Die geltenden Gesetze konsequent anwenden

Zürcher Landzeitung: «Auch in der Schweiz ist töten nicht erlaubt», sagt Justizminister Christoph Blocher zur aktuellen Diskussion über Sterbehilfe. Erstrebenswert sei ein Ausbau des Angebots der Palliativmedizin.

26.09.2007, Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Zürichsee-Zeitung vom 26. September 2007

Die unschönen Begleiterscheinungen von Suizidhilfe und Sterbetourismus sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Tatsächlich ist es etwa für die Anwohner in der Nähe von Sterbewohnungen unzumutbar, fast täglich zuschauen zu müssen, wie fremde Leute herkommen, von ihren Angehörigen Abschied nehmen und wenig später im Sarg weggetragen werden. Es lohnt sich, hier wieder einmal auf die bestehende Rechtslage und die Notwendigkeit der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu achten!

Der Betrieb einer Sterbewohnung oder eines Sterbehauses in einer Wohnzone verletzt das seelische Empfinden. Um sich davor zu schützen, können die betroffenen Nachbarn zu den im Zivilgesetzbuch vorgesehenen nachbarrechtlichen Mitteln (Art. 679 und 684) greifen. Zudem können die Behörden gestützt auf das Raumplanungs- und Baurecht auf eine zonenkonforme Nutzung beharren und den Betrieb von Sterbewohnungen unterbinden, was in Stäfa anscheinend geschehen ist.

Missbräuche verhindern

Zunächst ist darauf hinzuweisen, und das kann nicht genug betont werden: Auch in der Schweiz ist töten verboten! Auch wenn die Schweiz – als eines der wenigen europäischen Länder – die Beihilfe zum Suizid aus uneigennützigen Gründen für straflos erklärt, ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass töten nicht erlaubt ist. Diese liberale Regelung will zwar niemand in Frage stellen. Aber mit der Zunahme der organisierten Suizidbeihilfe und dem Aufkommen des Sterbetourismus sind auch Missbrauchsgefahren verbunden. Doch auch hier bietet das geltende Straf- und Gesundheitsrecht genügend Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten, die es auszuschöpfen gilt. Wenn zum Beispiel die Grenzen von der uneigennützigen – und damit straflosen Beihilfe zur Selbsttötung – zur Fremdtötung überschritten werden oder bei der Verschreibung des todbringenden Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital (NAP) der Sterbewunsch nicht sorgfältig und fachkundig abgeklärt wird, sind die Behörden gefordert.

Sache der Behörden
Es ist unerlässlich, dass auch nach jeder Selbsttötung die Strafverfolgungsbehörden sorgfältig und umfassend die Todesart abklären, da bei einem aussergewöhnlichen Todesfall eine strafbare Handlung von Dritten grundsätzlich nie ausgeschlossen werden kann. Diese Behörden haben einen Augenschein vor Ort zu nehmen, Einvernahmen durchzuführen und eine Untersuchung der Leiche durch einen sachverständigen Arzt anzuordnen, um den Sachverhalt abzuklären. Ebenso müssen die Gesundheitsbehörden konsequent gegen Sorgfaltspflichtverletzungen von Ärzten vorgehen und ihnen allenfalls die Bewilligung zur Berufsausübung entziehen.

Aufsichtsgesetz: keine Lösung
Statt alle Handlungsmöglichkeiten zu nutzen und die geltenden Gesetze konsequent anzuwenden, wird in Teilen der Öffentlichkeit immer wieder der Erlass eines Bundesgesetzes über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen gefordert. Der Bundesrat lehnt die Schaffung eines Aufsichtsgesetzes ab, denn es bietet keine taugliche und brauchbare Lösung, um Missbräuche zu verhindern. Die Gefahr ist gross, dass dadurch lediglich von der eigentlichen Aufgabe abgewichen wird, die geltenden Gesetze konsequent anzuwenden. Ein Aufsichtsgesetz könnte sogar die verantwortlichen Behörden dazu verleiten, die Fälle nicht mit der notwendigen Konsequenz und Gründlichkeit abzuklären, da „staatlich qualifizierte“ und beaufsichtigte Organisationen über jeglichen Zweifel und Verdacht erhaben zu sein scheinen.

Liberale Regelung bewährt sich
Die liberale Regelung der Suizidhilfe in der Schweiz hat zwar zur Entstehung von Suizidhilfeorganisationen geführt und ist eine Hauptursache für das Aufkommen des Sterbetourismus. Doch wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass sich diese Regelung bewährt hat und dass von keiner Seite deren Aufhebung gefordert wird. Zudem sind die Regelungen der verschiedenen Formen der Sterbehilfe aufeinander abgestimmt. Indem der Staat die Beihilfe zum Suizid ohne selbstsüchtige Beweggründe zulässt, hilft er nicht nur dem Einzelnen in dieser Situation seinen Willen frei zu bilden und danach zu handeln. Gerade die Straflosigkeit der uneigennützigen Beihilfe zum Suizid erleichtert es, ohne Abstriche am absoluten Tötungsverbot festzuhalten.

Tötungsverbot nicht gelockert
Der Schutz des menschlichen Lebens gehört zu den vornehmsten und primären Aufgaben des Staates. Bisher haben es sowohl der Bundesrat wie das Parlament entschieden abgelehnt, das unserer Rechtsordnung zugrunde liegende absolute Tötungsverbot zu lockern. Zwar waren die parlamentarischen Vorstösse zur Legalisierung der direkten aktiven Sterbehilfe restriktiv formuliert. Nur in extremen Ausnahmefällen sollten jene von einer Strafe befreit werden, die aus Mitleid einen unheilbar und schwer kranken, vor dem Tode stehenden Menschen, auf sein eindringliches Verlangen hin von einem unerträglichen und menschenunwürdigen Leiden befreien. Dass diese Vorstösse abgelehnt wurden, ist auf den breiten Konsens zurückzuführen, dass selbst eine äusserst restriktive Strafbefreiung der direkten aktiven Sterbehilfe ein Tabu brechen, Hemmschwellen senken und gefährliche Schleusen zur unfreiwilligen Sterbe-„Hilfe“ öffnen würde.

Standesrecht besser geeignet
Die indirekte aktive und die passive Sterbehilfe dagegen gehören seit langem zum Schweizer Spitalalltag und sind in den standesrechtlichen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften detailliert geregelt. Dennoch fordern parlamentarische Vorstösse, diese unter bestimmten Voraussetzungen straflosen Formen der Sterbehilfe auch ausdrücklich im Strafgesetzbuch zu regeln. Die Befürworter einer Regelung im Strafgesetzbuch sind sich allerdings uneinig, ob eine restriktivere oder liberalere Lösung anzustreben ist, und bezeichnenderweise schweigen sich die Vorstösse über den genauen Inhalt einer solchen Regelung aus.

Recht setzt klare Schranken
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Sterbehilfe in der Schweiz nicht in einem rechtsfreien Raum ereignet. Die geltenden Regeln sind in der Bundesverfassung, im Bundesrecht und im kantonalen Recht, in Gemeindebeschlüssen sowie im medizinischen Standesrecht gegeben und setzen klare Schranken. Hinsichtlich der Strafbarkeit der direkten aktiven Sterbehilfe besteht keine Rechtsunsicherheit. Sie ist verboten. Unvermeidliche Grenzzonen (z.B. im Grenzbereich zwischen Schmerztherapie und gezielter Lebensverkürzung) lassen sich nicht durch gesetzliche Regelungen aus der Welt schaffen. Jede Regelung würde letztlich dazu führen, dass Töten in Ausnahmefällen grundsätzlich erlaubt wäre. Töten muss aber grundsätzlich verboten bleiben. Um allfälligen Missbräuchen und stossenden Begleiterscheinungen der organisierten Suizidhilfe und des Sterbetourismus zu begegnen, sind keine neuen Gesetze erforderlich. Vielmehr müssen insbesondere die Strafverfolgungs- und Gesundheitsbehörden in allen Kantonen die Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten des geltenden Rechts voll ausschöpfen.

Erstrebenswert ist hingegen ein Ausbau des Angebots der Palliativmedizin. Denn eine umfassende Unterstützung und Betreuung todkranker Patienten ermöglicht es diesen Menschen, in Würde zu leben und zu sterben. Die Palliativmedizin trägt damit dazu bei, den Sterbewunsch und die Nachfrage nach Suizidhilfe abzuschwächen.

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