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Geschichte

01.08.2010

Alles im Griff?

Gedanken zum 1. August 2010 von Dr. Christoph Blocher a. Bundesrat (Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort – www.blocher.ch) Liebe Miteidgenossinnen, liebe Miteidgenossen Liebe Schweizerinnen und Schweizer Sehr geehrte Damen und Herren Wir dürfen heute den 719. Geburtstag unseres Landes, unserer Schweiz, unseres Vaterlandes, feiern. Wir haben dabei Grund zu grosser Dankbarkeit: Seit 719 Jahren hat unser Land Bestand. Vor 719 Jahren hat man den Grundstein zur Unabhängigkeit gelegt. Das Recht zur Selbstbestimmung. Heute sehr aktuell! Wir wollen auch heute selber bestimmen und auch heute keine fremden Richter haben. Die Ziele von damals sind heute noch gültig. Sehen Sie in die Welt hinaus. – In den vergangenen 20 Jahren wurde viel Freiheit und Unabhängigkeit aufgegeben, weil man glaubte, die Gebilde könnten nicht gross genug sein. Die Wirtschaft ging die ersten Schritte in diese Richtung. Unternehmen wurden zusammengelegt, Konzerne konnten nicht gross genug sein. Denken Sie an die globalen Finanzsysteme. Es wurde getan, als habe man unter dem Aspekt der Globalisierung alles im Griff. Bis der Grössenwahn und die Unübersichtlichkeit eine Dimension erreichten, dass alles zusammenkrachte. Mit furchtbaren Folgen, deren Ausmass heute noch niemand kennt. Dasselbe geschieht nun in der Politik. Auch hier lehrt die Geschichte, dass konstruierte grosse Gebilde zusammenkrachen. Denken Sie an die Grossmacht Sowjetunion, denken Sie an das Reich Karls des Grossen, denken Sie an Napoleon. Es hat nie geklappt. Und was passiert mit den neuesten Bestrebungen? Was passiert mit der EU? Es ist unübersehbar: Mit der Europäischen Union ist erneut ein solches Gebilde geschaffen worden. Eine Konstruktion, möglichst gross. Alle Länder sind zusammengebunden, verlieren an Eigenständigkeit. Die Landeswährungen wurden aus politischen Gründen aufgehoben. Alles wurde in einen Topf geworfen. Man erschuf eine einzige Währung und tat auch hier so, als habe man alles im Griff. Es wurde nicht nach ökonomischen Grundsätzen gehandelt, als man den Mitgliedstaaten die Nationalbanken wegnahm, sondern aus politischem Kalkül. Nun haben die einzelnen Länder keine Möglichkeit mehr, ihre Zins- und Geldpolitik nach ihren eigenen Bedürfnissen zu regulieren. Dabei sind die Verhältnisse der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich. Jetzt ist geschehen, was voraussehbar war: Staatsverschuldungen und Zusammenbrüche sind die Folgen. Der Grössenwahn des Menschen ist, dass er glaubt, je grösser man sei, umso erfolgreicher werde das Ganze. Doch die Realität beweist das Gegenteil. Weshalb hat unser Land, die Schweiz, da nicht mitgemacht? Weil unsere Bevölkerung zu Beginn der 90er Jahre über diese Frage abstimmen konnte und weil sie dabei die Kraft hatte, Nein zu sagen. Auch die Mehrheit - zwei Drittel aller Kantone - sagten: "Nein, das kommt nicht in Frage". Mit diesem Nein sagten die Bürgerinnen und Bürger Ja zur Freiheit und Unabhängigkeit unseres Landes. Mit diesem Entscheid wehrten sie sich gegen alles, was Rang und Namen hat in unserem Land. - Die gesamte Classe politique, die Regierung, selbst die Wirtschaft fuhr damals auf dem falschen Dampfer. Heute, fast 20 Jahre später, sehen die Wirtschaftsexponenten langsam ein, dass der damalige Entscheid doch der richtige war. Durch Schaden wird man klug - oft leider erst dann. Dass wir bis auf den heutigen Tag gegenüber der Europäischen Union unsere Unabhängigkeit bewahrt haben, verdanken wir unserer besonderen Staatsform. Allein deshalb ist es möglich, heute den Geburtstag unseres Landes in Freiheit und Unabhängigkeit feiern zu können. Darum ist es das Gebot der ersten und der heutigen Stunde: Die Schweiz darf diese Staatsform nicht ändern, auch nicht durch den Beitritt in multinationale Gebilde und auch nicht durch bilaterale Verträge, die dies tun. Und dennoch: Auch wenn die Politiker es nicht laut sagen wollen, tönt es wieder aus allen Ecken, dass sie als Ziel für die Schweiz den Beitritt in die EU haben. Sie wissen, dass die Volksmehrheit zwar dagegen ist und machen darum alle erdenklichen Winkelzüge, um allmählich in die Arme der EU zu gelangen. Und meine Damen und Herren, es ist erste  Bürgerpflicht, auch in den kommenden Jahren mit Entschiedenheit zu Gunsten unserer Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen. Ein Beitritt zur EU reisst die Schweizerischen Staatssäulen nieder. Das darf nicht sein. Weil es mir so wichtig ist, überlege ich mir derzeit sehr ernsthaft, im Wahljahr 2011 nochmals als Nationalrat zu kandidieren. Dies, obschon ich dieses Jahr meinen 70. Geburtstag feiern darf. Diese Überlegung mache ich deshalb, um das riesige Anliegen - nämlich den Beitritt der Schweiz zur EU - verhindern zu helfen. Es lohnt sich, - liebe Schweizerinnen und Schweizer - diesen Kampf zu führen. Es ist ein Kampf der betroffenen Bevölkerung gegen die Obrigkeit. Denn die Obrigkeit hat andere Interessen: Sie will den Beitritt zu grossen Gebilden. Sie will dorthin, wo alle für alles aber niemand für etwas Konkretes verantwortlich ist. Es bringt auch pekuniär den führenden Leuten viel, weil die Leute in diesen schlecht kontrollierten Gebilden hoch bezahlt sind. Gleichgültig wie das Resultat aussieht. Die lästige Kontrolle der Bevölkerung ist bei einem EU-Beitritt weg. Es gibt keine Aussenstehende, die die Arbeit begutachten und die darüber abstimmen. Die Kontrolle des Bürgers geht verloren und seine Meinung spielt keine Rolle mehr. Diese Aufsicht und diese Kontrolle sind aber entscheidend. Gerade diese machen die Stärke unseres Landes aus. Es ist das Wesen der Schweiz, dass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den wesentlichen Fragen die Weichen stellen. Würde diese Möglichkeit bei uns fehlen, so wären wir längst Mitglied der EU. Stellen Sie sich das mal vor: Wir als EU Mitglied mitten in diesem Salat! Die bessere Situation unserer Schweiz wäre dadurch zunichte gemacht. Die Neutralität unseres Landes wäre längst begraben, wenn die Politiker alleine bestimmen könnten. Denn die Politiker möchten lieber in der Grossmachtpolitik mitmachen. Man kann zum Beispiel Truppen ins Ausland schicken und dabei so tun als sei man auch jemand. Dabei wissen wir, man holt dadurch den Krieg - den Terror - ins Land! All dies ist nicht möglich mit der heutigen Staatsform. Und deshalb dürfen wir dankbar sein. Dankbar dafür, dass wir unsere Freiheit bis jetzt erhalten konnten. Und wir werden sie auch künftig erhalten können. Diese, unsere Freiheit. Sie ist hochmodern. Ich erhalte täglich Briefe aus aller Welt. Die Absender beglückwünschen uns Schweizerinnen und Schweizer, dass wir noch frei sind. Wo ich in Europa hinkomme, lautet der Grundtenor, „Sie haben es gut. Sie sind nicht dabei!“ Vor allem Deutsche reden und denken so. Und sie haben Recht. Nicht, weil wir die besseren Menschen wären. Wir sind auch nicht besser als die andern. Aber wir haben eine bessere Staatsform gewählt. Eine Staatsform, die die Freiheit und Wohlfahrt der Bürger in den Mittelpunkt stellt. Wir achten unsere Nachbarn. Wir achten andere Staaten. Wir verkehren mit ihnen. Aber wir bleiben neutral. Das heisst, wir mischen uns nicht in die politischen Verhältnisse anderer ein. Wir schützen unser Land, damit wir auch weiterhin auf unserem kleinen Flecken Erde selber bestimmen können. Wir wollen unsere Zukunft selber in die Hände nehmen. Auf Abenteuer ist weiterhin zu verzichten, indem wir uns nicht in die Angelegenheit anderer mischen. Es ist an der Zeit, diese Werte wieder zu erkennen, wieder zu schätzen. Eigentlich fällt es uns leicht, diese Einsicht zu haben, wenn wir sehen, was in diesen anderen grossen Gebilden angerichtet wird. Niemand weiss heute, wie es mit den hohen Staatsverschuldungen weiter geht. Niemand weiss heute, wie die EU zusammengehalten werden kann. Wenn EU-Befürworter ehrlich sind, geben sie das zu. Doch heute wird viel versprochen. Wichtiger wäre, Bescheidenheit an den Tag zu legen und zu sagen, es ist eine grosse Leistung, wenn man in einem kleinen Land wie der Schweiz die Freiheit und Unabhängigkeit bewahren und das Recht der Bevölkerung hochhalten kann. Wenn man in Sachfragen selber entscheiden und darüber abstimmen kann. Wenn man dieses Recht in unserer Demokratie weiter hochhält, werden wir auch künftig in Frieden und Wohlfahrt leben können. Es wird möglich sein, dass es allen Leuten gut geht. So lautet die Botschaft zum Geburtstag unseres Landes! Wir wollen in dieser Richtung weitergehen, und hoffen auf die Kraft, durchzuhalten. Dann werden wir auch im nächsten Jahr den 720. Geburtstag und noch viele weitere Geburtstage feiern können, voller Dankbarkeit. Ich wünsche Ihnen einen schönen Nationalfeiertag, Ihnen und unserem Land ein gutes Lebensjahr. Ich wünsche Ihnen alles Gute.

20.07.2010

Die Direkte Demokratie – eine der besten Erfindungen

Beitrag in der «Weltwoche» vom 29. Juli 2010 Der Erfinder der "Direkten Demokratie" ist nicht bekannt. Aber eine gute Erfindung ist sie alleweil. Und - noch viel erstaunlicher - die Direkte Demokratie - d.h. das Recht der Bürger, nicht nur die Politiker wählen, sondern auch über Sachfragen abstimmen zu dürfen - hat sich in der Schweiz durchgesetzt. Nirgendwo sonst auf der Welt haben die Bürger so viele Machtmittel in der eigenen Hand behalten. Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 fanden in der Schweiz mehr Abstimmungen und Wahlen statt, als in allen anderen Länder dieser Welt zusammen! Und wie ist das Fazit? Die direkte Demokratie schafft Vertrauen, zwingt die Politiker auch in Sachfragen vermehrt auf die Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, schränkt die Macht der Regierenden ein, bringt tiefere finanzielle Kosten für die Bürger und stärkt - wie unterdessen namhafte Ökonomen nachgewiesen haben - das Glücksgefühl der Schweizerinnen und Schweizer. Welche Erfindung kann eine solche Erfolgsbilanz nachweisen? Doch, wie jede gute Erfindung, hat auch die Direkte Demokratie ihre Gegner. Sie passt all denen nicht, die sich in ihrer Machtausübung eigeschränkt fühlen. Oder: In einem deutschen Schulbuch lese ich auf die Frage, warum Deutschland keine Direkte Demokratie kenne, folgende Antwort: "Mangelnder Sachverstand, politisches Desinteresse vieler Bürger, Unüberschaubarkeit der politischen Prozesse, Gefahr der Emotionalisierung" Hoppla!

25.04.2010

Albert Anker nimmt den einzelnen Menschen ernst

Interview in der "NZZ am Sonntag" vom 25. April 2010 mit Gerhard Mack Das Kunstmuseum Bern feiert den 100. Todestag des Schweizer Malers mit einer grossen Retrospektive. Viele Bilder kommen aus der Sammlung von Christoph Blocher. Der Politiker und Unternehmer äussert sich zu seinem Lieblingskünstler NZZ am Sonntag: Herr Blocher, Sie besitzen 130 Werke Albert Ankers. Wie ist es dazu gekommen? Christoph Blocher: Ich habe zweimal angefangen zu sammeln. Beim ersten Mal konnte ich mir nur Zeichnungen, Aquarelle und kleinere Ölbilder leisten. Dann habe ich die Ems Chemie gekauft, und darum musste ich alles verkaufen, was ich hatte, also auch die Kunstsammlung. Ein paar Jahre später, als die Firma Erfolg hatte, konnte ich noch einmal anfangen, Anker zu sammeln. Zum Teil habe ich dieselben Bilder zurückgekauft, einfach teurer. Das war 1987. Seither sammle ich vor allem Albert Anker. Wo sind Sie erstmals mit Ankers Werk in Berührung gekommen? Wir hatten zu Hause Drucke von Anker-Bildern. Der Schweizerische Beobachter zeigte eine Zeit lang auf seinem Titelblatt Anker-Werke. Diese hat mein Vater – wie unzählige andere Schweizer – ausgeschnitten, rahmen lassen und aufgehängt. Schwingt bei Ihnen Kindheits-Nostalgie mit? Viele sehen auf Ankers Bildern die gute alte Zeit dargestellt? Wer in Ankers Bildern nur "die gute alte Zeit" sieht, der hat Ankers Bilder nicht betrachtet. Natürlich nimmt Anker die Motive aus seiner Zeit, also dem 19. Jahrhundert, auf. Aber seine Botschaft ist zeitlos. Dass die Menschen aus seiner Umgebung und von damals stammen, ist doch selbstverständlich. So malte z.B. Brueghel holländische Szenen des 16. Jahrhunderts, weil er in Holland zu jener Zeit gelebt hat. Aber Brueghel zeigt auch das Allgemeingültige. Und Van Gogh malte die Landschaften des 19. Jahrhunderts – aber es zählt das Allgemeingültige. So ist es auch bei Anker. Sie sprechen von Botschaft bei Albert Anker. Worin besteht diese? In Ankers Atelier liegt auf dem Schreibtisch ein Massstab, auf dem er mit Tusche in gotischer Schrift gemalt hat: «Siehe, die Erde ist nicht verdammt.» Das wolle er zeigen, schrieb er seinen Freunden. Das ist Ankers Botschaft. Sie klingt biblisch, kommt in der Bibel aber so nicht vor. Es ist dennoch kein Zufall, dass am Todestag Ankers, neben ihm auf dem Tisch, das Buch Hiob aufgeschlagen lag. Hiob ist wohl der gequälteste Mensch überhaupt – aber nicht verdammt. Worin zeigt sich für Sie diese Botschaft? Anker malte vor allem Junge und Alte. Der tätige Mensch kommt auf seinen Bildern selten vor. Er wollte zeigen, was der Mensch ohne sein Zutun ist. Für das wichtigste Ereignis unseres Lebens, unsere Geburt, können wir nichts. Und die Alten haben nichts mehr zu verlieren. Anker zeigt, dass sie alle aufgehoben sind. Oft geben gerade diese Alten – manchmal schlafend – den Kindern Geborgenheit Ihre Sammlung enthält Genrebilder wie den «Schulspaziergang». Das Schwergewicht liegt aber auf solchen Einzelporträts von Kindern und Alten. Wieso? Das Besondere bei Anker besteht wohl darin, dass er in einer einzelnen Person die ganze Welt darstellt. Jeder Mensch steht fürs Ganze. Schon der kleine Säugling ist jemand. Vollwertig! Das Büebli, das Musik macht, das Mädchen, das einen grossen Brotlaib an sich presst und durch das tief verschneite Dorf trägt – sie enthalten immer beides, die Härten aber auch die Schönheit des Lebens. Das Porträt ist vielleicht eine einfache Gattung, aber ein einziges Porträt steht für Milliarden von Menschen. Anker zeigt im Kleinen den Kosmos, er sieht im Einzelnen die weite Welt. Darum lösen seine Werke beim Betrachter tiefe Betroffenheit aus. Dafür kennt die Ästhetik des 19. Jahrhunderts den Begriff der «Verklärung». Ihm haftet etwas Beschönigendes an, Anker gilt vielen als Idylliker. Anker malte keineswegs nur freudige Szenen, sondern gerade auch Krankheit, Armut, Tod, Waisenkinder und die Härten des Lebens. Er hat seinen zweijährigen Sohn verloren und konnte deshalb ein Jahr lang nicht mehr malen. Aber ihn hat er auf dem Totenbett gemalt. Nicht als Verlorener. Anker hat nichts beschönigt, er hat alles gemalt, und genau darin die Schönheit der Welt entdeckt. Viele Kinder auf seinen Bildern schauen ernst, und dieser Ernst des Lebens hat bei ihm etwas Erhabenes. Er zeigt z.B. dass ein Kind todkrank ist, aber er tut das nicht so, als wäre die ganze Welt ein Jammertal. Auch ein mongoloides Kind kann schön sein, weil es Zufriedenheit ausstrahlt. Anker wollte zeigen, dass der Mensch immer ein Teil der Schöpfung ist, ganz gleich, was aus ihm wird oder was er in seinem Leben leisten kann. Niemand ist bei ihm verloren, alle sind im Licht. Und wie Anker das Licht in seinen Bildern einfängt, darin ist er ein Meister. Anker hat Theologie studiert. Ist er für Sie ein theologischer Maler? Eindeutig – im guten Sinne. Die göttliche Gnade ist seine alles überragende Botschaft. Das ist die Realität der Welt! Das ist doch die zentrale Botschaft des Christentums. Mein Vater, ein reformierter Pfarrer, lehrte uns Kinder: Jesus ist gestorben, er hat die Sünden der Welt auf sich genommen und ist auferstanden. Seither ist der Mensch nicht mehr verloren. Anker stellt das nicht direkt dar, es gibt von ihm praktisch keine religiösen Bilder, da ist weder Frömmelei noch Heuchelei. Er zeigt die reale Welt, in die die Botschaft der Gnade eingeflossen ist. Ist es nicht so, dass Erlösung bei Anker nur noch in der Kunst liegen kann, wie es der Moderne entsprechen würde? Nein, Anker malt die Lebenswirklichkeit. Das sehen wir heute natürlich kaum, weil wir glauben, dass alles falsch ist, was nicht unseren Intentionen entspricht, und weil wir uns gerne zum Mass aller Dinge machen. Sehen Sie darin auch eine Kulturkritik an der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts? Anker stand der Veränderung nicht feindlich gegenüber. Er machte aber auf Probleme aufmerksam. Dafür ist für mich das Gemälde «Der Gemeindeschreiber» exemplarisch. Anker zeigt ihn als Paradox zwischen Anarchie und Ordnung. Er setzt ihm die Brille verkehrt herum auf und gibt ihm alle Utensilien der Bürokratie. Es braucht eine Symbiose von beidem. Das ist ein wunderschönes Bild zur modernen staatlichen Verwaltung, die im 19. Jahrhundert beginnt. Heute setzen wir zu viel auf den rationalen Teil. Man sollte dieses Bild jedem Nationalrat ins Büro hängen. Spendet Anker mit seinen Bildern Trost? Sicher. Seine Kinder-Bildnisse z.B. sagen oft aus: Ein leichtes Leben wirst du nicht haben, das musst du wissen, aber du gehst daran auch nicht zugrunde. Das kleine Mädchen mit dem grossen Brotlaib erinnert mich an das Bibelwort «Im Schweisse Deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen», aber nicht als Fluch, sondern als Verheissung: Es wird etwas zu essen geben. Anker ist dem grossen Publikum als Maler bekannt. Ihre Sammlung enthält viele Aquarelle. Warum? Anker hatte zehn Jahre vor seinem Tod einen Hirnschlag, seine rechte Hand war gelähmt. Zunächst konnte er überhaupt nicht mehr malen, später ging es wieder, aber der Ölpinsel war für ihn zu schwer, er fing mit Wasserfarbe an und brachte es zu einem Meister des Aquarells. Wenn ich an das «Mädchen mit dem Brotlaib» denke, so sind diese späten Werke noch aussagekräftiger als die Ölbilder. Eine andere grosse Passion des Sammlers Christoph Blocher ist Ferdinand Hodler. Wo berührt er sich mit Anker? Sie kannten sich, und Anker setzte sich sehr für Hodler ein, als er wegen seines Gemäldes im Landesmuseum «Der Rückzug von Marignano» – also eine Illustration der grössten militärischen Niederlage der Schweiz – angegriffen wurde. Anker legte Hodler auch nahe, Landschaften zu malen. Er hielt ihn für Menschen-Darstellungen zu mächtig und sagte ihm: Du gehst nicht mit der nötigen Ehrfurcht an die Menschen. Anker malte die Menschen so, wie sie gewachsen sind, Hodler machte aus ihnen Helden. Ich sammle von Hodler vor allem Landschaften. Wieso konzentrieren Sie sich auf Anker und Hodler? Ich will mich konzentrieren. Das sind wohl die beiden grossen Schweizer Maler am Ende des 19. Jahrhunderts. Um sie herum sammle ich Künstler derselben Zeit: Giovanni Giacometti, Giovanni Segantini, Cuno Amiet, Adolf Dietrich, Robert Zünd, Rudolf Koller, Edouard Castres und andere. Wieso bleiben Sie im 19. Jahrhundert? Ich habe mit Albert Anker angefangen und bin von ihm aus weitergegangen. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass ich ein Konzept brauche, sonst wird es uferlos. Ich habe mich auf diesen Zeitraum beschränkt. Vor kurzem habe ich die Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich besucht. Sie ist wunderbar. Jedes Werk ist etwas Besonderes. Bührle hat die besten Stücke gekauft, aber es lässt sich keine Botschaft oder Linie daraus ablesen. Herr Blocher, was soll mit Ihrer Sammlung einmal passieren? Ich habe verschiedene Vorstellungen, ich spreche aber erst darüber, wenn ich sie auch umsetze. Gibt es einmal ein Museum Blocher? Vielleicht, ich weiss es noch nicht. Ich weiss auch nicht, wie viel Interesse die Kinder an den Bildern haben. Eine Sammlung ist etwas sehr Schönes, sie braucht aber Pflege, Hingabe und kostet Zeit und Arbeit.

02.01.2010

Würdigung grosser Berner Seeländer und ihre Bedeutung für die heutige Schweiz

Vortrag, gehalten anslässlich des Neujahrsanlasses 2010 am 2. Januar 2010 in Aarberg (BE)

12.12.2009

Christoph Blocher referiert über Seeländer

Berner Zeitung vom 12.12.09 Die Referenz, die Christoph Blocher dem Bernbiet zum Jahresauftakt erweist, ist ungewohnt und pikant. In Aarberg, in den Berner SVP-Stammlanden, referiert der Zürcher SVP-Vordenker über grosse Seeländer wie das Berner Polit-Urgestein Rudolf Minger.