Die Bilateralen an ihren Inhalten messen

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 15. April 2000

SVP-Kantonalpräsident Christoph Blocher bleibt dabei: Er will nicht in den Abstimmungskampf um die bilateralen Verträge ein- greifen, tut seine Meinung aber trotzdem kund.

Die kantonale SVP-Delegiertenversammlung hat am Donnerstag zu den bilateralen Verträgen die Nein-Parole beschlossen. Der Entscheid ist aber mit 171 gegen 168 Stimmen so knapp ausgefallen, dass man von einem Zufallsmehr oder Patt sprechen könnte. Wäre nicht die Stimmfreigabe der richtige Schluss gewesen?

Blocher: Das stimmt. Wenn der Antrag aus den Reihen der Mitglieder gekommen wäre, hätte ich ihn unterstützt. Aber ich wollte ihn als Präsident und Versammlungsleiter nicht selber stellen.

Wie interpretiert das Parteibüro jetzt seinen Auftrag? Lanciert die kantonale SVP im Hinblick auf den 21. Mai eine überzeugte Nein-Kampagne oder eine halbherzige, die den Willen der grossen Minderheit respektiert?

Blocher: Eine Kampagne gibt es nicht. Es ist nicht unsere Gewohnheit, zu nationalen Vorlagen einen Abstimmungskampf zu führen – ausser es handle sich um grundlegende Themen wie den EWR- oder den EU-Beitritt, wo wir keine knappen Parolen beschliessen.

Sie selber haben sich an der Delegiertenversammlung nicht zu Wort gemeldet.

Blocher:
Als Versammlungsleiter halte ich mich stets zurück. Ich habe meine Meinung zu den bilateralen Verträgen schon vor der Schlussabstimmung im Parlament im letzten Oktober geäussert und von einem Referendum abgeraten. Es hat einfach keinen Sinn, einen Kampf zu führen, wenn nachher sowieso wieder derselbe EU-gläubige Bundesrat neue Verhandlungen führen müsste. Darin hat sich meine Haltung nicht geändert.

Schweigen Sie auch heute Samstag an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz?

Blocher: In Appenzell spreche ich zur Europapolitik als solcher, das ist etwas anderes. Man soll die Bilateralen an ihren Inhalten messen und nicht an der Souveränitätsfrage.

Eine Vermutung: Als Parteipräsident halten Sie sich trotz Ihrer öffentlichen Kritik am Bundesrat punkto Bilaterale vornehm zurück, sorgen aber hinter den Kulissen schon dafür, dass durch Ihre Parteikollegen Hans Fehr und Ulrich Schlüer und in der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) gegen die Vorlage Stimmung gemacht wird.

Blocher: Die Auns hat beschlossen, keine Stellung zu beziehen. Sie äussert sich nur zu Fragen, welche die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz betreffen. Im Auns-Vorstand gab es zu den Bilateralen drei Anträge: einen Antrag, keine Parole zu fassen, weil sie kein Auns-Thema seien; einen Antrag auf eine Ja-Parole, weil die Bilateralen faktisch einen EU-Beitritt verhindern; und einen Antrag auf eine Nein-Parole, weil das doppelte Spiel des un- glücklich agierenden Bundesrats zu einem schlechten innenpolitischen Recht führen werde. Wir entschieden uns für den ersten Antrag, nämlich keine Parole zu fassen. Für die Auns-Versammlung eine Woche vor der Abstimmung ist das Geschäft nicht traktandiert, doch viele Mitglieder werden es behandeln wollen. Sie meinen immer, die Auns sei eine Partei. Doch die bilateralen Verträge sind ein politisches Thema ausserhalb der Auns-Bandbreite. Was Hans Fehr und Ulrich Schlüer als Nationalräte sonst unternehmen, kann und will ich nicht bestimmen.

Herr Blocher, wer mit anschaut, auf wie vielen Hochzeiten Sie als Politiker, „Heimatschützer“ und Chemieunternehmer mit vorweggenommenem Anschluss an den europäischen und internationalen Wirtschaftsraum tanzen, fragt sich, ob es den „widersprüchlichen“ Christoph Blocher eigentlich nie in Stücke reisst. Geht es Ihnen gut?

Blocher: Da unterstellen Sie mir jetzt etwas viel. Meine Persönlichkeit ist nicht widersprüchlich, sie ist eine Einheit, eine Stärke, darum kann ich ja so aktiv sein. Wir verkehren mit allen Staaten freundschaftlich, auf politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet, aber wir lassen uns nie vereinnahmen. Diese Überzeugung vertrete ich als Politiker, Unternehmer und Mensch. Natürlich gibt es Interessengegensätze. Die bilateralen Verträge bringen aus unternehmerischer Sicht gewisse Vorteile, zum Beispiel billigere Leute durch den freien Personenverkehr. Für das Gesamtinteresse des Landes, für den Bürger und den Wirtschaftsstandort, bringen sie aber Nachteile, eine starke Steuerbelastung und Arbeitslosigkeit. Deshalb muss ich die Interessen als Unternehmer eben zurückstellen. Ich wehre mich nicht gegen Weltoffenheit, das wäre nicht einmal aus wirtschaftlicher Sicht richtig. Aber ich wehre mich gegen die Einbindung.

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