Neosozialistisch statt neoliberal?

Eine kurze Verteidigungsrede von Freiheit, Demokratie und Markt (oder was es zu den Managersalären zu sagen gibt). Rede von Bundesrat Christoph Blocher am 36. St. Gallen Symposium

18.05.2006, St. Gallen

St. Gallen, 18.05.2006. Anlässlich des St. Galler Symposiums gedachte Bundesrat Christoph Blocher dem liberalen Denker Wilhelm Röpke und verwies auf dessen Antworten auf auch heute noch aktuelle Fragen, wie zum Beispiel die Managerlöhne. Er betonte, dass die Entschädigung jedes Angestellten der Leistung und dem Marktwert entsprechen sollte und ging davon aus, dass die Eigentümer diese Löhne festlegen. Bundesrat Blocher sieht jedoch Probleme bei grossen börsenkotierten Unternehmen und spricht sich deshalb für die Corporate Governance und die laufende Aktienrechtreform aus.


Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.


1. Zum 40. Todestag Wilhelm Röpkes

Es wird allerhand gefeiert in diesem Jahr:

* Mozarts 250. Geburtstag.
* Vor 150 Jahren verstarb Heinrich Heine.
* In dessen Todesjahr 1856 kam der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, zur Welt.

Aber im ganzen Taumel der Jubiläen geht ein Mann fast vergessen, der vor vierzig Jahren als Emigrant in der Schweiz gestorben ist: Wilhelm Röpke, ein bedeutender liberaler Denker des 20. Jahrhunderts. Ich halte Wilhelm Röpke für einen wichtigen Wegweiser zur Lösung der volkswirtschaftlichen Probleme unserer Zeit.

Wie Mozart, Heinrich Heine und Sigmund Freud in ihrer Zeit war auch Wilhelm Röpke verfemt. So musste er schon 1933 Nazi-Deutschland verlassen. Das Regime hielt ihn wegen seiner – ich zitiere – „liberalen Gesinnung“ für eine Gefahr.

2. Warnung vor dem Sozialismus

Röpke gehörte zu den grossen Verfechtern der Marktwirtschaft, die er im Zentrum einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft sah. Er ist das, was man heute verächtlich einen „Neoliberalen“ nennt.

Tatsächlich ist es Mode geworden, im „Neoliberalismus“ – also in der Lehre der grossen Liberalen Ludwig von Mises, August Friedrich von Hayek, Wilhelm Röpke und später Milton Friedman – das Grundübel, ja das Böse schlechthin zu sehen. Deren Kritiker haben offensichtlich nicht begriffen, dass der Liberalismus das vielleicht unbequeme, aber unumgängliche Fundament zur Lösung unserer Probleme bildet. Die westlichen Industriestaaten kranken an einer überregulierten Wohlfahrt, an der Entfremdung des Bürgers vom Staat, sie sind gekennzeichnet von schwachem Wirtschaftswachstum und einer generellen Überforderung des Staates.

Dabei wären die „Neoliberalen“ die wahren Sozialen, denn keine Lehre hat so zur hohen Beschäftigung, zu Wohlfahrt und zur Überwindung der Armut beigetragen wie diese! Aber auch zu aktuellen Fragen finden wir bei den Neoliberalen wichtige Antworten: So zum Beispiel über das zur Zeit in allen Industriestaaten viel diskutierte Thema der als überrissen bezeichneten Managersaläre.

3. Managersaläre

Die jüngsten Debatten über Managersaläre sind von Unverständnis und oft auch Neid geprägt. Vergleiche zwischen Arbeiterlöhnen und Managerlöhnen führen uns jedoch nicht weiter und der Neid darf nicht die politische Agenda diktieren. Die Frage nach den „richtigen“ Managerlöhnen ist wesentlich komplexer, als es die plakativen Aussagen der Kritiker wie auch der Befürworter dieser Entschädigungen glauben lassen.

Was also ist zu tun? Es sind hier ein paar Grundwahrheiten, die zur Zeit zugeschüttet sind, hervorzuholen und an den Anfang zu stellen:

4. Grundwahrheiten

* Eine erste Grundwahrheit
Aufgrund der Erfahrungen der letzten 200 Jahre ist es wohl unbestritten, dass privatwirtschaftliche, florierende Unternehmen die besten Arbeitsplätze, hohen Verdienst, breiten Wohlstand, Reichtum und Steuersubstrat und damit die Voraussetzungen für einen sozialen Staat schaffen.
Als Unternehmer sagte ich mir stets: „Meine sozialste Aufgabe ist das Unternehmen erfolgreich zu führen“, denn erfolgreiche Unternehmen schaffen Beschäftigung und sind die Quelle für allgemeine Wohlfahrt.
Als Bundesrat sage ich mir, es ist die sozialste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Land möglichst viele Unternehmer ihr Unternehmen erfolgreich führen können.
Wer immer noch auf sozialistische oder neosozialistische Rezepte setzt, hat die Weltgeschichte verschlafen.

* Eine zweite Grundwahrheit
Der Erfolg eines Unternehmens ist abhängig von der Führung. Entscheidend ist die Führungspersönlichkeit oder das Management an der Spitze: „Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, sondern nur schlechte Chefs!“ Das gilt überall: In den Unternehmen, in Organisationen, Verbänden und Parteien. Das gilt auch in den Schulen und Universitäten und – wenn Sie mir diese kollegiale Bemerkung erlauben – das gilt auch für den Bundesrat. Darum ist es die Hauptaufgabe des Unternehmers, ein gutes Management bereit zu stellen.
Das heisst aber auch: Ein Versager an der Spitze des Unternehmens ist unverzüglich abzusetzen, denn die Spitze des Unternehmens sorgt für das Resultat – für das gute oder das schlechte.

* Eine dritte Grundwahrheit
Gute Chefs an der Spitze zu finden, ist schwierig. Diese Menschen sind nicht allzu zahlreich. Darum sind sie in der Regel teuer. Aber: Es gibt für alle Mitarbeiterkategorien einen Markt – auch für Manager! Darum gilt es im Markt in freier Konkurrenz von Bewerbern auszuwählen.

* Eine vierte Grundwahrheit
Was ist denn ein Unternehmer?
Ein klassischer Unternehmer ist ein Mensch, dem eine Firma gehört und der diese auch selbst führt. Er ist Manager und Eigentümer in einem. Sein Dasein – man könnte etwas pathetisch auch von Schicksal reden – ist eng mit der Firma verbunden, weil sein Kapital in der Firma steckt. Das unterscheidet ihn vom Manager, der als Angestellter die Firma nur führt.

Bei den börsenkotierten Unternehmen ist es allerdings anders. Dort gibt es den klassischen Unternehmer – der Eigentümer und Manager zugleich ist – nicht. Führung und Eigentum fallen nicht zusammen. Der Eigentümer besteht darüber hinaus aus einer Vielzahl von Aktionären! Das erschwert die volle Interessenwahrung zusätzlich.

* Eine fünfte Grundwahrheit
Für den Erfolg ist es wichtig, dass die Eigentümer die Manager zu einem leistungs- und marktgerechten Salär einsetzen. Weder der Staat noch irgendwelche Aussenstehenden sind in der Lage, die richtige Entschädigung oder deren Obergrenze festzulegen. Auch nicht die Manager selbst. Denn das Unternehmen gehört nicht ihnen. Es ist die Sache des Eigentümers – bei den Aktiengesellschaften der Aktionäre – die Bezüge des Managements festzulegen.

* Eine sechste Grundwahrheit
Wie hoch soll die Entschädigung denn sein?
Generell gesprochen sollte die Entschädigung so hoch sein, dass sie der Leistung und dem Marktwert entspricht. Das gilt für alle Angestellten. Auch für die obersten. Die Anstellungsbedingungen sollen hervorragende Leistung zu einem möglichst günstigen Preis generieren. Im Gegensatz zum Markt für kaufmännische Angestellte, Arbeiter, Verkäufer, Lehrer und Professoren ist der Markt für Manager kleiner und es gibt keine eindeutigen Hinweise auf das „richtige“ Lohnniveau, auf den Marktlohn.

* Eine siebte Grundwahrheit
Das Anliegen, ein gutes Management an der Spitze zu haben, ist für eine erfolgreiche Unternehmung dermassen wichtig, dass es auch falsch wäre, das Lohnniveau von einer generellen Akzeptanz der Öffentlichkeit oder der Medien abhängig zu machen. Soziales Denken heisst, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen von erfolgreichen Managern so geführt werden, dass sie Gewinn abwerfen und Wohlstand erzeugen. Das Salär richtet sich allein nach der Leistung und dem Marktwert.

5. Schutz der Freiheitsrechte?

Wie gesagt: Die Unternehmer, die Eigentümer, die Aktionäre oder die Verwaltungsräte – als die Treuhänder der Eigentümer – haben diese sieben Grundwahrheiten zu beherzigen. Deshalb stellt sich die Frage: Ist der Ruf nach dem Staat angesichts der enormen Managersaläre überhaupt gerechtfertigt? Hat der Staat in diesem Bereich überhaupt etwas zu suchen?

Ich meine ja. Gerade als Verfechter des liberalen Rechtstaates bin ich dieser Überzeugung.

Warum?
Der Schutz der Freiheitsrechte ist eine der zentralen Aufgaben im liberalen Rechtsstaat. Und hier im Besonderen der Schutz des Privateigentums.

In grossen Publikumsgesellschaften mit Tausenden von Aktionären ist es für die Eigentümer heute kaum möglich, ihr Eigentumsinteresse zu wahren und durchzusetzen. Die Eigentümerfunktion ist häufig so pulverisiert, dass der Einzelne seine Interessen kaum wahrnehmen kann.

Es ist fast wie im Kommunismus: Auch dort hat man immer wieder verkündet, das Eigentum gehöre allen. Nur konnte letztlich niemand seine Eigentumsinteressen wahrnehmen, so dass es schliesslich die Nomenklatur tat. Sie hat vorgeblich die Privatinteressen betreut – aber zum eigenen Nutzen.

Weil der Schutz des Privateigentums jedoch eine zentrale und für den wirtschaftlichen Erfolg ausschlaggebende Staatsaufgabe ist, besteht für den Staat immer dann Handlungsbedarf, wenn er feststellen muss, dass das Privateigentum nicht genügend geschützt ist. Bei grossen börsenkotierten Aktiengesellschaften braucht es staatliche Vorschriften über die Corporate Governance, damit das Eigentum geschützt ist. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Verwaltungsräte und das Management zu Lasten der Eigentümer ungerechtfertigt bereichern und damit das Privateigentum verletzen.

6. Massnahmen im schweizerischen Aktienrecht

Hier muss der Staat ernst machen. Dies ist aktueller Gegenstand der schweizerischen Aktienrechtsreform: Der Entwurf liegt jetzt in der Vernehmlassung. Was will diese Reform?

1. Die Bezüge der Verwaltungsräte müssen im Einzelnen bis ins Detail veröffentlicht werden, ebenso das höchste Salär der Geschäftsleitung und das Gesamtsalär der Geschäftsleitung. Die Revisionsstelle hat dies zu prüfen und zu bestätigen. Diese Regelung ist bereits beschlossen, sie wird auf den 1. Januar 2007 in Kraft treten. Damit kann der Eigentümer die Managemententschädigungen im Verhältnis zur Leistung und zum Markt beurteilen.
2. Die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder sind jährlich einzeln zu wählen bzw. zu bestätigen. So können die Eigentümer, d.h. die Aktionäre, bei der jährlichen Wahl bzw. Wiederwahl des Verwaltungsrates direkt oder indirekt über die Leistung und die Bezüge der obersten Führungskräfte urteilen.
3. Damit dem Willen der Eigentümer zum Durchbruch verholfen werden kann, müssen stimmenverfälschende Aktionen untersagt werden (so insbesondere das Depotstimmrecht der Banken oder die Stimmenmanipulation durch geborgte Aktien).
4. Der Verwaltungsrat hat die Auswahlprozesse – wie bei allen Mitarbeitern – auch bei den führenden Managern anzuwenden. Der Salärfindungsprozess ist in freier Konkurrenz und nicht unter Koordination einiger weniger Beratungsfirmen zu gewährleisten. Der Verwaltungsrat ist Treuhänder der Eigentümer, und nicht die Beratungsfirmen. Er hat diese Funktion wahrzunehmen. Tut ein Verwaltungsrat, der für getreue Geschäftsbesorgung verantwortlich ist, dies nicht, ist er zur Rechenschaft zu ziehen. Die gesetzlichen Vorschriften dazu bestehen schon heute!
5. Für die nichtbörsenkotierten Firmen ist vorgesehen, dass die Bezüge der Verwaltungsräte auf Verlangen von Aktionären bekannt gegeben werden müssen. Damit können auch Aktionäre in kleinen Firmen als Unternehmer über Leistung und Entlöhnung durch die Stimmabgabe bestimmen.

Solche Bestimmungen sind kein staatlicher Interventionismus. Wer von der Marktwirtschaft überzeugt ist, für den ist es selbstverständlich, dass der Staat die Rahmenbedingungen schafft, damit Leistung, marktgerechte Entschädigung und das Privateigentum gewährleistet sind.

Andere Lösungsvorschläge wie gesetzliche Höchstlöhne von Managern, die Festsetzung der Löhne durch Aussenstehende oder gar der sozialistische Schlachtruf „gleiche Löhne für alle“ sind unsinnig und hätten verheerende Folgen für die Volkswirtschaft eines Landes.

Mit dem neuen Aktienrecht werden die unseligen Diskussionen über die Managerlöhne ein Ende nehmen.

7. Röpke in Genf

Kommen wir nochmals kurz auf Wilhelm Röpke zu sprechen.
Nach seiner Emigration in die Schweiz fand Wilhelm Röpke einen neuen Wirkungsort in Genf, am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales. Sein äusserst positives Urteil über die Schweiz hing nicht nur mit seiner speziellen Biographie als Emigrant zusammen. Er erkannte in der Schweiz eine „Ausnahme wie alles in der Geschichte einigermassen Gelungene“ (in Gesellschaftskrisis der Gegenwart). Möge dies auch für die Aktienrechtsreform gelten!

Lasst den Staat tun, was er unbedingt tun muss. Der Rest sei Demokratie, Marktwirtschaft und Freiheit.

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