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16.08.2000

Das Geheimnis des Erfolgs

Zürcher Parteienlandschaft im Wandel Für Sie gelesen: NZZ-Artikel vom 16. August 2000 Die Politik der Zürcher SVP aus der Sicht eines Exponenten Von Christoph Mörgeli (Uerikon-Stäfa) Nationalrat SVP Die SVP hat in den letzten Jahren fast bei allen Parlamentswahlen in Stadt und Kanton Zürich deutlich an Stimmen und Sitzen zulegen können. Christoph Mörgeli, seit 1999 SVP-Nationalrat und vorher Kantonsrat, beschreibt im folgenden Beitrag die Ingredienzen des Erfolgs, der sich zuerst im Kantons- und Nationalrat im grossen Stil eingestellt hat und schliesslich auch auf den Zürcher Gemeinderat übergeschwappt ist. 1994 steigerte die SVP in Zürich die Zahl ihrer Parlamentssitze von 7 auf 19, vier Jahre später errang die Partei gar 26 Mandate. Für Mörgeli ist für diesen Aufschwung vor allem auch Kantonalparteipräsident Christoph Blocher verantwortlich. Im Jahre 1975 befand sich die SVP des Kantons Zürich im absoluten Formtief ihrer heute 83-jährigen Geschichte. Lediglich 10,9 Prozent der Stimmberechtigten mochten bei den eidgenössischen Wahlen die SVP-Liste einlegen, was gerade noch für vier Nationalratsmandate ausreichte. Eineinhalb Jahre später wurde in einer heftig umstrittenen Kampfwahl der damals 37-jährige Industriemanager Christoph Blocher zum SVP-Kantonalpräsidenten erkoren. Blocher erteilte unverzüglich all jenen eine Absage, welche die Partei mit einem unverbindlichen Kurs zur politischen "Mitte" hinführen wollten. Er beurteilte das traditionelle liberal-konservative Gedankengut weit über den ländlich-bäuerlichen Bevölkerungsteil hinaus als attraktiv, sofern man es vertiefe, auf konkrete politische Anliegen beziehe und aktiv an die Wähler herantrage. Bereits am Tag der Wahl legte Blocher seine parteipolitischen Schwerpunkte dar, von denen die Zürcher SVP bis heute nicht im Geringsten abgewichen ist: innere und äussere Sicherheit, Schutz des neutralen Kleinstaates und dessen Demokratie, Mut zur Eigenverantwortung. Da die föderalistische Schweiz von unten nach oben aufgebaut sei, habe sich die Zürcher SVP selbstverständlich auch mit der Bundespolitik, speziell mit der Aussenpolitik, zu beschäftigen. Aussenpolitik für eine freie Gesellschaft In konsequenter Umsetzung dieses Auftrags gab es in den letzten zwei Jahrzehnten keine andere Kantonalpartei, welche die Bundespolitik dermassen intensiv und erfolgreich beeinflusst hat. Auf aussenpolitischem Gebiet hat die Zürcher SVP die spektakulärsten ihrer Kämpfe geführt - und gewonnen. Dieser Einsatz geschah in der Meinung, dass der weltoffene, aber unabhängige, neutrale und direkt demokratische Kleinstaat die beste Garantie für die Freiheit des Einzelnen und den besten Schutz vor der anonymen Massengesellschaft darstellt. 1986 engagierte sich die Partei mit Erfolg gegen den Uno-Beitritt, für den sich Bundesrat, Parlament und fast alle Parteien und Medien mit praktisch denselben Argumenten stark machten, mit denen sie es heute wieder tun. 1992 gewann die Zürcher SVP die von ihr frühzeitig vorbereitete, schicksalhafte EWR-Abstimmung. Und 1994 bekämpfte sie an vorderster Front die bundesrätliche Vorlage über Schweizer Uno-Blauhelm-Truppen. Von kaum zu überschätzender Wirkung erwies sich 1997 das Eingreifen des Zürcher SVP-Präsidenten in die international geführte Kontroverse um das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man Blochers "Klarstellung" das Verdienst zuerkennt, die masslose Selbstanklage überwunden und dem Schweizervolk (und auch dessen Regierung) den Weg zurück zum aufrechten Gang aufgezeigt zu haben. Der Zeit voraus denken Während andere (auch bürgerliche) Parteien ihren Auftrag mit dem Einsatz für das Wohl des Staates definieren, legt die Zürcher SVP das Schwergewicht auf den Einsatz für das Wohl der Staatsbürger. Dies ist keinesfalls dasselbe, können doch die Interessen von Staat und dessen Bürgern durchaus voneinander abweichen - etwa bei der Steuerbelastung. Mit einem "Graubuch der Bürokratie" begann die Partei 1980 ihren Kampf gegen die beständige Ausweitung der Staatstätigkeit, die Gesetzesflut, die Umverteilung und die damit verbundene zunehmende Erstickung von privatem Unternehmertum, Risikobereitschaft und Selbstverantwortung. Bereits 1983 - lange vor der Rezession der neunziger Jahre - führte die Zürcher SVP ihren Wahlkampf mit der Sorge um die Erhaltung der Arbeitsplätze und vermochte damit viele Arbeitnehmer anzusprechen - immer mehr auch in der Stadt Zürich. Das "Messerstecherinserat" lenkte 1993 die Aufmerksamkeit auf schwere Defizite der inneren Sicherheit und des Strafvollzugs und führte letztlich zu einem Umdenken bis weit in linke Kreise. Die Partei hat die heissen politischen Eisen jederzeit angefasst, statt sich bloss an ihnen zu wärmen: Ihr erster Versuch, die uferlose Asylbürokratie zu straffen, blieb zwar erfolglos, doch läuft gegenwärtig eine zweite Asylinitiative mit demselben Anliegen. Ein Aufschrei ging durchs Land, als die Partei Anfang 1997 Steuersenkungen in Bund und Kanton forderte. Mittlerweile konnte sich dieses Anliegen bereits teilweise durchsetzen; eine direkte Folge der für die SVP erfolgreichen Wahlen von 1999 bildete im Kanton Zürich die Abschaffung der Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen. Gross war der Lärm auch, als der Präsident der Zürcher SVP die nicht benötigten Goldreserven der Nationalbank dem AHV-Fonds zukommen lassen wollte - inzwischen befürworten sogar die Sozialdemokraten ähnliche Modelle. Im Hinblick auf ein vom Totalitarismus freies 21. Jahrhundert hat Christoph Blocher eine zukunftsweisende Sozialismus-Diskussion ausgelöst. Die SP dürfte angesichts des vollständigen Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus nicht mehr umhin können, ihre früheren Ostblock-Sympathien kritisch aufzuarbeiten und ihr von Planwirtschaft und Staatskollektivismus belastetes Parteiprogramm zu überdenken. Mit Vorurteilen bekämpft Jedes Mal, wenn die Zürcher SVP ein politisches Problem zum Thema macht, erhebt sich bei vielen Medien und den gegnerischen Parteien zunächst ein Sturm der Entrüstung. Hierauf versuchen sie, das Anliegen der Partei totzuschweigen, um es schliesslich meist diskret zu übernehmen. Obwohl namentlich die Medien die SVP des Kantons Zürich mit oft geradezu absurden Vorurteilen verteufeln, erzielen sie erstaunlich wenig Wirkung. Wohl wissend, dass der Zuwachs von Wählern und Mandaten im Kanton und seit einiger Zeit auch in der Stadt Zürich seit vielen Jahren kontinuierlich verläuft, trösten sich noch immer manche Kritiker mit dem Einwand, es handle sich um ein kurzfristiges Strohfeuer. Sie verpassen der Partei ein möglichst antiquiertes, verstaubtes Image, um zu verdrängen, dass die freiheitliche Ideologie und der direkte Stil der SVP höchst modern sind. Sie verkennen, dass hinter den Wahlerfolgen eine breit abgestützte, beständige programmatische Arbeit steht, ohne die auch die professionellste Werbung nutzlos wäre. Und manche Gegner machen die Zürcher SVP als "Führerpartei" verächtlich, ohne zu bedenken, dass diese fast vollständig vom idealistischen Einsatz ihrer breiten Anhängerbasis in den Dörfern und Stadtquartieren lebt. Präsidialer Sonderfall Seit nunmehr 23 Jahren steht in der Person von Christoph Blocher der im In- und Ausland profilierteste, bekannteste Schweizer Politiker an der Spitze der SVP des Kantons Zürich. Die hartnäckige Beharrlichkeit ist wohl das hauptsächliche Geheimnis seines politischen Erfolgs, verbunden mit seiner persönlichen Ausstrahlungskraft, seiner mitreissenden Motivationsgabe und seiner unerschrockenen Konsequenz. Christoph Blocher ist geblieben, während andere Politiker die Mühsal der Parteiarbeit gerne von den Schultern warfen, sobald sie ihnen zu anstrengend und zu undankbar wurde oder wenn andernorts höheres Prestige winkte. Fragen des persönlichen Ansehens hat Blocher niemals in den Vordergrund gestellt; jederzeit stand bei seinem Denken und Handeln die Erfüllung des Auftrags im Zentrum. Christoph Blocher wird auch künftig Präsident der Zürcher SVP bleiben, und zwar aus demselben Grund, aus dem der Wirtschaftsmann die Partei einst inmitten ihrer grössten Krise übernommen hat: Nicht weil er die Partei braucht, sondern weil die Partei ihn braucht.

14.07.2000

«Herr Cavalli, ich möchte Sie bitten, sauber zu denken»

Streitgespräch mit Nationalrat Franco Cavalli im Tages Anzeiger vom 14. Juli 2000 Ein Streitgespräch zwischen dem Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher und dem Tessiner SP-Fraktionschef Franco Cavalli zu Faschismus und Sozialismus - und zur Frage, ob die Sozialdemokraten immer noch darauf hinarbeiten, den Kapitalismus zu überwinden. Autor: Das Gespräch führten Jean-Martin Büttner und Markus Somm Franco Cavalli, Ihre Partei wird von Christoph Blocher heftig kritisiert. In seiner Streitschrift "Freiheit statt Sozialismus" wiederholt er seine Faschismusvorwürfe an die SP. Und in der Sommersession, nach den Bundesrichterwahlen, hat er Ihre öffentlichen Kommentare zu zwei SVP-Kandidaten sehr scharf verurteilt. Nehmen Sie solche Anwürfe politisch oder persönlich? Franco Cavalli: Ich behaupte von mir, tolerant zu sein und die Diskussion nicht zu personalisieren. Es passiert sehr selten, dass ich mich persönlich getroffen fühle. Aber als Herr Blocher und SVP-Fraktionschef Walter Frey mich in der Bundesversammlung so angegriffen haben, habe ich mich persönlich getroffen gefühlt in einer Weise, die ich nicht akzeptieren kann. Christoph Blocher, Ihre Kritik war tatsächlich heftig, auch Herrn Cavalli gegenüber. Geht es Ihnen um Politik, oder spielt Persönliches mit hinein? Christoph Blocher: Politik hat immer auch mit Personen zu tun. Sie ist nicht nur Sache des Verstandes, sondern auch der Emotionen, das ist auch gar nicht schlimm. Das Vorgehen von Herrn Cavalli bei der Bundesrichterwahl erfüllte mich mit Wut, das sage ich offen. Und ich habe das Vorgehen als absolutistisch verurteilt, typisch für die politische Geisteshaltung der SP. Aber warum denn diese Verletztheit? Was teilte denn die SP alles aus, beispielsweise auf die Wahlen hin und vor der Bundesratswahl? Aber das darf auch sein. Doch selbst wenn ich wütend war auf Herrn Cavalli, auch wenn ich seine politische Grundhaltung verurteile, ist er für mich kein Feind. Immerhin haben Sie ihn uns gegenüber als Stalinisten bezeichnet. Blocher: Jawohl, Franco Cavalli ist Marxist, und Stalin hat den Marxismus vollzogen; Karl Marx hat dazu die philosophische Grundlage geliefert. Es musste zur Katastrophe kommen, denn das Kennzeichen des Marxismus ist, das Kollektive über das Individuum zu stellen. Die Reaktionen von Herrn Cavalli auf meine Streitschrift, seine angedrohte Strafklage, der Gesprächsboykott seiner Partei, die Aufforderung zur kollektiven Entschuldigung, die Diffamierungskampagne gegen unseren Bundesgerichtskandidaten, den er im Zusammenhang mit dem Grossvater seiner Frau in Sippenhaft nahm - das alles halte ich für ein stalinistisches Vorgehen. Herr Cavalli nimmt für sich in Anspruch, tolerant zu sein, aber gerade das ist er nicht. Toleranz gilt nicht nur der eigenen Meinung gegenüber. Cavalli: Ich halte Sippenhaft für abscheulich und weise den Vorwurf in aller Form zurück. Ich habe nie gegen die Bundesgerichtskandidaten der SVP intrigiert. Was den Marxismus betrifft, so habe ich mich nie als Marxisten bezeichnet. Es gibt einige grosse Denker, die meinen intellektuellen Werdegang beeinflusst haben, darunter Marx, Darwin oder Freud. Marx hat Prozesse beschrieben, die heute Allgemeingut sind, sogar in den Reden von Christoph Blocher. Wenn dieser zum Beispiel seinen Gegnern vorwirft, nur ihre Interessen zu vertreten, dann nimmt er eine marxistische Erkenntnis auf. Marx war der Erste, der sagte, die Politik sei nichts anderes als ein Kampf gegensätzlicher Interessen. Also anerkenne ich Marxens Einfluss. Aber ich war nie Mitglied einer kommunistischen Partei, und hätte ich in der Sowjetunion unter Stalin leben müssen, wäre ich mit meinem frechen Mundwerk höchstwahrscheinlich in einen Gulag gesteckt worden. Blochers intellektueller Fehler liegt in seiner Behauptung, Stalin habe nur ausgeführt, was Marx gefordert hatte. Doch Marx dachte libertär und sagte, letzten Endes müssen wir den Staat abschaffen. Für mich stellt der Stalinismus, kurz gesagt, eine autoritäre und diktatorische Entartung des sozialistischen Gedankens dar, genauso wie der Faschismus eine totalitäre und diktatorische Entartung des Kapitalismus ist. Von diesen Zusammenhängen müsste man ausgehen, und von diesen Zusammenhängen schweigt Christoph Blochers Schrift. Blocher: Sicher wäre es eine Unterschiebung zu behaupten, Karl Marx habe das erreichen wollen, was Stalin später angerichtet hat. Aber die Philosophie des Marxismus hat dorthin geführt. Genauso wie der Nationalsozialismus von seiner Lehre her zum Absolutismus führen muss, das ist gar nicht anders möglich. Dasselbe gilt auch für den Sozialismus, jedenfalls wenn er absolut in die Praxis umgesetzt wird. Der Liberalismus dagegen lehnt das Absolute ab - und zwar aus Prinzip, auch das Verabsolutieren des Richtigen. Dass Menschen ihre eigenen Interessen vertreten, war schon immer so, dazu brauche ich nicht Marx zu lesen, das ist nicht das Entscheidende an seiner Lehre. Sein Ziel war ganz klar die Überwindung des Kapitalismus, also die Abschaffung der freien Marktwirtschaft und des Privateigentums. Das wollte er überwunden haben, und interessanterweise steht dieser Satz im heute noch gültigen Parteiprogramm der schweizerischen Sozialdemokraten von 1982. Und auch wenn sie ihn nicht besonders ernst nehmen mögen, halte ich fest: Die SP hat bis heute nicht die Kraft gehabt, diesen Satz aus ihrem Parteiprogramm zu streichen; moderne sozialdemokratische Parteien in anderen Ländern haben sich davon distanziert. Cavalli: Typisch, wie Sie mit verschiedenen Begriffen um sich werfen, ohne Sie richtig zu definieren; so wird das Ganze völlig irrational. Zunächst: Marx hat vor allem eine wissenschaftliche Methodologie entwickelt, wie man die kapitalistische Gesellschaft untersucht. Er hat diese Untersuchung geführt und dabei verschiedene Gesetzmässigkeiten dieser Gesellschaft beschrieben. So unter anderem die Entwicklung von der Sklaverei über die Feudalgesellschaft zur kapitalistischen Gesellschaft hin zu einer sozialistischen Gesellschaft. Aber was für eine? Es ist fast lächerlich, wie zerstritten die sozialistischen Bewegungen immer gewesen sind. Es gibt keine absolute Lehre, ganz im Gegensatz zum Faschismus. Die skandinavische Sozialdemokratie hat ein ganz anderes Gesellschaftsmodell aufgebaut als der sowjetische Stalinismus; und auch sie beruft sich auf Marx. Herr Cavalli, will die SP Schweiz nun den Kapitalismus überwinden oder nicht? Cavalli: Das Wesen des Kapitalismus ist die stetige Vermehrung des Kapitals; Privateigentum und Marktwirtschaft hat es schon vorher gegeben. Wie viel Marktwirtschaft möglich ist in einer Gesellschaft, in der das Kapital nicht mehr vorherrschend ist, wird von Sozialisten seit jeher diskutiert. So gesehen spielt dieser Satz für uns derzeit keine Rolle. Blocher: Warum streichen Sie ihn dann nicht? Cavalli: Weil die Mehrheit der SP-Mitglieder diesen Satz immer noch als utopische Vision des Sozialismus empfindet - genau wie die Christen an den Himmel glauben. Was der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama behauptet hat, dass nämlich der Kapitalismus die letzte gesellschaftliche Entwicklung darstelle, ist pure ideologische Verblendung. Ich denke, dass sich noch andere Gesellschaftsmodelle entwickeln werden, warum nicht ein genossenschaftlicher Sozialismus? So gesehen stört mich dieser Satz nicht; er hat auch keinen Einfluss auf unsere jetzige Politik. Blocher: Herr Cavalli, Sie versuchen sich herauszureden. Sie haben erklärt, dass die Mehrheit in Ihrer Partei nach wie vor von der Überwindung des Kapitalismus träumt. Damit wollen Sie letztlich die Aufhebung von Privateigentum und Marktwirtschaft. Darum haben die sozialistischen Länder, und nicht nur die stalinistischen, das Privateigentum aufgehoben und verstaatlicht. Und auch die Schweizer Sozialdemokraten haben für dieses Vorgehen grosse Bewunderung gehabt. Man darf jetzt nicht so tun, als sei das irgendeine Nebensächlichkeit. Dass die Planwirtschaft als Alternative zur Marktwirtschaft nicht funktioniert hat, ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die meisten westlichen Sozialdemokratien davon Abschied genommen und erkannt haben: Es kann nicht unser Ziel sein, den Kapitalismus zu überwinden. Denn erst der Liberalismus garantiert das individuelle Recht auf Privateigentum sowie die Handels- und Gewerbefreiheit für alle. Cavalli: Ein extremer Neoliberalismus, wie ihn Herr Blocher verteidigt, ist fast nur in einer Diktatur wie in Chile durchsetzbar. Und dass der erste grosse Versuch, schnell und radikal den Kapitalismus zu überwinden, in Russland gescheitert ist, hat mit der extremen Rückständigkeit dieses riesigen Landes zu tun, ein Land, das die Demokratie nie gekannt hatte und bis heute nicht kennt, ein Agrarland fast ohne Industrie, ohne Erfahrungen mit Kapitalismus und Liberalismus. Schon Marx hat anerkannt, dass der Kapitalismus im Vergleich zum Feudalismus einen riesigen Fortschritt darstellte. Nur hören wir nicht auf zu glauben, dass noch etwas Besseres kommt. Blocher: Herr Cavalli, ich möchte Sie bitten, sauber zu denken. Erstens wurde an Ihrem Parteitag für diesen Programmpunkt gekämpft, der Satz war keine Nebensache. Zweitens bleibt die Überwindung des Kapitalismus Ihr Ziel, weil viele SP-Mitglieder gar nicht auf dieses Ziel verzichten wollen. Und das werfe ich Ihnen vor; denn die Verwirklichung führt zum Absolutismus und zur Armut. Beides beweist die Geschichte. Immerhin kann man bei Marx nachlesen, dass diese Überwindung nur möglich sei, wenn eine Mehrheit diese auch wolle. Blocher: Selbst wenn die Mehrheit das demokratisch bestimmen würde, ist das absolutistisch. Wenn Sie kein Privateigentum zulassen und keine Marktwirtschaft, dann steht das Kollektiv dermassen im Mittelpunkt, dass der Einzelne missachtet wird. Es ist mein Anliegen, das auszudrücken, weil Sie, Herr Cavalli, das nicht wahrhaben wollen. Im Grunde sprechen Sie der SP rundweg ab, eine demokratisch gesinnte Partei zu sein. Blocher: Nein, aber ich stelle fest: Die SP grundsätzlich zu kritisieren, wie ich das in meiner Schrift getan habe, kommt offenbar einer Gotteslästerung gleich: Links ist so gut, dass man es auch absolutistisch durchsetzen darf. Cavalli: Die sozialdemokratische Idee ist es gerade, eine Politik im Interesse der Mehrheit zu machen. Weil wir behaupten, dass der Kapitalismus in seinen extremen Formen nur dem Interesse einer kleinen Minderheit dient und alle anderen weltweit verarmen lässt. Wir wollen auch nicht, dass - wie heute - die 380 reichsten Männer der Welt, zu denen auch Herr Blocher gehört, genauso viel haben wie die Hälfte der übrigen Menschheit. Das finden wir nicht zulässig. Das heisst doch nicht, dass wir den Leuten das Haus wegnehmen wollen oder das Auto. Blocher: Mit Ihrer Steuerpolitik tun Sie es weitgehend. Cavalli: Lassen Sie mich ausreden. Wir sind weder für noch gegen das Privateigentum und die Marktwirtschaft. Wir sagen nur: Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der so viele Menschen wie möglich die gleichen Chancen haben sollen, dann gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen der Markt sehr gut funktioniert. Und eben andere, wo er überhaupt nichts taugt - etwa im Gesundheitswesen, aber auch in der Bildungspolitik. Also muss die Frage lauten: Welches Modell funktioniert am besten im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung? Und noch etwas zum Privateigentum: Sie behaupten immer, sowohl die Sozialisten wie die Nationalsozialisten hätten das Privateigentum verstaatlicht. Der Faschismus hat das Privateigentum nie beschränken wollen. Er hat der Grossindustrie vielmehr Sklaven zur Verfügung gestellt. Er hat alles getan im Interesse der Privatwirtschaft. Blocher: Der Faschismus hat das Privateigentum nicht respektiert. Cavalli: Ach was! Blocher: Warten Sie. Das Privateigentum ist ein Schutz des Einzelnen vor der Enteignung durch den Staat. Der Faschismus hat ganzen Bevölkerungsgruppen, etwa den Juden oder den Regimegegnern, das Eigentum weggenommen. In keinem Programm der NSDAP wird das Privateigentum in Frage gestellt, im Gegenteil. Und dass die Juden enteignet wurden, hat nichts mit Sozialismus und alles mit Antisemitismus zu tun. Blocher: Tatsache ist, dass die Nationalsozialisten das Privateigentum nicht für alle geschützt und garantiert haben. Und der Sozialismus hat das Eigentum allen weggenommen. Was jetzt schlimmer ist, lassen wir beiseite. Ausserdem haben beide Systeme Meinungsäusserungsfreiheit und Gedankenfreiheit unterdrückt. Und sie haben unvorstellbar gemordet. Auch darüber gibt es nichts zu diskutieren. Die geistigen Wurzeln beider Systeme führen zum Absolutismus; darum geht es mir. Der Nationalsozialismus ist zum Glück diskreditiert bis zum Letzten; aber der Sozialismus bleibt hoch im Kurs. Cavalli: Faschismus und Sozialismus lassen sich ganz einfach auseinander halten: Der Faschismus zeichnet sich dadurch aus, dass eine kleine herrschende Schicht mit Gewalt ihre Macht verteidigt. In allen Ländern, die faschistisch geworden sind, in Deutschland, Italien, Spanien, gelang dies nur, wenn die wirtschaftlich führenden Kreise, kurz: das Grosskapital, das gewollt haben. Darum stellte der Faschismus das Privateigentum eben gerade nicht in Frage.Das hätten diese Kreise nie und nimmer akzeptiert. Wahr ist aber auch, dass die SP sich offiziell sehr zurückhaltend über die kommunistischen Regimes im Osten äusserte. Die Dissidenten dieser Länder wurden konsequent ignoriert. Cavalli: Im Rückblick ist diese Kritik sicher berechtigt. Aber man muss auch verstehen, in welchem Kontext es zu diesen braven Verlautbarungen kam: Es herrschte der Kalte Krieg, man befürchtete die atomare Katastrophe. Daher war uns jedes Mittel recht, etwas zur Entspannung beizutragen. Und ich denke, das war auch völlig richtig, man musste die Verständigung fördern. Blocher: Es geht hier nicht um Verständigung, sondern um die Bewunderung für diese Unrechtsregimes. Sie rechtfertigen alles. Cavalli: Überhaupt nicht. Ich will es bloss erklären. Zum zweiten Punkt: Es gab zweierlei Dissidenten. Die einen waren gute Demokraten, andere aber - das sehen wir jetzt, gerade im Osten - waren schlicht Nationalisten, Reaktionäre, die den Zar zurückholen wollten. Es war damals nicht so einfach, die Lage richtig einzuschätzen. Ähnliches gilt übrigens selbst für die Sowjetunion. Zum Beispiel die Befreiungskriege in der Dritten Welt: Ohne die Unterstützung der UdSSR hätten viele antikoloniale Bewegungen doch keine Chance bekommen, und viele Völker hätten sich nie emanzipiert. Blocher: Die Sowjetunion unterstützte sie aus reinen Machtinteressen. Cavalli: Selbstverständlich. Dennoch kann man das Ergebnis dieser Politik nicht einfach leugnen. Oft geschah dies unter entsetzlichen Umständen. Warum sagt die Linke nicht: Wir haben die kommunistische Unterdrückung nicht sehen wollen, und das war ein grosser Fehler? Cavalli: Ich möchte nur daran erinnern, warum so viele Linke, aber auch fortschrittliche Bürgerliche, Staatsmänner wie Roosevelt und andere, gerade die Sowjetunion zunächst ganz anders betrachtet haben. Selbst unter Stalin: Als dieser Diktator es in den Zwanzigerjahren fertig brachte, sein Land, ein rückständiges armes Land, innert fünfzehn Jahren zu industrialisieren, waren sehr viele Menschen im Westen tief beeindruckt. Von den Massenmorden wussten sie nichts. Das erinnert fatal an die Aussage, Hitler habe immerhin gute Autobahnen gebaut. Cavalli: Nein, es geht nicht um Autobahnen, sondern um die Geschichte. Und die Geschichte hat eben gezeigt, dass jede Industrialisierung Opfer gefordert hat, auch im England des 18. und 19. Jahrhunderts. Blocher: Es ist unerträglich, wie Sie die kommunistischen Gräueltaten verherrlichen. Cavalli: Unsinn. Ich verherrliche überhaupt nichts. Ich versuche bloss zu erklären, warum die Linke auf einem Auge blind war. Und wie gesagt: nicht allein die Linke. Aber wenn ein Bürgerlicher heute die neoliberalen Reformen unter Pinochet in Chile lobt, hielten Sie dies für ebenso unerträglich. Cavalli: Auch hier würde ich Ethik und Geschichte unterscheiden. Ich habe linke Freunde, die bei der Weltbank arbeiten. Die sagen mir: Pinochet war ein Metzger, keine Frage. Aber er hat, verdammt noch mal, wirtschaftlich etwas zu Stande gebracht. Und Chile ist diesbezüglich weiter als manch anderes lateinamerikanische Land. Herr Blocher, wir schreiben das Jahr 2000. Was haben Stalin, Mussolini und Hitler mit der aktuellen politischen Debatte zu tun? Blocher: Sehr viel. Meine Schrift ist eine Auseinandersetzung mit dem Sozialismus. Äusserer Anlass waren die dauernden Vorwürfe der SP, die SVP habe irgendetwas mit faschistischen Strömungen gemein. Der Grund der Schrift ist aber ein anderer: Ich möchte die Grundfrage stellen: ob unser Staat sozialistisch oder freiheitlich sein soll. Ich könnte auch liberal sagen, aber dieser Begriff ist so abgedroschen: Alle sind liberal, die SP, die Berner SVP und so weiter. Wie Franco Cavalli wurde ich politisch in den Sechzigerjahren an der Uni geprägt: Sie waren auf der damals vorherrschenden sozialistischen Seite, ich auf der freiheitlichen. Wir sind alle 68er. Während Sie Marx lasen, stützte ich mich auf die grossen Liberalen wie Ludwig von Mises, Röpke oder Hayek. Kurz, es waren grundsätzliche Haltungen, die wir uns aneigneten. Heute werden solche Grundsatzfragen in allen Parteien kaum mehr diskutiert, und daher übersieht man, wie die Grundfrage nach der persönlichen Freiheit in der Realität grundsatzlos entschieden wird. Zum Beispiel bezeichnet man das, was man dem Bürger als Einkommen belässt, als Steuergeschenk. Offensichtlich sind wir bereits so weit, dass man davon ausgeht, dass alles zuerst dem Staat gehört. Das Gegenteil ist der Fall: Alles, was der Bürger erarbeitet, gehört zunächst ihm. Cavalli: Das ist doch Wortklauberei. So wie Sie behaupten, die Nazis seien Sozialisten, weil sie sich Nationalsozialisten nannten. Wie viele Volksparteien, die sich so bezeichnen, haben mit dem Volk zu tun? Blocher: Es ist doch interessant, wie sich der Sprachgebrauch entwickelt. Das sind schleichende Tendenzen. So hat vor kurzem ein freisinniger Nationalrat, Marc F. Suter, gar vorgeschlagen, der Staat müsse entscheiden, ob ein Argument, das in einer Abstimmungskampagne vorgebracht wird, wahr oder falsch ist. Der Staat bestimmt die Wahrheit einer Meinung. Dabei sind die Menschen nicht böse, die das fordern. Cavalli: Danke. Blocher: Aber es ist verwerflich. Es verrät eine Denkweise, gegen die ich einschreiten muss. Ed zeigt, dass Sie den Menschen nichts zutrauen; Sie pflegen ein pessimistisches Menschenbild. Für einen Liberalen ist es unerträglich, wenn der Staat bestimmen soll, welche Meinung wahr ist und welche nicht. Cavalli: Aber in gewissen Fragen kann für Sie der Staat nicht genug einschreiten und verbieten: In der Abtreibung zum Beispiel, in der aktiven Sterbehilfe, bei den Drogen: Da rufen gerade Sie lauthals nach dem Staat. Im Grunde sind Sie es, auch wenn Sie das Gegenteil behaupten, der ein pessimistisches Menschenbild hat. Sie glauben nicht an das Gute im Menschen. Blocher: Lassen Sie mich das begründen: Nach meinem Staatsverständnis muss der Staat Leben schützen. Wenn er dies nicht tut, schlägt der Stärkere den Schwächeren zu Tode - willkürlich. Als schützenswertes Leben gilt für mich auch das ungeborene. Daraus erkennen Sie auch, dass ich nicht einen unbegrenzten Liberalismus befürworte: Ich bin kein Anarchist. Aber die Sozialisten sind die Pessimisten, weil Sie mit ihrer Ideologie den Menschen von der Wiege bis zur Bahre betreuen, schützen und bevormunden wollen. Cavalli: Kein Sozialdemokrat sagt so etwas. Blocher: Aber sie tun es. Alles, oder fast alles muss nach Ihrer Auffassung geregelt werden, weil die Menschen es sonst nicht selber schaffen. Cavalli: Ich möchte auf diese Vorwürfe gar nicht weiter eingehen. Sondern bloss festhalten: Herrn Blocher geht es in erster Linie darum, eine gewissermassen irrationale Stimmung in der Öffentlichkeit herzustellen. Auch seine Schrift dient diesem Zweck: Die Bürger wissen bald nicht mehr, was wahr oder falsch ist - können nicht mehr rational entscheiden. Alle wissen zum Beispiel, dass die Sozialdemokraten in ihrer überwiegenden Mehrheit antifaschistisch eingestellt waren. Darüber besteht weder in der historischen Forschung noch in der Öffentlichkeit ein Zweifel. Blocher stellt diese Tatsache einfach auf den Kopf und behauptet das Gegenteil. Das verwirrt die Menschen, und darum geht es ihm. Herr Blocher, Sie kritisieren vergangene SP-Kontakte mit kommunistischen Regimes. Gleichzeitig machen Sie heute Geschäfte mit China - und helfen mit, ein kommunistisches Regime zu stabilisieren, ein Regime, das systematisch die Menschenrechte verletzt. Blocher: Ich kritisiere nicht vergangene SP-Kontakte, sondern die Bewunderung der kommunistischen Regimes. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, allein mit guten Menschen oder anständigen Ländern Geschäfte zu machen. Dies bedeutet aber nicht, dass ich die dortigen Verhältnisse bewundere. Ich lehne kommunistische Systeme ab. Aber wegen Kontakten verurteile ich niemanden. Unterstütze ich mit meinen Geschäften das chinesische Regime? Die gleiche Diskussion führten wir früher in Bezug auf den Osthandel. Soll man mit dem Ostblock wirtschaftliche Beziehungen pflegen oder nicht? Ich war auch damals der Meinung, man sollte dies tun. Denn die Erfahrung zeigt, dass der freie Handel absolutistische Regimes meist untergräbt. Handel führt immer zu Beziehungen - und man kann diese nicht in wirtschaftliche oder politische oder kulturelle aufspalten. Beziehungen sind Beziehungen - man macht ein Geschäft, und bald redet man auch über Menschenrechte und über Politik. Dem widerspricht zum Beispiel Amnesty International: Bis heute hat sich die Menschenrechtssituation in China in keiner Weise gebessert - trotz der Tatsache, dass es seit 1983 westlichen Handel und westliche Fabriken zulässt, die dann die Arbeiter zu oft härtesten Bedingungen schuften lassen. Blocher: Ich selbst erlebe in China das genaue Gegenteil. Doch ich halte es ohnehin nicht für meine Aufgabe, in China andere Verhältnisse herzustellen - übrigens auch in Amerika. Mir gefällt die Todesstrafe in den USA auch nicht. Trotzdem mache ich in Amerika Geschäfte. Können Sie diese Position nachvollziehen, Herr Cavalli? Cavalli: In der Tat ist der Fall China gar nicht so einfach. Je rückständiger ein Land ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass es autoritär oder undemokratisch regiert wird - das zeigt die historische Erfahrung. So gesehen ist es zu begrüssen, wenn sich China wirtschaftlich - auch mit Hilfe des Westens - entwickelt. Das schafft immerhin die Möglichkeit, dass sich einmal demokratischere Verhältnisse einstellen. Doch dies ist keine zwingende Folge - wohlverstanden. Einen anderen Fall stellte Südafrika dar: Hier war offensichtlich, dass jede wirtschaftliche Entwicklung bloss das Apartheid-Regime stabilisiert. Daher waren wir für den Boykott. Blocher: Das ist nicht wahr. Die multinationalen Unternehmen haben sehr viel dazu beigetragen, dass die Apartheid überwunden wurde. Gute Politiker sind zu Selbstkritik bereit. Was bedauern Sie im Nachhinein? Was haben Sie in der Debatte der vergangenen Monate falsch gemacht? Blocher: Ich sehe nicht ein, warum öffentlicher Streit ein Unglück sein soll. Im Gegenteil, Konflikte werden zu selten ausgetragen, zu oft und zu früh beigelegt. Mir ging es darum, eine meiner Meinung nach verhängnisvolle Entwicklung zum Thema zu machen: Die schleichende Versozialisierung unserer Gesellschaft. Dies ist mir nur teilweise gelungen. Ich müsste das Thema in Zukunft noch viel stärker lancieren, noch breiter streuen. Das als Kritik an meinem Vorgehen. Cavalli: Selbstkritik? Nur zum Teil. Ich glaube, es war völlig richtig, dass sich unsere Partei gewehrt hat. Denn viele Leute schienen bald zu glauben, was Blocher behauptet. Seine Vorwürfe, seine Vergleiche waren für uns schlicht inakzeptabel. Deshalb haben wir von der SVP eine Klarstellung, eine Distanzierung verlangt. Und Parteipräsident Ueli Maurer hat diese zu unserer Befriedigung auch geleistet. Was aber haben wir falsch gemacht? Ich bedaure, dass es uns bisher nicht gelungen ist, eine eigene Gegenschrift zu verfassen. Ich hoffe, dass wir sie noch zu Stande bringen.

24.06.2000

Das Schwabentor

Kolumne in der Zürichsee-Zeitung vom 24. Juni 2000 von Christoph Blocher, Herrliberg Als siebtes Kind wuchs ich in einer elfköpfigen Kinderschar am Rheinfall auf. Wenn wir Kinder nicht mehr weiter wussten oder unsere Fantasie die Realität entstellte, ermahnte uns der Vater: "Geh zum Schwabentor und lies, was dort steht!" - Gemeint war der Schwabentorturm in der nahen Stadt Schaffhausen, ein mittelalterlicher Turm am ehemaligen Eingangstor der Stadt. Dort findet man am äusseren Torbogen noch heute den Spruch: "Lappi tue d'Augen uf. Ein Führungsgrundsatz In meiner wirtschaftlichen Tätigkeit denke ich oft ans Schwabentor: "Lappi tue d'Augen uf!" Wenn wirtschaftliche Modeströmungen die Runde machen - sei es der verlockende Ruf nach "Diversifikation", nach "New Management"; wenn allerlei Globalisierungs-Weisheiten oder immer neue Führungsmethoden mir verlockend den Kopf zu verdrehen beginnen, weil sie die mühsame Lebenswirklichkeit aufzulösen scheinen - dann hat mich der Führungsgrundsatz "Lappi tue d'Augen uf!" wieder auf den Boden gebracht und bis heute vor allerlei Unsinn bewahrt. Politischer Leitsatz In der Politik geht es mir ähnlich. Wie oft wird doch - völlig über alle Köpfe hinweg - eine Politik betrieben, die der Lebenswirklichkeit in keiner Weise entspricht. So wird beispielsweise von höchster Stelle verkündet, die Schweiz stehe bezüglich Staatsausgaben weit besser da als andere Staaten. Doch da taucht auf dem Internet eine Statistik der OECD auf, die der Schweiz diesbezüglich einen bedenklichen Platz zuweist. Laut dieser Statistik liegt in der Schweiz der prozentuale Anteil vom Volksvermögen, welcher dem Bürger zur freien Verfügung steht, am negativen Ende der Liste. Wurden in unserem Land 1990 40 % unseres Volkseinkommens durch den Staat der freien Verfügung entzogen, so sind es im Jahre 2000 bereits 50 %! Die Schweiz belegt damit in dieser Bedenklichkeitsrangliste hinter Frankreich mit 52 % und Schweden mit 56 % den dritten Platz. Alle anderen Industriestaaten schneiden weit besser ab. Plötzlich sieht also der "Lappi", der die Augen öffnet, dass die Schweiz in einer wohlstandsgefährdenden Entwicklung steht. Ein Alarmzeichen, müsste man meinen. Eine Einschränkung der Staatsquote drängt sich auf. Staatsausgaben und Steuern sind zu senken. Das verlangt die Aussagekraft dieser Zahlen. Wer die Augen offen hat, erkennt diese soziale Verantwortung. Doch was passiert? De Lappi tuet d'Auge zue Wer heute im Internet sucht, findet zwar immer noch die gleiche statistische Darstellung. Doch ein Staat fehlt plötzlich - die Schweiz. Nach Rückfrage auf dem OECD Sekretariat, warum die Schweiz dort nicht mehr erscheine, erhält man die Antwort: Die Schweiz habe diese Statistik ohne Angabe von Gründen zurückgezogen. Also wird selbst der "Lappi", der die Augen auftut, die Wirklichkeit nicht mehr erkennen und bekannt machen können. So können die Politiker weiterhin mit geschlossenen Augen getrost durch das Land ziehen und ihre falsche Politik betreiben in der Hoffnung, die Wahrheit bleibe noch lange unentdeckt. Wir können nur hoffen, dass sie bald am Schwabentor vorbeikommen und wenigstens dort mit offenen Augen lesen: "Lappi tue d'Augen uf!"

24.06.2000

«Vielleicht ist alles falsch»

Ein Gespräch mit dem Zürcher Chemie-Unternehmer Dr. Christoph Blocher Tages-Anzeiger, Das Magazin Nr. 25 vom 24. Juni 2000 Von Roger Köppel Herr Blocher, Sie schuften und rackern für Ihr Unternehmen, die EMS-CHEMIE, und für Ihre Partei, die SVP. Sie haben Millionen verdient und beherrschen die Debatten. In der Politik gehen Sie bis zur körperlichen Erschöpfung ans Limit. Warum tun Sie sich das an? Christoph Blocher: In der Politik frage ich mich durchaus, weshalb ich mich immer wieder solchen Widerwärtigkeiten aussetze. Es ist ja nicht so, dass ich für einen sachlich begründeten Vorstoss wie die Umleitung des Nationalbankgoldes in die AHV Applaus bekäme. Je besser die Idee, desto grösser die Zahl der politischen Gegner. Aber: Je mehr Politiker mit dem Schwert drohen, desto sicherer bin ich, dass ich recht bekommen werde. Wieso ziehen Sie es immer wieder durch? Blocher: Nicht wegen, sondern trotz allem. Ich warte sehnsüchtig darauf, dass ich mich aus der Politik zurückziehen kann. Wenn ich nach Bern fahre, sage ich mir immer wieder: Wenn ich nur diese Politik nicht hätte. Trotzdem tue ich es. Sie wollen immer gewinnen. Das macht süchtig. Blocher: Ach wissen Sie, die Bilanz, die ich in der Politik einmal ziehen werde, ist ganz anders als die meiner Politikerkollegen. Für viele kommt es doch darauf an, dass sie stets bei den Gewinnern sind, dass sie etwas sind, dass sie auf ihren Erinnerungsfotos zeigen können, welchem Staatspräsidenten sie die Hand geschüttelt haben und nicht, dass sie etwas bewirken. Sie sagen: Schau da, diese Kutschenfahrt mit Chirac und hier diese schöne Militärparade. Ich frage anders, für einen Unternehmer vielleicht typisch: Was habe ich eigentlich geleistet? Ja, was eigentlich? Blocher: Vielleicht kann ich sagen, dass die Schweiz ohne mein Engagement heute dem EWR angehören würde. Hätten wir ihn angenommen - davon bin ich überzeugt - ginge es unserem Land heute viel schlechter. Ich gab den entscheidenden Anstoss, um die Steuern zu senken, weil ich weiss, dass ein schlanker Staat für das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger besser ist. Sollte es uns gelingen, das überschüssige Nationalbankgold in die AHV einfliessen zu lassen und nicht in die Solidaritätsstiftung, die dann zur Grundlage für weitere Erpressungen würde, wäre das erfreulich. Macht es da etwas aus, wenn man mich im Kampf um diese Anliegen kübelweise mit Schmutz überschüttet? Würden Sie Ihre politische Karriere als Erfolg bezeichnen? Blocher: Was bedeutet Erfolg? Ein bisschen Geltung erlangen? Herumdudeln? Viel von sich reden machen? In der Politik erlangen Sie schnell Aufmerksamkeit. Obwohl das arrogant tönt, sage ich Ihnen, dass in der Politik häufig Flaschen anzutreffen sind, weil nicht an den Taten, sondern an den Worten gemessen wird. Es fehlt an Leistungsdruck, an Konkurrenz, an Wettbewerb der Leistung und an hohen Anforderungen. In der Wirtschaft treffe ich auf beeindruckendere Persönlichkeiten. Viele Politiker folgen dem Prinzip des Ehrentisches, sie wollen ein bisschen dabeisein, mitreden, abgebildet werden. Ob es ihnen wirklich um das Wohl des Landes geht, bezweifle ich in manchen Fällen. Immer wieder frage ich mich: Hatte ich eigentlich Erfolg in der Politik? Wenn ja, ist dieser überhaupt messbar? Wurde dank meiner Tätigkeit etwas gestaltet, verbessert, Unsinn verhindert? Vielleicht wäre die EWR-Abstimmung ohne mich viel deutlicher zuungunsten des Beitritts ausgefallen. Wer weiss das schon? Habe ich wirklich etwas bewirken, etwas schaffen können? Ich bin mir da nicht so sicher. Viele meiner Gegner sind darüber frustriert, sich dauernd den Schädel einzurennen. Bodenmann ist ins Wallis verschwunden, Frau Koch ist von der Bühne gesprungen, Ledergeber hat sich in die Stadtregierung zurückgezogen. Es kann schon ein sehr kräftezehrendes Geschäft sein, wenn man etwas bewirken will. Am publizistischen Seminar der Universität Zürich werden bereits Forschungsarbeiten gemacht, die Ihre immense Wirkung auf die Medien analysieren. Wie fühlt man sich als "Phänomen"? Blocher: Von "Phänomen" merke ich nichts. Die Belastung ist enorm. In letzter Zeit wurde ich im Zusammenhang mit den bilateralen Verträgen mit Briefen bombardiert, weil man meine Bedeutung wieder einmal masslos überschätzte. Diesen Leuten schreibe ich: Wenn das Wohl der Schweiz nur noch von mir abhängt, ist es schlecht bestellt. Sie wird auch ohne mich bestehen. Das klingt jetzt etwas depressiv. Blocher: Auch als Unternehmer bin ich manchmal verzweifelt - trotzdem mache ich es gern. Das gilt auch für die Politik. Ein bildlicher Vergleich: Es muss schrecklich sein, in den Krieg zu ziehen. Gehen wir doch einmal zurück ins Mittelalter, als man noch Kriegspferde hatte. Ich stelle mir vor: Jetzt ist Krieg, das ist schrecklich. Vielleicht muss ich töten oder werde getötet. Aber sitzt man erst einmal auf dem Ross und gibt diesem die Sporen, dann geht es los, vielleicht in freudigem Galopp. Es muss sein. Und Ihr Ur-Antrieb? Blocher: Diese Frage stellte ich mir nie. Ich habe dieses Land gern. Wenn ich ein Problem erkenne und das Gefühl habe, etwas machen zu müssen, dann mache ich es. Das liegt in meinem Naturell. Ich frage mich auch nicht, ob ich fähig bin, ich tue es einfach. Das war schon in der Kindheit so. Meine Mutter soll jeweils überall humoristisch gesagt haben: "Der Kleine muss immer alles anpacken, das wird wohl noch gefährlich mit ihm." Was ist das Geheimnis der Menschenführung? Blocher: Eines der faszinierendsten Themen, das ich kenne. Ich beschäftige mich laufend damit, denke nach, diskutiere, lese Bücher darüber. Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen? Blocher: Ein Unternehmer ist ein Pferd, ein Lasttier, das vorangeht. Er hat seinem Auftrag alles unterzuordnen: ein angenehmes Leben, Gesundheit, Geld und Familie. Das hören Ehefrauen nicht gern. Blocher: In diesem Punkt habe ich mit meiner Frau von Anfang an intensiv arbeiten müssen. Vor acht Jahren - als die Belastung als Unternehmer und Politiker besonders gross war - sagte ich ihr: Es wäre für Dich sicher angenehm, einen entspannten Ehemann zu haben, der abends gemütlich im Sessel sitzt. Du musst aber sehen: Erstens habe ich über 2'000 Mitarbeiter - Familien, die vom Unternehmen leben - und dann ist da die Schweiz. Wenn ich jetzt nicht dafür sorge, dass der EWR abgelehnt wird, dann sitzt das Land in der Tinte. Was gibt es da noch abzuwägen? Ein entspannter Ehemann gegen das Anliegen eines freien Landes, das Selbstbestimmung und Wohlfahrt der Schweiz sichert? Auch sie hat glücklicherweise dem Anliegen für eine freie Schweiz den Vorzug gegeben. Das muss Konflikte gegeben haben. Blocher: Aber sicher. Für viele haben Männer einen Heiligenschein, wenn sie den Wunsch ihrer Ehefrauen über alles stellen. Das muss man offen zur Sprache bringen, darf den Konflikt nicht scheuen. Die umfassende Harmonie ist nicht das höchste Glück der Ehe. Hätten Sie Ihre Familie dem Unternehmen geopfert? Blocher: Das habe ich mir mehrmals überlegt. Wenn es nur um die Annehmlichkeiten der Familie gegangen wäre, hätte ich dies getan. Eine Ehe muss solche Belastungen ertragen. Der Familie ist etwas zuzumuten. Aber entscheidend ist das Motiv. Wäre meine Frau plötzlich krank geworden, hätte ich andere Prioritäten gesetzt, weil die Familie mich dann gebraucht hätte. Was ist Ihre Führungsphilosophie? Blocher: Die Menschen direkt führen. Das Ziel, den Auftrag auf die Mitarbeiter übertragen, sie begeistern und mit gutem Vorbild vorangehen. Ich glaube, dass viele Managerschulen nur das Rationale erfassen und nicht das Wesen der Führung. Sie entwickeln Theorien - oft modische Tendenzen - die kommen und gehen, aber sie erfassen nicht, worauf es wirklich ankommt. Worauf kommt es an? Blocher: Die Mitarbeiter müssen spüren, dass es ernst gilt, dass der Chef seiner Aufgabe alles unterordnet. Man muss mit dem Irrationalen rechnen. Ich messe dem Irrationalen - in der Politik wie im Unternehmen - grosse Bedeutung bei. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass das Irrationale bei der Menschenführung die Hauptrolle spielt. Das Irrationale ist der Mensch, ein Bündel von Leidenschaften, die sich nur schwer berechnen lassen. Blocher: So sehe ich es. Im Vordergrund steht der Mensch, den man gern haben muss, um erfolgreich zu führen. Wir alle sind unvollkommen. Unvollkommene führen Unvollkommene. Als Führender muss man die Menschen gern haben, so wie sie sind und nicht, wie man sie am liebsten haben möchte. Erst wenn ich ihn gern habe, kann ich ihn verstehen. Erst wenn ich ihn verstehe, kann ich ihn führen. Das kann man eigentlich nicht lernen. Lernen kann man die Führungstechnik. Wie führen Sie? Blocher: Technisch - sei es im Unternehmen, in der Partei, der Politik oder im Militär - immer gleich: 1. Ich messe der Orientierung über meinen eigenen Auftrag, der Frage, worum es geht, grosse Bedeutung zu. So wird der Untergebene ernst genommen. Dann gebe ich meine Absicht und Ziele bekannt. 2. Ich gebe den Auftrag, verteile die Verantwortlichkeiten. 3. Ich weise auf besondere Probleme und Gefahren hin. Der Auftrag - der eigene und der, den ich erteile - steht im Mittelpunkt. Es gibt natürlich Kritiker, die mir deshalb einen militärischen Führungsstil andichten. Sie verwechseln Auftrag mit Kommando, haben nichts begriffen. Ich pflege eine militärische Führungstechnik, keinen militärischen Führungsstil, das ist ein grosser Unterschied. Mich beeindruckt die militärische Führungstechnik westlicher Armeen, die sich im Ernstfall während über 2000 Jahren bewährt hat. Im Militär geht es um Leben und Tod. Daraus kann man lernen. Welche militärischen Führer bewundern Sie? Blocher: Der englische General Fraser hat ein hochinteressantes Buch über den deutschen Feldmarschall Erwin Rommel geschrieben, den Wüstenfuchs, der im Zweiten Weltkrieg das deutsche Afrikakorps kommandierte und schliesslich von den Nazis ermordet wurde. Ursprünglich interessierte mich daran, was ein englischer General über den General einer ursprünglichen Feindesmacht schreibt. Die Lektüre wurde dann für mich zu einem Führungserlebnis. Fraser hat Rommels Führungsstil mit unglaublichem Respekt vor dessen Person analysiert. Fraser hat Rommel nicht verurteilt, obwohl er Deutscher war. Auch Rommels Gegenspieler, Feldmarschall Montgomery, der damals die englischen Panzerarmeen führte, verachtete Rommel nicht, im Gegenteil: Er brachte ihm grosse Sympathie entgegen und hatte ein Bild von ihm in seinem Panzer. Was haben Sie von Rommel gelernt? Blocher: Die Lektüre hat mich in einem entscheidenden Punkt bestätigt: Das Irrationale ist zentral. Rommel führte sehr irrational, missachtete und veränderte im Interesse des Auftrages sogar Befehle, erfasste Situationen intuitiv, ohne genau zu wissen, warum. Es gelang ihm, seine Soldaten selbst in ausweglosen Situationen zu begeistern, weil er sie gern hatte. Rommel liebte sogar den Feind und verlangte, dass die Gefangenen gut zu behandeln seien. Er war kein Moralist, der sich für etwas Besseres hielt. Und dann das Instinktive: wann angreifen, wo angreifen - aus dem Bauch heraus. Rommel war das Gegenteil von Montgomery, der alles durchkalkulierte und dem Deutschen gegenüber materialmässig im Vorteil war. Aber auch Montgomery schätze ich sehr. Sie waren im Vorgehen grundverschieden, in ihrer Einstellung aber Vorbilder. Rommel war ein Spezialist des Überraschungsangriffs. Er hat dann zugeschlagen, wenn es niemand erwartete. Blocher: Es war beeindruckend für mich, wie sich diese militärischen Erfolgsrezepte auf das Unternehmerische übertragen lassen. Ich habe ein anderes Büchlein gelesen, das mich in dieser Hinsicht prägte: den Bericht von Eisenhowers Stabschef über die Landung der Alliierten in Europa. Wieder haben sich die militärischen und unternehmerischen Führungsgrundsätze eins zu eins gedeckt: Konzentration der Kräfte, vermeide die Verzettelung. Ein Beispiel: Seit Jahren vertrete ich im Unternehmen die Auffassung, dass die Konzentration - nicht die Diversifikation - den Erfolg bringt. Was verstehen Sie darunter? Blocher: Schuster, bleib bei Deinem Leisten. Ist das nicht selbstverständlich? Wenn Sie wenig richtig machen, haben Sie Erfolg. Und wenn Sie alles oder zuviel machen, haben Sie keinen Erfolg, weil Sie sich verzetteln. Als Unternehmer muss ich mich fragen: Wo bin ich stark, was kann ich, wo bin ich schwach? Als ich die marode EMS vor siebzehn Jahren übernahm, habe ich die Schwächen ausgemerzt, mich wie im Militär auf die Stärken konzentriert: Wo bilde ich ein Schwergewicht? Wenn ich in der Führung kein Schwergewicht habe, mache ich überall etwas, aber nichts richtig. Interessanterweise wechselten viele Managerschulen, die in den 80er Jahren den Grundsatz der Diversifikation predigten, nun zum Prinzip der Konzentration. Natürlich erfand man dafür ein gewichtigeres Wort: Fokussierung. Wie finden Sie die Gewissheit, dass Sie richtig liegen? Blocher: Diese Gewissheit hat man nie. Ich handle intuitiv, tue etwas, weil ich es tun muss, kann mich oft nur auf mein Gefühl verlassen. Waren die Kampagnen der SVP Ausdruck solcher Spontaneingebungen? Blocher: Manchmal. Es gehört zum Schicksal intuitiver Menschen, dass Eingebungen hinterher zu einem gewaltigen Kater führen können. Realisiert man erst einmal, was man beschlossen hat, kommen tiefe Zweifel. Man fängt an, die Sache vernunftmässig zu analysieren. Man denkt nach, d.h. ja, man denkt "hinterher". Oft frage ich mich: Blocher, warum hast Du das beschlossen? Was bist Du für "en fräche Siech"? War das gut überlegt? Hadern Sie auch vorher? Blocher: Nein. Im Vorfeld bin ich ganz sicher, vollständig überzeugt. Aber nachher habe ich jeweils eine ganz schwere Woche, schlaflose Nächte, mache mir unglaubliche Vorwürfe. Das muss so sein. Man findet plötzlich alles falsch, wundert sich darüber, weshalb man genau das Gegenteil von dem tat, was die andern täten. Doch dieser Denkprozess ist wichtig. Er führt bei neuen Entscheiden intuitiv zu Gewissheiten. Welches war Ihre schwierigste Führungssituation? Blocher: Die Übernahme der EMS-Chemie vor siebzehn Jahren ohne Eigenkapital. Die Ausgangslage war verfahren: Die Firma war am Serbeln, der Eigentümer gestorben, die Kinder wollten verkaufen, hohe Verluste, niemand glaubte mehr an den Erfolg, vor der Türe stand ein amerikanisches Unternehmen, das kaufen wollte, um dann einen grossen Teil zu schliessen. Die Frage lautete: Was machen wir jetzt? Auf der Suche nach Käufern bin ich durch die halbe Schweiz gefahren. Niemand zeigte an einer derart schwer verschuldeten Firma Interesse, bis mir dann ein bedeutender Schweizer Industrieller sagte: Kaufen Sie sie doch selber! Wie sollte ich ohne Geld eine Firma kaufen? Immerhin ging es um über 20 Millionen. Wie haben Sie die Summe aufgetrieben? Blocher: Ich musste die Banken unter Druck setzen, drängte darauf, einen Kredit von über 20 Millionen zu bekommen. Die Banken konnten es sich nicht leisten, nein zu sagen, weil bei EMS 1'500 Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Ich selber warf meine ganze Existenz in die Waagschale, mein Haus, meinen Garten - alles gepfändet. Die Banken verboten mir sogar, eine Lebensversicherung abzuschliessen, worauf meine Frau rebellierte, das sei Wahnsinn. Was denn passiere, wenn mir etwas zustosse. Sie mit vier kleinen Kindern, 20 Millionen Franken Schulden und einem so schwer defizitären Unternehmen! Offenbar haben Sie sich wieder einmal durchgesetzt. Blocher: Ich riet ihr, ihr Erbe dann auszuschlagen und sagte: Diese Firma muss doch gerettet werden. Dann habe ich meinen Bruder Gerhard eingeladen. Wir brauchten einen Theologen, einen Aussenstehenden. Ich kann mich noch gut erinnern. Morgens um zwei Uhr sagte er: "So, Schluss jetzt, macht doch kein solches Theater. Wenn einer - nicht weil er es will, sondern weil er es muss - eine Firma übernimmt, passiert ihm auch nichts." Da wusste ich: Jetzt kann ich nicht mehr anders. Und es kam gut: Die Firma gerettet, keine Bank hat Geld verloren, vorläufig müsste meine Frau kein Erbe ausschlagen. Brauchen Sie das Chaos, um selber leistungsfähig zu sein? Blocher: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Veränderungen im Unternehmen, im Staat, beim Menschen selber nur in Krisen erzwingen lassen. Im Unternehmen gehe ich so weit, dass ich eine Krise schaffe, wenn ich keine habe. Dann ärgere ich mich zwar darüber, aber da muss ich durch. Wie gehen Sie mit Widerspruch um? Blocher: Ich pflege ihn bewusst. Selber oder durch die Verpflichtung von Leuten, die Ihnen widersprechen? Blocher: Beides. Wenn jemand einen Antrag einbringt, verpflichte ich jemand anderen, diesen zu zerzausen. Ich will sehen, wer die besseren Argumente hat. Wenn einer nach fünf Minuten nachgibt, hat er sich die Sache nicht gut genug überlegt. Das ist wieder das Pessimistische, das in allem Konservativen liegt: Bei mir schlummert in jedem Entscheid ein Fehlentscheid. Deshalb will ich die Schattenseiten kennen. Sie veranstalten Wortduelle. Blocher: Duelle von Argumenten schaffen das Klima für gute Entscheide. Deshalb ist der Tisch in meinem Sitzungszimmer so gross. Wir sitzen hier oft ganze Tage zusammen und streiten. Dabei können natürlich auch Gefühle verletzt werden. Es muss aber möglich sein, dass man in der Hitze des Gefechtes jemanden einen Trottel schimpfen, ein Argument als Unsinn bezeichnen kann. Es darf keine falschen Empfindlichkeiten geben. Man muss mit hochrotem Kopf sagen dürfen, was einem durch den Kopf geht. Dieses Prinzip hat sich bei Ihnen auch ins Politische übertragen. Blocher: Ja, aber die Lust am Widerspruch kommt vom Unternehmerischen her. Ich sage immer: Am schlimmsten ist es in Bern, wenn Einigkeit herrscht. Das ist dermassen absurd, dass ich mich oftmals querstelle. Ich begebe mich dann manchmal ans Pult, um diese gefährliche Harmonie, diese Selbstzufriedenheit zu stören und die Schattenseiten ans Tageslicht zu bringen. Man sagt Ihnen nach, Sie hätten in diesem Land die Politik polarisiert und brutalisiert. Blocher: Brutal ist höchstens die salonfähige Verlogenheit. Die schweizerische Politik leidet nicht unter zuviel, sondern unter zu wenig Polarisierung und Auseinandersetzung. Die direkte Demokratie bringt wenigstens noch ein gewisses Mass an Auseinandersetzung, im Parlament fehlt sie weitgehend. Ich betrachte es als grosse Stärke des Unternehmens, dass wir konfliktfähig sind, weil wir mit Krisen konfrontiert sind. Werden sie nicht bewältigt, stirbt das Unternehmen. Bis der Staat Krisen als solche erkennt, dauert es sehr lange. In Bern leben Verwaltungs-Abteilungen, obwohl sie schon lange tot sind. Es gibt Departemente, deren einzige Blutzufuhr in Salären besteht. Sie leben nicht mehr, weil sie keine Krisen hatten bzw. nicht wahrnahmen. Man hat versäumt, durch hervorgerufene Krisen Widerspruch zu erzeugen. Ihre Partei, die SVP, fällt nicht durch eine Ballung von Personen auf, die Ihnen Paroli bieten können. Haben Sie dort nur Ja-Sager? Blocher: Natürlich nicht. Aber gerade die, die nach aussen den Eindruck der anderen Meinung erwecken, bieten nicht Paroli. Wer leistet Ihnen denn jenen Widerstand, den Sie offensichtlich brauchen? Blocher: Im kleinen Kreis geht es hitzig zu, wird hart gestritten. Christoph Mörgeli beispielsweise ist im engen Rahmen - im guten Sinne - ein ganz giftiger Geselle. Diese Art der Meinungsfindung schätze ich sehr. Was die Auseinandersetzung zwischen der Zürcher und der Berner SVP anbelangt, so vermisse ich dabei, dass uns die Berner Kritiker nicht ebenbürtig die Stirn bieten. Sie haben keine Lösungen, melden sich anlässlich der Fraktionssitzungen kaum zu Wort. Kaum sind diese beendet, informieren sie die Presse darüber, dass sie nicht auf meiner Seite seien! Das ist ihre Schwäche, deshalb kommen sie nicht voran. Ich suche die Gegenmeinung, aber in der direkten Auseinandersetzung. Die Bilanz hat Ihnen vorgeworfen, Sie duldeten keinen Widerspruch. Blocher: Wenn entschieden ist, muss der Entscheid knallhart durchgezogen werden. Da bin ich unerbittlich. Aber für die Entscheidungsfindung suche ich den Widerspruch, provoziere ihn auch. In der Politik habe ich selbst dann widersprochen, wenn ich zunächst gar nicht anderer Meinung war. Das habe ich immer aus der Überzeugung heraus getan, dass es sich oftmals um eine Sackgasse handelt, wenn alle kopflos freudig hineinrennen. Mir liegt daran, die besseren Argumente aus meinen Gegnern herauszukitzeln. Die Intervention ist wichtiger als die Position, die vertreten wird? Blocher: Oft ist es so. Ich habe Persönlichkeiten gekannt, die nur aus dem Widerspruch, der Infragestellung herausführten. Das ist auch das Wesen der Entscheide. Entscheide sind das Resultat von Prozessen. Bei guten Entscheiden sind die meisten nicht ganz glücklich, aber wenn der Prozess der Infragestellung objektiv war, hat man am Schluss automatisch die am wenigsten schlechte Lösung. So führe ich. Sie sind ein Anhänger der direkten Demokratie, die langsam und bedächtig funktioniert, ein Klotz am Bein der Macher. Gleichzeitig sind Sie als Unternehmer ein Verfechter des Effizienzgedankens. Im "Magazin" hat Credit-Suisse-Chef Mühlemann dargelegt, die Politik müsse effizienter werden. Blocher: Er war für die Einschränkung der direkten Demokratie. Deshalb habe ich ihn kritisiert. Es kommt eben darauf an, was durch die direkte Demokratie gebremst wird. Ich bin bei allen politischen Prozessen, auch dort, wo es schnell gehen muss, für demokratische Mitwirkung. Die Verankerung von Entscheiden in der Bevölkerung ist wichtiger als Effizienz. Was Mühlemann angeht: Er meint, in Bern würden ausnahmslos hervorragende Entscheide getroffen, die man möglichst rasch umzusetzen habe. Dabei handelt es sich meistens um Eingriffe in die Freiheit der Bürger. Ich gehe noch weiter: zu grosse Effizienz im Staat führt zu Absolutismus. Taugen erfolgreiche Unternehmer überhaupt für Exekutivämter in der Politik? Blocher: Vielleicht noch weniger als Professoren, denen meistens jede Bodenhaftung fehlt. Unternehmer laufen Gefahr, sich schnell zu kleinen Königen zu entwickeln. Sie heben ab, sobald die Konkurrenz fehlt. Deshalb brauchen sie Widersacher. Sie hassen sie zwar wie die Pest, brauchen sie aber, weil sie sie auf den richtigen Weg treiben. Diese Einsicht bestimmt auch mein Verhältnis zu meinen politischen Gegnern - ich bin ihnen zutiefst dankbar. Woran erkennen Sie einen guten Mitarbeiter? Blocher: 50 % daran, ob er in der Lage ist, einen Auftrag vollständig auszuführen. Die anderen 50 % ergeben sich aus seiner Fähigkeit, den Chef durch gute Anträge zu führen. Ein guter Mitarbeiter fragt den Chef nie etwas. Wenn es in seinen Bereich gehört, handelt er. Wenn er nicht weiss, ob er handeln darf, handelt er. Wenn er sicher ist, dass der Chef handeln muss, dann sagt er ihm, wie zu handeln ist. Also entweder handelt er oder stellt dem Chef einen Antrag: "Wenn ich Sie - Chef - wäre, würde ich das Problem, das ich auf meiner Stufe nicht lösen kann, auf diese Weise angehen." So geraten Sie nicht in die Gefahr, dass die Leute zu Kopfnickern werden und gewinnen ausserdem enorm an Führungskraft. Ein Mitarbeiter sollte den Chef nie fragen? Blocher: Nie. Er versäumt die Führungskraft, statt selbst zu denken und Anträge zu unterbreiten. Er macht es sich einfach, indem er sagt: "He Chef, Sie sind doch viel schlauer als ich, sehen immer Lösungen - sicher haben Sie auch hier eine". Und schon gibt der geschmeichelte Vorgesetzte Antwort. Man muss den Mitarbeiter zwingen, einen Antrag zu stellen. Namentlich der Kopfnicker will ja immer nur herausfinden, was der Chef denkt, damit er nach dessen Vorstellungen handeln kann. Das praktizieren Sie so? Blocher: Fragen Sie meine Mitarbeiter. Immer wieder versuchen mir Journalisten bei Werkbesuchen in Domat/Ems das Gegenteil zu beweisen. Sie gehen meistens erstaunt nach Hause. Mein Modell erfordert auf allen Stufen selbständig denkende Leute. Es ist primär kein hierarchisches Modell. Ich will die Mitarbeiter zum Ehrgeiz erziehen, Ihren Chefs hervorragende Anträge vorzulegen. Dazu braucht es auch die richtigen Vorgesetzten. Die meisten haben es gar nicht gern, wenn ihnen einer der Angestellten sagt, wie sie zu entscheiden haben. Würden Sie sich als Realisten bezeichnen? Blocher: Sicher eher als meine Gegenspieler in Bern. Die glauben zum Beispiel, dass Politiker nie lügen. Sie glauben das nicht? Blocher: Realistischer wäre es, davon auszugehen, dass Politiker auch Gauner sein können. Nehmen Sie den Fall Kohl: Alle meinten, er sei ein Heiliger, nehme keine Spendengelder. Gerade bei einem solchen Machtpotential ist es realistischer, dies von Anfang an anzunehmen. Weil ich davon ausgehe, dass Politiker nicht plötzlich bessere Menschen sind, bin ich auch nicht so erstaunt, wenn einer seine Macht tatsächlich missbraucht. Die heuchlerische Entrüstung über den Fall Kohl in Bern war irritierend. Warum um Himmels willen soll ein Bundeskanzler nicht lügen? Er ist doch nur ein Mensch. Mit einer derartigen Naivität käme man in der Führung eines Unternehmens nicht weit. Man muss die Menschen realistisch, nicht idealistisch sehen. Hat Ihnen das Ihr Vater gesagt? Blocher: Mein Vater - ein Pfarrer - sagte: Du kannst im Leben mit allen Menschen verkehren: mit leisen, lauten, groben, gestrandeten, auch mit Gaunern. Bei einer Sorte aber musst Du aufpassen: bei den "Frommen". Nimm Dich in Acht vor den Süssen und den Heuchlern. Er erklärte diese Aussage theologisch: Die moralistischen "Frommen" neigen dazu, das Evangelium umzukehren. Wir leben davon, dass wir die Gnade Gottes haben, von oben nach unten. Die selbstgerechten Frommen sagen: "Wir sind gut, weil wir an ihn dort oben glauben. Ich bekenne mich zu Gott, folglich bin ich fehlerlos". Wenn ich im Geschäftsleben auf Süsse und Moralisten treffe, dann weiss ich, dass ich aufpassen muss. Süsse sind bessere Betrüger als Grobschlächtige. Welches sind neben Rommel Ihre grossen Vorbilder in der Führung? Blocher: In der Politik ist Churchill eines meiner Vorbilder. Er war ja nie der Heilige, als den man ihn heute sieht - äusserlich eher grob, aber mit gutem Motiv. Als die Alliierten Richtung Berlin fuhren sagte er zu den Generälen: "Komm', fahrt an Berlin vorbei, Ihr müsst den Vormarsch der Kommunisten stoppen. Berlin kann nicht das Ziel sein. Ihr müsst sie zurückdrängen, auch wenn es Euren Befehlen widerspricht." Wie recht er doch hatte. Diese Schlitzohrigkeit ist berechtigt, wenn das Motiv stimmt. Die Generäle befolgten aber ihren eigenen Befehl, nicht die Weisungen Churchills. Auch das war vorbildlich, aber vielleicht falsch. Macht es Ihnen zu schaffen, dass Sie selber nie in den Vereinigten Staaten studiert haben? Blocher: Ja, darunter habe ich immer gelitten. Hätte ich gehen können, wäre mir unternehmerisch wohl manches leichter gefallen. Aber es war damals nicht möglich, ich musste arbeiten, eine Familie ernähren. Was halten Sie für Ihre grösste Stärke? Blocher: Ich bin hartnäckiger als andere.

22.06.2000

«Leider träumt Ogi von einer Armee, die mit der Nato zusammengeht»

Interview mit dem "Blick" vom 22. Juni 2000 Happiger Vorwurf des Zürcher SVP-Politikers Christoph Blocher an Bundespräsident Adolf Ogi: Der VBS-Chef hat die Offiziere in den letzten Jahren immer wieder für politische Propagandazwecke missbraucht, donnert Blocher im grossen BLICK-Interview über die Zukunft unserer Armee. Eduard Mader Herr Blocher, sind Sie als Oberst gegen die Armee? Christoph Blocher: So ein Blödsinn. Warum bekämpfen Sie dann die Militärgesetzrevision mit allen Mitteln? Blocher: Sie schafft die Grundlagen, dass die Schweizer Armee im Ausland in Kampfgebiete geschickt wird. Und sie ist eine Vorbereitung auf den Nato-Beitritt. Das ist ein klarer Verstoss gegen unsere Neutralität und eine Abkehr von unserer 200-jährigen Friedenstradition. Ohne die Revision muss laut Bundespräsident Adolf Ogi die Armee-Reform neu geschrieben werden. Blocher: Das beweist ja gerade, dass man sie bekämpfen muss! Die Auslandtruppen haben eine so grosse Bedeutung erlangt, dass die ganze Armee-Reform daran hängt. Wie sehen Sie die Armee-Reform? Blocher: Die Armee muss im Fall eines Angriffs die Schweiz verteidigen. Dafür braucht sie ein Ele-ment mit hochtechnischen Waffen - eher Profis. Für den Fall, dass es überall losgeht, braucht sie viele Milizsoldaten. Leider träumt Ogi von einer Armee, die mit der Nato und ausländischen Armeen zu-sammengeht. Also mehr als die vom Bundesrat als Zielgrösse genannten 100 000 bis 120 000 Aktiven? Blocher: Entscheidend ist der Auftrag - Zahlen sind Details. Stört es Sie nicht, den eigenen Bundesrat zu attackieren? Blocher: Ich greife eine falsche Konzeption an. Ich bedaure natürlich, dass Herr Ogi als Bundesrat von meiner Partei den Gegenstandpunkt vertreten muss. Wenn es um Interessen des Landes geht, können aber keine personellen Rücksichten genommen werden. Was halten Sie von Ogis Maulkorb für die Generalität? Blocher: Im Militär darf nicht politisiert werden. Ich habe als Regimentskommandant seinerzeit mei-nen Offizieren verboten, im Militärdienst über die Armeeabschaffungs-Initiative zu diskutieren. Ogi und sein Departement haben die Offiziere und Offizierskurse in den letzten Jahren missbraucht, um Pro-paganda für künftige politische Vorstellungen zu machen. Die Gegner durften nichts sagen. Das geht natürlich nicht. Muss Ogi gehen, wenn er mit der Militärgesetzrevision scheitert? Blocher: Es ist nicht üblich, dass ein Bundesrat geht, wenn er mit einem Geschäft untergeht. Er muss es selber entscheiden. Die Berner SVP hat gestern die Revision gutgeheissen: Eine neue Zerreissprobe? Blocher: Die SVP will Unabhängigkeit und Neutralität sichern, will nicht in die EU und in die Uno. Wenn diese Ziele ein halbes Jahr nach den Wahlen über den Haufen geworfen werden, ist das ein Problem der Berner: Sie müssen mit dem Problem der eigenen Glaubwürdigkeit fertig werden. Der Zürcher Flügel hat aber nicht gerade Erfolg: Wie beurteilen Sie die Schlappe bei den Bundesrich-terwahlen? Blocher: Die anderen Parteien versuchen, die erfolgreiche Partei ein wenig zu strafen. Wahlerfolg und Richterwahlen sind weniger wichtig, als dass wir für Freiheit und Wohlstand für die Bürger kämp-fen. Da werden wir nicht aufgeben.