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Personal

01.11.1998

Christsein im Alltag

Ansprache anlässlich des Reformationssonntages in der reformierten Kirchgemeinde Wasen im Emmental am 1. November 1998 Ihr Pfarrer hat mich noch im letzten Jahr gebeten, heute - am Reformations-sonntag 1998 - eine sogenannte Laienpredigt zu halten. Ich habe ihm damals einschränkend zugesagt, dass ich keine Predigt halte, sondern ihm höchstens für einen Vortrag zusagen könne. Ich lehne es nämlich aus theologischen Gründen ausdrücklich ab, eine Predigt zu halten. Dies, weil ich die Kirche und damit den Gottesdienst ernst nehme. Predigen sollen die Pfarrer, aber die Pfarrer sollen dann im Gottesdienst auch predigen und nicht Vorträge halten. Predigen heisst: Das Evangelium verkünden in Auslegung der Heiligen Schrift. Die Pfarrer - nicht ich - sind ausgebildet und eingesetzt zu diesem Amt der Predigt. Vom Risiko der Laienpredigt Erst einige Monate später hat mir ihr Gemeindepfarrer geschrieben: ""Wir" - ich nehme an, dass damit die Mitglieder des Kirchgemeinderates gemeint sind - "teilen mit Ihnen die Auffassung, dass die Kirche den Auftrag zu predigen hat und nicht zu politisieren. So ist es dem Kirchgemeinderat ein Anliegen, dass auch am Reformationssonntag keine Ausnahme gemacht wird". Was steckt wohl hinter solchen Zeilen? Ich nehme an, dass im Kirchgemeinderat plötzlich einzelne Mitglieder die Angst gepackt hat, der Politiker Christoph Blocher sage ungeschminkt, was er denkt. Das könnte dem Kirchgemeinderat oder vielleicht sogar der Kirche zur Kritik gereichen. Vielleicht haben Sie auch gedacht, ein solcher Redner könnte dem eigenen "Christsein" schaden! Und das passt eigentlich ganz gut zum Thema, welches Sie mir gegeben haben, nämlich zum "Christsein im Alltag". Verdächtiger Vortragstitel Ehrlich gesagt, dieses Thema bereitet mir Mühe. Die beiden Hauptwörter "Christsein" und "Alltag" scheinen nicht recht zusammen zu passen, sonst müsste man nicht darüber reden. An Sonn- und allgemeinen Feiertagen - an den Ruhetagen - ist "Christsein" anscheinend gut möglich, während im Alltag - am Tag der Arbeit, am Tag des Geldverdienens, am Tag des Geschäftemachens, am Tage, wo die Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit des Menschen anscheinend offensichtlich ist, "Christsein" offenbar schwierig wird. Zum "Alltag" Lassen Sie mich beim sogenannten Alltag beginnen. Als Unternehmer und Politiker bin ich ein Schwerarbeiter, für den vor allem die Werktage zählen. Darum habe ich eigentlich nur für Dinge Verständnis, die für den Alltag brauchbar und praktisch sind. Irgendwelche "Sonntagsseiten" von Dingen und von Menschen sind mir darum unheimlich. Ich habe das ungute Gefühl von "Vortäuschung falscher Tatsachen", von "Scheinexistenz" - ja gar von Verlogenheit. Zwar freue ich mich über den Sonntag - über den Tag des Herrn - über den Ruhetag. Aber Sinn macht er für mich natürlich nur im Hinblick auf den Alltag, den Werktag. Wenn nun von "Christsein im Alltag" gesprochen wird, dann möchte ich gleich unwillig herausfragen: Was soll den das? Gibt es vielleicht auch ein "Christsein" ausserhalb des Alltages? Alles aber, was ausserhalb des "Alltages" liegt, also nicht mit dem alltäglichen Leben zu tun hat, findet weder mein Interesse noch meine Sympathie. Denn alles, was wirklich lebt, ist alltäglich - und was nicht alltäglich ist, ist nicht wirklich lebendig. Wie sollte ich denn da "Christsein" auch nur interessant, geschweige denn sympathisch finden? Christsein Damit bin ich beim "Christsein": Ich denke an die Bezeichnungen "christlich", "Christsein", "wir Christen", etc. Innerlich stosse ich stets an, wenn ich höre "wir Christen". Ich habe mich in der Bibel - die mich immer wieder ausserordentlich stark beschäftigt - schon mehrmals umgesehen und das Wort "Christ" gesucht. Ich habe es für den heutigen Vortrag erneut getan, und um ganz sicher zu sein, habe ich noch einen Theologen beigezogen, der sich mit der Auslegung der Bibel beschäftigt. - Und es hat sich bestätigt, das Wort "Christ" kommt im Neuen Testament nur dreimal vor. - In Apostel-Geschichte 11,26; 26,28 und 1. Petrus 4,16. In allen drei Stellen wird "Christen" eher wie eine Art Volksgruppenbezeichnung gebraucht. Als "Christ" bezeichnet sich selber niemand im Neuen Testament. "Wir Christen" oder "Ich der Christ" kommt nie vor! Die Menschen, welche im Neuen Testament zu Worte kommen, halten sich offenbar in keiner Weise für "besonders gute Leute" - und diejenigen, welche ihre Worte hören und lesen, anscheinend auch nicht. Man hat offenbar erst später eine Besonderheit der "Christen" behauptet: Nämlich, dass sie sich für Gott, für Christus oder gar für den Heiligen Geist entschieden hätten und darum der Heiligen Dreieinigkeit, dem Seelenheil und überhaupt einem "rechten Leben" näher stünden als andere Leute. Diese Meinung scheint sich heute wieder zu verstärken. Ich kann allerdings im Neuen Testament nichts davon finden. Wenn dort von "Entscheidung" die Rede ist, dann ist immer eine grundlegende Entscheidung Gottes gemeint - und zwar eine, welche völlig unabhängig von jedem menschlichen Tun geschehen ist. Nicht wir haben Ihn anzunehmen, sondern Er hat uns angenommen. Er hat sich für uns Menschen - für alle Menschen - entschieden. Und damit auch für unser Land, für unser Volk, für die ganze Welt. Für alle ist Er gestorben und auferstanden. Und weil ich ja nun doch auf einer Kanzel stehe, darf ich auch ein Bibelwort zitieren, das in diesem Zusammenhang zu bedenken wäre. (Text lesen Epheser 1,3-5) Der Apostel Paulus spricht hier in Epheser 1 - von der "Erwählung vor Grundlegung der Welt" - von der "Vorherbestimmung nach freiem Entschluss seines Willens" und - von der "Begnadigung". (Epheser 1,3-5) Während das Wort "Christsein" meines Wissens in der Bibel überhaupt nie vorkommt, wird hingegen vielfach der Begriff "in Christus sein" gebraucht. Und ich meine, dies bedeute etwas ganz anderes als eine ethische Höherstellung des Menschen. "Christsein" ist etwas diametral anderes als "In Christus sein". Oder können Sie sich als Vortragsthema vorstellen: "In Christus sein im Alltag?". Unmöglich. "In Christus sein" ist so absolut, dass es keine Einschränkungen mehr erträgt. "In Christus sein" anerkennt die Wirklichkeit des Menschen ohne jede moralische Wertung. Diese Wirklichkeit soll Martin Luther - am Reformationssonntag sei es auch für mich Politiker erlaubt, ihn zu zitieren - mit der lateinischen Bezeichnung "simul iustus - simul peccator" (d.h. zugleich gerecht gesprochen - zugleich ein Sünder) beschrieben haben. Oder wie es unser Vater zu Hause seinen vier kleinen Söhnen liebevoll aber auch etwas derber zugerufen hat: "Ihr Prachtskerle und zugleich Lumpengesellen". Damit ist die Mitte des Evangeliums ausgeleuchtet: Die Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein, die allen Menschen, unabhängig von ihren Werken, längst zuteil geworden ist, zuteil wird und in alle Ewigkeit zuteil werden wird: "Somit kommt es nun nicht auf den an, der will, noch auf den, der läuft, sondern auf Gott, der sich erbarmt". (Römer 9,16) Konsequenzen Liebe Gemeinde, diese Wirklichkeit, diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen: Sehen Sie: In dem Text aus Epheser 1, den ich erwähnt habe, tauchen drei Wörter auf, die mir sehr wichtig scheinen: die Wörter - erwählt vor Grundlegung der Welt - vorherbestimmt nach dem freien Entschluss seines Willens - die Herrlichkeit seiner Gnade. Ich bin der Meinung, dass unser privates Leben und gleicherweise auch das Leben eines ganzen Volkes grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt dieser Erwählung zu sehen ist. In der Bibel ist die ganze Menschengeschichte von der Erwählung Gottes bestimmt - dass aber zu dieser Erwählung sofort auch immer das Gegenteil, die Verwerfung, gehört. Besonders beeindrucken mich - vielleicht, weil ich Politiker bin - die beiden politischen Gestalten Saul und David, der erste und der zweite König des Volkes Israel. Beide, Saul wie David, sind von Gott erwählt und von seinem Propheten gesalbt. Der eine - Saul - wird aber auch wieder von Gott verworfen. Weshalb er verworfen wird, ist für uns völlig unverständlich und ohne jeglichen ersichtlichen Grund. Verworfen wurde er, weil er - nachdem Samuel, der Prophet, sieben Tage lang nicht erschienen war - vom Feinde bedrängt das Opfer selbst darbrachte. Er wird willkürlich verworfen, durch Gottes Willkür. Beide, Saul und David, waren ohne Zweifel das, was wir alle - ohne Ausnahme! - sind: fehlbare, sündige Menschen, voller Schwächen und Mängel. Bei David, dem Auserwählten, sind diese Schwächen und diese Fehler besonders gut ersichtlich. Saul und David hatten beide ihre Zeiten des Glanzes und ihre Zeiten des Elends, Zeiten der Bewährung und Zeiten des Versagens. Wenn man ihre Geschichte genau liest, merkt man; in all den verschiedenen Zeiten hatten sie je eine besondere Sache darzustellen: einmal das eine, dass wir Menschen Sünder sind, Menschen, die mit Martin Luther sagen müssen: "Es ist doch unser Tun umsonst, auch in dem besten Leben" (Kirchengesangbuch, Lied No. 37,2) - aber auch das andere, das dem eben genannten Lied-Vers vorausgeht: "Bei Dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben". Ich meine, dass die Bibel und damit die von ihr verkündigte Frohe Botschaft keinen Zweifel offen lässt, was schlussendlich das ewig Gültige bleibt. Das Heil eines Menschen und das Heil eines Volkes besteht immer nur darin, dass Gott uns seine Gnade als das Letzte und Entscheidende zukommen lässt. So ist sein eigener Sohn, Christus, selber zum Verworfenen geworden und hat alle Schuld der ganzen Welt auf sich genommen. Durch seine Auferstehung von den Toten ist er dann zum Erwählten geworden, und hat so alle Verworfenen in die Gnade Gottes eingehüllt - und zwar alle Menschen, alle Völker, alle Welt. Gleichgültig, welche Weltanschauung und Glaubenshaltung dahinter steht. Wir leben alle von der gnädigen Haltung, die Gott uns allen gegenüber einnimmt. Und da hätten wir eigentlich alle dasselbe zu tun - und die weitaus überwiegende Mehrheit der Menschen tut es auch -: Mit grosser Dankbarkeit und gesundem Stolz auf das zu blicken, wozu wir an dem für uns vorherbestimmten Platz erwählt sind - und uns mit ebenso grosser Demut und Aufrichtigkeit darunter zu beugen, dass uns an diesem Platz auch unsere Verwerfung zugemutet wird. Da haben Pharisäertum, Heuchelei und Moralismus nichts zu suchen. Und doch, wie oft treffen wir gerade in Wirtschaft und Politik - aber auch in der Kirche - auf Heuchler und Moralisten. Sie erkennen diese daran, dass es ihnen letztlich nie um Verantwortung, nie um das Einstehen für andere geht. Nie geht es ihnen darum, für andere ein gutes, tragbares oder bestmögliches Ergebnis zu erzielen und durchzusetzen, sondern es geht ihnen lediglich um sich selbst: Um die eigene unbefleckte Weste, um das eigene Ansehen. Sobald ihr Ansehen befleckt zu werden droht, sobald sie den Kopf hinhalten müssen, schleichen sie sich aus der Verantwortung und sind nicht mehr da. Wer Verantwortung trägt, hat aber einen Auftrag Den Auftrag nämlich, in einer ganz bestimmten Sache, an einem ganz bestimmten Ort, zu einer ganz bestimmten Zeit etwas ganz Bestimmtes zu tun. Trotz oder mit der eigenen Unvollkommenheit muss es getan werden. Es ist bekannt, dass die Verantwortung am besten wahrgenommen und dass ein schwieriger Auftrag für die Gemeinschaft nur dann erfüllt werden kann, wenn man das eigene Ansehen und die eigene Person hintanstellt. Der wirklich Verantwortungsbewusste weiss, wie anspruchsvoll dies ist, und es ist ihm deshalb bewusst, dass er nicht überall, nicht in der ganzen Welt zum Rechten sehen kann. Aber er kann und muss es dort tun, wo er steht, wo er den Überblick hat und wo seine Kräfte ausreichen. Ganz anders der Moralist: Er erklärt sich selbst überall und allezeit für alles und jedes zuständig. Er masst sich das Recht und sogar die Pflicht an, überall zum Rechten zu schauen. Das Ziel des Moralisten ist es ja nicht, dass zum Rechten geschaut wird - und also das Rechte auch geschieht -, sondern dass er selbst zeigen kann, dass er zum Rechten sehen will und makellos dasteht. Die Moralisten handeln nicht aus Liebe zu den Menschen und zur Sache, sondern nur im Bestreben, selbst "gut herauszukommen". Schluss Meine Damen und Herren, "Christsein im Alltag?" - Nein, nein! Aber "in Christus sein alle Tage bis an das Ende der Welt!" - Ja. Ohne träumerische Absetzung in eine "bessere Welt" - ohne die Moralisiererei - stattdessen in tapferer Erkenntnis der eigenen Beschränkung, der eigenen Fehlerhaftigkeit und Schuld - aber erst Recht in fröhlicher Anerkennung: "Dir sind Deine Sünden vergeben!" Daraus bricht dann eine ungeheure Lebens- und Tatkraft aus der "Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden.

26.10.1998

«Machen Sie den Leuten Angst, Herr Blocher?»

Interview mit der Schülerzeitung der Kantonsschule Romanshorn vom 5. Oktober 1998 Wohl kaum ein anderer Politiker ist so kontrovers wie er. Die einen klatschen ihm zu und die anderen würden ihn am liebsten auf den Mond schiessen: Christoph Blocher. Ob er sich selber als extrem ansieht oder was er einem abgewiesenen Asylbewerber sagen würde, fragte ihn Lukas Butscher. Wie sehen Sie lhre Rolle in der Schweizer Politik? Christoph Blocher: Eine Aufgabe habe ich, keine Rolle. Schauspieler haben Rollen, d.h. sie spielen etwas. Ich habe die Aufgabe, mit meiner Erfahrung dafür zu sorgen, dass es der Schweiz freiheitlich und wirtschaftlich gut geht. Sie sind sehr kontrovers. Wie leben Sie damit, dass Sie die eine Seite bejubelt und die andere Sie am liebsten auf den Mond schiessen würde? Blocher: Das ist das Schicksal aller Persönlichkeiten, die sich in der Öffentlichkeit exponieren. Nur Fade und Nette haben keine echten Freunde und Gegner. Wer etwas bewegen will, sich klar und deutlich ausdrückt, hat immer beides.Schauen Sie sich mal die Geschichte an, es ging allen so. Churchill wurde von den einen gehasst, sie hätten ihn am liebsten zerschnetzelt. Andere aber merkten, was in diesem Mann steckte. Betrachten Sie sich als extrem? Blocher: Extremismus ist relativ. Was für den einen extrem ist, heisst für den anderen, klar Richtung zu geben. Wenn ich etwas bewegen will, muss ich mich klar, manchmal auch überspitzt ausdrücken, damit das Wesentliche hervorkommt. Die Politik muss holzschnittartig sein. Wer einen Holzschnitt anfertigt, muss eine klare Vorstellung des Gegenstandes haben. Den muss er dann überspitzt darstellen, damit das Wesentliche hervorkommt. Man muss nicht differenziert argumentieren, aber man muss sehr differenziert denken und einfach und klar darstellen. Das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Die meisten Politiker sehen sich eher als Vielfarbenmaler. Etwas rot, ein wenig grün, vielleicht noch blau. Und am Schluss weiss man gar nicht, was sie wollen. Viele werfen Ihnen vor, Sie seien ein Bremser. Blocher: Das behaupten die, die in die falsche Richtung gehen wollen und gebremst werden. Wer uns in die EU bringen will, damit wir am Schluss nichts mehr zu sagen haben, schimpft mich natürlich einen Bremser. Doch ist es sehr progressiv, den Irrweg zu verhindern. Sind Sie je von einem politischen Standpunkt abgerückt? Blocher: Früher war ich ein grosser Kämpfer für die Europäische Gemeinschaft. Bei den Freihandelsverträgen in den 70ern, bei der EFTA war ich an vorderster Front dabei. Als ich sah, dass daraus ein so zentralistisches, undemokratisches Regime werden würde, musste ich meine Meinung ändern. Als ich kürzlich mit dem Zug fuhr, hörte ich mit, wie ein älterer Mann sich über Sie aufregte: "... ein Mann mit so menschenverachtenden Einstellungen, dabei sind Vater und Bruder Pfarrer. Blocher ist mit mehr als zwei Milliarden Vermögen einer der reichsten Schweizer und gönnt einem Ausländer nicht einmal ein sicheres Obdach oder eine gute Ausbildung...". Was sagen Sie dazu? Stimmt das? Blocher: An einer solchen Aussage merken Sie: Dieser Mann kennt mich sicher nicht. Die zwei Milliarden sind zwar richtig, wobei das aber nicht Geld, sondern der Wert meines Unternehmens ist. Dass Vater und Bruder Pfarrer sind, ist auch richtig. Hingegen ist es eine Dummheit zu behaupten, ich gönne jemandem kein sicheres Obdach. Vielleicht meinte er die Kosovo-Albaner? Dort gibt es ja wieder Konflikte. Was sagen Sie denn einem abgewiesenen Asylbewerber? Blocher: Ich würde ihm sagen: "Unser Land bietet Flüchtlingen, die an Leib und Leben bedroht sind, Aufenthalt, also jetzt zum Beispiel Kosovo-Albanern. Nicht aufnehmen können wir die, die nicht bedroht sind. Es ist unmöglich, jedem Ausländer, der in die Schweiz will, Aufenthalt zuzusichern." Weshalb sollte man dies einem abgewiesenen Asylbewerber nicht sagen können? Wie finden Sie denn das politische Klima in Zürich? Stichwort Messerstecher-Plakate? Blocher: Auf dem Messerstecher-Plakat war zu sehen, wie Leute auf offener Strasse bedroht, beraubt oder sogar niedergestochen wurden. Wir bildeten einen Messerstecher ab, der auf eine Frau losgeht, um aufzuzeigen, welche Zustände bei uns herrschen. Darüber schrieben wir: "Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken." Was ist denn daran so schlimm? Die Kampagne war erfolgreich, weil sie in der Politik und an den Gerichten zu einem Umdenken führte. Niemand wollte mehr ein Linker oder Netter und damit schuld an den Zuständen sein. Ist denn das Klima in Zürich nicht polemisch und unsachlich? Findet man einen guten Konsens? Blocher: Politik ist immer auch polemisch. Ein fauler Konsens hat anscheinend bewirkt, dass zu viele Gewaltverbrecher die Leute niederstechen. Mit diesem Konsens waren wir nicht einverstanden. Das muss und darf gesagt werden. Ein richtiger Konsens kommt erst zustande, wenn man die verschiedenen Meinungen hat aufeinanderprallen lassen. Was meinen Sie, wo wäre die Schweiz, wenn die Linke ans Ruder käme? Zum Beispiel die SP? Blocher: Zunächst ginge es den Leuten wirtschaftlich schlechter: Der Sozialismus behindert die wirtschaftliche Entwicklung, alles wird teurer. Es gibt mehr Intervention, mehr Bürokratie, weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Der Staat braucht immer mehr Geld, nimmt den Bürgern immer mehr weg, d.h., es gibt mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Das haben die Entwicklungen in allen sozialistischen Staaten gezeigt. Zweitens würde uns die Linke ziemlich schnell in die internationalen Vereinigungen hineintreiben, wodurch die Schweizerinnen und Schweizer immer weniger zu sagen hätten. Die Folge davon wären weniger Freiheit, weniger Selbstbestimmung, weniger Demokratie. Wo wäre die Schweiz, wenn die Bürgerlich-Rechte an die Macht käme? Blocher: Der Schweiz ginge es besser. Durch die Politik, die ich vertrete, würden die Arbeitsplätze sicher, das Land für Investitionen interessant, ich würde keinerlei Konzessionen an die direkte Demokratie machen, die Leute hätten nach wie vor etwas zu sagen, und es bliebe ihnen mehr zum Leben. Ich würde eine wirksame Opposition zulassen, sie sogar fördern, denn sie hilft einem, richtig zu führen, weil man auch die andere Seite sieht. Da nicht von aussen über uns bestimmt werden soll, käme ein EU-Beitritt nicht in Frage. Dann ist also Ihre Meinung die einzig Richtige? Blocher: Ich persönlich bin davon überzeugt, sonst würde ich sie nicht vertreten. Und die anderen sind falsch? Blocher: Mir ist klar, dass meine Meinung - wie jede andere - auch Nachteile mit sich bringt. Aber ich vertrete eine Überzeugung dann, wenn ich sehe, dass die Vorteile so massiv überwiegen, dass die Nachteile nicht mehr relevant sind. Konkret? Blocher: Auch ein EU-Beitritt hat Vorteile, das ist klar. Die Wirtschaft beispielsweise müsste sich mit geringeren Grenzformalitäten herumschlagen. Als Unternehmer könnte ich billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland anstellen - so viele ich wollte. Es gäbe nur noch eine Währung. All das anerkenne ich, aber wenn ich die Nachteile sehe, ist der Fall für mich klar. Um diese Vor- und Nachteile musste ich natürlich auch ringen, sie immer wieder neu in Frage stellen. Als Unternehmer habe ich jeden Tag Entscheide zu treffen, beispielsweise 20 Millionen in ein Projekt zu investieren, weil ich glaube, dass es richtig ist. Ich weiss aber auch, dass ich mich irren kann. In Ihrer 1. August-Rede sagten Sie, letztendlich sei wesentlich, ob das Möglichste getan wurde. Wurde von der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges das Möglichste getan? Blocher: Ja, sie hat das Möglichste getan. Doch die Geschichte ist nicht da, um darüber zu richten. Churchill sagte einmal: "Wer über die Geschichte zu Gericht sitzt, wird die Zukunft verlieren." Wir können gar nicht ermessen, wie wir im Krieg gehandelt hätten. Die Menschen müssen damit umgehen können, dass Fehler gemacht werden. Nur Moralisten und Heuchler sagen: "Ah, die haben einen Fehler gemacht!" Damit wollen sie ja wohl zum Ausdruck bringen, sie hätten ihn nicht gemacht. Wie lautete denn der Auftrag? Er lautete, dafür zu sorgen, dass die Schweiz nicht in den Krieg verwickelt wurde. Dieser Auftrag wurde erfüllt. Wäre nämlich die Schweiz besetzt worden, hätte man beispielsweise die aufgenommen Flüchtlinge - auch die Juden - sofort deportiert. Das hat die Schweiz verhindern können. Natürlich machte man in der Flüchtlingspolitik einzelne Fehler, auch schliesse ich nicht aus, dass sich gewisse Leute im Handelsverkehr bereichert haben. Es wäre unrealistisch, etwas anderes zu behaupten. Doch massgebend ist etwas anderes. Ausschlaggebend ist, dass der Auftrag erfüllt wurde. Im Moment wird die Schweiz - wie Sie sagen - vom Ausland her angegriffen. Zu Recht? Warum? Blocher: Es steht niemandem von aussen zu, über uns zu Gericht zu sitzen. Die Fehler machten wir nicht gegenüber denen, die unverschämt Geld erpressen. Vielleicht wurden Fehler uns gegenüber gemacht. Da gilt es Rechenschaft abzulegen. Aber das berechtigt niemanden in Amerika, von uns Geld zu erpressen. Dann geht es also um Geld? Blocher: Nur um Geld. Das haben inzwischen wohl alle gemerkt. Um Geld, das mancher Ostjude gut gebrauchen könnte. Blocher: Es gibt noch viele Leute auf der Welt, die Geld gebrauchen könnten. Man kann ja darüber reden, ob man jemandem ein Geschenk machen soll. Geschenke aber mache ich aus freiem Willen und nicht, weil ich erpresst werde. Jetzt sind ja die Banken umgekippt... Blocher: Ja, leider. Sie zahlen bereits zum zweiten Mal. Bereits der Holocaust-Fonds kam nur durch massiven Druck zustande. Die dritte Erpressung wird folgen. Haben wir jetzt Ruhe? Blocher: Wenn wir uns entschieden und selbstbewusst zur Wehr setzen ja, andernfalls nicht. Sie sind ein internationaler Unternehmer. Sie tragen Verantwortung. Sie arbeiten und investieren auch im Ausland. Sie sind innovativ und gehen neue Wege. Mit ihrem Heimatland, für das Sie ja auch Verantwortung tragen, verfahren Sie nicht so. Die Schweiz soll möglichst nichts mit dem Ausland zu tun haben, sich beinahe abschotten. Sie soll sich auf das Altbewährte besinnen. Blocher: Ich bin für eine weltoffene Schweiz, die mit allen Ländern Beziehungen und Freundschaften pflegt, sich aber nicht von ihnen bestimmen lässt. Dies gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik. Innovativ sein heisst für ein Land, eigenständige Wege zu gehen. Heute will man in die EU. Was soll denn daran so innovativ sein? Eigene, selbständige Wege zu beschreiten ist doch viel innovativer. Ich gehe in unternehmerischen Belangen gleich vor wie in der Politik. 2'700 Leute arbeiten in unseren Unternehmen, meine Konkurrenz ist zehn- oder sogar hundertmal grösser. Ich glaube an das Übersichtliche. In der Politik bedeutet innovativ sein heute weniger Bürokratie, mehr Selbstverantwortung des Bürgers, dem Einzelnen mehr zum Leben lassen. Sie zitieren gerne Niklaus von der Flüe: "Machet den Zuhn nit zu wyt!" Nun hat die alte Eidgenossenschaft bei der Aufnahme weiterer Orte den Zuhn wohl nicht weniger wyt gemacht als die moderne Schweiz dies bei einem eventuellen Beitritt in die EU tun müsste. Blocher: Nur mit dem Unterschied, dass die anderen bestimmen würden. Die Eidgenossenschaft hingegen hatte nach wie vor das Sagen, als sie neue Stände aufnahm. Das sieht man am Beispiel des Kantons Thurgau: Die alte Eidgenossenschaft behielt nicht nur das Sagen, sie unterjochten ihn sogar. Heute ist der Thurgau vollwertig anerkannt. Wie weit spielen existentielle Ängste und Gefühle bei solchen Entscheiden eine Rolle? Blocher: Sie spielen eine grosse Rolle, das dürfen sie auch. Machen Sie den Leuten auch Angst? Blocher: Wenn ich vor etwas Angst habe, sage ich es. Ich habe beispielsweise Angst davor, die Entscheidung über unser Land der EU zu überlassen. Wie sieht lhre Wunschschweiz aus? Blocher: Die Schweiz sollte nicht gestaltet werden - das wäre ja eine Monarchie -, sie sollte sich selber bestimmen. Ich wünsche mir offene Auseinandersetzung, jeder soll seine Meinung frei äussern können. Meine Schweiz wäre freiheitlich, würde dem Staat weniger Macht einräumen, dem Einzelnen viel Verantwortung überlassen, der schlanke Staat würde wenig kosten, dem Bürger nicht so viel vorschreiben und wegnehmen. Es wäre ein Staat, der an der Selbständigkeit und an der bewaffneten Neutralität festhält, weil das für die Schweiz am besten ist. Ein demokratischer Staat. Wie wird die Schweiz in 25 Jahren aussehen? Blocher: Ziemlich ähnlich wie heute. Sie wird der EU in der bestehenden Form nicht beitreten.

21.10.1998

«Ogis Aussage hat mich erschreckt»

Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 21. Oktober 1998 SVP-Generalsekretär Martin Baltisser, Fraktionschef Samuel Schmid und Bundesrat Adolf Ogi haben Nationalrat Christoph Blocher den Fehdehandschuh hingeworfen. Sie möchten verhindern, dass die SVP unter Blochers Einfluss das Neinsager-Image zementiert und sich auf eidgenössischer Ebene nur noch als opponierende Kraft in Szene setzt. Die NZZ wollte wissen, wie sich Blocher die weitere Zusammenarbeit mit den genannten "Parteifreunden" und die Zukunft der SVP im Parteienspektrum vorstellt. Interview: René Zeller «Flugsand der Unzufriedenen» Herr Blocher, Bundesrat Ogi hat Ihnen parteiintern den Kampf angesagt. Am Montag sagte er, die SVP dürfe bei den nächsten Wahlen nicht den "Flugsand der Unzufriedenen" sammeln. Sind Sie zufrieden mit der Aussage? Blocher: Ich bin erschrocken! Man beachte die Sprache: Menschen sind Flugsand! Wir haben tatsächlich viele Bürgerinnen und Bürger, die unzufrieden sind, vor allem im Mittelstand. Das ist auch verständlich. Wir haben in den letzten sieben Jahren im Bund mehr Schulden gemacht als in den 700 Jahren zuvor. Es sind jetzt 120 Milliarden. Wir erhöhen dauernd Steuern, Lohnabzüge und die Mehrwertsteuern. Die Leute sind besorgt und unzufrieden über die Situation im Asylwesen. Und jetzt kommt Bundesrat Ogi und bezeichnet diese als "Flugsand" - das ist eine Verachtung des Volkes. Das können wir nicht hinnehmen. Es ist nicht das Recht einer Regierung, jene Mitbürgerinnen und Mitbürger, die ihr nicht zuklatschen, einfach als Flugsand zu bezeichnen. Die SVP hat Bundesrat Ogi in den letzten Jahren eins ums andere Mal in die Minderheit versetzt. Sollte er Ihrer Ansicht nach zurücktreten? Blocher: Wissen Sie, Herr Ogi hat immer den Gesamtbundesrat zu vertreten. Das ist seine Aufgabe, und damit haben wir auch keine Mühe. Wir sind eine Partei, und er ist ein Mitglied der Landesregierung. Es ist aber richtig, dass er in zentralen Fragen nicht nur die Meinung der Regierung, sondern auch eine persönliche Meinung vertritt, die von der SVP nicht mitgetragen wird. Zurücktreten muss er deswegen nicht. Wir tragen zwar als Partei Regierungsverantwortung, aber wir müssen in zentralen Fragen auch bereit sein, Widerstand zu leisten. Wir müssen seine abweichenden Stellungnahmen ertragen - und er unsere. Fühlen Sie sich als SVP-Mitglied überhaupt noch vertreten im Bundesrat durch Adolf Ogi? Blocher: Es ist klar, dass wir lieber einen Bundesrat hätten, der entschiedener unsere Anliegen vertreten würde. Ich denke an die Unabhängigkeit, die Neutralität, an die Landesverteidigung, an die Steuerpolitik. Es ist aber auch klar, dass jemand aus unseren Reihen, der konsequenter für diese Anliegen eintritt, von den andern Parteien gar nicht in den Bundesrat gewählt würde. Intern diskutieren statt extern schreien Den SVP-internen Kleinkrieg haben Generalsekretär Martin Baltisser und Fraktionschef Samuel Schmid via Medien angezettelt. Was raten Sie den beiden Herren? Blocher: Ich rate ihnen, diese Diskussion parteiintern aufzunehmen, statt in unseren Gremien zu schweigen und nach aussen zu schreien, um bei den Gegnern Applaus zu holen. Über den Kurs der Partei ist intern zu diskutieren. Daran sollten sich auch Baltisser und Schmid halten. Ist aus Ihrer Sicht Martin Baltisser noch tragbar als SVP-Generalsekretär? Blocher: Der Generalsekretär hat die Partei zu vertreten. Das ist seine Funktion. Ob er hier einen einmaligen Fehler gemacht hat, muss sich zeigen. Auch der Pressechef hat natürlich die Partei zu vertreten. Wenn sie das nicht können, dann müssen sie zurücktreten, das ist ja klar. Würden Sie es begrüssen, wenn Auns-Sekretär und SVP-Nationalrat Hans Fehr den Posten von Baltisser übernähme? Blocher: Hans Fehr wäre ein hervorragender Parteisekretär, aber ich kann nicht auf ihn verzichten. Wir brauchen ihn als Auns-Geschäftsleiter. Ich glaube auch, dass es besser ist, wenn der schweizerische Parteisekretär nicht im Nationalrat vertreten ist. Bilaterale Verhandlungen Mit dem Ja zur LSVA ist die 28-Tonnen-Limite für Lastwagen gefallen. Sie haben stets gesagt, Sie würden gegenüber der EU weder bei dieser Limite noch beim freien Personenverkehr nachgeben. Steht das Referendum gegen einen bilateralen Vertrag damit fest? Blocher: In bezug auf die Verkehrsfrage ist es leider so, dass die Schweiz die 28-Tonnen-Limite als kanalisierendes Element für den Strassentransitverkehr fallen gelassen hat. Ich bedaure das ausserordentlich. Das wird ein böses Erwachen geben: Der Gotthard als wichtige Nord-Süd-Verbindung wird die billigste Route sein für die Lastwagen auf der Strasse, schon bei dem Preis von 325 Franken, den die EU ja noch nicht akzeptiert hat. Aber hier gibt es aus meiner Sicht nach dem Volksentscheid nichts mehr zu rütteln. Mit Blick auf die Verkehrsfrage sehe ich keine Möglichkeit mehr, noch das Referendum zu ergreifen. Anders stellt es sich beim freien Personenverkehr. Da ist es zu früh, um Stellung zu nehmen. Ich kann immer nur das gleiche betonen: Ich bin selbstverständlich für die bilateralen Verhandlungen. Wir haben ja die wichtigsten Nachteile aus dem EWR-Nein - solche hat es gegeben - beseitigt. Im Mittelpunkt steht noch der freie Personenverkehr. Man kann erst am Schluss entscheiden, ob der Preis zu hoch ist, ob man das Referendum ergreifen muss oder nicht? Bilaterale Verhandlungen ja - aber nicht um jeden Preis. Regieren nicht um jeden Preis Sie betonen seit langem, die SVP sei bereit für die Opposition. Wann ist für Sie der Zeitpunkt gekommen, wo Sie die Regierungsverantwortung definitiv nicht mehr mittragen können? Blocher: Entscheidend ist neben der Wirtschafts- und Ordnungspolitik, die ich bereits erwähnt habe, natürlich die Unabhängigkeit und Neutralität des Landes, speziell die Frage des EU-Beitritts. Wenn die anderen Regierungsparteien sagen würden, die Voraussetzung, dass die SVP in der Regierung bleibt, sei hier ein Nachgeben - dann dürften wir nicht nachgeben. In diesem Fall müssten wir die Oppositionsrolle in Kauf nehmen. Sie fahren dem Bundesrat bei jeder Gelegenheit an den Karren. Der Oppositionskurs der SVP ist inzwischen Programm. Was hält Ihre Partei überhaupt noch in der Regierungsverantwortung? Blocher: Wir fahren dem Bundesrat nicht bei jeder Gelegenheit an den Karren. Ich habe ihn auch schon gelobt. Das letzte Mal zum Beispiel, als er dem Druck der Wirtschaft nicht nachgegeben hat, in New York zu bezahlen. Das ist aber eher die Ausnahme als die Regel. Blocher: Ja, gut. Es ist nicht meine Hauptaufgabe, den Bundesrat zu rühmen, sondern ich bin ja gewählt, um in der Politik etwas zu bewegen. Wenn alle den Bundesrat rühmen, dann muss ich nicht auch noch meine Zeit damit vergeuden. Von Mitte-Rechts nach Mitte-Links Nochmals: Wie halten Sie es mit dem Regieren? Blocher: Wir haben ein klares Konzept für die Schweiz, für die Zukunft. Das möchten wir verwirklichen. Deshalb müssen wir willens sein, in der Regierung mitzuwirken. Zu unserem Konzept für die nächsten Jahre: Wir wollen eine bessere Ordnungspolitik. Die SVP ist bald noch die einzige Partei, die Ordnungspolitik ernst nimmt und sich für weniger Steuern, Abgaben, Gebühren, Lohnprozente einsetzt, für weniger Einfluss des Staates, weniger Sozialismus. Seit ich im Nationalrat bin, seit etwa zwanzig Jahren, haben wir in der Schweiz einen schleichenden Regierungswechsel vollzogen. Die Parteien sind geblieben, die Personen haben sich geändert - und wir haben heute keine Mitte-Rechts-Regierung mehr, sondern eine Mitte-Links-Regierung. Deshalb ist die SVP vermehrt in die Opposition geraten; der Mittelstand ist in die Opposition geraten. Die FDP will von einem Links-Rechts-Schema nichts mehr wissen, Franz Steinegger spricht von Modernisierung versus Status quo. Was sagen Sie zu diesem freisinnigen Streben Richtung Zukunft? Blocher: Ich bin glücklich, wenn die Freisinnigen in die Zukunft schauen. Das wäre schon lange an der Zeit. Aber ich kann nichts anfangen mit dieser fast harmonie-süchtigen Bemerkung, es gäbe keinen Links-Rechts-Zwiespalt mehr. Wofür steht denn Links, wofür Rechts? Bisher stand Rechts für eine freiheitliche Grundhaltung, für eine Haltung, die den Einzelnen, die Eigenverantwortung in den Mittelpunkt stellt. Rechts ist, wer die Allmacht des Staates, den Sozialismus bekämpft. Links steht demgegenüber für sozialistisch, sozialdemokratisch, für mehr Macht dem Staat, für höhere Steuern und weniger Selbstverantwortung, für mehr Staat und weniger Privatwirtschaft. Diese Grundsatzfragen sind nach wie vor hochaktuell. Die ganz grosse Gefahr der Industrieländer ist heute, dass sie sich dermassen mit staatlichen Aufgaben überhäufen, dass es zum Kollaps führt. Der Ferne Osten und Russand kämpfen mit Überschuldungsproblemen. Die europäischen Industrieländer laufen Gefahr, ins gleiche Fiasko zu laufen. Es geht hier um ganz Grundsätzliches: ob die Menschen noch Arbeit finden, ob die Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Mir scheint, dass Franz Steinegger den Grundsatzfragen ausweichen will. Ich muss der FDP vorwerfen, dass sie sich in den letzten Jahren von der sozialistischen Seite allzu sehr vereinnahmen liess. Kritik an FDP und CVP Sie nehmen für die SVP in Anspruch, als letzte bürgerliche Kraft noch eine konsequente Ordnungspolitik zu betreiben. Was werfen Sie der FDP konkret vor? Blocher: Die Freisinnigen haben allen Steuererhöhungen und der Erhöhung der Staatsquote zugestimmt. Es geht nicht an, dass man sagt: Wir sind für eine kleinere Staatsquote, aber im konkreten Fall erhöhen wir sie dann. Nehmen Sie das Krankenversicherungsgesetz: Die neue obligatorische Versicherung mit massivem Leistungsausbau wurde von der FDP massgebend mitgetragen. Die SVP hatte die Kraft, Nein zu sagen - obschon uns der eigene Bundesrat die Leviten las. Oder nehmen Sie die Mutterschaftsversicherung. Das bedeutet im Klartext neue Lohnprozente oder Mehrwertsteuerprozente. Stichwort LSVA: Vor drei Jahren erklärte Franz Steinegger, diese Steuer sei unmöglich, ohne dass Europa einbezogen werde. Am Schluss haben die Freisinnigen doch zugestimmt. Wir werfen der FDP nicht nur die mangelnde Kraft zum Nein gegen mehr Staatsinterventionismus vor, sondern auch dass sie zusammen mit der CVP die Ordnungspolitik vergessen hat, wie leider viele Wirtschaftsverbände, die ihre Sonderinteressen statt das Wohl der Volkswirtschaft vertreten. Gehört die CVP noch zum bürgerlichen Lager? Blocher: Das ist ausserordentlich schwierig zu sagen. Die CVP ist wahrscheinlich in Bern am stärksten nach links gerutscht. Diese Partei hat in den wirtschaftlichen Positionen das liberale Gedankengut und die Eigenverantwortung des Menschen weitgehend verlassen, weniger in der Ideologie. Wenn ich an die früheren Ständeräte und Nationalräte der CVP denke: die haben massiv Gegensteuer gegeben, das ist heute nicht mehr der Fall. Es ist heute eben modern, sozialistisch zu sein. Hier Gegensteuer zu geben ist undankbar. Man muss oft Nein sagen - und wer ist schon gerne immer ein Neinsager! Opposition wäre bequemer, aber… Nochmals zu dem von Ihnen diagnostizierten Linksrutsch. Befürchten Sie, dass es zu einer institutionellen Mitte-Links-Allianz kommt, so dass die SVP keinen Platz mehr hätte im Bundesrat? Blocher: Als unmöglich erachte ich es nicht. Es ist natürlich so, dass wir heute nicht im Bundesrat sind, weil die anderen Parteien die SVP oder Bundesrat Ogi lieben. Sondern es ist alles politisches Kalkül. Es wäre natürlich verlockend für uns, voll in die Opposition zu gehen. Wir hätten keine Rücksicht mehr zu nehmen auf die Bundesräte. Auch die SVP muss heute in geringfügigeren Fällen Konzessionen machen. In der Opposition wären wir völlig ungebunden. Das wissen die anderen Parteien natürlich. Deshalb werden sie uns nicht in die Opposition schicken - dies aber nur aus Eigennutz. Hand aufs Herz, Herr Blocher: Wären Sie unter den jetzigen Umständen lieber in der Opposition? Blocher: Von der Bequemlichkeit und von künftigen Wahlerfolgen her sicher. Aber in die Opposition - das ist meine volle Überzeugung - geht man nie freiwillig. Man muss immer bereit sein zu regieren, und man muss immer bereit sein, in die Opposition geschickt zu werden, sonst wird man gegenüber Regierung und Verwaltung hörig. Das ist auch bei Vorlagen so: Man muss auch dort antreten, wo man verlieren kann. Denn der Verlust im Einzelfall kann ein Gewinn aufs Ganze sein.

01.10.1998

Leistung und Erfolg als Lebenswirklichkeit

Eine Begegnung mit Nationalrat und Wirtschaftsführer Christoph Blocher Interview mit der Zeitschrift "Für uns", Oktober 1998 Wie kaum ein anderer Politiker und Wirtschaftsführer steht er immer wieder im Rampenlicht, SVP-Nationalrat und Präsident der Ems-Chemie Holding, Christoph Blocher. Er ist für die einen ein Hoffnungsträger, für die anderen ein Feindbild, und wenn er sich für ein Thema ins Zeug legt, dann führt kein Weg an ihm vorbei. Was treibt ihn an, sich immer wieder zu exportieren, was bewegt ihn und wie stellt er sich zu wichtigen Problemen unserer Zeit? Interview: Hans-Peter Studer Herr Blocher, Sie gehören zu den wohl bekanntesten Persönlichkeiten der Schweiz. Welche Ideale sind Ihnen wichtig? Christoph Blocher: Dass ich der Lebenswirklichkeit gemäss lebe und diese berücksichtige. Wenn man die Lebenswirklichkeit missachtet, kommt es schief heraus. Ich stelle in meiner beruflichen und politischen Tätigkeit fest, dass in der Führung sehr vieles falsch gemacht wird, weil man die Lebenswirklichkeit nicht beachtet oder nicht beachten will. Das kann im Banalen anfangen, indem jemand sagt: "Es ist eigentlich nicht nötig, dass ich arbeite; ich bin ein ganz origineller Mensch und habe das nicht nötig." Diese Person weiss schlicht nicht, was die Bedeutung der Arbeit, was die Bedeutung des Erfolgs ist und dass Erfolg ohne Arbeit nicht möglich ist. Der wirtschaftliche Erfolg und ihm gemäss zu leben stellt also für Sie eine bedeutende Lebenswirklichkeit dar? Blocher: Ich würde zwar nicht sagen, der wirtschaftliche Erfolg sei ein Teil der Lebenswirklichkeit. Aber er ist eine Notwendigkeit für unser Leben. Am Erfolg meines Unternehmens hängen 2700 Familien. Den wirtschaftlichen Erfolg bringen wir aber nur, wenn wir - um beim Beispiel zu bleiben - anerkennen, dass wir nur durch mühsame Arbeit das Ziel erreichen können. Mit Nichtstun werden wir keinen Erfolg haben können. Sonst geht es dem Unternehmen schlecht, und wenn es dem Unternehmen schlecht geht, geht es vielen auch sozial schlecht. Das ist heute wichtig zu betonen, weil die Versuchung gross ist zu meinen, man könne auf neuen Werten ein neues Lebenszeitalter schaffen. Ich habe viele Unternehmen gesehen, die an diesem Problem gescheitert sind. Das gleiche sehe ich in der Politik. Man will immer wieder etwas Neues, etwas Verrücktes, etwas besonders Originelles machen, ohne zu merken: "Aber so läuft das Leben doch nicht ab! Die Leute reagieren nicht so, wie ihr das meint." Trotzdem wird es immer wieder probiert. Man übertüncht die Wirklichkeit und handelt falsch. Aber wenn jedes Unternehmen in erster Linie für seine eigene Lebenswirklichkeit besorgt ist und einen möglichst hohen wirtschaftlichen Erfolg anstrebt, wird das nicht immer mehr zum Problem für die Lebenswirklichkeit der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt? Das geht doch in aller Regel auf Kosten der Konkurrenz, die genauso handelt, und im globalen Wettbewerb wird folglich der Konkurrenzkampf immer härter und unerbittlicher? Blocher: Der Konkurrenzkampf gehört eben auch zur Lebenswirklichkeit. Leben bedeutet, dass anderes Leben eingeschränkt wird. Wenn ich Salat esse, töte ich einen Salat, wenn ich Fleisch esse, stammt es von einem Tier. Das Unkraut nimmt überhand, wenn es stärker ist als der Weizen. Das ist in der Natur so und auch in der Wirtschaft nicht anders: Wer hier die beste Leistung im Interesse des Konsumenten erbringt, kann bestehen, und der andere, der weniger Gutes leistet, wird untergehen - nicht sterben, aber auf etwas anderes verwiesen. Damit das Ganze nicht brutal wird, muss es Regeln geben. Es ist zum Beispiel nicht erlaubt, mit unbilligen Mitteln gegen den Konkurrenten vorzugehen. Wir haben die Armutsbedingungen ohne Bodenschätze überwunden, indem wir uns bewusst wurden, dass für uns nur Leistung zählt. Nur Spitzenleistungen sind gefragt. Die Marktwirtschaft hat gezeigt, dass es am besten ist, wenn der Tüchtige letztlich obsiegt. Will man dies ausschalten, verarmt der Staat. Der Kommunismus hat es mit grossem Idealismus versucht. Die Menschen sollten für alle sorgen, aber am Ende hat niemand mehr für etwas gesorgt, auch für sich selber nicht mehr. Der Mensch hat die Kraft, um zu bestehen. Diese Kraft ist viel grösser, als man ahnt. Auch die Eigeninitiative wird durch die Lebenskraft gefördert. Es ist klar, dass die Eigeninitiative ein wichtiges Element des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist. Aber haben wir heute nicht das Problem, dass sie zum blossen Eigennutz geworden ist und dass die Freiheit des einzelnen an der Freiheit des anderen keine Grenze mehr findet? Blocher: Ja und nein. Sie befürchten, dass jeder nur für sich schaut. Man könnte es aber auch umdrehen: Wir haben heute das Problem, dass keiner mehr für sich und seine Familie sorgt, sondern denkt, ein anderer solle für ihn sorgen. Das ist auch ein Problem. jeder ruft immer nach der Hilfe des anderen, vor allem des Staates - so erlebe ich es wenigstens. Auch in der Wirtschaft rennen immer viele zum Staat, um Geld zu holen. Es schleichen nicht nur Clochards ums Bundeshaus mit der hohlen Hand, sondern auch Grossunternehmen. Die haben auch grössere Hände, bei denen es viel mehr einschenkt. Was die Internationalisierung der Wirtschaft anbelangt, so habe ich persönlich keine grosse Angst, auch nicht vor den riesigen Multis. Natürlich ist es theoretisch möglich, dass sie die ganze Gesellschaft aus den Angeln heben, aber nur theoretisch, praktisch nicht. In meiner Konkurrenten-Landschaft beispielsweise, wo ich zu den Kleinen gehöre, setze ich mich gegen die Grosschemie gut durch. Denn die Grossen haben auch grosse Schwächen, und die Kleinen können diese nutzen. Trotzdem prägen Fusionen und Elefantenhochzeiten das heutige Wirtschaftsgeschehen Blocher: Wenn es einmal dazu kommen sollte, dass alle sich so zusammenballen, dass keine Konkurrenz mehr möglich ist, dann müsste man gegensteuern. Dafür haben wir ja auch die Kartellgesetze, um zu grosse Einheiten wieder aufzusplitten. Doch in der Regel fallen sie von selbst auseinander, oder sie kommen selber zur Einsicht, dass sie sich wieder in einzelne Unternehmen aufspalten sollten. Welche Rolle spielt die Schweiz bei diesen Entwicklungen? Blocher: Die Schweiz ist, wirtschaftlich gesehen, von Natur aus ein sehr armes Land, aber trotzdem eines der reichsten der Welt. Wir haben die Armutsbedingungen ohne Bodenschätze überwunden, indem wir uns bewusst wurden, dass für uns nur Leistung zählt. Nur Spitzenleistungen sind gefragt. Wir können uns nicht mit Durchschnitt begnügen, da sind andere besser, weil sie bessere Voraussetzungen haben. Damit sind wir auf einen freien Handel angewiesen. Die Schweiz hat damit bewiesen, dass sie sehr gut bestehen kann und dass es den Leuten wesentlich besser geht als in anderen Ländern. Natürlich wird die Situation heute deshalb schwieriger, weil sehr viele Länder ähnliche Bedingungen bieten können. Also müssen wir uns wieder mehr anstrengen. Aber ich bin sehr zuversichtlich für die Schweiz, vor allem weil sie beweglicher, unbürokratischer sein kann als grosse Länder. Deshalb müssen wir auch klein bleiben. Gross tun zu wollen, bekäme uns nicht gut. Macht denn nur das Wirtschaftliche die besondere Qualität der Schweiz aus? Blocher: Nein, eine weitere grosse Stärke ist die politische, freiheitliche und liberale Grundhaltung, die wir haben. Die Freiheit, selber entscheiden zu können. Wenn ich in den Fernen Osten schaue, dann haben die dort viele sehr arbeitsame Leute. Aber es sind völlig unselbständig denkende Menschen, weil sie in einer anderen Staatsform leben. Die Japaner beispielsweise gehen prima in Reih und Glied, aber eben nur in Reih und Glied, sonst sind sie verloren. Ich glaube, die Erziehung, welche die direkte Demokratie mit sich bringt, ist eine Stärke. Die Bürger sind immer wieder gezwungen zu überlegen, wie sie am nächsten Sonntag abstimmen wollen, nachzudenken, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Schweiz ist noch stets eines der freiheitlichsten Länder, und das hängt mit der direkten Demokratie zusammen. Ich will das nicht glorifizieren, aber es macht den Wert unseres Landes aus. Vor 150 Jahren, bei der Gründung des Bundesstaates, hatte die Schweiz den Mut, sich eine demokratische, liberale Verfassung zu geben - und zwar allein in Europa, im Alleingang, als Sonderfall und verspottet von den europäischen Grossmächten. Stehen wir jetzt nicht wieder in einer ähnlichen Situation wie damals? Könnte nicht die Totalrevision der Bundesverfassung zur Chance werden, erneut kreative und ungewohnte neue Akzente zu setzen? Blocher: Meines Erachtens wird aus der Totalrevision nichts werden. Das Problem der Schweiz im Moment ist, dass die Schweizer verschiedene Vorstellungen von der Zukunft haben. Die einen wollen eine interventionistischere Verfassung mit mehr Macht und Einfluss des Staates bis ins einzelne Leben hinein, und andere wollen das Gegenteil. Ich bin der Meinung, man sollte die Schweiz wieder einmal "entrümpeln" und vom heutigen Wust von Gesetzen und Paragraphen befreien. Ich bin für eine liberalere, eine freiheitliche Verfassung mit mehr Entscheidungsspielraum für den einzelnen. Nach dem Grundsatz: innenpolitisch liberal, aussenpolitisch freundschaftlich mit allen Staaten der Welt, also weltoffen, ohne sich einbinden zu lassen. Die anderen wollen das Gegenteil. Solange wir derart entgegengesetzte Auffassungen haben, können wir an diesem Verfassungsentwurf "herumdoktern", solange wir wollen, wir werden uns nie einig werden. Das war 1848 anders. Nach dem Sonderbundskrieg hatten die Konservativen verloren, die Liberalen obsiegt. Da war ganz klar: jetzt wird eine liberale Verfassung gemacht. Das ging ganz schnell, weil alle, die daran beteiligt waren, die gleichen Grundsätze hatten. Heute jedoch muss die Schweiz zuerst finden, was eigentlich für sie wichtig ist. In solchen Zeiten können keine grossen Würfe gemacht werden. Das Entrümpeln von Paragraphen und Gesetzen ist allerdings unter dem Stichwort "Deregulierung" längst zu einer Modeströmung geworden. In allen Ländern, die das an die Hand genommen haben, ist aber der Stärkere stärker und der Schwächere schwächer geworden. Entrümpeln allein scheint mir folglich ein gefährlicher Schlachtruf zu sein, wenn es nämlich bloss zu einem besseren wirtschaftlichen "Ellbögeln" auf Kosten des Schwächeren führt. Blocher: Nein, die Folgen der Rückbesinnung auf den Bürger, auf die Eigenverantwortung sind anders: Schauen wir doch die amerikanische Reform, welche Reagan eingeleitet hat, an. Amerika hatte damals kein Selbstvertrauen mehr, Elend, Arbeitslosigkeit und riesige Defizite. Wenn Sie am Morgen durch die amerikanischen Städte gingen, lagen die Betrunkenen und Drogensüchtigen auf der Strasse, die Menschen konnten nicht mehr auf die Untergrundbahn in New York: zu gefährlich, schmutzig, verwahrlost. Reagan entschloss sich: "Wir müssen einen neuen Weg finden. Wir müssen dafür sorgen, dass der Mensch seine Selbstverantwortung wieder übernimmt. Er muss für sich selber schauen, und wir belohnen ihn dafür. Wir sorgen nur noch für jene, welche die Kraft dazu wirklich nicht mehr haben. Aber die anderen zwingen wir, für sich selber zu schauen." Wenn man die Erfolgsbilanz anschaut, dann hat Amerika heute kein Defizit mehr. Das hätte man damals nie für möglich gehalten. jetzt sind die amerikanischen Städte sauber; in New York sind die Elendsgestalten in der Untergrundbahn verschwunden. Die Arbeitslosigkeit ist rapid gesunken. Den Leuten - nicht nur den Reichen - geht es besser. Allerdings hat auch die Brutalität zugenommen, und es gibt gerade in Amerika das Phänomen der "working poor", derjenigen, die zwar Arbeit haben, sich damit aber kaum über Wasser halten können. Rund zehn Prozent der amerikanischen Bevölkerung hungern heute. Blocher: Ich glaube nicht, dass dies stimmt. Natürlich muss man schauen, dass die Brutalität nicht um sich greift. Es war ja das primäre Ziel des Staates schon bei der Gründung, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen nicht gegenseitig zerstören. Aber wenn Sie die Armut anschauen, dann war die zuvor wesentlich grösser. Sie müssen allerdings keine Bedenken haben, ich bete das amerikanische System nicht an, ich sehe auch die Schwächen. Nur waren sie vordem grösser. Ich stelle eine wesentliche Verbesserung fest. In der Schweiz könnten wir diesbezüglich noch viel mehr machen. Ich sehe dies auch bei meinen Arbeitern. Sie pflegen zu sagen-. "Wir haben in den letzten fünf Jahren nicht weniger Lohn gehabt. Uns ging es gut, wir sind gut bezahlt und hatten keine Lohnkürzungen. Aber uns bleibt dennoch immer weniger zum Leben, weil uns immer mehr abgezwackt wird." Das ist nicht gut. Die Krankenkassen-prämien steigen trotz gegenteiliger Versprechen, die Mehrwertsteuer wird heraufgesetzt, die Benzinpreise und die Transportkosten werden erhöht, die Kehrichtabfuhr kostet mehr. All das merkt der einzelne, ohne Einfluss darauf zu haben. Der heutige Zustand ist unsozial geworden. Jeder hat das Gefühl, wenn er etwas leistet, dann werde ihm zuviel genommen und somit lohne es sich gar nicht. Das ist ein falscher Ansatzpunkt. Entstehen nicht viele dieser Kosten genau deshalb, weil der Wirtschaft sehr viel Freiheit gelassen wird und das dann auf Kosten der Allgemeinheit geht? Die Unternehmen produzieren "schlank" mit immer weniger Leuten, um ihre Gewinne zu steigem. Und sie produzieren in immer grösseren Einheiten, was zu immer mehr Transporten und Pendlerströmen führt. Daraus wiederum resultieren einerseits Arbeitslosigkeit, andererseits Stress, Luftverschmutzung, Umwelt- und Gesundheitsschäden. Die damit verbundenen Kosten bleiben weitgehend beim Staat und beim kleinen Mann hängen, zum Beispiel in Form steigender Lohnabzüge und Krankenkassenprämien. Blocher: Ich glaube nicht, dass es so läuft. Warum hat die Wirtschaft so viele Leute auf die Strasse gesetzt? Weil sie zu lange mit zu wenig Rendite gearbeitet hat. Der Fehler war im Grunde genommen nicht das Freisetzen, sondern das Einstellen. Ich habe in meinem Unternehmen immer auf hohe Renditen, auf den shareholder value geachtet und ich musste in der Rezession keine Leute entlassen, weil ich nicht zu viele eingestellt hatte. Auch sind die Kosten in vielen Branchen genau deshalb so hoch, weil die Konkurrenz fehlt, etwa im Elektrizitätsbereich. Fortschrittlich investieren zum Beispiel in Umweltschutz - können wir nur, wenn wir Erträge haben. Wir haben doch die freie Marktwirtschaft, weil es sich herausgestellt hat, dass es damit allen am besten geht. So erzeugt jeder einzelne Wirkungen für die Allgemeinheit, weil er nicht unterstützt wird. Dass die Wirtschaft dabei so grosse Lasten erzeugt, dass sie der Staat abdecken müsste, glaube ich nicht. Im Gesundheitsbereich zum Beispiel wird ein erheblicher Teil der Kosten durch die Arbeitswelt verursacht, welche heute sehr viel härter geworden ist. Die einen haben keine Arbeit mehr, die anderen stehen unter grossem Druck und Stress. Beides wirkt sich negativ auf die Gesundheit und die Gesundheitskosten aus. Blocher: Ich glaube nicht, dass die Aussage stimmt, dass die Arbeitswelt heute viel härter sei als früher. Wenn ich die rund 60jährige Geschichte unseres Unternehmens anschaue, dann waren die Arbeitsbedingungen früher viel schwieriger als heute. Bei uns passieren die meisten Unfälle - und ich habe einen "gefährlichen" Betrieb - nicht bei der Arbeit, sondern in der Freizeit. Krankheiten wegen Stress, Überforderungen, das gibt es auch. Dann ist der Mitarbeiter am falschen Arbeitsplatz. Viele muten sich zuviel zu, weil sie Karriere machen wollen. Wir entlasten solche Leute von ihrer Position, weil sie auch die Leistung nicht mehr erbringen können, weil sie überfordert sind. Zudem habe ich erfahren, dass es den Leuten unter einem gewissen Druck zur Leistung besser geht als in einem Schlendrianbetrieb. Die Kunst ist es, Freude an der Leistung zu erzeugen. Derjenige, der viel leistet, ist nicht weniger gesund als der andere. Aber es beinhaltet eine andere Ausrichtung, es gibt eine andere Lebensfreude. Man hat Freude an der Arbeit, wenn man am Abend sagen kann: "ja, das haben wir gut gemacht, da haben wir ein gutes Produkt herausgebracht, das gut läuft auf dem Markt." Aber es gibt andere, die den ganzen Tag nur schauen, wie alles möglichst bequem geht und am Abend sagen: "Heute habe ich es gut gehabt, ich musste wenig arbeiten und habe eine ruhige Kugel geschoben." Das sind zwei ganz verschiedene Wertungen. ...die wir wohl beide ab und zu brauchen. An einem Sonntag entspannen können gehört wohl auch zur Lebensqualität? Blocher: Ja. Während meinem ganzen Leben habe ich sonntags niemals gearbeitet, denn ich brauche den Sonntag, sonst habe ich die Kraft für den Werktag nicht. Ich kann nur so viel leisten, weil ich am Sonntag nichts tue. Da nehme ich auch keine Vorträge an und gehe an keine Veranstaltungen. Aber dies schliesst die Leistung am Werktag nicht aus - im Gegenteil: Es ist die Voraussetzung. Liegt das Geheimnis für das grosse Pensum, das Sie in Politik und Wirtschaft bewältigen, also in den Sonntagen oder auch noch anderswo? Blocher: Selber weiss man das nicht so genau. Ich möchte dies nicht als vorbildlich ansehen. Vor allem im zunehmenden Alter merke ich natürlich oft, dass ich auch an meine Grenzen gehe. Aber sicher hat es auch mit meinem sehr disziplinierten Lebensablauf zu tun. Ich verzichte bewusst auf manches, was für andere zum Alltag gehört. Zum Beispiel habe ich kein Fernsehgerät. Das ergibt eine riesige Zeitersparnis, wenn ich denke, wie schnell man am Fernseher viel Zeit verbraucht und nachher eigentlich nichts davon hat. Oder ich verzichte als Politiker bewusst darauf, an irgendwelche gesellschaftlichen Anlässe zu gehen. Ich könnte jeden Abend irgendwo eingeladen sein: an einem Nachtessen, einem Treffen, einem Seminar, an einem Vortrag mit anschliessendem Nachtessen, an Geburtstagsfeiern und Jubiläen usw. Alles, was nicht unbedingt notwendig ist, lasse ich auf der Seite. Und wie gehen Sie mit dem Druck um, wenn Sie in der Öffentlichkeit aufgrund Ihrer exponierten Positionen angeschossen werden? Prallt das einfach an Ihnen ab, oder ist es manchmal auch schwierig, damit umzugehen? Blocher: Es ist jetzt einfacher als früher. Erstens gewöhnt man sich daran, und zweitens kann man es auch besser einordnen. Am Anfang hat mich dies natürlich unglaublich beschäftigt. Wenn Ihnen jemand sagt, was für ein "Sauhund" Sie sind, dann denken Sie natürlich sogleich: "Was habe ich falsch gemacht?" Heute weiss ich, dass der andere das sagt, weil er keine anderen Argumente zur Entgegnung hat. Also muss er mit Verunglimpfungen arbeiten. Aber man überlegt sich natürlich, ob nicht an der Kritik manchmal auch ein Körnchen Wahrheit ist. Man wird ja auch stark, wenn man selber immer wieder die eigene Position überprüfen muss. Eigentlich habe ich viel mehr Angst vor der Glorifizierung als vor der Kritik, denn Kritik bringt einen immer weiter, selbst wenn sie unangenehm ist und einem vielleicht sogar schlaflose Nächte bereitet. Bezüglich Glorifizierung, gibt es da nicht einen Widerspruch? Eigentlich sind Sie ein Vertreter des Grosskapitals, werden jedoch vom "kleinen Mann" verehrt und glorifiziert? Blocher: Warum hängen so viele Leute an mir? Das ist auch eine Belastung, denn diese Leute haben ja auch eine Erwartung. Sie merken, dass ich ihre Anliegen ernst nehme und sie vertrete. Ich bin nicht immer vermögend gewesen. Ich war seinerzeit Werkstudent, habe ganz unten angefangen, hatte gar nichts, ausser Schulden. jetzt habe ich ein Unternehmen, das sehr viel wert ist. Damit bin ich ein vermögender Mann. Deswegen habe ich aber meine Einstellung nicht geändert. Ich kann mich doch für die Anliegen dieser Leute einsetzen, ob ich jetzt reich oder arm bin. Mich interessieren die Anliegen dieser Leute, denn die anderen brauchen ja keinen Vertreter. Die sind stark genug. Ich muss nicht das Hochkapital vertreten, es kann sich selber wehren. Aber die "gewöhnlichen" Leute brauchen einen Fürsprecher, und ich muss diese Menschen auch nicht fragen, ob ich ihr Fürsprecher sein soll. Allerdings bin ich kein Politiker, der sozial "daherschwätzt", denn ich habe genug von diesem heuchlerischen Getue. Wenn jemand sagt, er sei für die Armen, dann frage ich ihn: "Was machst Du für sie?" Dann folgt meistens irgendein politisches, soziologisches, theoretisches Programm. Das aber bringt gar nichts. Mein Beitrag ist, dass ich zum Beispiel mein Unternehmen gut führe. Ich glaube daran, dass es sichere Arbeitsplätze nur dann gibt, wenn es tüchtige Unternehmer gibt. Wenn ich mein Unternehmen vernachlässige, auch unter noch so schönen Tönen, dann geht es meinen Leuten schlecht, und das sen sie. Ich merke das bei meinen Arbeitern. Sie hängen nicht an mir, weil ich ihr Boss bin, sondern sie sagen: "Der schaut für unser Unternehmen, das hat er bewiesen. Solange er an der Spitze steht, geht es uns gut. Das reicht uns." Die fragen auch nicht immer: "Ist der reich oder arm?" Sie interessiert, ob ich meinen Auftrag erfülle. Was erachten Sie als wichtig für die Welt unserer Kinder und Kindeskinder? Was können und sollten wir ihnen mit auf den Weg geben? Blocher: Als Vater von vier Kindern war mir folgendes stets ein Anliegen: Wir müssen nicht schauen, dass es unsere Kinder möglichst schön haben, sondern wir müssen sie lehren, Schwierigkeiten, die sich ihnen in den Weg stellen, zu überwinden. Das ist das Allerwichtigste. Viele jedoch glauben, man bereite die Kinder am besten auf die Zukunft vor, indem man ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. Das ist verhängnisvoll. Es ist zwar im Moment für das Kind angenehm, es liebt momentan auch das Bequeme, aber auf die Länge gesehen bringt es das Gegenteil: Verzweiflung am Leben. Viel wichtiger ist, dem Kind die Freude und Gewissheit zu ermöglichen: "Ich habe eine Schwierigkeit überwunden." Dazu müssen wir sie - ohne viel Hilfestellung zu geben - eigene Erfahrungen machen lassen und ihnen die Lebenswirklichkeit vermitteln: "Du wirst zwar Schwierigkeiten haben und Widerwärtigkeiten antreffen, aber du gehst nicht unter!" Einer meiner Lieblingsmaler, Albert Anker, sagte als letzten Satz vor dem Tod: "Es war mein Hauptanliegen, in der Kunst darzustellen: Siehe, die Welt ist nicht verdammt." Mit dieser Gewissheit werden unsere Kinder auch Schwierigkeiten durchstehen und eine Last tragen können und sie nicht einfach von sich schieben. Dazu gehört, verzichten zu lernen. Noch eine sehr persönliche Frage zum Schluss. Wo sehen Sie den Sinn in Ihrem Leben, wo sind die tieferen Dinge, von denen Sie persönlich das Gefühl haben, deswegen lohne es sich zu leben? Blocher: Sie müssen entschuldigen, wenn ich diese Frage etwas von mir weise, denn ich frage eigentlich nie, was der Sinn meines Lebens ist. Ich bin geboren und darum lebe ich. Mir - wie allen Menschen - ist das Leben geschenkt. Für die wesentlichen Dinge meines Lebens, angefangen bei der Geburt, kann ich nichts dafür. Ob das einen Sinn hat oder nicht, das ist mir gleichgültig. Ich freue mich jeden Tag über das Aufstehen und über die Begegnungen mit anderen Menschen. Ich konnte diese Frage nach dem Sinn des Lebens nie beantworten, glaube aber, dass ich auch nicht dazu verpflichtet bin. Ich hatte auch nie ein Ziel im Leben. Wenn man mich vor dreissig Jahren gefragt hätte, ob ich das sein wolle, was ich jetzt bin, hätte ich gesagt: "Todsicher nicht." jetzt aber bin ich es. Ich muss deshalb nicht immer fragen, ob das sinnvoll ist oder nicht, oder ob es schöner gewesen wäre, etwas anderes zu machen. Eigentlich wollte ich einmal Bauer werden, hatte aber keinen Bauernhof. Jetzt bin ich Unternehmer, und das ist auch recht. Auch Politiker zu werden hatte ich nie als Ziel. jetzt aber will ich in der Politik etwas bewirken, mich für das einsetzen und dem zum Durchbruch verhelfen, was mir wichtig erscheint. Herzlichen Dank für dieses facettenreiche Gespräch und die vielen Einblicke in Ihre Lebensphilosophie!

30.09.1998

Der Euro ist nur eine Währung

Interview mit der Südostschweiz vom 30. September 1998 Ems-Mehrheitsaktionär Christoph Blocher zu Asienkrise, Euro und Konjunktur Auch die Ems-Gruppe spürt die Asienkrise. Trotzdem rechnet Ems-Chef Christoph Blocher damit, den Betriebsgewinn auf dem Stande von 1997 halten zu können. Die "Südostschweiz" unterhielt sich mit Blocher über Asien, Euro und Konjunktur. Mit Christoph Blocher sprachen Hansruedi Berger und Sandro Compagno Herr Blocher, haben Sie letzte Nacht gut geschlafen? Blocher: Ja, vom Sonntag auf den Montag schlafe ich immer gut, denn da habe ich einen Ruhetag hinter mir. Kann man denn bei diesem Auf und Ab an den Börsen, bei der Krise in Asien ruhig bleiben? Blocher: Das Normale in der Wirtschaft ist das Anormale! Diese Ereignisse sind nicht unerwartet eingetroffen. Trotzdem gibt es viele Nächte, in denen ich nicht gut schlafen kann, weil ich Probleme wälze, deren Lösung ich im Moment nicht sehe. Die Ems-Gruppe - im speziellen die Ems-Inventa - exportiert aber doch einige Produkte in den asiatischen Raum. Werden Sie Ende Jahr die Asienkrise unter dem Strich spüren? Blocher: Eindeutig. Wir werden weniger Gewinn erzielen, als wir Anfang Jahr erwartet haben. Statt einer Gewinnsteigerung werden wir beim Betriebsgewinn wohl lediglich etwa auf Vorjahreshöhe abschliessen. Und auch dies ist nur möglich, weil unser Absatz in die USA und Europa zugenommen hat. Die Ems-Inventa - im Anlagebau fast nur in Asien tätig - ist besonders betroffen. Da sind die meisten Projekte sistiert worden. Zum Glück haben wir vor zwei Jahren die Ems-Inventa stark verkleinert und aus den freigestellten Arbeitnehmern die Ems-Syntech aufgebaut, die auf einem ganz anderen Gebiet tätig ist. Dann wird die Ems-Inventa früher oder später liquidiert und in die Ems-Syntech eingebracht? Blocher: Nein, das sind zwei verschiedene Firmen. Wir wollen mit der Ems-Inventa auf dem Markt bleiben. Das ist nicht das erste Mal, dass sie eine Durststrecke durchmachen muss. Sie warten also mit der Ems-Inventa auf den Aufschwung in Asien? Blocher: Ich rechne damit, dass Asien in eineinhalb Jahren wieder Fuss fasst. In Japan laufen jetzt sinnvolle wirtschaftspolitische Massnahmen an. Wenn die Konjunktur in Japan wieder anzieht, wird die ganze Region Südostasien davon profitieren. Auch China mit seiner tüchtigen und fleissigen Bevölkerung wird sich auffangen. Sie haben letztes Jahr ein Betriebsergebnis von 188 Millionen Franken erzielt, dieses Jahr soll es mindestens ebensogut werden. Wie viel werden die Ems-Angestellten nächstes Jahr mehr verdienen? Blocher: Das weiss ich noch nicht, wir legen das erst Ende Jahr fest. Wir arbeiten immer mehr nach dem Bonussystem und haben den Mitarbeitern Anfang Jahr gesagt, dass bei der Erreichung der Unternehmensziele ein bis eineinhalb Prozent Jahresbonus drin liegen. Die Ziele werden nicht in allen Bereichen erreicht. Die Teuerung ist zum Glück praktisch bei Null. Aufgrund des massiven Kostendruckes kann nicht mit allgemeinen Lohnerhöhungen gerechnet werden. Die Gewerkschaften verlangen, dass die Arbeitnehmer an den Produktivitäts-Steigerungen beteiligt werden. Sie fordern daher zwei bis drei Prozent Lohnerhöhung. Blocher: Die Gewerkschaften verlangen mehr, wenn sich der Gewinn in den Unternehmungen verbessert. Dann müsste aber auch das Gegenteil gelten, nämlich Lohnsenkungen bei schlechtem Geschäftsgang. Ich möchte betonen, dass wir die Löhne während der ganzen Rezessionszeit nicht gesenkt haben. Es ist nicht möglich, Löhne in schlechten Zeiten zu belassen und in guten Zeiten trotzdem zu erhöhen. Das wissen unsere Mitarbeiter. Sie laufen nicht einem theoretischen Modell hinterher. 80 Prozent aller Güter produziert die Ems-Gruppe in der Schweiz, und Sie geben sich für die Zukunft optimistisch. So schlecht kann also der Standort Schweiz nicht sein. Trotzdem überlegen Sie sich seit mehreren Wochen, eine Investition von 60 Millionen Franken in den USA statt in der Schweiz zu tätigen. Ist der Entscheid mittlerweile gefallen? Blocher: Nein, es läuft erst der Antrag meiner Mitarbeiter in diese Richtung. Die Schweiz ist eigentlich kein schlechter Standort. Wir produzieren 80 Prozent in der Schweiz, obwohl wir 90 Prozent unserer Güter in alle Erdteile exportieren. Wir können mit unserer Konkurrenz mithalten, haben jedoch jetzt ein grosses Problem: Die Politik wird die Transport- und Energiekosten in den nächsten Jahren dermassen verteuern, dass der Produktionsstandort Domat/Ems für ein bestimmtes Produkt international nicht mehr konkurrenzfähig sein wird. Aus Kostengründen müssten wir also die Produkte für den amerikanischen Markt auch dort produzieren. Dies tut mir leid, es müsste nicht sein. Einer der wichtigsten Standortfaktoren sind die Arbeitskräfte. Sie haben vor einiger Zeit an einem Referat vor dem Bündner Gewerbeverband in Lenzerheide gesagt, dass auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt nur Handlanger oder Professoren zu finden seien, nicht aber ausgebildete Berufsleute. Blocher: Das kann man noch pointierter ausdrücken: Entweder ist einer Nobelpreisträger oder Hilfsarbeiter, dazwischen gibt es nichts. Und das ist in der Schweiz anders und bis jetzt ein grosser Vorteil. Überwiegt dies nicht zugunsten des Standortes Schweiz? Blocher: Beim obengenannten Produkt leider nicht. Es geht hier um eine automatisierte Produktionsanlage, die wir auch in den Vereinigten Staaten erstellen können. In der Rechnung sind die zwei Faktoren Transport- und Energiekosten in der Schweiz derart überwiegend, dass es wahrscheinlich nicht anders geht. Sie haben vorher gesagt, Ems exportiere 90 Prozent seiner Produktion. 60 Prozent davon gehen nach Europa. Am 1. Januar 1999 kommt der Euro. Welche Auswirkungen wird die europäische Einheitswährung auf Ems haben? Blocher: Für uns ist der Euro einfach eine zusätzliche Währung. Soviel ich weiss, haben wir etwa zwölf Währungen in unseren Computerprogrammen. Wenn einer in Gulden kauft, zahlt er mit Gulden. Wenn einer in Dollar kauft, zahlt er mit Dollar. Wir haben gelernt, damit zu arbeiten. Jetzt haben wir halt noch eine Währung mehr. Professor Walter Wittmann sagt, dass der Euro eine weiche Währung werde. Das hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Exportwirtschaft. Blocher: Ich glaube nicht, dass der Euro anfänglich eine schwache Währung wird. Aber er wird längerfristig eher eine schwache Währung. Denn die Haushaltdisziplin in den beteiligten Ländern wird abnehmen, wenn der Euro einmal fest eingeführt ist und sie keine Angst haben müssen, dass man sie wieder aus dem System hinauskippt. Dann wird der Euro verwässern, und ich rechne auch damit, dass er keine sehr starke Währung wird. Aber das ist ja nichts Neues. Denken Sie an den Dollar! Als die Wechselkurse für den Dollar freigegeben wurden, ist er über Nacht von 4.30 Franken auf 3.80 Franken gefallen. Heute steht er bei ungefähr 1.40 Franken. Natürlich habe ich als Exporteur recht gelitten unter dem starken Franken in den letzten Jahren. Aber wenn ich heute sehe, was wir alles gemacht haben dank eines starken Frankens - die Vollbeschäftigung in der Schweiz, der wir uns heute wieder nähern, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen. Die Schweizer Wirtschaft ist sehr konkurrenzfähig. Der Euro ist keine Katastrophe - auch für den Export nicht. Also für die Zukunft sieht es rosig aus. Man hat sieben magere Jahre gehabt. Kommen jetzt die sieben fetten - oder noch sechs fette Jahre? Blocher: Ein Unternehmer hat mir einmal gesagt, der biblische Zyklus gelte noch immer: Es gebe die sieben mageren Jahre und die sieben fetten Monate (lacht). Im Ernst: Im Grunde genommen glaube ich, dass wir vor einer guten Situation stehen. Konjunkturzyklen dauern nie nur ein paar Monate. Und wenn Sie zurückblicken, ist es tatsächlich so, dass sich die Konjunktur immer in etwa denselben Zyklen bewegt hat. Wir hatten sehr gute Jahre ungefähr von 1968 bis 1974. Dann erfolgte ein Konjunktureinbruch. Dieser zog sich bis 1982 hin. Dann hatten wir von ungefähr 1983 bis 1990 Hochkonjunktur - und danach wieder sieben Jahre Baisse. Es ist wirklich interessant, es sind immer ein paar Jahre. Darauf muss man sich einstellen. Ich denke, dass wir keine schlechte Situation haben. Man muss aufpassen, dass man innerhalb der Zyklen nicht überreagiert. Man sollte in schlechten Zeiten investieren und in den guten Zeiten zurückhaltend sein - dann wird es immer gut. Richtet man den Blick nach Europa, so fällt auf, dass die Wachstumsraten in der Schweiz vergleichsweise gering sind. Andere Volkswirtschaften, die sich in etwa auf dem gleichen Level wie die Schweiz bewegen, wachsen stärker. Hat das mit dem Abseitsstehen der Schweiz von Europa zu tun? Blocher: Also zuerst muss man klarstellen: Wachstum ist etwas, das man anstrebt, aber Wachstum um jeden Preis ist ganz verwerflich. Es gibt nichts Einfacheres, als in einer Volkswirtschaft Wachstum zu erzeugen. Das wurde zum Teil gemacht Ende der achtziger Jahre mit faulen Krediten. Sie können einfach Kredite geben, dann wächst die Wirtschaft. Das sieht man auch im Fernen Osten. Die haben das auch gemacht, enorme Kredite gegeben und nachher ist alles zusammengebrochen. Das ist künstliches Wachstum. Ein Teil des hohen Wachstums in der Schweiz bis Ende der achtziger Jahre ist darauf zurückzuführen. Darum mussten die Banken 50 Milliarden Franken an faulen Krediten abschreiben. Wenn dieses Geld nicht in die Wirtschaft geflossen wäre, hätte viel Blödsinn und falsches Wachstum verhindert werden können. Und dann darf eines nicht vergessen werden: Der Export wuchs in der Schweiz auch in den letzten Jahren stark. Das fehlende Wachstum kann also nichts mit dem Abseitsstehen von Europa zu tun haben. Schlecht lief es dafür im Bau-, im Immobiliensektor; wir haben in der Schweiz eine Immobilienkrise. Die hängt zum Teil mit der Aufblähung in den achtziger Jahren zusammen. Die meisten faulen Kredite sind ja auf Investitionen in Immobilien zurückzuführen. Und auf der anderen Seite müssen Sie sehen: Das riesige Bauvolumen, das die Schweiz bewältigte, das ist vorbei. * * * Blocher zu sieben Zeitgenossen Die «Südostschweiz» bat Christoph Blocher zu kurzen Statements über sieben Zeitgenossen, welche in den letzten Wochen und Monaten in den Schlagzeilen waren. Bill Gates: Cleverer Unternehmer. Ist heute fast alleine auf seinem Gebiet. Andrea Hämmerle: Ich halte nicht viel von seiner Politik. Diese ist vor allem von Neid geprägt - das ist keine gute Grundlage. DJ Bobo: Der habe mit mir zusammen die beste Internet-Seite, habe ich in einer Illustrierten gelesen. Monica Lewinsky: Ein gutes Beispiel dafür, wie schnell man heute berühmt werden kann und wie wenig es dafür braucht. Moritz Leuenberger: Mit ihm habe ich studiert. Er war damals während der Studentenzeit ein ganz scharfer Sozialist. Heute hat er seine Gesinnung der eigenen Karriere angepasst und ist deshalb nicht mehr gefährlich. Anita Weyermann: Gute Sportlerin. Hatte im Frühjahr viel Pech, hat sich aber zurückgekämpft, das verdient Respekt. Serge Gaillard: Er ist Ökonom bei den Gewerkschaften und kann darum nicht mehr rein ökonomisch argumentieren. Er muss Gewerkschaftsinteressen wahren und sie ökonomisch untermauern. Das ist schade, er wäre sonst kein Dummer.