Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen… (… und tausend Vorschriften beachten)

Rede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des SVIT-Immobilien

21.01.2006, Pontresina

Pontresina, 21.01.2006. Anlässlich des SVIT-Immobilien Forums referierte Bundesrat Christoph Blocher über Eigentum und Freiheit. Der Staat habe primär den Auftrag, Privateigentum zu schützen, da dieses die Voraussetzung für Wohlstand sei. Die im Referatstitel formulierten Lebensziele eines Mannes seien als generelle Aufforderung zu verstehen, etwas im Leben zu leisten.

Eigentum und Freiheit

Sie kennen alle die Geschichte von „Wilhelm Tell“. Von jenem rebellischen Bergbauern und Gebirgsjäger, der sich gegen die habsburgische Tyrannei auflehnte, bis er schliesslich den Reichsvogt Gessler ins Jenseits beförderte und damit seinen Landsleuten die Freiheit wieder brachte. Sie werden sich jetzt vielleicht denken, was hat Schillers Drama mit der Immobilienwirtschaft, dem 21. Jahrhundert und dem heutigen Forum zu tun. Mehr, als Sie auf den ersten Blick vermuten würden.

Wie alle guten Geschichten kann man den „Tell“ ganz verschieden lesen:

Einmal als eine kluge Studie darüber, dass Freiheit sich immer auch über die Eigentumsfrage definiert. Dass Freiheit eben auch den freien Zugang zu Eigentum meint und jeder ohne Einschränkungen über sein Eigentum verfügen kann. Es gibt aber auch Eigentum jenseits des profanen Materiellen.

Im ausgehenden 13. Jahrhundert nahmen die neuen Herrscher den Eidgenossen ihre alten Rechte und beraubten sie damit ihrer Selbstbestimmung. Der Rechtsstaat stellt selber so etwas wie ein gemeinsamer Besitz dar, den sich die Bürgerinnen und Bürger eines Staates geben und gegenseitig schützen. Der zweite Diebstahl oder zumindest der zweite versuchte Diebstahl im „Tell“ lautet: Mit dem Gesslerhut, den jeder zu grüssen hat, will man den Eidgenossen noch zusätzlich ihre Würde nehmen. Ein Volk aber, das ohne eigene Rechte (also ohne Selbstbestimmung) und ohne Würde (also ohne Selbstachtung) dasteht, ist kein freies Volk mehr, sondern eine willfährige Masse im Spiel fremder Mächte.

Was Sie als Vertreter der Immobilienwirtschaft vielleicht erstaunen mag, es geht im „Tell“ auch um die freiheitliche Garantie des Grundeigentums bzw. des Hauseigentums. Der brutale Herrscher Gessler kann die durch das Hauseigentum geschaffene Unabhängigkeit nicht dulden!

Noch im ersten Akt des Stücks erzählt der angesehene Schwyzer Landmann Werner Stauffacher, der zufrieden vor seinem schönen, selbst erbauten Haus sitzt, seiner Frau Gertrud eine kleine Begebenheit:

„Vor dieser Linde sass ich jüngst wie heute,
Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig
Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. ‚Wessen ist dies Haus?’,
Fragt’ er bösmeinend, denn er wusst es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm:
‚Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers
und Eures und mein Lehen’ – da versetzt er:
‚Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,
Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich wird mich unterstehn, euch das zu wehren.’
Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.“

Der Vogt will nicht, dass der Bürger ein eigenes Haus errichtet und folglich so lebt, „als ob er Herr wär in dem Lande“.

Was uns auffällt an dieser kleinen, scheinbar nebensächlichen Szene: Jede Zwangsherrschaft zu jeder Zeit hat es auf das Eigentum der Bürger abgesehen.

Die hier beschriebene Begegnung zwischen Landesherr und Untertan zeigt die feudale Struktur des Hochmittelalters, wo adelige Geschlechter die ehemals freien Bauern in ihre Abhängigkeit brachten. Doch selbst die französischen Revolutionäre, die ja unter dem Banner von Freiheit und Gleichheit ebendiese feudale Gesellschaftsordnung pulverisieren wollten, enteigneten im grossen Stil:

Schon gut drei Monate nach dem Sturm auf die Bastille wurde das gesamte Kirchengut zum „Nationalbesitz“ erklärt. Durch den Verkauf dieser Güter wollten die Jakobiner eine Umschichtung des Landbesitzes erreichen – wobei am Ende die Kleinbauern trotzdem leer ausgingen!

Halbtax-Sozialismus

Das zwanzigste Jahrhundert wird den Totalitarismus auf die Spitze treiben. Wobei dem gesellschaftlichen Umbau immer ein radikaler Verlust von Eigentum und Eigentumsrechten voranging.

Die Nationalsozialisten enteigneten die Juden und nannten diesen Raubzug beschönigend „Arisierung“.

Der Sozialismus weitete die Enteignung auf sämtlichen Privatbesitz aus. Es ist nicht zufällig, dass Karl Marx in seinem „Kommunistischen Manifest“ die Enteignung des Grundeigentums als oberste und wichtigste „Massregel“ notierte. Sie ist Voraussetzung seiner sozialistischen Utopie – und ihr barbarisches Ziel zugleich.

Woher kommt diese fast instinktive Feindseligkeit gegenüber dem Eigentum? Offensichtlich verschafft Eigentum dem Eigentümer ein Mass an Unabhängigkeit, das sich der staatlichen Bevormundung konsequent entziehen kann. Wer über die Bürger folglich uneingeschränkt herrschen will, muss sie in seine Abhängigkeit zwingen – indem er den Einzelnen seiner materiellen Freiheit beraubt.

Das geschieht nicht notwendigerweise gewaltsam, sondern – noch viel öfter – schleichend, durch Gewöhnung, durch falsche Anreize, durch den steten Ausbau der staatlichen Tätigkeit, die sich in einer schlichten Zahl – der Staatsquote – ablesen lässt.

Der Sozialismus strebt eine Staatsquote von hundert Prozent an. In der perfekten sozialistischen Gesellschaft gibt es keinen Privatbesitz mehr, weil jegliches Eigentum, ja jeder Lebensbereich staatlich organisiert ist. So sähe der Extremfall aus. Das Heimtückische am Sozialismus freilich ist, dass er sich auf leisen Sohlen, in kleinen, stetigen Prozentschrittchen auszubreiten vermag. Darum heisst die korrekte Frage nicht: Leben wir in einem sozialistischen Land? Sondern: Wie viel Sozialismus haben wir bereits verwirklicht?

Heute verfügt der schweizerische Staat über fünfzig Prozent Ihres privaten Einkommens. Oder anders ausgedrückt: Wir haben einen Halbtax-Sozialismus. Das ist weniger lustig, als es klingen mag. Die direkten Steuern machen dabei nur einen relativ geringen Anteil aus.

Indirekte Steuern, Zwangsabgaben, Prämien, Gebühren – ich nenne als Beispiel die Abgaben für Sozialversicherungen und Krankenkasse – sie bilden die grossen Brocken.

Natürlich sind nicht alle indirekten Abgaben zwangsläufig. Sie könnten etwa ihren Konsum einschränken oder aufs Auto verzichten, dann sparen Sie auf alle Güter und Artikel die Mehrwertsteuer oder objektbezogene Sondersteuern. Wohin aber eine konsumkritische bis konsumscheue Haltung führt, sehen wir in Deutschland, wo schon seit Jahren ein Angstsparen die Binnenkonjunktur lähmt.

Wenn Söhne zu Kindern werden…

„Haus bauen, Sohn zeugen, Baum pflanzen“, so heisst eine alte, aufmunternde Redewendung. Ich habe diese als Titel meinem heutigen Referat vorangestellt. Es ist eine altmodische Aufforderung an den Mann, was er in seinem Leben erschaffen sollte.

Doch der ursprüngliche, in dem Sinne auch originale Satz, hat die emanzipatorische Schleuse meines Sekretariats nicht unbeschadet überwunden. Im „Zuge der Gleichberechtigung“ – so der Antrag der Dame, die das Referat überarbeitete, lautet der offizielle Titel:

Haus bauen
Kind zeugen (statt Sohn)
Baum pflanzen…
(…und tausend Vorschriften beachten).

Wenn schon die zeitgemässe Emanzipation einen zwingt, dieses alte Sprichwort abzuändern, habe ich mir erlaubt, eine ebenfalls zeitgemässe – und leider auch realitätsbezogene – Ergänzung anzubringen: „…und tausend Vorschriften beachten“.

Meine Überlegung dazu: Wer auch immer diese Aufforderung beherzigt, merkt in unserer durchreglementierten Zeit sehr schnell, dass es gar nicht mehr so einfach ist, ein Haus zu bauen, selbst wenn man es wollte. Denn die Auflagen und Vorschriften, die dabei zu beachten sind, könnten einem die Lust auf ein Eigenheim gründlich vergällen. Wer schon gebaut hat, fragt sich, wer eigentlich wichtiger ist: der Architekt oder der Anwalt?

Über die Vorschriftenwut im Bauwesen brauche ich Sie nicht im Detail aufzuklären. Ich will Ihnen ja nicht die Wochenendlaune und das schöne Engadin verderben. Grundsätzlich aber gilt: Der Ausbau von Regel- und Gesetzeswerken geht notwendigerweise einher mit der Beschränkung des freien Umgangs mit Eigentum.

Das Eigentum an einem Grundstück würde ja insbesondere das Recht beinhalten, dieses Grundstück zu bebauen, zu verkaufen, anderen Recht daran teilhaben zu lassen, es zu vererben. Dieses auch vom Staat zugesicherte Recht wird aber gerade durch den Staat selber wieder nahezu marginalisiert: Mit dem offenbar uferlosen Ausbau von Vorschriften und Auflagen.

Jedes Gesetz hat die Tendenz Freiheits- und Eigentumsrechte zu beschneiden. Darum ist die politische Grundausrichtung so folgenschwer.

Der gute Politiker stellt die Freiheit ins Zentrum und damit das Interesse der Bürger: Denn diese sollen selber so weit wie möglich über ihr Leben verfügen – wovon sich aber auch immer eine Verpflichtung ableiten lässt: Freiheit fordert Eigenverantwortung.

So sieht das Fundament einer liberalen Gesellschaft aus. Staat und Politik sind für den Bürger da und nicht umgekehrt.

Grundeigentum sichert Grundrechte

Eigentum ist wichtig für die Gesellschaft als Ganzes und den Einzelnen im Besonderen. Die Wichtigkeit für den Einzelnen wird auf Anhieb einleuchten. Warum aber auch für den Staat – die Gesellschaft als Ganzes? Weil: je mehr Eigentum vorhanden ist, desto grösser wird der gemeinsame Wunsch nach Stabilität, nach Rechtssicherheit, nach der Verlässlichkeit von Verträgen, nach demokratischen Verhältnissen.

Wer etwas hat, kann auch etwas verlieren. Wenn viele besitzen, können auch viele ihren Besitz verlieren. Damit steigt das vereinte Interesse an einer funktionierenden Rechtsordnung.

Das biblische „Du sollst nicht stehlen“ muss ergänzt werden: Auch Du, Staat, sollst die Bürger nicht bestehlen. Der Staat hat also primär den Auftrag das Privateigentum zu schützen und nicht, möglichst raffinierte Mittel und Wege zu finden, wie er dem Bürger das Eigentum wieder abluchsen kann. Wo sich jemand nicht an die biblischen Gebote hält – und wir können davon ausgehen, dass dies ab und zu vorkommt… – ist wiederum der Staat bzw. Polizei und Justiz gefordert, das Delikt zu ahnden.

Es gibt keine intakte Rechtsordnung ohne Garantie des Eigentums. Je breiter Eigentum möglich ist, desto breiter ist der Konsens, das Eigentum durch einen demokratischen Rechtsstaat zu schützen. Privat-Eigentum ist die Voraussetzung für Wohlstand. Sie können weltweit leicht erkennen, welche Staaten erfolgreiche Volkswirtschaften gebildet und auf diesem Weg Wohlstand für einen grossen Teil ihrer Bevölkerung geschaffen haben und welche nicht. Erfolgreiche Staaten schützen und fördern das Eigentum und die Freiheit aller.

Eigentum als Selbstvorsorge

Warum ist das Eigentum für den Einzelnen so wichtig? Das Eigentum dient der Selbstvorsorge.

Eigentum schafft persönliche Sicherheit. Eigentum führt zum mündigen, weil unabhängigen Handeln der Bürger. Man darf diesen Punkt nicht unterschätzen: Die materielle Unabhängigkeit kann – muss aber nicht – die geistige und politische Unabhängigkeit eines Menschen unterstützen. Das ist übrigens auch der Hauptgrund, warum wir in der Schweiz auf jeden Fall an einem Milizparlament festhalten sollten. Wir gehen doch von einer ganz anderen Voraussetzung aus, wenn Politiker von ihrem Amt nicht existenziell abhängig sind. Ein Politiker wird nur dann ohne Scheu Missstände anprangern, wenn er für die Politik lebt. Ich überlasse es Ihnen, zu untersuchen, wie viele von der Politik leben.

Aufbauen – weiterbauen

So ganz wörtlich sollte man Redensarten nie nehmen. Die im Referatstitel formulierten Lebensziele eines Mannes (Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen) sind als generelle Aufforderung zu verstehen, etwas im Leben zu leisten.

Ich persönlich habe sehr spät ein eigenes Haus gebaut. Weil ich zuvor das ganze Eigentum in mein Unternehmen investierte.

Was das Kind zeugen betrifft, habe ich die Aufforderung allerdings wörtlich genommen: Wir haben es sogar auf vier Kinder gebracht, die heute alle in der Wirtschaft arbeiten. Jedes wohnt in einer Mietwohnung, weil auch sie unternehmerisch tätig sein müssen. Die Geschäftsleitung meines ehemaligen Chemieunternehmens hat übrigens meine älteste Tochter inne (soviel zum Thema „Emanzipation“). Ein anderes Werk führt mittlerweile mein Sohn.

Einen Baum gepflanzt habe ich für mich persönlich nie. Als ehemaliger Bauernlehrling jedoch schon.

In meinem Bundesratsbüro hängt dafür das bekannte, monumentale Hodlerbild „Der Holzfäller“. Keineswegs (nur) zur Einschüchterung gedacht. Es zeigt aber, dass Führen und Entscheiden auch Kraft braucht! Wie der Holzfäller, nur in ganz anderen Zusammenhängen. Wer diese Kraftanstrengung scheut, hat noch nie wirkungsvolle Führungsverantwortung wahrgenommen – oder er wird längerfristig in seiner Funktion scheitern. Auch in der Funktion als Beschützer von Privateigentum; wie auch in der Funktion als Erzieher von Kindern, die in Freiheit und Selbstverantwortung aufwachsen sollen.

Wohlstand schaffen

Ja, ich strebe eine Gesellschaft an, welche wieder Respekt vor Leistung und Erfolg bezeugt. Darum auch mein Bekenntnis zur Freiheit und zum Eigentum. Beide sind Grundlage und Ausdruck einer leistungsorientierten Gesellschaftsordnung. Der Aufbruch der Schweiz zur Freiheit und Selbstverantwortung hat im 19. Jahrhundert aus einem an Ressourcen armen Land einen Staat mit allgemeinem Wohlstand geschaffen.

Dass Wohlstand satt macht, dass ererbter Reichtum immer wieder neu erworben werden muss, zeigt ein anderes einfaches, aber nicht minder wahres Sprichwort aus Schottland: „Grossvater kauft. Vater baut. Sohn verkauft. Enkel geht betteln.“ Für die Schweiz sage ich es milder: Die erste Generation erschafft das Vermögen, die zweite Generation verwaltet es und die dritte studiert Kunstgeschichte.

Ich hoffe, dass meine Nachkommen wenigstens als Ausnahme die Regel bestätigen. Uns Sie alle hier im Saal auch!

Schaffen wir eine Ordnung, die jede Generation neu anspornt, unser Land aufzubauen und weiterzubauen – auf der Grundlage der Freiheit, der Selbstverantwortung, des Schutzes der Privateigentümer und persönlicher Leistung!

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