20.01.2008
Interview mit der "NZZ am Sonntag" vom 20. Januar 2008
von Felix F. Müller, Luzi Bernet und Francesco Benini
NZZ am Sonntag: Im Albisgüetli sind Sie wieder zu Ihren Leuten und in Ihre angestammte Rolle zurückgekehrt. Sie machten einen gelösteren Eindruck als am Tag Ihrer Abwahl.
Christoph Blocher: Der Eindruck täuscht nicht. Die Niederträchtigkeit, der Hass und der Neid bei meiner Abwahl hat mich und viele Leute bewegt. Wer da nicht verbittert war, ist entweder ein Mensch ohne Gesinnung oder ein Mensch ohne Gefühl. Mittlerweile ist die Erleichterung natürlich gross. Jetzt habe ich ein neues Amt und eine neue Aufgabe. Heute kann ich sagen, was ich denke. Als Bundesrat musste ich Dinge vertreten, die ich nicht gutgeheissen habe - häufiger, als Sie meinen.
Warum soll Eveline Widmer-Schlumpf eigentlich nicht geeignet sein als SVP-Bundesrätin? Immerhin wurde ihr Name bei früherer Gelegenheit von Ueli Maurer ins Spiel gebracht.
Ich weiss nicht, ob das zutrifft. Frau Widmer-Schlumpf weicht in den meisten Punkten von der SVP-Linie ab. Denken Sie an die Aussen-, Steuer- und Energiepolitik. Sie ist nicht die Vertreterin der SVP im Bundesrat.
Sie haben früher auch mitgemacht, als es darum ging, missliebige Kandidaten der anderen Parteien zu verhindern.
Das stimmt. Aber wir haben nie jemanden abgewählt, der seine Sache gut gemacht hat. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Das hätte keine Partei mit sich machen lassen. Die CVP hätte es sich nie gefallen lassen, wenn man beispielsweise Bundesrat Furgler abgewählt hätte, um ihn mit irgendeinem CVP-Regierungsrat zu ersetzen.
Im Dezember haben Sie gesagt, Sie hatten nichts dagegen, wenn ein Teil der SVP-Fraktion sich mit den beiden SVP-Bundesräten träfe. Sehen Sie das immer noch so?
Es steht doch jedem frei, einen Bundesrat zu treffen. Wenn aber eine separate Fraktion gebildet würde, müsste man handeln. Ein Ausschluss von Kantonalparteien wäre unumgänglich. Aber dazu wird es nie kommen. Weder in Bern noch in Graubünden haben die SVP-Vertreter mit einem Wischiwaschi-Kurs gewonnen. Niemand hat sich dort im Vorfeld der Wahlen gegen den Kurs der SVP gewehrt. Und den zweiten SVP-Sitz im Bundesrat haben wir nur dank konsequenter Politik gewonnen.
Der neue Bundesrat hat soeben eine Mehrwertsteuervorlage beschlossen, die von der Wirtschaft weitgehend gutgeheissen wird. Sind Sie für die Vorlage?
Zunächst handelt es sich dabei um eine Steuererhöhung - wenn auch eine verkappte. Das kommt für uns nicht in Frage. Am wichtigsten ist nicht der Einheitssatz. Das Hauptproblem für die Wirtschaft sind die Bürokratie und Schikanen bei der Anwendung der Mehrwertsteuer. Darüber sind die Unternehmer erzürnt. Bundesrat Merz will angeblich auch dagegen vorgehen, mit gleichzeitig einer zweiten Vorlage. Wir meinen: Jetzt machen wir zuerst das Nötigste - die Vereinfachung - und kümmern uns dann um die Frage des Satzes. Eine Steuererhöhung kommt aber nicht in Frage. Ob es einen oder zwei Steuersätze gibt, ist weniger wichtig. Das ist ein Anliegen von Finanz-Theoretikern.
Aber die Wirtschaft hat das Vorgehen begrüsst...
Beide Vorlagen sind nicht grundsätzlich falsch. Aber sie bringen eine Steuererhöhung. Und man läuft damit Gefahr, dass am Schluss nichts realisiert wird.
Teilen Sie die Einschätzung, dass der jetzige Bundesrat unter dem Druck der rechten Opposition einen starken bürgerlichen und wirtschaftsnahen Kurs fahren wird?
Das ist nicht auszuschliessen. Ich habe es im Albisgütli gesagt: Wir waren noch nie so erfolgreich wie in den letzten fünf Wochen. Die CVP hat einen Gegenvorschlag zu unserer Prämiensenkungs-Initiative gutgeheissen, der 90 Prozent der wesentlichen Forderungen der SVP-Volksinitiative übernimmt. Und der Bundesrat hat überraschend zugestimmt, dass die Ermittlungsbehörden künftig Einblick haben in Polizeiakten. Die FDP wendet sich nun erfreulicherweise gegen eine Prämienerhöhung bei der Arbeitslosenversicherung. Das sind neue Töne. Sie zeigen, dass die Mitte-Parteien unter dem Druck ihrer Basis stehen und der SVP nachgeben.
Werden Sie weiter nach rechts rücken?
Nein. Opposition heisst nicht, gegen alles zu sein. Wenn die anderen machen, was richtig ist, dann werden wir applaudieren.
Aber Ihre Partei muss doch wachsen.
Warum auch? Zentral ist, dass sich das Land in die richtige Richtung bewegt. Tun es die anderen, dann braucht es die SVP vielleicht nicht mehr. Dann könnte ich ans Meer liegen - obwohl es dort ausserordentlich langweilig ist. Wir haben nur ein Ziel: bessere Zustände im Land.
Sie haben bis jetzt noch nicht viel Neues präsentiert. Ihre Haltung zur Personenfreizügigkeit haben Sie schon im letzten Mai in einem Mitbericht an den Bundesrat formuliert.
Dazu äussere ich mich nicht. Wir müssen keine neuen Programme und Ziele präsentieren. Nur das Vorgehen. Da bringt die Albisgütli-Rede Neues.
Worin besteht es?
In der Verknüpfung der Personenfreizügigkeit mit dem Steuerstreit. Die EU hat einen harten Angriff auf unsere Souveränität in Steuerfragen lanciert. Der Bundesrat will zwar nicht verhandeln. Die EU wartet ab, bis die Ausdehnung der Freizügigkeit mit Bulgarien und Rumänien unter Dach und Fach ist - ein Abkommen, das nur für die EU wichtig ist.
Aber es ist Teil der Bilateralen I. Sie stellen auf diese Weise die anderen Abkommen in Frage.
Die Schweiz ist frei, das Abkommen über die Freizügigkeit auszudehnen oder nicht. Das hat der Bundesrat immer betont. Für die Schweizer Wirtschaft ist es nicht von grosser Bedeutung. Ausländische Arbeitskräfte bekommen wir zur Genüge auch ohne Personenfreizügigkeit.
Wenn Sie gegen die Personenfreizügigkeit sind, dann fällt das bilaterale Kartenhaus zusammen.
Nein. Glauben Sie, dass die EU die Abkommen wirklich kündigt? Das Verkehrsabkommen zum Beispiel bringt der EU wichtige Vorteile. Sie wird es im Eigeninteresse nicht kündigen wollen.
Glauben Sie, die EU akzeptiert, dass die Schweiz zwei EU-Staaten anders behandelt als alle andern?
Ich frage zurück: Finden Sie es richtig, dass die EU uns unter Druck setzt, unsere Steuergesetze zu ändern?
Das haben wir nicht behauptet.
Wir akzeptieren nicht den Eingriff in die Steuerhoheit. Und die EU akzeptiert nicht den Ausschluss von zwei Staaten aus der Personenfreizügigkeit. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Was verlangen Sie von der EU konkret?
Eine Erklärung, dass sie die schweizerische Steuerhoheit anerkennt und ihre Forderungen zurückzieht.
Vielleicht gibt es ja eine sinnvolle interne Steuerreform, die die EU beruhigt.
Also selbständig nachgeben! Ausserdem würde die EU sofort mit neuen Forderungen kommen. Der EU passt es nicht, dass wir tiefere Steuern haben.
Sie haben angekündigt, dass sich die SVP der Schule annimmt. Konkrete Forderungen sind bisher aber ausgeblieben, auch an der Albisgütli-Tagung diese Woche.
Wir werden damit kommen. Die SVP hat die Schulreformen im Sinne der 68er Generation nie gutgeheissen. Es ging stets in Richtung Leistungsabbau, Selbstverwirklichung, Kuschelecken, Noten abschaffen. Nicht nur die Sozialisten haben diese Dinge vorangetrieben, sondern zum Teil auch die Bürgerlichen. Jetzt müssen wir das grundsätzlich anschauen. Die Eltern von Schulkindern haben die Nase voll, und zunehmend auch die Lehrer. Die Qualität der Schulbildung hat abgenommen in der Schweiz. Die Lösung haben wir noch nicht. Wir setzen eine Arbeitsgruppe ein mit Lehrern und Eltern.
Die 68er sind in den Schulen schon seit einiger Zeit auf dem Rückzug. Es werden verbindliche Leistungsstandards festgelegt an den Schweizer Schulen.
Leistung, Sorgfalt, Genauigkeit, Sprachbeherrschung - selbst Bildungsdirektoren wie Ernst Buschor haben hier von "Sekundär-Eigenschaften" gesprochen. Ich habe Reglemente neusten Datums gesehen. Was ich fand, atmet diesen Geist: Die Kinder bestimmen selber, wann sie nicht mehr lernen wollen. Deshalb schicken immer mehr Eltern im Kanton Zürich ihre Kinder an Privatschulen. Das ist kein Zustand.
Wenn an den Schweizer Schulen eine Misere herrscht, wieso schneiden die Schweizer Jugendlichen im Pisa-Test hervorragend ab in Mathematik?
Als ehemaliger Unternehmer sage ich Ihnen: Das Wichtigste ist, Angestellte zu finden, die fehlerlos schreiben können. Selbst Ingenieure können das nicht mehr. Da wird doch niemand behaupten, die Schulbildung in unserem Land sei gut genug. Von Lehrbetrieben weiss ich, dass sie aus gewissen Kantonen keine Lehrlinge - wegen ungenügender Schulen - aufnehmen können.
Sie lehnen eine befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer für den Schuldenabbau bei der Invalidenversicherung ab. Wie wollen Sie den Schuldenberg der IV abtragen?
Bevor nicht die laufenden Defizite beseitigt sind, darf man der IV kein Geld geben. Das Problem der IV ist, dass sie pro Jahr 1,5 Milliarden Franken Defizite erzeugt. Natürlich ist es viel mühsamer, den Missbrauch bei der Invalidenversicherung zu bekämpfen, als das Problem mit Geld zuzudecken. Es braucht jetzt die sechste IV-Revision, mit der wir verhindern, dass die IV laufend neue Schulden macht.
Sie haben erklärt, dass Sie ein Unternehmen kaufen wollen. Haben Sie das schon getan?
Nein. Ich lege den Schwerpunkt jetzt auf die Politik. Wenn es eine Gelegenheit gibt, können wir sehen.
Wann bringen Sie den "Dreck" an die Öffentlichkeit, von dem Sie nach Ihrer Abwahl gesprochen haben?
Ich werde aufzeigen, was in der Bundesanwaltschaft und der Oberaufsicht passiert. Hier geschieht und geschah Unglaubliches. Ein Beispiel sind die Ereignisse vom 5. September 2007. Ich habe den Bundesrat darüber informiert, dass ich mich diesbezüglich nicht an das Amtsgeheimnis gebunden fühle, und der Bundesrat hat keinen Einspruch eingelegt. Zudem muss aufgezeigt werden, wie in der Schweiz der Rechtsstaat ausgehebelt wird. Es gibt Gesetze, die in Einzelfällen angewendet werden und in anderen nicht. Es kommt vor, dass das Parlament Gesetze fordert, die es längst gibt - nur wendet man sie selektiv an. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.
Wollen Sie wieder in den Bundesrat?
Das wollte ich nie. Es war damals notwendig. Ob sich erneut eine solche Situation ergibt, werden wir sehen.
18.01.2008
Discours de l'Albisgüetli, 18 janvier 2008
18.01.2008
Discorso del Albisgüetli del 18 gennaio 2008
06.01.2008
6. Januar 2009
Der Bundesrat hat folgerichtig dem Parlament betr. Personenfreizügigkeit zwei getrennte Vorlagen vorgelegt:
1. einen Bundesbeschluss betr. Die Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit den bisherigen EU Staaten und
2. einen Bundesbeschluss betr. Die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien.
Das sind zwei Fragen. Sie rufen nach zwei Antworten.
Mogel-Päckli:
Die Parlamentarier in Bern wussten, wie gefährlich die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien für die Schweiz ist. Darum lies man sich einen hinterhältigen und undemokratischen Trick einfallen. Man band die beiden Fragen so zu einem "Päckli" zusammen, so dass eine unverfälschte Antwort nicht mehr möglich ist.
Sagen nämlich die Stimmbürger JA bei der Abstimmung, weiss man nicht was die Stimmbürger wollten:
1. War es ein JA zur Weiterführung der Personenfreizügigkeit?
2. War es ein JA zur Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien?
3. Oder war es ein JA zu beidem?
Natürlich werden nach der Abstimmung Regierung und Verwaltung dieses Abstimmungsergebnis so interpretieren wie es ihnen passt.
Sagen die Stimmbürger NEIN, weiss man auch nicht was die Stimmbürger wollten:
1. War es ein NEIN zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit?
2. War es ein NEIN zur Erweiterung auf Rumänien und Bulgarien?
3. Oder war es ein NEIN zu beidem?
Ein NEIN kann alles klären
Mit einem NEIN kann man ohne negative Folgen das ganze zufriedenstellend lösen. Das Parlament wird dann nämlich schon aus Eigennutz die beiden Vorlagen entknüpfen. Die Verlängerung des Personenfreizügigkeitsvertrages mit der EU kann bei einem Nein unverzüglich beschlossen werden. Es dürfte nicht einmal dagegen ein Referendum geben.
Ausweitung auf Rumänien und Bulgarien unannehmbar
Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ist ein Quantensprung. In Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Korruption, die Kriminalität und in Bezug auf die hohe Arbeitslosigkeit in diesen Ländern ist der Vertrag abzulehnen.
Die Schweiz wird im kommenden Jahr in eine tiefe Rezession geraten. Die Rezession wird Ausmasse annehmen, wie sie unser Land seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erlebt hat. Die Folge davon werden Kurzarbeit und Entlassungen sowie eine massiv steigende Arbeitslosigkeit sein. Dies nicht zuletzt in Folge der Personenfreizügigkeit. Die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien wird dieses Problem noch verstärken. Die Folge davon ist die Plünderung der Arbeitslosenkasse, der Mutterschaftsversicherung, der IV und der Fürsorgeeinrichtungen. Höhere Lohnabzüge, höhere Mehrwertsteuer, Arbeitsplatzverlust und die Zunahme der Ausländerkriminalität werden die Folge sein.
Das Ammenmärchen von der Guillotine-Klausel
Die Befürworter der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit behaupten bei einem NEIN zur Personenfreizügigkeit würden alle bilateralen Verträge ausser Kraft treten. Es gäbe eine Guillotine-Klausel. Das ist ein Ammenmärchen - eine bewusste Irreführung.
Dies würde nur dann passieren, wenn der Bundesrat gegenüber der EU notifizieren würde, dass die Weiterführung der Verträge der Personenfreizügigkeit von der Schweiz preisgegeben werde. Eine solche Notifikation wird der Bundesrat nicht vornehmen, denn so dumm kann ja auch der Bundesrat nicht sein!
Dazu kommt, dass die EU-Staaten selbst keinerlei Interesse haben, diese Verträge fallen zu lassen. Sie sind in erster Linie zugunsten der EU und nicht zugunsten der Schweiz abgeschlossen worden.
NEIN im Interesse der schweizer Wirtschaft
Natürlich wissen wir, dass die Unternehmen Arbeitskräfte brauchen. Wenn wir im eigenen Lande zu wenig haben, ist es sinnvoll, dass man auch ausländische Arbeitskräfte einstellt.
Solche Arbeitskräfte erhält die Schweiz so viel sie will. Die Schweiz ist eben ein sehr attraktiver Arbeitsplatz auch für ausländische Angestellte. Auch für Hochqualifizierte. Das wissen wir. Die Schweiz würde diese Arbeitskräfte aber auch ohne die Personenfreizügigkeit erhalten. Aber auch nach einem NEIN zum "Päckli" ist die heutige Personenfreizügigkeit aufrecht zu halten, die Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien ist zu unterbinden. Man bedenke aber: Es ist eine Tatsache, dass diese Arbeitskräfte, wenn sie ein Jahr in der Schweiz waren, den schweizerischen Arbeitskräften auch im ganzen sozialen Bereich gleichgestellt sind.
Und das wird uns im nächsten Jahr bereits sehr zu schaffen machen. Vielleicht werden aber nicht nur diese Arbeitskräfte aus den andern Staaten arbeitslos, sondern statt ihnen viele Schweizer. Denn es wird dann nicht mehr unterschieden. Bezahlen müssen alles die Schweizer. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Steuerzahler und Lohnempfänger!
Die SVP hatte stets auch die Kraft, sich nicht von wirtschaftspolitischen Drohungen, wie sie jetzt wieder zu hören sind, beeinflussen zu lassen.
Zu diesem Päckli wie es uns vorgelegt wird, muss NEIN gesagt werden, im Interesse der schweizer Wirtschaft, der Arbeitsplätze und im Interesse des Landes Schweiz.