Blocher fordert Geld

Interview im „Sonntag“ vom 24. August 2008

Mit Othmar von Matt

Christoph Blocher will die Komplottvorwürfe der Geschäftsprüfungskommission (GPK) vom 5. September 2007 nicht folgenlos auf sich sitzen lassen. Er geht zivil- wie strafrechtlich gegen mindestens vier Personen vor, die an den Vorgängen dieses Tages beteiligt waren: Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz (CVP), alt Nationalrat Jean-Paul Glasson, der ehemalige Bundesanwalt ad interim Michel-André Fels und der Staatsanwalt des Bundes, Alberto Fabbri.

Dies bestätigt Blocher. «Eventuell», sagt er, klage er auch gegen weitere GPK-Mitglieder. Blocher fordert mit seiner zivilrechtlichen Klage auf Persönlichkeitsverletzung auch finanzielle Genugtuung. «Aber nicht für mich», so Blocher. «Sie soll einer privaten Institution zufallen, die die Bürger vor der Willkür des Staates stützt.»

«Leider» müssten die Klagen sein, sagt Blocher. Am 5. September jähre sich «der unglaubliche Vorgang, dass Parlamentarier der GPK mit der Bundesanwaltschaft versuchten, mit erfundenen Behauptungen den Justizminister aus dem Amt zu drängen».

Blocher spricht von einem «Putschversuch» – und folgert: «Das ist schwerster Amtsmissbrauch. Das muss zivil- und strafrechtliche Folgen haben.»

Im Interview mit dem «Sonntag» deutet Blocher auch an, dass er darauf verzichten könnte, erneut für den Bundesrat zu kandidieren. Danach gefragt, ob er als einziger SVP-Vertreter für eine Kandidatur in Frage komme, falls Samuel Schmid (BDP) zurück trete, sagt er zweimal: «Nein.»

Und auf die Frage, ob er nicht im Landesinteresse auf eine Kandidatur verzichten, Schmid dafür zurücktreten und die SVP wieder in die Landesregierung einziehen müsste, erwidert Blocher: «Nur soviel: Wenn Blocher im Interesse des Landes nicht kommen darf, dann kommt Blocher im Interesse des Landes nicht.»

Acht Monate nach seiner Abwahl habe er seine Rolle in der SVP gefunden, sagt Blocher: «Die Frage war: Wo ist mein Platz? Das zeichnet sich jetzt klar ab. Ich arbeite aus dem Hintergrund und setze mich dafür ein, dass die SVP die grossen Probleme aufnimmt und konsequent verfolgt.»

Der Strategiechef hat der Parteispitze nun vier Kernthemen unterbreitet: die stark gefährdete Unabhängigkeit der Schweiz, die Ausrichtung der Armee, die Institutionen und die Ordnungspolitik.

Sonntag: Herr Blocher, als Unternehmer und Bundesrat standen Sie stets unter Druck. Jetzt haben Sie viel Zeit. Wie verkraften Sie das?

Christoph Blocher: Ich habe es heute viel besser, kann mich wieder Grundsätzlichem widmen und lese viel.

Was?

Zum Beispiel über die Probleme im Kaukasus und in Polen. Wiederholt sich die Geschichte? Ich vertiefe mich jetzt in die grossen Fragen und Ausrichtungen der Schweizer Politik. Das konnte ich als Bundesrat nur bedingt, weil ich mit Dossiers, Sitzungen, Terminen und vielen Sachzwängen überhäuft war.

Noch im Juni hatten Sie nachdenklich gewirkt. Nach der Abwahl sei «eine gewisse Orientierungslosigkeit» eingetreten, sagten Sie in der «Weltwoche». Neuorientierung sei gefragt.

Die Frage war: Wo ist mein Platz? Das zeichnet sich jetzt klar ab. Ich arbeite aus dem Hintergrund und setze mich dafür ein, dass die SVP die grossen Probleme aufnimmt und konsequent verfolgt. Vier Hauptgebiete zeichnen sich ab, die alle am Grundsätzlichen ansetzen.

Sie haben Ihre Rolle gefunden?

Jedenfalls meine Aufgabe.

Welches sind die vier Kernthemen?

Das erste Thema ist die stark gefährdete Unabhängigkeit der Schweiz – also der drohende Anschluss an die EU und die Nato. Das zweite ist die Sicherheit unseres Landes und insbesondere die Ausrichtung der Armee. Das dritte betrifft die schweizerischen Institutionen, die Politiker immer mehr zu eigennützigen Zwecken missbrauchen. Und das vierte ist die Ordnungspolitik des Staates als Grundlage einer florierenden Wirtschaft und unserer Arbeitsplätze. Hier geht es vor allem um den Kampf gegen die steigende Einnahmenflut des Staates, also gegen die Schröpfung der Bürger.

Sie betonen, die Schweiz müsse Ihren Institutionen Sorge tragen. Gerade Ihnen war immer wieder vorgeworfen worden, sie herunterreissen zu wollen.

Die Politiker, die in diesen Institutionen sitzen, setzen sich selber mit der Institution gleich. Das ist Grössenwahn! Darum verunglimpfen sie die Kritiker ihrer Person als Staatsfeinde. Die schweizerischen Institutionen wären schon in Ordnung. Oft aber das Personal darin nicht.

Welches Verhalten kritisieren Sie denn?

Nehmen Sie beispielsweise die Bundesanwaltschaft: Sie hat grosse Möglichkeiten, in die persönliche Freiheit der Bürger einzugreifen. Bundesanwälte können Leute in Untersuchungshaft nehmen, Existenzen zerstören. Sie können Telefonüberwachungen anordnen, Hausdurchsuchungen vornehmen usw. Aber die Bundesanwaltschaft hat durch Doppelunterstellungen kaum eine funktionierende Aufsicht. Das ist gefährlich. Leider sind die Bestrebungen, das alles zu verbessern, wieder versandet. Dabei geht es um den Rechtsstaat und um den Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür.

Und wie gehen Sie vor?

Es gilt zu orientieren, zu thematisieren. Am 5. September etwa jährt sich der unglaubliche Vorgang, dass Parlamentarier der Geschäftsprüfungskommission (GPK) mit der Bundesanwaltschaft versuchten, mit erfundenen Behauptungen den Justizminister aus dem Amt zu drängen. Vor kurzem wurde ein vertrauliches Protokoll veröffentlicht, das festhält, wie das gelaufen ist. Damit ist belegt: Der ehemalige Bundesanwalt ad interim, Michel-André Fels, und der Staatsanwalt des Bundes, Alberto Fabbri, haben der Geschäftsprüfungskommission irgendwelche belanglose Unterlagen als Komplottpläne präsentiert. Von GPK-Mitgliedern und den Staatsanwälten wurde eine strafbare Handlung des Justizministers konstruiert. Dadurch sollte ein Bundesrat in Bedrängnis und schliesslich zum Sturz gebracht werden. Das ist schwerster Amtsmissbrauch. Hätte Nationalrat Mörgeli nicht durch einen glücklichen Zufall einen Tag später die Wahrheit sofort belegen können, wäre dieser Putschversuch gelungen. Das darf es doch im Rechtsstaat Schweiz nicht geben. Die Hüter dieses Rechtsstaates haben ihre Stellung ins Gegenteil verkehrt. Sie beschädigen die guten Institutionen. Das muss zivil- und strafrechtliche Folgen haben.

Sie klagen?

Ja. Leider muss es sein. Eine Strafanzeige muss nicht meine persönliche Sache sein, die zivilrechtliche Persönlichkeitsverletzung hingegen muss ich selber geltend machen. Den Rechtsstaat – der für jedes staatliche Handeln massgebend ist – dürfen auch Parlamentarier, Bundesräte und Bundesanwälte nicht verletzen.

Sie fordern finanzielle Genugtuung?

Ja. Aber nicht für mich. Sie soll einer privaten Institution zufallen, die die Bürger vor der Willkür des Staates schützt.

Wie hoch wird die Forderung sein? 100 000 Franken?

Das werden wir zu gegebener Zeit darlegen.

Gegen wen genau klagen Sie?

Mit Sicherheit gegen Hauptbeteiligte, das heisst gegen Frau Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz und alt Nationalrat Jean-Paul Glasson sowie gegen den ehemaligen Bundesanwalt a. i. Fels und den Staatsanwalt des Bundes Fabbri. Eventuell auch gegen weitere Mitglieder der GPK. Es geht weniger um Persönliches als um die rechtsstaatlichen Institutionen und den Schutz anderer Bürger vor staatlicher Willkür.

Ein zweites Themenfeld, das Sie definierten, sind Steuern und Gebühren.

Es künden sich schlechtere wirtschaftliche Zeiten an. Da wollen wir die Leute von staatlichen Abgaben entlasten. So können die Bürger allgemein und insbesondere Unternehmen und Gewerbetreibende investieren. Aber genau das Gegenteil geschieht: Parlament und Bundesrat wollen die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent erhöhen, statt diese zu senken. Das zahlen die Bürger und die Wirtschaft. Mehrwertsteuer-Erhöhungen hat die SVP zu bekämpfen und sich für Steuersenkungen einzusetzen. Aber das Kampffeld ist auszudehnen: Weil Steuererhöhungen in der Regel der Volksabstimmung unterliegen, weichen Bund, Kantone und Gemeinden auf die Gebühren aus. Diese Gebührenflut bedeutet namentlich für kleinere Betriebe eine grosse Belastung. Die SVP fordert deshalb, dass auf allen drei Ebenen für jede einzelne Gebühr und nicht nur generell eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird.

Sie legten zu Beginn dar, dass Sie sich mit der Kaukasus-Frage beschäftigen. Welche Folgerungen ziehen Sie?

Auch das offizielle Bern muss endlich Abschied nehmen von den Illusionen der Neunzigerjahre, wonach Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen praktisch unmöglich seien. Diese Idee prägte seit längerem die verfehlte Sicherheitspolitik der Schweiz. Heute führen wieder Staaten Krieg gegen Staaten: die USA gegen den Irak, die Nato in Afghanistan, die Russen und Georgier im Kaukasus. Es besteht die Gefahr, dass der Kalte Krieg wieder ausbricht: Im Kaukasus sieht sich der Westen wieder Russland gegenüber, und die USA errichten unter Protest Russlands Raketenbasen in Polen. Was wäre geschehen, wenn die USA Georgien im Kaukasus militärisch geholfen hätten?

Es wäre zu einer Weltkrise gekommen.

Eben. In Krisen sind auch wir immer indirekt betroffen, vielleicht sogar direkt. Das zeigt eines: Der jahrhundertealte Grundsatz der dauernd bewaffneten Neutralität, den man in Bern zum Teil offen – aber noch mehr verdeckt – missachtet, ist hochaktuell. Die Realpolitik muss endlich wieder berücksichtigt werden.

Sie denken also, die Armee ist falsch ausgerichtet?

Eindeutig. Die führenden Leute im VBS wollen in die Nato und handeln auch so. Sie arbeiten auf eine Berufsarmee hin, ohne es zu sagen. Die dauernd bewaffnete Neutralität wird weder in der Aussen- noch in der Sicherheitspolitik ernst genommen. Die Armee ist zurzeit schlecht geführt. Für gefährliche Fälle ist sie nicht einsatzfähig: Die Führung hat den Kopf nicht mehr bei der Verteidigung des eigenen Landes.

Weshalb sollte sie das?

Weil die Bedrohung stets eine Realität ist. Die Hauptgefahr besteht heute in chaotischen Kriegen, die von aussen ins Land getragen werden. Terrorismus und organisierte Kriminalität, ethnische Konflikte, importierte Bürgerkriege, wilde Abrechnungen gegen unnötige Parteinahmen. Es geht nicht mehr um die gleiche Bedrohung wie zur Zeit des Kalten Krieges. Man ist in einer schwierigeren, unberechenbaren Situation.

Woran denken Sie?

Zum Beispiel an einen Bürgerkrieg zweier Volksgruppen, dessen Hasspotenzial sich auf die Schweiz ausdehnen könnte. Man muss realistisch bleiben: Die Konfliktursachen der Welt von morgen werden nach wie vor mit nationalen Interessen, nationaler Expansion zusammenhängen, mit Macht, Geld, Kommerz, Terrorismus, Öl, Wasser, Geschichte, mit Freiheits- und Selbstbestimmungsdrang von Minderheiten, mit religiösen und politischen Ideologien, mit Machtstreben von Politikern. Die neutrale Schweiz tut gut daran, nicht zum Spielball anderer zu verkommen, alles zu tun, um gewappnet zu sein.

Hier skizzieren Sie neue Wege?

Die grosse Aufgabe der SVP ist es nun, für die dauerhafte bewaffnete Neutralität und die Unabhängigkeit des Landes einzutreten. Das muss die Grundlage sein. Die Ausrichtung der Armee stimmt im Gesamten nicht mehr. Sie braucht einen Innovationsschub: Eine kleine, professionelle Truppe gegen den Informationskrieg, die man mit Spezialisten der Miliz verstärken kann. Für «primitive» Gewaltanwendungen braucht sie eine gut ausgebildete und bestandesstarke Truppe. Hier ist die Milizarmee das Richtige. Dazu braucht es eine gute Führung.

Weshalb die SVP Samuel Schmid weghaben will?

Das ist zu kurz gegriffen: Die Armee ist im Verteidigungsfall nicht einsatzfähig. Dafür ist Herr Schmid verantwortlich. Das zeigt sich schon in alltäglichen Dingen. Das Material ist nicht in Ordnung, die Leute werden falsch aufgeboten usw. Wo es im Kleinen hapert, stimmt es auch im Grossen nicht. Die Führung ist zu verbessern, die Konzeption ist zu ändern.

Will die SVP eine Art runden Tisch?

Ich habe nichts dagegen. Doch muss zuerst die Realität auf den Tisch, aber diese wird verdrängt, verschwiegen und oft unter den Tisch gekehrt.

Nur: Die SVP sitzt nicht mehr im Bundesrat.

Das stimmt. Das ist einerseits ein Nachteil. Anderseits können wir das Problem unbeschwerter benennen.

Damit zeigen Sie: Sie wollen Verteidigungsminister werden. Weil nur Sie die Armee retten können.

Nein. Träte Herr Schmid jetzt zurück, und ein Vertreter der SVP würde gewählt, so müsste er wohl das VBS übernehmen, weil dieses ja kaum jemand sonst übernehmen will. Er müsste rasch aufräumen. Die Änderungen vorantreiben. Womöglich gegen den Widerstand der anderen Bundesräte. Und gegen das Machtspiel der «Intrigen-Allianz», wie das die «NZZ» nannte: Unmöglich ist es nicht, aber – wenn man es richtig macht – ist man nachher verheizt.

Also müssten doch Sie es tun.

Nein. Aber lassen wir jetzt diese theoretischen, personellen Fragen. Schmid tritt nicht zurück.

Was planen Sie noch weiter?

Ich habe noch private Pläne. Wird eine geeignete Aufgabe an mich herangetragen, ist es denkbar, dass ich sie annehme.

In der «Berner Zeitung» gestanden Sie ein, nicht mehr dieselbe Energie zu haben wie früher. Haben Sie Raubbau an sich selbst betrieben?

Zum Leidwesen meiner Gegner bin ich gesundheitlich gut beieinander. Aber ich bin 67 Jahre alt. Damit habe ich den Vorteil der grossen Erfahrung, was gegenüber früher viel Aufwand erspart.

An der Beerdigung von Kurt Furgler kam es zu einem geschichtsträchtigen Bild: Sie drückten die Hand von Leon Schlumpf, dem Vater von Eveline Widmer-Schlumpf. War das ein Akt der Versöhnung?

Nein (lacht). Ich habe ja keinen Krieg mit ihm, darum muss ich mich nicht versöhnen. An dieser Abdankung in der mächtigen Klosterkirche hatte ich ohnehin ganz andere Gedanken.

Welche denn?

Ich dachte, dass Wolfgang Amadeus Mozart keine so grossartige Beerdigung hatte wie Kurt Furgler. Welcher Gegensatz. Mozart warf man in eine Grube. Sein Grab ist unauffindbar, über Mozart sprach man 150 Jahre praktisch nicht. Dann erfüllte seine Musik die ganze Welt. In dieser Beziehung ist auch die 500-seitige Biografie über Alfred Escher ausserordentlich tröstlich: Auch Escher war zuletzt furchtbar geächtet. Trotz oder wegen seines Lebenswerkes. Noch schlimmer erging es Churchill. Zahlreiche bedeutende Menschen traten zu ihrer Zeit ohne Glanz und Gloria ab.

So sehen Sie sich selbst auch?

Diese Boshaftigkeit musste ja kommen. Doch ich vergleiche meine Leistung weder mit Mozart noch mit Escher oder Churchill. Aber ich kann dank dieser Erkenntnis zum Beispiel gut mit der Abwahl umgehen.

Sie denken, später wird man von Ihnen Ähnliches sagen?

Auch diese Parallele suche ich nicht. Aber für alle Menschen, die schwierige Aufgaben bewältigen, ist es tröstlich: Selbst jene, die ein so grosses Werk vollbrachten – wie eben Mozart, Escher, Churchill –, mussten untendurch. Eine Parallele gibt es allerdings: Auch sie setzten sich voll und ganz für ihre Sache ein. Natürlich ist es bedauerlich, dass die Arbeit im Bundesrat unterbrochen wurde. Jetzt gehe ich eben auf anderen Geleisen. Wer weiss, vielleicht zeigt sich später, dass dieses Geleise ausserhalb der Regierung erfolgreicher war.

Weshalb?

In der Regierung verbessert man stets die schlechten Zustände. Jetzt muss die Regierung und deren Allianz selber beweisen, was sie kann. Die letzten Monate führten ja die Zustände jedermann vor Augen. Und am meisten unter Druck kommen CVP und FDP. Das zeigten alle kantonalen Wahlgänge seit dem 12. Dezember 2007. Der Bruch der Konkordanz hat sich negativ ausgewirkt.

Müsste deshalb nicht Schmid im Interesse des Landes zurücktreten, Sie Ihren Verzicht auf eine Kandidatur bekannt geben – und die SVP wieder in die Regierung?

Alles eine theoretische Möglichkeit! Nur so viel: Wenn Blocher im Interesse des Landes nicht kommen darf, dann kommt Blocher im Interesse des Landes nicht. Aber Samuel Schmid wird bleiben. Warum wollen die anderen Parteien dies unbedingt so? Wohl kaum im Interesse des Landes.

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