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Economy
18.10.2001
10.09.2001
»Bevölkerung hat Belastung und zu kleinen Nutzen»
Interview mit den Schaffhauser Nachrichten vom 10. September 2001 SVP-Nationalrat Christoph Blocher kritisiert das Zürcher Flughafenkonzept und die Verhandlungstaktik des Bundesrats. Interview: Benjamin Gafner Herr Blocher, wie viel fliegen Sie? Christoph Blocher: Zehn- bis zwölfmal im Jahr, nach Übersee oder beispielsweise nach London. Nach Paris benutze ich den Zug, das ist einfacher. Ich bin nicht gegen das Fliegen, aber ich bin dagegen, dass man unnötig herumfliegt. Sie würden also nie einen 100-Franken-Flug nach London buchen, um übers Wochenende einkaufen zu gehen? Blocher: Nein, nein. Das ist auch gar nicht mein Bedürfnis. Ich sage nicht, dass man es den Leuten verbieten soll, kurz nach London zu fliegen, um einkaufen zu gehen. Ich halte das aber nicht für sinnvoll. Vom Fluglärm sind Sie verschont in Ihrem Heim in Herrliberg. Wären Sie bereit, im Sinne einer gerechten Verteilung mehr Fluglärm zu ertragen? Blocher: Fluglärm haben wir auch, und zwar Helikopter vom Militärflugplatz Dübendorf. Es ist klar: Fluglärm hat niemand gern. Wo soll der Fluglärm im Zusammenhang mit dem Flughafen Kloten stattfinden? Blocher: Dort, wo er am wenigsten stört, also über Gebieten, die wenig besiedelt sind. Auch aus Sicherheitsgründen sollte beispielsweise nicht über die Agglomeration Zürich gestartet und gelandet werden. Dies ist mit dem heutigen Flugregime weitgehend gewährleistet. Deshalb soll daran festgehalten werden. Von einer gleichmässigen Verteilung des Fluglärms rund um den Flughafen halten Sie also nichts? Blocher: Das ist eine der dümmsten Forderungen, die je aufgestellt wurden. Der Fluglärm sollte - genau wie der Strassenverkehrslärm - kanalisiert werden. Stellen Sie sich vor, man käme plötzlich auf die Idee, den Strassenverkehr nicht mehr auf der Autobahn zu konzentrieren, sondern im ganzen Land "demokratisch" zu verteilen, damit alle gleich viel haben. Das wäre doch Humbug. Wenn Sie den Fluglärm auf die Bodenseeregion, den Kanton Schaffhausen, den Thurgau, den gesamten Kanton Zürich, den Aargau und weitere Gebiete verteilen, müssen Sie am Schluss überall Lärmschutzmassnahmen ergreifen. Das ist doch nicht sinnvoll. Sie lehnen den Staatsvertrag mit Deutschland ab und bezeichnen die Verhandlungsweise des Bundespräsidenten als dilettantisch. Weshalb diese scharfe Formulierung? Blocher: Weil sie der Tatsache entspricht. Der Bundesrat hat wieder den gleichen Fehler gemacht wie bei den Verhandlungen über die bilateralen Verträge mit der EU: Der Bundespräsident darf doch nicht persönlich verhandeln gehen. Als höchster Regierungsvertreter der Schweiz kann er im Ausland nicht sagen, er müsse nun zuerst zu Hause die Erlaubnis für ein Entgegenkommen einholen. Man sollte deshalb andere Vertreter an die Verhandlungen schicken, während die Regierung zu Hause im Hintergrund eine klare Position innehält. Die Verhandler kehren zurück, berichten dem Bundesrat und holen neue Direktiven ab. So gewinnt man Zeit zum Überlegen und Diskutieren. Es ist wichtig, dass die eigenen Verhandler, die an der Front tätig sind, desavouiert werden können. Nur so gewinnt man. Der Bundespräsident sollte notfalls höchstens noch am Schluss hingehen und den Vertrag feierlich unterschreiben. Sie vergleichen politische Verhandlungen offensichtlich mit Ihren Verhandlungen in der Wirtschaft? Blocher: Das ist doch genau dasselbe. Meinen Sie, ich nehme als oberster Chef der Ems Chemie an Verhandlungen teil? Wenn alles sehr gut läuft, gehe ich höchstens am Schluss selbst noch hin, wenn wir abgemacht haben, wo wir im einen oder anderen Punkt noch etwas nachgeben. Der Bundesrat hat einmal mehr dilettantisch verhandelt. Es ist ja unglaublich, welch schlechten Vertrag er dem Parlament nun vorlegt. Weshalb? Blocher: Es zeigt sich nun, dass bereits bei den bilateralen Verträgen Land- und Luftverkehr hätten gekoppelt werden sollen. Wir haben das immer gefordert. Und man hat es auch versprochen. Beim Landverkehr ist man dem Ausland sehr entgegen gekommen, dafür hätte man beim Luftverkehr etwas erhalten. Deutschland kann uns doch nicht den ganzen Dreck des Lastwagen-Transitverkehrs geben und gleichzeitig sagen: "Aber der Flugverkehr kommt nicht zu uns." Leuenberger hat im April viel zu weich verhandelt. Er hat bei den Eckwerten nachgegeben, daran ändert sein nachträgliches Insistieren, das erst auf Druck der Öffentlichkeit zustande kam, nichts. Nachgeben am Anfang ist Gift für jede Verhandlung. Sie lehnen den Vertrag ab. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie, wenn Ihnen das Parlament folgen sollte? Blocher: Der Bundesrat sagt: Lieber einen schlechten Vertrag als gar keinen. Was ist denn dies für eine Alternative? Es gäbe ja auch noch einen guten Vertrag statt gar keinen! Die Frage nach den Konsequenzen bleibt. Blocher: Wenn das Parlament den Vertrag ablehnt, wird nochmals verhandelt, oder Deutschland setzt einseitig eine Verordnung in Kraft. Sollte Letzteres geschehen, müsste dies angefochten werden. Dann schauen wir mal, was diese Verordnung rechtlich wert ist. Sollte die Schweiz im Rechtsstreit unterliegen, müsste sie Gegenmassnahmen im Strassenverkehr treffen. Die Schweiz muss endlich Gegenpositionen entwerfen und ihre eigenen Interessen wahren. Wie könnten solche Gegenmassnahmen aussehen? Blocher: Genau dies muss der Bundesrat nun prüfen und vorbereiten. Möglichkeiten gibt es viele: Wir könnten die ganze 40-Tonner-Geschichte in Frage stellen, die Verträge sind ja in der EU noch nicht ratifiziert. Wir haben ein Lastwagenkontingent, da lässt sich viel machen. Verträge bestehen schliesslich immer aus Geben und Nehmen. Sie wollen also Deutschland beispielsweise sagen, jetzt dürften keine deutschen Lastwagen mehr durch unser Land fahren? Blocher: Ich bin nicht für einen Landverkehrs- und Luftverkehrskrieg. Aber für den Fall der Fälle sollte sich der Bundesrat entsprechend vorbereiten. Wenn Deutschland sagt: "Wir haben nicht gern Fluglärm", dann entgegnen wir, dass wir nicht gern Strassenverkehrslärm haben, und präsentieren entsprechende Massnahmen. Ich glaube nicht, dass sich Deutschland auf einen solchen Streit einlassen würde. Das mächtige Land wird innerhalb der EU genau beobachtet, wie es mit den Kleinen umgeht. Deutschland könnte sich einen ernsthaften Streit mit der Schweiz so wenig leisten wie umgekehrt. Stellen Sie sich vor, die Situation wäre umgekehrt: 90 Prozent der Flugzeuge würden im Tiefflug über die Schweiz einen benachbarten Flughafen Deutschlands anfliegen. Würden wir nicht auch reklamieren? Blocher: Natürlich, aber es kommt schon auf die genaue Situation an. Die jetzige Situation ist so, dass die Anflüge auf Kloten über wenig besiedeltes Gebiet erfolgen. In Süddeutschland sind viel weniger Personen vom Lärm betroffen, als wenn plötzlich über die Agglomeration Zürich geflogen wird. Es ist doch nicht einsehbar, weshalb das geändert werden soll. Deutschland versucht hier ganz einfach, Sonderrechte für sich in Anspruch zu nehmen. Bei den deutschen Flughäfen gelten offenbar noch ganz andere Massstäbe. Und es ist ja nicht so, dass wir den Flugverkehr willkürlich über Deutschland abwickeln, obwohl dort viel mehr Leute betroffen wären als bei uns. So etwas wäre in der Tat ungerecht. Dem ist aber nicht so. Wird das Parlament den Staatsvertrag ablehnen? Blocher: Ich befürchte, dass der Vertrag im Parlament angenommen wird. Aus Mangel an Durchsetzungskraft werden die Interessen des eigenen Staates preisgegeben. Was halten Sie von der Politik der Flughafendirektion, die Kloten als Hub definiert, also als Drehscheibe für Transitpassagiere? Blocher: Vom Flughafen her ist dies verständlich. Doch das Volk muss sich nun die Frage stellen: "Welchen Flughafen wollen wir?" Meine Antwort lautet: Wir wollen einen Flughafen, der unserer Volkswirtschaft dient. Das heisst, wir wollen gute Flugverbindungen von und nach Zürich. Das Hub-Konzept ist aber volkswirtschaftlich fragwürdig. Es ist geprägt von dem verfehlten und jetzt auch gescheiterten Swissair-Konzept. Das Konzept der Grösse ist gestorben, also müssen wir darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Heute wird das Hub-Konzept im Interesse der Flughafen-Auslastung aufrechterhalten. Doch dies allein kann nicht entscheidend sein. Die Volkswirtschaft als Ganzes zählt. Welche Rolle spielt bei Ihrer Beurteilung die Meinung des Volks? Blocher: Ich glaube nicht, dass das Volk einen Flughafen will, in dem Zehntausende von Transitpassagieren landen, nur um umzusteigen und wieder davonzufliegen. Die gehen ja nicht in die Stadt und konsumieren etwas. Von den Transitpassagieren haben wir volkswirtschaftlich wenig. Die Bevölkerung hat die Belastung und einen zu kleinen Nutzen. Wie weit sollte der Flughafen Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen? Blocher: Der Flughafen kann auf Dauer keine Politik betreiben, die vom Volk nicht akzeptiert wird. Das ist in der Industrie genau dasselbe. Wenn ich auf die Idee käme, im Kanton Graubünden eine riesige Raffinerie zu bauen, direkt neben der Stadt Chur, könnte ich dies auch nicht tun. Ganz einfach deshalb, weil die Bevölkerung dies nicht will. Der Flughafen investiert jetzt für den Ausbau über zwei Milliarden Franken. Er kann wohl nicht so einfach zurück. Blocher: Sollte sich die Investition als Fehlinvestition erweisen, dann ist es halt eine. Ich habe in meinem Unternehmen auch schon Fehlinvestitionen gemacht (lacht). Diese musste ich dann halt tragen und anderswo wieder wettmachen. Herr Blocher, wir danken Ihnen für das Gespräch.
09.09.2001
Strikte gegen Staatshilfe
Interview mit der SonntagsZeitung vom 9. September 2001 Christoph Blocher über die Sanierung der Swissair Interview: Arthur Rutishauser Christoph Blocher, was muss nach Ihrer Meinung geschehen, damit die Swissair wieder auf die Beine kommt? Christoph Blocher: Nun müssen die Banken eine Sanierung durchführen wie seinerzeit in der Uhrenindustrie. Was bedeutet das? Blocher: Eine Umwandlung von Schulden in Eigenkapital. Also ein Schuldenverzicht und eine Aufstockung des Eigenkapitals. Warum sollten sie das tun? Blocher: Aus der gleichen Motivation wie bei der Uhrenindustrie. Damals verzichtete man auch auf viel Geld, im Nachhinein stellte sich das aber als sehr lohnendes Geschäft für die Banken heraus. Gelegentlich wird auch gefordert, der Staat, das heisst die beteiligten Kantone und der Bund, sollten der Not leidenden Airline unter die Arme greifen. Blocher: Da bin ich strikte dagegen. Nur schon die Diskussion zeigt, dass man vielmehr die Swissair-Aktien schon viel früher hätte verkaufen sollen. Könnten Sie sich eine Bürgschaft des Bundes für die Swissair vorstellen? Blocher: Nein, denn das käme letztlich auf dasselbe heraus wie ein Kredit. Und wie steht es bei einer Kapitalerhöhung - soll da der Staat mitziehen? Blocher: Da würde es sich wohl nicht vermeiden lassen, dass Bund und Kantone mitmachen. Wenn es der Swissair aber wieder besser geht, sollte man die Aktien so schnell wie möglich verkaufen. Kann es sich denn die Schweiz leisten, auf eine nationale Airline zu verzichten? Blocher: Das ist keine nationale Airline, das ist eine private Fluggesellschaft, die so wie alle anderen Unternehmen selbst für ihr Überleben sorgt. Sonst züchten wir eine Subventionswirtschaft heran. Trotzdem, ohne Fluggesellschaft befürchtet die Wirtschaft Nachteile für den Standort Schweiz. Blocher: Wir brauchen für die Wirtschaft keine Swissair, sondern gute Flugverbindungen ab Zürich. Und die können auch ausländische Airlines erbringen. Ich sehe jedenfalls keinen Notstand, der eine Staatsintervention rechtfertigen würde. Glauben Sie, dass eine eventuelle Übernahme der Swissair noch einen nationalen Aufschrei verursachen würde? Blocher: Nein, warum? Immerhin kam es Anfang der Neunzigerjahre zu einer grossen Kampagne, als versucht wurde, die Swissair mit der holländischen KLM und der skandinavischen SAS zu fusionieren. Blocher: Da haben all die Hiobsbotschaften aus Kloten die Emotionen sicher beruhigt. Heute wäre wohl jeder froh, das Problem Swissair wäre gelöst. Sind für Sie die Sanierungsmassnahmen, die Swissair-Chef Mario Corti bisher einleitete, genügend? Blocher: Bei Sanierungen in dieser Grössenordnung darf man meiner Ansicht nach nicht zu zögerlich vorgehen. Da braucht es wohl eher den Vorschlaghammer. Vor allem, weil wohl noch viel mehr getan werden muss, als bisher bekannt ist. Glauben Sie, dass die Möglichkeit besteht, dass die Swissair Konkurs geht? Blocher: Nein, denn da ist viel zu viel Schweizer Wirtschaftsprominenz involviert. Die wird alles tun, um einen Konkurs zu vermeiden. Denn sonst müsste sie mit Prozessen der Geschädigten rechnen. Das ist ganz klar.
01.08.2001
«Innert 48 Stunden habe ich zugeschlagen»
Der Unternehmer und Politiker über seine jüngsten Firmenkäufe und über seinen Konjunkturpessimismus. Interview mit der BILANZ vom August 2001 von Martin Schläpfer und Medard Meier Mit Axantis und Netstal haben Sie zwei Firmen gekauft, die Sie schon lange im Visier hatten. Schliesst sich damit Ihr unternehmerischer Lebenskreis? Christoph Blocher: Nein, meine unternehmerische Tätigkeit hat viel Intuitives an sich. Bis jetzt habe ich nur Firmen gekauft, denen es schlecht ging. So seinerzeit die ehemalige Ems, dann Togo und Dottikon. Aber sie mussten zu Ems passen, und wir müssen sie führen können. Axantis befand sich in einer Notsituation. Die Firma in die Gewinnzone zu bringen, ist die Herausforderung. Ob es gelingt, weiss ich noch nicht. Ich habe Freude daran, Unternehmen, die am Boden sind, zum Erfolg zu führen. Bei Netstal war ich als Verwaltungsrat und später als Präsident dabei, als man das praktisch konkursreife Unternehmen retten musste. Dank seiner Unabhängigkeit ist es gelungen. Diese war jedoch erneut gefährdet, als die Firma von einem Finanzinvestor übernommen wurde. Netstal brauchte einen Unternehmer. Innert 48 Stunden habe ich zugeschlagen. Und sogar die Arbeiter haben Ihnen gedankt. Blocher: Ja. Arbeiter und Besitzer bilden eben eine Einheit; das sollte die Linke einmal zur Kenntnis nehmen. Arbeiter wollen Arbeitsplätze. Ist der Unternehmer tüchtig, stossen sie sich nicht an seinem Reichtum. Sie wissen: Es gibt nichts Traurigeres als einen armen Unternehmer. Mit Netstal haben Sie ausnahmsweise eine Perle erworben. Blocher: Ja, sie war auch entsprechend teuer. Ich kenne die Firma, ihre Strategie und das Management: Das Risiko ist folglich limitiert. Während der Mannesmann-Ära bin ich ja aus dem Netstal-Verwaltungsrat geflogen, weil ich konsequent für die Eigenständigkeit gekämpft habe. Im Rückblick war jener Kampf das Wichtigste für die Firma. Hat die Spritzgussmaschinenherstellerin eine optimale Grösse? Blocher: Auf jeden Fall ist sie gross genug, um führend zu sein und einen besonderen Kundenservice zu bieten. Das Management unter Dieter Klug, dem tüchtigen Geschäftsführer, glaubt an die Firma und ihre Grösse. Streben Sie neben Ems und Netstal ein drittes Bein an? Blocher: Nein, ich muss jetzt die beiden Übernahmen bewältigen. Axantis ist ein Turnaround. Die Firma wäre heute bereits in Konkurs, wenn Herr Model sie übernommen hätte. Der Zellstoffbereich ist extrem konjunkturanfällig; im Moment steckt die Papierbranche in einem Tief. Die neuen Produkte sind noch ungewiss. Ihr Stern scheint am Schweizer Wirtschaftsfirmament umso heller, je mehr andere verblassen. Swissair lässt grüssen. Blocher: Jeder Unternehmer hat auch Misserfolge zu verkraften. Auch ich habe Fehlinvestitionen und Fehleinkäufe getätigt. Das hat man von aussen nur nicht so wahrgenommen. Wogegen ich antrete: Wenn ein Missmanagement toleriert wird, weil die Verantwortlichen einem Beziehungsnetz angehören und man sich gegenseitig protegiert, wie dies zum Beispiel bei Swissair, Sulzer, Von Roll, Biberist und Calida der Fall war. Wie fähig sind denn unsere Manager? Blocher: Wenn ich die Gesamtwirtschaft betrachte, so ist unser Management insgesamt tüchtig. Es gibt aber noch verfilzte Strukturen. Die Protegierereien schaden der Wirtschaft und der Politik. Ihre Attacken zielen immer auf den Freisinn. Blocher: Weil es dort am schlimmsten ist. Wir Bürgerlichen vertreten Freiheit und Selbstverantwortung. Wenn die Freisinnigen wegen dieses Gedankenguts angeschossen werden, ducken sie sich, weil sie im beruflichen Bereich versagen. Bei den Wirtschaftsverbänden herrschen ähnliche Zustände: Sie haben sich nicht mehr energisch für die Ordnungspolitik eingesetzt. Der damalige Vorort bezeichnete den Bau von zwei Neat-Röhren als wirtschaftlichen Unsinn. Als es zur Abstimmung kam, wurde die geplante Nein-Kampagne eingestampft, und die Wirtschaft plädierte für ein Ja. Die bestehende Verkehrsmisere haben Freisinn und Vorort mitzuverantworten. Der Vorort ist Ihnen ein Dorn im Auge, weil er die Öffnung der Schweiz forciert. Doch steuerpolitisch liegt er voll auf Ihrer Linie. Blocher: Steuerpolitisch jetzt endlich. Aber es ist schon seltsam, dass ich während vier Jahren ein Steuerkonzept vertreten musste, bis Economiesuisse eingeschwenkt ist. Die Verbände müssten vorausmarschieren und uns Politiker mit ihren liberalen Forderungen antreiben und nicht umgekehrt. Das hängt damit zusammen, dass die Verbände zu stark mit den staatlichen Strukturen verhängt sind. Würde man sie am besten gleich ganz abschaffen? Blocher: Warum nicht? Sie haben eben eine andere Bedeutung erhalten. Wegen der zunehmenden Verbandelung von Staat und Wirtschaft müssen sie einerseits mit staatlichen Behörden Kompromisse schliessen. Andererseits sollten sie eine saubere Ordnungspolitik betreiben und gegen ihre Politfreunde im Staate antreten. Das braucht viel Kraft. Aus Rücksicht auf Ihre strukturkonservative Basis halten Sie sich bei der unpopulären Liberalisierungspolitik auffallend zurück. So lehnen Sie das neue Elektrizitätsmarkt-Gesetz ab. Blocher: Aus zwei Gründen. Die Liberalisierung, also tiefere Preise, muss erstens sofort allen zugute kommen. Und zweitens lautet mein Kredo: Wenn ein Monopol nicht verhindert werden kann, so ist mir ein staatliches lieber als ein privates. Denn staatliche Monopole sind wenigstens demokratisch kontrolliert, private führen zur Abzockerei. Ich kämpfte bei den Bürgerlichen ohne Erfolg für eine staatliche Netzgesellschaft, da bei der Stromdurchleitung keine Konkurrenz möglich ist. So war ich auch für eine staatliche Börse. Mit dem neuen Börsengesetz wurde der Wettbewerb ausgeschlossen. Jetzt können nicht zuletzt die Grossbanken ihre Sonderinteressen durchsetzen. Wer bestimmt etwa die Zusammensetzung des SMI? Sie sind erbost, weil der Ems-Titel eliminiert wurde. Blocher: Nein, das ist vertretbar. Die Frage ist nur, weshalb Sulzer Medica und Swissair noch drin sind und wer die Zusammensetzung des SMI bestimmt. Gibt es eigentlich ein geschütztes Recht, oder ist es Willkür eines Monopolisten? Gemeinsam mit der Linken opponieren Sie gegen die Privatisierung der Zürcher Kantonalbank. Blocher: Vor 20 Jahren war ich für eine Privatisierung. Damals gab es noch zahlreiche Kreditbanken. Heute bin ich dagegen, weil die privatisierte Bank früher oder später von einer Grossbank geschluckt würde. Dies hätte zur Folge, dass der Kreditmarkt eingeengt würde. Die Gründung der Kantonalbank war ja kein sozialistischer Akt. Damals funktionierte die Kreditversorgung nicht, deshalb hat man sie gegründet. Heute wäre es ähnlich. Haben Sie mit dem Staat Frieden geschlossen? Ihre Kritik an der Classe politique ist praktisch verstummt. Blocher: Jede Zeit hat ihre Probleme. Ich verteufle den Staat nicht, nur seine Allmacht. Bei den Steuersenkungen haben wir endlich den Widerstand gebrochen. Jetzt reden alle davon. Deshalb gehe ich einen Schritt weiter. Im Kanton Zürich und später beim Bund wollen wir den ganzen Wust von Gebühren und Abgaben überprüfen. Von den Gesamteinnahmen des Kantons Zürich machen Gebühren und Abgaben immerhin 60 Prozent aus. Der neue FDP-Präsident, Gerold Bührer, hat Sie mit seiner Tiefsteuerpolitik dazu gezwungen. Blocher: Das Beste ist, wenn eine andere Partei die Forderungen übernimmt. Es freut mich, dass die Freisinnigen die erfolgreiche SVP-Politik betreiben wollen. Nur: Wenn die Linke bei Wahlen wieder Erfolg haben sollte, wird der Freisinn wieder das Gegenteil vertreten. Er hat ja auch während zehn Jahren behauptet, es sei nicht so schlimm, die Steuern dauernd zu erhöhen. Sie warnen schon lange vor einer Rezession. Jetzt scheint Ihnen die Entwicklung Recht zu geben. Blocher: Ja, in der Regel bin ich mit meinen Prognosen den Konjunkturinstituten um ein bis zwei Jahre voraus. Mitte 2000 haben noch alle wegen meiner Einschätzung den Kopf geschüttelt. Jetzt kommt der Abschwung sogar noch etwas früher, als ich befürchtet habe. Ems spürt die Rezession in den USA. Japans Situation ist konfus. Europa wird nachziehen, wobei die Handlungsunfähigkeit der Europäischen Zentralbank die Situation noch verschlimmert. Jetzt kommt die Fehlerhaftigkeit der Euro-Konstruktion zum Vorschein: Deutschland braucht eine Zinssenkung, die Südstaaten das Gegenteil, und die Notenbank kann es nicht allen Recht machen, sodass sich die Rezession im wichtigsten Industriestaat Deutschland verschärft. Kann sich die Schweizer Wirtschaft dem Abwärtssog entziehen? Blocher: Die Schweiz hat im Wesentlichen keinen eigenen Konjunkturzyklus. Wir sind von den Exportmärkten abhängig. Ich habe noch keine Anzeichen dafür, ob es eine lange oder eine kurze Rezession gibt. Sicher ist nur, dass es sie geben wird. Der Papiermarkt etwa ist dramatisch eingebrochen, dies erlebe ich bei Attisholz. Aber auch die Entwicklung bei den Inseraten und den Autos weisen darauf hin. Ich bin aber optimistisch: Wir werden die Rezession gut überstehen, weil wir vorbereitet sind.
08.07.2001