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Elezioni

26.10.1999

Die Kursfrage ist definitiv geklärt

Christoph Blocher über den Wahltriumph der SVP und die Zukunft der Zauberformel Interview mit der Zürichsee-Zeitung vom 26. Oktober 1999 Die Debatte um den Kurs der SVP ist mit den Wahlen definitiv geklärt: Gewonnen hat die SVP-Politik nach Zürcher Art, wie der Dominator vom Wochenende, Christoph Blocher, gegenüber dieser Zeitung erklärt. Nun nimmt er die Zusammensetzung des Bundesrats ins Visier - und schont, eher überraschend, Adolf Ogi. Mit Christoph Blocher sprach Luzi Bernet Haben Sie gut geschlafen? Blocher: Ja, danke. Ich bin zwar etwas später als üblich zu Bett gegangen... ...weil Sie üppig gefeiert haben. Blocher: Es geht. Die zahlreichen Medienauftritte haben mich stark absorbiert. Nur zwischen acht und halb neun Uhr war ich kurz bei der Partei. Erst gegen elf Uhr kehrte ich zurück, um bis etwa ein Uhr noch etwas zu feiern. Sie ziehen sich ja bekanntlich nach Siegen eher zurück. Auch diesmal? Das ist diesmal anders als beim EWR, der ja viel wichtiger war als die gestrigen Wahlen. Ich bin Unternehmer, und als solcher muss ich im November nach Asien fahren. Das ist fällig, und meine Präsenz hier ist ja auch nicht mehr so wichtig. Diese Woche allerdings ist jetzt noch wichtig, damit die Weichen innerhalb, aber auch ausserhalb der Partei richtig gestellt werden. Wir haben einen Wählerauftrag erhalten, über dessen Erfüllung wir zu diskutieren haben. Was darf man von dieser Woche an Entscheidungen konkret erwarten? Blocher: Zunächst steht die Analyse der Wahlresultate an. Allmählich sehen wir etwas klarer, weil die Namen der Gewählten vorliegen. Was fällt Ihnen da auf? Blocher: Bis jetzt hat man immer von einer Blocher-SVP bzw. einem Zürcher Flügel gesprochen. Diese Bezeichnung steht für eine konsequente Parteilinie, die nun in alle Kantone ausgestrahlt hat - auch in jene Kantone, deren SVP-Sektionen bisher eine weniger konsequente Haltung gepflegt haben. Die Zurückhaltung der Parteispitze führte im Kanton Bern leider zu einer Stagnation. Bereits drei Prozent hätten in Bern für einen Mandatsgewinn gereicht, und insofern ist das dortige Resultat enttäuschend. Aber immerhin zeigt sich bei den Gewählten im Kanton Bern ein erfreuliches Bild. Alle, die auf unserer Linie liegen, haben nämlich gut abgeschnitten. Damit ist für die SVP die Kursfrage definitiv geklärt. Hat sich gegenüber Ihren ersten Stellungnahmen Ihre Einschätzung des Wahlresultats verändert - auch nach Vorlage der Zürcher Zahlen? Blocher: Nein. Das Zürcher Resultat kommt einem Erdbeben gleich. 13 Sitze sind ein grosses Mandat. Hingegen war die Aufteilung in zwei SVP-Listen unglücklich (Ost und West). 1991 waren die Listen noch ausgeglichen, 1995 betrug das Verhältnis fünf (Ost) zu vier (West), und jetzt beträgt das Verhältnis neun zu vier. Viele Leute haben wegen der Namen "Blocher" und "Maurer" einfach die Liste Ost gewählt und die Liste West gar nicht beachtet. Das müssen wir beim nächsten Mal ändern. Vielleicht kommen wir nur mit einer Liste, oder wir bilden eine Stadt- und eine Landliste. Die gewählten Zürcher SVP-Vertreter fahren alle einen sehr profilierten Kurs, wie zum Beispiel Christoph Mörgeli, der die eigentliche Überraschung ist und trotz der Tatsache, dass er praktischen keinen Wahlkampf geführt hat, gewählt wurde. Insgesamt verfügen wir über eine beruflich und fachlich sehr breit abgestützte Zürcher SVP-Vertretung in Bern. Wie verstehen Sie den Auftrag der Wähler? Wollen Ihre Anhänger eine Oppositions- oder eine Regierungspartei? Blocher: Wir haben ein klares Programm vorgelegt mit konkreten Vorschlägen zur Eindämmung des Asylmissbrauches, mit der Absicht, das Nationalbankgold für die AHV zu verwenden, mit dem Anliegen, die Bundessteuer um zehn Prozent zu senken und mit dem Bekenntnis gegen einen EU-Beitritt usw. Diese Forderungen wollen wir durchsetzen - innerhalb der Regierung, wenn man uns einen zweiten Sitz im Bundesrat eingesteht, oder mit der Verstärkung der Opposition, wenn uns der zweite Sitz vorenthalten bleibt. Mit anderen Worten: Die Form hängt von den Mitteln ab, die man uns gibt. Das bedeutet, dass Sie Ihre Rolle als Opposition zurücknehmen, wenn Sie zwei Bundesräte haben? Blocher: Selbstverständlich. Mit zwei Vertretern in der Regierung werden wir uns bereits im Bundesrat besser durchsetzen können. Wir haben nie Opposition als Selbstzweck betrieben, sondern nur wenn es notwendig war. Aber Sie haben Stimmen in Kreisen gemacht, die eindeutig Protestwähler sind und von Ihnen Opposition erwarten? Blocher: Weil ihre Forderungen nicht erfüllt wurden, zum Beispiel die Freiheitspartei. Übrigens sind das alles ehemals freisinnige Wähler. Immerhin hat sich der Freisinn gehalten und nicht mehr viele Wähler nach rechts verloren. Blocher: Im Kanton Zürich ist die Position des Freisinns unklar. Aber in den anderen Kantonen haben jene Freisinnigen gewonnen, die einen ähnlichen Kurs wie wir fahren (Aargau, Schaffhausen zum Beispiel). In Zürich dürften viele Landesring-Wähler zur FDP gegangen sein. Dass die FDP trotzdem nicht zulegen konnte, ist ein Zeichen dafür, dass viele Freisinnige heute in Zürich nicht mehr FDP wählen. Übrigens auch in den ehemals freisinnigen Hochburgen am Zürichsee. Zur Zauberformel. Wenn Sie zwei Sitze beanspruchen, dann sind damit zwei Vertreter gemeint, die Ihren Kurs fahren. Blocher: Eindeutig. Wir akzeptieren kein Feigenblatt. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle Bundesrat Ogi? Blocher: In Wirtschafts- und Steuerfragen haben wir wie übrigens auch in Sachen Expo, Solidaritätsstiftung und Verkehrspolitik mit Bundesrat Ogi einen sicheren Wert in der Regierung. Es bestehen hingegen grosse Differenzen in der Aussen- und Neutralitätspolitik. Hier wird Adolf Ogi Korrekturen seiner Position vornehmen müssen. Glauben Sie ernsthaft daran, dass Ogi seine Positionen aufgibt? Und wenn nein, muss er dann gehen? Blocher: Nein. Exekutivmitglieder stimmen ja in der Regel nicht in allen Fragen mit der Parteimeinung überein. Wir werden Ogi sicher wieder aufstellen und auch unterstützen. Wer könnte denn neben ihm stehen? Blocher: Für diese Entscheidung bleibt noch viel Zeit. Es bleibt vor allem einmal abzuwarten, wie sich die anderen Parteien entscheiden. Im Klartext: Eine Änderung der Zusammensetzung der Landesregierung würde eine Abwahl eines bisherigen Bundesrats bedeuten. Blocher: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder zieht die kleinste Partei - die CVP - einen ihrer Vertreter zurück, oder aber die SP gibt einen Sitz her. Im ersteren Fall spielt die Konkordanz, wonach die grossen Parteien zwei und die kleinen einen Sitz beanspruchen. Im anderen Fall würde das ein Bekenntnis der CVP und der FDP zu einer Mitte-Rechts-Politik bedeuten. Es entscheiden also die Mittelparteien. Welche Variante würden Sie vorziehen? Blocher: Nun, unsere Gegner sind die Sozialdemokraten, also würde ich die zweite Variante mit nur einem SP-Vertreter bevorzugen. Aber natürlich kann ich auch mit einem Konkordanzmodell leben. Glauben Sie daran, dass das funktionieren könnte - zumal nach einem Wahlkampf, in dem sich die Parteien gegenseitig nicht geschont haben? Blocher: Selbstverständlich. Wir regieren ja nicht, um gleiche Meinungen zu haben, sondern obwohl wir verschiedene haben. Sie könnten also auch mit den bisherigen SP-Bundesräten zusammenarbeiten? Blocher: Ja. Ich selber hätte damit keine Mühe, obschon es nicht meine Freunde sind, aber ich wäre gezwungen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir würden aber selbstverständlich unsere Meinung dezidiert einbringen. Glauben Sie, dass angesichts des Systems der Referendumsdemokratie ein Regierungs- / Oppositionsmodell funktionieren könnte? Blocher: Ja, das hat auch früher schon funktioniert, vor der Zauberformel. Aber Sie könnten doch mit Ihrem Referendumspotenzial eine Regierung blockieren. Blocher: Nicht komplett, aber in den wichtigen Fragen hätte das Volk das letzte Wort und würde entscheiden. Wie interpretieren Sie das Wahlergebnis der SP? Blocher: Schauen Sie: Vor vier Jahren hat die SP ein künstliches Resultat erzielt. Mit den Restmandaten einerseits und anderseits mit dem Paukenschlag des Rücktrittes von Bundesrat Otto Stich. Das war der ganze Triumph. Aber der war nicht langlebig. Namentlich langjährige SP-Wähler (Angestellte, Arbeiter) wählen heute SVP. Die SP ist zu einer Partei der gut verdienenden Staatsangestellten geworden. Die wirklichen Arbeiter der Privatwirtschaft beklagen sich ebenso über die steigende Abgaben- und Steuerlast und finden damit bei der SP kein Gehör mehr.

26.10.1999

Blocher lässt sich nicht so leicht einbinden

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 26. Oktober 1999 Christoph Blocher, Zürcher Nationalrat der SVP, kann sich nicht vorstellen, dass das Parlament ihn zum Bundesrat wählt. Auch nicht, um endlich Ruhe vor ihm zu haben. Mit Christoph Blocher sprach Markus Somm Herr Blocher, die SVP fordert einen zweiten Bundesratssitz. Heisst dieser zweite Bundesrat Christoph Blocher? Blocher: Nein. Das Parlament wird mich nicht wählen, und ich strebe dies auch nicht an. Aber wenn das Parlament Sie wählte, würden Sie das Amt annehmen? Blocher: Ja, dann müsste ich das tun. Das erfordert mein Amtszwangverständnis. Doch dieses Parlament wählt mich ohnehin nicht. Ist das Koketterie, um die anderen Parlamentarier zu provozieren? Blocher: Nein. Ich vertrete eine bestimmte Politik, und will, dass diese so weit wie möglich umgesetzt wird. Auch als Bundesrat. Würde ich jetzt verkünden, ich sei nicht bereit, mich wählen zu lassen, kämen doch alle und würden mir zu Recht fehlende Verantwortung vorwerfen. Aber befürchten Sie nicht, dass sich die Mitteparteien FDP und CVP sagen: Wenn wir schon der SVP einen zweiten Sitz verschaffen, dann wollen wir wenigstens die Gewähr haben, dass diese Partei nicht mehr auf Opposition macht. Und davor sind wir nur sicher, wenn Blocher im Bundesrat eingebunden wird? Blocher: Nein. Weil sich der Blocher nicht so leicht einbinden lässt. Im Bundesrat unterlägen Sie dem Kollegialitätsprinzip, im Bundesrat wären Sie in der Minderheit. Auch Sie müssten Kompromisse machen. Blocher: Diese Fragen müssen Sie den anderen Parteien stellen. Für uns steht die Frage der Person derzeit nicht im Vordergrund, entscheidend ist für uns: Erhalten wir einen zweiten Sitz oder nicht? Gilt die Konkordanz, dann müsste die SVP auf Kosten der CVP einen zweiten Bundesrat bekommen. Will die CVP aber ihren Sitz nicht abgeben, dann müssen sich FDP und CVP über eines klar werden: Wollen sie die Sozialisten stärken oder die Liberal-Konservativen? Was will denn die Oppositionspartei SVP? Blocher: Opposition ist für uns kein Selbstzweck. Unser Gegner ist der Sozialismus. Damit ist die Frage beantwortet. Uns ist lieber, die SP hat bloss einen Sitz. Noch einmal: Eigentlich müssen CVP und FDP doch alles Interesse daran haben, den ewigen Oppositionellen Blocher im Bundesrat zu zähmen. Blocher: Warum auch? Meinen Sie denn, die zwei SVP-Bundesräte würden nicht dafür sorgen, dass unsere Politik stärker zum Zuge kommt? Aber dann muss auch die SVP ihre Wähler mit Kompromissen vertrösten. Und das könnten Ihre Wähler nicht verstehen. Blocher: Wir machen ja nicht Opposition um der Opposition willen. Wo wir können, sind wir an vorderster Front dabei, zum Beispiel in der Reform der Unternehmensbesteuerung. Aber ein Teil Ihrer Wähler wählt SVP, weil sie faktisch eine Oppositionspartei geworden ist. Blocher: Kennen Sie unsere Wähler so gut? Nein, wenn wir uns durchsetzen, müssen wir nicht opponieren. Und der Wähler wählt uns, weil er unser Programm erfüllt haben will. Wenn wir zwei Sitze fordern, dann ist das eine politische Aussage. Je mehr die Regierung einen Mitte-Rechts-Kurs steuert - wie dies übrigens noch vor acht Jahren selbstverständlich der Fall war -, desto weniger müssen wir dagegenhalten. Und wir werden unsere Meinung im Bundesrat mit aller Kraft einbringen. Also hat es keinen Platz mehr für Adolf Ogi? Blocher: Warum nicht? Weil Ogi in der Europafrage und der Neutralität dezidiert andere Positionen vertritt als die siegreiche Zürcher SVP. Blocher: Da wird er nach diesem Wahlsieg Korrekturen machen müssen. Das ist ganz klar. Das heisst, Sie stellen Adolf Ogi Bedingungen? Blocher: Nicht nur ihm. Aber auch ihm. Wie muss man sich das vorstellen? Blocher: Man wird mit ihm reden müssen. Und schlimmstenfalls muss Ogi um die Wiederwahl bangen? Blocher: Das nicht. Es gibt keine Regierungsmitglieder, die mit ihrer Partei hundertprozentig übereinstimmen. Europa ist eine Schlüsselfrage. Blocher: Ja, aber sehen Sie, bisher war es doch so, dass keiner Bundesrat wurde, der gegen den EU-Beitritt war. Das müssen auch die anderen Parteien überdenken. Glauben Sie, dass die SVP einen zweiten Sitz erhält? Blocher: Nein. Leider bleibt sehr wahrscheinlich alles beim Alten. Aber auch so muss man sehen, dass sich vieles verändert hat: Erstens wird man nach diesem klaren Wählerentscheid zu Gunsten einer bürgerlicheren Politik nicht zur Tagesordnung übergehen können. Zweitens sind sowohl in der SVP als auch in der FDP die rechten Flügel gestärkt worden. Drittens ergeben sich nun im Parlament rein numerisch ganz andere Mehrheiten. Die Linke hat drei Sitze verloren, wir haben 15 gewonnen. Das ist eine Verschiebung von 18 Stimmen. Das heisst, viele Abstimmungen können anders ausgehen als bisher. Die Möglichkeit, eine andere, eine Politik rechts der Mitte zu machen, ist da, ergreifen die anderen bürgerlichen Parteien diese nicht, werden sie 2003 die Quittung dafür erhalten. Mit anderen Worten, die SVP legt 2003 erneut zu? Blocher: Richtig. Aber rechts von der SVP liegt nur mehr die Wüste. Wo holen Sie noch Stimmen? Blocher: Wir haben in der Westschweiz noch ungeheure Möglichkeiten. Das hat diese Wahl deutlich gezeigt. Zudem liegt in den Deutschschweizer Kantonen, wo die SVP nur einen lauen Wahlkampf geführt hat, noch einiges drin. Zum Beispiel im Kanton Bern? Blocher: Die Berner SVP hätte mit Sicherheit viel mehr zulegen müssen. Dass sie sich nur gehalten hat, ist beileibe kein Erfolg. Erfüllt es Sie nicht mit Unbehagen, dass offenbar so viele rechtsextreme Wähler sich der SVP zugewendet haben? Blocher: Diese Aussage können wir nicht bestätigen. Wir haben ein klares, bestimmt nicht rechtsextremes Programm. Wir haben niemanden über unsere Ziele im Unklaren gelassen. Adolf Ogi hat via "SonntagsZeitung" angekündigt, er möchte die Mitglieder der SVP durchleuchten. Machen Sie mit? Blocher: Rechtsextremismus und Rassismus haben keinen Platz in unserer Partei. Exponenten, die solches Gedankengut vertreten, sind auszuschliessen. Aber ich halte es für Gesinnungsschnüffelei, jedes Parteimitglied zu durchleuchten. Zudem wird in diesem Zusammenhang viel geheuchelt. Keine Partei prüft ihre Wähler oder Mitglieder in dieser Art und Weise.

10.10.1999

«Ich bin überzeugt, dass dieses Paket vom Volk abgelehnt würde»

Christoph Blocher zum Verzicht auf ein Referendum gegen die Bilateralen und zum Vorwurf, er sei ein "Hosenscheisser" Ungekürzte Fassung meines Interviews mit der Sonntagszeitung vom 10. Oktober 1999 Autor: Othmar von Matt Christoph Blocher, das Parlament hat Sie am Freitag bei Ihrer Erklärung ausgebuht. Christoph Blocher: Ja. Das ist eigenartig. Eigentlich hätten all diese vehementen Befürworter der bilateralen Verträge und der flankierenden Massnahmen doch klatschen müssen, wäre es ihnen ernst mit den Anliegen. Ihr Vertragswerk wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Realität werden. Warum also diese orkanartig ausgebrochenen Buhrufe? Offensichtlich haben die Parlamentarier nach meiner Stellungnahme plötzlich begriffen, dass sie es nun sind, welche die Verantwortung für diese schlechten Verträge tragen müssen. Dem Volk kann man keine Schuld geben - und dem Blocher auch nicht. Sie sagen zwar Nein zu den bilateralen Verträgen, aber gleichzeitig Nein zu einem Referendum. Weshalb? Blocher: Die bilateralen Verträge zusammen mit den flankierenden Massnahmen bringen für die Schweiz neben unbedeutenden Vorteilen schwerwiegende Nachteile: Arbeitslosigkeit, Lohn-, Leistungs- und Qualitätsnivellierungen nach unten sind die Nachteile (des freien Personenverkehrs). Verhängnisvoll ist, dass der Staat neu Löhne und Normalarbeitsverträge in der Privatwirtschaft festlegen kann. Die Kollektivierung der Arbeitsverträge hat in der Vergangenheit ganze Vokswirtschaften ruiniert. Die Zahlungen von Sozialleistungen auch an Ausländer, die im Ausland wohnen, werden unsere Sozialwerke in die roten Zahlen bringen. All dies schwächt unsere Konkurrenzfähigkeit. Schlimm sind die Folgen auch im Strassenverkehr: Die 28-Tonnen-Limite fällt. Der schwere Transitverkehr fliesst ab 2005 durch unsere Strassen. Daneben bauen wir zwei Eisenbahntransversalen, die niemand benützen wird. Eine ungeheure finanzielle Last für die Schweiz. Sie sehen, diese bilateralen Verträge sind schlecht. Und weshalb unterstützen Sie dann nicht das Referendum? Blocher: Ich ergreife das Referendum nicht, weil selbst die Ablehnung durch das Volk nutzlos wäre. Neue Verhandlungen durch unseren Bundesrat würden keine besseren Ergebnisse bringen. Er ist dazu nicht fähig. Eine scheinheilige Haltung, wie Kritiker rundherum sagen. Parlamentarier bezeichneten Sie gar als "Hosenscheisser" und "Machiavellist", der besser Ski-Slalom-Trainer werden sollte. Blocher: Diese primitiven Äusserungen sprechen für die Hilflosigkeit dieser Parlamentarier. Nochmals: Wäre es ihnen ernst, müssten sie sich freuen. Mit Ihrem "Nein, aber" verraten Sie allerdings das Volk, auf das Sie sich immer berufen. Ehrlicher wäre es gewesen, das Referendum zu unterstützen. Blocher: Wichtige Vorlagen gehören vors Volk. Darum hat die SVP gleich zu Beginn der Debatte im Parlament den Antrag gestellt, das Paket obligatorisch dem Volk zu unterbreiten. Leider wurde dies abgelehnt. Dennoch: Mit Ihrer Einerseits-andererseits-Haltung sind Sie nun definitiv zum Mitglied der von Ihnen so verhassten "classe politique" geworden. Blocher: Ich gehöre weder vor noch nach dieser Abstimmung zu einer "classe politique". Ich lehne das Klassendenken ab. Auch die Politiker dürfen nicht eine "classe politique" bilden. Als kluger Stratege haben Sie natürlich berücksichtigt, dass Sie mit dem Referendum nur verlieren können. Blocher: Ich bin überzeugt, dass dieses Paket in einer ernsthaften Auseinandersetzung vom Volk abgelehnt würde. Aber entscheidend ist, dass damit die Verträge nicht besser würden. Der Bundesrat ist unfähig zu erfolgreichen Verhandlungen. Den Bundesrat als Schuldigen hinzustellen, ist einfach. Als Unternehmer wissen Sie, dass für erfolgreiche Abschlüsse Kompromisse nötig sind. Blocher: Die ganze Verhandlungsstrategie des Bundesrates war falsch. Obwohl er mit der EU Verträge aushandelte, damit die Schweiz nicht der EU beitreten muss, sagte er gleichzeitig: Wir wollen in die EU. Zweitens gab der Bundesrat seiner Verhandlungsdelegation keine klaren Zielsetzungen. Drittens setzte sich der Bundesrat unter Zeitdruck. Und der vierte Fehler: Die oberste Behörde hat plötzlich selbst verhandelt. Was zum Misserfolg geführt hat. Mit Ihrem "Nein, aber" erweisen Sie vor allem der Wirtschaft die Referenz. Sie will diese Verträge, weil sie nicht mehr in die EU will. Blocher: Es ist erfreulich, dass die Wirtschaft immer mehr von einem EU-Beitritt abrückt. Die Wirtschaftsverbände wollen hingegen die bilateralen Verträge. Nicht so sicher bin ich mir allerdings bei der Wirtschaft generell. Auch wenn Sie und die Auns auf das Referendum verzichten, bieten sich Ihnen noch andere Möglichkeiten, es hinter den Kulissen zu unterstützen: über die "Schweizerzeit" zum Beispiel. Blocher: Die Auns ergreift das Referendum nicht, weil mit diesen Verträgen die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz nicht beseitigt werden, im Gegensatz zum EWR und zu einem EU-Beitritt. Ob Ulrich Schlüer mit der "Schweizerzeit" das Referendum unterstützt, weiss ich nicht. Ich stehe aber nicht zur Verfügung. Auch nicht verdeckt? Blocher: Nein. Es gibt kein Wenn und Aber. Ich beteilige mich weder indirekt noch hinter den Kulissen. Sie geben auch kein Geld? Blocher: Nein. Ich stehe weder mit Geld noch mit meinem Namen zur Verfügung. Und wie verhalten Sie sich in einem allfälligen Abstimmungskampf? Blocher: Auch hier stehe ich nicht zur Verfügung. Es ist durchaus möglich, dass das Referendum gar nicht zustande kommt. Ich habe immer damit gerechnet, dass es wahrscheinlich gar kein Referendum geben wird, sofern die Auns und auch die wichtigen Wirtschaftsverbände darauf verzichten. Mit den bilateralen Verträgen scheint ein EU-Beitritt mittelfristig vom Tisch. Verlieren Sie damit Ihr grosses Thema? Blocher: (lacht) Das wäre ja wunderbar. Doch Bundesrat und Parlament wollen trotzdem in die EU. Der Kampf geht weiter. In den letzten zehn Jahren musste ich die Hälfte meiner politischen Arbeitskraft dafür einsetzen, dass die Schweiz nicht an die EU verkauft wird. Heute bin ich der Meinung, dass in der Schweiz mindestens innerhalb der nächsten zehn Jahre ein EU-Beitritt vor Volk und Ständen keine Chancen haben wird. Weder Bundesrat noch Parlament werden sich getrauen, hier vorzuprellen. Und die Wirtschaft will keinen Beitritt. Wo werden Sie in Zukunft Ihre Akzente setzen? Blocher: Entscheidend ist für mich, die Unabhängigkeit, Freiheit und Neutralität des Landes zu verteidigen. Denn diese Unabhängigkeit gibt den Schweizerinnen und Schweizern Handlungsfreiheit, um die Weichen innenpolitisch richtig zu stellen. Innenpolitisch steht für mich im Vordergrund, dass die exzessive Ausdehnung des Staates zurückgebunden werden muss. Das ist die zweite Stossrichtung. Ein kurzfristiges Thema, das jetzt endlich gelöst werden muss, ist die konsequente Unterbindung des Asylmissbrauchs. Sonst entsteht in unserem Land ein vergiftetes Klima. Wo wird man nochmals einen Blocher im heiligen Kampf erleben? Blocher: Ich weiss nicht, wo mir der Kampf aufgezwungen wird. Heute habe ich allerdings bedeutend mehr Einfluss als 1992 - im Jahr der EWR-Abstimmung. Sehr viel Unsinn wird inzwischen im Bundesrat und im Parlament nicht verfolgt, weil man den Kampf nicht aufnehmen will. Die SVP sagte in den letzten zwei Jahren, dass die Schweiz ihre Steuern senken müsse. Plötzlich haben das auch andere Parteien und sogar Herr Villiger realisiert. Fünfzig Prozent des Anliegens haben wir ohne Kampf erreicht (Die Sensibilisierung ist inzwischen vorhanden). Die SVP hat sich stark entwickelt. Welche Perspektiven sehen Sie für die Partei in den kommenden Jahren? Blocher: Sie muss dafür sorgen, dass sie in jenen Kantonen, in denen sie noch nicht vertreten ist, die Partei mit guten Leuten aufbaut. Das betrifft vor, allem die Westschweiz. Wir sind gebietsmässig noch schwach, und daran muss intern gearbeitet werden. Gleichzeitig müssen wir unser Parteiprogramm konsequent verwirklichen, weil die Schweiz in den letzten sieben Jahre die Staatsquote deutlicher als alle anderen europäischen Staaten erhöht hat. Hier müssen wir Gegensteuer geben. Das meiste tue ich ohnehin intuitiv. Und was sagt Ihnen Ihre Intuition? Blocher: (lacht lange) Die Intuition sagt nie etwas. Sie ist immer ruhig. Man entscheidet etwas, weiss nicht so recht weshalb, ist aber ganz sicher, dies tun zu müssen - und hat hinterher grosse Zweifel, weil man nachdenken, hinterherdenken muss. Intuitive Leute haben es nicht einfach. Was hat Ihnen Ihre Intuition zu den bilateralen Verträgen gesagt? Blocher: Ich habe intuitiv gespürt, dass ich diesen Verträgen nicht zustimmen darf, dass ein Referendum nichts bringt. Ich habe nachts stundenlang hin- und herüberlegt: Ist das ein Widerspruch? Ist dies Bequemlichkeit? Wo liegt es? Im Gespräch mit Freunden realisierte ich intellektuell den intuitiven Entscheid. Wo der springende Punkt liegt: Eine unfähige Regierung kann schlechte Verträge, die sie selbst gemacht hat, nicht korrigieren. Das müsste sie aber. Ich selbst bin machtlos, die Verträge liegen ausserhalb meines Einflussbereiches. Die Folgen muss leider die Schweiz tragen. Das ist schmerzhaft.

08.10.1999

Blochersches Wetterleuchten in der Westschweiz

Umgang mit einer Partei, die noch fern und doch schon da ist Für Sie gelesen: Neue Zürcher Zeitung 8. Oktober 1999 Die Westschweiz erlebte das "Phänomen" Blocher während Jahren wie das ferne Donnergrollen eines Gewitters, das nach allen Vorhersagen die Saane nie überqueren würde. Auch heute ist die SVP im Welschland noch eine marginale Erscheinung; sie wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem allfälligen Erfolg der schweizerischen Partei bei den nächsten Wahlen wenig beitragen. Aber es wetterleuchtet. Vorbote welcher Zukunft? rfr. Lausanne, 7. Oktober Wie kommt es, fragt sich die "Liberté", dass Blocher plötzlich im Welschland derart präsent ist und sich der Teufel, als der er hier bis vor kurzem fast ausschliesslich dargestellt wurde, zum irritierenden Teufelskerl mausert? Der Bogen reicht vom grossen, siebenseitigen Interview im "Hebdo" bis zur Einladung in den Lausanner Cercle de la presse. Hat das alles, fragt sich der Freiburger Journalist, nicht Methode? Wird da - und auf Kosten von wem - schon dem Bundesrat Blocher das Terrain geebnet? Achtung: Wolf im Schafspelz Die Westschweiz hat, was die SVP- und Blocher-Kenntnis betrifft, Nachholbedarf. Blocher, das war eine reine Deutschschweizer Erscheinung, der Ober-Nein-Sager, der den EWR bodigte und gegen die Fremden ist, eine Neuauflage von Schwarzenbach, ohne Chancen im weltoffenen Welschland. Der Triumph in Zürich mit seinen möglichen Auswirkungen auf eidgenössischer Ebene schreckte auf. Die Maulkorb-Initiative verdeutlichte, dass es nicht nur um Europa- und Ausländerpolitik geht. Der Wahlerfolg Haiders ("L'Express": "Un Blocher autrichien", "Le Temps": "Haider, Blocher, l'automne des extrêmes") hatte gerade noch gefehlt. Nun entdecken die Romands, dass dieses Ungeheuer "das biedere Gesicht eines guten Onkels" trägt und auch französisch den Volkston trifft. Dem "Hebdo" gesteht Blocher gar, dass er an Gott glaubt und gelegentlich betet, "weil er manchmal das Bedürfnis hat, die Gewissheit wiederzufinden, dass wir gerettet werden". Die Journalisten erleben einen Politiker, den die Joghurt- Attacke vor der Lunch-Debatte nicht im geringsten aus der Ruhe brachte, der sie zwar nicht überzeugte, aber die Diskussion unangefochten beherrschte. Was tun? Das Wochenmagazin mahnt (ungefähr wie das Muttertier im Märchen vom Wolf und den sieben Geisslein seine Jungen), dass (trotz der weissgepuderten Pfote) die "politische Vision einer abwehrenden, sich an die überholte Neutralität klammernden, rechthaberischen Schweiz" gefährlich sei und bleibe. Ihr, nicht dem Menschen, gilt es eine Absage zu erteilen: "Christoph Blocher est sympathique, nous ne voterons jamais UDC." Auf dem Weg zur "nationalen" Partei Die SVP bemüht sich, stärker ins Welschland auszugreifen und zur gesamtschweizerischen Partei zu werden. Noch kann niemand die Hand dafür ins Feuer halten, dass ihr die Expansion gelingt. In traditionelle Parteienlandschaften einzudringen ist schwierig. Weder die SVP noch die CVP schaffte es bisher, im Kanton Neuenburg Fuss zu fassen. Den Liberalen ist es in den letzten Jahren nicht geglückt, sich über ihre Stammlande hinaus zu verbreiten; im Wallis serbelt die Liberale Partei nach einem Anfangserfolg. Die Oberwalliser FDP, die heuer das zwanzigjährige Bestehen feiert, ist erst vor wenigen Jahren nach zäher Aufbauarbeit vielleicht der entscheidende Durchbruch gelungen, als sie das Stadtpräsidium von Brig eroberte. Achtzig Jahre lang warteten die Sozialisten im Wallis auf den Einzug in die Kantonsregierung! Das Welschland ist für die SVP ein hartes Pflaster. In den drei Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt besetzen die Liberalen das Feld rechts der FDP. Es gibt zwar verwurzelte Kantonalparteien in der Waadt und im Kanton Freiburg, aber erstere liegt eher auf der "Berner" Linie, letztere befindet sich (Verlust des Regierungssitzes) jedenfalls nicht in bester Verfassung. Die Waadtländer SVP hätte den Staatsratssitz letztes Jahr wohl nicht (auf der bürgerlichen Liste) zurückerobert, wäre sie auf den Zürcher Kurs eingeschwenkt. Der heutige Staatsrat Jean-Claude Mermoud erklärte im Vorfeld der Wahlen, damals noch Präsident der Kantonalpartei: "Wir werden dank unseren Ideen der politischen Mitte stärker. Ohne Blocher." Verdächtig häufig lassen Maurer und Blocher in letzter Zeit die Bemerkung fallen, dass sie immer öfter Briefe aus dem Waadtland erhielten, in denen der Mangel einer konsequenter gegen Integration auftretenden Partei in diesem Kanton beklagt werde. Es würde nicht erstaunen, wenn die Waadtländer SVP in nächster Zeit einige Turbulenzen zu bestehen haben sollte. Aufbau im Wallis, Ausschluss in Genf Fürs erste zog es die SVP vor, nicht eine bestehende Partei umzupolen, sondern im zweisprachigen Wallis - wo sich der deutschsprachige Kantonsteil als Brückenkopf anbot - eine Neugründung zu forcieren. Sie suchte lange nach einer Basis im Oberwallis und knüpfte im welschen Wallis Kontakte mit der - Ecône nahestehenden - konservativen Absplitterung der CVP, zu welcher der Präsident der schliesslich gegründeten Partei, der die Stimmung im Kanton besser kennt, nun Distanz markiert. Im Wallis ist es der SVP gelungen, eine geographisch relativ breit abgestützte, wesentlich aus dem Gewerbe rekrutierte und von einem Intellektuellen präsidierte Kantonalpartei ins Leben zu rufen. - Die Walliser Erfahrung mag dazu beigetragen haben, dass die schweizerische Parteileitung den Fall des mit der "neuen Rechten" liierten Genfer SVP- Nationalratskandidaten Junod schliesslich zum Anlass nahm, hart durchzugreifen. Die Genfer SVP schleppt sich seit Jahren am äussersten rechten Rand mehr schlecht als recht dahin. Viel Potential geht der SVP nicht verloren, wenn sie diese Kantonalpartei ausschliesst. Im Gegenteil, "tabula rasa" mag den Strategen in Bern und Zürich nur recht sein, sei es, um einen breiter abgestützten Neuanfang nach dem Walliser Vorbild zu ermöglichen, sei es, um den Weg zu einer Annäherung an die Liberale Partei, die heute solche Szenarien allerdings noch weit von sich weist, nicht zu kompromittieren. Veränderte Perspektiven? Fühlt sich das Welschland gegen den "Blocherismus" nicht mehr in aller Selbstverständlichkeit gefeit? Anzeichen deuten auf eine veränderte Einschätzung der längerfristigen Perspektiven. Im Moment bieten die Kantonalparteien der SVP in der welschen Schweiz allerdings noch ein verwirrendes Bild. Es fehlt an Potential, charismatischen Figuren, profiliertem Auftritt. Konkret beunruhigt die SVP deshalb im Hinblick auf die kommenden Wahlen kaum eine der anderen Parteien, ausgenommen im Wallis, wo es besonders offen ist, wie viele Wähler den eingesessenen Parteien davonlaufen. Mit einem Mandatsgewinn der SVP rechnet man im Wallis indes nicht. Ihre Gründung ist eine "längerfristige Investition" (2000 finden kommunale, 2001 kantonale Wahlen statt).

01.09.1999

Nicht mehr mit derselben Leidenschaft

SVP-Nationalrat Christoph Blocher über seine gebremste Lust, die bilateralen Verträge mit einem Referendum zu bekämpfen Interview mit dem Tages Anzeiger vom 1. September 1999 Das Gespräch führten Jean-Martin Büttner und Walter Niederberger Herr Blocher, Sie wirkten etwas fahrig bei Ihrem Ratsauftritt am Montagabend, als wären Sie nicht recht bei der Sache. Blocher: Kein Wunder: Ich musste vorher den ganzen Tag lang den Anderen zuhören. Ich will hier niemandem zu nahe treten, aber: Mit diesen Europafragen schlage ich mich seit 15 Jahren herum, während die anderen immer nur ihre alte Platte laufen lassen, wonach wir zu Europa gehören und sie für die Öffnung eintreten und so weiter. Eine klare Analyse aber, wofür diese bilateralen Verträge letzten Endes gut sein sollen, habe ich nicht vernommen. Sie halten die Verträge zwar für schlecht; besonders engagiert wirken Sie dabei nicht. Blocher: Das ist wahr, aber so ist das immer wieder in der Politik - dass Sie etwas durchgehen lassen müssen, auch wenn Sie nicht davon überzeugt sind. Die Frage für mich ist: Wie schlecht dürfen diese Verträge sein? Wenn wir sie nämlich ablehnen und recht bekommen, muss derselbe Bundesrat, der dann selbstverständlich nicht zurücktreten wird, neue Verträge aushandeln. Bringt er dann bessere? Ich zweifle daran. Er würde in einer solchen Situation doch gar keine besseren Verträge abschliessen können. Blocher: Doch, davon bin ich überzeugt. Wenn der Bundesrat sein EU-Beitrittsgesuch zurückziehen und ohne Zeitdruck nochmals verhandeln würde, kämen garantiert bessere Verträge heraus. Bundesrat und Parlament haben die Schweizer Verhandlungsdelegation geschwächt. Aber das wäre auch im Wiederholungsfall so, und darum käme nichts Besseres dabei heraus. Das kann doch nicht der einzige Grund für Ihre Zurückhaltung sein. Blocher: Nein, es gibt noch andere. Zwei grosse Steine wurden aus dem Weg geräumt: Erstens sind die Einführung der Personenfreizügigkeit in sieben Jahren und die Osterweiterung der EU dem fakultativen Referendum unterstellt. Das gibt Sicherheit. Zweitens zeichnet sich ab, dass der Inlandverkehr durch die Bilateralen nicht diskriminiert wird. Wie das Ganze aber am Schluss herauskommt, bleibt offen. Deshalb werde ich erst am 8. Oktober, nach der Herbstsession entscheiden, ob ich die Verträge ablehne oder nicht. Es kann gut sein, dass ich zwar gegen die Verträge bin, aber selbst kein Referendum lanciere. Wie schätzen Sie die Haltung Ihrer Partei in dieser Frage ein? Blocher: Keine Partei allein schafft 50'000 Unterschriften in drei Monaten, das können Sie gleich vergessen. Also bleibt die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz, und auch die will erst das Resultat der Debatte abwarten. Aber Ihre Auns, das wurde schon im Frühjahr deutlich, will das Referendum auf jeden Fall ergreifen. Geraten Sie da nicht in einen Konflikt mir Ihren grössten Fans? Blocher: Natürlich wollen viele ein Referendum. Wenn ich anderer Meinung bin, muss ich sie halt überzeugen - auf die Gefahr hin, dabei zu unterliegen. Aber es geht nicht nur darum, ob Sie das Referendum unterstützen, sondern auch wie. Und dabei wird deutlich spürbar, dass Sie dazu wenig Lust haben. Haben Sie Angst vor einer Abstimmungsniederlage? Blocher: Nein; die Zurückhaltung hat mit dem Gewicht zu tun, das ich dieser Frage beimesse. Beim EWR habe ich einen Kolonialvertrag bekämpft, von dem ich wusste, dass er zwangsläufig in die EU führt. Heute stehen allenfalls innenpolitisch schlechte Verträge zur Diskussion. Es geht also um Innenpolitik, nicht um die Schweizer Souveränität. Mit derselben Leidenschaft und dem heiligen Zorn, der mich bei der EWR-Abstimmung begleitete, kann ich die Bilateralen nicht bekämpfen. Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn die Schweiz die Verträge ablehnt? Blocher: Für die Schweizer Wirtschaft ist das keine Katastrophe. Die EU wird uns zunächst einmal schneiden, und wir werden erst einmal abwarten. Spätestens nach einem halben Jahr wird Brüssel verhandeln wollen, weil ja der Transitvertrag abläuft und die EU die Alpendurchfahrt braucht. Ausserdem sind wir als Kunde für die EU-Länder die Nummer zwei, nach den USA und vor Japan. Das ist doch eine exzellente Ausgangslage. Aber die Verträge bringen unzweifelhafte Vorzüge für die Schweiz: In der Bildung und in der Forschung, für die Exportwirtschaft und speziell für Swissair, für die Schweizer Grenzregionen... Blocher: Ich sehe gewisse Vorteile: Die Anerkennung von Schweizer Diplomen, die erleichterten Anstellungsbedingungen im Ausland. Von der Teilnahme an der europäischen Forschung halte ich dagegen nichts. Die nationale Forschung, das sagen auch Fachleute, ist weit wirkungsvoller ist als die europäische. Im Kern geht es immer darum, für die getroffenen Entscheide auch die Verantwortung zu übernehmen. Und wenn ein politischer Raum so gross ist wie die Europäische Union, muss niemand für Fehler gerade stehen. Es gibt auch innenpolitische Gründe für Sie, die Bilateralen nicht zu torpedieren. Falls die Verträge nämlich durchkommen, haben Sie zunächst einmal Ruhe. Würden sie abgelehnt, käme sofort der Ruf nach einem EU-Beitritt. Blocher: Das mögen Sie recht haben, aber der Ruf nach einem EU-Beitritt kommt sowieso, die Initiative ist ja hängig. Und die Zeit arbeitet für uns: Je länger wir der EU bei ihrer Entwicklung zuschauen können, desto weniger spricht für sie. Ich sage in jedem Fall eine massive Ablehnung des Beitrittsgesuchs voraus. Die Europafreunde versuchen sich ja auch publizistisch zu profilieren; was halten Sie eigentlich von "Courage", dem europhilen Gratisblatt von vier pro-europäischen Schweizer Organisationen? Blocher: Als das Projekt angekündigt wurde, bekam ich ein bisschen Angst: Noch mehr Europa-Propaganda? Jetzt, nach vier Nummern, kann ich nur sagen: Hoffentlich wird dieses Heft noch möglichst lange verteilt. Wer einen derartigen Mist unter die Leute bringt, nützt nur seinem Gegner - also uns.