen? Ja, müde. Nach grossen Tätigkeiten bin ich müde. Auch am Abend bin ich in der Regel müde. Es gab auch Zeiten, in denen ich am Boden war und mich zurückziehen musste. Nach dem EWR-Kampf hatten Sie ein Burnout. Ja, wenn Sie dem so sagen wollen. Das gab es damals noch nicht. Wie nennen Sie es? Nun, ich war «uf de Schnure». Haben Sie hie und da Motivationsprobleme? Das mit der Motivation habe ich nicht gerne. Wenn man mich fragt: Müssen Sie sich nie zwingen?, dann sage ich: Jeden Tag und immer wieder, und manchmal muss ich mich überwinden. Im Gesamten aber habe ich Freude an der Arbeit als Bundesrat. Welche Dinge widerstreben Ihnen am meisten? Diese langen Sitzungen. Da denke ich immer wieder, das ginge auch schneller. Welche Sitzungen? Diejenigen des Bundesrates? Nein, im Bundesrat sind wir eigentlich eher rasch durch. Ich finde, man könnte noch etwas mehr vertiefen. Aber bei nationalrätlichen Parlamentskommissionen sitzen wir manchmal ganze Tage, um sehr allgemeine Dinge zu besprechen. Müssen Sie in diesen Sitzungen immer Aufmerksamkeit zeigen? Ja, ich bin aufmerksam. Es wäre wahrscheinlich nicht immer notwendig. Das merkt man aber erst hinterher. Bundesrat Schmid hat gesagt, er werde wieder antreten, auch wenn Sie nicht gewählt würden. Hat er Sie darüber im Vorfeld informiert? Er hat mich nicht informiert, aber ich habe es auch nicht erwartet. Die Partei hat entschieden: Wenn man mich oder ihn abwählt, geht die SVP in die Opposition. Wenn einer trotzdem als Bundesrat gewählt wird und er bleibt, ist er einfach nicht mehr Mitglied der Partei. Der Wahlkörper muss selbst wissen, ob er dann einen parteilosen Bundesrat haben will. Sie haben immer gesagt, der Staat sei zu stark in der Schweiz. Sie sind nun seit drei Jahren Bundesrat. Wo haben Sie ihn schon massgeblich geschwächt? Ich habe massive Kostensenkungs-Massnahmen in der Verwaltung durchgeführt. Das ist das Einfachste. Das haben Sie schon in jeder Firma so gemacht. In Firmen schon. Aber in der Verwaltung ist das nicht so einfach. Wenn Sie Kosten zurücknehmen, dann schwächen Sie den Staat in Gebieten, wo er nicht nötig ist. Ich habe auch eine Reihe von Gesetzen gemacht, um die Privaten mehr zum Zug kommen zu lassen. Jetzt kommt die Energiediskussion. Die Energieversorgung des Landes ist Sache der Privatwirtschaft. Wir müssen ihr die Möglichkeit geben, Kraftwerke zu bauen – und basta. Das ist, wenn Sie so wollen, eine Schwächung des Staates. Ich bin für einen starken Staat, aber Stärke nur dort, wo die Aufgaben nötig sind. Wenn man wirklich Kosten sparen will, muss man Subventionen abbauen. Wie viele Milliarden haben Sie bei der Landwirtschaft eingespart? Das ist nicht mein Departement. Aber es müsste trotzdem ein Anliegen von Ihnen sein. Hier könnte man am effizientesten sparen. Kommt darauf an, was Sie wollen. Kein Land unterstellt die Landwirtschaft der freien Marktwirtschaft. Es geschieht also nichts in diesem Bereich. Das kann man so nicht sagen. Ich bin für einen freieren Markt für die Landwirtschaft, für den Abbau von staatlichen Vorschriften und damit für mehr Freiheiten für die Landwirte. Da setze ich mich ein. Dann braucht es tatsächlich weniger Unterstützung. Ist es nicht ein heikles Thema, das Sie im Hinblick auf die SVP-Wählerschaft nicht prioritär angehen möchten? Ich finde es viel heikler, wenn man in der Privatwirtschaft, die keine Subventionen haben dürfte, Unterstützungen gibt und damit den Wettbewerb und die Wirtschaft lähmt. Die ganze Hotellerie etwa oder die Tourismus-, Wohnbau-, Medien-, Wirtschafts- und andere Förderung. Das schwächt die Gesunden. Wir brauchen auch private Fernsehsender, Konkurrenz. Da habe ich Sie immer unterstützt. Wir sind in einem Wahljahr. Sie können nicht mehr das tun, was Sie immer getan haben, nämlich einen offenen Wahlkampf führen. Sie müssen nun einen verdeckten führen. Ich führe keinen verdeckten Wahlkampf. Diesen Eindruck habe ich nicht. Für mich sind Wahlen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen politischen Wegen. Und jetzt sagt man, ein Bundesrat äussert sich nicht zu den Wahlen, als ob ein Bundesrat ein politischer Eunuch wäre. Ich habe doch eine politische Gesinnung. Ich bin nicht nur Manager, wie Sie am Anfang des Gesprächs gesagt haben, ein Bundesrat ist in erster Linie ein Politiker. Das heisst, Sie setzen immer noch die Wahlkampfthemen, zum Beispiel die Ausschaffung von kriminellen jugendlichen Ausländern. Haben Sie das bessere Gespür für solche Themen als andere in Ihrer Partei oder weniger Skrupel, heikle Themen aufzugreifen? Es gehört in meine Verantwortung als Chef des Justiz- und Polizeidepartements. Es ist insbesondere meine Aufgabe, das zu sagen. Aber es ist auch Wahlkampf. Nein, es ist kein Wahlkampf. O.k., Vorwahlkampf. Wir sind nun eben im Wahljahr, da können Sie alles als Wahlkampf nehmen. Ich mache auch das Obligationenrecht, weil ich zuständig bin. Aber damit holt die SVP keine Stimmen. Die Bundesratsparteien haben die Jugendkriminalität auf die Traktandenliste der Von-Wattenwyl-Gespräche gesetzt, nicht ich. Da nehme ich Stellung dazu. Ich kann als Bundesrat in dieser Situation zunehmender Gewalt mit einem hohen Anteil ausländischer Täter nicht schweigen. 60 Prozent der Taten werden von Ausländern verübt mit einem Schwergewicht von Leuten aus dem Balkan. Da müssen wir etwas tun. Und in schweren Fällen auch ausweisen. Dazu fehlt heute die gesetzliche Grundlage. Nicht durchwegs. Die Migrationskommission vertritt diese Meinung. Ja, komischerweise. Man muss diesen jungen Leuten die Konsequenzen mitteilen, dass sie ausgewiesen werden können. Für gewisse Fälle haben wir die gesetzlichen Grundlagen allerdings noch nicht. Es ist eine Fortsetzung des berühmten Messerstecher-Inserats, mit dem die SVP des Kantons Zürich Mitte der neunziger Jahre auf Stimmenfang gegangen ist. Das Inserat würde ich heute nicht mehr machen, obwohl es eines der besten Inserate war. Das ist ein Widerspruch: eines der besten, das man nicht mehr machen würde. Ich mache überhaupt keine Inserate mehr. Das ist klar. Aber Sie haben gesagt: Sie würden es nicht mehr machen. Weshalb? Weil die SVP heute die grösste Partei und vollwertige Regierungspartei ist. Damals war sie Oppositionspartei. Jetzt haben wir andere Möglichkeiten. Heute können wir dieselben Sachen als Verantwortliche aussprechen. Eine Oppositionspartei hat einen anderen Stil. Das muss und darf sie auch haben. Welche Rolle passt Ihnen besser? Als Oppositioneller erhielten Sie von Ihren Leuten im Albisgüetli mehr Applaus. Das ist verständlich. Ich habe heute die Politik des Bundesrates zu vertreten. Das ist die Kollegialität. Ich hätte als Oppositioneller im Albisgüetli vielleicht zwei, drei Dinge behandelt, die ich ausgeklammert habe. Das ist der Preis der Regierungsbeteiligung. Sie lieben Reizthemen. Auch in Ihrer Zeit in der Wirtschaft gingen Sie oft bis an die Grenze des Erlaubten. Sehen Sie sich vom Typ her selbst als Grenzgänger? Nein. Aber weshalb werde ich oft so gesehen? Vielleicht liegt es daran, dass es mir gelingt, mich nicht nur für etwas einzusetzen, das bereits alle andern tun. Da bin ich ja nicht notwendig. Zum Beispiel den Steuerstreit mit der EU, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen. Da hören Sie von mir praktisch nichts, weil es alle tun. Ich mache die Dinge, für die sich niemand engagiert. Ich habe vor nichts eine so grosse Angst, als wenn alle blindlings einer Sache hinterherspringen. Wenn früher alle Direktoren meiner Firma sagten: «Das machen wir», dann habe ich ganz allein – als Advocatus Diaboli – das Gegenteil vertreten, selbst wenn ich gar nicht dieser Meinung war. Darum bin ich auch im Bundesrat immer auf einer kritischen Seite. Das meine ich nicht. So verhält man sich als kritischer Geist. Es geht mir darum zu wissen, ob Sie testen wollen, wo die Grenze des Erlaubten ist, wo man das Gesetz ritzt. Ich frage immer meine Juristen, ob ich zuständig bin. Ich sehe eine andere, grössere Gefahr in der Politik. Alle sagen immer: «Da bin ich nicht zuständig.» Wenn es heikel wird, dann ist niemand zuständig. Bei Ihnen ist es umgekehrt. Bei Ihnen hat man das Gefühl, dass Sie sogar das Grundprinzip der Gewaltentrennung zu opfern bereit sind, wenn Sie damit ein für Sie wichtiges Anliegen durchbringen können. Wenn das Bundesgericht einen Entscheid fällt, habe ich mich als Bundesrat daran zu halten. Aber das heisst nicht, dass man eine andere Gewalt nicht kritisieren darf. Es gibt auch das Prinzip der Gewaltenhemmung. Montesquieu, der grosse Schöpfer der Gewaltentrennung, hat auch das gefordert. Ich vertrete nicht die Meinung, dass man bei der Kritik an einer Staatsgewalt deren Würde verletzt. Das haben die Kaiser gefordert. Mit der Demokratie verträgt sich dies nicht. Ist es Ihnen eigentlich peinlich, dass Christoph Mörgeli in seiner Kolumne in der Weltwoche beinahe jede Woche auf Ihre Feinde einhaut und Sie blindlings verteidigt? Er hat nur ein Thema. Nein, nein, so ist es nicht. Ich lese seine Kolumnen mit Vergnügen. Das kann ich mir gut vorstellen. Er ist ein hervorragender Kolumnist. Ich lese auch die Kolumne von Herrn Bodenmann. Das ist immer das Gleiche. Immer für den EU-Beitritt. Flüstern Sie Mörgeli hie und da Themen zu? Nein. Ich habe mit ihm wenig Kontakt. Ich bin etwas einsam als Bundesrat. Was fehlt Christoph Mörgeli zu einem grossen Politiker, wie Sie es sind? Er ist jünger. Da weichen Sie aber massiv aus. Ich weiss nicht, ob er überhaupt ein Politiker sein will. Man musste ihn richtiggehend zwingen, auf die Nationalratsliste zu gehen. Er war zudem mein grösster Gegner, als ich Präsident der Zürcher SVP wurde. Heute ist er das Gegenteil. Ja, er hat sich bekehrt. Er hat wahrscheinlich gemerkt, dass er falsch gelegen ist. Als er gewählt wurde, hat er mir gesagt: «Jetzt habe ich den Dreck.» Er hat sich damals sogar geweigert, ein Foto für das Bild zu liefern, auf dem alle Kandidaten gezeigt wurden. Ist er nicht ein Hors-sol-Politiker? Alles aus dem Kopf und nichts aus dem Bauch. Er ist intellektuell brillant, und das ist kein Nachteil. Der Bauch gehört auch dazu. Weil ich weniger im Kopf habe, habe ich mehr im Bauch. Was ist Ihre stärkste Eigenschaft? Ihre Intelligenz, Ihr Fleiss oder Ihr Gespür? Ich bin eher ein intuitiver Mensch. Ich habe die meisten grossen, wichtigen Entscheide im Leben intuitiv getroffen. Ich habe sie schon intellektuell durchdacht. Am Schluss habe ich intuitiv entschieden oder – wenn Sie so wollen – aus dem Bauch. Gleichsam die Summe von Intelligenz, Fleiss und Gespür. Wie viele Prozente kostet es die SVP im Herbst, dass Sie Bundesrat sind? Ich glaube nichts. Ich halte es durchaus für möglich, dass sie nochmals zulegt. Aber sie könnte mehr zulegen, wenn Sie noch in Ihrer alten Rolle wären. Als ich Bundesrat wurde, sagten wir uns, dass wir wahrscheinlich als volle Regierungspartei weniger zulegen können. Aber wenn wir es gut im Bundesrat machen, spielt dies keine so grosse Rolle mehr, weil es eine noch grössere Partei nicht mehr so dringlich braucht. Bisher zeigen die kantonalen Resultate nicht dieses Ergebnis. Sie sind besser als erwartet. Was nützt der SVP am meisten? Wenn man Ihre Wiederwahl zum Hauptthema macht oder wenn das eher eine untergeordnete Rolle spielen wird? Die anderen haben es nun zum Thema gemacht. Ja, so wie es jetzt gemacht wird, nützt es der Partei. Dieses Blocher-Bashing durchschauen die Wähler. Das heisst, Sie müssen in den nächsten Monaten provozieren. So funktioniert ein Blocher. Nein, nein, so schlau ist er nun auch wieder nicht. Er ist schlauer als alle anderen zusammen. Ich habe nicht dazu beigetragen, dass man mich so angreift. Beim Asylgesetz haben die Gegner ein Eigentor geschossen: Sie haben verbreitet, dass Blocher ein schlimmer Mensch sei. Das Asylgesetz sei ein Blocher-Gesetz, darum müsse man es ablehnen. Resultat: 70 Prozent haben dafür gestimmt. Was muss ein Bundesrat tun, damit Sie ihm Respekt zollen? Ich habe Respekt vor allen Bundesräten, schon wegen des Amtes. Es geht ja nicht nur ums Amt. Auch um die Person. Wenn einer seine Sache gut macht, habe ich Respekt, auch wenn ich eine andere Meinung habe. Was ich nicht gerne habe, sind die charakterlichen Schwächen. Wenn sich einer immer um alles drückt. Wenn einer nur immer sich selbst sieht und bei allen Entscheiden abwägt, ob ihm dabei etwas Negatives passieren kann. Von wem sprechen Sie? Ich nenne keine Namen. Storm hat gesagt: «Der eine fragt: Was kommt danach? / Der andre fragt nur: Ist es recht? / Und also unterscheidet sich / Der Freie von dem Knecht.» Ich habe gerne Freie und nicht Knechte ihrer selbst in der Regierung. Wir kennen uns ja schon länger. Es gibt Leute im Bundesrat, über die sind Sie schon mit den unflätigsten Worten hergezogen. Früher, als ich noch nicht Bundesrat war, vielleicht. Ich vergöttere das Kollegialitätsprinzip nicht. Aber zwei Sachen sind von Bedeutung: Wenn einmal beschlossen wurde, dann hat man sich daran zu halten. Und zweitens bekämpfe ich Kollegen nicht in der Öffentlichkeit. Im Bundesrat, wenn es nötig ist. Sie sagen immer wieder: das Amt, das Amt. Das passt nicht so richtig zu Blocher, weil man bisher das Gefühl hatte, dass Blocher das sagt, was er denkt. Nun müssen Sie sich verbiegen. Denken kann ich immer noch. Das ist ein grosser Vorteil. Es stimmt, dass ich nicht mehr in allen Fragen sagen kann, was ich denke. Ist das ein Verlust für Sie, vielleicht sogar ein grosser? Es ist ein Verlust. Dafür habe ich andere Gewinne. Wenn die SVP die Wahlen gewinnt, ist es dann wahrscheinlicher, dass es zu Departementswechseln kommt? Dann hätten Sie mehr Chancen, sich in dieser Frage durchzusetzen. Wir haben das Anciennitätsprinzip, das heisst nach Amtsjahren, nicht gemäss dem Alter. Es ist kein Geheimnis, dass ich dieses Departement nicht gesucht habe. Ich hätte lieber die Finanzen gehabt. Gibt es eine Möglichkeit, dass Sie es nach den nächsten Wahlen bekommen? Wenn Herr Merz wieder antritt und die Finanzen will, ist es ausgeschlossen. Es ist nicht ganz so wichtig, welches Departement man führt. 50 Prozent meiner Zeit verwende ich für die anderen Geschäfte im Bundesrat. Weil Sie fleissiger sind als andere, sichern Sie sich Ihre Macht, indem Sie sie mit Ihren Mitberichten zudecken. Wenn der Bundesrat entscheidet, trage ich eine Mitverantwortung. Da muss ich diese Entscheide auch beeinflussen. Kann man seine Macht ausdehnen, indem man auf diese Weise in die anderen Bereiche aktiv hineinregiert? Man kann es so sehen. Ich habe einen Auftrag, im Bundesrat dafür zu sorgen, dass es gute Entscheide gibt. Wenn der Bundesrat einen Gesamtentscheid trifft, der falsch ist, und ich hätte nichts getan, hätte ich schlaflose Nächte. Am Anfang sagte man mir, es sei nicht üblich, viele Anträge zu stellen. Heute ist es courant normal. Die anderen machen es auch, und wir haben ein sehr gutes Arbeitsklima im Bundesrat, besser als früher. Damit werden Sie Primus inter Pares und langfristig so eine Art Premierminister. Nein, nein, ich habe keine besonders starke Stellung. Ich unterliege oft. Haben Sie eigentlich Glück, dass die Wirtschaft boomt, ohne dass die Regierung massgeblich dazu beigetragen hat? Da haben Sie völlig recht. Das ist das Glück der Politiker, dass die Leute ein sehr kurzes Gedächtnis haben und dass die Politiker alles, was positiv ist, an die eigene Fahne heften. Die positive Wirtschaftslage der Schweiz hat mit uns Politikern wenig zu tun. Für die schlechte waren die Politiker aber mitverantwortlich. Heute nimmt die Ausgabendisziplin ab, und die Rezension kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, und dann wird man Steuern wieder erhöhen müssen. Es ist also kein guter Zustand. Sie haben keinen Computer. Sie können auch keinen Computer bedienen. Ist das Technologiefeindlichkeit oder Altersstarrsinn? Ich bin etwas verwöhnt. Ich habe schon direkt nach dem Studium eine Sekretärin gehabt. Ich musste nie auf der Schreibmaschine schreiben. Das kann ich auch nicht. Ich kann nicht einmal eine Rechenmaschine bedienen. Ich habe mein ganzes Leben mit Zahlen zu tun gehabt. Rechnete das Wichtigste im Kopf. Das ging nur, weil ich Leute hatte, die die Elektronik beherrschen. Ich bin nicht dagegen. Ich war der erste Politiker in der Schweiz, der eine eigene Homepage betrieb. Aber ich persönlich brauche diese Dinge nicht. Sie können gar nicht wissen, was Sie vermissen. Ich habe keinen Mangel festgestellt. Der Technologiestandort Schweiz hat einen Bundesrat, der nicht einmal eine Mail verschicken kann? Ist das nicht ein schlechtes Zeichen für die Jugend unseres Landes? Wenn die Tüchtigkeit daran gemessen wird, ob man eine Mail verschicken kann, dann haben Sie recht. Aber für Führungskräfte ist dies doch nicht massgebend. Für eine gute Sekretärin allerdings schon. Ich muss anderes können. Wie Sie wissen, habe ich auch keinen Fernseher. Ich habe nie Zeit verloren mit Fernsehsendungen. Vielleicht habe ich dadurch Lücken. Natürlich, wenn man gute Sekretärinnen hat, kann ich diese Dinge delegieren. Auch heute habe ich noch zusätzlich eine private Sekretärin für meine privaten Belange, für meine Kunstsammlung und meine private Post. Seit ich im Bundesrat bin, kann ich immerhin schon ein Handy bedienen! Noch nicht einmal dies konnte ich vorher. Heute muss ich 24 Stunden erreichbar sein. Ich kann jetzt eine SMS schicken und bin ganz stolz. Ich gratuliere. Weil ich es brauche, habe ich es gelernt. Trotzdem wissen Sie alles, was am Fernsehen läuft. Wie ist Ihre Überwachungstruppe organisiert? Als Bundesrat habe ich einen Informationsdienst. Der liefert mir bis elf Uhr auf maximal zweieinhalb Seiten, was in den vergangenen 24 Stunden gesendet und geschrieben wurde, was mein Departement betrifft. Und ich lese jeden Tag eine bis zwei Zeitungen. Das ist alles? Welche? Regelmässig die NZZ, nicht ganz regelmässig Le Temps, und wenn der Tages-Anzeiger hier herumliegt, lese ich den auch hie und da. Wenn er herumliegt... Ja. Er liegt noch häufig hier herum. Und dann lese ich relativ gut die Weltwoche. Das ist eine interessante Zeitung, weil sie einen Kurs hat, der den Problemen nachgeht, die sonst niemand abdeckt. Ich erfahre viel, auch als Bundesrat, wo ich sage, aha, das ist ja neu. Waren Sie je direkt oder indirekt an der Weltwoche beteiligt? Nein. Es war ein Glück, dass ich das nicht musste. Aber ich habe mich in dieser Sache bei anderen eingesetzt. Das ist eine besondere Zeitung. Die nützt auch der Wirtschaft. Die macht dieses kopflose Wirtschafts-Bashing nicht mit. Haben Sie einen Berater oder gar mehrere? Nein. Ich bin der einzige Bundesrat, der keinen persönlichen Berater hat. Kein Internet, ein oder zwei Zeitungen, kein Fernsehen, kein Berater – da hat man wirklich das Gefühl, dieser Mann ist unterinformiert. Ich hatte noch nie das Gefühl, ich sei nicht informiert. Man glaubt, Leute, die alles sehen und hören, seien informiert. Das ist gar nicht wahr. Wir haben eher zu viele Informationen. Man erfährt viel Nebensächliches, das man nicht einordnen kann. Es stimmt aber, dass ich mit der Beurteilung von Situationen etwas später komme als andere. Denken Sie auch hie und da daran, dass die Macht mental korrumpieren kann? Ich habe nicht das Gefühl, ich sei mächtig. Ich weiss nicht, ob ich zuvor nicht mehr Macht hatte. Ich suche Macht, soweit ich sie brauche, um das durchzusetzen, was ich muss. Sie sind mehrfacher Milliardär, Schlossherr, Besitzer einer der wichtigsten Kunstsammlungen des Landes, und jetzt sind Sie noch der erste Mann im Bundesrat. Ist das nicht eine unschweizerische Anhäufung von Macht? Nein, sonst wäre ich ja nicht Schweizer. Ich bin ein Schweizer durch und durch. Geht es nicht etwas zu weit, wenn man alles zusammennimmt? Was haben Sie dagegen: Ich habe mit nichts begonnen und niemandem etwas gestohlen. Berlusconi hat auch mit nichts begonnen. Das ist doch ein schönes Beispiel! Allein durch die Tüchtigkeit wurde das geschaffen. Das Unternehmen habe ich meinen Kindern übergeben. Die leben nicht in Saus und Braus. Sie wollen auch etwas tun – nämlich das Unternehmen erfolgreich führen. Sie hatten eine nette Starthilfe. Aber sie haben das Unternehmen auch teuer übernehmen müssen. Auf hohem erfolgreichem Niveau Erfolg haben, das ist auch Kunst. Mancher bekommt Geld und macht nichts damit. Geld haben ist keine Schande und reich werden auch nicht. Aber Geld verdummen und dabei arm werden, das ist es schon eher. Hodler und Anker sind quasi Nationalmaler der Schweiz, ein wichtiger Teil des Kulturgutes der Schweiz gehört Ihnen privat. Wann vermachen Sie Ihre Sammlung der Schweiz im Rahmen eines Blocher-Museums? Ich weiss nicht, ob ich das mache. Ich glaube, es steht der Öffentlichkeit zu, diese Bilder sehen zu können. Das nicht. Aber damit sich andere daran erfreuen können, gebe ich diese ja auch immer wieder in Ausstellungen. Für den Staat ist es eine grosse Belastung, wenn man ihm ein Museum mit Bildern schenkt. Sie würden es wohl auch schaffen, den Unterhalt zu übernehmen. Heute freue ich mich, jeden Tag die Bilder zu sehen. Wenn ich sie nicht hätte, hätte sie ein anderer.

26.02.2007

Jeder Markt hat eben einen anderen Preis

«Bundesrat Blocher ist gegen Parallelimporte von patentierten Gütern, um Eigentümer zu schützen. Über Managerlöhne sollen Aktionäre indirekt abstimmen können.» 26.02.2007, NZZ am Sonntag, Daniel Hug und Fritz Pfiffner Herr Bundesrat, Sie wollen mit der Reform des Aktienrechts die Rolle des Aktionärs stärken. Soll er künftig die Lohnpolitik eines Unternehmens abstimmen können? Christoph Blocher: Einerseits ist vorgesehen, dass die Statuten Grundsätze der Salärpolitik vorsehen können. Aber man muss aufpassen: Ich habe mir zum Beispiel die Grundsätze, die die Credit Suisse bekannt gegeben hat, angeschaut; doch das ist kaum verständlich. Der jetzige Aktienrechtsentwurf sieht zusätzlich vor: Wenn jedes Jahr die Bezüge neu bestimmt werden, muss auch jedes Jahr der Verwaltungsrat einzeln gewählt werden, unter Angabe der Bezüge. Dann hat man indirekt eine Möglichkeit, die Bezüge zu bestimmen. Das macht die ABB schon heute. Wenn die Bezüge für drei oder vier Jahre bestimmt werden, kann die Frist auch länger sein. Bis jetzt hat noch niemand einen besseren Vorschlag gebracht. Sie wollen auch das Depotstimmrecht der Banken streichen. Bleiben Sie dabei? Daran halten wir fest. Wir sagen nicht, wie viel die Firmenleitung verdienen soll. Das ist Sache der Gesellschaft. Aber die Aktionäre müssen die Möglichkeit haben, ihrem Willen Ausdruck geben zu können. Hier geht es um das Eigentum der Aktionäre, und wenn dieses Eigentum nicht mehr gewahrt ist, muss der Staat etwas machen, um es zu schützen. Wie im Patentrecht auch. Gibt es eine gesellschaftspolitische oder ethische Grenze für Löhne? Für den Erfolg in einer Firma ist die oberste Führung massgebend. Es gibt keine schlechten Firmen, nur schlechte Chefs. Nehmen Sie als Beispiel die ABB, als sie am Boden war. Dann holten sie mit Herrn Dormann von der Hoechst einen qualitativ guten Mann mit grossem Leistungsausweis. Mit seinem Finanzchef Voser und dem Management hat er die Firma in Ordnung gebracht. Wer hätte dies ebenso gut tun können? Darum spielt es nicht so eine grosse Rolle, wie hoch der Bonus für diese Leistung ist. Die Frage ist stets: Finden Sie einen Besseren für weniger Geld? Der oberste Chef ist der Stellvertreter des Eigentümers. Also gleichsam ein Unternehmer. Aber dem Unternehmer gehört eben nicht nur der Gewinn, sondern auch der Verlust. Diesen Verlust hat der Manager nicht, es bleibt ihm ja immer noch mindestens das Grundsalär. Aber all das sind unternehmerische Betrachtungen. Es ist nicht Sache des Staates, für eine Begrenzung zu sorgen; aber der Staat hat dafür zu sorgen, dass die Aktionärsdemokratie funktioniert. Weil der Staat das Privateigentum schützen muss. Novartis-Chef Vasella hat goldene Fallschirme, die ihm fünf Jahressaläre bei einem Verkauf der Firma zusichern. Ihre Meinung zu solchen Verträgen? Es ist nicht Aufgabe des Bundesrates, die Anstellungsbedingungen von Herrn Vasella zu bestimmen. Als Unternehmer würde ich dies wahrscheinlich ändern. Aber dazu muss Novartis Stellung nehmen. Wer hat den Managern diese Entschädigungen bewilligt? Die Salärkommission des Verwaltungsrats, den Vasella selber präsidiert. Wer ist der Eigentümer bei diesen Gesellschaften? Der Aktionär. Zugegeben, der Schutz des Eigentums bei den grossen Aktiengesellschaften funktioniert heute schlecht. Der Aktionär kann sein Eigentum zu wenig wahren, weil es pulverisiert ist. Es ist ähnlich wie in einem kommunistischen Staat: Da sind alle Miteigentümer des Staatseigentums, alles gehört allen. Aber der Bürger kann sein Eigentumsrecht nicht ausüben. Am Ende bleibt eine kleine Gruppe, die das Eigentumsrecht ausübt. Das liegt in der Natur der Sache. Darum müssen wir im Aktienrecht den Einfluss der Eigentümer stärken. Die Wirtschaft floriert, der Wohlstand steigt, aber nicht für alle gleich. Ist die Hochpreisinsel Schweiz ein Problem? Die Wirtschaft floriert - es profitieren alle. Die Arbeitslosigkeit ist klein, die Arbeitsplätze sind relativ sicher. Übrigens: Die Schweiz ist heute keine Hochpreisinsel mehr, das sage ich auch den Hoteliers. Bei den guten Hotels sind wir heute auch gegenüber vergleichbaren Ländern wie etwa England, Italien oder Deutschland preislich sehr gut. Das hat auch mit dem gestiegenen Euro zu tun. Der Bundesrat hat im November 2006 beschlossen, dass Produkte, die in der EU in Verkehr gebracht worden sind, künftig auch in der Schweiz zugelassen sein sollen, nach dem Cassis-de-Dijon-Prinzip. Bis Mitte März läuft die Vernehmlassung. Wie sind die Reaktionen? Erste Einwände kommen natürlich: Man hat in der Schweiz Sondernormen geschaffen, etwa zum Schutz der Gesundheit, der Umwelt, der Konsumenten und der Sicherheit. Viele Produkte, deren Sondernormen wegen des Schutzes der Gesundheit und der Umwelt geschaffen wurden, sind ja weitgehend ausgeklammert. Nun kommen Konsumenten und sagen: Wir haben Vorschriften zum Schutz der Konsumenten, wir möchten einen Schutz behalten. Denken Sie an die Lebensmittel, wo wir eine höhere Deklarationspflicht haben. Hier wird es Widerstand gegen die Liberalisierung geben. Wir müssen schliesslich entscheiden: Wollen wir den freien Handel oder die Sondervorschriften? Heute zahlen wir für identische Importgüter oft höhere Preise als im Ausland, weil viele Hersteller dem Händler den Verkaufspreis de facto weiter vorschreiben. Die Aufhebung dieser vertikalen Bindungen hatten Sie im Nationalrat mit "Diebstahl" und "schwerwiegende Einschränkung des Eigentums" kritisiert. Sehen Sie dies heute noch so? Ja, natürlich. Sie sind offenbar für die Enteignung des Privateigentums. Wenn ich ein Auto baue in Deutschland und in der Schweiz für einen bestimmten Preis verkaufe, mit dem ich mich im Wettbewerb durchsetze, ist es Enteignung, wenn der Staat den Preis reduziert. Jeder Markt hat einen anderen Preis. Ich war als Unternehmer in allen Ländern tätig, und wir hatten in allen Ländern einen unterschiedlichen Preis. Die Marktsituation, Bearbeitungskosten und Zugänge waren jeweils verschieden. Wenn jemand in einem Markt zum Beispiel seine Überschussproduktion verkauft, darf er doch vorschreiben, dass diese Ware nicht weiter in seine Märkte exportiert wird. Das Privateigentum ist die Säule der Privatwirtschaft. Im Autobereich hat man ja die vertikalen Bindungen verboten. Die Autos sind trotzdem nicht billiger geworden. Die grossen Preisunterschiede zu den Nachbarländern sind jedoch verschwunden. Die Drohung des Parallelimports hat gereicht. Wir hatten bei den Autos schon zuvor einen starken Wettbewerb. Wohl weil wir keine eigenen Autohersteller haben. Die Autohersteller haben mit Gegenmassnahmen reagiert: Sie lassen je nach Markt nicht mehr alle Typen zu und nehmen den Vertrieb zunehmend selbst in die Hand. Zu schützen ist auch die Freiheit des Unternehmers, die Produkte dort zu kaufen, wo sie günstig sind. Sonst subventionieren die Schweizer Konsumenten, welche höhere Preise zahlen müssen, die ausländischen Konsumenten. Kaufen können Sie, was und wo Sie wollen, aber nur, was auf dem Markt erhältlich ist. Ein Produkte-Inhaber hat ein eigenes Gut. Was damit geschehen soll, muss doch der Privateigentümer bestimmen können. Er muss selbst entscheiden können, dass er ein bestimmtes Produkt nicht in einem Land haben will. Der Produzent muss Eigentümer seines Produktes bleiben. Aber es steht Ihnen frei, ein Konkurrenzprodukt auch auf den Markt zu bringen - und erst noch billiger. Die Konkurrenz wird ein zu teures Produkt aus dem Markt werfen. Der Streit bei den Parallelimporten dreht sich heute vor allem um patentgeschützte Produkte. Wie sehen Sie hier die Situation? Das Patentrecht ist ein privates Eigentumsrecht: Wer ein patentiertes Gut verkauft auf einem Markt, kann sich dagegen wehren, dass andere gegen seinen Willen dieses Gut nachmachen, verkaufen oder in die Schweiz reexportieren. Ein Sonderfall sind patentgeschützte Medikamente: Sie unterliegen nicht nur dem Schutz des geistigen Eigentums, sondern zusätzlich einer staatlichen Preisbindung, was ein grosser Unfug ist. Für alle patentierten Güter sind in allen Industrieländern Parallelimporte verboten, wenn dies der Eigentümer verlangt - auch in der EU, wobei die EU diesbezüglich wie ein Staat auftritt … … bestehend aus 27 Ländern. Nach aussen aber ein einziger Staat, wie die USA - mit 50 Gliedstaaten - oder die Schweiz. Nicht nur die Konsumenten, auch die Landwirtschaft fordert die Zulassung von Parallelimporten, wie auch die Krankenkassen, die IG Detailhandel, die Hoteliers, der Tourismus, die Wettbewerbskommission... Eben alle nur, soweit sie Einkäufer sind, also Konsumenten. Nur für sich wollen sie die Zulassung von Parallelimporten, nicht etwa für die Produkte, die sie verkaufen. Ich habe noch nie gehört, dass die Landwirtschaft gesagt hat: Unsere Produkte sind jetzt frei und stehen in freier Konkurrenz. Es gibt viele Güter, die ein Schutzpatent haben: der Verschluss der Parfumflasche zum Beispiel … Wenn ein nicht wesentlicher Teil eines Produktes patentgeschützt ist, so soll dieses Produkt in Zukunft parallel importiert werden können. So steht es im neuen Patentgesetz, das nun in der Beratung ist. Velos, deren Bremsklötzchen patentiert sind, oder Parfumflaschen, deren Verschluss patentiert ist, können demnach parallel importiert werden. Das Gegenteil ist eben ein Missbrauch. Mit dem Patent wird auch geschützt, dass ein Hersteller sein Medikament in der Schweiz teurer als etwa in Italien verkaufen kann. Dann müssen Sie dem Schweizer Konsumenten erklären, warum er die tieferen Preise der Italiener subventionieren soll. Bei den Medikamenten haben Sie halt eine staatliche Preisbindung. Kämpfen Sie für die Abschaffung dieser Preisbindungen, dann wird es solche Unterschiede nicht mehr in diesem Ausmass geben. Sollen wir bei den patentgeschützten Gütern nicht wenigstens die europäische Erschöpfung zulassen, das Cassis-de-Dijon-Prinzip auch hier anwenden? Natürlich wäre das weniger schlimm als die internationale Erschöpfung, wo Parallelimporte aus den Entwicklungs- und auch Piratenländern möglich würden. Die Einführung der regionalen Erschöpfung durch die Schweiz ist kaum machbar. Zu diesem Schluss ist der Bundesrat gekommen. Wirtschaftlich taugt nur die nationale Erschöpfung. Alles andere schwächt den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz. Es gibt stets Unterschiede zwischen den Ländern. Sie können auch sagen, es ist nicht recht, dass jemand in Deutschland mehr Steuern zahlen muss als in der Schweiz. Bezüglich der Parallelimporte der patentgeschützten Güter ist ein Auftrag an Ihr Departement gegangen, eine Vorlage auszuarbeiten. Wo stehen wir? Im April geht die Frage in die Vernehmlassung, ob wir nationale, regionale oder internationale Erschöpfung der Patente zulassen wollen. Wir werden die Vor- und Nachteile klar darlegen und aufzeigen, was dies bedeutet für die Schweiz. Bezüglich der Parallelimporte wird der Bundesrat bis Ende Jahr eine Vorlage ausarbeiten, die danach ins Parlament geht. Der Bundesrat ist bisher immer wieder zum selben Resultat gelangt: Nationale Erschöpfung ist am geeignetsten. Man darf den Parallelimport von patentierten Gütern nicht zulassen, wenn der Eigentümer dies nicht will.