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Geschichte

31.07.2011

1. August-Rede 2011 auf dem Eggplatz in Unterlangenegg / BE

Ansprache von a. Bundesrat Christoph Blocher, gehalten am 31. Juli 2011 Gruss der Schwarzenegger Bevölkerung, den Bernerinnen und Bernern, Liebe Miteidgenossen, Liebe Geburtstagsgäste, Willkommen zur 720. Geburtstagsfeier Wir sind heute hier auf der Schwarzenegg - einem wundervollen Ort am Übergang vom Berner Oberland zum Emmental - zusammengekommen, um den 720. Geburtstag der Schweiz, unseres Heimatlandes, zu feiern. Und Sie haben mich zur Festrede geladen. Das ist für mich Ehre und Besonderheit, insbesondere, weil dieser kleine Erdenfleck Geburtsort von geschichtsträchtigen, sehr verdienstvollen Persönlichkeiten ist. Ich rede von Ulrich Ochsenbein, dem Erfinder der modernen Schweiz, und Karl Lennart Oesch, 1944 bedeutender finnischer General unter Mannerheim im Grossangriff der Russen. Gut eidgenössische Art Geburtstag zu feiern So also dürfen wir in gut eidgenössischer Tradition den Geburtstag unseres Landes feiern: Bescheiden, in zahllosen Gemeinden der ganzen Schweiz, mit Festansprachen, Höhenfeuern, mit Landeshymne, in Freude und Dankbarkeit. Jede Feier ist stellvertretend die Feier für das ganze Land. Eine zentrale staatliche Feier will die Schweiz nicht. Doch wann ist die Geburtsstunde eines Landes? Länder kommen nicht wie Menschen in einer genau zu bestimmenden Minute auf die Welt. Oft wurden sie "von oben"  konstruiert, gegründet und geschaffen: Durch Beschlüsse und Dekrete von Kaisern, Königen oder andern Staatsoberhäuptern. Nicht so die Schweiz. Sie ist gewachsen, von unten, von Bürgern, die sich selbständig machen wollten. Gleichsam Rebellen, die sich gegen eine sie unterjochende Obrigkeit erhoben. Die Geburtsstunde der Schweiz Aber einzelne geschichtliche Ereignisse sind doch auszumachen. So eben zum Beispiel das Jahr 1291, als mitten im Sommer ein paar einfache Landsleute im Bundesbrief ihren Willen zu Unabhängigkeit und Selbstbehauptung zum Ausdruck brachten. Darum gilt 1291 als Geburtsjahr der schweizerischen Eidgenossenschaft, und darum dürfen wir heute den 720. Geburtstag feiern. Unsere Geburtsurkunde ist äusserlich kein grossartiges Dokument: -  Eine einzige Pergamentseite bloss, 25 cm hoch und 32 cm breit, -  beginnend mit der Anrufung Gottes: "Im Namen Gottes des Allmächtigen" bis heute Überschrift der schweizerischen Bundesverfassung. 1291 gelobten sich in feierlicher Stunde die Landsleute von Uri, Schwyz und Unterwalden: -  In Zukunft keine fremde Herrschaft zu dulden; -  keiner solle sich straflos gegen Ruhe und Ordnung vergehen -  nur noch eigene Richter (Regierung) sollen geduldet werden. Also keine Fremdherrschaft. Dieser Bundesbrief gilt als die Geburtsurkunde unseres Landes, weil damit klar wurde: Die neu gegründete Schweiz -  will Freiheit -  will keine fremden Richter (was damals der Name für die Obrigkeit schlechthin war!) -  will die Zukunft selber bestimmen -  schafft selbst Ruhe und Ordnung -  Nur Gottes Allmacht soll anerkannt werden Meine Damen und Herren, dieses kurze Dokument ist wie in Stein gemeisselt für alle Zeiten gültig. Und stets aktuell. Auch heute wieder. Wir wissen, dass in der Geschichte oft ausländische Mächte den Schweizern diese Freiheit nehmen wollten, aber auch, dass die Freiheit von Innen immer wieder in Frage gestellt wurde und wird. Freiheit, Unabhängigkeit und der Wille zur Selbstbestimmung sind Grundelemente unseres schönen, kleinen, aber freiheitlichen Landes. Und darüber - meine Damen und Herren - diese Grundelemente sind zu wahren. Wer diese preisgibt, gibt das Land preis. Und darüber gibt es nichts zu verhandeln, weder in Brüssel - unter dem Begriff "institutionelle" Anpassung - noch sonst wo. Arglist der Zeit Meine Damen und Herren Der Bundesbrief wurde – so steht es geschrieben – "in der Arglist der Zeit" beschlossen. Es waren 1291 die Habsburger, die den Eidgenossen die Freiheit rauben wollten. Aber in den letzten 720 Jahren hat unser Land viele "arglistige Zeiten" erlebt. Das wusste schon der Bundesbrief, dass dem so sein werde. Darum wurde festgehalten, "sich mit aller Kraft dafür einzusetzen", auch wenn dies gefahrvoll und mit Opfern verbunden is Das musste denn die Schweiz im Laufe der Geschichte auch genügend tun. In den vielen Schlachten - z.Bsp. Morgarten, Sempach, Näfels  und vielen mehr – oder für die Berner - in  den Burgunderkriegen, dann in den Schlachten im Schwabenkrieg, später in den verlorenen Schlachten in der Napoleonszeit, oder auch der Sonderbundskrieg, der leider ein Bruderkrieg im eigenen Land war, im ersten und zweiten Weltkrieg durch ein Grossaufgebot von Land und Armee. Doch leider zeigt sich in der Geschichte auch Anderes: Nicht nur Widerstand, sondern leider auch Anpassung gab es stets im eigenen Land. Persönlichkeiten fühlten sich oft zu fremden Mächten hingezogen  – sei es, dass sie am Erfolg der Schweiz zweifelten oder aber, weil sie sich von Grösse und Macht blenden liessen. Das gilt auch heute wieder: Wie gebannt fühlt man sich -  zur Europäischen Union und andern internationalen Gebilden hingezogen, -  man akzeptiert unbesehen internationales Recht und so genanntes Völkerrecht -  und vergisst, dass auch dies alles fremde Herrscher sind. Sie müssen nicht in Form fremder Heere kommen. Die fremden Vögte kommen auf leisen Sohlen, am leichtesten mit Absprachen von Schweizern in führender Stellung. Druck als Konstante Meine Damen und Herren, die Schweizer Geschichte zeigt eine andere Konstante: Der Druck aus dem Ausland auf die schweizerische Freiheit. Und ebenso konstant waren auch kleinmütige Kreise in der schweizerischen Classe politique, die diesem Druck nachgeben wollten. Aber die Dritte - erfreuliche - Konstante: Stets konnte die Schweiz  diesem Druck – aufs Gesamte gesehen – Stand halten bis zum heutigen Tag. Darum feiern wir hier und heute in Schwarzenegg in Freude und vor allem in grosser Dankbarkeit den 720. Geburtstag unserer Eidgenossenschaft. Am Geburtstag soll der Ruf erschallen: "Hütet Euch vor den Druckversuchen gegen unsere Freiheit." Der Geschichte treu bleiben Dem Schweizervolk und vor allem ins Bundeshaus hinein sei gerufen: Bleibt Euch und Eurer Herkunft treu! Beachtet Eure Geschichte. Wer dem Volk die eigene Geschichte raubt, wer all die Völkersagen, Mythen und Legenden der eigenen Vergangenheit ausrottet, macht das Land heimatlos und bringt ein Volk dazu, sich selbst aufzugeben. Es ist dann ein leichtes, das Volk irgendwo einzugliedern.1291 wäre es ins Reich der Habsburger gewesen. 2011 ins Reich der Europäischen Union. Freiheit, Unabhängigkeit und direkte Demokratie wären dahin. Darum, meine Damen und Herren, die Schweiz verteidigen heisst, dem Druck von Kreisen im eigenen Land und dem Druck von ausländischen Ländern auf die Unabhängigkeit Stand zu halten. Bundesstaatsgründung 1848 (insbesonders das Verdienst des Schwarzeneggers Ulrich Ochsenbein) Meine Damen und Herren, Liebe Festgemeinde, mit dem Bundesbrief von 1291 ist zwar die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung begründet, aber nicht abgeschlossen worden. Mit der wachsenden Zahl der Kantone, vor allem aber auch nach dem Einmarsch Napoleons in die Schweiz von 1798 und nach 50 Jahren dauernder Fremdeinmischung in die Schweiz wollten mutige Schweizer das Heft wieder neu und selber in die Hand nehmen. Es galt, den Bundesbrief aufzunehmen, anzupassen und einen eigenen Bundes-staat mit einerseits der Garantie der Unabhängigkeit, der immerwährenden Neutralität, der Landesverteidigung im Kampf gegen äusseren Druck und anderseits den Föderalismus, die demokratischen Volksrechte und viele Grundrechte der Bürger in der Bundesverfassung von 1848 festzuschreiben und dieselben demokratisch zu beschliessen. Das wurde nicht nur gewollt und gesagt, sondern getan. Es war die Gründung der modernen Schweiz. Ulrich Ochsenbein Und in dieser Situation, meine lieben Schwarzenegger, in dem entscheidenden Augenblick stand ein Mann an vorderster Stelle, der hier in Schwarzenegg 1811 geboren wurde und seine ersten - ich sage die entscheidenden - 7 Lebensjahre hier verbracht hat. Ich spreche von Ihrem hochzuachtenden Mitbürger Ulrich Ochsenbein – hier nebenan im alten Bären geboren, wo sein Vater Gast- und Landwirt und Rosshändler war. Sie können stolz sein auf Ihren Mitbürger, Ulrich Ochsenbein, der zeitlebens den Kampf um Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit und Neutralität  führte. Ohne Ochsenbein gäbe es wohl die heutige Schweiz nicht. Schon als 23-Jähriger schrieb Ochsenbein: "Retten wir die Ehre und das Dasein eines freien und unabhängigen Staates und Volkes!" Ochsenbein wurde Generalstabsoffizier, bedeutender militärischer Kommandant, Bernischer Regierungspräsident, Präsident der Tagsatzung und der vorberatenden Kommission für die neue Verfassung der Schweiz. Er wurde Mitglied des ersten Bundesrates. Dank ihm entstand in nur 51 Tagen eine neue Bundesverfassung, die wohl den stabilsten, friedlichsten, freiheitlichsten, wohlhabendsten und demokratischsten Staat der Welt bis zum heutigen Tag begründete. Natürlich passte dies den europäischen Grossmächten nicht. Sie drohten der Schweiz. Wieder einmal mehr. Frankreich liess sogar Truppen aufmarschieren. Ochsenbein trat entschieden entgegen – mit Erfolg. Meine Damen und Herren, die Schweiz verdankt Ochsenbein viel! Er wird zu Recht als "Erfinder der modernen Schweiz" bezeichnet. Doch je erfolgreicher Ochsenbein die gute Sache vorwärtstrieb, desto stärker wurden die Widerstände seiner Gegner im Landesinnern. Neid, Missgunst und Karrieregelüste führten zu Machenschaften und Intrigen, welche die Anliegen Ochsenbeins zu hintertreiben suchten. (Auch solches ist uns ja nicht ganz fremd: "Es gibt nichts neues unter der Sonne.") Am meisten zu schaffen machten Ochsenbein seine früheren Kampfgefährten aus dem eigenen Kanton und dem eigenen politischen Lager. Diese organisierten denn auch die hinterhältige Abwahl aus dem Bundesrat. Ochsenbein stand da – als 43-Jähriger – mit Frau und acht Kindern. Ohne jeden Lohn. Er musste schliesslich sein Lebensende – für ihn besonders schmerzhaft – als französischer General verbringen, so dass er, gleichsam als Vertriebener, schrieb: "Jedenfalls schmerzt es mich tief, mein Vaterland, das mir stets so teuer war und teuer sein wird, verlassen zu müssen. Schweizer und Republikaner werde ich überall bleiben." General Karl Lennart Oesch (1892-1978) Ochsenbein hatte eine grossartige strategische und militärische Begabung. Wo er eingesetzt wurde, fand er grosse Anerkennung. Diese militärische Begabung scheint dem Schwarzenegger Boden zu entsprechen, denn dieser Ort brachte auch ein anderes militärisches Talent hervor: General Karl Lennart Oesch, von vielen als "Retter Finnlands"  bezeichnet. Sein Vater Christian Oesch hat 1880 mit seiner Frau die Heimat in der Nähe von Schwarzenegg verlassen, um sich als Käser in Finnland eine eigene Existenz aufzubauen. Seinem Sohn Karl wurde 1944 in einer fast aussichtslosen Situation fast zwei Drittel der finnischen Armee unterstellt, um den russischen Grossangriff abzuwehren. Die zahlenmässige Überlegenheit der Russen war unglaublich. Was hat Oesch – der General mit Schweizer (genauer Schwarzenegger) Wurzeln getan? Er tat ähnliches, wie der Schweizer General Henri Guisan. Dieser konzentrierte die ganze Armee in einem Alpenriegel – dem "Reduit". Oesch zog ebenfalls alle Truppen zusammen in ein Reduit in der Südwestecke Finnlands. Und es gelang ihm, die russische Invasion zu stoppen, so dass Finnland am Ende des Krieges eine bessere Friedensordnung erreichte. Auch auf diesen Landsmann Karl Lennart Oesch darf Schwarzenegg stolz sein. Und umgekehrt war Oesch stolz auf sein Land, denn er sagte immer wieder: „Geboren bin ich in Finnland, von der Herkunft aber bin ich eindeutig Schweizer.“ Auch General Oesch erhielt keine Loorbeeren für seine grossartige Leistung, sondern der Dank war 3 Jahre Russische Gefangenschaft. Er hat sich - nach Finnland zurückgekehrt - darüber nie beschwert. Schlusswort Meine Damen und Herren, so wollen wir am 720. Geburtstag unseres Landes all jenen danken und gedenken, die sich in der 720- jährigen Geschichte stets mutig hingestellt haben, um für die Freiheit unseres Heimatlandes, die schweizerische Eidgenossenschaft, zu kämpfen. Also - selbstredend hier: -  den alten Eidgenossen, die 1291 den Bundesbrief besiegelten, -  als auch Ihrem grossen Mitbürger Ulrich Ochsenbein, dem Erfinder der modernen Schweiz. -  aber auch Karl Lennart Oesch, der - stellvertretend für die Auslandschweizer - für unser Land Ehre eingelegt hat. Ich bin überzeugt, dass wir Schweizer, wenn wir den Leitlinien des alten Bundesbriefes und der Bundesverfassung folgen, als ein freies unabhängiges Land bestehen können und so auch den 721. Geburtstag in Freiheit und Unabhängigkeit  feiern können. Ich wünsche Ihnen - liebe Schwarzenegger, - liebe Miteidgenossinnen, - liebe Miteidgenossen, viel Wohlergehen und eine sichere Zukunft in Freiheit.

06.04.2011

Schweizerkönig auf bescheidenem Thron

Besprechung von Mary Lavater- Sloman «Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein», Römer-Verlag 2011, Rezension für NZZ „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Mit dieser selbstbewussten, aber der Wirklichkeit entsprechenden Aussage begründete anlässlich der Westfälischen Friedensgespräche von 1646-1648 der Schweizer Abgesandte seine unerschüt-terliche Absicht, für die Schweiz volle Souveränität zu erreichen. In der Reihe ungewöhnlicher Biografien nimmt der Römerhof Verlag in verdienst-voller Weise auch den Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) auf. Dies geschieht nicht in einer modernen, so genannt „kritischen“ Studie, sondern in einer Neuauflage des 1935 erschienenen Romans „Der Schweizekönig“ von Mary-Lavater-Sloman. Es dürfte manchen Zeitgenossen missfallen, dass neuerdings mit Johann Rudolf Wettstein eine Persönlichkeit gewürdigt wird, die der später so erfolgreichen schweizerischen Unabhängigkeit und Neutralität zum Durchbruch verhalf. Vielleicht darum empfanden es die Herausgeber für nötig, mit Georg Kohler einem Professor das Nachwort erteilen zu müssen, der die Souveränität unseres Landes gerne klein-schreibt und selbstverständlich auch hier als „Mythos“ entlarvt. Etwas naserümpfend wird auch an die 1935 bereits herrschende Geistige Landesverteidigung erinnert, in deren Dienst sich die Autorin gestellt hat. Tatsächlich waren ihre reichs- und diktatur-kritischen Ansichten für das damalige Schweizer Publikum unüberlesbar. Wenn Kohler - wohl in Begeisterung über den heutigen Kongresstourismus - lobend be-merkt, schon früher seien unsere Politiker an jene Orte gereist, wo die europäischen Entscheide gefallen seien, so wäre ihm nach der Lektüre "Der Schweizerkönig" zu entgegnen, dass wir unsere Bundesräte durchaus gerne dorthin reisen liessen – sofern sie wie weiland Bürgermeister Wettstein so zäh und hartnäckig die schweizeri-sche Souveränität verteidigten und mit einem entsprechend besiegelten Dokument zurückkehrten. Ausgangspunkt von Johann Rudolf Wettsteins diplomatischer Mission bildetet ein relativ geringer Anlass, nämlich die Zitierung eines Basler Bürgers vor das Reichs-kammergericht in Speyer. Mit dem weitsichtigen Auge des Staatsmanns erkannte der Basler Bürgermeister, dass anlässlich des Westfälischen Friedenschlusses nach dem Dreissigjährigen Krieg die einmalige Chance bestand, für die Eidgenossenschaft nach der faktischen auch noch die formelle Trennung vom Reich deutscher Nationen zu vollziehen. Zu seinem grossen Kummer erhielt er das Verhandlungsmandat nur von den reformierten Orten, doch kämpfte Wettstein in Münster und Osnabrück für die Unabhängigkeit der gesamten Schweiz. In ihrer packend zu lesenden, roman-haften Schilderung verlässt Mary Lavater-Sloman zuweilen die exakte Chronologie und schiebt auch eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen. Dennoch hält sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte. Diesen ist zu entnehmen, wie bescheiden der Basler Bürgermeister residierte; anlässlich eines Besuchs des schwedischen Bevollmächtigten konnte Wettstein diesem lediglich einen Stuhl anbieten, an dem eine Armlehne fehlte: „Ich bin übereilt worden“, schrieb er nach Hause, „hätte sonsten die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen.“ Mit Überlegenheit und feinem Gespür für das Machbare behielt er die Distanz zu den ihm wohlgesinnten Franzosen, gewann die Gunst der Kaiserlichen und vermochte die anfangs abweisenden Schweden umzu-stimmen. Dies alles gelang ihm bei schwersten körperlichen Leiden, die ihn nicht selten hinderten, seine armselige Herberge zu verlassen. Wettsteins Auftreten war schlicht und sicher und seine Kenntnisse der politischen Verhältnisse so umfassend, dass es ihm schliesslich gelang, die wichtigsten Abgeordneten des Friedenskongres-ses von der eidgenössischen Sache zu überzeugen. Er bewegte sich zwischen den Abgesandten europäischer Monarchien so selbstverständlich und wenig unterwürfig, dass Wettstein bei ihnen bald schon den Namen „Schweizerkönig“ trug. Nach fast einjähriger Abwesenheit kehrte Basels Bürgermeister in seine Heimat zurück. So bescheiden sich sein Gefolge im Vergleich zur Prachtentfaltung der Fürstenhöfe ausnahm, so unermesslich wertvoll war der Vertrag, den er mit sich führte: Die Eid-genossenschaft und deren Gerichte waren fortan in „Besitz und Gewähr völliger Freiheit und Ausgliederung vom Reiche“. Wie würde Wettstein heute urteilen, wenn er zusehen müsste, wie die Abgeordneten der Schweiz an Kongresse reisen, um dabei die schweizerische Freiheit zu verspielen und fremde Richter zu akzeptieren? Unseren Regierungsleuten, Politikern und Diplomaten wäre Mary Lavater-Slomans neu aufgelegter Roman „Der Schweizerkönig“ besonders zu empfehlen. Aber auch alle andern Leserinnen und Leser erhalten mit der leicht überarbeiteten Fassung einen lebendigen Einblick in ein entscheidendes Stück Schweizer Geschichte.

06.04.2011

Die Schweiz verdankt Basels Bürgermeister die Souveränität

Buchrezension für die Basler Zeitung Dass Basel seinen Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein in hohen Ehren hält, erkennt man leicht an der nach ihm benannten Strasse, der Brücke und dem Platz. Wettstein stammte zwar aus keinem Basler Geschlecht: Sein Vater war als Weinbauer aus der Zürcher Oberländer Gemeinde Russikon zugewandert, brachte es zum Basler Spitalmeister und ermöglichte dem Sohn eine glänzende Laufbahn im Staatsdienst. Als Basler Bürgermeister gilt er für mich als wohl grösste diplomatische und politische Begabung der Alten Eidgenossenschaft. Zwar blieb Wettstein innenpolitisch dem absolutistischen Gedankengut von schroffer Trennung zwischen Obrigkeit und Untertanen verhaftet; er befürwortete sogar die Hinrichtung der Anführer im Bauernkrieg. Doch sein grosser Erfolg ist ein aussenpolitischer: Ihm verdankt die Schweiz nämlich die staatsrechtliche Anerkennung der Neutralität und Unabhängigkeit vom deutschen Reich. Umso erfreulicher ist, dass der Römerhof Verlag in seine Reihe ungewöhnlicher Biografien neuerdings auch Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) aufgenommen hat. Es handelt sich dabei um eine Neuauflage der romanhaften Erzählung „Der Schweizerkönig“ von Mary Lavater-Sloman aus dem Jahr 1935. Diese aus Hamburg stammende, mit einem Stadtzürcher verheiratete Autorin schuf sich einen Namen mit zahlreichen Erzählungen über bedeutende Figuren der Schweizer Geschichte. Dabei machte Lavater-Slomann aus ihrer demokratischen Überzeugung und ihrer Ablehnung von Diktatur und Totalitarismus kein Geheimnis. So auch im Werk „Der Schweizerkönig“, wo Johann Rudolf Wettstein seinen Neffen Rudolf Burckhardt „in ärgerlicher Verblüffung“ fragt: „Einen Vogt wünschest Du uns, Ruedi, der das Volk mit der Peitsche der Gewalt zusammentreibt? ... Ehe ihr es euch verseht, würde die Peitschenschnur sich klatschend um euch schlingen und euch zusammenbündeln – zusammenbündeln zu einem wehrlosen, entmündigten Haufen!“ Im Mittelpunkt des Romans steht Wettsteins bedeutendste Leistung, nämlich die fast einjährige Mission an die Friedensgespräche von Münster und Osnabrück (1646-1648) nach den furchtbaren Schrecken des Dreissigjährigen Krieges. Aktenkundiges vermischt sich bei der Autorin geschickt mit Erfundenem; sie schiebt eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen, auch wenn sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte hält. Die Basler Leserinnen und Leser dürfte speziell einiges an Lokalkolorit erfreuen. Beschrieben wird etwa die familiäre Atmosphäre im Wettsteinhaus in Riehen, aber auch Wettsteins frühes Entlaufen in Venezianische Dienste aus der Ehe mit der fünf Jahre älteren Anna Maria Falkner; sie wurde ihm später gleichwohl eine bedeutsame Stütze und war wie geschaffen für ihre Aufgaben als Gattin eines Bürgermeisters. Hübsch geraten ist auch die Szene der Ankunft im fernen Osnabrück, wo der begleitende Sohn Fritz „aus den Tiefen seines Proviantsackes das eifrig gehütete Päckchen heimatlicher Leckerli“ hervorzieht. So haben sich aus Wettsteins Zeit nicht nur die Souveränität, sondern auch die "Basler Leckerli" erhalten. Ich hoffe, dass man beidem weiterhin Sorge tragen wird ! Johann Rudolf Wettstein erhob geschickt die Vorladung eines Basler Bürgers vor das Reichskammergericht in Speyer zur Sache der eidgenössischen Tagsatzung. Gegen die zögerliche Vorsicht der heimischen Handelsherren packte er mit grösserer Weitsicht und erstaunlicher Tatkraft die einmalige Gelegenheit beim Schopf. Ihm ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die seit dem Schwabenkrieg (1499) faktisch bestehende, nunmehr auch formell zu bestätigende Loslösung vom römischen Reich deutscher Nationen. Wettstein reiste 1646 ohne Einladung und vorerst ohne Legitimierung der katholischen Orte an die Westfälischen Friedensverhandlungen. Nach langwierigem, zähem Ringen mit den Abordnungen von Kaiserreich, Frankreich und Schweden erreichte er schliesslich die Bestätigung der vollen Souveränität und bewaffneten Neutralität der Schweiz. Der Roman von Mary Lavater-Sloman schildert packend das Wechselbad der Gefühle des Basler Bürgermeisters angesichts der Winkelzüge, Geheimdiplomatie und Intrigen der fremden Gesandten. Dennoch sicherte er sich bei ihnen durch taktsicheres, selbstbewusstes, aber jederzeit ehrliches Auftreten grössten Respekt, der ihm sogar den Ehrentitel „Schweizerkönig“ eintrug. Dabei musste Johann Rudolf Wettstein mit seinem kleinen Gefolge in bescheidensten Verhältnissen hausen. Die Basler hielten ihn so knapp wie nur möglich und warfen ihm in ihren Schreiben obendrein noch eine verschwenderische Hofhaltung vor. Dabei residierte der Basler Bürgermeister geradezu "ärmlich". So konnte er dem schwedischen Bevollmächtigten anlässlich eines Besuches lediglich einen Stuhl anbieten, an dem die eine Lehne fehlte. Nach Hause schrieb er darüber: "Ich bin übereilt worden, hätte sonst die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen." Immer den Auftrag und das Ziel vor Augen, steckte Wettstein solch unerfreuliche Ereignisse ebenso weg wie seinen angeschlagenen Gesundheitszustand. Die Vorteile einer klugen Neutralitätspolitik waren ihm wohlbewusst, hatte sich doch Basel seit seinem Eintritt in den eidgenössischen Bund verpflichtet, bei Streitigkeiten stille zu sitzen und sich um Vermittlung zu bemühen. Durch ganz persönliches Bemühen errang Johann Rudolf Wettstein dank Augenmass, Hartnäckigkeit und diplomatischer Gewandtheit für die gesamte Schweiz Bedeutendes – trotz beschränkten Instruktionen und bloss halbeidgenössischer Vollmacht: nämlich die endgültige Loslösung vom Reich. Dies entsprach genau jenen Vorstellungen, wie sie Basels grosser Bürgermeister gleich zu Beginn des Westfälischen Kongresses formuliert hatte: „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Man wünschte sich dies als ewiges Verhandlungsmandat unseres Bundesrates! Mary Lavater-Sloman: Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein. Römerhof, Zürich 2011, 239 S., Fr. 36.-.

02.01.2011

Würdigung grosser Berner im Emmental

Neujahrsanlass vom 2. Januar 2011 in Wynigen im Emmental Würdigung grosser Berner im Emmental und ihre Bedeutung für die heutige Schweiz: Jeremias Gotthelf, 1797 - 1854; FriedrichTraugott Wahlen, 1899 - 1985; Albert Anker, 1831 - 1910.

11.12.2010

Blocher plant Berner Geschichtsstunde

Interview in der «Berner Zeitung» vom 11. Dezember 2010 mit Bernhard Kislig Hier geht es um Kultur, um grössere Zusammenhänge, und nicht etwa ums schnelllebige politische Tagesgeschäft, wie SVP-Vordenker Christoph Blocher während eines Gesprächs im Berner „Bellevue“ betont. Wie schon Anfang 2010 wird er auch am 2. Januar 2011 im Kanton Bern wieder über herausragende Berner Persönlichkeiten referieren. Anfang dieses Jahres kamen 1000 Besucher. Nun führt Blocher die Erfolgsstory fort. Für die kommenden Jahre liegen bereits weitere Anfragen aus dem Berner Oberland, den Kantonen Schaffhausen, Aargau und Zürich vor. „Es scheint, als würde die Rede am Bärchtelistag zur Tradition“, meint Blocher. Anfang 2011 würdigt er in der Turnhalle Wynigen den Dichter Jeremias Gotthelf, den früheren Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen und wie schon 2010 den Maler Albert Anker (siehe Kasten). Wer Blocher kennt, weiss, dass der Bezug zur aktuellen Politik nicht fehlen wird. Doch mehr dazu später. Anker-Kenner Blocher wird Gegensätze und Gemeinsamkeiten zwischen dem für Bauern-Porträts bekannten Maler und Gotthelf beschreiben. Dazu eignen sich die Illustrationen vorzüglich, die Anker für eine Prachtsausgabe Gotthelfs lieferte. Der aus Ins stammende Maler tat sich äusserst schwer damit. Anfänglich lehnte er den Auftrag mehrmals ab. Schliesslich liess er sich aber vom damaligen Bundesrat Carl Schenk dazu überreden, den Band mit Zeichnungen zu illustrieren. Das ausschlaggebende Argument von Bundesrat Schenk: „Der berühmteste Berner Maler kann doch nicht verweigern, einen Erzählband des berühmtesten Berner Dichters mitzugestalten“, sagt Blocher. Doch Anker war es nie wohl dabei. Er bezeichnete Gotthelf „als den Goliath von Lützelflüh“. Eine erste Anzahlung vom damals hohen Betrag von 3000 Franken soll er mit folgender Bemerkung postwendend retourniert haben: „Man soll die Haut nicht verkaufen, bevor der Bär erlegt ist.“ Und nachdem der Bär erlegt, respektive das Buch fertig war, habe Anker nie wieder etwas von Gotthelf gelesen, erzählt Blocher. Den Grund für die innere Abneigung sieht Blocher im unterschiedlichen Temperament und Stilmittel. Bei Gotthelf seien die Protagonisten etwas "überhöht und zugespitzt" dargestellt. Die Zeitumstände werden polemisch geschildert. Auch wenn Gotthelf "über dem Ganzen ebenfalls die Gnade Gottes walten lässt" - sagt Blocher. Der ausserordentlich korrekte Albert Anker dagegen, der seinem Vater hoch und heilig versprochen hatte, stets ein rechtschaffener Mensch zu bleiben, konnte sich mit solchen "barocken Darstellungen" nicht anfreunden. Gotthelf und Anker waren verschieden im Ausdruck. Deshalb auch das harte Verdikt des Anker-Kenners Blocher: „Die Illustrationen im Gotthelfband sind nicht vom Besten. Man merkt: Anker hat sich duchgequält". Trotz all dem sieht Blocher Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Berner Künstlern. Und zwar z.Bsp. in der Darstellung der biblischen Verheissung: „Im Schweisse deines Angesichts wirst du dein Brot essen.“ Mit anderen Worten: Niemand verhungert, auch wenn er für's Wohlergehen arbeiten muss. Bei Anker widerspiegelt sich das gemäss Blocher zum Beispiel im Gemälde, das ein Mädchen zeigt, welches in der Kälte einen grossen Brotlaib nach Hause trägt (siehe Bild). In Ankers Leitsatz „Siehe, die Erde ist nicht verdammt“, findet Blocher eine weitere Bestätigung. Die „moderne Trostlosigkeit“ und die „Verlorenheit, welche die Lebensfreude lähmt“ sind fehl am Platz. „Denn irgendwo geht immer wieder ein Türchen auf.“ Die Welt ist eben nicht verloren. Blocher räumt zwar ein, dass seine Abwahl als Bundesrat vor drei Jahren schmerzhaft gewesen sei. Doch rückblickend sei das eine Episode im politischen Schaffen Blochers und habe der SVP bei den kantonalen Wahlen sogar geholfen, sagt Blocher, während er seine Hand ballt. Erst recht bestätigt – hier kommt der Parteistratege in Fahrt – findet er diesen Leitsatz bei der Abspaltung der BDP: Nun könne die SVP geschlossener auftreten. „Das hat für Wahlen wie auch Abstimmungen Vorteile – mit einer lavierenden Berner SVP hätten wir zum Beispiel die Ausschaffungsinitiative nicht gewinnen können.“ Der Übergang von Kultur zur Politik ist bei Blocher fliessend. Als dritten „grossen Berner im Emmental“ würdigt er den früheren Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen. Bei dieser Figur geht es Blocher um die Idee, dass auch ein kleiner Staat wie die Schweiz einen eigenen Weg geht und internationalem Druck widersteht. Wahlen habe dies während des zweiten Weltkriegs getan, indem er den Selbstversorgungsgrad der Schweiz erhöhte. „Der Widerstandswille ist ein schöner Gedanke“, fügt Blocher an. Dieser Wille fehle im heutigen Bundesrat. Aktuelles Beispiel: Die Landesregierung wolle in vorauseilendem Gehorsam eine milliardenschwere Aufstockung des Kredits für den Internationalen Währungsfonds zur Finanzierung bankrotter EU-Staaten durchpauken. Weitere aktuelle Bezüge zur aktuellen Politik wird Blocher am 2. Januar 2011 nachreichen. Dass Blocher zum Jahresauftakt einen ehemaligen Berner Bundesrat würdigt, ist nur eine von mehreren Parallelen zwischen der Rede von 2010 und jener von 2011. So fiel die Rede vor elf Monaten zwischen den SVP-Sieg bei der Antiminarett-Abstimmung und die Berner Wahlen, bei denen die SVP ihre Sitzverluste nach der BDP-Abspaltung wieder wettmachen musste. Anfang 2011 hält Blocher seine Rede zwischen dem Abstimmungssieg bei der Ausschaffungsinitiative und der Nationalratswahl 2011, bei der die SVP im Kanton Bern erneut um Sitze kämpfen muss, welche an die BDP verloren gegangen sind. 2010 ist die Rechnung für die SVP bestens aufgegangen: Trotz Abspaltung konnte sie ihren Wähleranteil im Kanton Bern nahezu halten. Im Seeland schnitt sie stark ab. Also ausgerechnet in der Hochburg des abtrünnigen alt-BDP-Bundesrats Samuel Schmid. Das ist die gleiche Region, in der Blocher Anfang Jahr über Seeländer Grössen wie den früheren Bundesrat Rudolf Minger referierte, der die SVP-Vorläuferpartei BGB mitgegründet hatte. Blochers Auftritt dürfte der SVP wahltaktisch nicht geschadet haben. „Einzelne Leute meinen gar, dieser Wahlerfolg sei zu einem grossen Teil auf die Neujahrsveranstaltung 2010 zurückzuführen“, sagt Blocher und lacht schelmisch.