«Alles Sektiererische liegt mir fern»

Interview im “Tages Anzeiger” vom 29. November 2003

Bundesratsanwärter Christoph Blocher verspricht, Kompromisse mitzutragen, glaubt, seine Partei werde sich im Stil mässigen und mag frühere Aussagen nicht zurücknehmen.

von Hannes Nussbaumer und Gaby Szöllösy

Tages Anzeiger: Ihr Bruder Gerhard verglich Sie mit dem Rheinfall. Der frage auch nicht, ob er über die Klippe stürzen wolle, er müsse. Gehorchen Sie mit Ihrer Kandidatur einer höheren Gewalt?

Christoph Blocher: Er hat das Bild gebracht, weil ich ein intuitiver Mensch bin. Was ich mache, tue ich, weil ich das Gefühl habe, ich muss es tun. Das kommt vielen Leuten vor wie der Rheinfall, der halt einfach seinen Lauf nimmt. Mit höherer Gewalt hat das nichts zu tun. Ich habe ein natürliches Gottvertrauen, aber alles Frömmlerische und Sektiererische liegt mir fern.

Aber Sie beten zu Gott?

Blocher: Ich habe Hemmungen, darüber zu sprechen, denn der Mensch ist nicht ein guter Mensch, weil er regelmässig betet. Aber selbstverständlich bete ich auch.

Fühlen Sie sich mit Zwingli, dem Zürcher Reformator, wesensverwandt?

Blocher: Wesensverwandt nicht, aber er ist eine interessante Gestalt. Er hat ja nicht mit Politisieren begonnen, sondern hat das Matthäus-Evangelium ausgelegt. Aber er hat gesellschaftlich und wirtschaftlich viel bewirkt zum Wohl der Bevölkerung.

Zwingli wollte damals die Gesellschaft von religiöser Scheinheiligkeit, von Nichtstuerei und Verschwendung befreien. Haben Sie dasselbe vor?

Blocher: Die Morallehre von Zwingli ist mir ziemlich fremd, ich finde, der Staat soll nicht in die Moral reinreden. Auch kann man die damalige Zeit nicht mit heute vergleichen. Ich setze mich für mehr individuelle Freiheit ein. Ich möchte die Menschen von den vielen Vorschriften und den hohen Steuern, Abgaben und Gebühren an den Staat befreien.

Der Staat soll also sparen. Das Sparziel des Bundesrates – insgesamt sechs Milliarden – dürfte Ihnen gefallen. Wo setzen Sie an?

Blocher:
Erst sind Alternativen zu erarbeiten, bevor man sagen kann wo. Sparen muss man sicher in der Bundesverwaltung. 10 Prozent müsste man die Verwaltungskosten im Minimum senken – und könnte es auch.

Der Bundesrat hält dies für nicht realisierbar: Das führe zum Abbau von 6000 Stellen, damit könnte die Verwaltung die gesetzlichen Aufträge nicht mehr erfüllen.

Blocher: Der Bundesrat sagt, es gehe nicht, weil er es nicht tun will. Ich bin sicher, dass man dies ohne Leistungsabbau bewerkstelligen könnte.

Angenommen, Sie wären schon im Bundesrat und überstimmt worden. Würden Sie Ihre abweichende Meinung publik machen?

Blocher: Nein. Ich hätte im Bundesrat massiv Widerstand geleistet, müsste den Entscheid dafür nachher loyal mittragen. Ich stehe zum Kollegialprinzip, ich hatte noch nie Mühe damit und sass schon in vielen Kollegialgremien.

Wo soll man sonst noch sparen?

Blocher: Zum Beispiel in der Forschung und Bildung. Wir müssen Prioritäten setzen. Bei den Schwerpunktthemen müsste man wohl die Mittel noch massiv aufstocken, anderes ganz fallen lassen. Zum Beispiel glaube ich nicht, dass wir in nächster Zeit ein Kernkraftwerk bauen. Also müssen wir diese Technologie nicht mehr erforschen.

Die Sozialwerke stecken in Schwierigkeiten. Soll man das Rentenalter erhöhen?

Blocher: Nein, in nächster Zeit nicht. Die 11. AHV-Revision verlangt dies nicht. Wenn sich die Wirtschaft positiv entwickelt, so reicht das mindestens für die nächsten 15 Jahre. Natürlich kann Bundesrat Couchepin über eine Erhöhung des Rentenalters nachdenken, aber er muss sich doch jetzt noch nicht festlegen fürs Jahr 2015.

Sie wollen bei der staatlichen Krippenförderung sparen . . .

Blocher: . . Kinderkrippen sind keine Aufgabe des Bundes . . .

. . . und Sie sind gegen eine Mutterschaftsversicherung. Wer zahlt die Altersvorsorge, wenn die Frauen immer weniger Lust haben, Kinder zu gebären?

Blocher: Das sind arme Kinder, die nur auf die Welt kommen, weil es eine Mutterschaftsversicherung gibt! Es ist nicht Sache des Staates, Geburten zu fördern, um Arbeitskräfte zu erzeugen. Ich staune, wie Linke nun Geburten fördern wollen. Das haben früher rechte Diktatoren gemacht, um den Nachschub von Soldaten zu garantieren. Das erinnert mich an völkische Aussagen.

Werfen Sie jetzt der Linken völkisches Gedankengut vor, nachdem Sie sie schon in die Nähe des Faschismus gerückt hatten?

Blocher: Nein. Die Begründung, der Staat müsse dafür sorgen, dass Frauen Kinder kriegen, um Arbeitskräfte zu sichern, erinnert mich daran. Zudem: Ich habe nie gesagt, Sozialdemokraten seien Faschisten, sondern das Gegenteil. Aber es ist philosophisch erwiesen, dass der Sozialismus und der Faschismus dieselben Wurzeln haben, nämlich den Etatismus und den Kollektivismus.

Zurück zur Sachpolitik: Vor einem Jahr noch haben Sie den Abbruch der Bilateralen II gefordert. Bleiben Sie dabei?

Blocher: Das Schengen-Paket, das heisst eine Schweiz ohne Grenzen, ist abzulehnen. Das bereits ausgehandelte Zinsbesteuerungsabkommen soll man gesondert verabschieden. Dazu wäre die EU bereit.

Wenn man Schengen ausnähme, sagen Sie dann Ja zum Rest der Bilateralen II, auch zum Erstasylabkommen Dublin?

Blocher: Gegen Dublin – das heisst einen besseren Informationsaustausch im Asylwesen – stemme ich mich nicht. Doch man darf die Wirkung nicht überschätzen. Dublin rechtfertigt keinesfalls die Übernahme des ganzen Rests.

Wenn man Ihnen so zuhört, fällt auf: Sie lassen sehr vieles offen.

Blocher: Ich lasse nichts offen, das ich heute entscheiden kann und muss. Gewisse Dinge kann nur der Bundesrat beantworten. Etwa wo die Kosten des Bundes gesenkt werden können. Der Parlamentarier sagt wie viel – die Regierung muss sagen, wie man das machen könnte. Ausserhalb kann man nicht die gleiche Verantwortung übernehmen wie in der Regierung selbst.

Sie haben das Parlament vor die Wahl gestellt: Blocher in den Bundesrat oder die SVP geht in die Opposition. Würde das im Bundesrat im selben Stil weitergehen: Der Entscheid fällt so wie Blocher will, oder die SVP geht in die Opposition?

Blocher: Nicht ich, sondern die SVP-Fraktion hat das Parlament vor die Wahl gestellt. Für mich ist klar: Wenn ich in den Bundesrat gewählt werde, so bleibe ich mindestens vier Jahre dort, besser aber länger.

Nichts könnte Sie zu einem früheren Rücktritt bewegen?

Blocher: Theoretisch könnte es sein, dass mich die andern sechs ausgrenzen, dass sie Mobbing betreiben. Dann wäre die Situation natürlich anders. Aber das werden die andern Bundesräte nicht tun.

Sie sagten am Wahlsonntag, Sie wollten enger mit den andern Parteien zusammenarbeiten, auch mit der SP. Wo kämen Sie denn den andern entgegen?

Blocher: Ich zeige Ihnen doch jetzt noch nicht die Kompromisse auf. Aber ich bin bereit, Kompromisse mitzutragen, so wie ich das alljährlich in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften tue.

Keine Angst, dass Sie den Wählerauftrag unterminieren mit Konzessionen?

Blocher: Es wird Enttäuschte geben.

Sie geschäften mit China, obwohl dort Menschenrechte verletzt, die Demokratie missachtet wird. Kein Problem für Sie?

Blocher: Nein. Wir verkehren auf der Welt mit sehr vielen sündigen Menschen. Ich bin für die Demokratie in der Schweiz, für die Staatsform in China bin ich nicht verantwortlich. Man muss investieren, dann wird auch in China vieles freier.

Sie waren auch Präsident der Arbeitsgruppe südliches Afrika, welche während der Apartheid Verständnis zeigte, dass Weisse und Schwarze getrennt unterrichtet wurden und es ihnen verboten war, untereinander sexuelle Beziehungen einzugehen.

Blocher: Die Arbeitsgruppe kämpfte dafür, dass das südliche Afrika nicht in die Hände der Sowjetunion fiel, das war damals ausserordentlich gefährlich. Diesen Kampf gebot die Freiheit! Die Arbeitsgruppe war eine Vereinigung von Politikern und Militärs, denen die geostrategische Lage von Bedeutung war, nicht Fragen der Apartheid, die ich stets ablehnte.

Finden Sie immer noch, die Frau sei dem Manne untergeordnet, wie Sie das vor rund 20 Jahren beim Referendum gegen das neue Eherecht vertraten?

Blocher: Einen solchen Unsinn habe ich nie vertreten. Ich bin noch heute der Meinung, dass bei Uneinigkeit der Eheleute der Mann die finanzielle Verantwortung für den Unterhalt der Familie tragen soll. Wenn Sie diese Verantwortungszuweisung als Überordnung verstehen, ist das nicht mein Problem.

Einst erklärten Sie: «Die jüdischen Organisationen, die Geld fordern, sagen, es gehe ihnen letztlich nicht ums Geld. Aber genau darum geht es.» Der Satz kann Juden verletzen. Als Bundesrat wären Sie aber auch Regierungsvertreter der Schweizer Juden. Distanzieren Sie sich von der Aussage?

Blocher: Nein. Es war so: Diese Organisationen in Amerika haben die Schweiz in gemeinster Weise ums Geld erpresst. Wenn ich die Gefühle von Schweizer Jüdinnen und Juden verletzt habe, so tut es mir Leid. Aber der Kampf gegen solche Erpressungen muss geführt werden. Die Schweizer fühlten sich durch die Erpressungen auch verletzt.

Unvergessen Ihre Messerstecher-Inserate. Würde die SVP auf derlei Kampagnen verzichten, wenn Sie im Bundesrat sind?

Blocher: Ich denke nicht, dass die SVP weiterhin solche Plakate schalten müsste, wenn wir eine vollwertige Regierungspartei wären. Als Oppositionskraft muss man sich Gehör verschaffen, man muss provozieren, zuspitzen, stark kritisieren.

Die politische Auseinandersetzung in der Schweiz würde also anständiger?

Blocher: Sicher langweiliger.

Wäre Rita Fuhrer die schlechtere Bundesrätin als Sie?

Blocher: Das müssen Sie die Fraktion fragen.

Vor drei Jahren sagten Sie noch, Rita Fuhrer sei die bessere Bundesrätin als Sie.

Blocher: Was damals auch zutraf. Aber seither hat sich die Konstellation geändert. Damals wäre Frau Fuhrer die Geeignetere gewesen – doch das Parlament hat einen Dritten gewählt.

Samuel Schmid. Für diesen Fall hatten Sie damals schon einen noch schärferen Oppositionskurs angekündigt. Gemerkt hat man nicht viel davon.

Blocher: Ja? Warum hat man uns denn stets diese heftige Opposition vorgeworfen? All die Inserate, Kritiken, die Asyl-Initiative, die Gold-Initiative – und jetzt soll man plötzlich von all dem nichts gemerkt haben?

Sie würden heute in der Opposition auch mithelfen, das Sparpaket zu bodigen, sagt der SVP-Pressesprecher. Tatsächlich?

Blocher: Der Gebührenbeschluss im Sparpaket passte uns zwar nicht, aber deswegen würden wir kaum das ganze Paket bekämpfen. Auch das Steuerpaket und die 11. AHV-Revision würden wir mittragen. Die Opposition sagt nicht einfach zu allem Nein.

Herr Blocher, wollen Sie eigentlich in den Bundesrat? Eben sendete die SP noch zarte Signale, dass sie Sie per Stimmenthaltung eventuell unterstützen könnte – und schon brüskieren Sie sie mit der Attacke auf den SP-Sitz von Micheline Calmy-Rey.

Blocher:
Das ist keine Attacke. Weil wir für die Regierungsbeteiligung nach Wählerstärke sind, stehen der SP zwei Sitze zu. Wir müssen deshalb – auch wenn es uns schwer fällt – Herrn Leuenberger und Frau Calmy-Rey auf den Zettel schreiben. Sofern die Konkordanz beibehalten wird. Wenn aber die SP hilft, die CVP-Übervertretung zu sichern und somit gegen den klaren Wählerwillen verstösst, dann hat die SP die Konkordanz gebrochen. Dann können auch wir uns nicht mehr daran halten – leider.

Sie könnten mit einem Bundesrat ohne SP ganz gut leben?

Blocher: Ich glaube, wir würden in der heutigen Situation mit einer echten Konkordanzregierung mehr erreichen.

Wenn Sie ganz generell die Wahl hätten: Eine Konkordanzregierung mit zwei SP-, zwei SVP-, zwei FDP- und einem CVP-Vertreter oder eine bürgerliche Regierung ohne SP. Was würden Sie bevorzugen?

Blocher: Wenn in unserem System eine Koalitionsregierung besser verankert wäre, so würde ich eine rein bürgerliche Regierung vorziehen, heute aber eindeutig die Konkordanz.

Werden die Entscheide des Bundesrats eher im Sinne der SVP ausfallen, wenn Sie innerhalb oder wenn Sie ausserhalb des Bundesrats politisieren?

Blocher: Das haben wir uns auch überlegt. FDP und CVP werden stark auf unsere Seite tendieren müssen, wen wir in der Opposition sind, weil sie sonst in den nächsten Wahlen noch mehr verlieren würden. Vermutlich hätten wir mit der Opposition in den grossen Fragen mehr Einfluss.

Warum wollen Sie denn in den Bundesrat?

Blocher: Weil man mit dem Einfluss der Oppositionspartei nur in der Verhinderung etwas erreicht. Kreativ können wir nicht viel einbringen, weil wir die Vorlagen nicht selber erarbeiten können. Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Haben Sie nicht einfach genug vom Kläffen?

Blocher: Ich bin kein Kläffer. Ich bin ein hoch angesehener, respektierter Kritiker (lacht). Wenn ich Bundesrat werden muss, will ich. Wenn ich’s nicht werden muss, dann nicht.

← Back to: Articles