«Ich bin doch kein Isolationist»

Schon wieder muss Christoph Blocher für die Heimat und Freiheit kämpfen

Interview mit der Neuen Luzerner Zeitung (NLZ) vom 26. Januar 2002

Interview: Jürg auf der Maur und Andrea Willimann

Für Sie ist heimatmüde, wer für einen UNO-Beitritt ist. Trifft das auch auf Ihre Parteikollegen in Bern oder Graubünden zu, die für ein Ja sind?

Christoph Blocher: Jene, die sagen, wir sollen in die EU, in die UNO, in die Nato, nach Schengen, die vernachlässigen die Grundsäulen, die unser Land stark machten. Die sind der Heimat, der Schweiz, etwas müde geworden. Die Werte Volksrechte, Freiheit, Wohlfahrt, um die uns das Ausland beneidet, sind zu selbstverständlich geworden und sollen aufgegeben werden.

Mit solchen Äusserungen beleidigen Sie viele Leute in diesem Land, die sich sehr wohl mit bestem Gewissen für die Schweiz einsetzen, beispielsweise Bundespräsident Kaspar Villiger. Er gilt als Patriot, als Retter der Swissair.

Blocher:
In die Swissair haben die Steuerzahler 2 Milliarden Franken gesteckt. Deren Manager litten am Gleichen wie viele Politiker: Ein solides Konzept wurde aufgegeben, weil man nach Grösserem strebte. Statt klein und fein galt gross und teuer. Dasselbe in der Politik: Man will in die EU, UNO, Schengen? Bewährte Freiheit und Selbstbestimmung wird preisgegeben.

Nochmals, solche Äusserungen sind doch beleidigend.

Blocher: Dass der Bundesrat solche Sachen nicht gerne hört, ist mir schon klar. Die Regierung sagt aber auch Dinge, die die Bürger nicht gerne hören.

Droht der Begriff “Heimat” nicht missbraucht zu werden?

Blocher:
Ich weiss nicht, ob jemand den Begriff missbraucht. Die Heimat ist das, wozu die Schweizerinnen und Schweizer stehen. Wenn man diese Eigenheiten nicht mehr schätzt, wenn man all das, was die Schweiz stark gemacht hat, preisgeben will, dann vernachlässigt man die Heimat.

An der Albisgüetli-Tagung warfen Sie der “Elite” den Fehdehandschuh zu. “Elite” ist für Sie die Steigerung der Classe politique?

Blocher: Ich habe den Fehdehandschuh nur der falschen Elite zugeworfen.

Und wer ist das?

Blocher: Die wahre Elite braucht es. Es braucht “Obere”. Diese müssen aber ihre Fähigkeiten richtig einsetzen. Wir haben viel zu viele Unternehmen, die durch falsche Eliten an den Rand des Abgrunds geführt wurden. Das gilt auch für die Politik, nicht nur für die Wirtschaft. Ich erinnere ans KVG, wo man dem Volk tiefere Prämien versprach, und nun bezahlt man jedes Jahr mehr. Was passierte bei der Abstimmung?

Was denn?

Blocher: Das Gleiche wie jetzt bei der UNO-Abstimmung. Man disqualifiziert die Gegner.

Um dem entgegenzuwirken, machen Sie nun rund fünfzig Auftritte oder geben grössere Interviews. Macht Ihnen das überhaupt noch Spass? Fünfzigmal gebetsmühlenartig das Gleiche zu sagen?

Blocher: Ich bleibe bei meiner Sache, wechsle die Meinung nicht dauernd. Spass macht mir das nicht.

Und trotzdem machen Sie es?

Blocher: Es geht im Leben nicht nur darum, Spass zu haben.

Sie spüren eine Berufung?

Blocher: Ich habe das Gefühl, dass ich es machen muss. Ob es eine Berufung ist? Das weiss ich nicht. Im Leben weiss man nicht immer, warum man etwas macht. Ich habe die Schweiz gerne, deshalb finde ich es schade, dass wir in die UNO gedrängt werden sollen. Beim EWR- oder EU-Beitritt musste ich das auch schon machen. Auch damals war ich mehr oder weniger allein. Heute danken mir die Banken, dass ich sie vor diesem Schlamassel bewahrt habe.

Ein wichtiger Punkt im Abstimmungskampf ist die Neutralitätsfrage. Der Bundesrat sagt, die Neutralität der Schweiz werde durch den Beitritt nicht tangiert, Sie behaupten das Gegenteil. Was macht Sie so sicher?

Blocher: Das kann eigentlich jeder in der UNO-Charta nachlesen. Deshalb hat der Bundesrat auch bis in die Achtzigerjahre gesagt, die Schweiz könne der politischen UNO aus Neutralitätsgründen nicht beitreten. Wir müssten heute den genau gleichen Vertrag unterschreiben. Da steht erstens, dass wir die Anordnungen des Sicherheitsrates zu befolgen hätten, zum Beispiel Boykotte gegen andere Länder, dass sogar diplomatische Beziehungen abgebrochen werden müssten. Das sind Kriegsmittel. Die Charta verlangt in einem Artikel sogar, dass die Mitglieder Truppen zur Verfügung stellen. Wer das macht, ist doch nicht mehr neutral.

Um Truppen stellen zu müssen, bräuchte es Sonderabkommen.

Blocher:
Ja, schon. Aber was heisst das? Das ist doch das Gleiche, wie wenn wir beide heute einen Autokauf abmachen, gleichzeitig aber vereinbaren, über die Farbe und den Preis uns später zu einigen. Der Druck, tatsächlich Truppen zu stellen, wird kommen. Sind wir einmal in der UNO, wird es heissen: “Wir können nicht eine gute Armee haben, dabei sein und nicht mitmachen.”

Juristisch kann die UNO keinen Druck aufsetzen.

Blocher: Rein juristisch könnte die Schweiz vielleicht sogar noch klemmen. Aber politisch ? moralisch? Diesem Druck wird man schnell nachgeben. Die heutige Regierung ist nicht bekannt dafür, dass sie ausländischem Druck standhält. So bei den Holocaust-Entschädigungen. Auch beim Schwerverkehr oder beim Luftverkehr hat die Schweiz sehr schnell nachgegeben.

Wenn unser Gesuch angenommen wird, akzeptiert die UNO, dass wir neutral sind.

Blocher: Nein, gerade nicht, weil sie auf einen Neutralitätsvorbehalt verzichtet hat. Das Parlament lehnte diesen ausdrücklich ab, auf Antrag des Bundesrates. Wir wollten einen Vorbehalt für unsere freigewählte, bewaffnete, dauernde bündnisfreie und integrale Neutralität. Jetzt schreibt der Bundesrat im Beitrittsgesuch lediglich, die Schweiz trete der UNO als neutrales Land bei.

Eben!

Blocher:
Das stimmt schon. Zum Zeitpunkt des Beitritts sind wir neutral, nachher unterzeichnen wir das Gegenteil.

Immerhin: 60 der 189 Staaten mussten noch nie Truppen stellen. Ein Sonderabkommen wurde noch nie gemacht.

Blocher:
Mit anderen Worten: 129 Staaten stellten schon Truppen. Das wusste ich gar nicht. Das ist ja unfassbar. Da muss man dann noch schauen, was das für 60 Staaten sind. Ein Grossteil dieser 60 Staaten hat gar keine genügend ausgebildete oder gar keine Armee. Die könnten gar keine Truppen stellen. Nochmals: Juristisch könnte die Schweiz vielleicht schlüpfen. Aber politisch-moralisch wäre das nicht möglich.

Die Moralfrage stellt sich aber auch, wenn die Schweiz nicht beitritt. Die Schweiz kann doch nicht immer abseits stehen, beispielsweise beim Kampf gegen den Terrorismus?

Blocher:
Ja, und dagegen habe ich auch nichts. Wir sind ja Mitglied und Partner der UNO. Wir sind überall dabei ausser bei der politischen UNO. Wir haben den Terrorismus zu bekämpfen, vor allem zuerst im eigenen Land, aber wir wollen selbst denken und entscheiden können, wer für uns Terroristen sind und wie wir vorgehen.

Das läuft doch letztlich einfach auf einen autonomen Nachvollzug hinaus.

Blocher: Wenn der Bundesrat nachvollzieht schon. Aber das muss er nicht. Wir sind stolz auf die Freiheit und wollen uns nicht unterjochen lassen, und stolz auf unsere Neutralität, die man für die Weltgemeinschaft nutzen kann. Nämlich dort, wo die UNO- Staaten nicht helfen können, weil sie Partei sind. Ich bin sehr besorgt über die Weltlage. Erstens gibt es heute rund vierzig Kriege, zweitens stelle ich fest, dass die Grossmächte heute diktieren, wo es langgehen soll. In den USA, einem so freiheitlichen Land, darf jetzt kaum jemand zum Afghanistankrieg Fragen stellen.

Bei den vierzig Kriegen handelt es sich um innerstaatliche Konflikte, die Neutralitätsfrage stellt sich gar nicht.

Blocher:
Nein. Nein. Ist Palästina-Israel ein innerstaatlicher Konflikt? Seit Jahren spricht sich die UNO gegen die Siedlungspolitik Israels aus, passieren tut nichts. Nur weil eine Schutzmacht mit Vetorecht im Sicherheitsrat vorhanden ist. Sind wir auch in der politischen UNO, unterwerfen wir uns dem Sicherheitsrat und werden Partei. Sind wir unpolitisch, können wir helfen, wo Neutralität gefragt ist.

Sie sprechen die “Guten Dienste” an, die gemäss Bundesrat aber praktisch nur noch innerhalb der UNO spielen.

Blocher: Ich sage nicht, dass es die Schweiz in allen Fällen braucht. Aber ich sage, dass dort, wo die UNO nichts unternehmen kann, sich eine Chance für die Schweiz bietet. Beispielsweise im Serbenkonflikt. Der Bundesrat wurde von den USA angefragt, ob er ihre Interessen gegenüber den Serben vertreten würde. Er lehnte ab, weil er im Hinblick auf die UNO-Abstimmung das auch gar nicht mehr wollte.

Aber ist Ihre auf Isolationismus ausgelegte Politik langfristig im Sinne der Schweiz? Hat die Schweiz noch Freunde?

Blocher: Ich bin doch kein Isolationist. Ich bin ein international tätiger Unternehmer.

Olympische Spiele werden nicht in die Schweiz vergeben, die Afghanistankonferenz fand trotz Schweizer Bemühungen in Deutschland statt. Bei globalen Fragen lässt sich die Schweiz draussen?

Blocher: Die Schweiz ist geachtet. Auch als Mitglied der politischen UNO würde uns die Olympiade nicht einfach zufallen. Weshalb fand die Afghanistankonferenz in Deutschland statt?

Weil die Schweiz sie nicht bekam.

Blocher: Nein, weil es die Schweiz gar nicht brauchte. Den Neutralen braucht es nur, wenn Sieger und Verlierer dabei sind. In Deutschland waren die Sieger unter sich. Da braucht es keine Neutralität.

Moment: Die Taliban waren eingeladen, kamen aber nicht.

Blocher: Ja, weil sie wussten, dass nicht Neutrale einluden. Deshalb sind die Taliban nicht gekommen.

Ein anderes Argument sind die Kosten. Die Schweiz müsste 70 Millionen Franken mehr bezahlen. Seit 1980 stieg der Beitrag, und das, ohne Mitglied zu sein…

Blocher: Wir können schon heute überall mitreden, wo wir bezahlen. Da haben wir auch ein Stimmrecht. Wir zahlen schon heute 500 Millionen Franken. Dagegen habe ich eigentlich nichts. Doch beim Vollbeitritt gingen wir einen entscheidenden Schritt weiter.

Sie haben keine Angst vor einem Imageschaden für die Schweiz bei einem Nichtbeitritt?

Blocher: Ich habe auf der ganzen Welt noch nie jemanden kennen gelernt, der wusste, dass wir nicht Vollmitglied sind. Wenn wir jetzt Nein sagen …

… wissen es alle.

Blocher: Das war schon 1986 so und war drei Tage später vergessen.

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