SVP-Vizepräsident Christoph Blocher (69) über den Nationalfeiertag, den Umgang mit EU-Vertretern und die Bundesratswahlen

Interview mit den «Obersee Nachrichten» vom 29. Juli 2010

Christoph Blocher: «Gibst du mir die Wurst, so lösche ich Dir den Durst»
Christoph Blocher, alt Bundesrat und Chefstratege der SVP, hält am 1. August in Rüti eine Festansprache. Im ON-Interview spricht der «Polterer der Nation», der eigentlich gar keiner ist, sachlich und ausführlich darüber, wie man mit dem Druck der EU umgehen soll und was von den Bundesratswahlen zu erwarten ist.

Obersee Nachrichten: Waren Sie in den letzten Jahren einmal nicht 
Gastreferent an einer 1.-Augustfeier?
Christoph Blocher: Nein. Ich glaube, ich habe seit 40 Jahren jedes Jahr meistens mehrere Reden gehalten. Dieses Jahr spreche ich beispielsweise an vier Bundesfeiern. Ich finde, man sollte solche Einladungen wahrnehmen. Es gab Zeiten, da war kein Bundesrat an einer 1.Augustfeier ausser ich. Dann hat man gedacht, sie könnten diesen Anlass nicht immer nur mir überlassen. Und so sind dann auch die anderen Bundesräte aktiv geworden.

Möchten Sie nicht gerne selbst wieder mal eine Rakete hochgehen lassen, ganz privat im Kreis von Familie und Freunden?
Christoph Blocher: Doch schon, ich sehne mich auch nach einer Zeit, in der ich sagen kann, dass ich mal keine Rede halte. Aber das ist momentan nicht möglich. Und es wäre auch nicht richtig zu verzichten, nur weil es einem anders besser passen würde. Obwohl: Von Herrliberg aus – ich wohne ganz in der Höhe – sehe ich bis nach Schindellegi, auf den Uetliberg und ins Limmattal hinab. Wenn das Wetter schön ist, dann sieht man alle Höhenfeuer. Das durfte ich einmal erleben, als ich die Bundesfeier-Rede in Herrliberg hielt. (lacht)

Was verbindet Sie mit Rüti und dem Zürcher Oberland?
Christoph Blocher: Erstens: Meine Frau ist eine Zürcher-Oberländerin, sie stammt aus Wald. Zweitens: Meine Eltern haben ihre letzten Lebensjahre in Wald verbracht. Rüti ist für mich eine typische Zürcher Oberländer Industriegemeinde. Viele Male wurde ich für eine Rede in dieser Gemeinde angefragt, und dieses Jahr bin ich zum ersten Mal tatsächlich dort.

Die aktuellen Themen im Land sind brisant und drängen sich für 1.- August-Reden geradezu auf. Etwa der verschärfte Ton der EU gegenüber der Schweiz. Ist das nun das Ende des bilateralen Wegs?
Christoph Blocher: Nein. Das ist eine Drohung, eine Aussage, um uns in die EU zu zwingen. Wissen Sie, das hören wir jetzt zum zweiten Mal. Damals, in den 90er-Jahren, sollten wir in den EWR. Wenn die EU jetzt sagt, es gäbe keine bilateralen Verträge mehr, nun ja, dann gibt es halt keine mehr. Wir brauchen auch nichts Dringendes von ihr. Aber die EU will dafür viele Dinge von uns, sie will, dass wir das Steuergesetz ändern, sie will Abmachungen mit uns in Bezug auf das Bankgeheimnis, Informationsaustausch und so weiter.
«Wir brauchen nichts Dringendes von der EU»

Im Volkswirtschaftsdepartement findet auch die Idee eines EWR-Beitritts «light» Anklang. Mit dem Anschluss der Schweiz an den Efta- Gerichtshof gäbe es bei Streitigkeiten eine gemeinsam anerkannte Instanz, die das letzte Wort hat.
Christoph Blocher: Darüber kann man reden. Ich würde sowieso keine Verträge mehr abschliessen, ohne dass es ein Schiedsgericht gibt. Ich habe nie verstanden, weshalb man das nicht verlangt hat. Bei internationalen Verträgen ist das eigentlich normal, denn man unterwirft sich nicht gern dem Gericht des anderen.

Wie siehts mit der Übernahme von EU-Recht in einem geregelten Rahmenabkommen aus?
Christoph Blocher: Da bin ich sehr misstrauisch. Weil die Regierung in die EU will, besteht mit einem Rahmenabkommen die grosse Gefahr, dass man ein solches abschliesst und sagt, darunter würden alle Teilabkommen fallen. Ich fürchte, man würde so etwas beschliessen, ohne das Volk zu fragen und so dessen Willen ausser Kraft setzen. Noch konnte mir aber niemand sagen, was eigentlich mit einem Rahmenabkommen genau gemeint ist. Doch ganz abgesehen davon: Wir brauchen gar nichts! Ich weiss nicht, weshalb man immer davon spricht. In Bern suchen sie mit der Lupe, ob man noch irgendwo etwas vertraglich regeln könnte.

Was ist Ihrer Meinung nach in dieser angespannten Lage zu tun?
Christoph Blocher: Mit den EU-Vertretern reden und ihnen immer wieder erklären, dass wir ein souveräner Staat sind. Denn eins muss man sehen: Wir sind für die EU nicht so uninteressant. Wir sind nach Amerika ihr zweitgrösster Kunde. Vom Einkaufsvolumen her sind wir sogar wichtiger als China. Ausserdem haben wir ein gutes Verhältnis mit den umliegenden Ländern. Wenn die EU Druck auf uns ausübt, dann gibt es halt Gegendruck. Dann sagen wir einfach, wir erfüllen nicht mehr alles, was ihr von uns wollt. International muss es ein Geben und Nehmen sein. Gibst du mir die Wurst, so lösche ich Dir den Durst.
«International muss es ein Geben und Nehmen sein»

Könnten wir es uns denn leisten, keine Abkommen mehr mit der EU zu schliessen? Dafür sind wir doch schon zu fest miteinander vernetzt.
Christoph Blocher: Wir sind miteinander vernetzt, es gibt Verträge, die wir und die EU erfüllen müssen. Aber wir verkehren ja nicht nur mit der EU, sondern zum Beispiel auch mit Amerika. Und es ist noch niemandem in den Sinn gekommen, den USA beizutreten. Oder mit China. Ich würde diesem Land nicht beitreten wollen, obwohl ich die Chinesen mag. Auch mit der EU pflegen wir grundsätzlich ein gutes Verhältnis. Die Schweiz ist sehr weltoffen. Wir verkehren im Rahmen der Neutralität mit allen Ländern, aber wir sind sehr empfindlich, wenn jemand kommt und sagt: «Ab morgen bestimme ich auf eurem Boden».

Genau diese Drohung steht aber jetzt im Raum.
Christoph Blocher: Ja, das ist so. Und unsere Antwort darauf sollte sein: Nett, dass uns das gesagt wird, aber wir sind souverän, das Volk will nicht in die EU. Aber die, die verhandeln, schon. Das sind Interessens-Gegensätze. Bei einem Beitritt verliert die Bevölkerung in jeder Beziehung an Bestimmungsrecht. Sie kann an der Urne nicht mehr sagen, sie wolle keine Mehrwertsteuererhöhung von 7,6 auf 8 Prozent. Von Brüssel heisst es dann 15 Prozent und fertig! Denen in Bern kann das ja egal sein, die sind froh, wenn sie Geld haben, dann können sie es nämlich ausgeben.

Kostet uns die EU mehr, als sie uns nützen würde?
Christoph Blocher: Ja natürlich. Aber man muss eins begreifen: Der Druck nimmt zu, weil es der EU finanziell schlecht geht. Die wollen, dass die Schweiz kommt und zahlt. Allein schon über den Weltwährungsfonds, wo wir leider Mitglied sind, müssen wir drei Milliarden Franken an das Griechenland-Abenteuer zahlen. Wenn wir in der EU wären, müssten wir zusätzlich nochmals etwa sechs bis sieben Milliarden berappen. Dagegen ist die Rettung der UBS ein kleiner Fisch.
«Die wollen, dass die Schweiz kommt und zahlt»

Ein anderes aktuelles Thema. die Bundesratswahlen. Die SP favorisiert Simonetta Sommaruga als Nachfolgerin von Moritz Leuenberger. Damit wären vier Frauen im Bundesrat. Was halten Sie davon?
Christoph Blocher: Das spielt für mich keine Rolle. Wichtig ist die parteipolitische Zusammensetzung. Die grösste Partei, die SVP mit 29 Prozent Wähleranteil, hat nur einen Sitz. Laut Konkordanz müssten aber die grossen drei Parteien je zwei Sitze haben. Aber die SVP wird möglichst aus dem Bundesrat ausgeklammert.

SVP-Präsident Toni Brunner hat der SP den Vorschlag gemacht, sie im Dezember zu unterstützen, wenn Leuenbergers Sitz neu besetzt wird. Im Gegenzug will er dafür die Unterstützung von der SP im Fall eines Rücktritts von Hans-Rudolf Merz (FDP) im Herbst. Wird dieser Deal funktionieren?
Christoph Blocher: Ganz so hart hat er das nicht gesagt. Gemäss den Zahlen ist der Anspruch der SP an sich besser ausgewiesen als jener der FDP. Aber die SP ist auch die Partei, die in den letzten Jahren die Konkordanz nicht ernst genommen hat. Sie hat Eveline Widmer- Schlumpf vorgeschlagen und zusammen mit den Grünen gewählt. Insofern hat die SP mit ihr eine Vertreterin im Bundesrat, denn unsere ist sie nicht. Sie kann nicht einfach sagen, ihr Sitz gehöre zur SVP, denn sie ist in einer anderen Partei. Wir werden sehen, ob die FDP lieber mit den Linken geht oder mit uns. Wenn sie das nicht macht– und die CVP auch nicht –, dann ist auch das möglich, was Toni Brunner vorschlägt. In dem Fall heisst es: Der beste Anspruch ist bei uns ausgewiesen, danach kommt die SP. Aber dann muss eine der anderen Parteien einen Sitz preisgeben und/oder Eveline Widmer-Schlumpf als ihre Vertreterin anerkennen.

Was passiert, wenn Merz nicht zurücktritt?
Christoph Blocher: Ich nehme sogar an, dass er das nicht tun wird. Der bleibt bis 2011, er ist ja für 4 Jahre gewählt. Leuenberger wäre auch für 4 Jahre gewählt, der hätte ebenfalls bleiben müssen. Natürlich hätte er von mir aus auch schon früher gehen können, aber an sich ist es nicht in Ordnung, wenn ein Bundesrat ausserterminlich zurücktritt. Aber es ist offenbar üblich geworden, dass man als Bundesrat sagt, ich gehe, wenn es mir stinkt. «Ich nehme an, dass Merz nicht zurücktritt»

Aber es wäre doch von Vorteil für die SVP, wenn Merz im Herbst ginge?
Christoph Blocher: Ja natürlich, aber wir können nicht darauf schauen. Es wird interessant. Diese Bundesratswahlen zeigen, ob die Mitteparteien lieber mit der SVP oder mit den Linken gehen wollen.

Was ist Ihr dringlichstes Anliegen für die Schweiz zum Nationalfeiertag 2010?
Christoph Blocher: Zu den Staatssäulen stehen, sich selbst treu bleiben und nicht umfallen, auch wenn von aussen Druck ausgeübt wird. Wir sind nicht so schwach, als dass wir nicht hinstehen und sagen können, wir wollen diese Staatsform. Wenn man das entschieden genug sagt, dann wird man auch gehört.

← Back to: Articles