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Mandat de Conseiller Fédérale

04.04.2004

Alle Parteien mit klarem Profil möchten lieber alleine regieren

Bundesrat Christoph Blocher über SVP, Konkordanz und Bürgerblock 04.04.2004, SonntagsZeitung (Denis von Burg und Andreas Windlinger) Sie haben als Ort für das Interview Schloss Rhäzüns ausgesucht... ...das Schloss gehört der Ems-Chemie. Seit ich nach meiner Wahl in den Bundesrat die Firma an meine Kinder abgab, habe ich hier ein Wohnrecht. Wie oft waren sie seit Ihrer Wahl in den Bundesrat schon hier? Ich bin seither zum ersten Mal im Schloss. Wegen des hohen Arbeitsrhythmus hatte ich in den ersten drei Monaten bisher keine Zeit, hierhin zu kommen. Hin und wieder einen Ruheaufenthalt strebe ich aber an. Die Ruhe ist grossartig. Ich kann mich hier hervorragend erholen. Sie haben eine Wohnung in Bern. Dort übernachte ich etwa drei Mal pro Woche. Mein Zuhause ist aber Herrliberg. Ihre Frau hat sich schon Sorgen gemacht, weil Sie wegen der Arbeitsbelastung am Morgen nicht mehr joggen gehen konnten. Das ist in der Tat ein Problem. Doch jetzt kann ich dann wieder damit anfangen. Ich habe zuerst die Örtlichkeiten in Bern etwas rekognoszieren müssen. Der Morgenlauf ist für mich sehr wichtig: Natur, frische Luft und Bewegung. Früher machte ich immer die gleiche Strecke, 5,7 Kilometer. Was macht Ihre Frau, wenn Sie in Bern sind? Wenn ich in Bern übernachte, kommt sie auch. Sie kocht dann, und wir essen zusammen. Es ist für mich wichtig, dass ich als Bundesrat mit jemandem über meine Arbeit sprechen kann, ohne dass ein solcher Gedankenaustausch gleich an die Öffentlichkeit kommt. Anders als angekündigt, haben Sie in Ihrem Büro nun offenbar doch einen Computer. Warum? Es handelt sich bloss um ein Laptop, auf dem meine Sekretärin schreiben kann, wenn ich ihr etwas diktieren will. Ich bin nicht gegen Computer, habe selbst aber keinen. Wenn ich etwas schreiben muss - eine Rede oder einen wichtigen Antrag an den Bundesrat - , dann mache ich das immer mit dem Bleistift und lasse es niederschreiben. Es wurde spekuliert, Sie liessen einen Teil Ihrer Anträge an den Bundesrat von Parteikollegen schreiben. Wie eng ist Ihr Kontakt zur Partei noch? Noch nie war es der Fall, dass Anträge ausserhalb des Departements verfasst wurden! - Wir haben ein wöchentliches halbstündiges bis stündiges Treffen mit der Parteispitze. Das gab es schon, als Samuel Schmid noch einziger SVP-Bundesrat war. Ich habe einen recht lockeren Kontakt zur Partei, vielleicht einen zu lockeren. Ist Bundesrat Schmid inzwischen politisch auf Ihrer Linie? Wir haben - und das ist keine Floskel - eine sehr gute Übereinstimmung. Wie arbeiten Sie mit den Sozialdemokraten Micheline Calmy-Rey und Moritz Leuenberger zusammen? Im Bundesrat müssen Vertreter von vier Parteien mit unterschiedlicher Gesinnung gemeinsame Lösungen finden. Das ist selbstverständlich nicht einfach. Aber sicher ist es nicht so, dass immer fünf Bürgerliche den beiden Sozialdemokraten gegenüber stehen. Sozialismus und Liberalismus ist nicht eine Frage der Parteizugehörigkeit. Sie sind enttäuscht von ihren bürgerlichen Bundesratskollegen, weil der erhoffte Bürgerblock nicht spielt? Ich habe schon vor meiner Wahl nicht an einen solchen Bürgerblock geglaubt. Die FDP, CVP und SVP und deren Vertreter sind doch kein Block! Wir haben 130 Milliarden Schulden. Das Wirtschaftswachstum ist zu gering, weil der Staat der Wirtschaft zu viel Geld entzieht. Das wird übereinstimmend anerkannt. Aber bei den Massnahmen besteht doch keine Einigkeit! Haben Sie schon resigniert? Nein, ich hatte diesbezüglich keine Illusionen. Und ich will ja auch nicht schwarzmalen. Die Diskussionen im Bundesrat sind besser, als behauptet wird. Bei so vielen Geschäften im Bundesrat muss ja auch oft rasch entschieden werden. Aber bei sehr wichtigen Themen gibt es schon heftige Diskussionen. Das halte ich für einen gesunden Prozess. Ist eine Regierung ohne SP immer noch Ihr Ziel? Alle Parteien mit klarem Profil möchten lieber alleine regieren. Das ist ein anderes System. Aber meine Tätigkeit im Bundesrat ist sicher nicht darauf angelegt, die Sozialdemokraten aus der Regierung zu werfen. Wie gehen Sie mit der Doppelrolle um, dass Sie Regierungsmitglied und zugleich Vertreter einer Pol-Partei sind? Damit habe ich überhaupt kein Problem. Das sind zwei Gremien mit zwei verschiedenen Funktionen. Ich würde meine Partei tadeln, wenn sie aus Rücksicht auf ihre beiden Bundesräte ihre Auffassungen nicht mehr vertreten würde. Und umgekehrt: Die Partei müsste mich tadeln, wenn ich nicht die Regierung vertreten würde.

03.04.2004

Der hat das Kalb gemacht

Bundesrat Christoph Blocher äussert sich im Interview über papierlose Asylbewerber, Schengen, Kollegialität und die Auns. 03.04.2004, Bund (Christian Pauli) «BUND»: Herr Bundesrat Blocher, Ihre Bilanz nach 100 Tagen im Bundesrat tönt sehr negativ. Haben wir wirklich einen so schlechten Staat? CHRISTOPH BLOCHER: Ich bin nicht in den Bundesrat gewählt worden, um Lob zu verteilen. Dafür ist mein Lohn zu hoch. Ich bin hier, um zu schauen, wo die Probleme sind. Und unser Hauptproblem ist: Wir haben zu viel Staat. Da ist meine Meinung bestätigt worden. Sie predigen Staatsabbau. Wir vermissen die konstruktiven Ansätze. Die Benennung der Probleme ist die Voraussetzung für deren Lösung. Wir haben festgestellt, dass nur 14 Prozent der Asylsuchenden mit gültigen Papieren in die Schweiz kommen. Es ist sogar so, dass einer dumm ist, wenn er heute mit Papieren daherkommt. Diese neue Erkenntnis ist für uns ganz wichtig. Jetzt wissen wir, wo wir ansetzen müssen. Wir wollen jene begünstigen, die mit Papieren kommen. Wie wollen Sie konkret Anreize schaffen, dass Asylsuchende sich wieder vermehrt mit Papieren präsentieren? Ich habe Ideen, aber die sind noch nicht spruchreif. An der Grenzstelle von Kreuzlingen gab sich kürzlich einer den Namen des kantonalen Flüchtlingsdelegierten (lacht). Der hat doch einfach das Kalb gemacht. In einem solchen Fall sollten wir doch sagen: Geh wieder nach Hause! Die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter hat konkret die unbegrenzte Ausschaffungshaft gefordert. Was halten Sie davon? Ich stehe diesem Vorschlag mit Sympathien gegenüber. Diese Idee widerspricht völkerrechtlichen Auflagen. Nicht, wenn dies periodisch überprüft wird. Selbstverständlich geht es mir nicht darum, dass einer lebenslänglich inhaftiert werden kann. Die Bundeshausjournalisten haben Sie für Ihre Bilanzpressekonferenz auf den Polizeiwerkhof in Buchs bestellt. Wie wichtig sind Ihnen symbolische Aktionen? Sehr wichtig. Manchmal ist das, was die Botschaft unterstreicht, wichtiger, als das, was gesagt wird. Selbstverständlich hätte ich das alles im Bundeshaus erzählen können. Ich bin aber sicher, dass auch die skeptischen Bundeshausjournalisten den Sinn dieser Aktion irgendwie begriffen haben. Wieso haben Sie uns nicht in ein Asylzentrum bestellt? Weil wir dort keine Probleme haben. Im Asylverfahren ist es heute so, dass die Aufnahme und Abwicklung eigentlich funktionieren, die Probleme sich aber bei der Ausschaffung stellen. Darum wollte ich keine Empfangsstelle und kein Asylzentrum besuchen, wo die Situation gut ist. Beim eigentlichen Kernthema Ihrer Politik, in der EU-Frage, haben Sie im Bundesrat am Mittwoch eine deutliche Niederlage erlitten. Wann ist für den SVP-Bundesrat Blocher die Schmerzgrenze erreicht? Man weiss ja schon lange, dass der Bundesrat nach Schengen will. Darauf habe ich mich einstellen können. Aber als EJPD-Vorsteher müssen Sie das Dossier vertreten. Ich bin nicht allein. Da gibt es noch andere, die das gerne tun, das EDA und das EVD. Werden Sie im Abstimmungskampf auch gegen Ihre Partei, die SVP, antreten? Der Partei ist es klar, dass ich im Kampf gegen Schengen ausfallen werde. Auf der anderen Seite werde ich mich aber auch nicht an vorderster Stelle für die Vorlage des Bundesrates engagieren müssen. Sie schlagen vor, dass Bundesratssitzungen öffentlich abgehalten werden. Wollen Sie die Kollegialität beenden? Ja, ich kann mir einen Systemwechsel tatsächlich gut vorstellen. Heute ist Regieren in der Schweiz geheim. Durch gezielte Indiskretion werden die Sitzungen aber ständig öffentlich gemacht, oder mindestens halböffentlich. Halbwahrheiten kursieren. Diese haben mit der Wirklichkeit oft nicht viel zu tun. Das ist nicht gut, vor allem gegenüber dem Volk. Solange die Kollegialität gilt, werde ich mich aber daran halten. Wie erleben Sie das Klima im Bundesrat? Was ich bisher erlebt habe, sind keine Aversionen oder Obstruktionen gegen mich. Und ich bin eigentlich mit mehr Anliegen durchgekommen, als ich erwartet hatte. Über einzelne Bundesräte äussere ich mich übrigens nicht öffentlich. Ich bringe meine Anliegen direkt an die Kollegen. Mit dem Vorschlag, Schweiz Tourismus nur noch mit einem Franken zu unterstützen, haben Sie Ihre Kollegen provoziert. Ja, und diese Provokation hat viel mehr bewirkt, als man sich vorstellt. Jetzt, wo die Aktion publik gemacht worden ist, kann ich Ihnen das auch erläutern. Ich wollte, dass man im Bundesrat über den Sinn und Unsinn dieser Unterstützung reden muss. Ich bin davon überzeugt, dass es für die Bergkantone sogar besser ist, wenn diese Staatsgelder nicht mehr fliessen. Abgesehen davon: Meine grundsätzliche Skepsis gegenüber Wirtschaftsförderung ist ja hinlänglich bekannt. Wer verfasst eigentlich Ihre Vorstösse? Gemäss NZZ schreibt auch die Auns an Ihren Papieren. Das ist blanker Unsinn. Offenbar können sich die Leute in der NZZ nicht vorstellen, dass ein Bundesrat selber schreiben kann. Mein Grundsatz ist, dass ich bei allen wichtigen Geschäften die Papiere selber aufsetze, und zwar mit Bleistift auf Papier. Die Sekretärin tippt es dann ab.

03.04.2004

«Als Ems-Chef hatte ich es besser»

Christoph Blocher möchte die Bundesratssitzungen künftig öffentlich abhalten. Das Volk müsse wissen, was die Regierung denke, findet der SVP-Magistrat. Seine Motivation sei, etwas im Land zu verändern. 03.04.2004, Berner Zeitung (Karin Burkhalter) Herr Bundesrat Blocher, Sie sprechen immer von Ihrem Auftrag, den Sie erfüllen müssen. Sind Sie eigentlich gerne Bundesrat? Bundesrat Christoph Blocher: Ich möchte darauf keine Antwort geben, weil dies nicht ausschlaggebend ist. Es gibt Dinge, die mache ich gerne, andere belasten mich. Wieso zieren Sie sich? Ich bin nicht Bundesrat geworden, weil ich immer Bundesrat habe werden wollen. Und ich habe mir auch nie überlegt, ob ich dieses Amt gerne ausführe. Die Motivation für mich ist zu sehen, ob ich etwas erreichen kann. Als Ems-Chef hatte ich es sicher besser. Ich konnte machen, was ich richtig fand. Die Frage ist, ob es sich gelohnt hat, von meinem politischen Credo her Bundesrat zu werden. Heute muss ich sagen, der Entscheid, mich zur Verfügung zu stellen, war richtig. Spasseshalber haben Sie einmal gesagt, vier Legislaturen Bundesrat bleiben zu wollen. So lange müsste ich mindestens bleiben, bis sich meine Politik durchsetzt. Spass beiseite. Nein, ich habe schon vor, noch einige Jahre diese Aufgabe zu machen, sofern es die Gesundheit zulässt und mich das Parlament in vier Jahren wieder wählt. Ich gehe nicht davon aus, dass die SVP in den kommenden Jahren den Anspruch auf den zweiten Bundesratssitz wieder verliert. Es kann aber sein, dass das Oppositionssystem Aufwind bekommt. Diese Frage steht immer zur Diskussion. Und die darf man ruhig nüchtern angehen. Wie stehen Sie zu einem solchen System, würde Ihnen das liegen? Grosse Vorteile hätte dies schon. Politik und Verantwortlichkeiten wären klar. In der Schweiz aber ist die Opposition das Volk, insofern ist der Bundesrat auch eine Oppositionsregierung. Damit sind wir bisher eigentlich gut gefahren. Allerdings stösst das heutige System in Anbetracht der grossen Herausforderungen an seine Grenzen. In den letzten 50 Jahren hat man Probleme immer mit Geld gelöst. Jetzt fehlt das Geld, dem Volk geht es schlechter und der Wirtschaft auch. Mit einer Oppositionsregierung wäre es sicher einfacher, eine geradlinigere Politik zu betreiben. Sie werden im Bundesrat regelmässig überstimmt. Das ist doch ziemlich unbefriedigend. Regelmässig nicht, aber doch oft. Überrascht Sie das? Ich wusste von Anfang an, dass ich mir keine Illusionen machen muss. Sie plädieren für öffentliche Bundesratssitzungen. Wollen Sie damit der eigenen Klientel zeigen, dass Christoph Blocher der gleiche geblieben ist? Nein. Was gegen aussen gesagt wird, stört mich nicht. Es ist für das Vertrauen in die Politik wesentlich, zu wissen, was die Regierung denkt und macht. Es gibt natürlich Traktanden, die nicht öffentlich sein sollen. Zum Beispiel Personelles. Aber das dürfen nicht 90 Prozent der Geschäfte sein. Es gibt übrigens bereits kantonale Regierungsratssitzungen, die öffentlich sind. Da geht zwar praktisch niemand hin, das macht aber nichts. Wichtig ist, dass die Möglichkeit besteht. In Ihren ersten 100 Tagen sind Ihnen praktisch nur negative Dinge aufgefallen. Gibt es auch Sachen, die Sie positiv überraschten? Es hat keinen Sinn, Zeit mit Positivem zu versäumen. Deshalb interessieren mich nur die Aspekte, die zu korrigieren sind. Es gilt ja, Probleme zu lösen. Um Leute zu loben, bin ich viel zu gut bezahlt. Trotzdem, in meinem Departement habe ich lauter Leute, die gewillt sind, ihre Arbeit möglichst gut zu tätigen. Wir haben nicht zu viele Mitarbeiter, die nichts zu tun haben, sondern einen viel zu stark aufgeblasenen Verwaltungsapparat. Was möchten Sie an der Funktionsweise der Kollegialbehörde ändern? Der Bundesrat hat viel zu viele Dinge am Hals, um die er sich kümmern muss. Das ist der Grund, weshalb aus dem Parlament immer wieder Forderungen nach Regierungsreformen gekommen sind. Das halte ich aber bloss für eine Symptombekämpfung. Ich setze auf eine Verwaltungsreform, bei der die Verantwortlichkeiten nach unten delegiert und nicht nach oben geschoben werden. Das gäbe schon eine grosse Entlastung, obwohl ich den Bundesrat nicht entlasten will, damit er weniger arbeiten muss. Aber mit dem heutigen System wird der Bundesrat durch die Verwaltung getragen. Er kann sich mangels Zeit gar nicht mit den grundsätzlichen Fragen und Aufgaben dieses Staates auseinander setzen. Haben Sie Beispiele für unnötige Aufgaben? In meinem Departement stosse ich immer wieder auf Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass ich dafür zuständig bin. Ich bin zum Beispiel verantwortlich für eine Datenbank für Findeltiere. Nicht, dass dies keine gute Sache ist. Zu meinen Prioritäten gehört sie aber sicher nicht. Ich weiss, dass es nicht machbar ist, doch wir sollten mit dem Aufbau von Bundesaufgaben ganz von vorne beginnen können. Wir müssen endlich eine Verzichtsplanung in Angriff nehmen. Und Sie können sicher sein, ich werde einige Vorschläge in den Bundesrat hineintragen. Führen Sie selber in Brüssel die Schlussverhandlungen beim Dossier Schengen/Dublin? Möglich wäre es schon; ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt. Ich bin der Meinung, dass man auf der obersten Ebene keine Verhandlungen führen darf. Das ist zu gefährlich. Man macht Abmachungen, die nicht mehr der Realität entsprechen. Diese Meinung habe ich übrigens auch als Nationalrat vertreten. Welche Bedeutung messen Sie Auslandkontakten zu? Ich wollte zuerst einmal die 100 Tage abwarten. Wenn es dringend notwendig geworden wäre, wäre ich selbstverständlich ins Ausland gereist. Nun habe ich vor, den deutschen Innenminister Otto Schily in den nächsten Wochen zu besuchen. Gleiches gilt für die Amtskollegen in den anderen Nachbarländern. Die Zusammenarbeit - gerade was den Sicherheitsbereich anbelangt - ist sehr eng, und ich messe ihr grosse Bedeutung zu. Sie sind gegen Schengen und Dublin. Fachleute sagen, beide Abkommen könnten aber sehr viele Probleme lösen, welche Ihr Departement betreffen. Meine persönliche Meinung interessiert nicht mehr seit der Bundesratsklausur von Mittwochabend. Die Sache ist beschlossen. Der Bundesrat will beitreten. Es ist zurzeit nun einmal so, dass die Politik über das Grenzenlose in Schwärmerei gerät. Für mich bleibt die Frage offen, ob ein Beitritt zu Schengen tatsächlich die erhoffte grössere Sicherheit für unser Land bringt. Das ist meine Stellungnahme, die ich als Mitglied einer Kollegialbehörde abgeben kann. Ihre Partei will das Volk über dieses Dossier abstimmen lassen. Wollen Sie das auch? Ich rede nicht mehr für eine Partei. Aber ich gehe davon aus, dass kein Bundesrat dagegen sein kann, dem Volk diese wichtige Frage vorzulegen. In einem allfälligen Kampf des Bundesrates gegen ein Referendum werde ich mich nicht engagieren, das ist ja klar.

03.04.2004

«Um zu loben, bin ich zu gut bezahlt»

Bundesrat Christoph Blocher sieht sich nach 100 Tagen im Amt in seinen Meinungen bestätigt. Darum kämpft er auch in der Regierung für weniger Staat im Staat. 03.04.2004, Neue Luzerner Zeitung (Jürg auf der Maur) Sie sind seit rund 100 Tagen im Bundesrat. Wurden Sie öfter überstimmt, als Sie erwarteten? Christoph Blocher: Ich stelle jedenfalls fest, dass es kein Klima persönlicher Aversion oder Obstruktion gegen mich gibt. Man sagt nicht, alles, was von Blocher kommt, wird abgelehnt. Es wird diskutiert und ich hatte mit mehr Geschäften Erfolg als ich vor meiner Wahl eigentlich erwartete. Über einzelne Bundesräte rede ich nicht. Wenn ich ein Anliegen habe, dann diskutiere ich das direkt mit den Betreffenden. Das ist ja der Vorteil, wenn man im Bundesrat ist. Was konnten Sie im Bundesrat bewirken? Darüber rede ich nicht. Es ist ja auch vertraulich und geheim. Es ist nicht so wichtig, wenn es heisst, der Blocher wurde überstimmt oder hat verloren. Sie suchen den Konflikt und die Provokation. Beispielsweise als Sie beantragten, dem Tourismus nur noch einen Franken zur Verfügung zu stellen. Ich mache nichts zum Spiel. Der Tourismuskredit ist ein gutes Beispiel. Seit Jahren zahlt der Bund Millionen. Ich bin der Meinung, dass das nichts bringt, sondern sogar eher schädlich ist. Mit meinem Antrag wollte ich einen Denkanstoss machen. Null Franken konnte ich nicht vorschlagen, weil der Tourismus gesetzlich Anspruch auf Bundesmittel hat. Hätte ich Null Franken beantragt, hätte man mir vorgeworfen, dass die Idee gar nicht legal sei. Was haben Sie nun erreicht? Ich wollte, dass man die ganze Wirtschaftsförderung einmal von der anderen Seite her betrachtet. Man musste im Bundesrat über den Sinn und den Unsinn einer solcher Förderung reden. Mir war klar, dass ich keine Mehrheit hinter mich bringe. Ich wollte den Bundesrat herausfordern. Das ist sinnvoll und hat eine viel grössere Wirkung, als man meint. Wenn man schon das Falsche macht, dann ist es immer noch besser, wenn man es mit einem schlechten statt mit gutem Gewissen macht. Die NZZ schreibt, die SVP oder die Auns hätten einen grossen Einfluss auf ihre Arbeit. Ich schreibe die wichtigen Anträge selber, vor allem dann, wenn es um grössere Weichenstellungen geht. Andere Geschäfte delegiere ich ins Amt. Weder die Partei noch die Auns haben Einfluss. Sie zeichnen ein tristes Bild der Schweiz. Ist das Schwarzmalerei? Ich wurde im Dezember in den Bundesrat gewählt als Politiker mit klaren Grundhaltungen und Positionen. Ich habe damals gesagt, dass ich mich nach bestem Wissen und Gewissen einsetzen und in den Bundesrat einbringen will. Ich war schon damals der Ansicht, dass es dringend Korrekturen braucht. Was heisst das konkret? Nur einige Stichworte: Es gibt grosse Fehlentwicklungen, etwa die Schuldenwirtschaft, die grossen Defizite des Bundes und der öffentlichen Hand oder die abnehmende Sicherheit für die Bevölkerung. Sie fordern öffentliche Bundesratssitzungen. Was tun sie dafür? Ich werde diese Idee sicher nicht in den Bundesrat tragen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass die Anregung im Parlament aufgenommen wird. Sie hat nämlich keine Chance. Trotzdem fordern Sie das? Nach drei Monaten im Bundesrat muss ich einfach feststellen, dass die Bürger über den eigenen Staat und die Regierungstätigkeit schlecht und falsch informiert sind. Weshalb? Das hat weniger mit den Medien als vielmehr damit zu tun, dass die Regierungstätigkeit geheim ist. Daraus resultiert eine selektive Geheimhaltung. Es gibt doch Geschäfte, die der Bundesrat geheim besprechen können muss? Schon, aber das sind sicher nicht 90 Prozent der Geschäfte. Wollen Sie tatsächlich Bundesratssitzungen live am TV? Weshalb nicht? Es wäre wohl einfach so, dass nach zwei, drei Sendungen niemand mehr zuschauen würde. Aber das ist auch nicht die Frage. Es ist wichtiger, dass man eine Bundesratssitzung verfolgen darf, als dass man die Gelegenheit denn auch wirklich wahrnimmt. Gibt es auch positive Überraschungen, die Sie als Bundesrat erlebten? Ich habe keine Zeit, mich mit dem Positiven zu beschäftigen. Ich bin als Bundesrat gewählt worden, um Probleme zu lösen. Um Leute zu loben, bin ich zu gut bezahlt. Nur soviel: Die Leute in der Bundesverwaltung arbeiten gut. Sie sind bereit, das Beste zu machen. Das heisst aber nicht, dass ich nicht trotzdem der Meinung bin, dass der Staat und damit auch die Verwaltung schlanker werden müssen. Die SP kritisiert Sie als einen Bundesrat, der die meisten Vorlagen konsequent abweist. Es ist ein ganz grosses Verdienst, wenn der Bundesrat bei vielen Sachen Nein sagt. Wenn die SP das gemeint hat, würde mich die Kritik freuen. Wenn es mir gelingt, dass der Staat Dinge nicht mehr tut, die er nicht machen muss, dann wäre das ein Kompliment für mich. Ich bezweifle aber, dass mein Erfolg so gross ist. Wir haben jedenfalls noch sehr viel zu tun. Was möchten Sie im Bundesrat ändern? Ich kritisiere das Kollegium nicht. Es ist einfach eine Tatsache, dass der Bundesrat zu viele Geschäfte auf seinem Pult hat. Ihre Folgerung? Es braucht dringend eine umfassende Verwaltungsreform. Es ist nötig, dass die Verantwortlichkeiten klar geregelt werden. Am meisten fällt mir auf, wie unklar und schwammig mit dem zentralen Führungsbegriff und der Verantwortung umgegangen wird. Von weit oben bis weit unten sind zwar umfassende Kompetenzen gegeben, aber ohne klare Verantwortlichkeiten. Wir leisten uns eine zu grosse Staatsverwaltung, die ein System am Leben erhält und keine Zeit und Kraft mehr übrig lässt, das System zu ändern. Heute braucht es eine Verwaltung, um die Verwaltung zu betreiben. Das geht nicht. Sie haben Vertreterinnen der Kantone zu ihrer Medienkonferenz eingeladen, die dringend Massnahmen im Vollzug des Asylbereichs fordern. Stützen Sie diese Forderungen? Ich wurde in den ersten Tagen meiner Amtszeit als Justizdirektor von den Kantonen immer wieder aufgefordert, etwas zu unternehmen. Bisher hat man die Vollzugsprobleme schöngeredet oder die Hilferufe der Kantone gar nicht erhört. Wir haben diese Rufe geprüft und feststellen müssen, dass der Vollzug tatsächlich eines der grössten Probleme ist. Wir kommen mit Lösungen. Das heisst, Sie sind für längere Haftdauer bei Asylbewerbern, die beispielsweise ihre Papiere nicht vorlegen oder für den Bau von Ausführungszentren? Wir prüfen die Forderungen. Aber ich bin noch nicht so weit, dass ich sie konkret vorschlagen kann. Sicher ist einfach, dass grosse Probleme bestehen, wenn 90 Prozent der Bewerber eigentlich gar keine Flüchtlinge sind oder wenn lediglich 14 Prozent ihre Identität preisgeben oder über Papiere verfügen. Wir haben gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Insofern stehe ich den Forderungen, wie sie die St. Galler Justizdirektorin Karin Keller-Sutter gestellt hat, offen gegenüber.

03.04.2004

«Ich wurde nicht gewählt, um zu rühmen»

03.04.2004, Blick (Christian Dorer) Herr Bundesrat, haben Sie in Ihren ersten 100 Tagen gar nichts Gutes festgestellt? Ich wurde nicht gewählt, um zu rühmen. Ich muss herausfinden, wo die Probleme liegen. Wenn Sie unbedingt was Positives hören wollen: Die Schweiz ist immer noch sicherer als andere Länder. Und es geht uns wirtschaflicht besser als etwa Kambodscha. Ihre Rede war reine Schwarzmalerei. Wir haben 130 Milliarden Franken Schulden, die Wirtschaft wächst nicht mehr, die Leute haben - zu Recht - Angst um ihre Stelle, man nimmt den Leuten immer mehr weg. Man vermisst den konstruktiven Ansatz. Ist es denn nicht konstruktiv, wenn man die Probleme benennt? Wenn man sie nicht zuerst anerkennt, kann man sie nicht lösen. Die SP kritisiert Sie als Ablehnungs-Bundesrat. Danke für das Kompliment! Die SP will eine schlechte Politik, dies gilt es zu verhindern. Wenn wir weitermachen wie bisher, geht's den Schweizerinnen und Schweizern schlechter. Im Bundesrat werden Sie oft überstimmt. Ein Frust? Es gibt solche Dinge, wo ich unterlag, und es gibt andere. Zum Beispiel? Darüber darf ich nicht sprechen. Das ist vertraulich und geheim. In der «Schengen»-Frage jedenfalls war der Bundesrat gegen Sie. Auch das muss offen bleiben. Aber jedermann wusste, dass der Bundesrat «Schengen» will. Warum Sind Sie dann dagegen angetreten? Damit Ihre Anhänger befriedigt sind? Ich darf Ihnen nicht sagen, was ich im Bundesrat warum gemacht habe, tut mir Leid. Wie ernst nehmen Sie die Kollegialität? In Ihrer Rede haben Sie ausführlich auf die Nachteile hingewiesen. Nur ein Propagandist verschweigt die Nachteile. Ich habe immer Vor- und Nachteile von Vorlagen aufgezeigt. Das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit. «Schengen» ist in Ihrem Departement. Werden Sie es vertreten? Es ist wie immer im Bundesrat: Gleich drei Bundesräte sind zuständig. Wenn ich die Meinung des Gesamtbundesrates vertreten muss, dann tue ich das. Sie ziehen also auch in den Abstimmungskampf für «Schengen» und gegen die SVP? Ich werde auf jeden Fall nicht gegen den bundesrätlichen Beschluss antreten.