Testi
26.11.2005
11.11.2005
1 Jahr und 11 Monate im Bundesrat
Landwirtschaft gestern, heute und morgen 11.11.2005, Montreux Montreux, 11.11.2005. Am Rencontre national nahm Bundesrat Christoph Blocher eine kleine Standortbestimmung vor. Er nannte die Mitgliedschaft in der EU eine Gefahr für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in der Schweiz. Zum Thema «Landwirtschaft gestern, heute und morgen» legte er dar, dass jetzt für die Zukunft eine neue Landwirtschaftspolitik entworfen werden müsse, die den Bauern das Überleben und der Schweiz eine gute Landwirtschaftspolitik ermögliche. Rede von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich des Rencontre national 2005, am 11. November 2005, in Montreux Mesdames et Messieurs Chers amis de la Suisse romande Cari amici della Svizzera italiana Chars amis da la Svizra rumantscha Meine Damen und Herren aus der alemannischen Schweiz Chers Compatriotes Liebe Miteidgenossen Nach einem Jahr und elf Monaten im Bundesrat möchten Sie von mir eine kleine Standortbestimmung hören. Im Besonderen wünschen Sie meine Gedanken zur „Landwirtschaft gestern, heute und morgen“ zu erfahren. Ich bin ein Landwirt von gestern (vielleicht sogar von vorgestern). Ich habe vor fünfzig Jahren Landwirt gelernt und den Beruf auch an der landwirtschaftlichen Schule abgeschlossen. Noch mit Pferdefuhrwerk, Pflug und Sense. Während sechs Monaten habe ich auch im waadtländischen Pampagny die Pferde und Schweine betreut. Als mich mein Vater zwei Monate nach Arbeitsbeginn fragte, ob ich nun endlich französisch könne, sagte ich ihm: Die Schweine und Pferde verstehen mich auf jeden Fall. Diese schönen Zeiten sind vorbei. Was ich heute als Bauer tun würde, wenn ich damals die Möglichkeit bekommen hätte, einen Betrieb zu übernehmen, weiss ich nicht. Eines aber, weiss ich bestimmt: Wenn ich heute diesen Beruf ausübte, möchte ich selber entscheiden können, was ich pflanze, wie ich arbeite und wie viel ich produziere. Diese Freiheit habe ich schon vor fünfzig Jahren so gewollt. Ich bin überzeugt, dass die Bauern Unternehmer sein müssen, wenn Sie erfolgreich sein wollen und wenn Sie für unser Land die beste aller möglichen Landwirtschaften betreiben wollen. Das gilt für gestern, das gilt für heute und auch für morgen. Warum will ich unternehmerische Bauern? Weil ich weiss, dass die hohen Ziele der Landwirtschaftspolitik nur auf diese Weise kostengünstig und erfolgreich umgesetzt werden können. Selbstverständlich – das ist unbestritten – braucht es Naturschutz- und Tierschutzauflagen. Für alle, die mit dem Boden und mit Tieren zu tun haben, gelten diese Bestimmungen. Für den Weinbauern Bugnon im Waadtland, für den Bergbauern Brunner im Toggenburg, für den Biobauern Hassler im Bündnerland. So wie diese Gesetze auch für alle andern, nämlich für den Chemieunternehmer Blocher, gegolten haben und für jeden Bürger in diesem Land gelten. Dafür braucht es keine spezielle Bürokratie, die den Bauern gängelt, seine Arbeit erschwert und die Produkte verteuert. Worin bestehen denn die hohen Ziele der Landwirtschaftspolitik? Der Staat hat dem Bauern eine Reihe Aufgaben übertragen. Er will, dass die Bauern - das Land bewirtschaften, damit der Boden nicht vergandet. Damit gewähr-leisten sie den Schutz unseres Lebensraumes. - die dezentrale Besiedlung aufrechterhalten. - eine minimale Nahrungsmittelversorgung aus eigener Produktion gewähr-leistet wird. Der Schutz des Lebensraumes und die dezentrale Besiedlung des Landes kann der Bauer auf dem freien Markt nicht absetzen. Darum muss der Staat vom Bauern diese Leistung kaufen, mit einem Beitrag pro Fläche. Als Entgelt für eine minimale Bewirtschaftung. Gleichgültig, ob der Bauer einen grossen oder kleinen Betrieb besitzt, ob er arm oder reich ist: Wer immer diese Leistung erbringt, muss abgegolten werden. Der Bauer erbringt eine Leistung, auf die man nicht verzichten will, dafür ist er zu bezahlen, sonst wird sie nicht mehr erbracht! Und ich will an dieser Stelle einmal festhalten: Der öffentliche Verkehr kostet uns mittlerweile 7,6 Milliarden Franken im Jahr. Doppelt so viel wie die ganze Landwirtschaft. Diese riesigen Flächen in den Gebieten der Alpen, des Juras, des Flachlandes werden erhalten für den halben Betrag der Bahndefizite! Diese marktfremden Aufgaben sollen also entschädigt werden, die Nahrungsmittelproduktion dagegen ist Sache des Bauern. Hier soll er sein eigenes Risiko, sein unternehmerisches Risiko tragen. Er produziert für die Konsumentinnen und Konsumenten. An diesen Bedürfnissen soll der Bauer sich orientieren. Hier soll der Markt über den Erfolg entscheiden. Hier zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten den Bauern für seine erbrachten Leistungen. Die Situation für die künftige Landwirtschaft spitzt sich dramatisch zu: Im schlimmsten Fall setzt die WTO einen Zollabbau in der Höhe von drei Milliarden Franken durch. Das heisst konkret drei Milliarden Franken weniger für die Landwirtschaft – was dem gesamten Arbeitsverdienst der Schweizer Bauern entspricht! Bei zehn Milliarden Rohertrag ergäbe dies etwa dreissig Prozent Ausfall. So kann der Bauernstand nicht überleben. Darum muss jetzt für die Zukunft eine neue Landwirtschaftspolitik entworfen werden, die den Bauern das Überleben und der Schweiz eine gute Landwirtschaftspolitik ermöglicht. Wie diese aussieht, ist jetzt nicht zu befinden. Aber sie ist jetzt zu entwerfen und dann zu beschliessen. Damit wir die Landwirtschaftspolitik überhaupt frei gestalten können; damit wir überhaupt in der Lage sind zu entscheiden, was wir in Zukunft wollen und was nicht, ist es wichtig, dass wir über den Handlungsspielraum verfügen, frei entscheiden zu können. Damit – meine Damen und Herren – bin ich mitten drin in der grossen Politik! Hauptgefahr EU – Beitritt Meine Damen und Herren Die grösste Gefahr für die schweizerische Wirtschaft, die grösste Gefahr unserer Arbeitsplätze, die grösste Gefahr unserer Freiheit, die grösste Gefahr unserer direkten Demokratie und der Neutralität sind nicht Billiglohnländer in Asien. Nein, die grösste Gefahr lauert im eigenen Land: Dass wir die politischen Weichen falsch stellen. Damit, meine Damen und Herren, sind all jene gemeint, die offen, leise oder sogar geheim den EU-Beitritt anstreben. Eine Mitgliedschaft in der EU würde unsere Freiheit, Sicherheit und unseren Wohlstand gefährden. Meine Damen und Herren. Immerhin ist es uns nach Jahren gelungen, dass die Schweiz heute wenigstens den EU–Beitritt als „strategisches Ziel“ aufgegeben hat. Der EU–Beitritt wird lediglich noch als Option, als eine Möglichkeit unter vielen, bezeichnet. Ja, der Beitritt ist eine Möglichkeit, aber auf jeden Fall eine schlechte, möchte ich beifügen. Meine Damen und Herren, bleiben wir uns selbst. Wofür müssten wir uns eigentlich schämen, Schweizer bleiben zu wollen? Für unsere friedvolle Geschichte? Dass wir ein neutraler Kleinstaat sind? Für unsere Wohlfahrt? Schauen Sie doch die Schweiz an. Sie bildet eine Identität. Sie hat ihren Weg selbst gefunden. Schauen Sie, wie weltoffen unser Land ist, ohne sich deswegen je politisch zu verleugnen oder seine Selbstbestimmung aufzugeben. Schauen Sie, wie erfolgreich die Schweiz schon in der Geschichte war. In der Wirtschaft finden Sie Zuhauf solcher Beispiele: Den Aargauer Strohfabrikanten Den Neuenburger Uhrenmacher Den Genfer Privatbankier Den Basler Chemieunternehmer Den Ostschweizer Maschinenindustriellen Die Zürcher Versicherungsgesellschaft Den Innerschweizer Bergbauern Den Tessiner Dienstleister Den Bündner Hotelier Alle diese Branchen produzierten in der Schweiz, für die Schweiz und für die Welt. Das gilt auch heute. Unsere Verbundenheit mit der Welt ist Realität – aber immer auf der Grundlage der eigenen Souveränität. Die Souveränität ist das Fundament unseres Erfolges. Trotz aller Weltoffenheit: Wir sollten uns nie institutionell einbinden lassen. Denn beides gehört zusammen: Weltoffenheit und Unabhängigkeit. Meine Damen und Herren, das Gesagte gilt nicht nur für die Wirtschaft und Politik. Schauen Sie das Leben an. Es besteht doch nicht nur aus der Wirtschaft, nicht nur aus der Politik. Das Leben ist mehr. Das Leben hat auch eine Seele, ein Herz, Gefühl und eine geschichtliche Vergangenheit. In unserem Land sind alle drei grossen europäischen Kulturen vereinigt. Trotzdem: Wir identifizieren uns nicht mit einer dieser Kulturen, sondern wir identifizieren uns mit den schweizerischen Werten, die entstanden sind aus dem Zusammenleben dieser Kulturen. Das Gemeinsame hat die Vielfalt ermöglicht: Gemeinsam ist uns der Freiheitswille, der Wille zur Neutralität, der Wille zum Föderalismus und zur direkten Demokratie. Politik ist mehr als nur eine Sache von Sitzungen, Programmen, Kompromissen, Finanzen und Beschlüssen. Die Schweiz ist bereits eine verwirklichte Vision, die sich zudem schon Jahrhunderte lang bewährt hat. Das Wesentliche ist, dass diese Schweiz ohne Regierungs- Verwaltungs- oder Parlamentsbeschluss entstanden ist – genau dies macht ihren Wert aus. Am besten lässt sich das an ihrer Kultur erleben. Die Kultur verbindet die Regionen, sie verbindet die Kantone, die Landesteile. Ohne staatlichen Kulturförderungsapparat! Diese Verbundenheit ist gewachsen. Machen wir doch die Probe aufs Exempel. Singen wir zusammen auf Deutsch und Französisch einen alten Kuhreihen. Kuhreihen gibt es in den Alpen, im Mittelland und im Jura. So wie das „Lioba“ der Freiburger in ihren Bergen erklingt oder im Jura der französische Kuhreihen, so erklingt anderenorts das Sennela hoha. Wir singen die erste Strophe auf Schweizerdeutsch, dann die zweite und dritte Strophe auf Französisch und zum Schluss nochmals eine Strophe auf Schweizerdeutsch. Gang rüef de Bruune Gang rüef de Gèèle Sie sölid allsam Sie sölid allsam Gang rüef de Bruune Ganz rüef de Gèèle Sie sölid allsam In Stall ie cho Appelle les grandes Appelle les petites Il faut qu'elles rentrent Il faut qu'elles rentrent Appelle les grandes Appelle les petites Il faut qu'elles rentrent de l'alpage Appelle les Simmental Appelle les vaches d'Hérens Il faut qu'elles rentrent Il faut qu'elles rentrent Appelle les Simmental Appelle les vaches d'Hérens Il faut qu'elles rentrent de l'alpage Gang rüef de Gflekkete Gang rüef de Gschekkete Sie sölid allsam Sie sölid allsam Gang rüef de Gflekkete Gang rüef de Gschekkete Sie sölid allsam In Stall ie cho Auch in der Kultur war und ist und bleibt unser Land offen. In der Malerei, in der Kunst, in der Literatur, im Gesang, in der Musik. Sie hat sich an allen Kulturen beteiligt. Auch dank der vier Landessprachen. Aber bestimmen über unsere Zukunft, über unser Schicksal – das wollen wir Schweizer selbst. So hören wir jetzt Beiträge aus dem Bündneroberland, aus dem rätoromanischen Teil, aber auch viel Italienisches: Verdi, Rossini, Donizetti und andere Kompositionen. Die europäische Kultur kennt keine Grenzen. Sie steht über der Politik. Ich darf Sie um Aufmerksamkeit bitten für die Compagnia Rossini
03.11.2005
Freiheit braucht Mobilität
Zürich, 03.11.2005. Anlässlich der Eröffnung der «Auto Zürich» sprach sich Bundesrat Christoph Blocher angesichts der finanziellen Belastung der Autofahrer durch Benzinzoll, Autobahnvignette, LSVA und Fahrzeugsteuern gegen eine Senkung des Toleranzwertes bei Geschwindigkeitsübertretungen und «Road-Pricing» aus. Er setzte das Gesamtdefizit der Bahnbetriebe von 7598 Millionen Franken den 800 Millionen Franken gegenüber, die der Privatverkehr in die öffentlichen Kassen spüle, und lobte das Auto, das eine individuelle, effiziente und kostendeckende Mobilität ermögliche. 03.11.2005, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Wie viel Toleranz braucht ein «Toleranzwert»? Wenn Sie heute Nacht das Licht löschen werden, hat die Stadt Zürich 1'600 Ordnungsbussen verteilt. 1’600 Bussen in vierundzwanzig Stunden! Dabei kassiert die Stadt Zürich 220'000 Franken von den Bürgerinnen und Bürgern. Täglich. Das ergäbe ein schönes Auto. Oder auch zwei. 1'600 Bussen am Tag ergeben 50'000 Bussen im Monat beziehungsweise 600'000 Bussen im Jahr. Ich habe jetzt nur von der Stadt Zürich gesprochen. Der Stadtrat budgetiert jährlich 79,5 Millionen Franken Einnahmen aus Ordnungsbussen. Da Politiker, wenigstens wenn es um Einnahmen geht, ziemlich kreativ sein können, wundert es wenig, dass man auch bei diesem Posten versucht, noch mehr aus den Bürgern herauszuholen. Das soll mit einer neuen Technik geschehen, den Lasermessgeräten. Was ja an sich eine wunderbare Erfindung ist: Die Metallindustrie etwa profitiert von den hochpräzisen Laserschneidern. Oder auch die Chirurgie, wo die Ärzte komplizierteste Eingriffe am Auge vornehmen können. Nun hat auch die Polizeidirektorin der Stadt Zürich diese Lasertechnologie entdeckt. Zum Wohl der Bürger? Nein, zum Wohl der Staatskasse. Die Geräte messen genauer, also kann man auch viel genauer büssen. Viel genauer heisst in diesem Fall: mehr büssen. Denn «dank» der neuen Technologie wurde der «Toleranzwert» von heute fünf auf drei Stundenkilometer reduziert. Aus purer Vorfreude hat der Stadtrat die budgetierte Bussensumme schon mal vorsorglich um drei Millionen erhöht… auf 82,5 Millionen Franken. Künftig flattert also schon ab 53 Stundenkilometer innerorts ein Bussenzettel ins Haus. Noch drei Stundenkilometer «Toleranzwert». Diese mickrigen drei Stundenkilometer sind Ausdruck einer schädlichen Grundhaltung: Im Zweifel geht offenbar das Interesse des Staates vor. Meine Devise dagegen lautet: Im Zweifelsfall für den Bürger. So sähe doch der Massstab eines freiheitlichen Staates aus. Begründet wird dieser neue Toleranzwert – wie immer – mit einer Erhöhung der Sicherheit. Ich weiss nicht: Gilt jemand, dessen Tacho 54 km/h anzeigt, bereits als gefährlicher Raser? Das Sicherheitsargument scheint mir bloss ein moralistisches Pseudoargument, um von den versteckten Fiskalgelüsten abzulenken. Wir sind uns ja alle einig: Niemand will mehr Verkehrsunfälle. Aber ob dieser reduzierte Toleranzwert tatsächlich der Sicherheit dient, wage ich zu bezweifeln. Sie wissen selber, wie leicht man ein paar Stundenkilometer zu schnell fährt. Vor allem dann, wenn man nicht nur den Tacho, sondern auch den Verkehr beobachtet. Und schliesslich wollen wir Gesetze, die auch im Alltag bestehen können. Ich weiss, auf der Strasse möchte mancher schneller unterwegs sein und gefährdet damit seine Mitmenschen. Genau hier muss der Sicherheitsgedanke Grenzen setzen. Nur darf dieses wichtige Ziel nicht für jeden Akt gegen den Bürger herangezogen werden, nur um jede Kritik sofort abblocken zu können und um die Lust an mehr Staatsabgaben zu verstecken! Freiheit braucht Mobilität Wer frei ist, will sich auch frei bewegen. Freiheit ohne Mobilität ist nichts wert. Wer in eine Zelle eingesperrt wird, dem nützt es auch nichts, wenn er nur in diesen paar Quadratmetern frei herumturnen kann. Freiheiten muss man sich stets erkämpfen. Nicht nur die Bewegungsfreiheit. Auch die anderen Freiheiten, die uns die Verfassung garantiert. Oder garantieren sollte. Die Meinungsfreiheit zum Beispiel. Oder die Freiheit der Wissenschaft und Lehre, welche uns beispielsweise viele Errungenschaften beschert hat, die wir auch an der heutigen Ausstellung bewundern können. Das Auto ist ja an und für sich ein technisches Wunderding. Denken Sie nur an die Sicherheit! Vom Airbag über das Antiblockierbremssystem bis zu den stabiler konstruierten Fahrzeugen: Hier sind die grossen Fortschritte erzielt worden. Dank der Freiheit der Forschung und Entwicklung im Bereich der Sicherheit. Wie sieht es aber mit der Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger aus? Wir können uns in der Schweiz ja weitgehend frei bewegen. Sie werden einwenden, Freiheit hat aber immer auch ihre Grenzen. Sicher. Das muss man heute nicht besonders betonen. Wir leben in einer eher freiheitsfeindlichen Epoche. Jedes Gesetz, jede Verordnung, jede Vorschrift ist ein Stück Freiheit weniger. Und jeder neue Gesetzesartikel kann übertreten werden. Es ist relativ einfach, eine Volksgruppe zu kriminalisieren. Ein neues Verbot genügt. Wenn wir das Tragen von Krawatten verbieten würden, hätten wir in diesem Saal schon ein paar Hundert Kleinkriminelle sitzen. Mit einer kleinen Veränderung des Gesetzes. Wer den Toleranzwert von fünf auf drei Stundenkilometer senkt, schafft auch mit einem Federstrich und ohne grosse Umstände ein paar Zehntausend Gesetzesübertreter mehr. Ohne, dass sich irgendjemand in seinem Verhalten geändert hätte. Dasselbe geschah mit der Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5. 2004 wurden rund 63'400 Ausweise entzogen. 2003 noch gut 60'000. Was einer Zunahme von fast fünf Prozent entspricht. Solche Wachstumsraten wünschte ich mir eigentlich in der Volkswirtschaft. Wie frei sind die Schweizerinnen und Schweizer noch? Wie mobil ist unser Land? Wo beschneidet der Staat mit seiner Verkehrspolitik die freie Mobilität der Bürger. Die neueste Idee heisst «Road-Pricing». Klingt wahnsinnig chic. Aber was ist damit gemeint? Politische Kreise – auch Bürgerliche – wollen den Zutritt zu den städtischen Strassennetzen mit zusätzlichen Gebühren verrechnen. Da «Road-Pricing» so hübsch klingt, will ich es mit einer Übersetzung versuchen: Strassenzoll. Was also so modern daherkommt, ist nichts anderes als ein Rückfall ins Mittelalter. Die Überwindung solcher Wegzölle wurde vor nicht allzu langer Zeit als fortschrittliche Befreiung gefeiert. Dabei möchte ich – nicht nur als Justizminister – darauf verweisen, dass selbst in unserer Verfassung die Benützung öffentlicher Strassen für gebührenfrei erklärt wird. (Art. 82) Bewegungsfreiheit sollte jedem Bürger zustehen. Und nicht zum Privileg für jene werden, die sich diese Mobilität im wahrsten Sinne noch leisten können. Die beste Kuh im Stall Angesichts dieser verzweifelten Versuche, noch mehr Geld beim privaten Verkehr herauszuholen, könnte man meinen, die Autofahrer würden den Staat zu viel kosten. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die beste Kuh im schweizerischen Bundesstall hat nicht vier Beine, sondern vier Räder. Ob Benzinzoll, Autobahnvignette, LSVA, Fahrzeugsteuern: Lastwagen und PWs zahlen über zehn Prozent mehr Steuern, Zölle und Abgaben (nämlich 7,6 Milliarden Franken), als ihre gesamte Infrastruktur pro Jahr kostet (6,8 Milliarden). Mit anderen Worten: Der Privatverkehr spült sogar ca. 800 Millionen Franken in die öffentlichen Kassen. Es wäre insofern nicht mehr als Anstand, die beste Milchkuh nicht dauernd als Feindbild zu behandeln. Wie sieht es denn bei anderen Kühen aus? Etwa bei den heiligen Kühen? Der Bahn zum Beispiel? Die Schweizerische Eisenbahnrechnung sieht im Vergleich zum Strassennetz einiges deprimierender aus: Die 41 erfassten Bahnbetriebe erwirtschaften lediglich 41,7 Prozent ihrer Kosten und fahren pro Jahr ein Gesamtdefizit von 7598 Millionen Franken ein. Und mit jedem Ausbau der Schieneninfrastruktur (Bahn 2000, Neat, internationale Anschlüsse) verschlechtert sich die Bahnrechnung nochmals massiv. Ein nicht unwesentlicher Grund für diese miserable Bilanz liegt darin: Zu wenig Bürger wollen überhaupt von diesem Angebot Gebrauch machen. Die Wahlfreiheit des Bürgers endet weit öfter beim Auto als beim öffentlichen Verkehr. Offensichtlich stimmen mehr Leute an den Urnen für die Verlagerungspolitik, als dass sie sich tatsächlich selber in die Züge und Busse verlagern würden. Die Entlastung findet weniger auf den Strassen statt, sondern beim schlechten Gewissen. Man stimmt für den öffentlichen Verkehr und hat damit seinen Beitrag geleistet. So wie es Leute gibt, die ein Fitnessabonnement kaufen und dann glauben, etwas für die Gesundheit getan zu haben. Freiheit und Freude Sie sind mehrheitlich alles Branchenvertreter, die sich hier heute zur Eröffnung eingefunden haben. Automobilimporteure, Garagisten, Verbandsvertreter, Aussteller. Ihnen muss ich die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie eigentlich nicht erklären. Aber angesichts der zahlreichen «Freiheiten», die Ihnen ins Gesicht schlagen, soll Ihnen auch einmal jemand aus dem Bundesrat ein Lob spenden. Wir dürfen durchaus festhalten: Das Auto ermöglicht eine individuelle, effiziente und kostendeckende Mobilität. Und diese Ausstellung zeigt, dass das Auto mehr sein kann als ein reines Fortbewegungsmittel, nämlich ein ästhetisches Vergnügen, das Spass macht. Der Käufer soll die Freiheit haben, sich nicht nur ein funktionales Auto auszusuchen, sondern möglicherweise auch ein besonders schönes, extravagantes Fahrzeug. Der Erfolg Ihrer Messe beweist, dass dieses Bedürfnis besteht. Als Vertreter des Staates sage ich Ihnen: Wenn der Staat nicht nur für die Verkehrspolitik zuständig wäre, sondern auch noch für die Herstellung von Autos, müssten wir heute keine Ausstellung veranstalten. Die letzten Staatskarossen konnten wir in der DDR bewundern: hässliche, stinkige, graue Trabis. Bei Bezugsfristen von mehreren Jahren… Also: Sie dürfen mit einer guten Portion Selbstbewusstsein Ihre Produkte präsentieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Und kommen Sie heil, das heisst ohne Bussen, wieder nach Hause. Vor allem dann, wenn Sie durch die Stadt Zürich müssen.
28.10.2005
Finanzzentren in einer globalisierten Wettbewerbswirtschaft: Möglichkeiten und Grenzen der Regulierung
Referat von Bundesrat Christoph Blocher zur Finanzmarktregulierung, Liechtenstein Dialog 2005, Freitag, 28. Oktober 2005, in Vaduz 28.10.2005, Vaduz Vaduz, 27.10.2005. Anlässlich des «Liechtenstein Dialog 2005» sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Finanzmarktregulierung. Die Regulierungen in diesem Bereich seien in den letzten Jahren rasant angewachsen, nicht nur aufgrund der schweizerischen Bundesgesetzte und Verordnungen des Bundesrats sondern ebenso durch Verordnungen, Rundschreiben und Wegleitungen der Eidg. Bankenkommission. Einhellig werde ein sauberer und integrer Finanzplatz Schweiz und die Bekämpfung der Geldwäscherei begrüsst. Im Einzelfall aber sei die Kritik geballt. Klar sei, dass die Finanzmarktregulierung an sich, der Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen soll und nicht zum Gegenteil führen dürfe. Es gilt das gesprochene Wort Fragt man einen Beamten – gar noch einen Juristen – nach Regulierung im Finanzbereich, wird er Ihnen antworten: „Da ist noch viel zu tun!“ Fragen Sie einen schweizerischen Bankier, so wird er Ihnen antworten: „Wir ersticken bald ob all der Regulierung.“ Obwohl ich als Mitglied des Bundesrates zur Verwaltung gehöre, glaube ich, der Bankier steht in diesem Fall näher bei der Lebenswirklichkeit. Zunahme der Regulierung - Regulierungsquellen Es ist unbestritten: Der Finanzmarkt hat eine äusserst dynamische Entwicklung erlebt. Aber ebenso dynamisch war das Wachstum der Regulierung in diesem Bereich. Das gilt nicht nur für die Regulierung durch schweizerische Bundesgesetze und Verordnungen des Bundesrates. Sondern ebenso für die Regulierung durch Verordnungen, Rundschreiben und Wegleitungen der Eidg. Bankenkommission – sowie durch die sog. Selbstregulierung. Diese bezeichne ich als halbstaatlich, denn auch die Erlasse der Selbstregulierung werden nämlich in engem Kontakt mit der Eidg. Bankenkommissionen erarbeitet. Oft erlangen sie als so genannte Mindeststandards eine verbindliche Wirkung für alle Finanzinstitute. Neben verbindlichen Akten der Selbstregulierung gibt es dann noch die Standesregeln, die als Satzungsrecht von der Schweizerischen Bankiervereinigung durchgesetzt werden, nötigenfalls sogar mit strafrechtsähnlichen Sanktionen. All das - die Erlasse der rechtsetzenden Behörden - die Erlasse der Bankenkommission - sowie die Selbstregulierungserlasse der Bankiervereinigung - der Swiss Funds Association - der SWS Swiss Exchange - und der Treuhandkammer ergibt einen schier unüberblickbaren Regulierungswust, dem höchstens noch das schweizerische Landwirtschaftsrecht das trübe Wasser reichen könnte. Woher kommt dieser Regulierungswust? Ein wesentlicher Teil ist hausgemacht. Aber nur ein Teil. Ein anderer Teil wird vom Ausland und von internationalen Organisationen, die Sie alle bestens kennen, durch ungeheuren Druck auf mehr und dichtere Regulierung des Finanzmarktes aufgebaut. Sei es im Rahmen - des IWF (Internationalen Währungsfonds) in Washington - der IOSCO (International Organization of Securities Commissions) in Madrid - oder im Rahmen der FATF (Financial Action Task Force on Money Laundering) in Paris - oder gar im Rahmen der BIZ - bzw. des Basel Comitees on Banking Supervision überall wird eifrig an neuen Regulierungen geschraubt, gehämmert und gefeilt, und alles, was da schliesslich die Produktionsstrasse verlässt, muss dann in die jeweiligen Landesregulierungen implementiert werden. Das belastet den Finanzplatz Schweiz stark. Aus einer Untersuchung des Instituts für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich vom April 2004 ergibt sich, dass sich die gesamten Kosten der Regulierung bei kleinen Banken auf 9,8% des Gesamtaufwands belaufen, bei Grossbanken auf 4,1%. Grenzen der Regulierung Sind wir dem Trend auf fortwährende Erweiterung und Verdichtung der Regulierung im Finanzmarktbereich schutzlos ausgeliefert? Nein! Es gibt Grenzen dieser Regulierung. Man muss sie nur erkennen und respektieren. Vorab setzt die eigene schweizerische Bundesverfassung mit der Garantie der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) einen klaren Grenzpunkt, denn diese gilt selbstverständlich auch für den Finanzmarkt. Ferner gilt es zu beachten, dass das Grundrecht des Schutzes der Privatsphäre (Art. 13 BV) auch das Bankkundengeheimnis umfasst. Zwar darf ein Gesetz diese Grundrechte beschränken, doch müssen die Beschränkungen im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Diese Kriterien sind auch bei der Umsetzung internationaler Abkommen und Standards ernst zu nehmen. In dieser Hinsicht gilt es, die Regelungs- und Interpretationsspielräume, die den internationalen Abkommen und Standards eigen sind, zu unsern Gunsten zu nutzen und auf unnötige Perfektionierungen zu verzichten. Dabei ist auch dem Kostenfaktor gebührend Beachtung zu schenken. Auch ist der Wettbewerbsverzerrung durch Regulierung grösste Beachtung zu schenken. Das gilt nicht nur zwischen Ländern, sondern auch zwischen den einzelnen Bankinstituten. Eine Regulierung soll wettbewerbsneutral ausgestaltet sein. Denn jede Bank muss die Regulierungskosten auf irgendeine Weise letztlich ihren Kunden belasten. Bei kleinen Banken fällt dies offensichtlich schwerer ins Gewicht als bei Grossbanken. Derzeitige Revisionsvorhaben Wenden wir uns nun zwei konkreten Themenbereichen zu, bei denen zurzeit Revisionsvorhaben anstehen. 1. Umsetzung GAFI Anfangs dieses Jahres ist der Vorschlag des Bundesrates für die Umsetzung der revidierten GAFI-Empfehlungen in die Vernehmlassung gegeben worden. Einhellig wird ein sauberer und integrer Finanzplatz Schweiz und die Bekämpfung der Geldwäscherei begrüsst. Aber im Einzelnen ist die Kritik stark. So bereiten der Versuch, die Tätigkeiten ausserhalb des klassischen Finanzsektors in die Bekämpfung der Geldwäscherei einzubeziehen, aber auch die Handelstätigkeiten wie den Immobilienhandel und den Handel mit Edelsteinen grösste Sorgen. Damit laufen auch unbescholtene Bürger Gefahr, als Geldwäscher verdächtigt zu werden, wenn sie teure Juwelen kaufen. Begrüsst wurde hingegen, dass Gewinnwarnungen in die Insider-Strafnorm einbezogen werden sollen. Aufgrund der geballten Kritik hat der Bundesrat einen Marschhalt beschlossen. Die Bundesverwaltung analysiert zurzeit eingehend die Kosten und den Nutzen der neuen Regulierung. Diese Analyse wird die weitere Marschrichtung bestimmen. 2. Integrierte Finma-Aufsicht Ein weiterer aktueller Bereich ist die organisatorische Zusammenlegung der Finanzmarktaufsicht in einer Behörde. Zusammengelegt werden sollen die Bankenaufsicht, die Versicherungsaufsicht und die Kontrollstelle zur Bekämpfung der Geldwäscherei. Das Ganze folgt dem Grundsatz "same business, same risk, same rules". Verzichten will der Bundesrat jedoch auf eine Unterstellung der unabhängigen Vermögensverwalter unter die Finma. Mit der Integration erhofft man sich, Doppelspurigkeiten zu beheben und die Effizienz zu steigern. Hoffen wir, dass die Hoffnung in Erfüllung geht. Schlussfolgerungen Ziehen wir aus dem Dargelegten einige Folgerungen. Der schweizerische Finanzplatz ist für die gesamte Volkswirtschaft von erstrangiger Bedeutung. Er steht im Wettbewerb mit andern global orientierten Finanzplätzen. Klar ist, dass die Finanzmarktregulierung an sich, der Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen soll und nicht zum Gegenteil führen darf. Im Vordergrund steht der Schutz, - der Anleger und Einleger - die Funktion der Banken - die Stabilität des Bankwesens. Jede Schweizer Regulierung muss sich aber vor dem Hintergrund der Schweizer Gegebenheiten und Besonderheiten wie der Wirtschaftsfreiheit und des Bankkundengeheimnisses rechtfertigen lassen. Dabei ist insbesondere die Verhältnismässigkeit jeder Regulierung ernsthaft und gründlich zu prüfen. Gefahr droht heute nicht so sehr von der fehlenden, als vielmehr von der Überregulierung.
27.10.2005