Testi

Periodo Consiglio federale

19.11.2004

Die aktuelle Lage in der Asylpolitik

Referat von Herrn Bundesrat Christoph Blocher an der Jahresversammlung der Sozialdirektorenkonferenz (SODK) am 19. November 2004, in Neuenburg 19.11.2004, Neuenburg Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren Ich danke Ihnen für die Einladung zu Ihrer Jahreskonferenz und benutze gerne die Gelegenheit, eine Standortbestimmung in der Schweizerischen Asylpolitik vorzunehmen. 1. Entspannung in der Asylpolitik? 1.1 Rückläufige Gesuchszahlen Ich beginne mit dem Erfreulichen: Die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz ist in den ersten 10 Monaten dieses Jahres weiter gesunken. Besonders ausgeprägt war dieser Rückgang in den letzten zwei Monaten dieses Jahres: Seit dem Frühjahr sind die monatlichen Asylgesuchszahlen in der Schweiz um 29 Prozent zurückgegangen. Dieser Trend dauerte auch im Herbst an, einem Zeitraum, in dem bisher immer ein Anstieg der Gesuchseingänge zu verzeichnen war. Das ist bemerkenswert: Denn Länder wie Schweden, Norwegen oder Holland haben im gleichen Zeitraum eine Zunahme zu verzeichnen, andere stagnierten. Nur in Deutschland sanken die Asylgesuchszahlen ebenfalls, allerdings nur um minus 8 Prozent. Dies ist eine neue, interessante Entwicklung. Noch während des vergangenen Winters entsprach die Entwicklung der Asylgesuche in der Schweiz in etwa dem europäischen Durchschnitt, wobei der Rückgang in unserem Land geringer war, als in andern europäischen Ländern. Der Rückgang, der weit höher ist als der anderer europäischer Länder, dürfte auf 3 Gründe zurückzuführen sein: Bei aller Vorsicht in der Interpretation der Daten: 1. Seit dem 1. April dieses Jahres sind in der Schweiz Personen, auf deren Asylgesuch nicht eingetreten wurde, von der Sozialhilfe ausgeschlossen. 2. Auch wirkt sich der höhere Druck auf eine konsequente Vollzugspolitik aus. 3. Schliesslich trägt auch die Beschleunigung des Asylverfahrens dazu bei, welche dadurch erreicht wurde, dass mehr Entscheide in den vier Empfangsstellen des Bundes gefällt werden. Dass die Reduktion der Sozialleistungen an die Asylsuchenden und die konsequente Handhabung des Asylverfahrens die Gesuchszahlen senken, deckt sich mit der Erfahrung anderer Länder (Dänemark, Norwegen, Holland, Deutschland). 1.2 Bestandeszahlen Weniger ausgeprägt ist der Rückgang der Bestandeszahlen: Ende Oktober 2004 hielten sich rund 57'000 Personen des Asylbereichs in der Schweiz auf. Ende August waren es erstmals seit 1990 weniger als 60'000 Personen. Immerhin sind mehr Personen aus dem Asylprozess ausgeschieden als neu dazugekommen. Allerdings ist der Rückgang von rund 12% gegenüber dem Bestand des Vorjahres ungenügend. Das zeigt der Blick auf die Zusammensetzung der anwesenden Personen aus dem Asylbereich. Der Bestand setzt sich zusammen aus: - 7'000 Personen, deren Gesuch erstinstanzlich hängig ist, (Okt.03/04 -37,9 Prozent) - 11'400 Personen, deren Gesuch noch nicht rechtskräftig ist (-11,8 Prozent) - 15'000 Personen im Vollzug (- 10 Prozent) - und 23'000 vorläufig Aufgenommenen. (-0,8 Prozent) Hierzu ist folgendes zu sagen: Vor allem der Rückgang der Vollzugspendenzen von minus 10 Prozent ist noch ungenügend, ebenso der Rückgang der Pendenzen bei der Asylrekurskommission (ARK) von nur 11,8 Prozent. In der Schweiz leben insgesamt rund 20'000 anerkannte Flüchtlinge, welche nicht mehr im Asylprozess sind und deshalb in den Bestandstatistiken des BFF nicht mitgezählt werden. Dazu kommen rund 4'500 Flüchtlinge, welche sich noch in der finanziellen Zuständigkeit des Bundes befinden. Die übrigen Flüchtlinge haben vor mehr als fünf Jahren Asyl erhalten und sind in die Zuständigkeit der Kantone übergegangen. 1.3 Unbefriedigende Situation bei der Zahl der papierlosen Asylsuchenden Ganz unerfreulich ist die mangelnde Bereitschaft der Asylsuchenden ihre Identität offen zu legen. Rund 80% der Asylsuchenden weisen keine Papiere vor. Derzeit befinden sich rund 10'200 Personen - also etwa gleich viel wie vor einem Jahr - im Prozess der Papierbeschaffung. Diese Arbeit ist äusserst aufwendig, kostenintensiv, personalintensiv und führt in vielen Fällen nicht zum Erfolg. Dies deshalb, weil eine grosse Anzahl von Asylsuchenden sich der Ausschaffung widersetzt, untertaucht oder sich plötzlich als Angehörige eines anderen Staates erklärt. In all diesen Fällen sind die beschafften Papiere hinfällig und so auch die investierte Arbeit. Obwohl die Asylgesuche im vergangen Jahr gesunken sind, ist die Zahl derjenigen Personen, die sich im Prozess der Papierbeschaffung befinden, praktisch gleich geblieben. Dies zeigt, dass alles daran gesetzt werden muss, dass die Asylsuchenden bereits zu Beginn des Asylverfahrens Papiere einreichen, damit der aufwändige Prozess der Papierbeschaffung entfällt. 2. Die aktuelle Diskussion zum Thema Sozialhilfestopp und Nothilfe Das Solothurner Verwaltungsgericht hat am 10. November in vier Fällen entschieden, dass der Bezug der Nothilfe in Fällen unkooperativen Verhaltens der Ausreisepflichtigen unter Umständen verweigert werden darf. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat am 15. November 2004 gerade gegenteilig entschieden, und die Beschwerde von fünf Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid gutgeheissen, denen der Kanton Bern die Nothilfe wegen unkooperativen Verhaltens verweigert hat. Für eine einheitliche Praxis muss eventuell das Bundesgericht in Lausanne sorgen. Ich halte hier mit aller Deutlichkeit fest, dass die Gewährung von Nothilfe lediglich in Nothilfesituationen zu erfolgen hat und dass es sich dabei um eine punktuelle, zeitlich befristete Unterstützung handeln muss. Falsch ist es aber, die Nothilfe als eine Art Sozialhilfesystem auf tiefem Niveau aufzuziehen und damit falsche Anreize zu schaffen. Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid müssen die Schweiz selbstverantwortlich und unverzüglich verlassen, denn sie haben keine Aufenthaltsbewilligung. Sie sind illegal hier. Sie können bei der Vorbereitung der Ausreise organisatorische und finanzielle Unterstützung beanspruchen, haben aber keinen Anspruch auf weitere Unterstützung. 2.1 Monitoring Das Bundesamt für Flüchtlinge überprüft zusammen mit den Kantonen in einem Monitoring die Folgen des Ausschlusses von Personen mit rechtskräftigem Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid aus dem Sozialhilfesystem. Der Bericht über die Erhebungen der ersten drei Monate (April bis Juni 2004) nach Inkrafttreten der Entlastungsmassnahmen liegt vor. Dieser erste Bericht entstand nicht zuletzt dank der Mithilfe der kantonalen Kontaktpersonen, also auch Ihren Mitarbeitenden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die seit 1. April 2004 geltende Regelung der Nothilfe zu keinen grösseren Problemen geführt hat. Auch im Gesundheitsbereich nicht. Insgesamt sind während dieser drei Monate 1'788 Nichteintretensentscheide in Rechtskraft erwachsen. Für 273 Personen oder 15% der Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid mussten die Kantone Nothilfe ausrichten. Unter denjenigen Personen, welche ihr Gesuch nach dem 1. April 2004 eingereicht haben, forderten nur rund 8% Nothilfe. Es ist nochmals zu betonen: Der Sinn der Regelung ist nicht der Bezug der Nothilfe, sondern die Heimreise derjenigen, auf deren Asylgesuch rechtskräftig nicht eingetreten wurde. Die Kosten für individuelle Nothilfe, die mit dem Monitoring erfasst wurden, beliefen sich in den Kantonen in diesem Zeitraum auf rund 162'000 Franken. Zusätzlich wurden jedoch in 13 Kantonen Nothilfestrukturen errichtet, welche Kosten von 449'000 Franken verursacht haben. Das sind keine guten Investitionen: Der Aufbau von speziellen und zusätzlichen Nothilfestrukturen könnte zu einer erhöhten Nachfrage nach Nothilfe führen, was nicht das Ziel der neuen Regelung ist. Ohne diese nicht gerechtfertigten Kosten, entstanden den Kantonen für die Nothilfe somit Kosten in der Höhe von 162'000 Franken. Dabei ist zu beachten, dass Erhebungsverzögerungen sowie Kosten, welche in den ersten Monaten noch nicht abgerechnet werden konnten (insbesondere im medizinischen Bereich), noch zu einer Korrektur führen dürften. Die Nothilfe- und Vollzugspauschalen, die der Bund den Kantonen für den gleichen Zeitraum ausrichtet, belaufen sich auf 1'072'000 Franken. Aufgrund des Vergleichs der Nothilfekosten von ca. 200'000 Franken mit den Bundesabgeltungen in der Höhe von etwas mehr als einer Million Franken ist daher nicht davon auszugehen, dass die Kantone bisher (April 2004 - Juni 2004) von einer nicht kompensierten Kostenverlagerung betroffen waren. Weiter wurde im Monitoring die Dauer des Verfahrens beleuchtet: Von den 1'788 Nichteintretensentscheiden, die von April 2004 bis Juni 2004 in Rechtskraft erwachsen sind, hat das Verfahren bei rund 20% der Personen länger als 6 Monate gedauert (bei gut 7% sogar länger als 1 Jahr). Besonders die Anwendung der neuen Massnahmen auf Personen, die sich lange Zeit in der Schweiz aufhalten und damit ihr Gesuch vor dem 1. April 2004 eingereicht hatten, gestaltet sich für die Kantone und Betroffenen weniger einfach als für die neuen Gesuche. Für diese Personengruppe haben die Kantone grosse Anstrengungen unternehmen müssen und tun dies auch weiterhin, damit diese die Schweiz auch tatsächlich bis Ende dieses Jahres verlassen. Solche Fälle werden jedoch in der Zukunft immer seltener sein. Die Einführung des Sozialhilfestopps bei Personen, die ihr Gesuch nach dem 1. April 2004 gestellt haben, ist vergleichsweise gut verlaufen und es ergaben sich keine grösseren Schwierigkeiten. Eine besondere Problemlage besteht bei den unbegleiteten Minderjährigen. Die Kantone müssen diese wegen des übergeordneten internationalen Rechts unterbringen (Kinderschutzkonvention), erhalten vom Bund aber keine Sozialhilfepauschalen mehr. Das BFF hat diese Problematik erkannt und prüft Lösungen. Schliesslich wurde das Verhalten der betroffenen Personen in den Empfangstellen und den Kantonen sowie gegenüber den Hilfswerken betrachtet. Den Empfangsstellen bringen die neuen Massnahmen bis anhin keine Probleme, weder bezüglich Umsetzung noch bezüglich Auswirkungen. Die Asylsuchenden verhalten sich nach Erhalt des Nichteintretensentscheides im Grossen und Ganzen ruhig und verlassen in aller Regel die Empfangsstelle von sich aus. Mit Hilfe von qualitativen Interviews sollen weitere Auswirkungen des Sozialhilfestopps eruiert werden. Diese Erkenntnisse werden in den Monitoring Jahresbericht Eingang finden, der Mitte 2005 erscheinen wird. Vorher werden zwei weitere Quartalsberichte publiziert, der nächste voraussichtlich Ende 2004. 2.2 Kriminalität Im Monitoringbericht wurde auch die Frage nach allfällig veränderten Verhaltensstrategien der Personen mit einem rechtskräftigen Nichteintretensentscheid bezüglich Ausreise, Delinquenz und Schwarzarbeit betrachtet. Auch wenn eine abschliessende Beurteilung zur Zeit noch nicht möglich ist, lässt sich sagen, dass innerhalb der ersten 3 Monate 200 Personen (das sind 11%) aller Personen mit einem Nichteintretens-Entscheid, insgesamt 265 Mal durch die Polizei angehalten worden sind. Bei 39 Prozent der Anhaltungen ist ausschliesslich der illegale Aufenthalt der angehaltenen Person festgestellt worden. Daneben führten insbesondere Betäubungsmitteldelikte, geringfügiger Diebstahl sowie Hausfriedensbruch zu Anhaltungen durch die Polizei. Bezogen auf alle erfassten Personen mit Nichteintretens-Entscheid ist die von April 2004 bis Juni 2004 beobachtete Delinquenz der Personen mit rechtskräftigem Nichteintretens-Entscheid eher tief. Er betrug 1,1 Prozent bei Diebstahldelikten und 1,6 Prozent bei Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz. Diese Zahlen liegen weit unter den Deliktsraten der Asylsuchenden generell. 3. Geplante Massnahmen zur Bekämpfung von Missbräuchen Die unbefriedigende Situation in einzelnen Bereichen des Asylverfahrens erfordern weitere Massnahmen. Ich habe deshalb dem Bundesrat auf dringende Bitte seitens der Kantone am 25. August 2004 einige Änderungen in der Vorlage zur Teilrevision des Asylgesetzes vorgeschlagen, welchen er in den wesentlichen Punkten zugestimmt hat. Neben der Asylgesetzrevision braucht es weitere Anstrengungen wie den Abschluss von Rückübernahmeabkommen oder die Konzentration der Kräfte im Migrationsbereich durch die Schaffung des Migrationsamtes. Die laufende Asylgesetzrevision, beinhaltet gemäss Botschaft eine Reihe von wesentlichen Änderungen: - Neue Haftbestimmungen - Die humanitäre Aufnahme an Stelle der heutigen vorläufigen Aufnahme - Ein neues Finanzierungsmodell - Die Ablösung des Sicherheits- und Rückerstattungssystems (SiRück) durch ein vereinfachtes System - Anpassungen im Bereich der Krankenversicherung mit dem Ausschluss der Asylsuchenden aus dem Risikoausgleich Der Bundesrat hat zudem am 25. August 2004 beschlossen, die folgenden Ergänzungs- und Änderungsanträge in die Staatspolitische Kommission des Ständerates einzubringen. Im Bereich der Zwangsmassnahmen sind dies: - Die Verlängerung der Maximaldauer der Ausschaffungshaft - Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ein- und Ausgrenzung und - die Einführung der kurzfristigen Festhaltung, dies insbesondere zur Klärung der Identität. Im Bereich der Beschleunigung von Asylverfahren: - Die Änderung des Nichteintretenstatbestandes bei Papierlosen - Die Einführung von Gebühren im Wiedererwägungs-Verfahren vor dem BFF - Die Erweiterung der Datenbekanntgabe im Rahmen des Weg- und Ausweisungsvollzugs - und Massnahmen zur Beschleunigung von Beschwerdeverfahren Schliesslich im Bereich von sozialpolitischer und finanzrelevanter Massnahmen: - Einen Sozialhilfestopp für alle Personen mit einem rechtskräftig negativen Asylentscheid. Als Folge der Ausdehnung des Sozialhilfestopps auf alle abgewiesenen Asylsuchenden befürchtet eine Mehrheit der Kantone eine Kostenverlagerung auf die Kantone. Sorgen bereiten insbesondere jene Personen, welche sich bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorgeschlagenen Massnahmen in der Vollzugsphase befinden. Ich habe diese Bedenken ernst genommen und dem Bundesrat eine Übergangsregelung unterbreitet, wonach der Bund den Kantonen die Sozialhilfe noch während längstens drei Jahren ab Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung pauschal rückerstattet. Die Kantone können damit selbst bestimmen, wen sie wann aus der Sozialhilfe ausschliessen. Damit erhalten sie den nötigen Spielraum um den Sozialhilfestopp ihren Möglichkeiten entsprechend umzusetzen und der Situation von besonders verletzlichen Personen Rechnung zu tragen. Sind einzelne der betroffenen Personen nach drei Jahren immer noch in der Schweiz, erhält der Kanton in jedem Fall die Nothilfepauschale. Für Personen, die nach Ablehnung ihres nach Inkrafttreten der neuen Regelung eingereichten Asylgesuchs die Schweiz verlassen müssen, wird eine einmalige Pauschale ausgerichtet. Die Höhe der Nothilfepauschale wird auf Verordnungsstufe zu regeln sein. Eine Erhöhung gegenüber dem im Rahmen der informellen Konsultation vorgesehenen Betrag wird angesichts ihrer Rückmeldungen geprüft. Mit der neuen Übergangsregelung und mit einer allfälligen Anhebung dieser Nothilfepauschale sollte es den Kantonen ohne Kostenverlagerung möglich sein, das neue Konzept umzusetzen. 4. Rückübernahmeabkommen Die Rückkehr abgewiesener Asylsuchender ist weiterhin ein vorrangiges Ziel. Um die Rückkehr in gewisse Herkunftsländer zu deblockieren braucht es Abkommen mit diesen Staaten. In den vergangenen Jahren wurden rund 20 Abkommen abgeschlossen. In diesem Jahr traten ein Rückübernahme-Abkommen mit Moldavien und der Ukraine in Kraft. Unterzeichnet wurde ein Abkommen mit Slowenien. Mit Georgien und Libanon wurden dieses Jahr Abkommen bereit zur Paraphierung. Zurzeit sind zudem mehrere Abkommen in Vorbereitung und Verhandlung, insbesondere mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie einigen afrikanischen Staaten. 5. Die Zusammenlegung vom Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und vom Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES) Seit 1. Januar 2004 amte ich als Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes. Am 7. Juni 2004 hat der Bundesrat der Zusammenlegung des BFF und des IMES im Grundsatz zugestimmt und am 3. November 2004 Herrn Eduard Gnesa zum Direktor des neuen Amtes gewählt. Ab 1. Januar 2005 wird das Bundesamt für Migration in seinen neuen Strukturen operationell sein. Weshalb diese Zusammenlegung und was soll damit erreicht werden? Eine Analyse der Situation im Asyl- und Ausländerbereich zeigt deutlich, dass nur mit einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise die Probleme im Migrationsbereich gelöst werden können. Die Zusammenlegung der beiden verantwortlichen Ämter ist deshalb ein logischer Schritt weg von einer getrennten Behandlung des Ausländer- und Asylbereichs. Die Idee der Fusion ist nicht neu und stand seit Jahren immer wieder zur Diskussion. Nun wird diese überfällige Zusammenlegung realisiert. 6. Die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen In den letzten Monaten ist es offenbar in den Kantonen und in den verschiedenen Konferenzen zu einer gewissen Verunsicherung gekommen. Die einleitenden Ausführungen Ihrer Präsidentin, Frau Staatsrätin Lüthi, haben dies deutlich gemacht. Der Bund und die Kantone müssen noch besser zusammenarbeiten. Das gemeinsame Tragen der jeweiligen Politik ist deshalb zentrale Voraussetzung für das Funktionieren unseres Staatswesens. Ich habe in den letzten 10 Monaten besonders intensiv mit den Kantonen und besonders intensiv im Asyl- und Sicherheitsbereich zusammengearbeitet. Allerdings sind meine Hauptansprechpartner die Justiz- und Polizeidirektoren. Auch die neuen Asylvorschläge sind auf Wunsch der Kantone entstanden. Und sie wurdenden Kantonen in einer erneuten Konsultation unterbreitet. Was heisst das konkret? - Wir brauchen regelmässige Kontakte und einen offenen Dialog. In welcher Form dieser am besten sichergestellt werden kann, muss noch festgelegt werden. Am Schluss sind es natürlich die Gesamtregierungen, welche die Stellungnahmen abgeben. - Städte und Gemeinden sind keine institutionellen Partner des Bundes, spielen aber heute in vielen Bereichen, insbesondere auch im Migrationsbereich eine wesentliche Rolle und ihr Einbezug ist unerlässlich. In welcher Form die Kantone diesen Einbezug sehen, ist Ihrer Initiative überlassen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

18.11.2004

Weniger neue Asylgesuche seit Fürsorgestopp

Bundesrat Blocher für bessere Integration der Flüchtlinge 18.11.2004, Neue Zürcher Zeitung (Beat Waber und Christoph Wehrli) Der Ausschluss von Asylsuchenden mit Nichteintretensentscheid aus der Fürsorge - Beschränkung auf Nothilfe - ist nach wie vor umstritten. Bundesrat Christoph Blocher nimmt zur Kritik Stellung und legt dar, wie er die Zahl unbegründeter Asylgesuche reduzieren und die Aufnahme von Verfolgten verbessern will. Er äussert sich auch zu anderen aktuellen Fragen aus dem Bereich des Justiz- und Polizeidepartements. Das Berner Verwaltungsgericht hat geurteilt, die Nothilfe an Personen, auf deren Asylgesuch nicht eingetreten worden ist, dürfe nicht an die Bedingung geknüpft werden, dass die Person bei der Beschaffung von Reisepapieren kooperiere. Hatten Sie das erwartet? Nein. Doch es berührt unser Grundanliegen nicht. Es geht um Leute, die das Land verlassen müssen. Wir geben ihnen aber Nothilfe, die das überleben garantiert. Was das Gericht entschieden hat, ist nicht ganz unbedenklich. Die Praxis kann benützt werden für Missbräuche. Die Berner Regierungsrätin Dora Andres sieht allerdings Handlungsbedarf. Wir haben ein Problem mit den Leuten, die sich weigern, ihre Papier zu zeigen, um die Ausschaffung zu verhindern. Jetzt verstärkt sich die Tendenz, dass die Ausschaffungshaft unbefristet sein müsse. Da hat Frau Andres recht. Dies und die Durchsetzungshaft werden in der Asylgesetzrevision verstärkt aufs Tapet kommen. Der Bundesrt hat ja schon entschieden, dass die Dauer der Ausschaffungshaft zu verlängern sei. Sie wollen die Nothilfe unattraktiv gestalten. Stellen Sie dieses Recht denn an sich in Frage? Nein, wir lassen niemand verhungern. Aber wer illegal, ohne Aufenthaltsbewilligung da ist, muss nach Hause. Wenn sich jemand sagen kann, für mich wird gesorgt, selbst wenn ich stehle oder wenn ich meine Identität nicht preisgebe, dann wird es problematisch. Von den Kantonen her verstärkt sich aber auch die Kritik, der Bund wälze die Probleme einfach auf sie ab. Was antworten Sie den Kantonen? Wir decken den Kantonen die Kosten, die ihnen entstehen. Pro Nichteintretensentscheid zahlen wir 600 Franken. In den ersten drei Monaten machte dies eine Million Franken aus. Für die Nothilfe wurden effektiv nur etwa 160 000 Franken aufgewendet, dazu 450 000 Franken für Investitionen; wir wollen aber nicht, dass neue Infrastrukturen errichtet werden. Wir müssen die Leute, die illegal da sind, vielmehr zur Rückkehr veranlassen. Die Praxis hat es auch in anderen Ländern gezeigt: Wenn man mit den Leistungen an die abgewiesenen Asylsuchenden zurückfährt, gehen die Leute schneller nach Hause. Zudem wollen wir, dass weniger Leute ohne Asylgrund in die Schweiz kommen. Und in dieser Hinsicht steht die Schweiz wesentlich besser da als die anderen europäischen Länder. Die Zahl der Asylgesuche sank vom Frühjahr 2004 bis September 2004 um 29 Prozent, während in den anderen westeuropäischen Ländern in der gleichen Periode die Gesuche stabil geblieben oder gestiegen sind. Ein Grund dürfte sein, dass wir die blosse Nothilfe eingeführt und den Druck auf den Asylvollzug erhöht haben. Dänemark hat die Sozialhilfe für das ganze Verfahren der Asylsuche reduziert und hat seither 70 Prozent weniger Asylsuchende, und von denen, die noch kamen, waren der Grossteil echte Flüchtlinge - bei uns sind es lediglich 7 bis 8 Prozent.   Im Bericht über die ersten drei Monate wird festgehalten, es sei für ein Urteil noch zu früh. Dennoch will der Bundesrat das System der blossen Nothilfe auf alle abgewiesenen Asylsuchenden ausdehnen. Das haben der Bundesrat und der Nationalrat bereits beschlossen. Die grossen Städte befürchten Kriminalität und Bettelei. Die Kantone sind nicht grundsätzlich gegen dieses System. Das Problem sind die Fristen und Beträge. Da müssen wir Anpassungen vornehmen. Wenn Asylsuchende jahrelang da sind, sind die vorgeschlagenen Fristen für die Ausreise zu kurz. Und wie schätzen Sie die Gefahr der Kriminalität ein? Die Städte waren immer gegen das Konzept; Sozialhilfe zu geben, ist eben auch einfacher. Von den Personen mit Nichteintretensentscheid fielen in den ersten drei Monaten (April bis Juni) 1,1 Prozent wegen Diebstahldelikten auf und 1,6 Prozent wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz, was eine tiefe Zahl ist. Von einer signifikanten Zunahme kann man keinesfalls sprechen. Es ist anzunehmen, dass viele Weggewiesene in eines unserer Nachbarländer gehen. Das System von Dublin, dem sich die Schweiz anschliessen soll, erlaubt es, festzustellen, woher diese Menschen kommen. Ist nicht damit zu rechnen, dass sie hierher zurückgeschickt werden? Gemäss Dublin müssten wir solche Personen zwar wieder zurücknehmen. Aber der Vorteil ist, dass wir Zweitgesuche auch abgeben können. Die internen Massnahmen der Staaten - das sagen mir auch alle, die bei Dublin schon dabei sind - sind allerdings viel wichtiger. Je weniger erstmalige Gesuche ein Land hat, desto weniger muss es allenfalls zurücknehmen. Sie haben die Aufnahme echter Flüchtlinge erwähnt. Die Asylgesetzrevision sieht für Kriegsflüchtlinge und ähnliche die humanitäre Aufnahme vor. Sie waren dagegen, der Bundesrat hält aber daran fest. Werden Sie dafür kämpfen? Gegen die humanitäre Aufnahme, wie sie der Nationalrat vorsieht, sind alle Kantone, weil sie nach sieben Jahren die Aufgenommenen in ihre Obhut übernehmen müssten. Ich war der Meinung, es handle sich hierbei nur um einen kleinen Teil der heute 23 500 vorläufig Aufgenommenen. Unterdessen habe ich bemerkt, dass 95 Prozent in die neue Kategorie fallen würden. Da kommt die Frage der Bezahlung auf, ebenso die des Familiennachzugs. Die humanitäre Aufnahme soll aber gerade den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern und so die Fürsorgekosten vermindern. Wir suchen jetzt mit den Kantonen eine Lösung, die sie tragen können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ist es nicht ein Illusion, mit einer Rückkehr der Aufgenommenen in ihre Heimat zu rechnen? Wenn jemand in einer Weise verfolgt ist, dass er nicht zurückkehren kann, müssen wir ihn wie einen Flüchtling behandeln. Das wäre konsequent, dafür setze ich mich ein. Aber es kommt noch etwas dazu. Heute haben wir Flüchtlinge in der Schweiz, die seit zwölf Jahren da sind und immer noch von Sozialleistungen leben. Wir sollten sie in kurzer Zeit ausbilden, damit sie möglichst rasch ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten können. Dabei wären sie den Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt gleichgestellt. Was haben sie konkret vor? Ich habe für die gezielte Integration einen Projektauftrag erteilt. Wir haben ja auch viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die hier geboren sind und keine gute Ausbildung haben. Sie sind auf Stellen ausgerichtet, die mit den flankierenden Massnahmen wegrationalisiert werden dürften. Auch hier muss gezielt etwas geschehen. Sollen auch Kriegsflüchtlinge für längere Zeit aufgenommen werden? Ein Krieg ist kein Dauerzustand. Kriegsflüchtlinge sind nicht auf Dauer humanitär aufzunehmen. Nach dem Krieg müssen sie wieder zurückkehren. Nach dem Kosovokrieg war dies ja auch der Fall. Wie sieht die weitere Zukunft aus? Wir müssen den Zustrom von Leuten ohne Asylgründe zurückbinden und vor allem das Problem der Papierlosen bekämpfen. Von den anerkannten Flüchtlingen haben 70 Prozent Papiere, von den anderen haben 80 Prozent keine. Erste Massnahmen sind ergriffen worden: Asylsuchende ohne Ausweispapiere können zum Beispiel kein Handy kaufen und keinen Fahrausweis bekommen. Wenn wir die genannten Probleme im Griff haben, können wir eine Asylpolitik betreiben, die grösserflächiger ist. Denn das heutige Asylverfahren ist nicht für eine Massenwanderung gemacht. Ein anderes Thema: die Einbürgerung. Sie haben einen Bericht in Auftrag gegeben. Und die Ständeratskommission hat gerade neue Vorschläge präsentiert. Wie stellen Sie sich dazu? Bei der Bestandesaufnahme geht es zum Beispiel um die Frage der Moblilitätshindernisse und zunehmend auch um das Doppelbürgerrecht. Manche, speziell Muslime, können gar nicht auf ihr erstes Bürgerrecht verzichten. Da stellt sich die Frage: Wo liegt nun die Loyalität? Ich habe hier aber noch keinen Entscheid gefällt. Wir brauchen noch bis etwa Mitte des nächstens Jahres. Beim Verfahren bin ich für eine demokratische Einbürgerung. Es stellt sich aber die Frage, ob man mit einem Beschwerderecht noch voll demokratisch sein kann. Kommt eine neue Einbürgerungsvorlage? Nach drei Nein mit einer neuen Einbürgerungsvorlage zu kommen, wäre chancenlos und auch respektlos. Sie haben kürzlich eine Revision des Staatsschutzgesetzes angekündigt, mit der präventive Telefonabhörungen möglich werden sollen. Weshalb erachten Sie dies als nötig? Wir haben im Bundesrat den Grundsatzentscheid gefällt, aber noch nicht konkretisiert. Der Fall des mutmasslichen Terroristen Achraf hat erneut gezeigt, dass andere Länder weniger restriktiv sind. Spanien konnte verdächtigte Personen präventiv abhören, auch bei Telefongesprächen aus der Schweiz. Ich bin aber entschieden dagegen, zu weit zu öffnen und gleich jeden abhören zu lassen. Wir planen deshalb, nicht einen Leiter der Nachrichtendienste, der Bundeskriminalpolizei oder der Kantonspolizei zu präventiven Abhörungen zu ermächtigen, sondern zum Beispiel ein kleines Gremium, das zum Beispiel aus drei pensionierten Strafrichtern bestehen würde. Es sollen erfahrene Personen sein, es muss rasch gehen, und die Stelle muss nicht permanent besetzt sein, weil wir gar nicht Hunderte solcher Abhörungen wollen. Denkbar ist auch ein Entscheid auf Stufe Departement oder Bundesrat. Der Persönlichkeitsschutz muss auf jeden Fall gewährleistet sein. Wo besteht überhaupt eine Lücke? Bei Verdacht auf Vorbereitungshandlungen oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung greift ja bereits das geltende Strafrecht. Man braucht aber viel, um den Verdacht zu erhärten - etwas zu viel. Wir haben nach der Fichenaffäre die Behörden wohl etwas zu stark zurückgebunden. Jetzt müssen wir den richtigen Mittelweg finden. Wird jemand als gefährlich eingeschätzt - zum Beispiel gewaltbereite Extremisten oder aufgrund von Hinweisen ausländischer Behörden -, so stellt sich die Frage, ob man bereits mit der Abhörung einsetzen darf, auch ohne konkreten Verdacht auf eine Vorbereitung von Straftaten.

12.11.2004

Zehn Jahre danach

10-jähriges Jubiläum der «Assemblée interjurassienne», Sprechnotiz von Bundesrat Ch. Blocher, Moutier, 12. November 2004 12.11.2004, Moutier Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrter Herr Präsident der "Assemblée interjurassienne", Sehr geehrte Mitglieder der "Assemblée", Sehr geehrte Herren Regierungspräsidenten der Kantone Bern und Jura, Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, Sehr geehrte Damen und Herren, Einführung Vor zehn Jahren, am 11. November 1994, trat die "Assemblée jurassienne" hier in Moutier zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Damals schon vertraten die Herren Regierungsräte Annoni und Roth die Kantone Bern und Jura. Der Bundesrat war durch Herrn Arnold Koller vertreten. Man kriegt fast den Eindruck, kantonale Karrieren dauerten länger als diejenigen im Bund, und auch als diejenigen der Mitglieder der "Assemblée": Von den 24 Mitgliedern waren nur vier, nämlich Frau Maryvonne Schindelholz und die Herren Hubert Frainier, André Lecomte und René Schaffter, schon an der Eröffnungssitzung der "Assemblée" dabei. Der Jurakonflikt war zweifellos eine der heftigsten Auseinandersetzungen, welche die moderne Schweiz seit dem Sonderbundskrieg durchgemacht hat. Zwar war der Jurakonflikt geographisch limitierter und betraf zum Teil blosse Tagesinteressen, aber er berührte doch auch grundlegende Werte unserer nationalen Kultur: Die Sprache, die Religion, die Geschichte, den Bundesfrieden. Die zwischen der bernischen und der jurassischen Regierung und dem Bundesrat geschlossene Vereinbarung vom 25. März 1994 markiert mit der Gründung der "Assemblée interjurassienne" den Ausgangspunkt zu einer Lösung des Konflikts im gegenseitigen Einvernehmen. Dieses Vorgehen entspricht auch der neuen Bundesverfassung, welche in Artikel 44 Absatz 3 festhält, dass Streitigkeiten zwischen Kantonen oder zwischen Kantonen und dem Bund nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt werden sollen. Bilanz und Vergangenheit Zehn Jahre sind seither vergangen. Ein Geburtstag lädt dazu ein, Bilanz zu ziehen, zu fragen, was erreicht worden ist . Ihre Bilanz fällt äusserst positiv aus. Wichtiger noch als gutgeheissene Resolutionen oder gemeinsame Institutionen, die verwirklicht worden sind oder geplant werden, ist der interjurassische Dialog, den Sie erfolgreich in Gang gebracht haben. Es war ein konstruktiver, von einem positiven Geist getragener Dialog. Gestatten Sie, dass ich an dieser Stelle die drei politischen Persönlichkeiten erwähne, welche in den letzten zehn Jahren Ihre Arbeiten geleitet haben. Unter dem ersten Präsidenten Ihrer Versammlung, Herrn Bundesrat René Felber, wurde Pionierarbeit geleistet. Es waren wichtige Weichen. Dies brachte die "Assemblée" in Schwung und verlieh ihr die nötige Dynamik. Unter Herrn Nationalrat Jean-François Leuba, dessen kürzlicher Tod uns alle mit grosser Trauer erfüllt, wurden neue Dimensionen eröffnet. Es gab Ihrer Arbeit ein stärkeres Profil. Seit über zwei Jahren leitet nun Herr Serge Sierro Ihr Gremium. Der Bundesrat ist dankbar, dass er diese Aufgabe übernommen hat und dass er es auf sich nimmt, diese wichtige Aufgabe weiterzuführen. Zukunft Schon zehn Jahre "Assemblée"? Um ganz genau zu sein, wie das im "Uhrenland" Jura ja Verpflichtung ist, sind es exakt zehn Jahre und ein Tag. Eine unnötige Präzisierung? Ein Detail? Vielleicht doch nicht. Ich sehe darin etwas Symbolhaftes: Sie packen Ihre Zukunft an. Dieser eine, zusätzliche Tag steht für die neue Etappe, die Sie bei der institutionellen Frage in Angriff genommen haben. Ich habe mit Interesse verfolgt, in welcher Weise Sie am heutigen Nachmittag darüber diskutiert haben. Sollte es diesbezüglich noch Zweifel gegeben haben, so beweist gerade diese Idee, dass Sie keine Tabuthemen akzeptieren wollen. Ich hoffe, dass Sie die Diskussion darüber in aller Ruhe weiter führen. Der "jurassische Bogen der Mikrotechnik" An dieser Stelle möchte ich eine Ihrer Initiativen besonders hervorheben: Sie wollen ein Projekt für einen "jurassischen Bogen der Mikrotechnik" auf die Beine stellen. Dieses Vorhaben erscheint mir als zukunftsweisend. Da geht es um ein ambitiöses und intelligentes Projekt, das Personen zusammenführt. Ein Projekt, welches das nationale und internationale Ansehen einer ganzen Region aufzuwerten vermag. Erwartungen Es ist sehr anspruchsvoll, ein Projekt wie dasjenige des "jurassischen Bogens der Mikrotechnik" zu entwickeln. Aber es hilft, Ihre Region wirtschaftlich und kulturell voran zu bringen. Der Kanton Jura und der Berner Jura haben Grund genug, stolz auf sich zu sein und das Augenmerk Anderer auf sich zu lenken. Ein solches gemeinsames Projekt kann Wohlfahrt, wirtschaftliche Prosperität - kurz Zukunft - bringen! Verstehen Sie mich richtig: Ich halte niemanden dazu an, seine Überzeugungen aufzugeben! Überzeugungen dürfen jedoch nicht zum Bremsklotz werden, der Ihre Arbeit blockiert. Sie, meine Damen und Herren der "Assemblée interjurassienne", führen nun schon seit zehn Jahren einen Dialog, der in seiner konstruktiven, sachbezogenen und zukunftsorientierten Art beispielhaft ist. Sie mussten sich deswegen nicht selber verleugnen oder Ihre Überzeugungen aufgeben. Zehn Jahre und einen Tag nach Ihrer ersten Sitzung wünsche ich mir, dass wenn vom Jura oder Berner Jura die Rede ist, das Bild einer dynamischen, über kantonale Grenzen hinaus erfolgreichen Zusammenarbeit haften bleibt. Ein Prozess, der für die ganze Region nur von Vorteil sein kann. Ich danke Ihnen, dass Sie auch nach zehn Jahren weiter daran arbeiten, gemeinsam mit der bernischen und der jurassischen Regierung und mit der Unterstützung des Bundesrates. Ich wünsche Ihnen, ich wünsche Ihrer Region, ich wünsche der AIJ viel Prosperität und innovative Lösungen für die Zukunft.

03.11.2004

Wie weiter in der Migrationspolitik

Referat von Bundesrat Christoph Blocher bei der SVP des Kantons Aargau, Mehrzweckhalle Holziken, Mittwoch, 3. November 2004 03.11.2004, Holziken Es gilt das gesprochene Wort Einleitende Bemerkungen Seit meinem Amtsantritt als Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) am 1. Januar 2004 ist nahezu ein Jahr vergangen. Ich habe mich seither auf jene Themen meines Departements konzentriert, in denen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger möglichst rasch Lösungen gefunden werden müssen. Einer dieser Bereiche ist die Asyl- und Ausländerpolitik. Hier gibt es - und darin sind sich sowohl die Bevölkerung als auch die zuständigen Behörden in Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden einig - Probleme. Diese sind zu lösen. Eine intensive Analyse der Situation im Asyl- und Ausländerbereich hat gezeigt, dass nur eine ganzheitliche Betrachtungsweise eine brauchbare Lösung bringen wird. Zwischen der Asyl- und Ausländerpolitik bestehen zahlreiche Überschneidungen. Diese müssen im Rahmen einer schweizerischen Migrationspolitik angegangen werden, die drei Zielen dient: Dem Wohlstand des Landes, der Sicherheit der ganzen Bevölkerung und dem Schutz von echt Verfolgten. Weshalb eine schweizerische Migrationspolitik? I. Ausgangslage: Veränderte Rahmenbedingungen Die Situation im Asyl- und Ausländerbereich hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Dies verdeutlichen die folgenden drei Punkte: - Aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs seit den 1960er Jahren hat die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte stark zugenommen. Ebenfalls gestiegen ist der Anteil der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung - von 11% im Jahre 1960 auf 20,2% heute. Die Herkunft der Einwanderer änderte sich laufend. Früher kamen vor allem Italiener, Portugiesen und Spanier, häufig beruflich wenig qualifiziert. In den 80er Jahren wurden sehr viele Arbeitskräfte aus dem damaligen Jugoslawien rekrutiert. Und heute bilden Deutsche und Portugiesen die grösste Einwanderergruppe. Die nationale Ausländerpolitik war stets ein innenpolitisch kontrovers diskutiertes Thema. Von 1965 bis 1995 wurden insgesamt sieben Volksinitiativen für Begrenzungsmassnahmen eingereicht, die teils nur knapp scheiterten. - Seit dem Erlass des ersten Asylgesetzes im Jahr 1979 haben sich die Herkunft und die Fluchtgründe von Asylsuchenden geändert. Bis Ende der 1970er Jahre wurden die Asylgesuche mehrheitlich von Menschen aus osteuropäischen (damals kommunistischen) Ländern eingereicht, von denen viele in der Schweiz aufgenommen wurden. Seit Beginn der 1980er Jahre hingegen kommt die Mehrzahl der Asylsuchenden aus Ländern der Dritten Welt. Viele dieser Personen erfüllen die Kriterien nicht, um als politische Flüchtlinge oder schutzbedürftige Personen anerkannt zu werden. - Die Migration ist ein weltweites Phänomen. Insgesamt leben heute schätzungsweise 175 Millionen Menschen ausserhalb ihres Heimatlandes. Viele flüchten vor Krieg, Armut, Hunger und Not. Sie suchen Schutz vor Verfolgung oder ein besseres Leben. Ein Teil dieser Menschen kommt in die Schweiz. Darunter sind Flüchtlinge, deren Anspruch auf Schutz in der Schweiz anerkannt wird; und Arbeitssuchende, die einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand unseres Landes leisten. Aber es sind auch etliche darunter, die kein Bleiberecht in der Schweiz erhalten und wieder ausreisen müssen. II. Herausforderungen an die zukünftige Migrationspolitik Aufgrund dieser Entwicklungen steht die Schweiz vor wichtigen Herausforderungen: - Um den Wohlstand zu sichern, muss die Schweiz offen und attraktiv für tatsächlich benötigte ausländische Arbeitskräfte bleiben, vor allem für gut qualifizierte. Wir müssen festlegen, welche Menschen in der Schweiz leben und arbeiten dürfen und welche nicht. - Es ist sicherzustellen, dass echt Verfolgte nach wie vor in der Schweiz Schutz finden und aufgenommen werden. - Um das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten erfolgreich zu gestalten, müssen sich Menschen, die ein Bleiberecht in der Schweiz haben, so gut wie möglich integrieren. Dies gilt für Arbeitskräfte und deren Familien ebenso wie für Flüchtlinge. - Um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten sind die illegale Migration und der Missbrauch des Asyl- und Ausländerrechts möglichst zu verhindern. Eine schweizerische Migrationspolitik, die von der Bevölkerung mitgetragen wird und die Behörden auf allen Stufen entlastet, muss sich diesen Herausforderungen verstärkt stellen. Hierzu werden in vielen Bereichen, zum Beispiel bei der geplanten Revision des Asylgesetzes und des neuen Ausländergesetzes, bereits wichtige Vorschläge gemacht. Ich will darauf nun näher eingehen. Asylpolitik I. Um was geht es? Personen, die tatsächlich verfolgt sind und in der Schweiz um Schutz ersuchen, erhalten diesen auch. In der Schweiz leben rund 24'500 anerkannte Flüchtlinge. Weitere rund 23'500 Personen haben zudem unter dem Titel der vorläufigen Aufnahme eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Entwicklung im Asylbereich für das laufende Jahr zeigt folgende Trends auf (Stand 30.9.2004): - Das Total der Personen im Asylbereich (ohne anerkannte Flüchtlinge) hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich abgenommen. Betrug deren Anzahl im Jahr 2002 66'500 Personen, so sind es für dieses Jahr noch 58'000 Personen. Dies entspricht einer Abnahme von über 10%. - Die Verfahrens- und Vollzugspendenzen sind im Vergleich zur Vorjahresperiode um gut 15% gesunken. Die Zahl der erstinstanzlichen Pendenzen konnte um mehr als ein Drittel gesenkt werden. - Die Zahl der Asylgesuche ist im Vergleich zur Vorjahresperiode um knapp 30% gesunken. - Im Vergleich zur Vorjahresperiode konnten die Pendenzen der Asylrekurskommission leicht gesenkt werden (Pendenzenrückgang um 12%). II. Wo brennt es? In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde 1'202 Personen Asyl gewährt. Dies entspricht einer Anerkennungsquote von knapp 9 Prozent. Zudem erhielten knapp 3'300 Personen des Asylbereichs eine vorläufige Aufnahme. Schwierigkeiten gibt es im Hinblick auf jene Personen, welche die Schweiz verlassen müssen. Mehr als drei Viertel aller Asylsuchenden können keine asylrelevanten Gründe vorbringen. Viele dieser Personen verlassen die Schweiz nicht pflichtgemäss und weigern sich, mit den Behörden bei der Vorbereitung der Ausreise zusammenzuarbeiten. Dies führt dazu, dass die Zahl der Personen im Vollzugsprozess trotz leicht rückläufigem Trend noch immer sehr hoch ist. 1. Fehlende Identitätspapiere Die Mehrzahl der Asylsuchenden gibt keine amtlichen Identitätspapiere (Pass oder Identitätskarte) ab, sei es, dass sie über keine Papiere verfügen, diese während der Flucht ihren Schleppern abgeben mussten, oder dass sie diese willentlich vernichten. Im vergangenen Jahr (2003) hat nur rund ein Fünftel aller Asylsuchenden entsprechende Papiere vorgelegt (21,7%). Die Zahl der Personen, für die im Hinblick auf ihre Ausreise Papiere beschafft werden müssen, ist in den letzten zwölf Monaten gestiegen. Wegen fehlender Papiere kann in vielen Fällen die Wegweisung nach einem rechtskräftigen Asylentscheid nicht vollzogen werden, da ein Staat nur Staatsangehörige mit gesicherter Identität zurücknimmt. Viele Asylsuchende reisen mit Hilfe von Schleppern über die "grüne Grenze" in die Schweiz ein. Hierzu ist zu bemerken, dass oft nur punktuelle Grenzkontrollen durchgeführt werden. Auch kommt es vor, dass Asylsuchende ein Touristenvisum benutzen, um legal in die Schweiz einzureisen, und ihre Identitätspapiere nachher verstecken oder vernichten. 2. Vollzug der Wegweisung Der Vollzug der Wegweisung kann nur ungenügend durchgesetzt werden. Von den insgesamt rund 15'000 Abgängen der vergangenen neun Monate sind nur rund 2'000 Personen pflichtgemäss ausgereist. Die grosse Mehrheit (rund 8'000) ist untergetaucht, das heisst, entweder unkontrolliert ausgereist oder weiterhin ohne Bewilligung in der Schweiz anwesend. Die Behörden können dazu keine Angaben machen. Allein mit den bestehenden Zwangsmitteln wird es immer schwieriger, ausreisepflichtige Asylsuchende zur Kooperation und zum Vorlegen der notwendigen Ausreisepapiere zu bewegen. Auch die Verhandlung von Rückübernahmeabkommen ist schwierig. Die Schweiz sieht sich zunehmend mit Gegenforderungen wie beispielsweise der Zulassung zum Arbeitsmarkt konfrontiert. Als Folge davon verbleiben viele abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz, meistens illegal. Dies wiederum stellt die Kantone, Städte und Gemeinden vor grosse Sicherheits- und soziale Probleme mit bedeutenden Kostenfolgen. III. Lösungen Durch Massnahmen auf verschiedenen Ebenen wird es möglich sein, die genannten Probleme mittel- und längerfristig besser zu bewältigen. Lösungsmöglichkeiten gibt es in folgenden Bereichen: - Konsequente Nutzung bestehender Handlungsspielräume; - Verbesserungsvorschläge im Rahmen der Asylgesetzrevision; - Längerfristig grundlegende Änderungen des bestehenden Asylsystems. 1. Kurzfristige Lösungen: Handlungsspielräume optimal nutzen Kurzfristig müssen die bestehenden Handlungsspielräume optimal genutzt werden. Das bedeutet beispielsweise, dass wo immer möglich Rückübernahmeabkommen abgeschlossen werden, womit die Bereitschaft zur Rückübernahme erhöht wird. Ein anderes Beispiel ist die konsequente Anwendung der Zwangsmassnahmen durch die Kantone. 2. Massnahmen im Rahmen der Teilrevision des Asylgesetzes Im Rahmen der Teilrevision des Asylgesetzes hat der Nationalrat in seiner Sondersession vom Mai dieses Jahres verschiedenen Vorschlägen zugestimmt, die Verbesserungen bringen werden. Besonders hervorzuheben sind vier dieser Massnahmen: Ein neues Finanzierungssystem: Neu richtet der Bund den Kantonen für jeden Asylsuchenden aufgrund der durchschnittlichen Verweildauer im Verfahrens- und Vollzugsprozess eine Pauschale aus. An Stelle der zahlreichen Einzelpauschalen tritt eine Globalpauschale. Unabhängig von der Anzahl Tage, die ein Asylsuchender im Kanton verbleibt, richtet der Bund eine bestimmte Summe an den Kanton aus. So werden Anreize für die Kantone geschaffen, die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient zu nutzen. Einführung der humanitären Aufnahme: Damit kann ein Teil der heute vorläufig Aufgenommenen, die wegen einer gefährlichen Situation im Herkunftsland unverschuldet längere Zeit in der Schweiz bleiben, besser integriert werden. Neuerungen in der Zusammenarbeit mit Herkunftsländern von Asylsuchenden: Zum einen ist der Bundesrat verpflichtet, Verhandlungen über Rückübernahmeabkommen anzustreben. Zum anderen hat er die Möglichkeit, Entwicklungshilfegelder an Staaten, die im Bereich der Rückübernahme nicht kooperieren, zu streichen. Neu können die Schweizer Behörden nun bereits nach einem erstinstanzlichen negativen Asylentscheid Kontakt mit Heimat- und Herkunftsländern von Asylsuchenden aufnehmen, um die notwendigen Reisepapiere zu beschaffen. Verschiedene Massnahmen mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung. 3. Verbesserungsvorschläge für die Beratung im Ständerat Der Bundesrat hat mich in meinem Anliegen unterstützt, Vorschläge in der vorberatenden Kommission des Ständerates einzubringen, die die Papierbeschaffung erleichtern, den Vollzug verbessern, das Verfahren beschleunigen und neue Sanktionsmöglichkeiten schaffen, im Umgang mit renitenten Asylbewerbern, das heisst solchen, die sich den Anordnungen der Behörden widersetzen. Es handelt sich um folgende Massnahmen: - Ausschluss aus der Sozialhilfe für alle abgewiesenen Asylsuchenden mit rechtskräftig negativem Entscheid; - Die Verlängerung der Ausschaffungshaft auf eine Maximaldauer von 18 Monaten; - die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ein- und Ausgrenzung nach einem negativen Asylentscheid; - Einführung einer kurzfristigen Festhaltung; - Einführung einer Bestimmung, welche das Eintreten auf Asylgesuche grundsätzlich vom Vorliegen von vollzugsgenüglichen Ausweispapieren abhängig macht, es sei denn, es handle sich um tatsächliche Flüchtlinge; - Einführung einer Kostenvorschusspflicht bei ausserordentlichen Rechtsmitteln; - Beschleunigung der Beschwerdeverfahren; - Erweiterung der Datenbekanntgabe im Rahmen des Weg- und Ausweisungsvollzugs. Inwiefern die vom Bundesrat abgelehnte Durchsetzungshaft sowie das neue Konzept der vorläufigen Aufnahme in den eidgenössischen Räten wieder aufgenommen wird, bleibt abzuwarten. Ausländerpolitik I. Um was geht es? Die Schweiz ist - wie alle entwickelten Staaten in- und ausserhalb Europas - auf die Mitarbeit ausländischer Arbeitskräfte angewiesen. Rund ein Viertel der Arbeitsplätze in der Schweiz werden von Ausländerinnen und Ausländern besetzt. Dass dies vermutlich auch in Zukunft der Fall sein wird, zeigt sich bereits aufgrund der erwarteten demographischen Entwicklung. Die Migrations- und Ausländerpolitik wird uns also auch künftig stark beschäftigen. Bei der Ausländerpolitik geht es um den Entscheid - welche Ausländerinnen und Ausländer bei uns wohnen und arbeiten dürfen (Zulassung); - welche Aufenthaltsregeln für diese Personen gelten und wie sie sich integrieren sollen und müssen; - wie die illegale Migration und der Missbrauch des Ausländerrechtes zu bekämpfen sind. II. Welche Zulassungspolitik? Bei der Regelung der Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens könnte man alle Ausländerinnen und Ausländer aufnehmen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Diese Politik wäre nur machbar, wenn für eine längere Übergangszeit keine Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit ausgerichtet würden. Eine solche ungebremste und unkontrollierte Zulassung würde zu grösseren Integrationsproblemen etwa in den Schulen und in den Wohnquartieren sowie zu grösseren wirtschaftlichen und finanziellen Problemen führen. Erfahrungsgemäss reisen Personen, die ihre Stelle verlieren, in der Regel nicht aus, sondern versuchen, sich mit Schwarzarbeit durchzuschlagen, was nicht in unserem Interesse ist. Eine zweite Möglichkeit ist die Steuerung der Einwanderung mit dem dualen Zulassungssystem, für das sich der Bundesrat und der Nationalrat ausgesprochen haben. Dieses besteht aus der schrittweisen Einführung des gegenseitigen freien Personenverkehrs mit den EU- und EFTA-Staaten und einer beschränkten Zulassung für beruflich gut qualifizierte Personen aus Drittstaaten. Diese seit einigen Jahren bewährte Praxis soll auch mit dem neuen Ausländergesetz weitergeführt werden. Das geltende Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer ANAG stammt aus dem Jahr 1931; ein erster Anlauf für ein neues Ausländergesetz scheiterte 1982 knapp in einer Volksabstimmung. Eine grundlegende Anpassung dieses Gesetzes an die heutigen Herausforderungen ist notwendig. Sie gibt dem Parlament auch die Gelegenheit, die Grundsätze der Migrationspolitik im Ausländerbereich festzulegen, die der Bundesrat bisher weitgehend auf dem Verordnungsweg geregelt hat. III. Wo brennt es? Die Zulassung der ausländischen Arbeitskräfte funktioniert heute gut und unbürokratisch. Die Hauptprobleme im Ausländerbereich betreffen die illegale Einwanderung, den illegalen Aufenthalt in der Schweiz, den Rechtsmissbrauch (v.a. missbräuchliche Asylgesuche, Scheinehen) und die teilweise mangelhafte Integration. Zu oft wird der Aufenthalt in der Schweiz auch für die Begehung von Straftaten missbraucht - etwa im Drogenbereich - oder es wird Schwarzarbeit verrichtet. Dies zeigt der Bericht über illegale Migration, den die Bundesbehörden verfasst haben. Er wird bestätigt durch viele Kantons- und Gemeindevertreter, die für den Sozialbereich, die Polizei oder den Strafvollzug zuständig sind. Viele Kantone beklagen, dass ihnen zuwenig griffige Instrumente zur Verfügung stünden, um gegen Missbrauch effizient vorzugehen. IV. Lösungen Die Missbrauchsbekämpfung wird mit dem neuen Ausländergesetz verstärkt, insbesondere in den Bereichen des Familiennachzugs, der Schwarzarbeit, der Zwangsmassnahmen und der Schlepperbekämpfung. Das neue Ausländergesetz enthält hier wichtige Verbesserungen. Als Beispiele sind zu nennen: - Verweigerung oder Widerruf der Eheschliessung bei Scheinehen; - neuer Straftatbestand: Täuschung der Behörden (v.a. durch Scheinehen); - generell erhöhte Strafandrohungen bei einer Missachtung des Gesetzes; - Wirksame Sanktionen gegen Fluggesellschaften, welche Personen in die Schweiz bringen, die die Einreisebestimmungen nicht erfüllen; - besserer Datenaustausch zwischen den Behörden sowie auch zwischen Behörden und Fluggesellschaften; - Möglichkeit der Registrierung biometrischer Daten etwa in Ausweisen. Die mit der Revision des Asylgesetzes vorgesehenen Verschärfungen im Bereich der Zwangsmassnahmen werden sich zudem auch auf das neue Ausländergesetz auswirken, da diese Bestimmungen sowohl für Personen aus dem Ausländer- wie auch aus dem Asylbereich gelten. Im Bericht zur illegalen Migration werden noch weitere Massnahmen vorgeschlagen, deren Umsetzbarkeit nun geprüft wird: zum Beispiel verstärkte mobile Grenzkontrollen, die systematische Erfassung von biometrischen Daten bei der Visumserteilung und in den Ausländerausweisen sowie die vermehrte Ausrichtung der Integrationsmassnahmen auf die Gewalt- und Krimininalitätsbekämpfung. Die schweizerische Migrationspolitik der Zukunft Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft tun: Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Asyl- und die Ausländerpolitik eng verzahnt sind. Beispielsweise ist es bei der Bekämpfung der illegalen Migration oder beim Vollzug der Wegweisung von Asylsuchenden und illegal anwesenden Ausländern und Ausländerinnen sinnvoll, Synergien aufzuzeigen und diese konsequent zu nutzen. Wir versuchen dies sowohl auf der gesetzgeberischen Ebene umzusetzen wie auch mit organisatorischen Massnahmen zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass die Zusammenschliessung des Bundesamtes für Flüchtlinge und des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung mithilft, die Probleme umfassend anzugehen. Migration wird es auch in Zukunft geben, verstärkt sogar. Dabei muss aber - neben dem unbestrittenen Schutz von echt verfolgten Flüchtlingen - auch die Frage erlaubt sein: Welche Migration nützt unserem Land? I. Gelenkte Zuwanderung Der Zuzug von Arbeitsmigranten wird für die Schweiz weiterhin im wirtschaftlichen Interesse liegen. Die Nachfrage der Wirtschaft gebietet weiterhin eine gelenkte, kontrollierte Zuwanderung. Wie gross der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften allerdings sein wird, wird die Zukunft zeigen. Hier besteht mit den Kriterien für die Zulassung von Erwerbstätigen aus Nicht-EU-Staaten ein wichtiges Steuerungselement. Aus heutiger Sicht ist es richtig, dass von ausserhalb der EU-/EFTA-Staaten nur gut qualifizierte Arbeitskräfte in beschränktem Ausmass zugelassen werden. Das seit 2002 gültige Freizügigkeitsabkommen, begleitet durch flankierende Massnahmen gegen Lohndumping, ermöglicht es, den Hauptbedarf an ausländischen Arbeitskräften in der EU zu finden - sowohl qualifizierte Berufsleute wie Hilfskräfte. II. Bessere Integration Wer dauerhaft in der Schweiz lebt, muss sich hier integrieren. Die dafür notwendigen Anstrengungen kann der Staat den Eingewanderten nicht abnehmen. Er kann aber die nötigen Voraussetzungen schaffen (zum Beispiel Schule, Lehre), damit die Integration besser gelingt. Gutes Verhalten soll in Zukunft belohnt, schlechtes bestraft werden. - Wer in die Schweiz kommt, sei dies als Arbeitskraft, als Ehepartner oder als Flüchtling und sich hier den Lebensbedingungen anpasst, wer die Gesetze achtet und die Regeln akzeptiert, der soll hier bleiben können und gute Bedingungen antreffen. Solche Leute wollen wir. - Wer sich unseren Regeln widersetzt, zum Beispiel seine Identität im Asylverfahren willentlich nicht preisgibt, oder die Gesetze nicht achtet, der soll schlechter behandelt werden. Das heisst, auf sein Asylgesuch wird nicht eingetreten, oder wer kriminell ist, muss mit harten Sanktionen rechnen. Viele Probleme können und könnten übrigens durch gesunden Menschenverstand verhindert werden. Viele Lehrmeister, Lehrerinnen und Lehrer leisten im Alltag mit den Jungen mit ihrem Engagement sehr viel "Integrationsarbeit". Daran müssen wir arbeiten. Gleichzeitig ist von seiten der Behörden eine klare Sprache nötig: Missbräuche im Asyl- und Ausländerrecht müssen klar benannt und konsequent bekämpft werden. III. Schlussfazit Es ist mein Wille auch unpopuläre Ideen zu entwerfen und wenn nötig weiter zu verfolgen, wenn sie in der Sache etwas bringen. Das neue Bundesamt hat den Auftrag, dasselbe zu tun. Wir wollen eine Ausländer- und Asylpolitik, - die die Migration besser steuert; - die das Potential ausländischer Arbeitskräfte für unsere Volkswirtschaft nutzt; - die echte Flüchtlinge aufnimmt; - die Missbrauch auf allen Ebenen hart bekämpft; - die ausländische Personen mit Bleiberecht in der Schweiz rasch integriert; - die vom Volk verstanden und mitgetragen wird. Dafür setze ich mich ein.

25.10.2004

Die Hauptprobleme der Schweiz und ihre Lösungen

Referat von Bundesrat Christoph Blocher vor der «Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft» 25.10.2004, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Meine Damen und Herren, Als Hauptprobleme der europäischen Staaten werden überall genannt: 1. Die Staaten leben über ihre Verhältnisse. 2. Nicht zuletzt als Folge der übermässigen Staatsausgaben leiden die europäischen Staaten unter einer stark verminderten ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit und - damit verbunden - einem ungenügenden Wirtschaftswachstum. 3. Die Sicherheit der Staaten ist infolge der globalisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus gefährdet. I. Mangelndes Problembewusstsein Leider bildet die Schweiz bei diesen Hauptproblemen keine Ausnahme. Und es ist zu fragen: Ist die Schweiz diesen Herausforderungen gewachsen? Erlauben Sie, dass ich - bevor ich hier Antwort gebe - eine andere Frage stelle: Hat die Schweiz diese Herausforderungen überhaupt in ihrer Tragweite erkannt? Diese Frage zu stellen ist wichtig, denn nur eine ungeschminkte Analyse der Wirklichkeit kann zu brauchbaren Lösungen führen. Schon alleine die richtige Fragestellung und die schonungslose Benennung der Probleme ergeben mehr als die halbe Lösung. Und ich stelle fest, dass zurzeit den wichtigsten Fragen meistens ausgewichen wird und ein wenig ausgeprägtes Problembewusstsein besteht, obwohl viele überzeugt sind, sie wüssten bestens Bescheid. Gewiss, das Problem wird angetippt - geradezu inflationär - aber man untersucht es nicht in seiner Tiefe. Dies ist schlimmer als darüber zu schweigen, denn so entsteht der irrtümliche Eindruck, man sei drauf und dran, die Probleme zu lösen. Dieser Beruhigungsaktivismus war zwar immer eine Spezialität von Politikern - hat sich aber heute zusätzlich in Gesellschaft, Wirtschaft und vor allem in den Medien stark verbreitet. II Vom Verantwortungs- zum Versorgungsstaat Nennen wir die Probleme und scheuen wir nicht, ihnen auf den Grund zu gehen. Galt die Schweiz früher als beispielhafter Staat mit hohem Selbstverantwortungsgrad, ist sie heute ebenfalls zum Versorgungsstaat mutiert. Dieses Urteil mag Ihnen zu drastisch erscheinen. Doch je länger ich im Bundesrat bin, je mehr Unterlagen mir zur Verfügung stehen, umso ernster wird der Befund. In den Nachkriegsjahren entwickelte sich unser Land von einem Verantwortungsstaat zu einem Wohlfahrtsstaat. Das starke Wirtschaftswachstum gaukelte unbeschränkte Möglichkeiten vor. Seit den 70-er Jahren wurden vor allem in der Sozialpolitik Versicherungen auf- und ausgebaut mit immer neuen Leistungen, welche die späteren Kosten ins Unermessliche trieben. Denken Sie an die IV, an die Krankenversicherung, aber auch an diverse AHV-Revisionen. Die Folgen dieses rasanten Ausbaus zeigen sich erst heute in aller Konsequenz. Wegen diesem unrealistischen, weit über der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegenden Ausbau ist heute der Wohlfahrtsstaat als Gesamtkonstrukt in Frage gestellt: Dies zeigt sich in der miserablen Finanzsituation von Bund und vieler Kantone. Die etatistische Grundstimmung - vor allem der 80-er und 90-er Jahre, die übrigens auch nichtlinke Parteien erfasste - hat der Schweiz einen perfektionierten Dienstleistungsstaat beschert, der den Bürgern eine Totalversorgung zum Nulltarif vortäuscht. Dieser schleichende Verstaatlichungsprozess konnte nur über eine gewaltige Neuverschuldung finanziert werden: Betrug die Bruttoverschuldung des Bundes 1990 noch 38,5 Milliarden Franken, waren es 2003 bereits 123,7 Milliarden. Und wir steuern gegen 150 Milliarden - trotz einer Schuldenbremse, der alle Kantone und 85% der Bevölkerung bereits 2001 zugestimmt haben! Es ist auffallend, wie die fortschreitende Steuer-, Gebühren- und Abgabenlast, die in den Wahljahren 1999 und 2003 wenigstens noch für heftige Auseinandersetzungen gesorgt hat, heute ruhig entgegen genommen wird. Es ist erstaunlich, mit welchem Gleichmut und mit welcher unerschütterlichen Ignoranz solche Entwicklungen ertragen werden. - Die jährlichen Milliardendefizite, die unvermindert andauern? Sie werden akzeptiert, als wären sie eine fünfte Jahreszeit. - Nachtragskredite, Kostenüberschreitungen und Planungsabweichungen sind längst zum courant normale geworden. - Die Rekordzunahme von IV-Rentnern provoziert höchstens ein Schulterzucken. - Die Milliarden-Kosten unserer Beziehungen zum Ausland werden unter den Begriffen von "öffnung", "Gerechtigkeit" und "internationale Solidarität" der Diskussion entzogen. - Das Ausgabenwachstum der nächsten Jahre wird in weiten Teilen geleugnet. Man verbreitet die Mär, der Staat spare Geld, die Ausgaben würden gesenkt, der Gürtel werde enger geschnallt. Andere sprechen von "kaputt sparen" und "den Staat aushungern". Doch ich frage Sie ernsthaft: Wo wird in diesem Staate eigentlich gespart? Werden denn die Ausgaben gegenüber den Vorjahren gesenkt? Irgendjemand hat das Gerücht in die Welt gesetzt, im Bund würden die Ausgaben gesenkt. Und alle plappern es nach. Und alle schreiben es einander ab. Wenden wir uns der ungeschminkten Wahrheit zu: In den nächsten Jahren ist ein Ausgabenwachstum von 10 Prozent geplant. Trotz aller Entlastungsprogramme! Die Staatsausgaben wurden und werden nicht gesenkt. Aber man kann sich natürlich von allen Anstrengungen fernhalten, indem man vorsorglich über die Folgen einer Massnahme lamentiert, die es gar nicht gibt. Dass interessierte politische Kreise dies tun, gehört zum Tagesgeschäft und ist nicht weiter schlimm. Aber wenn diese Realitätsverweigerung in führende Kreise übergreift - und das ist so - führt es zu Fehlentscheiden und in die Katastrophe. Woher kommt diese Gleichgültigkeit - diese Realitätsverweigerung? Das Zurkenntnisnehmen von Problemen ist lästig und undankbar, denn es zwingt zum Handeln. Verdrängen ist bequemer. Die Gründe des Verdrängungsprozesses könnten aber auch tiefere Ursachen haben als nur die Bequemlichkeit. Könnte es etwa sein, dass immer mehr Menschen den Versuchungen des Wohlfahrtsstaates erliegen? Und dies bis weit in die gehobenen Berufschichten, bis weit in die Chefetagen von Politik und Wirtschaft hinein? Sind wir schon so weit, dass die Menschen lieber schauen, wie sie sich vom Staat beziehungsweise der Allgemeinheit aushalten lassen können, statt in Eigenverantwortung für sich und die Nächsten das Leben zu verbessern und selber für Güter und Dienstleistungen zu sorgen? Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn Erfolg und Leistung durch höhere Steuern und Abgaben bestraft, dafür Misserfolg und Faulheit durch Sozialleistungen belohnt werden. III. Beurteilung als Bundesrat und Unternehmer Meine Damen und Herren, ich bin seit bald zehn Monaten im Amt als Bundesrat. Es wäre übertrieben zu sagen, der Bundesrat habe in diesen 10 Monaten nichts anderes getan, als Ausgaben gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Wohl haben wir über Ausgabenreduktionen gesprochen, aber nur bisherige Pläne nach unten korrigiert. Der Bundesrat hat die Sanierung des Bundeshaushaltes im Legislaturprogramm folgerichtig zum Hauptproblem erklärt. Doch eine eigentliche Reduktion von Ausgaben ist noch nicht greifbar. Im Gegenteil: Wir haben zwar Ausgaben gesenkt, aber an anderer Stelle wieder erhöht und gleichzeitig neue Einnahmen und Steuern besiegelt. Wir stehen noch vor den grossen Entscheiden! Wie sehe ich als ehemaliger Unternehmer die Bundesverwaltung? Ich bin erschrocken über das mangelnde Kostenbewusstsein der Bundesverwaltung. Weder besteht eine Kostenrechnung, noch weiss man, welche Leistung im Staat wie viel kostet. Sie finden Standardantworten bis in die obersten Etagen hinauf, die zum Beispiel lauten: "Im Bund muss man weder mit Abschreibungen noch Zinsen rechnen. Und auch die Personalkosten muss man nicht rechnen, denn die Leute sind ja sowieso da!" Gezielte Kostensenkungen können so gar nicht durchgeführt werden. Ich spreche von Kostensenkungen, die keinen Leistungsabbau bringen. Als Unternehmer wusste ich, dass es in den goldenen Nachkriegsjahren Firmen mit einer ähnlichen Kostenauffassung gab. Diese Firmen sind entweder bankrott gegangen oder - wenn sie Glück hatten - durch einen Ditten übernommen worden. Ist das die Zukunft unseres Staates? Ich hoffe, dass in der angestrebten und jetzt anlaufenden Verwaltungsreform die Kostenrechnungen, das leidige Bundespersonalrecht (im Wesentlichen hat man in der letzten Revision die Pflichten des Beamtenstatus abgeschafft, aber die Rechte weitgehend beibehalten) und die Kostenbewirtschaftung rasch verwirklicht werden. Die Schaffung des Kostensbewusstseins ist überlebenswichtig für die Schweiz, damit wir endlich die Realität erkennen. Ich bin zudem überzeugt, dass ein massives Aufgaben- und Ausgabenverzichtspaket erarbeitet werden muss. Ich glaube, hier hat der Staat in Bezug auf die Vorgehensweise die wirtschaftlichen Unternehmen als Vorbild zu nehmen. Angenehm ist es nicht. Wir kommen nicht darum herum, die Tabuthemen zu nennen und auszuleuchten. IV. Wettbewerbs- und Wachstumsschwäche Das Gleiche ist zur verminderten Wettbewerbsfähigkeit zu sagen: Die Abgaben und Steuern, die vom Staate angeordnete dichte Regulierung und die bürokratischen Massnahmen bilden das Haupthindernis für das Vorwärtskommen der Wirtschaft. Für Unternehmer sind Abgaben, Steuern und Gebühren nichts anderes als Kosten. Sind diese hoch, hat man einen Kostennachteil gegenüber der Konkurrenz. Wer mir als ehemaliger Praktiker nicht glauben will und es lieber etwas akademisch mag, soll die neusten Studien des World Economic Forum zur Hand nehmen (NZZ, 14.10.2004). Danach leidet die Schweiz als Wirtschaftsstandort vor allem unter "der verschwenderischen Finanzpolitik und dem damit verbundenen Haushaltsdefizit". Sie merken: Wem der Wirtschaftsstandort am Herzen liegt, hat hier anzusetzen. Laut der gleichen Studie werden von der Schweizer Wirtschaft als besonders hinderlich und belastend empfunden: "Die ineffiziente Verwaltung, der ungenügende Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, restriktive Arbeitsmarktbestimmungen, Steuervorschriften und Steuerhöhe." Hier haben wir mit aller Entschiedenheit Gegensteuer zu geben. V. Wo steht die Wirtschaft? Die Politik kam in den letzten Jahren in der Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht voran. Aber wo steht die Wirtschaft? In einer direkten Demokratie ist die Stimme der Wirtschaft in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik entscheidend. Aber wo ist diese Stimme? Ich jedenfalls fühle mich als Bundesrat von der Wirtschaft nicht bedrängt, endlich vorwärts zu machen. Und von den Wirtschaftsverbänden erst recht nicht. Eine gute Ordnungspolitik - die wichtigste Grundlage für einen funktionierenden Wirtschaftsstandort - scheint geradezu vergessen gegangen zu sein. Im Gegenteil: Das Verhalten der verantwortlichen Verbände steht im krassen Widerspruch zur Klage ihrer Mitglieder. Natürlich gibt es schöne, wortreiche, bunt illustrierte Broschüren dieser Wirtschaftsverbände, die eine massvolle Ausgaben- und Steuerpolitik predigen. Sobald es aber konkret wird, lösen sich diese schönen Worte in Luft auf. Es scheint mir auch, dass die Wirtschaft nach der verlorenen Abstimmung betreffend Steuerpaket und AHV den Mut verloren hat, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Die Schweiz braucht keine Wirtschaft, die sich am liebsten mit Parlament, Bundesrat und Medien zu sicheren Mehrheiten für neue finanzpolitische Abenteuer und kostspieligen aussenpolitischen Aktivismus verbandelt. Statt dass Funktionäre von Wirtschaftsverbänden in linken Boulevardmedien über den Stil von Abstimmungskampagnen klagen, sollten sie sich für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort Schweiz einsetzen. Ihr Urauftrag heisst, für eine gute Wirtschaftspolitik zu sorgen. Ich meine, es sei dringend, dass die Unternehmen nicht nur über die schludrige Ordnungspolitik klagen, die zu hohen Steuern und immer neuen Sozialabgaben führt, sondern endlich eine glaubwürdige Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben, und zwar im Konkreten und auch im Kleinen. Sie müssten uns Bundesräten immer wieder zeigen, was eine gute Wirtschaftspolitik ist. Sie müssten als Wirtschaftsvertreter Ihre Nöte ins Bundeshaus tragen. Wir arbeiten im Bundeshaus in einer geschützten Werkstatt. Den täglichen Kampf ums überleben, der tägliche Konkurrenzkampf der Industrie und der Wirtschaft kennen wir nur aus den Statistiken, Berichten und Medien. Sie stehen näher am Puls. Auch so haben Sie die Parteien zu beraten, ich meine sogar, Sie müssten sie in der Wirtschaftspolitik führen. Sie werden vielleicht als Rufer in der Wüste angesehen. Aber ohne diese Rufer in der Wüste wird die Schweiz bald eine Wüste ohne Rufer sein! Die Parteien brauchen nicht "Freunde aus der Wirtschaft", die ihre Sonderwünsche in der Politik durchbringen wollen. Parteien, Regierungen und Parlamente brauchen Warner und Stimmen für die ganze Wirtschaft zum Wohle des Landes und des Volkes. Das gibt gute wirtschaftspolitische Entscheidungen. VI. Sozialstaat und Verschuldung Meine Damen und Herren, Staatshaushalt und Wirtschaftswachstum stehen in engem Zusammenhang. Wer die bestehenden Probleme in der Tiefe angehen will, muss auch in die Tiefe schauen und die Sache beim Namen nennen. Tun wir dies an zwei, drei schon länger verdrängten Gebieten. Es muss in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden, dass die Hauptgründe für den rasanten Anstieg der Sozialausgabenquote im Ausbau der Altersvorsorge, in der Zunahme von Invalidenrentenbezüger und im neuen Krankenversicherungsgesetz liegen. 1950 - kurz nach Einführung der AHV - betrugen die Sozialausgaben in der Schweiz noch 1,5 Milliarden Franken. Bis 1990 - vor der Einführung des neuen Krankenversicherungsgesetzes - erhöhten sich die Ausgaben auf 63,2 Milliarden Franken. Darauf erfolgte der Dammbruch: Zwölf Jahre später, 2002, haben sich die Kosten auf gut 123 Milliarden Franken verdoppelt. Gemessen am volkwirtschaftlichen Ertrag (Bruttoinlandprodukt) hat sich die Sozialausgabenquote von 19,3 (1990) auf 28,8 (2002) erhöht. Wachstumsraten, die weit über jenen der Wirtschaft mitsamt der Teuerung liegen. Wer angesichts dieser Zahlen von "Sozialabbau" spricht, hat jeden Bezug zur Realität verloren. Von den Sozialversicherungen drückt zurzeit vor allem die IV auf die Bundesfinanzen. Hier ist erfreulich, dass nun doch auch weitere Kreise und die Medien über die IV-Probleme sprechen. Ein guter Anfang. Vorneweg die Fakten: Waren 1990 noch rund 160'000 Personen IV-Bezüger, sind es 2003 schon über 280'000. Nicht nur in absoluten Zahlen haben die IV-Rentner rasant zugenommen, sondern auch proportional zur arbeitenden Bevölkerung. Seit 1990 hat sich ihr Anteil an der aktiven Bevölkerung um über 50 Prozent erhöht. Jeder 5. Mann im 64. Lebensjahr bezieht eine IV-Rente. Diese alarmierende Entwicklung schlägt sich auch auf der Ausgabenseite nieder: 1990 bezahlten die Schweizerinnen und Schweizer für die Invalidenversicherung noch ca. 4 Milliarden - heute sind es bereits rund 11 Milliarden Franken pro Jahr. Die Zusammensetzung der Invaliden zeigt, dass immer mehr psychische Ursachen eine IV-Rente nach sich ziehen (40 Prozent aller Neurentner). Eine Vielzahl neuer Krankheitsbilder dienen als kaum überprüfbarer Einstieg zur Invalidität. Ich will Ihnen nur ein paar Beispiele nennen: Soziale Phobie, Internet-Sucht, erhöhter Cholesterinspiegel, übergewicht, Menopause, Weichteilrheumatismus, Reizdarmsyndrom, Schlafstörungen, Verstopfungen, Burnout-Syndrom, Hyperaktivität, starkes Schwitzen, Entwurzelungssyndrom, psychosoziale Depression, Tinnitus (Pfeifen im Ohr) oder Vitaminmangel. Bei dieser Fülle ist jeder Bürger ein potenzieller Neurentner. Sicher kann sich jeder von Ihnen auf eines dieser Symptome berufen. Persönliche oder soziale Schwierigkeiten werden heute als medizinisches Problem verkauft. Unterschiedliche menschliche Temperamente pathologisiert. Ein Chemieunternehmen hat sich ein nach der Kaiserin Sissi benanntes Syndrom ausgedacht: Die betroffenen Patienten leiden nach Darstellung des Konzerns an einer starken Depression, überspielen ihre Krankheit aber durch ein besonders aktives, lebensbejahendes Verhalten. In Deutschland wird die Zahl der am "Sisi-Syndrom" leidenden Menschen auf drei Millionen geschätzt. Drei Millionen krankhaft fröhliche Menschen, die sofort und teuer therapiert werden müssen. Ebenfalls sehr hoch sind die Anteile jener IV-Bezüger, die über Kopf- und Rückenschmerzen oder ein Schleudertrauma klagen. Auffällig ist auch, dass im öffentlichen Sektor besonders viele Beschäftigte vorzeitig für arbeitsunfähig erklärt werden. Meine Damen und Herren, Das sind unangenehme Dinge, über die man aber sprechen muss. Leider gibt es gerade auch in der Politik zahlreiche Interessenvertreter, die von diesen Problemen, dem umfangreichen Sozialbetrieb, profitieren und alles daran setzen, dass die Steuermilliarden weiter in ihre Gärten fliessen - und dort versickern. VII. Die Ausländerpolitik Ein weiteres wenig beliebtes Thema, über das gerade in diesem Zusammenhang gesprochen und behandelt werden muss, ist das Ausländerproblem: Es werden hauptsächlich demographische Verschiebungen geltend gemacht, um die schwierige Finanzierungslage der Sozialwerke zu erklären. Nicht wenige versprechen sich von einer freizügigen Einwanderungspraxis eine vorteilhaftere Bevölkerungsstruktur, ja sogar die Sicherung unserer Sozialwerke. Ein genaues Hinsehen zeigt allerdings anderes: Die Ausländerpolitik orientiert sich immer weniger an den volkswirtschaftlichen Interessen der Schweiz. Der Anteil der erwerbstätigen Ausländer ist gegenüber den siebziger Jahren gesunken. Allein die Zahl der Erwerbstätigen unter den Einwanderern hat sich seit 1990 von 53,4% auf 30,2% verringert. Das hat auch mit der Zusammensetzung der Immigranten zu tun, die sich in den letzten Jahren markant verändert hat. Aufgrund zahlreicher Gesetze und Verträge (Familiennachzug, Heiraten, Asylimmigration) ist die Schweiz längst nicht mehr im Stande, die Qualität ihrer Zuwanderung auch nur annähernd selber zu bestimmen. Zudem ist die Zahl der Einwanderer, die nicht für sich selber sorgen können, ungewöhnlich hoch. So landen trotz der immensen Integrationsleistungen überproportional viele Ausländer im sozialen Netz (Stichwort: Fürsorge, IV-Renten, Arbeitslosenkasse). Der Ausländeranteil bei der Arbeitslosigkeit beträgt heute um die 40 Prozent. Ca. zwei Fünftel der neuen IV-Rentenbezüger sind Ausländer. Jede 7. Rente wird ins Ausland überwiesen. 40 Prozent der zürcherischen Fürsorgeleistungen gehen an Ausländer. Zürich ist der Kanton mit den besten statistischen Unterlagen. Dramatisch ist die Situation auch im Bildungsbereich: Ein volles Drittel der Aufwendungen für die Zürcher Volksschule betreffen sonderpädagogische Massnahmen - nicht zuletzt Integrationsleistungen für Ausländerkinder. Besonders bedrückend ist im Kanton Zürich die Bildungssituation für Jugendliche aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien: Nur 25% von ihnen absolvieren eine Berufslehre - meist mit tiefem Ausbildungsniveau. 67% bleiben ohne Ausbildung (Tages-Anzeiger, 8.8.2002). Dabei sind in den letzten Jahren in der Schweiz etwa 200'000 Stellen für niedrig Qualifizierte verschwunden. Arbeitslosigkeit ist die logische Folge. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie über die Immigrationsrealität in Deutschland. Gemäss des Münchner Ifo-Instituts erhält ein durchschnittlicher Einwanderer, der noch keine zehn Jahre in Deutschland ist, Jahr für Jahr 2400 Euro mehr vom Staat, als er diesem in Form von Steuern und Abgaben leistet: "Rechnet man die Zahl auf eine fünfköpfige Familie hoch, ergibt dies eine Transferleistung von fast 120 000 Euro im Laufe von zehn Jahren. Die Zuwanderer müssten mehr als 25 Jahre in Deutschland leben, um über die ganze Periode hinweg netto mehr an den Staat zu leisten, als sie erhalten. Allerdings kehren 80% der Zuwanderer früher wieder in ihre Heimat zurück (oder sterben)." (NZZ, 8.7.2004) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Es wird unangenehm, über diese Dinge zu reden. Doch tun wir es nicht, bleiben die Hauptprobleme ungelöst. Das Ausländer- oder das Asylproblem anzusprechen, gilt nicht gerade als schick, aber wie soll man Fehlentwicklungen korrigieren können, wenn diese nicht einmal öffentlich ausgesprochen werden dürfen? VIII. Sicherheit Die wichtigste aller Staatsaufgaben ist die Sicherheit der Bürger. Leider steht es mit dem Kampf gegen die Kriminalität nicht zum Besten. Die Herausforderungen sind gross: - Terrorismus heisst die neue Kampfform in der weltweiten Auseinandersetzung. Terroristen sind nicht einfach Amokläufer, sondern es handelt sich um gezielt eingesetzte Kämpfer im Dienste - in unserem Falle - des Islam gegen den Westen. Hier hat für die Schweiz die Neutralität ein neues grosses Gewicht bekommen, was leider noch nicht von allen Politikern anerkannt worden ist. Eine unnötige Parteinahme für Staaten, seien sie noch so unbestritten, schwächt uns im Umgang mit dem Terrorismus. Denn wer sich in eine Sache hineinziehen lässt, wird auch Zielscheibe. In der Sicherheitspolitik ist es besonders folgenschwer, wenn Wunsch und Wirklichkeit verwechselt werden. - Neben den internationalen Unsicherheiten ist auch der inneren Sicherheit grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Die Kantone klagen seit Jahren über zu wenig Polizisten. Dieser Mangel wird sich noch verschärfen, wenn mit Schengen die Grenzkontrollen fallen und Verdächtige innerhalb des Landes aufgespürt und kontrolliert werden müssen. - Der beabsichtigte Schengen-Beitritt stellt in dieser Hinsicht grosse Ansprüche an unsere Sicherheitsvorkehrungen. Die Gewährleistung des heutigen Standards wird personelle Aufstockungen nötig machen. IX. Plädoyer für einen liberalen Staat Wie lösen wir all diese Probleme? Meines Erachtens sind die Probleme nur dann nicht lösbar, wenn man sie verdrängt. Indem wir die Probleme erkennen, das Problem benennen und den Weg zur Selbstverantwortung frei schaufeln, gewinnen wir viel. Dann heisst der Lösungsschlüssel "Selbstverantwortung"! Vergessen Sie nicht, der Ausbau des Staates hat die Einschränkung des Einzelnen zur Folge. Leider haben sich in den vergangenen Jahren die Staatsgläubigen durchgesetzt. Das Ergebnis davon ist der stetige Ausbau des Staates zum Alles-Regler und Alles-Bestimmer. Unser Staat ist schon lange nicht mehr nur auf die Hilfe für besonders schwache Randgruppen und Bedürftige ausgerichtet. Unter diesem Vorwand ist er zu einem Transferstaat geworden mit dem Ziel der Umverteilung von Privatvermögen zugunsten einer durchorganisierten Bezügergemeinde. Wer unsere Wohlfahrt langfristig sichern möchte, tut gut daran, diesen Mechanismus zu durchbrechen. "Privateigentum, Freiheit und Selbstverantwortung der Bürger setzen Grenzen der Machtanhäufung in der Gesellschaft und damit auch Grenzen der Staatstätigkeit voraus." (Erich Weede: Mensch, Markt und Staat, S. 51.) Das heisst aber auch Kampf gegen die Zentralisierung: Je mehr kleinräumige, föderalistische Strukturen desto mehr Freiheit bleibt dem Bürger - und wenn es nur die Freiheit ist, die Gemeinde zu wechseln wegen besserer Steuersätze. Der Föderalismus garantiert die Rivalität zwischen politischen Einheiten mit dem Ergebnis, dass möglichst hohe Lebensqualität durch möglichst wenig Steuermittel geschaffen wird. Das schöne Wort "Harmonisierung" heisst in Wirklichkeit nur Gleichschaltung, Zentralisation, weniger Selbstbestimmung und weniger Freiheit, mehr Zwang und Regulierung. Der Zeitgeist der Zentralisierung löst keine Probleme, er schafft sie. Die Schweiz muss ihren Wettbewerbsföderalismus nicht abbauen, sondern stärken, was nur auf kantonaler und kommunaler Ebene geschehen kann. Darum: Möglichst wenig staatliche Lenkung, möglichst wenig Staat auf nationaler Ebene. Dafür weitgehende Autonomie in Finanz- und Steuerfragen für die Kantone und Gemeinden. Das heisst aber auch, dass es keine Gleichheit der Lebensbedingungen geben kann. Wer diese Illusion auf Kosten des Föderalismus und des Wettbewerbs anstrebt, gefährdet insgesamt den Wohlstand, beschneidet unnötig Freiheiten und schwächt die Eigenverantwortung. Meine Damen und Herren, Ist die Schweiz diesen grossen Herausforderungen gewachsen? Ich kann die Frage leider nicht mit Ja beantworten. Voraussetzung ist die schonungslose Offenlegung der Probleme und der Wille, diese Aufgaben anzugehen. Daran gilt es zu arbeiten. Helfen Sie mit. Damit diese Missstände nicht weiter unter den Tisch gekehrt werden. Das schweizerische Erfolgsmodell basiert auf einem massvollen Staat mit freier, prosperierender Wirtschaft. Es gibt keinen vernünftigen Grund, davon abzuweichen!