Das Kollegialitätsprinzip ist nicht falsch

Mit einer heftig kritisierten Rede in Rafz (ZH) hat Christoph Blocher die Debatte um das Kollegialitätsprinzip neu entfacht. Der Justizminister nimmt dazu Stellung.

14.05.2005, Schweizerische Depeschenagentur sda (Gerhard Tubandt und Marianne Biber)

Warum ritzen sie immer wieder und bewusst am Kollegialitätsprinzip, seit Sie im Bundesrat sind?

Ich wüsste nicht, wo ich das Kollegialitätsprinzip geritzt haben sollte.

Indem Sie sich zum Beispiel in Rafz implizit gegen Schengen ausgesprochen haben…
Lesen Sie die Rede, dann sehen Sie, das dies nicht stimmt. Wenn sie eine Rede über den Zweiten Weltkrieg halten und sich vergegenwärtigen, was im Zweiten Weltkrieg verteidigt worden ist: Die Freiheit, die Demokratie und die Souveränität von Staaten und damit auch die Landesgrenzen, dann sind Sie natürlich bei den Grundsätzen des Staates. Und bei Schengen geht es auch darum, wie weit die Souveränität des Staates abgetreten werden soll oder nicht. Aber ich habe dies in Rafz nicht einmal erwähnt. Die Rede kann jedermann abrufen auf www.ejpd.admin.ch.

Aber indirekt haben Sie sich so über Schengen geäussert…
Jede Frage, die man behandelt hat, hat indirekt Auswirkungen auf einzelne Teile der Politik. Ich habe mich lediglich gewehrt, weil im Zusammenhang mit Schengen der Eindruck erweckt wurde, die Regierung stehe geschlossen hinter diesem Projekt. Das ist nachweislich falsch. Und solches werde ich auch in Zukunft richtig stellen.

Aber Sie haben sich zum Kollegialitätsprinzip geäussert.
Das Kollegialitätsprinzip darf nicht dazu führen, dass die Bürger falsch informiert werden.

Warum haben Sie das nicht an der Medienkonferenz gesagt oder unmittelbar danach?
Es war eine Medienkonferenz mit 60 Journalisten und ich war sehr überrascht über diese Bemerkung. Ich hielt damals den Zeitpunkt nicht für gekommen. Ich wollte mir das Ganze zunächst überlegen.

Was finden Sie denn falsch am Kollegialitätsprinzip?
Falsch ist das Prinzip nicht. Die Frage ist, was es heisst. Falschinformationen können jedoch nicht toleriert werden.

Welches System wäre ihnen denn für den Bundesrat lieber?
Ich gehe sehr weit. Meiner Meinung nach könnten die Regierungssitzungen auch öffentlich sein wie jene des Parlaments. Es gäbe dann ein paar Geschäfte, die vertraulich sind, das ist klar. Diese Meinung wird aber heute nicht geteilt. Es gäbe auch Zwischenformen. Der Sprecher könnte zum Beispiel die verschiedenen Standpunkte vor Entscheidfindungen bekannt geben. Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und das Stimmenverhältnis bekannt geben. Darüber sollten die Politiker offen diskutieren. Das ist aber lediglich meine persönliche Meinung.

Das würde aber doch eine gewisse Änderung im ganzen System nach sich ziehen, weil sich die Kommunikation der Regierung nach aussen ändern würde.
Die Kommunikation wäre vielleicht eine andere. Aber nicht das System. Ich bin überzeugt, es gäbe mehr Vertrauen, auch in die Regierung. Man muss keine Angst haben vor dieser Transparenz. Die Bevölkerung hat doch den Eindruck, in dieser Regierung werde etwas im Halbdunkeln gemauschelt. Es ist aber nicht so: Es geht in der Regierung viel besser zu, als die Leute meinen. Es wird argumentiert, es werden Meinungen auf den Tisch gelegt. Und manchmal geht es auch ruhiger zu und her. Ich weiss nicht, weshalb man das nicht wissen darf.

Würde das nicht den Bundesrat schwächen?
Im Gegenteil. Heute werden gezielt Indiskretionen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten verbreitet. Korrigiert werden können sie nicht. Damit sind die Bürger schlecht informiert.

Und wo ist die Diskretion denn nötig?
Nehmen wir an, der Bundesrat muss zum Beispiel personelle Entscheide fällen. Da gilt Diskretion. Oder im Geheimhaltungsbereich. Vielleicht hie und da aus strategischen Gründen. Aber wo Parlaments- und Volksentscheide anstehen, ist sie nicht nötig.

Hat man Ihnen am Mittwoch in der Bundesratssitzung auf die Finger geklopft?
Darüber zu schweigen verlangt das heutige System.

Gibt es jetzt eine Diskussion über das Kollegialitätsprinzip?
Gut ist, dass dieses Prinzip endlich hinterfragt wird. Alle halten sich ja ans Kollegialitätsprinzip, nur hat jeder eine andere Vorstellung davon. Die vertiefte Diskussion in der Öffentlichkeit ist nötig.

Pochen sie darauf, dass das Thema diskutiert wird?
Ich bin bereit, darüber zu diskutieren. Erzwingen und befehlen kann man dies nicht.

Sie werden sich inskünftig im Bundesrat also so verhalten wie bisher?
Ja. Das muss so sein.

War es nicht auch eine Frage der Taktik, dass Sie am Sonntag über Grenzen und über Kollegialitätsprinzip geredet haben? So konnten Sie indirekt sagen, dass Sie nicht einig mit dem übrigen Bundesrat sind. Heute befinden sich die Gegner von Schengen ja eher auf der Verliererseite, so aber konnten sie die Kampagne noch einmal aufheizen.
Lesen Sie die Rede! Eine Anti-Schengenrede würde wohl anders tönen.

Sie lassen sich von niemandem einspannen?
Ich wüsste nicht von wem.

Von Ihrer Partei…

Bin ich eine so schwache Figur, dass man mich einspannen kann? Die SVP weiss, dass ich die Meinung des Bundesrates vertreten muss, das ist meine Pflicht, auch wenn ich anders denke. Der Partei stehe ich nicht mehr in gleicher Weise zur Verfügung, dafür hat sie Verständnis zu haben.

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