Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung?

Frauenfeld. Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der SVP-Informationsveranstaltung, 20. September 2007, in Frauenfeld.

20.09.2007, Frauenfeld

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Meine Damen und Herren

1. Ist die Schweiz überlebensfähig?

Seit Beginn der 90er Jahre gibt es starke Kräfte in der Schweiz, die einen Beitritt zur EU fordern und darauf hinarbeiten.

Anfänglich, vor allem während der EWR-Abstimmung, argumentierten die Beitrittsbefürworter hauptsächlich ökonomisch. Manager, Wirtschaftspolitiker und ganze Verbände drohten der Bevölkerung, unser Land könne ausserhalb der EU wirtschaftlich nicht überleben.

Mittlerweile sind diese Gruppen ruhig geworden oder haben ganz die Seite gewechselt und gehören heute zu den Gegnern eines Beitritts. Warum? Weil die Schweiz ökonomisch sehr gut ohne EU-Mitgliedschaft dasteht und gerade wegen ihrer Nichtmitgliedschaft grosse Vorteile geniesst!

2. Oberstes Gebot: Handlungsfreiheit
Es ist immer gut zu fragen: Ist die Schweiz auf dem richtigen Weg?
Kann unser Land seinen Wohlstand, seine Wirtschaftskraft, sein Unternehmergeist behaupten?

Ich sage Ihnen mit Überzeugung:

Ja, die Schweiz hat Zukunft. Ja, die Schweiz wird ihren Weg finden.
Unter einer Voraussetzung: Wenn ein Land seine Geschicke bestimmen will, muss es frei handeln können. Die Handlungsfreiheit, die Selbstbestimmung, die Unabhängigkeit ist darum das höchste Gebot. Wenn wir nicht selber bestimmen können, sondern fremd bestimmt werden, müssen wir uns gar nicht den Kopf zerbrechen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Denn andere werden diesen Weg bestimmen – und das wollen wir nicht. Wer das Wohl der Schweizerinnen und Schweizer im Auge hat, wird alles für die Selbstbestimmung unseres Landes tun.

Wie die Zukunft aussieht, kann niemand mit Sicherheit sagen.
Vor zweihundert Jahren war unser Land so etwas wie der Vietnam Europas: Ein Billiglohnland für Textilien mit grossem bäuerlichem Bevölkerungsanteil. Keiner hätte diese fulminante Entwicklung bis heute voraussagen können. Und niemand weiss, wie es in nochmals zweihundert Jahren aussehen wird.
Aber eines wissen wir: Die Schweiz hat Zukunft, so lange sie auf ihre Eigenständigkeit setzt und eine Politik betreibt, die optimal ist für einen kleinen, neutralen, freiheitlichen Staat wie die Schweiz.

Darum stehen wir uneingeschränkt für die Unabhängigkeit unseres Landes ein, damit wir unsere Geschicke auch künftig selber bestimmen können.

3. Freiheit heisst Sicherheit

Die Grundlage unseres Staates ist also die Selbstbestimmung, die Handlungsfreiheit nach aussen.
Und wie sieht es innen aus? Wie sieht die Grundlage der Schweiz innerhalb unserer Grenzen aus?

Die oberste Pflicht eines Staates ist, für die Sicherheit seiner Bewohnerinnen und Bewohner zu sorgen. Diese innere Sicherheit ist die Voraussetzung der Freiheit. Wir wollen uns frei bewegen können – ohne Angst zu haben vor Gewalt und Übergriffen. Zur inneren Sicherheit gehört der absolute Schutz an Leib und Leben.

Wir wollen frei unserer Arbeit und unseren Geschäften nachgehen können – ohne, dass wir schikaniert, beraubt, enteignet werden.
Unsere Kinder und Schüler sollen in Sicherheit leben – ohne, dass sie angepöbelt, erpresst, gedemütigt, genötigt und geschlagen werden.

4. Vertrauen in die Bürger

Die Freiheit muss also nach aussen wie nach innen gewährleistet sein. Darum streben wir nach der Unabhängigkeit der Schweiz und nach Sicherheit im Innern.
Doch die Gefahr der Freiheitsberaubung ist auch die Reglementierung, Bürokratisierung, Bevormundung des Bürgers durch Vorschriften: Aber gleichzeitig auch, in dem der Bürger durch Abgaben, Gebühren, Zwangsprämien und Steuern immer mehr enteignet wird.

Darum: Mehr Vertrauen in die Bürger. Die herrschende Regulierungswut und Bevormundungstendenz zeugen nämlich nur vom Misstrauen in den Menschen und seine Fähigkeiten.

Wir haben einen anderen Weg zu gehen, den Weg der Schweiz: Wir vertrauen dem Selbstgestaltungswillen des Menschen, darum halten wir auch das Prinzip der Eigenverantwortung hoch.

So wie der Staat nach aussen seine Handlungsfreiheit bewahren soll, soll auch dem Einzelnen seine Handlungsfreiheit belassen werden. Darum soll er auch so frei über sein Einkommen verfügen können wie nur möglich. Durch laufend höhere Steuern, Abgaben, Prämien und Gebühren. Kann man den Bürger entmündigen!

Der Weg der Schweiz ist: auf unabhängige, mündige, eigenverantwortliche Bürger setzen.

5. Die Schlechtredner

Es gehört zum System der EU-Befürworter, die Schweiz schlecht zu reden und vor allem ihre Vorzüge in Nachteile umzudeuten. Besonders der Föderalismus, also unser Staatsaufbau von unten nach oben, wird als „Kantönligeist“ belächelt. Dabei zwingt der Föderalismus die Politik zur Bürgernähe. Je kleiner der politische Raum, desto überschaubarer ist und vor allem desto besser kann der Bürger kontrollieren und Einfluss nehmen. So sieht eine konkrete Stärkung der Demokratie aus.

Ein EU-Beitritt ist unvereinbar mit unserer direkten Demokratie. In der EU hat unser Volk nichts mehr zu sagen.
Natürlich wissen unsere „Eliten“, dass es letztlich die direkte Demokratie war, die unsere Unabhängigkeit gesichert hat und weiter sichert. Wäre es nach dem Willen des früheren Bundesrates, des Parlaments und der anderen Parteien gegangen, wären wir heute in der EU.

6. Bankkundengeheimnis

Dass andere europäische oder amerikanische Finanzmärkte, aus Eigeninteresse das schweizerische Bankgeheimnis bekämpfen, kann man verstehen, ja sogar als Auszeichnung werten. Aber dass es massgebliche Kräfte im eigenen Land gibt, die unsere Vorteile hintertreiben, ist schon erstaunlich bis widerlich.
Als Unternehmer habe ich eines gelernt: Wer Erfolg haben will, muss sich auf seine Stärken besinnen und diese ausbauen – und nicht preisgeben. Nur: Wer bedingungslos in die EU will, denkt und handelt selbstverständlich anders.

7. Was bringt die verstärkte Regierungsbeteiligung?

Heute können wir unsere Politik verstärkt in der Regierung selbst einbringen. Und es zeigen sich erste Resultate:

Der Bundesrat hat sich vom EU-Beitritt als „strategischem Ziel“ verabschiedet. Der Bundesrat sagt noch nicht, der EU-Beitritt ist vom Tisch. Aber das Ziel ist gewichen. Wenigstens ein halber Erfolg.
Konsequent wäre: Der Bundesrat setzt sich für die Unabhängigkeit der Schweiz ein – so wie es die Bundesverfassung verlangt.
Was die bilateralen Verträge anbelangt, hat der Bundesrat beschlossen, dass diese die künftige Handlungsfreiheit des Landes nicht einschränken dürfen!
Das ist ausserordentlich bedeutsam!

Es bessert sich. Aber wir stehen erst am Anfang!

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