Gesundet die Wirtschaft an der Swissair?

Mein Beitrag für den Tages-Anzeiger vom 15. November 2001

Der Sanierungsplan für die Swissair sei Ausdruck einer neuen und erfreulichen Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft, schwärmen alle. In Tat und Wahrheit ist es nichts anderes als die Fortsetzung des alten Filzes mit anderen Mitteln.

Von Christoph Blocher

Der Zusammenbruch der Swissair, der riesige Geldsummen und zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet hat, ist teuer bezahlt worden. Grund genug, würde man meinen, endlich die notwendigen Lehren zu ziehen. Dies umso mehr, als der Niedergang der Swissair in einer langen Reihe anderer aufgeblähter Flaggschiffe der Schweizer Industrie steht. Zu erinnern wäre etwa an die ehemalige Uhrenindustrie, die damalige Firma Saurer, die frühere BBC, den einst stolzen Sulzer-Konzern, an Von Roll, verschiedene Kantonalbanken – um nur einige Beispiele zu nennen.

Die tieferen Ursachen dieser Schwierigkeiten haben einen gemeinsamen Nenner: die verhängnisvolle Verfilzung von Wirtschaft und Politik, von Unternehmen und Kredit gebenden Banken, die Verbandelung mit Wirtschaftsverbänden, die Kameraderie mit Staat, Gewerkschaften, Parteien und Medien. Die Swissair bildete das Schulbeispiel solch unheilvoller Verflechtungen: Hinter einer glänzenden Fassade und geschmückt mit wohlklingenden Namen bekannter Würdenträger, konnte die nationale Fluggesellschaft Misswirtschaft, einen gigantischen Schuldenberg und Fehlstrategien viel zu lange verbergen und in ein katastrophales Ausmass ausufern lassen.

Neuer Wein in alten Flaschen

Am 22. Oktober 2001 geben Vertreter aus Bundesrat, Verwaltung, Wirtschaft und Banken den Medien die Bildung einer angeblich neuen Swissair bekannt. Schon rein äusserlich ist sofort erkennbar, dass wieder schön aufgereiht derselbe alte Filz dasitzt, der die Swissair zum Scheitern gebracht hat. Da sitzen sie wieder, die Banken, allen voran die Credit Suisse (CS), Hausbank der alten Swissair, mit ihrem Ehren-Präsidenten Rainer E. Gut, 21 Jahre lang Swissair-Verwaltungsrat, damals massgeblich mitverantwortlich für strategische und personelle Fehlentscheide. Auch Marcel Ospel ist da, Verwaltungsratspräsident der UBS, in deren Verwaltungsrat der frühere Swissair-Präsident Eric Honegger geamtet hat. Da sitzen sie wieder, die Politiker, schön flankiert von den beiden Grossbanken: Bundespräsident Moritz Leuenberger, der seine gesetzliche Aufsichtspflicht vor lauter Verfilzung nicht wahrgenommen und damit den Kollaps der alten Swissair mitverursacht hat. Der SP-Mann wiederum ist hübsch eingerahmt durch die FDP-Bundesräte Pascal Couchepin und Kaspar Villiger, womit auch der Freisinn – wie gehabt – wieder prominent vertreten ist. Und selbstverständlich sitzt auch die Zürcher Regierung erneut mit am Tisch: FDP-Regierungsrat Rudolf Jeker, Beirat der alten Swissair, ersetzt jetzt seinen Parteifreund Eric Honegger. Auch die Bundesverwaltung – bis 1995 im Verwaltungsrat und dann im Beirat der alten Swissair vertreten – ist wieder mit von der Partie, diesmal sogar mit dem Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Peter Siegenthaler (SP), der den kürzesten Weg zu den Bundesgeldern verkörpert.

Dem Filz zu Füssen

Diesem einträchtigen Filz liegt die andächtig lauschende und hörbar aufatmende Journalistengemeinschaft zu Füssen. Sie wird tags darauf in den Medien den alten Filz als „neue Partnerschaft“ und „wegweisenden Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Staat“ bejubeln. Selbstverständlich zelebriert das Podium die Verbandelung als Akt des Gemein-nutzens und des Patriotismus, um zu überdecken, dass es darum geht, eigene, früher begangene katastrophale Fehler zu kaschieren und das „Image“ von beteiligten Personen zu retten.

Dass die Sache eilt, kommt dem Vorhaben zustatten. So bleibt wenig Zeit zum Überlegen und erst recht keine Zeit für demokratische Entscheide. Dringlichkeitsrecht heisst jetzt die rettende Devise. Die riesigen Steuerbeträge werden am Parlament vorbeigeschummelt und durch die kleine Finanzdelegation abgesegnet, die – welch glücklicher Zufall – durch den freisinnigen Nationalrat und CS-Beirat Erich Müller präsidiert wird.

Ode an den Filz

Der Grossteil der Journalisten, die schon die alte Swissair hochgejubelt haben, besingt nun wieder die neue. Schon am 6. Juni 2000 – als das Missmanagement der Swissair bereits offensichtlich war – hielt der NZZ-Chefredaktor in einer Flughafenhalle die Eloge auf den „lieben Hannes“, den scheidenden Swissair-Präsidenten Hannes Goetz. Er lobte die Gabe des freisinnigen Parteifreundes und NZZ-Verwaltungsrates, „konzeptionell zu denken und geeigneten Mitarbeitern auf allen Stufen Vertrauen zu schenken“ – gemeint war wohl auch Philippe Bruggisser! Und weiter jubelte der NZZ-Chefredaktor an die Adresse seines Hannes, dass „ein schweizerischer Plutarch im ersten Jahrhundert des dritten Jahrtausends“ dessen „Placierung in der Galerie der grossen Unternehmer und der bedeutenden Schweizer sehr wohl zu erwägen haben“ werde.

Wen wunderts, dass der Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“ beim Kommentar über die neue Swissair nicht zurückstehen will? Er freut sich am 23. Oktober 2001 über den neuen Glanz des alten Filzes, ein „Bild mit grosser, symbolischer Bedeutung“, ein „Bild, das Hoffnungen weckt“. Selbstverständlich berichten auch die Ringier-Blätter euphorisch, hatten sie doch schon die notwendigen Neuerungen in der alten Swissair mit unappetitlichen nationalistischen Kampagnen verhindert.

Ein Wirtschaftsverband als Verräter

„Vorort“ hiess der in Bundesbern einst gefürchtete, aber hoch respektierte Dachverband der Schweizer Wirtschaft. In der Mode wechselnder Namensgebungen heisst er nun „Economiesuisse“. Diese Interessenvertretung wäre gemäss Statuten „den Grundsätzen einer freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Ordnung“ sowie der „Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft und ihrer Unternehmen“ verpflichtet. Am 16. Oktober 2001 verkündete Economiesuisse, „die Wirtschaft“ unterstütze die Staatsbeteiligung ausdrücklich und sei bereit, auf die Reduktion der Unternehmensbesteuerung zu verzichten.

Vor meinen Augen taucht unweigerlich die eindrückliche Darstellung von Leonardo da Vincis „Abendmahl“ auf: Um den Tisch sitzen statt der zwölf Apostel die dreizehn Mitglieder des Vorstandsausschusses der Economiesuisse. Aber im Gegensatz zu Leonardo da Vincis Bild hält nicht nur einer ein Säcklein mit Silberlingen in den Händen, sondern mindestens die Mehrheit. Warum dieser Verrat? Fündig wird man schnell, denn hier sitzt er wieder, der unverwüstliche Filz: Als Präsident der Economiesuisse amtet Andres F. Leuenberger, Verwaltungsrat der Swissair. Am Tisch sitzt wieder Marcel Ospel, Präsident der UBS, der zweiten Hausbank der alten Swissair und Hauptaktionärin der Crossair. Mario Corti kennt man als Verwaltungsrats–Präsidenten der alten Swissair, der in den Monaten vor der Zahlungsunfähigkeit den Banken freiwillig eine Milliarde Kredite zurückbezahlt hat. Riccardo Gullotti ist Beiratsmitglied der Swissair. Die FDP lässt sich auch hier wieder gut vertreten, unter anderen mit dem designierten Präsidenten der Economiesuisse, Ueli Forster, Ehemann der freisinnigen Ständerätin Erika Forster, sowie dem FDP-Nationalrat Schneider-Ammann.

Mit diesem Entscheid zu höheren Steuern hat sich der Dachverband der Schweizer Wirtschaft der grösstmöglichen Lächerlichkeit preisgegeben, was seine Existenz-Berechtigung ernsthaft in Frage stellt. So sagte mir ein einflussreicher Sozialdemokrat händereibend: „Die müssen nie mehr mit Steuersenkungen kommen!“ Mit dem Segen der Economiesuisse bezahlt nun eine vierköpfige Durchschnittsfamilie in der Stadt Zürich über Bund, Kanton, Gemeinde und Kantonalbank im Jahr 2002 nicht weniger als 5900 Franken für die Swissair-Misswirtschaft. Doch neu ist das alles nicht: Fast jede Ausweitung der Staatstätigkeit, fast jeder Raubzug auf das Portemonnaie von Firmen und Bürgern wurde in den letzten Jahren von der Economiesuisse aktiv mitgetragen.

Beiräte als institutionalisierter Filz

Sowohl die Swissair wie die CS haben neben dem Verwaltungsrat einen Beirat geschaffen. Ein Grossaktionär der CS nannte diese Beiräte „Korruptionsrat“. Tatsächlich bezieht bei der CS ein Beiratsmitglied ohne Verantwortung, Risiko und Fachkenntnis 120’000 Franken pro Jahr. Im CS-Beirat sitzen beispielsweise die beiden FDP-Nationalräte Erich Müller aus dem alten Sulzer-Filz und der Präventivmediziner Felix Gutzwiller. Dieser setzt sich lautstark für die Solidaritätsstiftung ein, welche mit Volksvermögen für die Fehler der Grossbanken geradestehen soll. Auch CS-Beirätin Brigitta Gadient (SVP) ist nie durch besondere Branchenkenntnis aufgefallen. So ruhen wohl alle Hoffnungen auf Nationalrat Melchior Ehrler (CVP), den das CS-Verzeichnis mit dem weltläufigen Titel „Director Swiss Farmer’s Association, Brugg“ vorstellt. Präsident des CS-Beirats ist der ehemalige Flughafen-Präsident Ueli Bremi (FDP), Vizepräsident Urs Lauffer, FDP-Fraktionschef im Zürcher Gemeinderat, der sich gerne „Sozialpolitiker“ nennt. Im Hauptberuf ist er Fassadenreiniger angeschlagener Manager und übertüncht damit deren Führungsfehler. In Umarmung mit der SP verhindert dieser Freisinnige substanzielle Steuererleichterungen in der Stadt Zürich. Auch im Kanton Zürich hat die FDP unter Fraktionszwang mit der SP für 300 Millionen Franken Steuergelder ans Swissair-Debakel bewilligt und so die FDP-Swissair-Verantwortlichen entlastet.

Was ist zu tun?

Weitere volkswirtschaftliche Schäden sind zu vermeiden. Diese gehen bereits in die Milliarden und führen zum Verlust von Zehntausenden von Arbeitsplätzen. Darum sind die unheilvollen Verflechtungen aufzuzeigen und zu kappen. Jeder Unternehmer weiss, dass Verantwortung unteilbar ist.

Das Prinzip des unternehmerischen Risikos muss wieder hochgehalten werden. Es geht nicht an, dass Privatfirmen dem Staat – also den wehr- und machtlosen Steuerzahlern – ein Kollektivrisiko zuschieben, damit sich die Verantwortlichen vom Risiko entlasten können.

Auf hoch bezahlte Verwaltungsräte mit klingenden Namen, die noch in zahlreichen anderen Verwaltungsräten sitzen, ist zu verzichten. Unternehmen sollen dank guter Produkte und seriöser Leistungen blühen, nicht dank gegenseitiger Beziehungen oder Staatsunterstützungen aller Art. Statt hochtrabender Globalstrategien und „Visionen“ muss wieder das solide unternehmerische Führungshandwerk in den Mittelpunkt gestellt werden.

Generell ist strikte davon abzusehen, dass Kredit gebende Banken in den Verwaltungsräten ihrer Kreditnehmer Einsitz nehmen. Politisch zusammengesetzte Beiräte korrumpieren sowohl die Firmen wie die Politik. Sie sind abzuschaffen.

Die Medien täten gut daran, ihre Journalisten auf das Schildern der Wirklichkeit sowie das kritische Hinterfragen und Kommentieren zu verpflichten. Ideologische, missionarische und moralistische Meinungskampagnen machen blind gegenüber tatsächlichen Missständen. Die Economiesuisse hat ihren Auftrag zur Ordnungspolitik wieder ernst zu nehmen. Sie ist verpflichtet, einen Schutzwall für die Marktwirtschaft zu bilden und muss gegen die überbordende Staatstätigkeit antreten. Fehlt ihr dazu die Kraft, kann man getrost auf diesen lendenlahmen Wirtschaftsverband verzichten.

Zwischen Stuhl und Bank

Im freien Markt hat der Staat nichts zu suchen. Mischt er sich ein, verzerrt er den Wettbewerb, betreibt sinnlose Strukturerhaltung, schwächt damit die Wohlfahrt und vernichtet Arbeitsplätze. Wo der Staat die Aufsicht ausübt – wie zum Beispiel in der Luftfahrt -, darf er in keiner Form in der Führung oder im Aktionariat des zu beaufsichtigenden Unternehmens mitwirken. Man kann sich nicht selbst beaufsichtigen, denn niemand kann zwei Herren dienen.

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