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11.11.2014

«Sie bauen einen neuen Götzen auf: Bilaterale! Bilaterale!»

Interview mit René Lüchinger, zum Thema Bilaterale, erschienen im Blick am 08.11.2014 Geht es um EU und Bilaterale, schaltet der SVP-Volkstribun sofort auf Angriff. Wer das Vertragswerk als notwendig erachtet, findet keine Gnade. Sie, Herr Blocher, sagen, die bilateralen Verträge mit der EU seien verzichtbar. Wieso?  Christoph Blocher: Es geht um die sechs Bilateralen, die mit der Personenfreizügigkeit verbunden sind. Für die EU wichtig ist der Landverkehrsvertrag. Ihr wurde die Nord-Süd-Durchfahrt durch Gotthard und Lötschberg, die wir für 30 Milliarden bauen, zum Vorzugspreis zugesichert. Darauf können wir verzichten?  Die Schweiz schon, aber nicht die nördlichen und südlichen EU-Staaten. Deshalb wird die EU diese Verträge nicht künden. Der Vertrag über Landwirtschaftsprodukte ist ein Nullsummenspiel: Die Schweiz kann etwas mehr Käse in die EU exportieren, aber die EU umso mehr in die Schweiz. Jener über technische Handelshemmnisse hat für die EU und die Schweiz etwa die gleiche Bedeutung. Wichtig für die EU: die Personenfreizügigkeit. Aber die Schweizer Bürger und die Kantone wollen diese Personenfreizügigkeit so nicht mehr. Und jetzt?  Dieser Vertrag hat eine Kündigungsklausel. Will die EU nicht verhandeln, ist der Vertrag zu kündigen. Die Länder in der EU werden deswegen nicht auf andere Verträge verzichten, die in ihrem Interesse liegen. Aber wenn die EU diese fallen lassen will – was theoretisch möglich wäre – dann müsste die Schweiz dies in Kauf nehmen. Denn die Folgen der Masseneinwanderung sind weit negativer als ein Leben ohne diese Verträge. Aber die SVP bekämpft die Bilateralen nicht grundsätzlich. Wenn die EU den Landverkehrsvertrag kündet, kann die Schweiz dies in Kauf nehmen. Das wird die EU wohl nicht tun.  Dann bleibt dieser Vertrag und auch die anderen bestehen. Fällt der Vertrag über die technischen Handelshemmnisse, müsste ein Exporteur seine Produkte in jedem EU-Land zertifizieren. Beim Wegfall erwartet die Pharmain­dustrie Mehrkosten von 300 Millionen Franken. Dummes Zeug. Wir haben schon früher nicht bei jedem einzelnen Land zertifizieren müssen. Zudem: Es trifft alle diejenigen, die Unternehmen in der EU haben, sowieso nicht. Ich habe noch kein Produkt gefunden, das betroffen wäre. Was macht Sie da so sicher? Das habe ich untersucht. Thema Luftverkehr. Auch der wäre gefährdet, mit grossen Folgen für die Swiss und den Flughafen. Da stehen wir längst in einem multilateralen Verhältnis, müssen übernehmen, was die EU bestimmt. Die Schweiz hat wie bei Schengen die Handlungsfreiheit preisgegeben. Die Verantwortlichen am Flughafen sprechen von grossen Nachteilen. Sie sollen sagen, was dann im Einzelfall passiert. Was sagen Sie? Würde die EU diesen multilateralen Vertrag preisgeben, gäbe sie ihr Alleinbestimmungsrecht auf. Das wird sie nicht tun. Aber die Masseneinwanderung muss endlich gestoppt werden, wie es das Volk beschlossen hat. Basta! Sollte die EU auf die übrigen Bilateralen verzichten, wäre dies in Kauf zu nehmen. Wenn irgendwo ein kleiner Nachteil zum Vorschein kommen sollte, soll man mir den zeigen. Dieser Konjunktiv hilft der Swiss nicht. Die Swiss gehört der Lufthansa. Aber glauben Sie im Ernst, die EU will beim Anflug auf Zürich alle internationalen Fluggesellschaften aussperren? Das sind internationale Abkommen, die weit über die EU hinausgehen. Das zeigt, dass niemand weiss, was geschieht. Sie gehen einfach davon aus, dass das Eigeninteresse der EU so gross ist, dass sie die Verträge nicht kündigt. Natürlich. Alle haben Verträge im Eigeninteresse abgeschlossen. Für die Schweiz sind sie nicht überlebenswichtig! Aber ich sehe schon, welche Absicht Sie mit diesen Fragen verfolgen. Wie bitte? Sie bauen einen neuen Götzen auf. Der heisst: Bilaterale! Bilaterale! Dabei geht es um Verträge mit Kündigungsklauseln. Die bleiben in Kraft, solange alle daran Interesse haben. Haben Sie seinerzeit für die Bilateralen gestimmt? Wir sagten: Wir haben nichts gegen bilaterale Verträge. Aber wir waren gegen die Personenfreizügigkeit. Wer ist wir? Die SVP. Wir sagten auch: Es ist ein Paket. Ich höre Pascal Couche­pin, den Bundespräsidenten, der 1999 beschwichtigte, keiner müsse die Personenfreizügigkeit fürchten. Mehr als 10'000 Einwanderer kämen nicht. Andernfalls könne die Schweiz den Vertrag jederzeit ändern oder kündigen. Das stimmt nicht? Jetzt hat das Volk Nein zu diesem Vertrag gesagt: Weil es falsch herausgekommen ist. Die Stimmbürger wussten, dass die sechs Verträge, die zusammengehören, dann allenfalls nicht mehr gelten. Eine Mehrheit und zwei Drittel der Kantone sagten: Wir nehmen dies in Kauf. Sie sagen, das war eine Abstimmung gegen die Bilateralen. Nein. Sie tun so, als ob wir von der SVP generell gegen die bilateralen Verträge wären. Wir nehmen die Kündigung von Abkommen in Kauf, wenn man sonst die Personenfreizügigkeit nicht wegbringt. Es wäre ehrlicher, eine zweite Ini­tiative zu lancieren mit der simplen Frage: Wollen Sie die Bilateralen kündigen, ja oder nein? Gibt es einen, der die Bilateralen generell kündigen will? Ich kenne niemanden. Warum stellen Sie also so dumme Fragen? Ich stelle nur Fragen. Ich fände einen klärenden Urnengang über die Bilateralen keine schlechte Idee. Eine Klärung wäre so falsch nicht. Die Frage wäre: Wollt ihr die Personenfreizügigkeit beenden und allenfalls in Kauf nehmen, dass die anderen Verträge nicht mehr gelten? Ich würde mit Ja stimmen. Aber dazu hat das Volk am 9. Februar mit Ja gestimmt! Das ist erledigt. Ich sage, die Menschen sollten die Konsequenzen ihres Abstimmungsverhaltens kennen. Unterschätzen Sie die Stimmbürger nicht! Volk und Stände entschieden, dass die Schweiz die Zuwanderung selbst steuert, dass wieder jährliche Höchstkontingente und der Inländervorrang gelten. Dies, obwohl die Gegenseite mit dem Wegfall von Bilateralen und Abschottung drohte. Ich bin nicht sicher, ob den Wählern bewusst war, dass diese Abstimmung derart stark mit den Bilateralen verknüpft war. Die Gegenseite hat mit einem Mehrfachen der Geldmittel den Wegfall der Bilateralen thematisiert, dramatisiert und gedroht. Die Stimmbürger wussten, was sie taten. Die Bilateralen sind ein Phantom. Selbst Leute aus der Wirtschaft mussten zugeben: Die Verträge sind nicht überlebenswichtig. Sind Sie sicher, dass Unternehmer und Manager so sprechen? Unter vier Augen, sicher! Warum tun sie das nicht öffentlich? Damit das keiner mitkriegt? Aus Rücksicht gegenüber Europa und Bern. Dazu kommt: Die grossen Firmen sind ja heute alle in der EU. In der NZZ stand, dass die Abstimmungsresultate zu Minder, Mindestlohn oder Masseneinwanderung dem Standort Schweiz massiv schaden, was dazu führe, dass sich weniger Firmen ansiedeln wollen. Meines Erachtens liegt das näher an der Realität. Welche Firmen haben sich nicht angesiedelt und aus welchen Gründen? Die NZZ schreibt, im Raum Zürich seien 2012 über 30 gekommen und 2013 nur noch über 20. Weder Namen noch Gründe kennen wir. Zudem: Ist es ein Nachteil für die Schweiz, wenn weniger Firmen kommen, wenn – wie letztes Jahr – 89'500 Zuwanderer nötig sind, um dies zu bewältigen? Werbung für ein wirtschaftsfreundliches Klima ist das nicht. Die Schweiz hat beschlossen: Wenn Firmen Arbeitskräfte brauchen und diese in der Schweiz nicht finden, bekommen sie diese auch. Das Volk  hat genau der Lösung zugestimmt, die wir von 1970 bis 2007 mit Erfolg gehabt haben. Aber die Zuwanderung war damals bei höherem Wirtschaftswachstum weit geringer! Da spielen Wirtschaftszyklen. Man kann auch sagen: Das Problem löst sich von selbst. Nein, mit der Personenfreizügigkeit werden die Arbeitslosen und Sozialfälle auch in schlechten Jahren bleiben. Natürlich ist es für uns Unternehmer mühsamer, zuerst in der Schweiz zu ­rekrutieren. Das muss man aus gesamtwirtschaftlichen Gründen auf sich nehmen. Hingegen sind die Standortnachteile, die durch Verwaltung, Bundesrat und Parlament fast täglich beschlossen werden, gravierend. Sie sind grösstenteils eine Folge der Masseneinwanderung. Von denen redet die NZZ kaum. Dann klären Sie uns auf! Unternehmen prüfen eine Verlegung, weil sie nicht mehr wissen, welche Energie zu welchem Preis sie in der Schweiz bekommen werden. Schuld ist diese abenteuerliche Energiepolitik mit der wir AKW abschalten und Alternativenergien staatlich subventionieren. Wir reden von CO2-Steuern, von fünf Franken teurem Benzin, von Anforderungen an Swissness, die unter Applaus des Parlaments in die Höhe geschraubt wurden, damit sie kaum ein Produzent noch erfüllen kann. Das sind Killer für den Standort Schweiz. Nicht die Initiative. Ich sprach mit dem CEO eines Schweizer Top-Ten-Unternehmens darüber. Nicht nur er sieht das anders. Nennen Sie mir den, der mit der beschlossenen Initiative ein Problem hat! Der soll hinstehen, und dies formulieren. Das ist besser, als bei Ihnen, dem Gleichgesinnten, zu jammern. Wieso?  Er muss mit einem sprechen, der ein Leben lang exportierte, der die Industrie kennt. Wenn heute ein Manager nicht mehr weiter weiss, gibt er die Schuld dem Schweizer Volk, statt seine Unfähigkeit einzugestehen. Er sagt, wenn die Ini­tiative so implementiert wird, haben wir ein Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Wieso sagt der das? Ist dieser CEO noch so jung? Sonst wüsste er, dass wir bis 2007 die Qualifizierten immer bekommen haben. Sie berufen sich immer auf die Vergangenheit. Die Schweiz hat die früher erfolgreiche Regelung erneut beschlossen. Also beruft man sich zu Recht auf diese Erfahrung. Jetzt haben wir einfach noch einen Standortnachteil mehr. Wer hat Nein gesagt zu 1:12? Das Volk. Wer hat Nein gesagt zum Mindestlohn? Das Volk. Wer sagte Nein zur Initiative für mehr Ferien? Das Volk. Das sind alles Standortvorteile. Aber leider nimmt die von Politikern beschlossene Bürokratie immer mehr zu: Arbeitszeit­erfassung oder die staatliche Lohnpolizei. Der freie Arbeitsmarkt – bisher ein grosser Standortvorteil der Schweiz – wird unterwandert mit flankierenden Massnahmen. Von der steigenden Staatsangestellten- und Beamtenflut ganz zu schweigen. Ich bräuchte zehn Seiten, um all die Hindernisse, Schikanen, Formulare, Verbote und Gebote aufzuzählen, die fast täglich aus dem Bundeshaus kommen! Ich fasse zusammen: Sie sehen die schleichende Standortverschlechterung auch. Ja. Selbst bei den Steuern, Abgaben und Gebühren verschlechtert es sich dauernd. Es fängt bei den Gemeinden an. Sie müssen immer höhere So­zialausgaben finanzieren. Das ist klar eine Folge der unkon­trollierten Einwanderung und der miserablen Asylpolitik. Auf der anderen Seite vertreibt die Schweiz reiche Leute, die Steuern bezahlen, aus dem Land. Ich kenne Leute, die wegen der drohenden Erbschaftssteuer-Ini­tiative abreisen. Und jetzt will man auch die Pauschalbesteuerten vertreiben. Die Steuern werden dann für uns Schweizer, die noch hier bleiben, erhöht! Ein weiterer Standortnachteil. Die Schweiz wurde erfolgreich mit einem schlanken Staat. Diese Spur haben wir verloren. Wieso? Weil Internationalisierung und Zentralisierung den schlanken Staat zerstören. Wer alles gleich regelt wie die anderen, produziert Bürokratie und verhindert die Freiheit. Das Niveau sinkt in die Mittelmässigkeit. Die Schweiz war ja viel besser als die anderen. Wir hatten einen höheren Standard: höhere Bildung, strengere Schulen, längere Arbeitszeiten. Nun nivelliert man das alles nach unten. Wer nivelliert? Der Bund, die Politiker – indem sie alles dem Ausland nachäffen und von offener Haltung reden. Sie sagen, der EU-Standard führt zu einer Nivellierung nach unten. Ja, eindeutig. Vielleicht haben wir zu weiche Verhandlungsführer gegenüber der EU. Denken Sie an einen Walter Stucki, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem sogenannten Washingtoner Abkommen die Ansprüche der Alliierten mit List und Hartnäckigkeit zu einem für die Schweiz vorteilhaften Ende brachte. Walter Stucki konnte nur verhandeln, weil er ein klares Verhandlungsmandat hatte. Er vergewisserte sich erst beim Bundesrat und sagte: «Ich gehe nur, wenn ich klare Direktiven habe, und ich sage euch auch, was die Direktive sein sollte.» Übersetzt auf heute heisst dies: Vergangenen Februar haben Volk und Stände dem Bundesrat diese Direktive erteilt. Fehlt heute ein Spitzendiplomat, der dem Bundesrat sagt, wie zu verhandeln ist? Zum Beispiel. Oder ganz einfach – der Bundesrat muss sagen: So, jetzt setzen wir die Initiative zur Masseneinwanderung eins zu eins durch. Mit diesem Mandat muss der Verhandler zur EU geschickt werden. Das heisst: Die Verhandlungsführerschaft beim Bundesrat ist zu schwach, und wir haben schlechte Verhandler an der Front? Verantwortlich ist stets die Regierung. Wer denn sonst? Einen Vertrag will das Schweizer Volk nicht mehr. Also müssen wir auf dem Verhandlungsweg eine Lösung finden, wie wir sie von 1970 bis 2007 hatten. Der Verhandler, der Stucki von heute, müsste sagen: «Und wenn ihr von der EU das nicht wollt, müssen wir den Vertrag über die Personenfreizügigkeit kündigen.» Ganz leidenschaftslos.

06.11.2014

Christoph Blocher, de retour au front

Interview geführt von Dany Schaer erschienen im "Le nouveau pays vaudois" No. 314 im November 2014

31.10.2014

Ecopop ist gefährlich und würde unserem Land schaden.

Interview geführt von Raphaela Birrer zum Thema Ecopop erschienen im Tages-Anzeiger Online und Print am 31.10.2014 Link zum Interview auf Tages Anzeiger Online

19.10.2014

Würdigung dreier Persönlichkeiten aus dem Aaretal und ihre Bedeutung für die heutige Schweiz

Herbstveranstaltung vom 19.10.2014 in Münsingen

16.10.2014

«Das ist Wunschdenken der Gegner» (Weshalb ein Zurückkrebsen bei der Zuwanderung für den SVP-Vize nicht infrage kommt.)

Interview geführt von Beni Gafner zum Thema Zuwanderung erschienen in der Basler Zeitung am 14.10.2014