Zu den Medien

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des Jahreskongresses der Schweizer Presse in Lausanne

17.09.2004, Lausanne

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Sie haben mich gebeten, vor der Schweizer Presse über die Arbeit der Medien zu sprechen. Das ist eine delikate Ausgangslage. Wie auch immer die Rede ausfällt, es wird Vorwürfe absetzen. Finde ich allzu lobende Worte, werden die Kommentare lauten: « Schaut, schaut, der Blocher. Jetzt wirft er sich den Medien an die Brust. Seit er in der Regierung sitzt, ist offenbar auch bei ihm die Sehnsucht nach Pressezuneigung grösser geworden. » Kommt hingegen von meiner Seite auch nur ein kritisches Wort zu viel, so war es die Rede eines persönlich Beleidigten, eine unangebrachte Medienschelte.

Ich muss Ihnen gleich gestehen: Wenn ich mich schon einem Vorwurf aussetzen muss, dann lieber dem zweiten.

I Auftrag der Presse

Was ist der Auftrag der Presse?
Zunächst eine Klarstellung: Weder die Verwaltung, noch eine Regierung, noch das Parlament, noch sonst jemand im Staat hat der Presse einen Auftrag zu erteilen. Es ist nicht Sache des Staates, den Auftrag der Medien zu definieren. Was die Politik dagegen tun muss, ist die Pressefreiheit zu gewährleisten. Die Freiheit der Presse gegenüber dem Staat ist eine Grundvoraussetzung für jede funktionierende Demokratie.

II An die Verleger gerichtet

Die Gewährleistung dieser Pressefreiheit ist das Wichtigste, was Sie als Verleger von uns Politikern verlangen können. Pressefreiheit ermöglicht Pressevielfalt, Pressevielfalt wäre die Basis für Meinungsvielfalt.

Erfüllt unser Staat diese Aufgabe? Leider nur sehr mangelhaft. Sie hätten Grund genug, uns Politiker deswegen heftig zu kritisieren. Aber interessanterweise tun Sie es nicht. Schätzen Sie, verehrte Verlegerinnen und Verleger, verehrte Fernseh- und Zeitungsmacherinnen- und macher diese Freiheit etwa nicht?

Es ist doch eine unwiderlegbare Tatsache, dass staatliche Beschlüsse nur ein einziges landesweites Fernsehen zulassen. Das Wichtigste an der Freiheit, nämlich private Vielfalt, die Konkurrenz der Meinungen, der Wettbewerb von Ideen wird mindestens beim nationalen Fernsehen unterbunden. Und auch Sie werden nicht behaupten wollen, dass unser Schweizer Fernsehen, welches sich zwar formell unabhängig nennt, punkto Personal oder in Bezug auf die Gebührenordnung, Werberegelung, etc. vom Staat unabhängig sei. Das gleiche gilt für die landesweiten Sender von Radio DRS.

Und was ist mit jenen Nachrichtenagenturen, die vom Staat finanziert werden? Wie weit beeinträchtigt dies die unabhängige Berichterstattung? Natürlich! Als Regierungsmitglied muss mich dies nicht stören.

Und ist da nicht auch etwas im Tun, dass künftig auch die Verleger vom Staat finanziell unterstützt werden sollen? Von einem entsetzten Aufschrei Ihrerseits habe ich bisher nichts vernommen. Eigenartig, dass ausgerechnet ein Bundesrat Sie auf solche Verwicklungen aufmerksam machen muss. Zwar reden alle Verleger stolz von ihrer Unabhängigkeit – nur wenn es um die Finanzen geht, gibt man sich plötzlich viel weniger rigoros. Haben Sie vergessen: Wer zahlt – befiehlt! Und der Staat wird den Verlegern befehlen – freilich subtil!

Schämen müssen Sie sich allerdings deswegen nicht. Sie sind ja in guter Gesellschaft. Niemand hat je staatliche Unterstützung aus höheren Motiven abgelehnt. Weder die Wirtschaftsverbände, noch Banken oder Versicherungen; nicht einmal die Industrie oder der Gewerbeverband, obwohl diese sonst bei jeder Gelegenheit die Handels- und Gewerbefreiheit hochleben lassen.

III Erwartungen

Wenn ich mich als Bundesrat schon nicht in Ihren Auftrag einzumischen habe, so ist doch vielleicht die Frage nach den Erwartungen an die Medien erlaubt. Würde ich die Leser, Hörer und Seher fragen, so wäre die Antwort klar: « Informationen ». Frage ich Journalisten, so sagen sie « Stellung-nahmen ». Nehmen wir an, es gelte beides. Eigenartigerweise ist die Vielfalt gerade bei « Tatsachenschilderungen » relativ gross – auch wenn eine Tatsache eigentlich wenig Beschreibungsspielraum zuliesse. Bei den Stellungnahmen dagegen beobachte ich eine beelende Eintönigkeit. Müsste es nicht eher umgekehrt sein?

IV Wie erlebe ich die Presse als Politiker und neuerdings als Bundesrat?

Die schönste und wichtigste Pflicht des Journalismus bestünde immer noch darin, die Wirklichkeit so abzubilden, wie sie ist – auch die weniger populären Seiten. Und eine Vielfalt der Meinungen über den Sachverhalt. Mir scheint: Wir haben zwar eine beeindruckende Titelvielfalt, aber keine Pressevielfalt. Auf allen Redaktionsstuben scheint die gleiche Angst vor den gleichen Tabuthemen vorzuherrschen. Offenbar haben sich die meisten Journalisten auf einen imaginären politischen Knigge verständigt. Wer ausschert, wird geköpft; vor allem, wenn es sich um einen Bürger-lichen handelt. Vertritt er aber linke Positionen, dann gilt er umgehend als interessanter Querdenker und darf auf einen Auftritt im Zischtigsclub hoffen.

Wer die Geschichte kennt, wird bestätigen, dass grosse Fehlentwicklungen meistens durch eine uniforme Berichterstattung zustanden gekommen sind. Und Sie werden mir Recht geben: Gerade die direkte Demokratie, besonders freiheitliche Staaten sind auf eine Vielfalt von Meinungen angewiesen – mag es darunter auch noch so viele abwegige oder falsche Meinungen geben (was ist denn schon Falsch und Richtig?). Wegen der Vielfalt von Meinungen sind Staaten meines Wissens noch nie fehlgeleitet worden. Aber allzu einheitliche Meinungen haben Demokratien schon zu Grunde gerichtet. Diktaturen – ob braune, rote oder andere – haben immer als erstes die Presse vereinnahmt. Meinungsvielfalt ist Gift für Diktaturen, Meinungseinheit ist Gift für Demokratien.

Ein Beispiel aus der Geschichte: In den dreissiger Jahren hat man im freiheitlichen England und in den USA – zwar nicht vom Staate verordnet aber in freiwilliger « political correctness » – unisono die « Appeasement-Politik » gegenüber Hitler gepredigt. Abweichler – wie zum Beispiel Winston Churchill – waren isolierte Rufer in der Wüste. Kein ernst zu nehmendes Presseorgan hätte seine Meinung als massgebend aufgegriffen. In Deutschland wurden die Medien ebenfalls gleichgeschaltet. Erst durch den Verleger Hugenberg, dann mit aller Konsequenz durch das Regime selbst. Nicht anders erging es der Presse in den kommunistisch regierten Ländern Osteuropas nach dem Krieg.

Solche Vorgänge haben mich schon immer sehr beschäftigt. Oft beginnt die Gleichschaltung im stillen Einvernehmen, verbunden mit moralistischen Untertönen. Man geht dann langsam über zu staatlichen Geboten und Verboten, natürlich stets unter Berufung auf die politische Kultur und der richtigen moralischen Haltung. Nicht, dass damals in England eine « Appeasement-Politik » vertreten wurde, ist das Problem – sondern, dass fast nur diese Meinung verbreitet wurde. Nicht, dass hinter dem Eisernen Vorhang auch eine kommunistische Meinung vertreten wurde, war das Verheerende – sondern, dass nur diese vertreten werden durfte.

V Und in der Schweiz?

Ich halte nichts davon, der Presse von aussen oder von innen Fesseln anzulegen. Ich halte grundsätzlich nichts davon, Meinung zu unterbinden – auch jene nicht, die mir widersprechen oder die ich als verwerflich erachte. Solche Verbote sollte es in einem liberalen Staat nicht geben. Bei der Beschreibung von Tatsachen indes lege ich strengste Massstäbe an. Als ehemaliger Unternehmer und auch heute als Bundesrat weiss ich, wie sehr wir auf eine ungeschminkte Berichterstattung angewiesen wären. Falsche Realitätsbeurteilungen führen zwangsläufig zu falschen Entscheidungen. Ich erlebe es jetzt in der Verwaltung wieder, wie stark das Bestreben ist, die Wahrnehmung dem anzupassen, was man gerne hätte. Und umgekehrt: Was nicht sein soll, darf nicht sein.

Aus Erfahrung weiss ich, dass auch wir nur in einem kritischen Umfeld zu tragbaren Entscheidungen kommen. Hier könnte und dürfte uns eine vielfältige Medienlandschaft helfen. Aber auch nur dann, wenn sie nichts ausklammert. Und hier staune ich oft über unsere so genannte « Pressevielfalt ». Gerade in den wichtigsten Fragen herrscht ein grosser Einheitsbrei vor. Dies kommt der Regierung zu gute, wenn man auch nicht immer weiss, ob die Regierung und Verwaltung die Sicht der Gegebenheit von der Presse übernommen hat, oder umgekehrt. Ich weiss, oft nährt Sie die Verwaltung mit ausführlichen Dokumentationen, die Sie nur noch abzuschreiben brauchen. Manchmal habe ich deshalb das Gefühl, die Zeitungen würden mehr geklebt als geschrieben.

VI Finanzielle Überlebensfähigkeit des Staates

Nehmen wir ein Beispiel: Jeder denkende Staatsbürger – und dazu zähle ich auch die Journalisten – weiss, dass unser Land unter einer riesigen Schuldenlast leidet, die bald 150 Milliarden Franken zählt. Jeder weiss, unser Staat lebt weit über seine Verhältnisse und beeinträchtigt massiv das Wirtschaftswachstum, unsern Wohlstand, unsere sozialen Errungen-schaften. Die Verschuldung stellt die Lebensgrundlage unseres Volkes zunehmend in Frage.

Wer jedoch in der heutigen Zeit eine Ausgabenreduktion vorschlägt, wird fast unisono als « neoliberaler Zukunftsverhinderer », als « Staatsdemontierer » verunglimpft. Die Mehrheitspresse schürt sofort die Angst: « Sozialabbau », « tot sparen », « Bildung vernachlässigen » heissen die Schlagzeilen, die Sie täglich zu lesen oder zu hören bekommen und zwar gleichgültig in welchem Medium. Wohl gibt es Schattierungen: Die Ringierblätter und der Tagesanzeiger erklären den Kampf gegen das Sanierungsprogramm zur Doktrin, während die NZZ wenigstens noch im Grundsatz die Notwendigkeit einer Ausgabenreduktion anerkennt. Diese grundsätzliche Zustimmung – vor allem im Wirtschaftsteil – entpuppt sich dann schnell als höflichste Form der Ablehnung im Inlandteil, wo die Ausgabenreduktionen im Einzelfall eher abgelehnt werden. Ist das unsere ganze Pressevielfalt?

Herr Bundeskanzler Schröder: Wenn ich von der Schweiz aus urteilen darf, auch Sie kennen diese schrillen Töne. Sie sind selber zum Objekt solcher Anwürfe geworden, weil Sie heute ausbaden müssen, was in den letzten 30 Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz von allen gutgeheissen worden war: Nämlich die weitgehend durch den Staat aufgebaute und garantierte soziale Sicherheit für alle. Sie werden durch die realen Verhältnisse zu Korrekturen gezwungen und müssen sich als « neoliberaler Sozialabbauer » beschimpfen lassen – da schützt auch kein sozialdemokratisches Parteibuch mehr. Wenn ich unseren Zeitungen glauben darf, leiden Sie bei sich zu Hause unter einem Lafontaine. Ich kann Sie trösten: Sie haben einen, wir haben eine ganze Reihe davon.

Angesichts dieser Erfahrungen dürfte Ihr Verhältnis zur deutschen Medienlandschaft etwas belastet sein. Das hat Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, schon dazu verführt, in die Schweiz zu blicken wie ins gelobte Land. So rühmten Sie etwa unsere einheimische Boulevardpresse dafür, stets « die politische Kultur » bewahrt zu haben. Doch ich glaube, das ist Ihre Gnade des fernen Blicks. Unser täglicher « Blick » sieht etwas anders aus.

Wo aber wird in unserem Land « gespart »? Schauen Sie nur mal das Wort « sparen » an. « Sparen » heisst doch, Geld, das man hat, auf die Bank zu bringen, auf dass es bleibe, bis man es braucht. Davon sind wir weit entfernt. Unsere Kassen sind leer. Wir machen täglich mehr Schulden. Aber alles spricht vom Sparen. Dabei ist etwas ganz anderes gefragt: Wir müssen Ausgaben senken und Kosten senken. Das, was gute Unternehmer und gute Familienväter täglich machen, nämlich die Kosten im Griff halten. Diese Tugend wäre im Staat gefordert und sie wäre die sozialste Forderung unserer Zeit.

Sie hören viel von « Sparprogrammen » aus dem Bundeshaus: Entlastungsprogramm 03, Entlastungsprogramm 04, Ausgabenverzichts-planung und dergleichen mehr. Doch wer die Realität erkennen will, sieht anderes. Für die nächsten Jahre ist im Bund keine Senkung der Ausgaben angesagt. Im Gegenteil: es sind Ausgabensteigerungen und weitere Verschuldungen trotz höherer Steuern, Abgaben und Gebühren vorgesehen. Die Ausgaben werden bis 2008 um 10% steigen – das entspricht einem jährlichen Ausgabenwachstum von 2,5%. Und dies trotz aller so genannten « Sparpakete »! Warum kommt diese himmelschreiende Misswirtschaft in unserer Medienvielfalt kaum zur Sprache?

Herr Bundeskanzler Schröder, Sie sehen, wir befinden uns leider auf dem gleichen Irrweg, den Deutschland schon begangen hat . Es ist ja gerade der Charme der Schweiz, dass wir die Fehler des Auslandes nachvollziehen – wenn auch etwas später. Die hat ein Deutscher festgestellt, der in der Schweiz an der Universität lehrte. Der Obmann von Weizsäcker in Bern.

VII Tabuthemen

Eine ganze Reihe von Themen, die die Bevölkerung beschäftigen, werden von den Medien weitgehend ausgeklammert, so auch die bedenkliche Entwicklung zu einigen Superstaaten in der Welt. Der Wert der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit für die Schweiz wird gänzlich totgeschwiegen. Ebenso Fragen der Immigrationspolitik, der Ausländerkriminalität und des Asylrechtes. Auch hier herrscht eine feige Einheitsmeinung vor, diktiert von einer totalitär verstandenen « Political correctness ».

XI Inseratensperre

In dieses Bild passt, dass Medien politische Inserate sperren. Ich habe solche Vorgänge vor meinem Eintritt in die Regierung öfters erleben müssen. Auch wenn ich die Fronten gewechselt habe: Ich halte solche Zensuren für völlig falsch. Damit werden bloss andere Meinungen kriminalisiert. Falsche Meinungen sind aber zu widerlegen und nicht zu verbieten. Ein Bundespräsident bezeichnete seine Gegner in einem Abstimmungskampf als « moralisch verwerflich ». Sind denn Bundesräte moralische Instanzen, die sich wie Ersatzgötter aufführen und die Menschen in Gut und Böse teilen? Da dieser Bundesrat die gleiche Meinung vertrat wie die Mehrheitspresse blieb er vor Kritik verschont.

Inserate sperren, weil die Meinung einem nicht entspricht? Ich frage mich: Verspüren die Medien eigentlich Angst, dass die Bevölkerung andere Meinungen nicht verkraften könnte? Dass sie nicht fähig sei, selber abzuwägen und zu urteilen? In dieser Beziehung war der römische Statthalter Pontius Pilatus viel weiter als die meisten Medien in der Schweiz; er war sich dieser Schwierigkeit bewusst, als er fragte: « Was ist die Wahrheit »?

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