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Personal

09.10.2003

«Meist hat er halt Recht»

Interview mit Silvia Blocher in der "Weltwoche" vom 9. Oktober 2003 Eignen sich Frauen für Führungspositionen? Wie müssen Kinder erzogen werden? Wie lebt es sich an der Seite des umstrittensten Politikers der Schweiz? Ein Gespräch mit Silvia Blocher. von Roger Köppel und Markus Somm Sie hatten ein Mathematikstudium angefangen und als Lehrerin gearbeitet, bevor Sie Christoph Blocher heirateten. Warum haben Sie diesen Beruf aufgegeben? Silvia Blocher: Wir wollten eine Familie gründen, und für mich war klar, dass ich mich um die Kinder kümmere. Haben Sie das jemals bedauert? Hätten Sie lieber das Studium abgeschlossen und eine berufliche Laufbahn eingeschlagen? Silvia Blocher: Ich glaube nicht. Natürlich ist das hinterher schwer zu sagen. Mathematik liegt mir heute eher fern. Damals habe ich mich leidenschaftlich gern damit befasst, davon ist bloss die Freude an kniffligen Denkaufgaben und Kreuzworträtseln übrig geblieben. Eine Familie zu managen, war eine grosse Aufgabe. Es mag Frauen geben, die ihre Erfüllung allein am Schreibtisch finden können - für mich trifft das nicht zu. Was haben Ihre Eltern Ihnen an Lebenszielen mitgegeben? Kinder haben, einen guten Job oder einfach einen erfolgreichen Mann heiraten? Silvia Blocher: Erfolgreich war er ja damals noch nicht: ein mittelloser Student. Nein, ich habe studiert, um nachher einen Beruf auszuüben. Ich wollte nicht einfach einen Mann mit Doktortitel heiraten, sondern war überzeugt: Den mache ich selber. Als Sie Mathematik studierten, war das für eine Frau ein aussergewöhnlicher Akt. Fühlten Sie sich nie benachteiligt? Silvia Blocher: Nein. So, wie ich aufgewachsen bin, kannte ich dieses Gefühl nie. Was Buben machten, das durfte auch ich: Ich ging in die Primarschule, die Sek und die Mittelschule wie sie. Ich konnte gar für ein Jahr als Austauschschülerin nach Amerika - was damals ja noch sehr ungewöhnlich war. Ohne weiteres hatten meine Eltern das erlaubt. Schliesslich studierte ich, was ich wollte. Aus diesem Grund konnte ich die Frauenrechtlerinnen nie verstehen, die sich dermassen benachteiligt fühlten und es ganz furchtbar fanden, wenn eine Frau "nur" Mutter und Hausfrau sein wollte. Hat es Sie geärgert, dass Ihre Arbeit als Mutter und Hausfrau so eingeschätzt wurde? Silvia Blocher: Zeitweise schon. Vor allem, dass die so genannt emanzipierten Frauen die Mutterrolle stark abgewertet haben. Sie wollten um jeden Preis arbeiten, um von der Familie wegzukommen. Die Kinder wurden als störende Belastung betrachtet. Welche Werte haben Sie Ihren Kindern mitgegeben, worauf kommt es an? Silvia Blocher: Das weiss man ja theoretisch nie so genau, sondern entscheidet von Fall zu Fall. Zentral ist, dass Sie Kinder so nehmen, wie sie sind, und sie nicht zu etwas anderem umerziehen wollen. Das, was in ihnen steckt, ihre Stärken muss man fördern. Nur so entwickeln sie sich zu dem, was in ihnen angelegt ist. Das gibt ihnen Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Oft leiden Kinder unter einem erfolgreichen Vater. Sie können ihm nie das Wasser reichen, und sie verzweifeln oder versagen. Wie haben Sie dem vorgebeugt? Silvia Blocher: Als unsere Kinder klein waren, war ja der Vater noch nicht so prominent, das war sicher eine Erleichterung. Wenn wir jetzt kleine Kinder hätten, wäre das schwieriger. Wahrscheinlich hat auch geholfen, dass mein Mann nie das Ziel hatte, reich und prominent zu werden, sondern es ging ihm immer um die Sache. Politik hat ihn beschäftigt, weil er die Lebensumstände verbessern und nicht weil er Nationalrat werden wollte. Im Geschäft war es ähnlich: Er sah Probleme, und die musste er lösen. So kam er voran und nicht weil er Karriere machen und das Unternehmen am Ende besitzen wollte. Hatten Ihre Kinder nie das Bedürfnis, sich von ihrem Vater abzugrenzen? Zum Beispiel politisch, indem sie Steine warfen und Häuser besetzten? Silvia Blocher: Das überhaupt nicht; selbstverständlich hatten auch unsere Kinder die üblichen Ablösungsprobleme, und es ging manchmal laut zu und her. Wie beurteilen Sie die heutige Elterngeneration? Machen sie es gut? Silvia Blocher: So pauschal kann ich das nicht sagen. Aber ich habe den Eindruck, dass viele Eltern heute ihre Kinder oft überfordern, indem sie viel zu hohe Erwartungen in sie setzen, etwa in der Schule oder im Sport. Zugleich geben sie ihnen im Alltäglichen zu viel Entscheidungsfreiheit und damit zu viel Verantwortung. Einverstanden, man sollte einem Kind Verantwortung übertragen, so früh wie möglich, aber stets entsprechend seinen Möglichkeiten. Sonst verliert es sein Selbstvertrauen, weil es verantwortlich ist für Dinge, die es eigentlich nicht entscheiden kann. In den sechziger und siebziger Jahren, als Sie Ihre Kinder hatten, galt die "antiautoritäre Erziehung" als chic. Ein gutes Rezept? Silvia Blocher: Ich hielt nie viel davon. Kinder erziehen heisst: Sie fähig machen, das Leben zu meistern. Es ist doch nicht so, dass man im Leben alles machen darf und kann. Das Kind muss lernen, Schwierigkeiten zu überwinden und negative Erfahrungen zu verkraften. Ihre Familie ist nicht bloss bekannt, sie ist auch reich. Wie haben Sie dafür gesorgt, dass Ihre Kinder nicht völlig verzogen wurden und mit 18 einen Ferrari kauften? Silvia Blocher: Jedes hat sich sein erstes Auto selbst verdient! Wir haben unsere Kinder normal erzogen, wie in jeder Schweizer Durchschnittsfamilie: Sie gingen in die Volksschule, dann in die Sek - weil ich fand, sie sollten noch zu Hause zu Mittag essen. Erst danach gingen sie in die Kantonsschule. Ich wollte nie, dass sie meinten, sie seien etwas Besonderes. Sie sollten sich durch Leistung und Verhalten auszeichnen und nicht durch Herkunft. Zum Glück hatten sie nie Probleme in der Schule. Waren Sie allein zuständig für die Kinder? Wo war Ihr Mann? Silvia Blocher: Es stimmt, ich war für den Alltag der Kinder verantwortlich und musste die Regeln durchsetzen. Doch wir hatten die gleichen Ziele und Vorstellungen und versuchten, uns nicht vor den Kindern zu widersprechen. Finden Sie es gut, wenn beide Eltern, wie das heute oft der Fall ist, Teilzeit arbeiten und Kinder betreuen, oder bevorzugen Sie die traditionelle Rollenteilung? Silvia Blocher: Das kann jede Familie für sich entscheiden, ich habe da keine strikte Meinung. Etwas erstaunt bin ich, wenn ich höre, dass Frauen, die mit einem oder zwei Kindern zu Hause bleiben, dennoch erwarten, dass ihr Mann im Haushalt die Hälfte der Arbeit übernimmt. Da werden die Kinder überbetreut, oder die Frauen werden unzufrieden, weil sie nicht ausgelastet sind. Falsch finde ich, wenn man die Kindererziehung dem Staat überlässt. Da hat man ja weder zur Erziehungsmethode noch zur Qualität der Betreuer etwas zu sagen. Ihrer Tochter scheint es nicht zu genügen, Hausfrau und Mutter zu sein, sie leitet noch eine Firma. Geht das gut? Silvia Blocher: Es geht erstaunlich gut. Sie ist richtig aufgeblüht als Chefin und als Mutter. Sie hat eine liebe Nanny angestellt, und am Abend kann ihr Mann für das Kind sorgen. Hätten aber beide so unregelmässige Arbeitszeiten wie meine Tochter, ginge es wohl nicht. Man findet keine Angestellte, die 24 Stunden arbeitet. Gab es Forderungen der Feministinnen, mit denen Sie sympathisierten? Silvia Blocher: Nein. Ich habe nie ganz verstanden, über welche Diskriminierung sie klagten. Besonders hatte ich Mühe mit ihrer Verbissenheit. Ich wurde den Verdacht nie ganz los, sie machten das aus purem Männerhass. Das stiess mich ab. Waren Sie gegen das Frauenstimmrecht? Silvia Blocher: Nein, nein, sicher nicht, ich war von Haus aus sehr an Politik interessiert und wollte daran teilnehmen. Doch abgesehen davon, brauchte ich die Frauenbewegung nicht. So wie ich gelebt habe, schien sie mir schon veraltet. Ihre Tochter ist in der Führung der Ems-Chemie tätig. Das wäre kaum möglich gewesen vor vierzig Jahren. Silvia Blocher: Das liegt nicht am Feminismus. Frauen mussten schon früher Führungsrollen übernehmen. Denken Sie an die Königshäuser. Diese Frauen erfüllten ihre Aufgaben auch ohne Gleichstellungsbüros. Manche beklagen den Zerfall der Familie, wenn beide Eltern arbeiten. Ihr Befund? Silvia Blocher: Bei meiner Tochter habe ich nicht den Eindruck, da zerfalle etwas. Meine Enkelin ist herzig, und es geht ihr offensichtlich gut. Haben Sie Ihren Buben anders erzogen als Ihre Töchter? Silvia Blocher: Sicher nicht bewusst. Doch gibt es immer wieder Unterschiede zwischen Buben und Mädchen. Mein Sohn hat sich nie für Puppen interessiert. Eignen sich Frauen für Führungspositionen? Silvia Blocher: Ja, offensichtlich, ich sehe das bei meiner Tochter. In der Firma geniesst sie einen guten Ruf. Aber Frauen führen bestimmt anders als Männer, ich habe das selbst festgestellt, als ich dieses Haus baute. Weil mein Mann keine Zeit hatte, war ich allein dafür verantwortlich. Wenn mein Mann etwa einem Handwerker eine Anweisung geben würde, dann würde er sagen: Dieses Lavabo kommt hierhin, sechzig Zentimeter weg von der Wand. Und der Handwerker macht das. Ich dagegen sage: Ich habe mir gedacht, wir könnten dieses Lavabo hier hinmachen, vielleicht sechzig Zentimeter weg von der Wand, was meinen Sie? Möglicherweise rät mir dann der Handwerker, es anders zu montieren, weil es doch so viel praktischer sei. Einmal gebe ich ihm Recht, das andere Mal nicht. Sie sehen, es ist ein etwas offenerer Prozess. Auf der schweizerischen Aufregungsskala liegt Ihr Mann ganz oben. Besonders während der Abstimmung über den EWR war er enormen Anfeindungen ausgesetzt. Wie haben Sie das erlebt - sozusagen im Auge des Hurrikans? Silvia Blocher: Im Auge des Hurrikans ist es windstill! Bei uns dagegen war es manchmal schon stürmisch. Gottlob brach der Sturm nicht plötzlich los. Aber es war eine furchtbare Zeit der öffentlichen Niederträchtigkeiten, die es durchzustehen galt. Wenigstens waren wir nicht allein. Den Medien mag es so erschienen sein, als seien wir völlig isoliert. Dabei schrieben uns Tausende von Bürgern, sprachen meinem Mann Mut zu und schickten ihm Geschenke: Sie können sich nicht vorstellen, wie viele handgestrickte Socken wir bekommen haben! Je schärfer mein Mann angegriffen wurde, desto mehr hatten die einfachen Leute das Gefühl, etwas könne da nicht stimmen und man müsse ihn unterstützen. Tut es nicht weh, wenn der eigene Mann mit Haider, Le Pen, ja Hitler verglichen wird? Silvia Blocher: Das empört mich, weil es so absurd ist. Ernst meinen kann man solche Anwürfe ja nicht, also ist es reine Boshaftigkeit. Als mein Mann einmal in Fribourg eine Rede hielt, titelte die lokale Zeitung: Le diable arrive à Fribourg! Aber daneben gibt es ja noch die alltäglichen Stiche in den Medien: falsche Berichterstattung, Parteilichkeit, das unendlich Kleinkarierte. Wenn jemand so bekannt ist wie mein Mann, muss er gut aufpassen, dass er das Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihm macht, nicht mit seiner privaten Persönlichkeit verwechselt. Und zwar ganz gleich, ob das Bild nun schmeichelhaft oder vernichtend ist. Wie erklären Sie sich diese starken Affekte, die Ihr Mann auslöst? Silvia Blocher: Vielleicht reagieren viele Leute so heftig, weil sie nicht ganz sicher sind, ob mein Mann halt doch Recht hat. Er hat eine klare Meinung, kann sie überzeugend vortragen und setzt sich auch oft durch. Während die meisten andern halt einfach mit dem Strom schwimmen. Beim EWR war das sehr deutlich zu beobachten, gerade bei Bürgerlichen. Niemand rechnete mit Widerstand gegen diesen Vertrag, alle hatten schon zugestimmt, und dann kam mein Mann und war anderer Meinung. Viele sassen schon im falschen Boot; sie konnten nicht mehr zurück. Jahre später haben sie zugegeben, dass sie sich geirrt hatten. Meist sagten sie ihm das nur unter vier Augen. Eine der besonderen Fähigkeiten meines Mannes ist es, Dinge viel früher als andere zu merken. Wenn etwas faul ist, dann riecht er es irgendwie, das ist ein Instinkt. Nehmen Sie den EWR: Zuerst kam ihm die Sache bloss etwas spanisch vor, ein mulmiges Gefühl. Also kniete er sich ins Dossier, verbiss sich geradezu darin und liess erst wieder los, als er es ganz genau wusste: Dieser Vertrag ist schlecht für die Schweiz. Eine Position, die er sich so gründlich erarbeitet hat, gibt er nicht mehr leichtfertig auf, selbst wenn er ganz allein gegen alle steht. Diese Hartnäckigkeit irritiert manche. Sind allein die andern schuld? Oder hat Ihr Mann manchmal zu heftig angegriffen? Silvia Blocher: In der öffentlichen Diskussion, finde ich, hat er nie jemanden schlecht gemacht. Im persönlichen Gespräch, das mag sein, kann er jemanden recht scharf und persönlich kritisieren. Doch meist hat er halt Recht, und viele Menschen sind Heuchler. Und vergessen Sie den Neid nicht. Ich habe den Eindruck, in der FDP und der CVP ist die Abneigung fast grösser als in der SP. Da geht es um viele Pfründen in Verwaltungsräten und andere Ämtli, die es nun mit der SVP zu teilen gilt. In freisinnigen Kreisen hält sich das Gerücht, Christoph Blocher sei aus einem anderen Grund so erbarmungslos mit der FDP. Er habe seinerzeit in die Partei eintreten wollen, sei aber von den damaligen FDP-Granden verschmäht worden. Silvia Blocher: Sagen sie das? Unsinn. Wie so vieles hat sich auch die SVP-Mitgliedschaft einfach ergeben. Als wir 1969 nach Meilen gezogen waren, erfuhren wir bald, dass die Alusuisse hier ein riesiges Verwaltungsgebäude bauen wollte - für 5000 Angestellte, in einem Dorf von 8000 Einwohnern! Und das in der grünen Freihaltezone. Meinen Mann hat das sofort auf Trab gebracht, wir haben Argumente gesammelt und den Widerstand organisiert, um die Abstimmung gegen die nötige Umzonung zu gewinnen. Alle Parteien waren gegen uns. Aber nach einer grossen Orientierungsversammlung in dieser Sache kamen sofort SVP wie FDP auf meinen Mann zu, um ihn als Mitglied zu gewinnen. Mein Mann entschied sich für die SVP, weil er Bauer gelernt hatte und sich hier am wohlsten fühlte. Später bin ich dann auch der SVP beigetreten. Was lehrte Sie der Kampf gegen den EWR über das Wesen der Schweiz? Silvia Blocher: Schon immer fühlte ich mich sehr eng verbunden mit unserem Land. Der Kampf gegen den EWR brachte uns in jede Ecke der Schweiz, denn das war ja die einzige Methode, die meinem Mann blieb: möglichst überall öffentlich aufzutreten. Dabei lernte ich zwei Dinge schätzen. Erstens, die Schweiz ist so ungeheuer vielfältig, dass es eine Freude ist. Und zweitens, die Leute befassen sich gründlich mit den Dingen, die politisch anstehen, und überlegen sich ihren Entscheid gut. Das hat mich beeindruckt. Haben Sie nur positive Erinnerungen? Stört es Sie nicht, wie Ihr Mann seit dem EWR systematisch von der Macht fern gehalten wird? Silvia Blocher: Sicher beelendet mich das, vor allem weil ich weiss, über welche Kapazitäten er verfügt. Er wird dermassen gelähmt und könnte so viel bewirken! Und das Verrückte ist: Das Land selbst wird damit gelähmt. Hätte Ihr Mann nicht ab und zu etwas netter auftreten können? Musste er fast alle Parlamentarier verärgern? Er wäre längst Bundesrat. Silvia Blocher: Das ist ja nicht das Ziel: Es geht nicht um "Nett-Sein" oder darum, Bundesrat zu werden, sondern um das Wissen, wie man die Missstände verbessern könnte. Er hat die Voraussicht, den Überblick, das Wissen und die nötige Energie, es durchzusetzen. Die Gegner meines Mannes haben dagegen selbst nichts zu bieten. Sie haben alle Mittel, aber sie tun nichts. Wird die Blockade erst überwunden, wenn Ihr Mann in Pension geht? Silvia Blocher: Ich kann mir einige andere vorstellen, deren Pensionierung mehr bringen würde! Wenn Ihr Mann wieder einmal sehr heftig attackiert wurde: Hatten Sie nie das Gefühl, nun reicht es? Macht euren Dreck allein. Silvia Blocher: Es gibt Momente, wo ich denke, jetzt langt es! Wir könnten ja wegziehen, uns ein schönes Leben machen. Welches ist das grösste Missverständnis über Christoph Blocher? Silvia Blocher: Er habe keine Ideen, und seinen Ideen folgten keine Taten. So absurd! Wollten Sie selber nie Politikerin werden? Silvia Blocher: Zwei in der Familie geht nicht. Sie hätten sich politisch gestritten? Silvia Blocher: Nein, das nicht. In den Grundhaltungen stimmen wir überein. Aber für die Familie wäre das zu viel gewesen. Was treibt eigentlich Ihren Mann an, sich seit Jahren dermassen abzukämpfen? Silvia Blocher: Er erkennt etwas, das so nicht sein sollte, und das lässt ihn nicht mehr in Ruhe, bis er es geändert hat. Ihr Mann ist zu 150 Prozent für sein Unternehmen da, zu 150 Prozent macht er Politik. Wo sind eigentlich die Prozente für Sie? Haben Sie sein ausserhäusliches Engagement nie als Kränkung empfunden? Silvia Blocher: Es war sicher nicht immer einfach. Aber es hat sich allmählich entwickelt, so konnte ich mich daran gewöhnen. Man muss das lernen. Nie ein Stich für das Selbstvertrauen? Silvia Blocher: Hätte ich mein Selbstvertrauen nur von meinem Mann abhängig gemacht, vielleicht schon. Aber das ist nicht der Fall. Woher beziehen Sie Ihr Selbstvertrauen? Silvia Blocher: Ich bin stolz auf meine Kinder, mein Haus, den Garten - und meinen Beitrag zum Sieg beim EWR. Seither bin ich dauernd politisch tätig. Was ist das Geheimnis einer guten, langen Ehe? Silvia Blocher: Man braucht einen Grundvorrat von gemeinsamen Werten. Sachen, die beiden lieb und teuer sind. Dann ist es entscheidend, dass eine gewisse Offenheit herrscht: Neues muss möglich sein, jeder soll seine Interessen pflegen können, ohne allerdings das Gemeinsame zu vernachlässigen. Wir hatten das Glück, dass wir stets ein gemeinsames Projekt verfolgen konnten. Erst war es die Familie, dann das Geschäft, schliesslich die Politik. Jeder nimmt teil - wenn nötig tatkräftig - an dem, was den andern bewegt und beschäftigt. Wer ist der Chef in Ihrer Ehe? Silvia Blocher: Das lässt sich nicht so klar beantworten. Zum Beispiel habe ich dieses Haus gebaut, mein Mann war ursprünglich dagegen. Umgekehrt gibt es Beispiele, wo er sich durchsetzte. Muss man Ihren Mann vor sich selbst schützen? Silvia Blocher: Ja, belastungsmässig. Dass er nicht zu viel macht. War es je eine Belastung, Frau Blocher zu sein? Silvia Blocher: Das ist für mich kein Problem. Sie sind ja auch nur da, weil ich die Frau dieses Mannes bin. Ich erfahre eigentlich mehr Positives: Anerkennung statt Ablehnung. Allerdings ist es auch schön, sich ab und zu im Ausland aufzuhalten, wo uns niemand erkennt. Ist Ihr Mann auf Ihre Unterstützung angewiesen? Silvia Blocher: Natürlich. Würden Sie im Rückblick alles gleich machen? Den gleichen Mann heiraten? Silvia Blocher: Ab und zu hänge auch ich dem Gedanken nach, wie schön wäre es doch, ich hätte einen Mann geheiratet, der um vier Uhr nachmittags nach Hause kommt und im Garten etwas häckelt. Doch wenn ich ehrlich bin, würde mir die geistige Auseinandersetzung fehlen. Welche Eigenschaft muss ein Mann haben? Silvia Blocher: Er sollte nicht langweilig sein. Was heisst das? Silvia Blocher: Er soll eine Meinung haben und die vertreten. Offen sein für vieles, begeisterungsfähig, ursprünglich und echt. Worauf schauen Frauen bei Männern? Auf den Erfolg? Silvia Blocher: Ich bin für diese Frage die falsche Adressatin. Ich habe seinerzeit einen armen Studenten geheiratet. Spielt das Aussehen eine Rolle? Silvia Blocher: Die Ausstrahlung, würde ich sagen. Ob die Nase gekrümmt ist, darauf kommt es nicht an. Und ich glaube, die Männer halten es auch so. Vielleicht überschätzen Sie die Männer. Silvia Blocher: Meinen Sie? Es gibt Forscher, die behaupten, Frauen würden bei einem Mann zwischen einem Liebhaber und dem Vater ihrer Kinder unterscheiden. Sie nehmen sozusagen einen Gen-Check vor. Silvia Blocher: Das macht man wohl kaum bewusst, aber bestimmt überlegt man es sich besser, wen man heiratet. Als Sie Ihren Mann kennen lernten, war Ihnen klar, dass er einst so erfolgreich sein würde? Silvia Blocher: Überhaupt nicht. "Was willst du einen Studenten und Bauernknecht heiraten?", fragte meine Mutter. "Du hättest doch andere Möglichkeiten." Warum haben Sie ihren Rat missachtet? Silvia Blocher: Aus Liebe. Was war es denn nun, das Sie bewegt hat, Christoph Blocher zu heiraten? Welches ist die Ur-Anekdote? Silvia Blocher: Die gibt es nicht. Ich habe ihn über längere Zeit kennen gelernt und gewann die Überzeugung, er könnte der Richtige sein. Welche Eigenschaften hatte er, die Sie so sicher machten, dass Sie noch mit achtzig Freude an ihm haben? Silvia Blocher: Mein Mann hat Energie. Extrem viel Energie. Das hat mir gefallen. Und dann war er ein Mann, dem ich mich nicht überlegen gefühlt habe. Oft hört man, starke Persönlichkeiten vertragen sich auf Dauer nicht. Silvia Blocher: Dieser Meinung bin ich nicht. Im Gegenteil, anstrengender ist es schon, vor allem wenn noch vier Kinder kommen, die natürlich alle auch so viel Energie haben. Aber das macht es noch spannender.

08.10.2003

Pour moi, le Conseil fédéral serait une punition

Interview dans «l'Illustré» du 08 octobre 2003 Interview: Marie-Christine Pasche Pour la première fois, l'UDC a organisé un rassemblement national à Montreux, en Suisse romande. Avez-vous apprécié cette nouveauté ? Christoph Blocher: Oui bien sûr, même si la langue représente un handicap. Comme je parle sans texte écrit, je dois réfléchir aux idées à développer, plus au français, c'est difficile. Mais ce qui m'a surtout frappé, c'est le changement politique intervenu ces dernières années. En 1992, lors du vote sur l'Espace économique européen, on me diabolisait ! Aujourd'hui, même dans la rue, les gens me saluent, m'adressent la parole. Vous sentez-vous plus à l'aise ? Christoph Blocher: Surtout mieux accueilli. Les chauffeurs de taxi par exemple, me reconnaissent, me disent qu'ils aiment l'UDC. Le climat a beaucoup changé. A quoi l'attribuez-vous ? Christoph Blocher: Plusieurs facteurs expliquent cette évolution positive. Premièrement, lorsque la presse et les politiciens adverses exagèrent - et en 1992, c'était vraiment affreux - la population finit par s'en apercevoir et considérer que je suis un citoyen comme les autres, qui défend ses idées et c'est tout. Ensuite, après tous les discours de 1992, qui décrivaient l'Union européenne presque comme un paradis sur terre, les gens ont vu ce qui s'est passé. La Suisse n'a pas rencontré les problèmes prévus par les partisans. En revanche, ils constatent, onze ans plus tard, que l'Union européenne ne fonctionne pas bien. En plus, la Suisse romande doit vivre avec les conséquences des abus sur l'asile. A Genève, c'est même pire qu'à Zurich, car les Africains francophones préfèrent s'installer là où on parle français. Pour toutes ces raisons, les Romands commencent à bouger. En face, les autres partis sont affaiblis. Lorsqu'ils se sentent attaqués sur leurs positions, ils changent d'avis, surtout les radicaux et les démocrates chrétiens. Est-ce parce qu'ils ont peur de vous ? Christoph Blocher: Ils n'ont plus la force de résister aux attaques, de lutter pour leurs idées. Il faut reconnaître qu'ils ne sont pas irréprochables, beaucoup par exemple pratiquent le copinage et présentent donc des points faibles. Lorsque vous les traitez de corrompus, ils sont tout de suite d'accord avec vous. C'est pareil à Zürich avec les radicaux: ils ont privilégié leurs réseaux, le filz comme on dit ici, au lieu des compétences dans de si nombreux dossiers, - Swissair, Rentenanstalt, Crédit Suisse etc - comment voulez-vous qu'ils soient crédibles ? Dans la population, beaucoup pensent que l'UDC lutte encore ouvertement, qu'elle a la force de résister car aussi, elle a moins de copinage à cacher. Quel score espérez-vous atteindre en Suisse romande aux élections fédérales ? Christoph Blocher: Si on obtient 10%, ce sera un bon chiffre pour commencer. Ces dernières années, l'UDC a beaucoup augmenté son succès dans les villes. Cela signifie-t-il que les gens des villes se rapprochent de ceux de la campagne ? Christoph Blocher: Oui, car ils ne souhaitent pas non plus que la Suisse entre dans l'UE, il en ont assez de payer toujours davantage pour leurs primes-maladie et surtout, ils vivent quotidiennement avec les conséquences des problèmes liés à la politique d'asile. En outre les socialistes, surtout à Zurich, ne sont plus les représentants des employés de l'industrie privée, mais ceux des intellectuels, des employés du tertiaire et surtout, des fonctionnaires. Ils ne sont plus capables de soutenir les personnes qui veulent des entreprises fortes pour donner du travail. Beaucoup d'ouvriers nous ont donc rejoints. Pensez-vous que votre force est de n'avoir pas dévié dans votre discours depuis 25 ans? Christoph Blocher: Nous n'avons évidemment pas toujours été confrontés aux mêmes problèmes. Mais les positions fondamentales sont restées les mêmes: défendre la souveraineté et la neutralité de la Suisse. Sans oublier la politique envers les étrangers ? Christoph Blocher: Nous la dénonçons depuis déjà 15 ans, surtout les abus de l'asile et la présence de clandestins. Nous n'avons rien contre les étrangers qui vivent en Suisse avec un contrat de travail et un permis. Vraiment ? N'étiez-vous pas opposé à la libre circulation des personnes au sein de l'UE, qui ne concerne justement que les étrangers avec un contrat de travail ? Christoph Blocher: J'aurais préféré que l'on garde l'ancien système d'octroi de permis. Nous ne nous sommes jamais opposés à la venue de travailleurs dont le pays a besoin. Mais avec la libre circulation des personnes je suis sûr que le chômage augmente. N'engagez-vous pas d'Européens dans votre entreprise ? Christoph Blocher: Si bien sûr, lorsque trois personnes se présentent pour un poste de chimiste, le chef engagera le meilleur au salaire le plus intéressant, quelle que soit sa nationalité, c'est clair ! On est d'ailleurs obligés d'agir de cette façon puisque la concurrence le fait. Cela dit, le problème le plus grave est posé par les criminels, les trafiquants, et aussi tous ceux qui entrent illégalement en Suisse, et travaillent au noir. Mais alors que diriez-vous aux patrons suisses qui les emploient ? Christoph Blocher: Certes certains employeurs leur donnent du travail. Mais puisqu'ils sont de toute manière ici, on peut aussi considérer que ce n'est pas bon qu'ils restent inoccupés. La question centrale est donc pour vous de ne pas les laisser entrer dans le pays. Christoph Blocher: Oui, la première mesure est d'effectuer un vrai contrôle aux frontières. Voyez l'Autriche: depuis 13 ans, on ne peut traverser la frontière sud que par les routes, le reste du territoire est fermé. Nous devons aussi faire respecter les accords qui stipulent qu'un requérant doit rester dans le pays tiers qu'il a traversé, où il n'est pas menacé. Au lieu d'établir de nouvelles règles, comme vous le proposez dans votre nouvelle initiative sur l'asile, ne serait-il pas suffisant d'appliquer les lois existantes ? Christoph Blocher: Plus ou moins. Je crois qu'il est absolument indispensable d'imiter l'Allemagne, qui a réduit de moitié le soutien financier aux immigrants. Cela permettrait de réduire l'attractivité de notre pays. Et pour résoudre ces questions liées à l'asile, ne pensez-vous pas qu'il serait plus efficace de collaborer avec l'UE ? Christoph Blocher: Je n'ai rien contre une collaboration qu'on peut d'ailleurs avoir aujourd'hui. Si la Suisse veut signer l'accord de Dublin sur l'asile, si cela ne va pas plus loin qu'une coordination renforcée entre Etats, je ne m'y opposerai pas. Mais attention, ce n'est pas Schengen, qui signifierait la disparition de tout contrôle à la frontière ! En tant que chef d'entreprise, ne partagez-vous pas l'idée que notre croissance stagne depuis quelques années car la Suisse n'est pas membre de l'UE ? Christoph Blocher: Non, non il y a d'autres raisons. La première c'est que la Suisse a augmenté les dépenses publiques ces derniers dix ans plus que tous les autres pays industriels au monde. On le sait, l'Etat retire beaucoup d'argent aux entreprises et aux privés par le biais de l'impôt, donc chacun a moins pour consommer. Même comme ça, la dette publique est gigantesque, alors comment faire ? Christoph Blocher: Les deux phénomènes sont liés car lorsqu'on a trop d'argent, on a tendance à le dépenser sans trop y regarder et on en fait des bêtises. J'en veux pour preuve les 2 milliards et demi pour Swiss. Autre exemple, le tourisme. C'est idiot d'avoir distribué de l'argent public à ce secteur. Ainsi on soutient les faibles, ceux qui n'ont pas de succès et du même coup on désavantage les entreprises fortes qui conduisent bien leurs affaires. Résultat, ces dernières s'affaiblissent à leur tour. On peut évoquer mille domaines où Berne a dilapidé l'argent public comme Expo 02, les 100 millions destinés à connecter les écoles à Internet ou l'aide à la création de crèches et de garderies, alors que c'est un devoir des cantons et des communes. A quoi ressemble votre Suisse idéale ? Une Suisse toute seule, qui arrive à se battre avec le monde entier ? Christoph Blocher: Pour moi c'est tout simple. Il faut conserver la recette qui a fait notre succès. Rester un état souverain qui veut décider seul de son destin, mais aussi entretenir de bonnes relations avec tous les pays du monde, qui sont plus ou moins nos amis. Pour garder notre pouvoir de décision, nous ne voulons entrer dans aucune grande organisation internationale et nous tenons à rester neutres. Ne pensez-vous pas qu'un jour, nos partenaires en auront assez de ce petit pays qui veut les avantages et jamais les inconvénients de ces relations avec l'extérieur ? Christoph Blocher: Non, je n'ai pas peur de ça, d'abord parce qu'ils ont aussi besoin de nous. La Suisse est tout de même le deuxième client de l'UE, et un client qui a les moyens de payer ce qu'il achète, contrairement à beaucoup d'autres ! Depuis 700 ans, lorsque nous avons un conflit avec un autre pays, nous négocions un arrangement. Continuons, sans jamais donner la compétence à qui que ce soit de décider à notre place. N'avez-vous pas l'impression qu'à l'UDC tout repose sur votre personne ? Christoph Blocher: Peut-être il y a dix ans mais plus aujourd'hui. Nous pouvons compter sur une relève intelligente et très engagée. Vous voyez donc arriver votre retraite avec sérénité ? Christoph Blocher: Elle n'est pas encore fixée mais ce ne sont pas mes dernières élections fédérales. Etes-vous tenté par le Conseil fédéral ? Christoph Blocher: J'ai toujours dit qu'on ne peut pas s'opposer fortement à la politique gouvernementale pendant des années et refuser d'y travailler le jour où on vous le demande. Etes-vous conscient que vous ne pourrez plus parler, critiquer avec la même liberté ? Christoph Blocher: Bien sûr, mon influence est bien plus importante en-dehors du Conseil fédéral. Mais on ne peut pas toujours faire de l'opposition et dire non lorsqu'on vient vous chercher. En fait je ne crois pas que ce sera le cas. Vous savez, pour moi, le Conseil fédéral serait une punition car je ne suis pas un homme d'administration. Je préfère le travail dans le terrain, lancer des idées et en débattre.

02.10.2003

BR-Wahlen 2003: Geschichte der Schweizerischen Volkspartei

Die Geschichte der Schweizerischen Volkspartei Gründungstag der Schweizerischen Volkspartei SVP ist der 22. September 1971 (Konstituierung: 18. Dezember 1971). Hinter diesem "jungen" Datum liegt eine respektable Parteigeschichte, handelt es sich doch bei der SVP um einen Zusammenschluss zweier traditionsreicher Parteien: der Schweizerischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) und der Demokratischen Parteien der Kantone Glarus und Graubünden Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei Die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) wurde am 23. Dezember 1936 als gesamtschweizerische Partei gegründet (Konstituierung: 30. Januar 1937). Im Kanton Zürich jedoch bestand bereits seit 1917 eine Bauernpartei, und im Kanton Bern erfolgte die Gründung der Partei im Jahre 1918. Die Anstösse zur Gründung einer Bauernpartei waren zugleich wirtschaftlicher und politischer Natur: Einerseits war es der wirtschaftspolitische Gegensatz zwischen Bauern und Unternehmern innerhalb der Freisinnigen Partei und andererseits die Untervertretung der Landwirte in dieser Partei. Aber auch der Vormarsch der Sozialisten und die Überzeugung jüngerer Bauernpolitiker, der Freisinn trete zu wenig energisch gegen sozialistische, aber auch antimilitaristische und internationalistische Tendenzen auf, spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Gründung der Bauern- und Bürgerpartei. Im Jahre 1921 stiessen der Gewerbeflügel und die alten Liberal-konservativen des Kantons Bern dazu. Die Gründung der eigentlichen schweizerischen Partei erfolgte aufgrund einer Existenzkrise, hervorgerufen durch die sogenannte "Jungbauernbewegung". Die BGB, welche ursprünglich als Oppositionspartei gegen den vorherrschenden Freisinn entstanden ist, wurde 1929 Bundesratspartei. Ihr erster Vertreter in der Landesregierung war der legendäre Berner Rudolf Minger. Er wurde 1881 in Mülchi im Limpachtal geboren und wuchs im väterlichen Bauernbetrieb auf. Seine politische Karriere begann nicht in einer Partei. Als Plattform diente ihm viel mehr die landwirtschaftliche Genossenschaft von Schüpfen, in der er 1909 den Vorsitz hatte. Kurze Zeit später - 1911 - wurde er in den Vorstand des bernischen Genossenschaftsverbandes gewählt. Öfters wurde er als Redner herangezogen. Eine seiner Hauptforderungen war es dabei, dass die landwirtschaftlichen Genossenschaften auch im Bernbiet das sogenannte Konsumgeschäft (Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarf führen) aufnehmen sollten. Zu diesem Zeitpunkt wagte Minger den Schritt von wirtschaftlichen Themen ins Gebiet der Parteipolitik noch nicht. Vielmehr erwartete er Besserung von einer energischen Interessenvertretung durch die grossen bernischen landwirtschaftlichen Verbände. Am 24. November 1917 fand im Bierhübeli in Bern die Delegiertenversammlung des bernischen Genossenschaftsverbandes statt. An diesem Anlass nutzte Minger die Gunst der Stunde und "schlug dem Fass den Spunten aus" wie er selber sagte - trotz den väterlichen Mahnungen zu Vorsicht und Zurückhaltung vom damaligen Parteipräsidenten Johann Jenny. Minger rief auf zu politischer Neuordnung, zur Unterstützung des Proporzes und zur Gründung einer selbständigen Bauernpartei. Mingers "Bierhübeli"-Rede brachte die Dinge in Fluss und leitete die Entwicklung ein, die schliesslich zur Parteigründung führte. Seit der Wahl 1929 von Rudolf Minger in den Bundesrat war die BGB ununterbrochen in der Landesregierung vertreten. Die BGB war in den Kantonen Aargau, Baselland, Bern, Freiburg, Schaffhausen, Tessin, Thurgau, Waadt und Zürich vertreten und stellte im eidgenössischen Parlament zur Zeit des Zusammenschlusses 1936 21 National- und 3 Ständeräte. Die ehemalige Demokratische Partei Die Gründung der Demokratischen Partei der Schweiz erfolgte im Kriegsjahr 1942, als sich mehrere zum Teil schon lange bestehende Kantonalparteien zu einem schweizerischen politischen Verband zusammenschlossen. Dabei spielte die Demokratische Partei des Kantons Zürich in Kanton und Bund eine bedeutende Rolle. Bis 1941 war sie Mitglied der Freisinnigen Partei, der sie sich im Sommer 1971 wieder angeschlossen hat. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstand die Demokratische und Arbeiterpartei des Kantons Glarus. Auch die nach dem Ersten Weltkrieg in Graubünden gegründete Demokratische Partei war aus dem Freisinn hervorgegangen. Nach dem Herkommen der Mitglieder beurteilt, waren die Demokraten in Graubünden und Glarus vorwiegend eine Partei der Kleinbauern, Angestellten und freien Berufen. Im eidgenössischen Parlament waren die Demokraten der Kantone Graubünden und Glarus mit je zwei National- und Ständeräten vertreten. Zusammen mit dem demokratischen Zürcher Nationalrat bildeten sie gemeinsam mit den drei Nationalräten der EVP bis zum Ende der Legislaturperiode 1967 - 1971 eine Fraktion. Die Vereinigung Gründe zur Vereinigung zwischen BGB, Bündner und Glarner Demokraten gab es viele. Im Vordergrund stand die Basisverbreitung und damit die Verstärkung der Parteien, die umso notwendiger erschien, als die Politik je länger desto mehr eidgenössisch geprägt war. Mitbestimmend war aber auch der Versuch, der ständig zunehmenden Zersplitterung der Parteien entgegenzuwirken. So schlossen sich 1971 BGB, Bündner und Glarner Demokraten zusammen. Die kleinste Bundesratspartei nannte sich fortan Schweizerische Volkspartei (SVP). Wenn auch die Politik und nicht der Name das Profil einer Partei bestimmen, so kündete die Namensänderung doch den Aufbruch in neue Zeiten an. Waren die ehemaligen BGB-Politiker wie auch die Demokraten ausgesprochene Vertreter von beruflichen Interessengruppen (Landwirtschaft, Gewerbe, freie Berufe), so weitete sich der Blick der SVP. Mit dem Begriff Volkspartei hielt die SVP aber auch an den heute tragenden politischen Säulen aus dem Kreise der Landwirtschaft und des Gewerbes fest und bringt damit zum Ausdruck, dass die Arbeitnehmer und weitere Bevölkerungskreise als gleichberechtigte und gleichwertige Kraft den Parteikurs mitbestimmen. Erneut dokumentiert wurde dieser Anlauf zur Verbreiterung der Basis im Jahre 1977, als eine Arbeitsgruppe unter dem damaligen Parteipräsidenten Dr. Fritz Hofmann einen Bericht über die Reorganisation und die Öffnung der Partei vorstellte. In einer Serie von vielbeachteten Programmparteitagen in den Jahren 1977 und 1978 gab sich die SVP ein neues und modernes Grundsatzprogramm. Die Schweizerische Volkspartei heute Der Aufbau der SVP entspricht der föderalistischen Struktur unseres Landes. Die Schweiz kennt drei politische Ebenen: Bund, Kantone und Gemeinden. Entsprechend hat die SVP auch eine gesamtschweizerische Partei, als Dach der sogenannten Kantonalparteien angeschlossen sind. Diese Kantonalparteien wiederum setzen sich aus den einzelnen Parteisektionen in den Gemeinden zusammen. Die Mitglieder Die Schweizerische Volkspartei (SVP) verfügt gesamtschweizerisch über rund 80'000 Mitglieder. Etwa ein Fünftel davon stammt aus der Land- und Forstwirtschaft, ein weiterer Fünftel aus den freien Berufen (Gewerbe, Ärzte, Juristen etc.). Die restlichen drei Fünftel der Mitglieder sind zu den Arbeitnehmern (Angestellte, Arbeiter, Beamte, Lehrer etc.) zu zählen. Die SVP verfügt damit im Vergleich zu allen übrigen Parteien über die wohl breiteste und ausgewogenste Zusammensetzung der Basis. Die Analysen der eidgenössischen Wahlen von 1999 haben gezeigt, dass die Vertreter der SVP von Leuten aus allen gesellschaftlichen Schichten gewählt werden. Am stärksten ist die SVP in der deutschsprachigen Schweiz, in den Landregionen sowie bei Selb-ständigerwerbenden vertreten. Ein überaus starkes Wählersegment stellen die jüngeren Generationen. Mit Toni Brunner stellt die SVP auch den jüngsten Nationalrat. Die SVP kann somit durchaus als echte, moderne Volkspartei bezeichnet werden. Heute ist die SVP in allen vier Sprachregionen unseres Landes vertreten und dies in allen 26 Kantonen.

30.09.2003

Letztlich traut er nur einem – sich selbst

Artikel im "Tagesanzeiger" vom 30. Septemberl 2003 Christoph Blocher bestreitet seinen siebten nationalen Wahlkampf. Warum der SVP-Tribun kaum noch zu schlagen ist. Und was ihn diesmal antreibt. Von Matthias Baer Er könnte zufrieden sein. Doch Christoph Blocher wirkt skeptisch, fast misstrauisch, wie er an diesem Septembervormittag an einem überdimensionierten Konferenztisch sitzt - in seiner Villa ob Herrliberg, aus der er auch die Ems-Chemie dirigiert. "Es kann alles wieder ändern, der Erfolg ist nie sicher." Auf die Freisinnigen, die ihm immer braver hinterhertrotten, baut er nicht. Vielleicht, argwöhnt er, haben diese "ihren Kurs bloss aus Opportunismus korrigiert". Auch seiner eigenen Partei traut er nicht hundertprozentig. "Nehmen wir einmal an, wir verlören im Herbst die Wahlen. Dann würden viele Parteikollegen sagen, der Blocher-Kurs sei gescheitert, und sie würden zu wackeln beginnen." Schon jetzt sorgt er sich über die vielen Mitläufer, die er "sehr genau" beobachten will. "Wären wir nicht erfolgreich, wären die nicht bei uns." Es tönt fast drohend. Gewiss, ein Paranoiker ist er nicht, der bald 63-Jährige, der als Alterspräsident die nächste Parlamentslegislatur eröffnen wird. Er registriert genau, wie perfekt es in diesem Wahlkampf für seine Partei läuft. So selbstbewusst sind die Volksparteiler inzwischen, dass sie - trotz einiger Ausreisser unter die Gürtellinie - weniger aggressiv werben als früher. In ihrer aktuellen Broschüre lassen sich die Zürcher Kandidaten wie Staatsmänner porträtieren. "Der Regierende hat einen anderen Stil als der Oppositionelle", sagt Blocher, "wir zeigen, dass wir uns auch in Bundesbern stärker an der Macht beteiligen können." Der vom Volk Erwählte Doch trotz - oder vielleicht gerade wegen - dieses Rückenwindes traut Blocher nur sich selbst. Und seinem Rückhalt in der Bevölkerung. Hier, bei den "kleinen Leuten, die mich gerne haben", schöpft er seine Kraft. "Das Volk ist seine Drohmacht", sagt der Politologe Hans Hirter, "damit schüchtert er seine Gegner ein." Blocher selbst reiht sich unbescheiden in die Aussenseiter der Schweizer Geschichte ein. Er verweist auf General Guisan, der die Nationalsozialisten weit entschiedener bekämpfte, als dies der schwankende Bundesrat tat. "In Notsituationen nahmen in diesem Land immer Leute aus dem Volk das Heft in die Hand", sagt er: "Die Bürger suchen sich Leute aus, denen sie vertrauen." An SVP-Veranstaltungen wird der protestantische Pfarrerssohn denn auch wie ein Erlöser gefeiert. Zum Beispiel bei einem "Puurezmorge" kürzlich in Zürich-Oerlikon. Nach seinem Referat umringen ihn Fans, die sich auf SVP-Prospekte Autogramme kritzeln lassen - darunter auffallend viele Frauen. "Sie müend z Bern usemischte" und "Nume Sie chönd d SVP im Bundesrat verträte", beschwören sie ihn. "Ich weiss", sagt Blocher, "dass ich gewisse Anhänger zu fast allem anstiften könnte. Es ist meine Verantwortung, dies nicht zu tun." Gleich zweimal erwähnt er am "Puurezmorge", dass es in der Schweiz für "wahre Flüchtlinge" Platz haben müsse. Eine Leerformel, gewiss, aber eine, die ihm keinen Applaus einträgt. Als Gegenmacht im Lande versteht sich Blocher durchaus. Nicht umsonst thront seine Villa, mit ihren Terrassen und Kandelabern, wie ein zweites Bundeshaus über dem Zürichsee. Er erzählt von amerikanischen Politologen, die ihn kürzlich besucht haben. "Sie wunderten sich, dass ich weder Präsident noch Minister sei. Denn überall, wo sie hinkämen, sprächen alle nur von diesem Blocher." Er lacht sein spitzbübischstes Lachen. "Die Schweiz ist im Grunde genommen eine Art Anarchie. Die Regierenden sind nicht unbedingt die Einflussreichsten." Eine Ausgangslage, die der Milliardär perfekt zu nutzen weiss. Trotzdem ist Blocher nicht der Anführer einer unterdrückten Mehrheit, wie er sich selbst gerne sieht. Mit dem Nein zum EWR-Beitritt gewann er 1992 zwar eine der wichtigsten Abstimmungen der letzten Jahrzehnte. Doch seit Mitte der Neunzigerjahre verlor er beinahe alle Urnengänge, bei denen die SVP alleine gegen die übrigen Bundesratsparteien antrat - zentral jene über den Uno-Beitritt. Der Basler Historiker Georg Kreis kritisiert: "Wenn Blocher den Volkswillen generell für sich in Anspruch nimmt, geht er mit den Abstimmungsergebnissen manipulativ um." Traum von einer rechten Mehrheit Solche Grenzen seiner Macht ärgern Blocher. Der amtsälteste Nationalrat verliert nur ungern, auch im Bundeshaus. "Wie die meisten Rechtsaussen-Politiker verachtet er das Parlament", vermutet FDP-Nationalrat Franz Steinegger. Und bestimmt widerstrebt ihm ein zentraler Wesenszug der schweizerischen Demokratie: die Politik des Interessensausgleichs und Konsenses. Von einem allfälligen zweiten SVP-Bundesrat fordert er einen harten Rechtskurs: "Er muss damit rechnen, wieder abgewählt zu werden. Ansonsten hat er seine Arbeit nicht richtig gemacht." Ein neues Regierungsmitglied müsste von der Partei "sehr eng" begleitet werden. Das Vorbild ist pikanterweise Ruth Dreifuss, die als Innenministerin fast nur SP-Leute um sich scharte. Was Blocher anstrebt, ist eine rechte Regierungsmehrheit - nicht alleine, das wäre unrealistisch, aber gemeinsam mit einem gleichgeschalteten freisinnigen Juniorpartner. Ob als Minderheit weiterhin zwei Genossen geduldet würden, ist dem Herrliberger egal. "Konkordanz- und Koalitionsregierungen haben Vor- und Nachteile, ich stehe fifty-fifty dazwischen." Entscheidend sind die Mehrheitsverhältnisse. Solange ihm diese aber nicht passen, zieht er sich lieber auf seine Rolle als Volkstribun zurück. "Ich dränge schon deswegen nicht in den Bundesrat", sagt der gescheiterte Anwärter von 1999, "weil ich ausserhalb viel mehr Einfluss habe." Dort, im ausserparlamentarischen Raum, übernimmt er heute eine Funktion, die bis in die Neunzigerjahre hinein die Linke monopolisierte: die radikale Kritik an der Staatsmacht. Blocher zerrt ans Licht, was die Regierung lieber zudecken würde. Und er benützt - ganz im Sinne linker Systemkritik - Einzelprobleme, um die angebliche Morschheit des Ganzen zu beweisen. Etwa wenn er mit dem Zuwachs bei der Invalidenversicherung Stimmung gegen den Wohlfahrtsstaat macht. So sind es heute nicht mehr politisch engagierte Schriftsteller, die Pamphlete gegen die real existierende Schweiz verfassen, sondern der Politiker Blocher polemisiert. Einmal jährlich im Albisgüetli liest er dem Land die Leviten - in einer Rede, für die er jeweils an die zwanzig Entwürfe schreibt. Es könnte durchaus von Blocher stammen, was Peter Bichsel 1969 über die mangelnde eidgenössische Debattenkultur schrieb: "Die Opposition wird nicht einer Irrlehre oder eines Irrtums bezichtigt, sondern der Unanständigkeit. Mit dem Satz: ‹Das gehört sich nicht› richtet man gegen sie mehr aus als mit Argumenten." Geisselte Bichsel einst die Ausgrenzung der Linken, wettert Blocher heute gegen den Moralismus der Anti-SVP-Front. Natürlich wird dieses Land nicht von "Sozialisten" regiert, wie Blocher suggeriert - das zeigen schon die sozialpolitischen Rückschritte der ablaufenden Legislatur. Unbestreitbar aber ist, dass die Medien linksliberale Positionen freundlicher kommentieren als jene der SVP. Und ebenso stimmt, dass die Presse pfleglich mit dem Bundesrat umgeht - nicht, weil die Journalisten die Regierung über alles schätzten, sondern, weil sie nicht der SVP nützen wollen. Demokratiepolitisch dürfte dies die gravierendste Folge des EWR-Showdowns sein. Die damaligen Verlierer, Bundesrat und Medien, halten seither gegen den damaligen Sieger zusammen. "Wir überlassen Blocher das Monopol, heikle Seiten des multikulturellen Wohlfahrtsstaates aufzuzeigen", ärgert sich Franz Steinegger. Diese Funktion verleiht Blocher hohe Glaubwürdigkeit, obwohl er selten solide Gegenkonzepte liefert und bei seinen Kampagnen bisweilen grobe Schnitzer macht. Weil dies aber zur Opposition gehört - da waren auch die Marxisten der Siebzigerjahre keine Ausnahme -, schadet es Blocher nicht. Vielleicht ist gerade dies das Bemerkenswerteste an der Karriere des SVP-Politikers, dass ihm heute kaum noch etwas gefährlich werden kann. Nicht nur die finanziellen Mittel nützen ihm. Unschlagbare Vorteile Die Geschlossenheit: In den letzten zwanzig Jahren hat Blocher erst die Zürcher, dann die eidgenössische Partei angetrieben, ihre Programmatik auszudiskutieren. "Das provozierte Streit, dafür haben wir heute eine klare Position." Nämlich: Weniger EU, weniger Ausländer und weniger Staat. Flügelkämpfe liefert sich die SVP einzig in der Agrarpolitik. "Hier brauchen wir eine Klärung", sagt Blocher. Der Pragmatismus: So sperrig sich der Herrliberger in seinen Kernforderungen gibt, so flexibel agiert er in vielen anderen Fragen. Damit vermindert er Angriffsflächen, etwa beim Service public. Der Staat, so Blocher, müsse die Grundversorgung zwar nicht selbst erbringen, aber garantieren. Es würde ihn auch nicht stören, wenn sich seine Basis für die linke Post-Initiative ausspräche, die in jedem Dorf eine Poststelle erhalten will. "Die absolut ideologische Position - alles privatisieren - teile ich überhaupt nicht." Weniger stur als viele seiner Parteikollegen sei Blocher auch in der Ausländer- und Asylpolitik, urteilt SP-Nationalrat Rudolf Strahm. "In seinem Innersten ist er kein Xenophob. Das Schüren der Ausländerfeindlichkeit dient ihm zur Machtvermehrung." Das Handwerk: Blocher beherrscht das politische Metier wie wenige andere. Er spürt brisante Themen auf, weiss sie rechtskonservativ zu analysieren und mit einem Paukenschlag zu lancieren. Im politischen Schlagabtausch blüht er auf, wobei er weit lieber gegen Franco Cavalli oder Jean Ziegler antritt als gegen einen konturlosen Mittepolitiker. Bei all diesen Einsätzen kann er von seiner Erfahrung zehren. "Mit dem Alter wird man zwar körperlich schwächer, dafür macht man alles viel schneller." Auch wenn SVP-Präsident Ueli Maurer sagt, Blocher sei für die Partei "heute nicht mehr so wichtig wie früher", ist er doch das alle überragende Animal politique. Freund und Feind wird er auch noch eine Weile erhalten bleiben. "Im Nationalrat höre ich 2027 auf. Dann bin ich genauso alt wie Adenauer, als er ging." Er meint es nicht nur im Spass. Der Patron: Anders als vielen freisinnigen Managern schadeten die Wirtschaftsskandale der vergangenen Monate Blochers Ansehen kaum. Zwar entlässt auch er Angestellte und streicht gleichzeitig Gewinne ein, doch gelingt es den Gewerkschaften nicht, dies zu skandalisieren. Er wirkt wie ein Patron, nicht wie ein kaltblütiger Unternehmer. Nicht einmal die Geschäfte mit dem gescheiterten Financier Martin Ebner belasten ihn. Erstens habe er die Beziehungen zu Ebner nie bestritten, ein Fehler, den Politiker häufig begingen. Zweitens sei Ebner bei den Kleinanlegern gar nicht so verpönt: "Er wird eher als tragischer Held gesehen." Der Dorfkönig: Sein Reichtum wird Blocher kaum je vorgehalten, diesem "Dorfkönig von helvetischem Format" (Georg Kreis). Ohne mit der Wimper zu zucken, bezahlt er in seiner Herrliberger Stammbeiz mit einer 1000er-Note. FDP-Ständerat Hans-Rudolf Merz sagt: "Wenn ich mich so wie er in einem Mercedes herumchauffieren lassen würde, wäre ich politisch erledigt." Blocher, der es vom Bauernlehrling zum Milliardär geschafft hat, lässt man es durchgehen - vielleicht, weil er sich immer noch wie ein Bauer gebärdet. Der Privatmann: Von Blocher sind keine Skandälchen zu berichten. Anders als rechtspopulistische Führer wie Le Pen oder Haider scheint er eine geerdete Persönlichkeit zu sein. Wenn er will, versprüht er Charme und Witz. Nicht einmal sein traditionelles Frauenbild kommt ihm im persönlichen Umgang in die Quere. "Auf dieser Ebene fühlte ich mich immer respektiert", sagt die ehemalige SVP-Generalsekretärin Myrtha Welti, die vor drei Jahren aus der Partei ausgetreten ist. Warum bloss diese Skepsis? So läuft für den SVP-Politiker alles bestens. "Der Wind im Land weht immer stärker von rechts, was auf Kosten der Solidarität geht", bestätigt Georg Kreis. Warum denn diese Skepsis in Blochers Gesicht? Im Rat oder im Fernsehen tritt er gelegentlich fahrig auf - als sei er es überdrüssig, stets das Gleiche zu sagen. "In den Sitzungen der Wirtschaftskommission", erzählt ein Nationalrat, "schwatzt es manchmal nur noch mit ihm, ziemlich autoritär." Plagt ihn die Erfolglosigkeit an den Urnen, wo er nur noch Beinahe-Mehrheiten schafft? "Für die parteiinterne Motivation", sagt der Winterthurer SVP-Nationalrat Jürg Stahl, "brauchen wir wieder einmal einen Abstimmungssieg." Oder realisiert er, dass der Aufstieg seiner SVP die bürgerlichen Koalitionspartner schwächte, während die SP stetig zulegte? Er überlege sich oft, sagt Blocher, ob er mit einem konzilianteren Stil mehr erreicht hätte. "Seit der EWR-Abstimmung kam zwar die Partei voran, nicht aber die Schweiz. Der Bundesrat hielt am EU-Beitritt fest, wir kämpften dagegen an - dies hat das Land in vielen innenpolitischen Fragen blockiert." Selbstverständlich gelangt er sogleich zur Einsicht, er habe richtig gehandelt, anders wäre es nicht gegangen. Trotzdem erstaunt dieses Fragende an einem, der sonst auf alles eine rechte Antwort hat. Nichts scheint ihm gesichert, auch nicht die Zukunft seiner SVP, wenn er dereinst abtritt. "Ich habe nie behauptet, diese Partei existiere ewig. Vielleicht kommen später andere Leute in anderen Parteien, oder es gibt eine neue Partei, die meine Anliegen vertritt." Blochers Redetricks Zürich. - "Eigentlich macht Blocher beim Reden alles falsch", sagt SVP-Chef Ueli Maurer, "er verhaspelt sich, nestelt an seinem Veston herum." Blocher selbst hat jedes Mal Lampenfieber: "Wenn ich nach vorne gehe, tragen mich manchmal meine eigenen Beine kaum." Wenn er aber zu reden beginnt, fesselt er seine Klientel. "Das Wichtigste", sagt Blocher, "ist nicht der Mund, sondern sind die Augen. Ich schaue die Leute an und merke sofort, ob meine Worte ankommen oder langweilen." Blocher liest selten ab, sondern hat bloss einen Zettel mit dem Titel der Veranstaltung vor sich. Zudem benützt er eine einfache, bildhafte Sprache, was er jahrelang vor seinen vier Kindern eingeübt hat. "Als sie noch klein waren, trug ich ihnen meine Reden vor, und sie mussten aufstrecken, wenn sie etwas nicht begriffen hatten." Dies sei meist dann der Fall gewesen, wenn er eine Sache nicht präzis genug durchdacht hatte. "Nur wer etwas im Kern begriffen hat, kann es einfach darstellen." Ein brillanter Redner sei er nicht, sagt Blocher selber, doch beschäftige er sich ständig mit der Materie. Dass eine einfache Sprache Differenzierungen erschwert, streitet er nicht ab. "Als Parteipolitiker darf ich parteiisch sein: Ich bin ja kein Richter, sondern ein Fürsprecher. Wenn ich zum Entscheid gelangt bin, dass 60 Prozent für eine Position sprechen, vertrete ich sie - zu 100 Prozent." (bae)

29.09.2003

Die Regierungen in der Schweiz sind konstant, aber sie sind nicht stark

Streitgespräch zwischen Christoph Blocher (SVP) und Franz Steinegger (FDP) in der "Aargauer Zeitung" vom 29. September 2003 Einst Juniorpartnerin der bürgerlichen Parteien, ist die SVP zur wichtigsten Kraft im bürgerlichen Lager geworden. Nach den Wahlen vom 19. Oktober dürfte sich die SVP auch in der Westschweiz etabliert haben. Wandelt sich die SVP von der Oppositions- zur Regierungspartei? Ein Gespräch zwischen Christoph Blocher (SVP) und Franz Steinegger (FDP). MARKUS GISLER, SYBILLE OETLIKER, BERNARD WüTHRICH Herr Steinegger, viele langjährige Parlamentsmitglieder sähen es gerne, wenn Sie Nachfolger von Bundesrat Villiger würden. Und Sie, Herr Blocher, sind doch eigentlich der beste Bundesratskandidat der SVP, wenn die Partei einen zweiten Regierungssitz will. Sie könnten also beide ab Januar Kollegen in der neu gewählten Regierung sein. Franz Steinegger: Ich habe keine Berührungsängste zu Herrn Blocher. Er ist einer meiner liebsten politischen Gegner. Mit ihm ist es interessant, sich zu streiten. Er hat klare Positionen, mit denen man sich auseinander setzen kann. Sind Sie Kandidat für den Bundesrat, Herr Blocher? Christoph Blocher: Nein. 1999 stellten Sie die Wiederwahl von Ruth Dreifuss mit Ihrer Kandidatur in frage. Blocher: Die Ausgangslage war derart aussichtslos, dass ich es mir leisten konnte, zu kandidieren. Ansonsten halte ich an meiner Aussage fest: Sollte mich das Parlament in den Bundesrat wählen, würde ich die Wahl annehmen. Sie, Herr Steinegger, bleiben dabei, dass Sie sich erst nach den Wahlen entscheiden, ob Sie für die Nachfolge von Kaspar Villiger zur Verfügung stehen? Steinegger: Ja. Die SVP, Herr Blocher, stellt immer wieder die beiden SP-Sitze im Bundesrat in frage. Wäre Ihnen eine rein bürgerliche Regierung lieber? Blocher: Die SVP steht für die Konkordanz ein. Das heisst, für eine Regierungsformel, in der die drei grössten Parteien zwei Sitze haben und die kleinste einen. Solange wir noch die kleinste Partei waren, haben wir diese Regel auch anerkannt. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, vor 1999 einen zweiten Sitz in der Regierung zu fordern. Nach unserem Wahlerfolg vor vier Jahren mussten wir aber unseren Anspruch auf einen zweiten Sitz im Bundesrat anmelden. Die anderen Parteien haben dies abgelehnt. Sie wollten der kleinsten Partei zwei Sitze geben. Also galt die politische Wahl, das heisst für die SVP gegen die SP anzutreten. Sie ist unsere politische Gegenspielerin. Die anderen Parteien haben Sie in die Opposition getrieben? Blocher: Natürlich. Steinegger: Ausschlaggebend für den Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat ist die Frage der Repräsentanz und nicht der Wähleranteil im Nationalrat. Es kommt auf die Stärke einer Partei in der Bundesversammlung an. In dieser Gesamtbetrachtung aber fällt die SVP nicht wesentlich stärker ins Gewicht als die CVP. Und deshalb hat es sich bislang nicht aufgedrängt, der SVP einen zweiten Sitz zu gewähren. Kommt dazu, dass die SVP bislang in der Westschweiz kaum Fuss fassen konnte. Das wird nach den Wahlen anders sein? Steinegger: Ich bin nicht Prophet und weiss nicht, wie das Wahlergebnis vom Oktober aussehen wird. Im Dezember könnte sich aber eine interessante Konstellation ergeben. Gegen einen zweiten SVP-Sitz bereits dieses Jahr spricht allerdings die Erfahrung, dass das Parlament in der Schweiz nicht gerne bestehende Regierungsmitglieder abwählt. Grundsätzlich sollte aber die Stärke in der Bundesversammlung massgebend sein. Die SVP hat als Oppositionspartei ihre grössten Erfolge verbucht. Was würde ein zweiter Sitz im Bundesrat für Sie bedeuten, Herr Blocher? Blocher: Nochmals, die SVP hat die Oppositionsrolle nicht gesucht. Sie wurde ihr von den anderen Parteien aufgezwungen. Bei der letzten Wahl eines SVP-Bundesrates hat nicht einmal der von uns favorisierte Kandidat gewonnen. Stattdessen wählte das Parlament mit Samuel Schmid jemanden, der in zentralen Fragen - Asyl, Verwendung des Nationalbankgoldes, Auslandeinsätze der Armee - eine andere Position vertritt als die Partei. Hätten wir einen zweiten Sitz in der Regierung und Mitglieder, die voll und ganz unser Gedankengut einbringen, käme es im Bundesrat wahrscheinlich öfter zu Kompromissen, welche die SVP mittragen könnte. Steinegger: Es stimmt nicht ganz, dass die SVP erst seit 1999 in der Opposition ist. Diese Rolle nimmt Ihre Partei schon länger wahr, Herr Blocher. Nämlich seit Beginn der 90er-Jahre. Entzündet hat sich der Konflikt vor allem an der Europa-Frage. Ich halte es für äusserst problematisch, im Bundesrat zu sein und gleichzeitig Fundamental-Opposition zu machen. Ich muss allerdings der SVP eines zugute halten: Nach der Ablehnung des EWR haben die Unterlegenen, allen voran der Bundesrat, die "Sieger" nicht korrekt behandelt. Üblicherweise setzt sich die Regierung nach Ablehnung einer Vorlage an einen Tisch mit den Gewinnern, um zu diskutieren, was weiter geschehen soll. Das wurde 1992 nicht gemacht. Im Gegenteil. Der Bundesrat hat sein EU-Beitrittsziel weiterverfolgt und die bilateralen Verhandlungen aufgenommen. Das hatte dann zur Folge, dass die SVP auf Oppositionskurs fahren konnte. Was hätte denn der Bundesrat anders machen sollen? Steinegger: Man hätte den EU-Beitritt wirklich in den Hintergrund stellen müssen und die Gegner des EWR bei den Verhandlungen zu den Bilateralen zwingen müssen, Farbe zu bekennen. Es gab nie ein echtes Gespräch zwischen Bundesrat und Siegern der EWR-Abstimmung. Blocher: Es ging beim EWR um eine ganz wesentliche Weichenstellung für die Schweiz. Der Bundesrat interpretierte ja den EWR auch nicht als irgendein Freihandelsabkommen. Adolf Ogi sprach damals vom "Trainingslager" für einen späteren EU-Beitritt, Nationalrätin Vreni Spoerri von einer "Verlobung" mit der EU. So wurde die EWR- de facto zur EU-Abstimmung. Kam noch dazu, dass der Bundesrat kurz vor der Abstimmung noch das Beitrittsgesuch in Brüssel deponiert hat. Ein fataler politischer Fehler? Steinegger: Ja. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, Herr Blocher, dass Sie im Frühjahr 1992 noch gar nicht so sicher waren, ob Sie den EWR-Beitritt wirklich ablehnen wollten. Sie waren damals erst dezidiert gegen einen EU-Beitrittt der Schweiz. Erst als der Bundesrat am 18. Mai 1992 das EU-Beitrittsgesuch einreichte, wurden Sie zum klaren EWR-Gegner. Blocher: Ich gebe ohne weiteres zu, dass ich an jenem Abend mit Otto Fischer zusammen eine gute Flasche Wein getrunken habe. Ich muss aber auch sagen: Dieser Entscheid des Bundesrates war wenigstens konsequent. Zum EWR: Leider haben der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlamentes innerlich das Volksnein zum EWR nie akzeptiert. Man sprach von einem schwarzen Tag, einem Fehler und schlimmer noch, die Regierung hat auch später das Volksverdikt nie richtig zur Kenntnis genommen. Die EU-Frage wurde auch im Bundesrat nie richtig ausdiskutiert, weil er sich seit langem in der Frage uneinig ist. Dies hat die Schweiz während zehn Jahren blockiert. Jede aussenpolitische Handlung - Bilaterale, Luftverkehrsvertrag etc. - steht seither unter dem Generalverdacht, die Regierung tue es nur, um später der EU beizutreten. Steinegger: Fakt ist, dass die SVP dank der Europa-Debatte ihren erfolgreichen Oppositionskurs fahren konnte. Blocher: Wir sind auch wegen Steuer- und Asyl-Fragen in die Opposition geraten. Doch unsere Kritik wird nie ernst genommen, obschon wir jedesmal knapp die Hälfte des Volkes hinter uns wissen. Hat das Nein zum EWR die Schweiz aussenpolitisch nicht isoliert? Blocher: Aussen- und wirtschaftspolitisch hat die Schweiz weiterhin eine starke Stellung. Beim EWR wurde damit gedroht, ein Nein sei der wirtschaftliche Niedergang der Schweiz. Tatsache ist heute: bei allen Wirtschaftsindikatoren ausser beim Wachstum weist die Schweiz im europäischen Vergleich Spitzenwerte auf. Das Wachstum in der Schweiz wurde nicht erhöht, weil in den letzten zehn Jahren die Politiker die Staats- und Steuerquote mehr als die anderen Länder erhöht haben. Stets gegen den erbitterten Widerstand der SVP! Selbst Bundesrat Villiger hat kürzlich vorgerechnet, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Prozent rund 12 000 Arbeitsplätze kostet. Herr Steinegger was ist Ihre Bilanz zum EWR-Nein? Steinegger. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass dies ein Fehler war. Der EWR war eine vernünftige Lösung; andere Länder - Norwegen, Liechtenstein, Island - leben gut damit und wurden nicht von der EU vereinnahmt. Die bilateralen Verträge waren institutionell und finanziell zweifellos teurer für die Schweiz, als es der EWR gewesen wäre. Wir sind darauf angewiesen, klare Spielregeln mit der EU zu haben. Im Moment ist es der Bilateralismus. Soll die Schweiz sich dem Schengen- und Dublin-Abkommen der EU anschliessen? Steinegger: Die Frage lässt sich so derzeit nicht beantworten. Ich stelle lediglich fest, dass über diese Punkte zwischen der EU und der Schweiz diskutiert wird. Ich bin nicht genau im Bild über den Verhandlungsstand und frage mich gelegentlich, wer überhaupt dar-über im Bild ist. Ich fände es dringend nötig, dass Parteien und Fraktionen sich jetzt genau ins Bild setzen, um zu prüfen, ob sie dereinst das Verhandlungsergebnis mittragen werden oder nicht. Es muss unbedingt vermieden werden, dass der Bundesrat ein fertiges Verhandlungsergebnis präsentiert, das dann von den Parteien abgelehnt wird. Das wäre für die Schweiz sehr schlecht. Grundsätzlich könnten Sie sich ein Mitmachen der Schweiz bei Schengen und Dublin vorstellen? Steinegger: Ich glaube, dass es für die Schweiz wichtig ist, bei Dublin mitzumachen. Das Asylproblem kann heute kein europäisches Land mehr im Alleingang lösen. Was Schengen betrifft, so wird in der Öffentlichkeit immer in den Vordergrund geschoben, dass keine Grenzkontrollen mehr stattfinden sollen. Viel wichtiger ist aber, dass Schengen einen Informationsaustausch zwischen der Polizei der Mitgliedländer gibt, und daran hat die EU genauso ein Interesse wie die Schweiz. Beide sind auf die Zusammenarbeit angewiesen. Blocher: Wichtiger als den Stand der Verhandlungen zu kennen und über Details zu streiten, scheint mir die Grundsatzfrage: Was wollen wir eigentlich? Was wollen Sie, Herr Blocher? Blocher: Eine unabhängige und neutrale Schweiz, das heisst nein zu einer Schweiz ohne Grenzen, nein zu Schengen! Die EU zwingt der Schweiz Schengen nicht auf, aber sie will von der Schweiz Konzessionen im Bereich Bankkundengeheimnis und Zinsbesteuerung. Darüber müssen wir also reden. In Bezug auf Schengen will die EU gar nichts von uns. Umso besser. Was das Dublin-Abkommen betrifft, enthält es einen Informationsaustausch im Bereich der Asylpolitik. Das hilft, löst aber das Asylproblem nicht. Wichtig wäre, dass die Politik eine Meinung und Haltung dazu hat. Stattdessen lehnt sie sich zurück und sagt, "mal schauen, wie das Verhandlungsergebnis aussehen wird". Steinegger: Wir wissen einfach nicht, wie die Verhandlungen mit der EU ausgehen. Da ist es doch logisch, dass der Bundesrat dazu nicht abschliessend Stellung nehmen will. Ist der Bundesrat zu schwach? Steinegger: Wir haben in der Schweiz einen starken Bundesrat. Blocher: Das stimmt doch nicht. Schon wegen der direkten Demokratie nicht. Unsere Verfassung ist auf eine schwache Regierung aus. Steinegger: Es gibt doch in keinem andern Land auf der Welt die Möglichkeit, eine Regierung vier Jahre lang nicht in- frage zu stellen. Blocher: Die Regierungen in der Schweiz sind konstant, aber nicht stark. Ein Grossteil der Entscheide liegt beim Volk. Unser System geht vom Misstrauen des Bürgers gegenüber der Regierung aus. Die Opposition ist das Volk und das ist gut so. Deswegen wollen wir auch keinen Staatspräsidenten. Sie sind eh nichts anders als Nachfolger der Monarchen. Wir brauchen aber einen souveränen Bundesrat, der klar sagt, welche Politik er verfolgen will. Das tut die Regierung derzeit nicht? Blocher: Seit der zweiten Hälfte der 80er-Jahre ist eine klare Positionseringung und -erstreitung zur Frage der Stellung der Schweiz in der Welt unterblieben. Es wird nur noch taktisch entschieden. Teilen Sie diese Einschätzung Herr Steinegger? Steinegger: Nein. Ich würde die Regierung nicht so stark kritisieren. Ich finde allerdings, dass die zunehmende Doppelbelastung zwischen internationaler Präsenz und Anwesenheit im Parlament besser geregelt werden müsste. Wir müssten versuchen, Massnahmen einzuführen, welche den Bundesrat weit mehr als bisher dazu zwingen, verstärkt für das gesamte Landesinteresse zu arbeiten. Die Bundesräte sollten sich vermehrt mit der Regierungsaufgabe als Ganzem befassen, statt blosse Departementsvorsteher zu sein. Jedesmal, wenn grössere Probleme auf die Schweiz zukommen, die departementsübergreifend zu lösen sind - die Aufarbeitung des Holocaust zum Beispiel -, entsteht bei uns ein Vakuum und die Landesregierung erscheint schwach und zerstritten. Blocher: In der Tat sind unsere Bundesräte immer mehr zu Ministern geworden. Sie verlieren den Überblick, weil sie sich zu sehr um operative Details kümmern. Die Schweiz ist jetzt schon seit einem Jahr Mitglied der UNO. Herr Blocher, Sie kämpften gegen den Beitritt. Ist es denn jetzt so schlimm, dass wir zur UNO gehören? Blocher: Der Beitritt war ein Fehler, doch nun hat das Volk entschieden und das akzeptiere ich. Steinegger: Ich bin froh, dass wir in der UNO sind. Das bringt der Schweiz mehr Vorteile als Nachteile. Wo ich ab und zu Bedenken habe, ist, wenn die Schweiz nun meint, sie müsse sich zu allen Weltfragen äussern und Partei ergreifen. Blocher: Die UNO-Mitgliedschaft gefährdet unsere Neutralität. Sie wird immer mehr preisgegeben. Wir müssen die Neutralität ernst nehmen, sonst schwächen wir die Schweiz. Steinegger: Für die Sicherheit der Schweiz ist die UNO-Mitgliedschaft sehr wichtig. Der internationale Terrorismus zum Beispiel kann nur in internationaler Zusammenarbeit bekämpft werden. Man kann doch nicht zu Bin Laden sagen: "Mach uns nichts, wir sind neutral." Blocher: So primitiv meine ich das natürlich nicht. Neutralität ist ein Konzept, das die Regierung davor schützen soll, Handlungen zu veranlassen, die den Feind ins Land ziehen. Es ist doch kein Zufall, dass Amerika am stärksten vom Terrorismus gefährdet ist. Was sind die konkreten Auswirkungen der EU-Osterweiterung für die Schweiz? Steinegger: Ich denke, dass die positiven Punkte überwiegen. Der Binnenmarkt, der sich erweitert, ist der grösste der Welt und wir als Exportland sollten die Chance nicht vergeben, uns daran zu beteiligen. Wir müssen allerdings klare Richtlinien erlassen über die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus den neuen EU-Ländern. Per Saldo eröffnet die Osterweiterung der Schweiz mehr Chancen als Gefahren. Blocher: Bei den neuen EU-Ländern handelt es sich um arme Länder mit hoher Arbeitslosigkeit und tiefem Lohnniveau. Die EU-Mitgliedschaft wird ihre Wirtschaft wachsen lassen. Davon profitieren auch wir. Das grosse Problem ist aber der freie Personenverkehr. Das ist ein Quantensprung. Wir haben den freien Personenverkehr noch nicht einmal mir der heutigen EU und wir können die Freizügigkeit sicher nicht auf die neuen EU-Länder ausweiten. Was wir brauchen, sind Kurzarbeitsverträge für Personen aus diesen Ländern. Die Schweizer Wirtschaft, sagen Sie, wird von der Osterweiterung profitieren. Soll die Schweiz dafür auch etwas zahlen? Blocher: Warum denn? Die Schweiz profitiert auch von Amerika und was geben wir als Gegenleistung? Nichts! Die neuen EU-Staaten profitieren doch auch von der Schweiz. Oder: Wir profitieren vom chinesischen Markt. Niemand käme aber auf die Idee, zu sagen, wir müssten in einen Kohäsionsfonds für China zahlen oder die Personenfreizügigkeit mit China verlangen. Schliesslich profitieren diese Länder auch vom geöffneten Schweizer Markt. Steinegger: Das Problem ist natürlich, dass wir unseren Markt nicht vollständig öffnen, vor allem nicht für die für Länder wie Polen so wichtigen Landwirtschaftsprodukte. Mit anderen Worten heisst das: Wir bekommen offene Märkte in Osteuropa und schotten unseren Markt aber teilweise weiter ab. Deshalb in ich der Meinung, wir müssten bereit sein, darüber zu diskutieren, uns beispielsweise an einem Infrastrukturfonds für Osteuropa zu beteiligen.