Testi

Economia

31.12.2002

Es braucht neue Leute

Der Unternehmer Christoph Blocher über Abzocker, seinen Lohn und die Vorteile militärischer Führung. Interview mit "FACTS" vom 31. Dezember 2002 Lukas Hässig und Nadja Pastega FACTS: Herr Blocher, vor welchem Wirtschaftsführer haben Sie noch Respekt? Christoph Blocher: Vor allen, die ihre Firma ordentlich führen. Es gibt mehr gute Firmen als schlechte. Auch unsere Firma ist in Ordnung. Ich kenne aber auch andere. Es sind nicht zufälligerweise gerade jene grossen Flaggschiffe, die früher hochgejubelt wurden und bei denen man heute nicht viel Respekt haben kann. FACTS: Was haben CS, Rentenanstalt und ABB falsch gemacht? Blocher: Erstens haben sie sich einseitig auf Wachstum und Grösse ausgerichtet: Grössenwahn als Triebfeder. Zweitens haben die CEOs unbrauchbare Management-Methoden angewendet, die nur in der Hochkonjunktur funktionieren: Mit dauernder Umorganisation, mit Gutachten und Beratern, mit Akquisitionen und Fusionen kann man keine Firma führen. Und drittens haben zu viele Manager vor allem von den Unternehmen gelebt statt für die Unternehmen. Sie haben vergessen, was ein Unternehmer ist. Ein Unternehmer ist einer, der in erster Linie für die Firma schaut und nicht von ihr zehrt. Das alles ist jetzt ans Tageslicht gekommen. Insofern war 2002 ein hoffnungsvolles Jahr, weil das endlich aufgeflogen ist. FACTS: Wie konnte es so weit kommen? Sie haben das Wort «Grössenwahn» gebraucht, das im Widerspruch steht zur Tradition dieses Landes. Blocher: Die traditionellen Schweizer Werte sind in den letzten zehn Jahren über den Haufen geworfen worden. Grössenwahn gabs aber nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. In den nächsten Jahren wird man sehen, was in der Politik alles falsch gemacht wurde. Sie sehen es an den riesigen Defiziten, an den Staatsschulden, an der Preisgabe von Werten, die die Schweiz stark gemacht hatten. Die gleichen Manager, die jetzt verdammt und rausgeworfen werden, standen vor fünf Jahren zuoberst auf dem Podest. Der Fehler war nicht, dass man sie rausgeworfen hat, sondern dass man sie hochgejubelt hat. Sonst wäre es gar nicht so weit gekommen. FACTS: Wo muss noch bereinigt werden? Blocher: Wir haben erst die Spitzen des Eisbergs gesehen. Vielleicht die spektakulärsten Fälle. Man muss nur nachschauen, wer wie viele Unternehmen dazugekauft hat. Dort ist der wunde Punkt. Mikron zum Beispiel war eine gute Maschinenfabrik mit hochqualifizierten Produkten. Dann kaufte sie etwas Fremdes aus dem Telekombereich, was damals ein Boom war. Davon hat sie nichts verstanden und ist zusammengekracht. So geht es vielen. Darum hing während 20 Jahren hinter meinem Pult ein berühmtes Bild von Albert Anker: «Schuhmacher Eisele». Darunter hab ich hingeschrieben: «Schuster, bleib bei Deinem Leisten!» Immer, wenn ein Direktor zu mir kam, musste er dieses Bild anschauen. Die Schweiz war nie erfolgreich dank Grösse. Wichtig war Qualität, Gewinn, Reserven. FACTS: Können Verwaltungsräte, die ein Unternehmen in diese Situation geführt haben, überhaupt korrigieren, oder braucht es neue Leute? Blocher: Es braucht neue Leute. Es ist auch eine Mentalitätsfrage, ob man Grösse oder Qualität in den Vordergrund stellt. In den Führungsetagen achtet man zu sehr auf Leute mit Klang und Namen. Das ist unnötig. Deshalb tauchen auch immer wieder die gleichen Namen auf. Es braucht Leute, die ein solides Führungshandwerk beherrschen. Auch all die grossen Managementtheorien sind überflüssig. FACTS: Worin besteht ein solides Führungshandwerk? Blocher: Es ist relativ einfach: Es fängt beim Auftrag an. Dieser - nicht der Mensch - steht im Mittelpunkt. Man hat die eigenen Stärken herauszufinden, darauf aufzubauen, das zu tun, was realisierbar ist. Dann kommt die Mühsal des raschen Vollzugs. Eine Strategie ist auf dem Papier immer toll. Sie ist nie falsch. Die Frage ist nur, ob man sie durchsetzen kann. Und hier fehlt mancherorts das Einmaleins der Unteroffiziersschule. Dort lernt man mit 21 Jahren, wie man sechs Soldaten führt. Man lernt die drei K: Kommandieren, kontrollieren, korrigieren. Wer etwas anordnet, muss es kontrollieren und korrigieren. Mühselige Kleinarbeit. FACTS: Man hört den Oberst Blocher heraus: Führen heisst befehlen. Blocher: Befehlen - Auftrag erteilen - ist ein Teil. Das Durchsetzen - den Erfolg erzielen - braucht mehr. In den guten Jahren ist das weniger zur Geltung gekommen. Oft hatte einer auch Erfolg, ohne etwas beizutragen. Man hat den Chef eigentlich gar nicht gebraucht, so gut ging es. Die Bankdirektoren konnten doch nichts dafür, dass sie solche Gewinne erzielten, nur weil die Börse 25 Prozent stieg. Doch sie sagten: «Wir haben so hohen Gewinn, also sind wir gute Manager.» Dabei kann man dies nur in schwierigen Zeiten beurteilen. FACTS: Brauchts mehr Kontrolle? Blocher: Nur nicht zu viel vorschreiben. Einfache Lösungen. Das Problem sind die grossen Publikumsgesellschaften. Das liegt daran, dass es hier keine fassbaren Eigentümer gibt. Das Eigentum ist pulverisiert. Wenn sie hunderttausend Eigentümer haben, dann gibts in Wirklichkeit keinen Eigentümer mehr. Wie beim kommunistischen System, dort sind ja auch alle Eigentümer, aber es gibt keinen, der das Eigentum schützen kann. Darum entsteht eine Nomenklatura. So sind unsere grossen Verwaltungsräte zur Nomenklatura verkommen. Sie können machen, was sie wollen, weil kein Eigentümer zum Rechten schauen kann. Deshalb ist es für den Schutz des Eigentums absolut notwendig, dass die oberste Führung wenigstens die eigenen Saläre und Bezüge veröffentlicht, jährlich, mit Namen. Dies zum Schutz des Privateigentums. Das Zweite: Man muss das Depotstimmrecht der Banken abschaffen. Man kann einen Verwaltungsrat heute nicht auswechseln, denn die Banken müssen mit dem Depotstimmrecht für den Verwaltungsrat stimmen. Das ist, wie wenn man sagen würden, wer nicht an die Urne geht, der stimmt für den Bundesrat. FACTS: Die Depotstimmen haben oft die Mehrheit? Blocher: Sie sind oft massgebend, wo gros-se Aktionäre fehlen. Das muss verschwinden. Es muss so geregelt sein, dass eine ausdrückliche, schriftliche Vollmacht vorliegen muss für einen bestimmten Entscheid. FACTS: Brauchts eine Obergrenze bei den Löhnen? Blocher: Nein. Bei sehr guten Leistungen und Erfolg ist die Frage, ob zehn oder eine Million, nicht massgebend. Doch nur wenn die Entschädigung extrem erfolgsabhängig ist, sind zehn Millionen gerechtfertigt. FACTS: Wie viel verdienen Sie? Blocher: 370'000 Franken, im letzten Jahr. FACTS: Alles inklusive? Blocher: Ja, weil ich keinen Bonus beziehen konnte. Wir hatten das Ziel nicht erreicht, also gabs keinen Bonus. Als es sehr gut ging, habe ich 1,5 Millionen verdient. Ein System, das auch für meine Direktoren gilt. Sie haben kleine Löhne, im Durchschnitt 200'000 Franken. Aber wenn sie sehr gut arbeiten, können sie in Extremfällen bis auf eine Million kommen. Das begreifen die Leute auch. Aber die Leute begreifen nicht, wenn ich letztes Jahr gesagt hätte, ich nehme zehn Millionen als Bonus heraus, obwohl das Ziel nicht erreicht ist. FACTS: Wir stecken in einer Wirtschaftskrise. Wird es wieder besser? Blocher: Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, wer ein bisschen Lebenserfahrung hat und die Wirklichkeit sieht, der weiss, dass es in der Wirtschaft immer Hochkonjunkturen und Rezessionen geben wird, das ist vom System her notwendig. Der Mensch macht in guten Zeiten immer Fehler, im privaten Bereich übrigens auch. Ich habe ganz vernünftige Leute gesehen, die in der New-Economy zu Geld gekommen sind. Was die mit diesem Geld gemacht haben, war dann fertiger Blödsinn. So ist es auch in den Firmen. Mir geht es genauso. Wenn ich heute durch das Unternehmen gehe, sehe ich so viele Dinge, die ich in den guten Jahren bewilligt habe und wo ich sagen muss: Das wäre jetzt also auch nicht unbedingt nötig gewesen. Zum Beispiel ein zu schönes Bürogebäude. FACTS: Sieben magere und sieben fette Jahre? Blocher: Ja, der biblische Zyklus gilt (lacht). FACTS: Jetzt haben wir wie viele magere Jahre? Zwei? Blocher: Im Grunde hats 1999 angefangen. Am Anfang sehen Sie es eben noch nicht. Ich fange jetzt wieder an zu investieren für die Hochkonjunktur. 2003 wirds noch nicht aufwärts gehen. Aber so 2004, 2005 bin ich der Meinung, dass es eine Besserung geben wird. FACTS: Wann investieren Sie wieder in die Börse? Blocher: Wir sind keine Finanz-Firma. FACTS: Sie haben zeitweise viel Geld mit Aktien-Anlagen verdient Blocher: Auch ein Industrieunternehmen muss seine Mittel entsprechend bewirtschaften. Auch mit Aktien müssen Sie in der Rezession beginnen. FACTS: Das heisst, jetzt, wo viele Aktien im Keller sind, ist ein guter Moment zum Einsteigen? Blocher: Ja, nur eine Firma, die unten ist, kann rasch höher werden. Ich kann Ihnen jetzt natürlich keine Anlagerichtlinien geben. FACTS: Das wäre aber spannend. Blocher: Ich bringe ein Beispiel, keine Empfehlung: ABB ist jetzt am Boden. Die geht wahrscheinlich zu Grunde, wenn die Asbest-Sache nicht gelöst werden kann. Wer hier investiert, verliert das investierte Geld in diesem Falle. Anderseits halte ich vom Chef, Jürgen Dormann, sehr viel. Ich habe ihn verfolgt bei der Sanierung von Hoechst. Wenn einer aus dieser Firma etwas machen kann, dann er. Gelingt es ihm, dann wird ABB hoch bewertet. FACTS: Sie haben schon ABB-Aktien gekauft? Blocher: Ich mache keine Angaben über unser Wirtschaftsportefeuille. Aber wer hier investiert, der investiert wie in der Forschung: Der Erfolg ist 50 Prozent. FACTS: Sie haben vermutlich nicht jetzt bei 4,5 Franken pro Aktien gekauft, sondern als die Titel bei 2 Franken waren. Blocher: Sie dürfen nicht stets auf den allerbesten Punkt schauen. Es sind Risikoanlagen. Ich frage die Leute, die sich bei mir Rat holen: Können Sie Ihre 20 000 Franken verlieren? Nein? Dann können Sies nicht machen. Sie müssen das Risiko in Kauf nehmen können. FACTS: Was empfehlen Sie heute einem jungen Menschen in der Schweiz, der sich entwickeln möchte? Blocher: Eine Berufslehre. Nicht studieren gehen. Davon bin ich überzeugt. Nicht, weil ich selbst diesen Werdegang gemacht habe ... FACTS: Sie haben doch auch das Gymnasium besucht und studiert. Blocher: Ja, nach der Berufslehre. Nachher sind alle Wege offen. Leider habe ich mich bei allen meinen vier Kindern nicht durchgesetzt. Auf meinen Vorschlag, die Kinder in die Lehre zu schicken, sagten die Lehrer: «Das wäre Unrecht an Ihren Kindern.» Aber gut, jetzt müssen sie die Lehre halt bei mir machen. Nach dem Studium ist man niemand, man fängt bei Null an. Wenn Sie lesen und schreiben können und Sie machen eine Lehre, haben Sie so einen wertvollen Fundus. Alles andere können Sie später noch lernen. FACTS: Kann man eine Karriere planen? Blocher: Wenn mich einer fragt, wie man eine Karriere macht, sage ich: Das können Sie gar nicht. Es ist ausgeschlossen, dass Sie das können. Wenn Sie das wollen, dann gibts keine. Aber machen Sie eine gute, solide Berufslehre und machen Sie überall, wo Sie sind, die Sache tipptopp, und zwar unabhängig. Und unabhängig ist man dann, wenn man immer auf den Job verzichten kann. Dann wird man stark. Sobald man abhängig wird und denkt, ich darf dieses nicht sagen, ich darf jenes nicht machen, sonst fliege ich raus, haben Sie nie Erfolg. Weil Sie das Richtige nicht machen können. Bei Theodor Storm heisst es: «Der eine fragt, was kommt darnach, der andere, was ist recht, und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.» Der Knecht fragt immer, was kommt nachher. Der Freie sagt, ich mache es richtig, mir ist egal, was passiert. Das muss man den jungen Leuten mit auf den Weg geben.

18.12.2002

Die Blochers

Interview mit der "Bilanz" vom 18. Dezember 2002 Christoph Blocher denkt daran, die EMS-Gruppe von der Börse zu nehmen - oder den Freeflow zu erhöhen. Sein Sohn prüft Varianten, die älteste hält sich als mögliche Firmenchefin bereit. Blochers haben das Unternehmertum im Blut. von Bruno Affentranger Die Familie ordnet sich neu. Noch einmal bittet der Fotograf zum Gruppenbild. Der auf einem Stuhl sitzende Vater zieht zwei seiner Töchter zu sich und sagt: "So! Kommt ein wenig nach vorne. Ihr seid diejenigen, die man sehen soll." Die älteste Tochter, Magdalena, sagt: "Sieht aus, als ob Papi schon zurücktreten würde." So weit ist es noch nicht. Der Vater sitzt fest auf seinem Stuhl. Seit 1983 ist Christoph Blocher Verwaltungsratspräsident und mit stetig anwachsendem Aktien- und Stimmrechtskapital der starke Mann der Ems-Gruppe, des grössten Arbeitgebers im Kanton Graubünden. Doch bei den Blochers stellt sich die Nachfolgefrage. Christoph Blocher sagt: "Ich bin jetzt 62 Jahre alt. Man muss sich fragen: Wer erbt und führt später? Gibt es Junge, die im Unternehmen nachkommen?" Die gibt es. Die vier Nachkommen sitzen erstmals für die Öffentlichkeit gemeinsam mit den Eltern am grossen Sitzungstisch in Herrliberg. Im Januar werden sie gemeinsam den Entscheid gefällt haben, ob sie die Firma von der Börse nehmen und zum reinen Familienunternehmen oder diese kotiert belassen und im Gegenteil zur echten Publikumsgesellschaft machen wollen. Blochers prüfen derzeit alle Möglichkeiten. Vordenker in dieser Sache ist Christoph Blochers Sohn, Markus (31). Der promovierte Chemiker hat sich im Oktober nach fast drei Jahren bei McKinsey vom Beraterberuf verabschiedet und in den Sold des Vaters begeben. In Ems geht er derzeit die verschiedenen Alternativen und deren Konsequenzen in der Theorie durch. Vorkämpferin ist indes die älteste Tochter, Magdalena (33). Die Marketingspezialistin ist seit zwei Jahren im eigenen Unternehmen tätig, seit vergangenem August als Vizepräsidentin des Verwaltungsrates. Die zwei Jüngsten, Miriam (27) und Rahel (26), sind ebenfalls unternehmerisch tätig - aber nicht in der Ems-Gruppe. Das kann noch werden. Bei der Ems-Gruppe wird die Familie Blocher - welchen Weg die Firma auch gehen wird - an Bedeutung und Macht zulegen. Am Tisch in Herrliberg ist die Familiendiskussion eröffnet. Frage an die junge Generation: Wann haben Sie zum ersten Mal an einen Eintritt ins Unternehmen des Vaters gedacht? Magdalena Martullo-Blocher: Früher sagte ich immer, dass ich auf keinen Fall in das Unternehmen gehen wolle. Nie. Mein Vater hatte mich ein paar Mal gefragt. Aber ich sagte immer Nein. Irgendwann kam der Zeitpunkt, zu überlegen, was als Nächstes zu tun sei. Warum taten Sie es dann doch? Magdalena: I ch hatte nicht eine Erscheinung, die mir sagte: Jetzt musst du auf nach Ems. Aber ich realisierte, dass ich von ihm und seinen Erfahrungen profitieren kann. Ausserdem ist es eine interessante Herausforderung. Ich wollte international tätig sein. Als nächster beruflicher Schritt stand eine Tätigkeit als Geschäftsführerin an - ich wollte aber auch noch schwanger werden. Und ich wusste, dass dies nicht die optimale Kombination sein würde. Als Verantwortliche für spezielle Projekte liess sich dies eher vereinbaren. Christoph Blocher: Ich sagte meiner Frau: Jetzt ist sie plötzlich bereit, ins Unternehmen zu kommen. Hättest du das gedacht? Silvia Blocher: Ich hätte das nie geglaubt. Markus Blocher: Für mich war das eine totale Überraschung. Miriam Blocher: Sie hatte immer kategorisch abgelehnt. Was wollen sie sicher nicht so machen, wie es Vater und Mutter gemacht haben? Christoph: Bringt etwas. Los! Magdalena: Feindbilder habe ich keine. Ich werde sicher nicht in der Politik tätig sein. Politisch leben Sie nun einmal mit der Marke Blocher. Haben Sie Mühe damit? Miriam: Wir sind alle politisch nicht aktiv. Markus: Ich bin Auns-Mitglied. Miriam: Okay. Wir sind alle aktive Stimmbürger und eher auf seiner Linie. Sicher nicht bei jeder Vorlage, aber oft. Markus: Ich bin bewusst nicht Parteimitglied, aber ein Stammwähler. Ich finde die SVP gut. Grosswetterpolitisch bin ich auf derselben Linie. Magdalena: Ich bin auch derselben Meinung - ausser bei den Frauenfragen, da sind wir jeweils ein wenig aneinander geraten. Die Frau gehöre an den Herd, war am Familientisch eher seine Parole. Aber er propagiert das nicht mehr, seit ich im Unternehmen bin. Christoph: (Lacht) Ich wollte euch provozieren. Das zwingt zum Nachdenken. Miriam: Gewisse Grundeinstellungen bekommt man von zu Hause mit. Ausleben wird man sie dann individuell. Unternehmerisches Denken haben wir sicher alle im Blut - aufgesogen in der Kindheit. Gerade Sie sind nicht in der Ems-Gruppe tätig. Wie leben Sie das unternehmerische Denken aus? Miriam: Im Job denke ich gesamtheitlicher als andere in meinem Alter. Ausserdem ist es nicht normal, dass ich in meinem Alter eine derartige Position habe und haben will. Ich führe dreissig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für mich wäre es keine Herausforderung, am Morgen um acht ins Labor zu kommen, danach dort meine Versuche zu machen und um fünf Uhr abends wieder nach Hause zu gehen. Christoph: Sie ist gestern bis zehn Uhr abends in ihrem Unternehmen gewesen, weil es nötig war, und war heute morgen um fünf Uhr bereits wieder dort. Das kann nur jemand, der weiss, dass diese Art des Arbeitens zu einer leitenden Funktion gehört. Der dies vielleicht als Kind bereits mitbekommen hat. Miriam: Für mich ist das selbstverständlich, obwohl ich es auch nicht immer gerne mache. Aus den Reaktionen anderer merke ich manchmal, dass es nicht für alle selbstverständlich wäre. Ferienjobs im Unternehmen Welches waren Ihre ersten Kontakte zur Firma und zum Unternehmertum? Miriam: Früher nahmen wir an den Tagen der offenen Tür teil. Ausserdem gingen Rahel und ich oft in der Silvesternacht mit den Eltern in die Ems-Chemie. Unser Vater wünschte in der Fabrik, wo das ganze Jahr 24 Stunden im Tag gearbeitet wird, allen, die in dieser Nacht arbeiten mussten, ein gutes neues Jahr. Christoph: Ich habe stets die Kinder in das Unternehmen einbezogen. Auch geistig. Am Familientisch haben wir viel über das Unternehmen geredet. Und da ich wenig Zeit hatte und nie freinehmen konnte, begleitete mich die Familie jeweils während der grossen Geschäftsreisen. Magdalena: Die Auslandgesellschaften kennen wir fast besser als die schweizerischen. Christoph: Für mich waren es Geschäftsreisen, für die Familie hätte es Vergnügen sein sollen … Silvia: … was es längst nicht immer war. Markus: Für mich war es eine gute Erfahrung. Christoph: Dann lade ich jährlich die Kinder und meine Frau zu je zwei Tagen Führungsseminar in die Ems-Chemie ein. Ich möchte, dass die ganze Familie einen Bezug zur Firma hat. Miriam: Diese Tagungen sind in erster Linie für die Kaderleute der Firma gedacht. Wir können mithören, wenn wir wollen. Markus: Jeder mit einem Vater, der in einer derartigen Position tätig ist, wird automatisch ein Stück weit vom Unternehmen tangiert. Wir haben das nicht künstlich gepflegt. Es hat sich einfach so ergeben. Magdalena: Es war nicht so, dass wir stets in der Firma ein und aus gegangen wären. Wir suchten das nicht. Und trotzdem: Meine Schwester und ich arbeiteten während des Studiums in den Auslandgesellschaften der Ems. Christoph: Und er (zeigt auf Markus) war einige Monate als Schichtarbeiter in Ems tätig. Rahel: Ich war in Spanien und in Frankreich als Aushilfssekretärin tätig. Miriam: Ich hatte einmal ein Ferienjob als seine Sekretärin. Das war nur ganz kurz. Christoph: Schade, sie wollte einfach nicht bleiben. Miriam: Als deine Sekretärin? Silvia: Das wollte sie auf keinen Fall. Rahel, Sie sind die Jüngste und haben Anfang Dezember nach dem Abschluss Ihres Studiums bei der Clariant zu arbeiten begonnen. Warum sind Sie nicht direkt in die Ems-Chemie gegangen? Rahel: Ich wollte nie im Unternehmen meines Vaters starten. Dort wäre ich doch nur die Tocher des Chefs. Für eine erste Stelle wäre das sicher eine schlechte Voraussetzung. Schliessen Sie es aus, einmal in der Firma Ihres Vaters zu arbeiten? Rahel: Ich stehe am Anfang meiner beruflichen Karriere. Ich plane nicht, wie lange ich wo sein werde. Und ich habe nicht vor, im nächsten Monat schon wieder zu kündigen. Christoph: Du hast ja die Probezeit noch nicht einmal überstanden (lacht). Könnten Sie sich vorstellen, in einer Firma der Ems zu arbeiten, Miriam? Miriam: Ich bin in einer ganz anderen Branche tätig. Aber auch grundsätzlich wäre es für mich nicht in Frage gekommen. Gerade nach dem Studium hätte mich mein Vater auch nicht unbedingt haben wollen, nehme ich an. Christoph: Ich habe es richtig gefunden, dass alle zusammen ausserhalb der Firma Tätigkeiten annehmen und sich dort bewähren. Sie wollten nicht, und ich wollte auch nicht, dass sie in Ems beginnen. Alles auf eine Karte gesetzt 1983 hat ihr Vater das Unternehmen übernommen. Haben Sie dies als Kinder bereits mitgekriegt? Markus: Ich kann mich gut daran erinnern. Damals war in der Familie ein Spannungsfeld. Als Kind merkte ich, dass eine schwere Entscheidung anstand. Ob er sich verschulden und ins Unternehmen einsteigen und dieses retten sollte - oder nicht. Als Kind merkte ich genau, dass bei uns alles auf dem Spiel stand. Miriam: Wir waren immer ein bisschen Zuschauer. Für ihn war das aber mehr. Eine Lebensaufgabe. Dies ist es auch heute noch. Markus: Ich sah seinen Einsatz. Seinen Risikowillen (blickt zum Vater). Er sah das Problem und sagte: "Ich muss das einfach tun." Silvia: Er kaufte das Unternehmen nicht einfach, weil er es unbedingt haben wollte. Er musste, weil er es retten wollte und nur so retten konnte. Er musste es wegen der Mitarbeiter und aus Verantwortung dem Unternehmen gegenüber. Das glaubt heute leider kein Mensch mehr. Das erzeugte in jener Zeit das Spannungsfeld, das du erwähnt hast, Markus. Magdalena: Unsere Mutter sagte. "Aber du! Du investierst alles, was wir haben. Unser Haus. Du hast vier Kinder." Wir hatten nachher einfach kein Geld mehr. Wir wohnten zwar in einem Haus, aber das gehörte der Bank. Mein Vater kam dann nach Hause und sagte: "Huh, jetzt habe ich der Bank wieder etwas zurückzahlen können." Es war schwierig. Was war schwierig? Magdalena: Wir hatten zwar ein Unternehmen, aber das war am Boden. All das Vermögen steckte da drin. Und wir - mein Bruder und ich - konnten nie sagen: "Wir sind jetzt super, wir sind reich, wir sind jetzt Unternehmerkinder." Wir waren noch ärmer als die anderen, die mit uns in die Schule gingen. Markus: Wir sind bescheiden aufgewachsen. Wenn alle ein Velo hatten, hatten wir keines. Und wenn man es brauchte, um in die Schule zu fahren, dann gab es zwar ein Velo, aber als Geschenk zu Weihnachten. Alle hatten Sackgeld, wir hatten keines. Als es dann welches gab, reichte es für ein Maisbrötli einmal in der Woche. Magdalena: Wir trugen Kleider von Freunden und der älteren Geschwister. Markus: Ich musste mit anderen Dingen bestehen, nicht mit materiellen Dingen Christoph: Auch später, als es finanziell gut ging, wollten wir die Kinder nicht verwöhnen. Für uns war das ein Erziehungsprinzip. Mit dem Notwendigsten leben lernen. Das Geld wird nicht für Dummheiten gebraucht. Alle unsere Kinder besuchten eine normale Volksschule. Markus: Hunger mussten wir nie haben. Rahel: Nein. Man konnte aber auch keine grossen Sprünge machen. Christoph: Das ist ein Lebensprinzip. Junge Menschen muss man zur Selbstverantwortung erziehen, das heisst: sich auf das Notwendigste beschränken, wenn man wenig hat. Das gibt auch das Gefühl der Normalität im Leben. Ein Unternehmer weiss nie, ob er alles verliert. Die Erziehungsfrage Wer war das strenge Element in der Erziehung: Mutter oder Vater? Rahel: Beim Vater hiess es immer: "Da musst du s Mami fragen." Magdalena: Bei extremen Situationen konnte man mit ihm diskutieren. Mit ihr konnte man streiten. Mit ihm habe ich immer konstruktive Lösungen gefunden. Er konnte zuhören. Die Lösungen nahmen die Bedürfnisse beider Seiten auf. Christoph: Für mich war es natürlich einfacher, eine weichere Linie zu fahren. Silvia: Weicher war er nicht. Aber er war viel weg. Ich musste selber schauen, wie ich mit diesen vier lebhaften Kindern zurechtkam. Christoph: Sie war immer mit den Kindern. Das war für sie schwierig. Wenn ich nach Hause kam, dann stand nicht gleich Erziehung im Mittelpunkt, sondern das Wiedersehen - und ich konnte meist etwas grosszügiger sein. Ich hatte die Erziehung aber nicht einfach abgegeben. Ich nahm stark daran teil. Silvia: (Lacht) Stimmt! Wir versuchten immer, dem anderen nicht in den Rücken zu fallen. Denn das ist relativ schnell passiert. Christoph: Sie rief während der Pubertät der Kinder schon einmal ins Büro an und sagte: "Jetzt ist einfach fertig, so geht das nicht mehr mit den Kindern. Die sind derart frech." Silvia: Dann sagte ich: Du musst sofort kommen. Christoph: Und ich ging nach Hause nach dem Rechten schauen. Dann war die Autorität wiederhergestellt. Ich tröstete in solchen Momenten meine Frau, dass sie froh sein solle, dass die Kinder mit der Mutter so saufrech seien. Die Kinder lebten ihre Pubertät aus. So konnten sie sich ablösen. Und Sie, Frau Blocher, sagten: Ja, ja, du hast so Recht, Schatz. Silvia: (Lacht) Ich habe mich aufgeregt. (Blickt zu Christoph Blocher) Du musstest das nicht jeden Tag hautnah miterleben. Christoph: Ich habe zehn Geschwister. Darunter hat es einige, die haben die Pubertät nicht ausgelebt. Sie erleben sie noch mit sechzig. Ich sagte meiner Frau immer: Was jetzt rausgeht, ist draussen. Die Tochter des Chefs Frau Martullo, sind Sie in Ems jetzt nicht zuerst einmal die Tochter des Chefs, genau so, wie es Ihre Schwester Rahel für sich nie hat erleben wollen? Magdalena: Das werde ich ausserhalb der Firma sehr viel gefragt. Dem liegt aber ein negativer Gedanke zu Grunde. Dass nämlich die Mitarbeiter einen solchen Wechsel schlecht aufnähmen und sagten, dass nun die Tochter des Chef komme, die keine anderen Qualitäten als die Abstammung vorzuweisen habe. Bei Ems war es aber ganz anders. Die Leute haben mich sehr positiv aufgenommen. Sie schätzen die Kontinuität. Die junge Generation steigt ein und verkörpert diese Fortsetzung. Und vielleicht dachten einige, dass es nun für sie mit mir ein wenig einfacher würde. Aber das ist nicht so (alle lachen). Was verstehen Sie unter "einfacher"? Magdalena: Dass die Leute denken: Schau, jetzt kommt jemand Junger. Die können wir noch ein bisschen formen. Inzwischen wissen alle, dass mein Stil nicht bequemer ist als derjenige des Vaters. Misstrauen oder Zweifel habe ich noch nie gespürt. Ich habe auch nie mein Hirn zermartert mit dem Gedanken, was die Leute darüber denken, dass ich die Tochter von Christoph Blocher bin. Man kümmert sich um die Sache und macht seine Arbeit. Markus: Im Unternehmen gibt es zwei Aspekte: Als Tochter oder Sohn des Vaters im Geschäft muss man eher mehr bieten und in der Sache mehr überzeugen. Man wird an den Leistungen gemessen. Auf der anderen Seite kommt man leichter an gewisse Informationen heran - auch von anderen Leuten, weil diese die Beziehung zum Vater stets vor Augen haben. Christoph: Ich bin mit meinen eigenen Kindern eher strenger als mit Dritten. Ich verlange mehr. Sie haben eine Vorbildfunktion. Wir haben bei Ems einen sehr offenen Führungsstil. Wir pflegen die Polarisierung in den Diskussionen. Dabei spielt es keine Rolle, wer woher kommt. Das Hierarchiedenken ist nicht so ausgeprägt, dass das Wort der Tochter einfach immer mehr Gewicht hätte als jenes von anderen Leuten. Magdalena war zwei Wochen da und musste gleich voll ran. In einem Unternehmensbereich lief es nicht rund - sie bekam den Auftrag, diesen Bereich zu leiten und ihn in Ordnung zu bringen, obwohl sie schwanger war. Ich sagte ihr: Bis das Kind kommt, musst du im Betrieb einen Chef gefunden haben. Sie schaffte das, und für sie war das eine sehr gute Herausforderung. Magdalena: Das hat mir sehr geholfen. In der Firma sahen alle, dass ich auch selber etwas leisten muss. Hat die Mutter in der Frage der Nachfolgeregelung mitdiskutiert? Silvia: Nein. Ich schaue zu. So wie heute. Aber immerhin ging es um eines der eigenen Kinder. Magdalena: Mein Vater wusste als mein Chef von meiner Schwangerschaft, bevor es meine Mutter erfuhr. Silvia: Das werde ich euch nie vergessen (lacht). Christoph: Sie musste es mir sagen wegen der Dispositionen im Unternehmen. Ich schwieg, weil es meine Tochter so wollte. Magdalena: Es war ja noch in einem frühen Stadium. Silvia: Das vergesse ich euch nie (lacht). Markus: Auch bei uns war es so. Wir - mein Vater und ich - hatten in diesem Herbst kurzfristig entschieden, dass ich ins Unternehmen eintreten würde. Silvia: Ja, genau, davon habe ich auch nichts gewusst. Markus: Meine Mutter erfuhr es erst, als es bereits entschieden war. Silvia: (Lacht) Ihr macht, was ihr wollt. Nie Wirtschaft studieren! Haben Sie die Karrieren Ihrer Kinder geplant? Christoph: Nein. Sicherlich nicht. Mir schien aber immer wichtig, dass alle Kinder einen guten Leistungsausweis mitbringen würden. Gegen meinen Willen haben alle direkt ein Studium abgeschlossen. Ich wäre für eine Berufsausbildung - mindestens als Erstausbildung - gewesen. Magdalena: Als ich zu Hause ankündigte, dass ich Wirtschaft studieren würde, sagte mein Vater: "Wirtschaft musst du gar nie studieren. Das kannst du alles in der Praxis erlernen. Studiere etwas anderes!" Miriam: Ich hatte mich für Lebensmittelingenieur entschieden und brauchte seine Unterschrift, weil ich noch nicht volljährig war. Ich weiss noch genau, wie er reagierte, als ich das Dokument brachte, auf dem stand: Abteilung für Landwirtschaft. Mein Vater lachte laut und sagte: "Was! Du willst Bauer werden?" Christoph: Jawohl. Da hatte ich einen Moment lang grosse Freude. Weil Sie selber einst Bauer waren? Christoph: Natürlich auch. Magdalena: Wir sind alle genug eigenständige Leute, um selber zu entscheiden, was wir studieren oder machen wollen. Christoph: Vielleicht seid ihr ja beeinflusst worden. Magdalena: Er hat es nicht versucht. Markus: Das hätte auch nicht zur Art der Erziehung gepasst. Man wusste nie genau, ob das, was man eben gemacht hatte, gut war oder nicht. Bei den Zeugnissen hiess es nie: super, hier bist du wirklich gut. Höchstens: Hier hättest du auch noch ein wenig zulegen können. Ich hatte keinen Richtwert, auf den ich mich fixierte, der das einzig Richtige dargestellt hätte. Ich musste ihn mir selber aussuchen. Miriam: Natürlich existiert eine Art der Beeinflussung. Ich spreche von den vermittelten Werten, vom Lebensstil der Eltern. Diese Dinge spielen eine Rolle. Silvia: Wir haben Unternehmerfamilien und deren Kinder erlebt und gesehen, wie es nicht gut gehen kann. Christoph: Es waren Unternehmer, die ihre Kinder von der ersten Klasse an auf die Unternehmensführung ausrichteten. Das ist zunächst auch verständlich: Wenn der Vater etwas aufbaut oder gründet, dann ist der Wunsch stark, dass das Unternehmen durch die Familie weitergeführt werden soll. Doch die Kinder sind einem solchen Erwartungsdruck in der Regel nicht gewachsen und müssen zwangsläufig versagen. Ich hatte den Vorteil der börsenkotierten Firma. Ich wusste, die Firma gehört nicht mir allein. Nicht Abstammung ist das Wesentliche - die Fähigkeit und das Wollen zählen. Silvia: Wir wollten unsere Kinder auch nicht darauf trimmen, unbedingt ans Gymnasium zu gehen. Sie sollten sich ihren Anlagen gemäss entwickeln können. Magdalena: Vater sagte stets: "Niemand muss ins Unternehmen. Wenn keines der Kinder will, verkaufe ich das Unternehmen." Das Führungsprinzip weitergeben Arbeiten Sie und Ihr Vater heute oft zusammen, sodass Sie von ihm profitieren können? Christoph: Nein. Ich habe Magdalena eine Aufgabe, einen umfassenden Auftrag gegeben. Das ist auch ein wichtiges Führungsprinzip, das ich habe. Wie sehen diese Führungsprinzipien aus? Christoph: Es sind einfache. Zum Beispiel: "Den Chef fragt nie etwas!" Entweder man handelt und trägt die Verantwortung, weil man die Kompetenzen hat. Oder - wenn diese fehlen - legt man dem Chef das Problem und die Lösungsvarianten vor und sagt ihm, wie man entscheiden soll. Wird diesem Prinzip vom CEO bis zum Pförtner konsequent nachgelebt, resultiert eine unglaubliche Führungskapazität. Das gilt aber überall, wo Verantwortung wahrgenommen werden muss. Das haben die Kinder mitgekriegt, weil ich das auch in der Familie so handhabte. Wie haben Sie das vermittelt? Christoph: Ich habe zum Beispiel meiner Frau gesagt, dass sie mich nicht fragen müsse, was es zum Essen geben solle. Entweder machst du es. Oder du bist nicht kompetent, und dann stellst du einen Antrag (lacht). Silvia: (Lacht.) Christoph: Hinter diesen Dingen steckt mehr als ein System. Es ist Ausdruck einer Lebenshaltung. Sie (er schaut zu Magdalena) behandelt jetzt die Marketingkonzepte und -pläne, und ich lasse sie machen. Sie trägt dafür die Verantwortung. Das heisst: Die Mitarbeiter haben eine grosse Freiheit, aber das Risiko ist auch gross, dass Fehler geschehen. Fehler muss jeder Einzelne selber ausbügeln. Die Kunst ist lediglich, dass ich aus der Ferne schaue, dass allfällige Fehler sich nicht zu einer Katastrophe auswachsen. Sie werden nicht drei Monate nach Ihrem Austritt, der ja irgendwann stattfinden wird, zurückkehren? Christoph: Natürlich weiss man nie genau, wie man sich verhalten wird. Aber meine Meinung ist klar: Wenn man nicht dabei ist, sieht man erstens nicht jedes Fehlerchen und greift nicht dauernd ein. Zweitens hat der Betreffende gar keine andere Möglichkeit, als alleine durchzukommen. Entweder ist man dabei und trägt die Verantwortung. Oder eben nicht. Magdalena: Er müsste nichts tun, seine Anwesenheit würde genügen, um als Meinung interpretiert zu werden. Christoph: Man muss also rausgehen, wenn die Jungen übernehmen. Magdalena: Deshalb halten wir unsere Aufgabengebiete schon heute klar getrennt. Ich übernehme die Ein- und Dreijahresstrategien und die Marketingkonzepte. Christoph: Für mich ist das eine grosse Entlastung. Ich habe das seit 19 Jahren immer selbst gemacht. Magdalena: Niemand im Unternehmen hätte gedacht, dass er das würde abgeben können. Silvia: Stimmt. Die Leute sagen das alle. Magdalena: Da haben sie ihn alle völlig falsch eingeschätzt. Sie haben gedacht, er könnte nicht mehr leben, wenn er diese Planungen nicht mehr würde machen können. Silvia: Dabei ist er froh, dass er etwas weniger machen muss. (Zwei Tage nach dem Gespräch, als nachgeschobene Frage) Christoph Blocher, ist Frau Martullo-Blocher nun Ihre Nachfolgerin? Christoph Blocher: Diese Nachfolgeregelung ist nicht bestimmt. Sie hat im Falle einer breiten, echten Publikumsgesellschaft anders auszusehen als bei einer Going-private-Lösung. Frau Martullo ist heute Vizepräsidentin des Verwaltungsrates. Im Falle eines unerwarteten Wegfalls des Präsidenten des Verwaltungsrates müsste und könnte sie die Firma leiten.

06.12.2002

L’Invité

Christoph Blocher, industriel, conseiller national Interview dans «L'Agefi» du 6 décembre 2002 La meilleure politique européenne est une bonne politique intérieure Il y a aujourd'hui dix ans que le peuple et les cantons ont rejeté l'adhésion à l'Espace économique européen (EEE). Par ce vote, les citoyennes et les citoyens se sont prononcés en faveur d'une voie suisse autonome, la voie suisse en Europe et dans le monde. Ce scrutin a permis d'empêcher l'adhésion prévue à l'UE et d'éviter un traité colonial indigne, qui nous aurait obligés à reprendre plus de 80% du droit existant de la CE. La Suisse aurait également dû accepter, sans avoir son mot à dire, les lois futures et donc encore inconnues de la CE. Ce vote a permis d'autre part à la Suisse de maintenir sa prospérité, précisément hors de l'EEE et de l'UE. Si, depuis, la croissance économique a été faible, cette faiblesse est due à une mauvaise politique fédérale qui nous a valu un endettement accru, un Etat social envahissant et une augmentation en flèche de la charge fiscale. Les milieux économiques, autrefois chauds partisans de l'UE, ont depuis reconnu qu'une Suisse indépendante et ouverte sur le monde est un modèle à succès. L'économie juge aujourd'hui une adhésion à l'UE de manière clairement négative. Les prédictions apocalyptiques au sujet d'une Suisse sans EEE se sont révélées être de monumentales erreurs de prévision: la catastrophe économique évoquée par les partisans ne s'est pas produite. Au contraire, la Suisse a pu dans l'ensemble maintenir sa bonne position économique, malgré des décisions médiocres en politique intérieure. Une société de citoyens libres, déterminés à assumer leurs responsabilités, peut mener une politique plus efficace qu'une vaste structure réglementée jusque dans le moindre détail et soumise à une pression d'harmonisation vers le bas. Une Suisse indépendante et souveraine permet d'agir de manière plus innovatrice, plus performante et plus compétitive qu'une UE organisée de manière centralisée. Une telle politique implique toutefois que le Conseil fédéral et le Parlement tiennent compte de cette volonté et qu'ils exercent en conséquence le mandat d'indépendance dont ils sont investis. Par son non à l'EEE et son rejet massif de l'initiative "Oui à l'Europe", le peuple suisse a clairement donné mandat à son gouvernement de maintenir l'indépendance de notre pays. En dépit de celui-ci, le Conseil fédéral maintient la demande d'adhésion à l'UE et considère depuis peu l'adhésion à l'UE comme un "projet en chantier". Cette attitude ambiguë porte un préjudice énorme à notre pays. Elle affaiblit notre position de négociation face à l'UE dans les accords sectoriels et le double langage du Conseil fédéral concourt à diviser notre pays. Comme l'ont montré les votations dans ce domaine, la moitié de la population suisse ne se sent plus représentée par la politique étrangère du Conseil fédéral et de la majorité du Parlement. Contre la volonté du peuple et contre toutes les objections politiques et économiques, Conseil fédéral, PS, PRD et PDC maintiennent l'objectif d'une adhésion à l'UE. Ils sont prisonniers du piège européen. La hâte manifestée dans la question de l'adhésion a énormément affaibli la position de la Suisse dans les négociations bilatérales. Cette folie furieuse en matière de politique étrangère a procuré à la Suisse de mauvais traités et affaiblira également la position du pays dans les négociations futures. L'activisme en politique étrangère est toujours un signe d'échec en politique intérieure. Au lieu de déléguer son incompétence politique à Bruxelles, il faudrait que notre élite politique rende des comptes ici et maintenant pour son échec. En particulier, il faudrait prendre les mesures suivantes: le Conseil fédéral et le Parlement devraient enfin reconnaître qu'une adhésion à l'UE n'entre pas en ligne de compte pour la Suisse et les négociations sur les accords bilatéraux II devraient être interrompues: dans les conditions actuelles, la Suisse n'y gagnerait rien de substantiel, mais devrait accepter de nombreux désavantages. Enfin, le Conseil fédéral doit abandonner sa position ambiguë et retirer immédiatement sa demande d'adhésion. Au lieu de déployer une activité stérile en politique étrangère, le gouvernement devrait affronter la gabegie actuelle sur le plan intérieur: il s'agirait notamment d'assainir les finances fédérales, d'abaisser la quote-part fiscale, de réduire l'endettement et de réduire l'Etat social. Il en résulterait de la croissance, des emplois et de la prospérité pour tous. Christoph Blocher

06.12.2002

Heute ist niemand mehr für den EU-Beitritt!

Interview mit "swissinfo" vom 6. Dezember 2002 Das Nein zum EWR sei richtig gewesen. Dies sagt Christoph Blocher 10 Jahre nach der historischen Abstimmung im Interview mit swissinfo. Der Zürcher SVP-Nationalrat engagierte sich 1992 wie kein anderer für die Ablehnung des Vertragswerks von Felix Münger Christoph Blocher, sind Sie heute – 10 Jahre nach der EWR-Abstimmung – nach wie vor der Auffassung, damals richtig gehandelt zu haben? CHRISTOPH BLOCHER: Sicher, denn hätte das Schweizer Volk damals den EWR-Vertrag nicht bachab geschickt, wären wir jetzt Mitglied der Europäischen Union (EU). Sehen Sie, heute ist mit Ausnahme des Bundesrats eigentlich niemand mehr für den EU-Beitritt. Auch die Wirtschaft hat unterdessen gemerkt, dass eine Mitgliedschaft grosse Nachteile hätte. Sie waren 1992 die Galionsfigur der EWR-Gegner. Wie wichtig war der Kampf für Sie persönlich? CHRISTOPH BLOCHER: Natürlich wurde ich im Zuge des damaligen Abstimmungskampfes bekannt. Das war aber nicht das Ziel. Ich wusste einfach um die Wichtigkeit der EWR-Frage für die Schweiz: Die direkte Demokratie, die Staatsordnung, der Wohlstand standen auf dem Spiel. Das war für mich die Motivation, um derart verbissen zu kämpfen, wie ich es tat. Der Kampf war aber in psychischer und physischer Hinsicht unglaublich anstrengend. Ich könnte ihn vermutlich kein zweites Mal führen. Ihre Gegner sagen, die derzeitige Stagnation der Schweizer Wirtschaft sei eine Folge des EWR-Neins. CHRISTOPH BLOCHER: Tatsächlich hat sich seit 1992 wirtschaftlich vieles verschlechtert. Vor 10 Jahren war es noch schön: weniger Schulden, weniger Steuern, weniger Abgaben. Die Wirtschaft konnte sich entfalten. Die heutige Situation hat mit dem EWR-Nein jedoch nichts zu tun. Sie ist vielmehr eine Folge der schlechten Politik, welche sich der EU anzupassen versucht und die Steuern und Abgaben in die Höhe treibt. Was würden Sie vorschlagen, um der Schweizer Wirtschaft wieder zu mehr Wachstum zu verhelfen? CHRISTOPH BLOCHER: Die Staatsquote muss sinken, es darf keine neuen Steuererhöhungen geben, und zusätzliche Schulden kommen nicht in Frage. Die Zwangsabgaben sind zu senken. Kein anderes Land hat diese derart erhöht wie die Schweiz. Im übrigen bin ich überzeugt, dass wir hervorragende Chancen hätten, wenn wir endlich einmal zur Schweiz stehen würden. Wir müssen aufhören, gegenüber den ausländischen Staaten den Bückling zu machen. Das tut sonst ja auch niemand. Die Schweiz ist im Innern in vielem blockiert. Einschneidende Veränderungen - etwa die Zerschlagung von Kartellen – sind derzeit praktisch undurchführbar... CHRISTOPH BLOCHER: Da gibt es nichts anderes, als in Bern die politischen Verhältnisse zu ändern. Wenn die SVP bei den nächsten Wahlen stärker wird, wendet sich das Blatt. Dann müssen sich nämlich die anderen bürgerlichen Parteien aufraffen und sich zu einer klar bürgerlichen Politik bekennen. Wie soll es nun weitergehen im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU? Man verhandelt über ein zweites Paket von bilateralen Verträgen, kommt aber offenbar nicht richtig vom Fleck... CHRISTOPH BLOCHER: Meiner Meinung nach sollten diese Verhandlungen nicht geführt werden. Der Bundesrat verhandelt nur deshalb, weil er die Schweiz möglichst schnell in die EU führen will. Die neuen Verträge würden beispielsweise die Übernahme des Abkommens von Schengen und möglicherweise die Aufhebung des Bankgeheimnisses zur Folge haben. Schengen brauchen wir nicht, und die Aufhebung des Bankgeheimnisses kommt nicht in Frage.

06.12.2002

«Bei einem Ja zum EWR wären wir jetzt in der EU»

Streitgespräch in der "Aargauer Zeitung" vom 6. Dezember 2002 Das grosse Duell SVP-Nationalrat Christoph Blocher und EX-SP-Präsident Peter Bodenmann über die Folgen des EWR-Neins von Patrik Müller und Mathias Küng Herr Bodenmann, was haben Sie am Abend des 6. Dezember 1992 getan, als das Nein zum EWR feststand? Peter Bodenmann: Keine Ahnung. Und Sie, Herr Blocher? Christoph Blocher: Ich ging schon um 20 Uhr ins Bett, weil ich nach dem Kampf völlig erschöpft war. Andere EWR-Gegner haben lange gefestet und Raketen steigen lassen. Herr Blocher, Sie sprachen damals von einer "Jahrhundert-Abstimmung". Haben Sie die Bedeutung nicht überschätzt? Blocher: Nein. Wie wichtig die Abstimmung war, hat die hohe Stimmbeteiligung von über 78 Prozent gezeigt. Die Schweiz stand noch nie vor einer solch schwerwiegenden Entscheidung: Der EWR-Vertrag war ein Kolonialvertrag, hätte die Selbstbestimmung und die direkte Demokratie schwer getroffen und hätte die Schweiz in die EU gezwungen. Deshalb habe ich den Kampf so leidenschaftlich geführt. Bodenmann: Es war tatsächlich ein sehr wichtiger Entscheid. In der Schweiz hat das Volk immer Recht. Das Volk hat auch das Recht, falsch zu entscheiden - und so war es in diesem Fall. Was ist die Folge? Bodenmann: Das Resultat ist ein verlorenes Jahrzehnt. In den letzten zehn Jahren ging es in denjenigen Ländern vorwärts, die sich für die Öffnung entschieden haben: Österreich, Finnland, Norwegen und Schweden haben sich wirtschaftlich besser entwickelt als die Schweiz. Dafür müssen bei uns jene Leute die Verantwortung tragen, die sich für diesen Weg eingesetzt haben. Der EWR wird immer kleiner, verliert an Bedeutung. Bereuen Sie im Nachhinein nicht, dass Sie Ja gestimmt haben? Bodenmann: Nein, im Gegenteil. Ich habe immer offen gesagt, dass der EWR den Weg Richtung EU frei macht . . . Blocher: . . . sehr schön! Bodenmann: Ich habe damals in Wien mit den SP-Präsidenten Österreichs, Norwegens, Schwedens und Finnlands zwei Tage lang über den EWR diskutiert. Wir hatten viele Bedenken. Aber wir kamen zum Schluss: Die Richtung stimmt. Heute sieht man, dass unsere Einschätzung richtig war. Die Länder, die Ja gesagt haben, erzielten wirtschaftliche Fortschritte. Aber die Schweiz sitzt noch immer auf dem hohen Ross. Offenbar reichen zehn Jahre Stagnation nicht aus. Wir meinen, nur wir wüssten, wies geht - und alle anderen Länder lägen falsch. Blocher: Wenn Sie den Lebensstandard, das Bruttoinlandprodukt pro Kopf, Arbeitslosigkeit, dann insbesondere Löhne, Inflation, Wettbewerbsfähigkeit vergleichen: Bei allen Werten steht die Schweiz an der Spitze. Das sind absolute Werte. Schaut man auf die Veränderung, so sieht man, dass die Schweiz ihren Vorsprung auf andere Länder nach und nach einbüsst. Blocher: Entscheidend sind zunächst die absoluten Werte! Das sollte man spätestens gemerkt haben, nachdem im letzten Jahrzehnt die Unternehmen nichts anderes gemacht haben, als ein möglichst hohes Gewinnwachstum auszuweisen. Keiner schaute auf die absoluten Werte - deshalb heute diese Pleiten. Ich gebe Herrn Bodenmann in einem Punkt Recht: Beim Wirtschaftswachstum sieht es schlecht aus. Aber das Wirtschaftswachstum ist doch die zentrale Grösse. Sie zeigt die Entwicklung des Wohlstandes an. Blocher: Das schlechte Wachstum ist die Folge der gigantischen Erhöhung der Zwangsabgaben. Kein OECD-Staat, ausser Japan, hat in den letzten Jahren die Fiskalquote mehr erhöht als die Schweiz. Das ist hausgemacht durch eine schlechte Politik der vereinigten Linken. Gegen den Willen der SVP haben sie Steuererhöhungen durchgesetzt . . . Bodenmann: . . . weil wir kein Wirtschaftswachstum hatten! Wenn der Kuchen nicht mehr grösser wird, dann gibts mehr Arbeitslose und mehr Ausgaben für die IV. Trotzdem ist unsere Fiskalquote international weiter unterdurchschnittlich. Holland und Dänemark liegen höher. Blocher: Aber sie sind in den letzten Jahren mit den Steuern runtergegangen, und wir machten das Gegenteil! Bodenmann: Vorher haben Sie noch gesagt, die absoluten Werte seien entscheidend. Blocher: Das ist so. Doch das fehlende Wirtschaftswachstum ist die Folge davon, dass die Schulden und die Steuern in die Höhe getrieben wurden, beispielsweise Geld für die Swiss und für die Expo verschleudert wurde. Herr Bodenmann, das Wachstumsproblem ist doch wirklich hausgemacht. Bodenmann: Natürlich ist nicht alles auf das EWR-Nein zurückzuführen. Schwere Fehler machte in den 90er- Jahren beispielsweise die Nationalbank. Schädlich war auch die prozyklische Politik von Bund, Kantonen und Gemeinden - sie haben ausgerechnet in der Rezession gespart. Aber: Das Abseitsstehen beim EWR schwächte das Wachstum ebenfalls. Der Alleingang führte dazu, dass sich in der Binnenwirtschaft nichts bewegte. Koalitionen von Verhinderern zementieren die heutigen Strukturen. Blocher: Zu den Verhinderern gehören vor allem die Gewerkschaften. Bodenmann: Auch, ja, sie haben von der SVP gelernt. Wo sehen Sie wegen des EWR-Neins Blockaden? Bodenmann: Ein gutes Beispiel ist die SVP-nahe Landwirtschaft. In Österreich erhalten die Bauern nur noch halb so viele Subventionen. Sie mussten flexibler werden, ihre Produkte wurden günstiger - und trotzdem sind die Landwirte in Österreich mindestens so glücklich wie in der Schweiz. Ein zweites Beispiel sind unsere Auto-Importeure, die ihre vertikalen Kartelle weiter aufrechterhalten. Deshalb kostet hierzulande jedes Auto 6000 Franken zu viel. Österreich, Finnland oder Norwegen werden die Schweiz im Jahr 2015 punkto Reichtum überholt haben, wenn die Entwicklung der 90er-Jahre anhält. Bodenmann: Diesen Fakten muss man in die Augen schauen. Wir tragen die rote Laterne in Europa. Herr Blocher, Sie haben gewonnen, jetzt müssen Sie zum Resultat stehen. Wer ein Kind macht, muss dazustehen. Blocher: Sie wissen ja gar nicht, wo wir stehen würden, wenn wir im EWR wären. Ich bin überzeugt: Wir stünden massiv schlechter da. Österreich ist ein vergleichbares Land. Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger sagt, durch den EWR- bzw. EU-Beitritt sei das Land unter einen gesunden Wettbewerbsdruck geraten. Blocher: Österreich war früher viel weniger offen als die Schweiz, war weniger verbunden mit der EU. Deshalb war für Österreich der EU-Beitritt wichtig. Für mich war immer klar, dass die Österreicher beitreten würden. Den ganz grossen Schub erhielt Österreich aber durch die Öffnung Osteuropas. Hilfreich war auch die neue Regierung, welche die Verkrustung aus der Zeit der SP/ÖVP-Regierung aufgebrochen hat. Trotzdem: Österreich liegt wirtschaftlich weit hinter uns, etwa bei der Standortattraktivität und bei den Löhnen. Aber der Vorsprung der Schweiz schmilzt. Blocher: Wegen der schlechten Innenpolitik! Deshalb kämpfe ich seit zehn Jahren gegen die Verschleuderung von Steuergeldern und gegen Steuererhöhungen. Das lähmt die Wirtschaft. Eine derartige Erhöhung der Zwangsabgaben gab es in keinem anderen OECD Land, mit Ausnahme von Japan. Ich muss aber auch sagen: Man darf nicht das Wirtschaftswachstum zum einzig Entscheidenden hochstilisieren. Wirtschaftswachstum kann auch schlecht sein - wenn es mit Staatsgeldern und -schulden finanziert wird. Ist wirklich nur die Innenpolitik schuld am schwachen Wachstum? Blocher: Fehler wurden auch in grossen Schweizer Betrieben gemacht. Bei den Managern herrschte zum Teil derselbe Grössenwahn wie bei jenen Politikern, die in die EU wollen. Der Drang nach Grösse und Wachstum allein ist keine Erfolgsstrategie. Deshalb konnten viele globalisierte und fusionierte Unternehmen nicht funktionieren. Bodenmann: Sie haben doch Alusuisse nach Kanada verkauft. Blocher: Nicht Grösse war entscheidend. Aber der Aluminiumbereich hätte allein nicht überleben können. Bodenmann: Vielleicht, aber zurück zum Problem. Wir Schweizer wollen einfach nicht einsehen, dass die anderen besser geworden sind - und wir stehen geblieben sind. Blocher: Nochmals: Weil ihr die Zwangsabgaben des Staates erhöht habt! Bodenmann: Die sind bei uns immer noch tief. Daran kann's nicht liegen. Nein, entscheidend ist, dass wir in der Schweiz keinen Strukturwandel zulassen. Deshalb ist der Binnensektor nicht genug produktiv - ganz im Gegensatz zur Exportwirtschaft. Darüber will Herr Blocher nicht reden. Warum? Weil er alle potenziellen Verlierer des Strukturwandels ansprechen will: Ich bin für euch da und werde euch alle schützen, die Bauern, die Auto-Importeure, die Kartellisten. Herr Blocher schimpft lieber über den Staat. Er begreift nicht, dass im Binnensektor dasselbe gilt wie für die Exportunternehmen: Wer sich an veränderte Bedingungen anpasst, kann sehr produktiv sein. Natürlich könnt ihr euch in Bern weitere fünf bis zehn Jahre blockieren, aber das schadet unserem Land. Herr Blocher, das sind harte Vorwürfe. Blocher: Zu den Fehlern: Kein anderes Wirtschaftsgebiet hat solch grosse Veränderungen erfahren wie die Landwirtschaft. Die Ursache waren schweizerische Reformen, nicht ausländische. Was die Auto-Importeure betrifft: Man kann heute jedes Auto auch in Deutschland oder Frankreich kaufen, wenn man will. Es wird nicht gemacht. Als Industrieller produziere ich grösstenteils in der Schweiz. Ich investiere hier jedes Jahr etwa 100 Millionen Franken. Ich schreibe alles international aus - und vergebe den grössten Teil im Kanton Graubünden. Denn die Schweizer Lieferanten sind wettbewerbsfähig, sie gehen auf die internationalen Konkurrenzpreise herunter. Unser Land ist wirtschaftlich offen. Bodenmann: Schon, aber der EWR hätte auch im Inland eine enorme Dynamik gebracht. Die vertikalen Kartelle wären gesprengt worden. Es hätte einen Druck auf die Boden- und Wohnungspreise gegeben. Und auch die Lebensmittel wären billiger - wir hätten bei uns beispielsweise einen Aldi, der den Sektor aufmischen würde, so wie in Österreich. Von Dynamik ist heute aber überhaupt nichts zu spüren. Jeder läuft in seiner Rüstung herum und verteidigt seine Besitzstände. Blocher: Sie blenden eine Seite völlig aus. Sie müssen unsere hohen Preise ins Verhältnis zu unseren ebenfalls hohen Löhnen setzen. Der schweizerische Lebensstandard ist sehr hoch. Preisdruck bedeutet auch Lohndruck. Zudem: Wir kämen in der EU nicht nur unter Konkurrenzdruck, sondern wir würden auch viele wichtige Wettbewerbsvorteile verlieren. Beispiel Wohnungsmarkt: Die Zinsdifferenz für die Hypotheken ginge verloren, und darunter leiden dann alle, auch der Hotelier im Wallis, der 2 bis 3 Prozent höhere Hypozinsen bezahlen müsste. Die Mietzinsen würden um 30 Prozent steigen. Warum kostet bei uns ein Haus mehr als im Ausland? Weil wir einen einmaligen Qualitätsstandard haben. Ich habe in Schweden eine Firma. Dort kommen mir manche Häuser vor wie Kartonschachteln. Entscheidend ist, ob wir unseren Lebensstandard halten können. Blocher: Die Schweiz hätte eine riesige Chance. Sie könnte es besser machen als die da draussen in der EU, vor allem bei der Steuerbelastung. Wir könnten Firmen aus der ganzen Welt anziehen. Aber so, wie es momentan läuft, kann man den Wohlstand nicht vermehren. Wir gehen in die falsche Richtung, in die Richtung der Sozialisierung. Bodenmann: Nein, wir gehen in gar keine Richtung, wir stehen einfach still. Und wenn Sie den Zinsvorteil hervorheben: Man muss auf die Realzinsen achten, und hier wird die Differenz zu Europa immer kleiner. Herr Blocher, Sie reden immer von Steuern. Könnte man nicht auch mit Liberalisierungen Wachstum generieren? Wie wollen Sie das Volk davon überzeugen - Beispiel Elektrizitätsmarkt? Blocher: In der EU ist der Strommarkt nur auf dem Papier liberalisiert. Und bei unserem Elektrizitätsmarktgesetz wusste ich nie recht, ob es wirklich eine Liberalisierung gewesen wäre. Trotzdem habe ich das Gesetz befürwortet. Aber jetzt hat es das Volk halt abgelehnt. Wenn das Volk keine Liberalisierung will, dann will es keine. Deswegen in die EU zu gehen, damit wir nachher machen müssen, was das Volk nicht will - das widerstrebt mir. Bodenmann: In der Schweiz verwechselt man Liberalisierung mit Strukturwandel. Was wir nötig haben, ist Strukturwandel. Auf gewissen Gebieten brauchen wir mehr Staat, auf anderen Gebieten weniger Staat. Es braucht für jedes Problem eine separate Analyse. Um die Kostenspirale im Gesundheitswesen zu stoppen, sollte man zum Beispiel eine kluge Spitalplanung machen - 50 Spitäler mit 300 Betten reichen in der Schweiz. Im Automarkt hingegen braucht es mehr Markt. Das Elektrizitätsmarktgesetz war eine schlechte Vorlage. Mich erstaunt, dass man jetzt einfach nichts tut. Macht doch eine verbesserte Vorlage! Wären wir in der EU, gäbe es auch hier keine Lähmung. Die grösste Pleite der Schweizer Wirtschaftsgeschichte, der Swissair-Konkurs, wird mit dem EWR-Nein in Verbindung gebracht. Wären wir im EWR, hätte die Swissair auf die folgenschwere Hunterstrategie verzichten können. Blocher: Ich habe in der EWR-Debatte dargelegt, dass am ehesten noch die Swissair von einem Beitritt profitieren könnte. Aber es ist dummes Zeugs zu behaupten, das Missmanagement der Swissair sei auf das EWR-Nein zurückzuführen. Möglich, dass das EWR Nein für die Swissair der äussere Anlass war, einen solchen "Chabis" zu machen. Jeder, der in der Wirtschaft Mist baut, bringt die EU-Nichtmitgliedschaft als Ausrede. Bodenmann: Das EWR-Nein war ein klarer Nachteil für die Swissair. Blocher: Moritz Suter behauptet dasGegenteil. Bodenmann: Seine Crossair hat nur dank der Swissair überlebt. Die Swissair hatte wegen des Alleingangs Nachteile. Aber das war kein Grund, eine solche Strategie zu wählen. Ich hoffe, dass die Swiss aus den Fehlern der Swissair lernt. Bis jetzt läuft es positiv. Blocher: Ach was! Bodenmann: Gebt doch der Swiss eine Chance! Flache Hierarchien, tiefe Kosten - die Rechnung könnte aufgehen. Immerhin konnten dank der Swiss Zehntausende von Arbeitsplätzen erhalten bleiben. Blocher: Mit zwei Milliarden Steuergeldern können Sie immer Arbeitsplätze retten! Nur gibt das kein echtes Wirtschaftswachstum. Eben sprachen Sie noch von Strukturwandel. Bodenmann: Zwei Milliarden sind in der Landwirtschaft innert vier Monaten verbrannt. Da könnten wir jedes Jahr drei neue Airlines gründen. Heute haben wir die bilateralen Verträge. Herr Bodenmann, fahren wir damit nicht besser als mit dem EWR? Wir haben die wirtschaftlichen Vorteile, nicht aber die politischen Nachteile. Bodenmann: Nein. Der EWR hätte uns mehr Möglichkeiten gebracht, institutionell mitzuwirken - wenn auch in unbefriedigendem Ausmass, verglichen mit einem EU-Beitritt. Auf dem bilateralen Weg verlieren wir unheimlich viel Zeit und machen überproportional viele Zugeständnisse. Die anderen stellen die Spielregeln auf, und wir versuchen in mühsamen Verhandlungen, irgendwo ein Komma zu verschieben. Das ist für ein Land wie die Schweiz eine unwürdige Situation. Blocher: Die SVP fordert den Abbruch der Verhandlungen über die bilateralen Verträge II. Diese verbessern unsere Position nicht, sondern sie stellen nur einen weiteren Schritt Richtung EU dar. Schengen kommt nicht infrage, wir schaffen doch nicht unsere Grenzen ab. Und wir sind auch nicht bereit, das Bankgeheimnis zu opfern. Der EWR wäre noch schlimmer gewesen, das war ein Kolonialvertrag. Wir hätten Gesetze übernehmen müssen, ohne dazu Nein sagen zu können. Von EWR 2 spricht heute kaum jemand mehr. Dennoch ist er im Fall eines Scheiterns des bilateralen Weges laut Integrationsbericht eine Option. Bodenmann: Diese Idee ist tot. Wenn auch Norwegen in die EU geht, gibt es den EWR faktisch gar nicht mehr. Wäre die Schweiz, falls der EWR angenommen worden wäre, heute in der EU? Bodenmann: Ich habe das Gefühl, dass wir bei einem Ja zum EWR jetzt in der EU wären. Nach einer Annahme des EWR-Vertrags hätte eine dynamische Entwicklung eingesetzt. Der Appetit kommt mit dem Essen. Wie lange der bilaterale Weg gangbar ist, ist unklar. Werden Sie, Herr Blocher, es noch erleben, dass die Schweiz EU-Mitglied ist? Blocher: Ich? Das glaube ich nicht. Die Zeit arbeitet für uns. Heute ist die Wirtschaft gegen den Beitritt, das ist eine ganz wichtige Wende. Im Übrigen wird sich die EU wesentlich verändern, dann müssen wir gar nicht mehr beitreten. Und Sie, Herr Bodenmann, erleben Sie den EU-Beitritt? Bodenmann: Ja - falls ich eine durchschnittliche Lebenserwartung habe.