Testi

 

11.04.2004

Wir müssen vermeiden, Partei zu ergreifen

Zum ersten Mal äussert sich Bundesrat Christoph Blocher zur Terrorgefahr. Dank der Polizeihoheit der Kantone und der Neutralität verfüge die Schweiz über zwei Trümpfe, sagt der neue Polizeiminister. Und erklärt, warum er sich daneben auch noch für das Steuerpaket einsetzt. 11.04.2004, NZZ am Sonntag (Luzi Bernet und Markus Häfliger) NZZ am Sonntag: An Ihrer Pressekonferenz in Buchs haben Sie kein Wort über den Terrorismus verloren. Ist das für Sie als Polizeiminister kein Thema? Christoph Blocher: Es beschäftigt mich sehr, aber darüber sollte man an einer Pressekonferenz nicht reden. Warum nicht? Der Kampf gegen den Terrorismus ist stetig sehr intensiv in meinem Departement, aber es gibt nichts, das man an die grosse Glocke hängen muss. Dadurch schafft man unnötig Ängste. Die Schweiz nimmt den Kampf gegen den Terrorismus sehr ernst und unternimmt im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles, um die Sicherheit des Landes und seiner Bewohner zu gewährleisten. Ich will, dass die Schweiz ein sicheres Land bleibt und von unserem Territorium aus die Sicherheit anderer Staaten nicht gefährdet wird. Der gesetzliche Handlungsbedarf wird zurzeit geprüft. Der Bundesrat hat in der Lage- und Gefährdungsanalyse Schweiz vom Juni 2002 Lücken bei der präventiven Überwachung festgestellt. Zur Diskussion steht namentlich, ob präventive Telefonüberwachungen zugelassen werden sollen. Bereiten Ihnen als liberalem Menschen solche Massnahmen keine Mühe? Doch. Wir stehen im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Mit der Terrorismusbekämpfung lässt sich jede Freiheitsbeschränkung begründen. Besonders deutlich sieht man das in den USA. Wir leben in einer ungewissen Zeit und die Gefahr besteht, dass man sich vom Moment zu stark beeindrucken lässt und überstürzt Massnahmen trifft. Wenn die Polizei neue Mittel fordert, muss man das deshalb genau prüfen. Diese Güterabwägung führen wir zurzeit durch. Ist die Schweiz genügend gegen den Terrorismus gewappnet? Gefahren kann man nie hundertprozentig ausschliessen. Wir sind aber sehr wachsam. Als Vorteil erachte ich die Polizeihoheit der Kantone und die damit verbundene Kleinräumigkeit der Überwachung. Ein Vorteil ist auch unsere Neutralität. Die präventiv-polizeilichen Mittel befinden sich in meinem Departement in Prüfung. Sie glauben, Neutralität schützt vor Terroranschlägen? Neutralität schützt den Kleinen, weil er sich nicht in die Machtkämpfe der Grossen einmischt. Terrorismus ist eine Kriegsform in einer Auseinandersetzung zwischen grossen Machtgebilden: Zum einen zwischen Israel und Palästina, zum anderen zwischen islamistischen Kräften und dem Westen. Jedoch kann auch die Schweiz von Anschlägen betroffen werden. Neutralität hin oder her: Der islamistische Terror richtet sich gegen den Westen, zu dem auch die Schweiz gehört. Es ist anzunehmen, dass die Islamisten ihre Ziele auswählen. Ihr Kampf richtet sich gegen jene, die Partei nehmen. Dass es Spanien getroffen hat, war vermutlich kein Zufall. Als kleiner Staat müssen wir radikal gegen jeden antreten, der unsere Rechtsordnung verletzt. Gleichzeitig müssen wir vermeiden, Partei zu ergreifen. Natürlich können auch Schweizer, wie in Luxor oder Bali, unschuldige Opfer von Terroranschlägen werden. Islamisten sind auch in Inland aktiv. Welche Gefahr geht von ihnen aus? Zum Kampf gegen den Terrorismus gehört, dass wir jene Kreise, die dafür empfänglich sind, besser beobachten. Aber wir dürfen uns nicht in Auseinandersetzungen ausserhalb unserer Landesgrenzen einmischen und dort Position beziehen. Die Schweiz ist zurzeit kein Ziel des internationalen Terrorismus. In der inneren Sicherheit wird immer mehr Militär eingesetzt. Verursacht das Ihnen keine Bauchschmerzen? Nein, denn das Militär ist für gewisse Aufgaben der inneren Sicherheit gar nicht geeignet. Es leistet einfache Hilfs- und Bewachungsdienste. Wenn die Polizei zum Beispiel beim WEF und bei anderen kurzfristigen oder grösseren Einsätzen mit vielen Leuten verstärkt werden muss, ist ein Armeeeinsatz sinnvoll. Kurzfristig? Die Botschaften werden seit Jahren durch die Armee bewacht und sollen es nun dauerhaft bleiben. Ja, aber wir haben momentan auf der Welt eine spezielle Situation. Ich gebe auch zu, dass wir diese Lösung haben, weil sie kostengünstig ist und der Bund keine andere Möglichkeit hat. Wenn diese Situation jedoch 20, 30 Jahre lang dauern sollte, müssten die Polizeikräfte in den Kantonen aufgestockt werden. Immer lauter wird kritisiert, dass Soldaten Wache schieben anstatt in ihrem Kernauftrag, der Landesverteidigung, ausgebildet zu werden. Diese Gefahr besteht tatsächlich. Man muss aufpassen, dass die Politiker die Armee nicht missbrauchen. Wobei Bewachungsaufgaben wenigstens einen Sicherheitshintergrund haben - im Gegensatz zu Armeeeinsätzen bei Sportanlässen. Bundesrat Schmid möchte die Armee, das Bundesamt für Polizei und das Grenzwachtkorps des Finanzdepartementes zu einem Sicherheitsdepartement fusionieren. Was halten Sie davon? Heute dienen zu viele Akteure der Inneren Sicherheit: die Kantone, das Bundesamt für Polizei, der Bundessicherheitsdienst, die Bundesanwaltschaft, das Grenzwachtkorps, die Nachrichtendienste. Deshalb hat der Bundesrat beschlossen, dass unter meiner Leitung zusammen mit dem VBS und dem EFD geprüft wird, wie man die Kräfte, die der inneren Sicherheit dienen, zusammenfassen kann. Ist es für Sie denkbar, das Bundesamt für Polizei ans VBS abzutreten? Das ist eine Variante, muss aber nicht unbedingt sein. Sinnvoll ist es aber zu prüfen, ob einzelne Dienste zusammenzulegen sind. Ob im VBS oder in meinem Departement, ist sekundär. Sie haben eine staatliche Verzichtsplanung gefordert. Bringt das neue Entlastungsprogramm dies? Das Entlastungsprogramm 2004 besteht erst aus der Zielsumme von 2,5 Milliarden Franken. Meines Erachtens müsste es zu einer Verzichtsplanung führen. Die Gefahr ist jedoch gross, dass man lediglich Investitionsprojekte streicht. Eine Verzichtsplanung in dem Sinne, dass man staatliche Aufgaben nicht mehr wahrnimmt - davon spüre ich noch nichts. Wo sehen Sie im Justiz- und Polizeidepartement Möglichkeiten, den Aufwand zu reduzieren? Zwei Drittel der Ausgaben in meinem Departement betreffen das Asylwesen; es handelt sich insbesondere um Geld, das wir für Personen, die keinen Asylgrund haben, ausgeben. Im Moment kann ich noch nicht sagen, wo man hier abbauen kann, aber wir sind mitten in der Arbeit. Dann stellt sich die Frage, ob man gewisse Bundesämter privatisieren könnte. Das Institut für Rechtsvergleichung beispielsweise könnte man an Universitäten angliedern. Und schliesslich gibt es Dinge, auf die man schlicht verzichten müsste, zum Beispiel auf alle Unterstützungsmassnahmen zugunsten der Marktwirtschaft. Vergangene Woche sagten Sie, auch beim öffentlichen Verkehr müsse man abbauen. Was meinten Sie damit? Stellen Sie sich einmal an eine Eisenbahnstation mit Taktfahrplan. Da kommen Züge mit einer oder zwei Personen - ein unglaublicher Luxus. Da muss man sich schon fragen, ob man das weiter anbieten will oder ob man es nicht billiger haben könnte. Und dann haben wir natürlich zwei Alpentransversalen . . . . . . die aber schon im Bau sind. Richtig. Aber der Bundesrat will bei der Neat jetzt eine Auslegeordnung. Wir müssen wissen, wie es mit der Rentabilität steht. Die Tragik besteht darin, dass man wahrscheinlich feststellen wird, dass es kein Zurück mehr gibt. Und dann werden halt andere Projekte gestrichen. Darauf läuft es hinaus. Wir bauen einfach zwei zu grosse Bahnlinien. Man muss wissen, wie hoch die Betriebskosten sein werden. Sie haben stets die Meinung vertreten, man müsse dem Staat Mittel entziehen, um ihn zum Sparen zu zwingen. Genau darum geht es am 16. Mai. Es sieht aber schlecht aus für das Steuerpaket. Es sieht schlecht aus, weil die Bürger noch gar nicht wissen, worum es geht. Praktisch alle, die heute Steuern zahlen, werden mit dem Steuerpaket weniger Steuern zahlen. Wer weniger Steuern zahlt, hat mehr Mittel zum Ausgeben. Das hilft der Wirtschaft und verbessert das Investitionsklima. Ist die Abstimmung noch zu gewinnen? Ich hoffe, dass diejenigen, die die Kampagne führen, endlich damit anfangen. Es sind ja noch viele Bürger unentschlossen. Man muss ihnen erklären: Endlich weniger Steuern, und zwar praktisch für alle. Das werde ich in verschiedenen Vorträgen erklären. Ihre Partei hat sich immer gegen Abstimmungspropaganda durch Bundesräte gewehrt. Kampagnen und Abstimmungspropaganda durch Bundesbern, insbesondere mit Mitteln des Bundes, sind abzulehnen. Dass ein Bundesrat für die Vorlagen des Bundes spricht, hat mich nie gestört.

04.04.2004

Unsere Asylpolitik ist grundsätzlich falsch

Bundesrat Christoph Blocher über sein Modell für eine neue Migrationspolitik und Sparmöglichkeiten im Staatshaushalt 04.04.2004, SonntagsZeitung (Denis von Burg und Andreas Windlinger) Sie haben angekündigt mit einem eigentlichen Verzichtsprogramm in den Bundesrat zu gehen. Wie soll das aussehen? Es liegt noch nicht vor. Der Staat sollte grundsätzlich auf Ausgaben verzichten, die nicht der Erfüllung seiner Aufgaben dienen. Ein Beispiel ist der ganze Bereich der Wirtschaftsförderung. Die vom Bund geleisteten Subventionen an Organisationen wie Tourismus- und Hotellerieförderung, Osec, Präsenz Schweiz und so weiter müssten wohl gestrichen werden. Wir brauchen auch keine staatliche Wohnbauförderung. Diese staatliche Hilfe verhindert letztlich den Bau billiger Wohnungen. Warum? Wenn der Staat hier subventioniert, haben Privatunternehmer überhaupt keinen Anreiz mehr, billige Wohnungen zu bauen, weil diese Wohnungen immer teurer sind, als die vom Staat subventionierten. Jetzt fördert der Staat zum Beispiel 5000 billige Wohnungen. Es braucht aber vielleicht 30'000. Der günstige private Wohnungsbau hat sich jetzt aber weitgehend zurückgebildet, und die Wohnungen werden teurer. Sie wollen nur in anderen Departementen sparen. Nein, ich arbeite auch an einem Modell für eine neue Asylpolitik - in diesem Bereich erfolgen in meinem Departement die grössten Ausgaben. Wir lassen heute 20'000 Menschen ins Land, um dann nach langen und teuren Asylverfahren 1000 Menschen als echte Flüchtlinge zu beherbergen und 19'000 wieder wegzuschicken. Das ist ein grundsätzlich falsches System. Wie sieht ihre Alternative aus? Ich habe lediglich erste Vorstellungen: Statt weiterhin alle Gesuche aus der ganzen Welt zu prüfen, könnte man zum Beispiel pro Jahr 3000 echte Flüchtlinge aus Krisengebieten aufnehmen, die dann gezielt auch im Arbeitsmarkt integriert würden - bei Beachtung der Drittstaatenregelung. Ob dies möglich und völkerrechtlich vereinbar wäre, muss geprüft werden. Das wäre ein radikaler Abbau in der Asylpolitik der Schweiz. Nein, wir können so unseren humanitären Verpflichtungen effizienter nachkommen. Sie müssen sehen: Heute gibt alleine der Bund jährlich 900 Millionen für die Asylpolitik aus. Wäre es nicht besser, mit weniger Geld mehr echte Flüchtlinge unterzubringen? Wenn wir nicht Tausende von Menschen hier hätten, die gar keine wirklichen Flüchtlinge sind, könnten wir mit weniger Geld mehr wirklich Verfolgte aufnehmen. Was haben sie kurzfristig vor? Auf den 1. April ist die neue Regelung für Nichteintretensentscheide in Kraft getreten. Zusätzlich muss Asylsuchenden, die keine Papiere vorweisen wollen und ihre Identität absichtlich verheimlichen, die Zulassung erschwert werden. In der Folge werden weniger um Asyl nachsuchen, und wir können leichter feststellen, wer wirklich verfolgt ist und Anrecht auf Asyl hat. Das muss jetzt ausgearbeitet werden.

04.04.2004

Alle Parteien mit klarem Profil möchten lieber alleine regieren

Bundesrat Christoph Blocher über SVP, Konkordanz und Bürgerblock 04.04.2004, SonntagsZeitung (Denis von Burg und Andreas Windlinger) Sie haben als Ort für das Interview Schloss Rhäzüns ausgesucht... ...das Schloss gehört der Ems-Chemie. Seit ich nach meiner Wahl in den Bundesrat die Firma an meine Kinder abgab, habe ich hier ein Wohnrecht. Wie oft waren sie seit Ihrer Wahl in den Bundesrat schon hier? Ich bin seither zum ersten Mal im Schloss. Wegen des hohen Arbeitsrhythmus hatte ich in den ersten drei Monaten bisher keine Zeit, hierhin zu kommen. Hin und wieder einen Ruheaufenthalt strebe ich aber an. Die Ruhe ist grossartig. Ich kann mich hier hervorragend erholen. Sie haben eine Wohnung in Bern. Dort übernachte ich etwa drei Mal pro Woche. Mein Zuhause ist aber Herrliberg. Ihre Frau hat sich schon Sorgen gemacht, weil Sie wegen der Arbeitsbelastung am Morgen nicht mehr joggen gehen konnten. Das ist in der Tat ein Problem. Doch jetzt kann ich dann wieder damit anfangen. Ich habe zuerst die Örtlichkeiten in Bern etwas rekognoszieren müssen. Der Morgenlauf ist für mich sehr wichtig: Natur, frische Luft und Bewegung. Früher machte ich immer die gleiche Strecke, 5,7 Kilometer. Was macht Ihre Frau, wenn Sie in Bern sind? Wenn ich in Bern übernachte, kommt sie auch. Sie kocht dann, und wir essen zusammen. Es ist für mich wichtig, dass ich als Bundesrat mit jemandem über meine Arbeit sprechen kann, ohne dass ein solcher Gedankenaustausch gleich an die Öffentlichkeit kommt. Anders als angekündigt, haben Sie in Ihrem Büro nun offenbar doch einen Computer. Warum? Es handelt sich bloss um ein Laptop, auf dem meine Sekretärin schreiben kann, wenn ich ihr etwas diktieren will. Ich bin nicht gegen Computer, habe selbst aber keinen. Wenn ich etwas schreiben muss - eine Rede oder einen wichtigen Antrag an den Bundesrat - , dann mache ich das immer mit dem Bleistift und lasse es niederschreiben. Es wurde spekuliert, Sie liessen einen Teil Ihrer Anträge an den Bundesrat von Parteikollegen schreiben. Wie eng ist Ihr Kontakt zur Partei noch? Noch nie war es der Fall, dass Anträge ausserhalb des Departements verfasst wurden! - Wir haben ein wöchentliches halbstündiges bis stündiges Treffen mit der Parteispitze. Das gab es schon, als Samuel Schmid noch einziger SVP-Bundesrat war. Ich habe einen recht lockeren Kontakt zur Partei, vielleicht einen zu lockeren. Ist Bundesrat Schmid inzwischen politisch auf Ihrer Linie? Wir haben - und das ist keine Floskel - eine sehr gute Übereinstimmung. Wie arbeiten Sie mit den Sozialdemokraten Micheline Calmy-Rey und Moritz Leuenberger zusammen? Im Bundesrat müssen Vertreter von vier Parteien mit unterschiedlicher Gesinnung gemeinsame Lösungen finden. Das ist selbstverständlich nicht einfach. Aber sicher ist es nicht so, dass immer fünf Bürgerliche den beiden Sozialdemokraten gegenüber stehen. Sozialismus und Liberalismus ist nicht eine Frage der Parteizugehörigkeit. Sie sind enttäuscht von ihren bürgerlichen Bundesratskollegen, weil der erhoffte Bürgerblock nicht spielt? Ich habe schon vor meiner Wahl nicht an einen solchen Bürgerblock geglaubt. Die FDP, CVP und SVP und deren Vertreter sind doch kein Block! Wir haben 130 Milliarden Schulden. Das Wirtschaftswachstum ist zu gering, weil der Staat der Wirtschaft zu viel Geld entzieht. Das wird übereinstimmend anerkannt. Aber bei den Massnahmen besteht doch keine Einigkeit! Haben Sie schon resigniert? Nein, ich hatte diesbezüglich keine Illusionen. Und ich will ja auch nicht schwarzmalen. Die Diskussionen im Bundesrat sind besser, als behauptet wird. Bei so vielen Geschäften im Bundesrat muss ja auch oft rasch entschieden werden. Aber bei sehr wichtigen Themen gibt es schon heftige Diskussionen. Das halte ich für einen gesunden Prozess. Ist eine Regierung ohne SP immer noch Ihr Ziel? Alle Parteien mit klarem Profil möchten lieber alleine regieren. Das ist ein anderes System. Aber meine Tätigkeit im Bundesrat ist sicher nicht darauf angelegt, die Sozialdemokraten aus der Regierung zu werfen. Wie gehen Sie mit der Doppelrolle um, dass Sie Regierungsmitglied und zugleich Vertreter einer Pol-Partei sind? Damit habe ich überhaupt kein Problem. Das sind zwei Gremien mit zwei verschiedenen Funktionen. Ich würde meine Partei tadeln, wenn sie aus Rücksicht auf ihre beiden Bundesräte ihre Auffassungen nicht mehr vertreten würde. Und umgekehrt: Die Partei müsste mich tadeln, wenn ich nicht die Regierung vertreten würde.

03.04.2004

Der hat das Kalb gemacht

Bundesrat Christoph Blocher äussert sich im Interview über papierlose Asylbewerber, Schengen, Kollegialität und die Auns. 03.04.2004, Bund (Christian Pauli) «BUND»: Herr Bundesrat Blocher, Ihre Bilanz nach 100 Tagen im Bundesrat tönt sehr negativ. Haben wir wirklich einen so schlechten Staat? CHRISTOPH BLOCHER: Ich bin nicht in den Bundesrat gewählt worden, um Lob zu verteilen. Dafür ist mein Lohn zu hoch. Ich bin hier, um zu schauen, wo die Probleme sind. Und unser Hauptproblem ist: Wir haben zu viel Staat. Da ist meine Meinung bestätigt worden. Sie predigen Staatsabbau. Wir vermissen die konstruktiven Ansätze. Die Benennung der Probleme ist die Voraussetzung für deren Lösung. Wir haben festgestellt, dass nur 14 Prozent der Asylsuchenden mit gültigen Papieren in die Schweiz kommen. Es ist sogar so, dass einer dumm ist, wenn er heute mit Papieren daherkommt. Diese neue Erkenntnis ist für uns ganz wichtig. Jetzt wissen wir, wo wir ansetzen müssen. Wir wollen jene begünstigen, die mit Papieren kommen. Wie wollen Sie konkret Anreize schaffen, dass Asylsuchende sich wieder vermehrt mit Papieren präsentieren? Ich habe Ideen, aber die sind noch nicht spruchreif. An der Grenzstelle von Kreuzlingen gab sich kürzlich einer den Namen des kantonalen Flüchtlingsdelegierten (lacht). Der hat doch einfach das Kalb gemacht. In einem solchen Fall sollten wir doch sagen: Geh wieder nach Hause! Die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter hat konkret die unbegrenzte Ausschaffungshaft gefordert. Was halten Sie davon? Ich stehe diesem Vorschlag mit Sympathien gegenüber. Diese Idee widerspricht völkerrechtlichen Auflagen. Nicht, wenn dies periodisch überprüft wird. Selbstverständlich geht es mir nicht darum, dass einer lebenslänglich inhaftiert werden kann. Die Bundeshausjournalisten haben Sie für Ihre Bilanzpressekonferenz auf den Polizeiwerkhof in Buchs bestellt. Wie wichtig sind Ihnen symbolische Aktionen? Sehr wichtig. Manchmal ist das, was die Botschaft unterstreicht, wichtiger, als das, was gesagt wird. Selbstverständlich hätte ich das alles im Bundeshaus erzählen können. Ich bin aber sicher, dass auch die skeptischen Bundeshausjournalisten den Sinn dieser Aktion irgendwie begriffen haben. Wieso haben Sie uns nicht in ein Asylzentrum bestellt? Weil wir dort keine Probleme haben. Im Asylverfahren ist es heute so, dass die Aufnahme und Abwicklung eigentlich funktionieren, die Probleme sich aber bei der Ausschaffung stellen. Darum wollte ich keine Empfangsstelle und kein Asylzentrum besuchen, wo die Situation gut ist. Beim eigentlichen Kernthema Ihrer Politik, in der EU-Frage, haben Sie im Bundesrat am Mittwoch eine deutliche Niederlage erlitten. Wann ist für den SVP-Bundesrat Blocher die Schmerzgrenze erreicht? Man weiss ja schon lange, dass der Bundesrat nach Schengen will. Darauf habe ich mich einstellen können. Aber als EJPD-Vorsteher müssen Sie das Dossier vertreten. Ich bin nicht allein. Da gibt es noch andere, die das gerne tun, das EDA und das EVD. Werden Sie im Abstimmungskampf auch gegen Ihre Partei, die SVP, antreten? Der Partei ist es klar, dass ich im Kampf gegen Schengen ausfallen werde. Auf der anderen Seite werde ich mich aber auch nicht an vorderster Stelle für die Vorlage des Bundesrates engagieren müssen. Sie schlagen vor, dass Bundesratssitzungen öffentlich abgehalten werden. Wollen Sie die Kollegialität beenden? Ja, ich kann mir einen Systemwechsel tatsächlich gut vorstellen. Heute ist Regieren in der Schweiz geheim. Durch gezielte Indiskretion werden die Sitzungen aber ständig öffentlich gemacht, oder mindestens halböffentlich. Halbwahrheiten kursieren. Diese haben mit der Wirklichkeit oft nicht viel zu tun. Das ist nicht gut, vor allem gegenüber dem Volk. Solange die Kollegialität gilt, werde ich mich aber daran halten. Wie erleben Sie das Klima im Bundesrat? Was ich bisher erlebt habe, sind keine Aversionen oder Obstruktionen gegen mich. Und ich bin eigentlich mit mehr Anliegen durchgekommen, als ich erwartet hatte. Über einzelne Bundesräte äussere ich mich übrigens nicht öffentlich. Ich bringe meine Anliegen direkt an die Kollegen. Mit dem Vorschlag, Schweiz Tourismus nur noch mit einem Franken zu unterstützen, haben Sie Ihre Kollegen provoziert. Ja, und diese Provokation hat viel mehr bewirkt, als man sich vorstellt. Jetzt, wo die Aktion publik gemacht worden ist, kann ich Ihnen das auch erläutern. Ich wollte, dass man im Bundesrat über den Sinn und Unsinn dieser Unterstützung reden muss. Ich bin davon überzeugt, dass es für die Bergkantone sogar besser ist, wenn diese Staatsgelder nicht mehr fliessen. Abgesehen davon: Meine grundsätzliche Skepsis gegenüber Wirtschaftsförderung ist ja hinlänglich bekannt. Wer verfasst eigentlich Ihre Vorstösse? Gemäss NZZ schreibt auch die Auns an Ihren Papieren. Das ist blanker Unsinn. Offenbar können sich die Leute in der NZZ nicht vorstellen, dass ein Bundesrat selber schreiben kann. Mein Grundsatz ist, dass ich bei allen wichtigen Geschäften die Papiere selber aufsetze, und zwar mit Bleistift auf Papier. Die Sekretärin tippt es dann ab.

03.04.2004

«Als Ems-Chef hatte ich es besser»

Christoph Blocher möchte die Bundesratssitzungen künftig öffentlich abhalten. Das Volk müsse wissen, was die Regierung denke, findet der SVP-Magistrat. Seine Motivation sei, etwas im Land zu verändern. 03.04.2004, Berner Zeitung (Karin Burkhalter) Herr Bundesrat Blocher, Sie sprechen immer von Ihrem Auftrag, den Sie erfüllen müssen. Sind Sie eigentlich gerne Bundesrat? Bundesrat Christoph Blocher: Ich möchte darauf keine Antwort geben, weil dies nicht ausschlaggebend ist. Es gibt Dinge, die mache ich gerne, andere belasten mich. Wieso zieren Sie sich? Ich bin nicht Bundesrat geworden, weil ich immer Bundesrat habe werden wollen. Und ich habe mir auch nie überlegt, ob ich dieses Amt gerne ausführe. Die Motivation für mich ist zu sehen, ob ich etwas erreichen kann. Als Ems-Chef hatte ich es sicher besser. Ich konnte machen, was ich richtig fand. Die Frage ist, ob es sich gelohnt hat, von meinem politischen Credo her Bundesrat zu werden. Heute muss ich sagen, der Entscheid, mich zur Verfügung zu stellen, war richtig. Spasseshalber haben Sie einmal gesagt, vier Legislaturen Bundesrat bleiben zu wollen. So lange müsste ich mindestens bleiben, bis sich meine Politik durchsetzt. Spass beiseite. Nein, ich habe schon vor, noch einige Jahre diese Aufgabe zu machen, sofern es die Gesundheit zulässt und mich das Parlament in vier Jahren wieder wählt. Ich gehe nicht davon aus, dass die SVP in den kommenden Jahren den Anspruch auf den zweiten Bundesratssitz wieder verliert. Es kann aber sein, dass das Oppositionssystem Aufwind bekommt. Diese Frage steht immer zur Diskussion. Und die darf man ruhig nüchtern angehen. Wie stehen Sie zu einem solchen System, würde Ihnen das liegen? Grosse Vorteile hätte dies schon. Politik und Verantwortlichkeiten wären klar. In der Schweiz aber ist die Opposition das Volk, insofern ist der Bundesrat auch eine Oppositionsregierung. Damit sind wir bisher eigentlich gut gefahren. Allerdings stösst das heutige System in Anbetracht der grossen Herausforderungen an seine Grenzen. In den letzten 50 Jahren hat man Probleme immer mit Geld gelöst. Jetzt fehlt das Geld, dem Volk geht es schlechter und der Wirtschaft auch. Mit einer Oppositionsregierung wäre es sicher einfacher, eine geradlinigere Politik zu betreiben. Sie werden im Bundesrat regelmässig überstimmt. Das ist doch ziemlich unbefriedigend. Regelmässig nicht, aber doch oft. Überrascht Sie das? Ich wusste von Anfang an, dass ich mir keine Illusionen machen muss. Sie plädieren für öffentliche Bundesratssitzungen. Wollen Sie damit der eigenen Klientel zeigen, dass Christoph Blocher der gleiche geblieben ist? Nein. Was gegen aussen gesagt wird, stört mich nicht. Es ist für das Vertrauen in die Politik wesentlich, zu wissen, was die Regierung denkt und macht. Es gibt natürlich Traktanden, die nicht öffentlich sein sollen. Zum Beispiel Personelles. Aber das dürfen nicht 90 Prozent der Geschäfte sein. Es gibt übrigens bereits kantonale Regierungsratssitzungen, die öffentlich sind. Da geht zwar praktisch niemand hin, das macht aber nichts. Wichtig ist, dass die Möglichkeit besteht. In Ihren ersten 100 Tagen sind Ihnen praktisch nur negative Dinge aufgefallen. Gibt es auch Sachen, die Sie positiv überraschten? Es hat keinen Sinn, Zeit mit Positivem zu versäumen. Deshalb interessieren mich nur die Aspekte, die zu korrigieren sind. Es gilt ja, Probleme zu lösen. Um Leute zu loben, bin ich viel zu gut bezahlt. Trotzdem, in meinem Departement habe ich lauter Leute, die gewillt sind, ihre Arbeit möglichst gut zu tätigen. Wir haben nicht zu viele Mitarbeiter, die nichts zu tun haben, sondern einen viel zu stark aufgeblasenen Verwaltungsapparat. Was möchten Sie an der Funktionsweise der Kollegialbehörde ändern? Der Bundesrat hat viel zu viele Dinge am Hals, um die er sich kümmern muss. Das ist der Grund, weshalb aus dem Parlament immer wieder Forderungen nach Regierungsreformen gekommen sind. Das halte ich aber bloss für eine Symptombekämpfung. Ich setze auf eine Verwaltungsreform, bei der die Verantwortlichkeiten nach unten delegiert und nicht nach oben geschoben werden. Das gäbe schon eine grosse Entlastung, obwohl ich den Bundesrat nicht entlasten will, damit er weniger arbeiten muss. Aber mit dem heutigen System wird der Bundesrat durch die Verwaltung getragen. Er kann sich mangels Zeit gar nicht mit den grundsätzlichen Fragen und Aufgaben dieses Staates auseinander setzen. Haben Sie Beispiele für unnötige Aufgaben? In meinem Departement stosse ich immer wieder auf Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass ich dafür zuständig bin. Ich bin zum Beispiel verantwortlich für eine Datenbank für Findeltiere. Nicht, dass dies keine gute Sache ist. Zu meinen Prioritäten gehört sie aber sicher nicht. Ich weiss, dass es nicht machbar ist, doch wir sollten mit dem Aufbau von Bundesaufgaben ganz von vorne beginnen können. Wir müssen endlich eine Verzichtsplanung in Angriff nehmen. Und Sie können sicher sein, ich werde einige Vorschläge in den Bundesrat hineintragen. Führen Sie selber in Brüssel die Schlussverhandlungen beim Dossier Schengen/Dublin? Möglich wäre es schon; ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt. Ich bin der Meinung, dass man auf der obersten Ebene keine Verhandlungen führen darf. Das ist zu gefährlich. Man macht Abmachungen, die nicht mehr der Realität entsprechen. Diese Meinung habe ich übrigens auch als Nationalrat vertreten. Welche Bedeutung messen Sie Auslandkontakten zu? Ich wollte zuerst einmal die 100 Tage abwarten. Wenn es dringend notwendig geworden wäre, wäre ich selbstverständlich ins Ausland gereist. Nun habe ich vor, den deutschen Innenminister Otto Schily in den nächsten Wochen zu besuchen. Gleiches gilt für die Amtskollegen in den anderen Nachbarländern. Die Zusammenarbeit - gerade was den Sicherheitsbereich anbelangt - ist sehr eng, und ich messe ihr grosse Bedeutung zu. Sie sind gegen Schengen und Dublin. Fachleute sagen, beide Abkommen könnten aber sehr viele Probleme lösen, welche Ihr Departement betreffen. Meine persönliche Meinung interessiert nicht mehr seit der Bundesratsklausur von Mittwochabend. Die Sache ist beschlossen. Der Bundesrat will beitreten. Es ist zurzeit nun einmal so, dass die Politik über das Grenzenlose in Schwärmerei gerät. Für mich bleibt die Frage offen, ob ein Beitritt zu Schengen tatsächlich die erhoffte grössere Sicherheit für unser Land bringt. Das ist meine Stellungnahme, die ich als Mitglied einer Kollegialbehörde abgeben kann. Ihre Partei will das Volk über dieses Dossier abstimmen lassen. Wollen Sie das auch? Ich rede nicht mehr für eine Partei. Aber ich gehe davon aus, dass kein Bundesrat dagegen sein kann, dem Volk diese wichtige Frage vorzulegen. In einem allfälligen Kampf des Bundesrates gegen ein Referendum werde ich mich nicht engagieren, das ist ja klar.