Testi
21.12.2005
21.12.2005
Steuerwettbewerb ist etwas Gutes
Mit dem Steuerentscheid der Obwaldner Kantonsbürger hat Justizminister Christoph Blocher kein Problem. Wer die degressiven Steuersätze kritisiere, müsse auch begründen, weshalb denn progressive gerecht sein sollen. Dass sich nach dem Obwaldner Entscheid der Wettbewerb der Kantone um die tiefsten Steuersätze weiter verschärft, ist für Blocher kein Problem. „Nur Kantone, die Steuern senken, bringen uns weiter“, sagt er und spricht sich auch klar für das Konkordanzmodell aus. 21.12.2005, Neue Luzerner Zeitung, Isabel Drews, Jürg Auf der Maur Obwalden hat ja zu degressiven Steuersätzen für Reiche gesagt. Was sagt der Justizminister dazu? Obwalden hat entschieden. Die Steuerhoheit liegt bei den Kantonen. Wer degressive Steuersätze für ungerecht hält, muss aber erklären, weshalb progressive gerecht sind. Da gibts auch keine Rechtsgleichheit. Ich habe die Frage rechtlich nicht abgeklärt, aber ich sehe im Obwaldner Steuergesetz kein Problem. Obwalden erhalte vom Bund viel Subventionen, und locke nun mit Steuergeschenken Reiche an, wird kritisiert. Das Wort Steuergeschenk kenne ich nicht. Das geht von der Vorstellung aus, das Geld der Bürger gehöre dem Staat und er habe ein Recht darauf, es wegzunehmen! Ich sehe das anders. Ich stelle nicht das Staats-, sondern das Privateigentum ins Zentrum. Für mich gehört das Geld primär den Bürgerinnen und Bürgern. Was der Staat nicht nimmt, ist doch kein Geschenk. Eines darf man nicht vergessen.... Nämlich? Es waren mehr als 85 Prozent der Stimmbürger, die im Kanton Obwalden Ja zum neuen Steuergesetz sagten. Dort sind nicht 85 Prozent der Leute Milliardäre, aber 85 Prozent haben eingesehen, dass man auf diesem Weg dem Kanton zu Prosperität verhelfen kann. Zudem: Sollte Obwalden mit dieser Strategie Erfolg haben, wird der Kanton auch nicht mehr soviele Subventionen abholen können. Zug oder Schwyz, die ähnliche Wege beschritten, sind nicht als besonders grosse Subventionsbezüger bekannt. Also kein Problem? Nein, Obwalden hat erkannt, dass es auf diesem Weg die öffentlichen Finanzen verbessern kann. Es verschärft aber auch den Steuerwettbewerb unter den Kantonen. Das ist doch gut. Nur Kantone, die Steuern senken, bringen uns weiter. Die hohe Steuerbelastung ist eines der grössten Probleme der westlichen Industrieländer. Ihr Heimatort Zürich sieht das mit dem Steuerwettbewerb ganz anders. Zürich zahlt die höchsten Sozialleistungen. Der Kanton Schwyz konnte es sich deshalb einfach machen. Er argumentierte, dass jene, die gerne hohe Sozialleistungen haben, nach Zürich ziehen. Selber wollte Schwyz lieber die Steuern senken und gute Steuerzahler anlocken. Das ist aber nicht der Fehler der Schwyzer, sondern jener der Stadt Zürich. Sparen tönt gut, aber je konkreter es wird, desto weniger sind die Leute bereit Abstriche zu machen. Im Kanton Luzern scheiterte nur schon der Versuch, eine Spitalschliessung oder die Schliessung einer Mittelschule zu prüfen. Es ist nicht so, dass Kantone mit tiefen Steuern gleichzeitig ein tiefes Steuersubstrat haben. Am Anfang ist das so, aber mit der Zeit nehmen die Steuereinnahmen zu. Denken Sie an die USA, die die Steuern senkten und seit bald 14 Jahren eine Hochkonjunktur erleben. Der Spardruck wird mindestens am Anfang grösser. Ich rede von Kosten reduzieren, nicht von sparen. Sparen heisst ja, dass man Geld auf die Bank legt. In meinem Departement werde ich bis 2008 ohne Leistungsabbau Kosten zurückfahren. Um die Kosten 18 Prozent herunterfahren zu können, braucht es fundierte Analysen und Abklärungen. Das ist möglich und notfalls muss man Aufgaben streichen, die den Bürgern nicht weh tun. Also nicht so wie die Luzerner, die Spital und Mittelschule schliessen wollten? Ich kenne die Situation in Luzern nicht. Aber man muss aufpassen, dass man nicht dort die Kosten senkt, wo es den Bürger am meisten schmerzt. Dahinter könnte die Absicht stehen, dass es dann abgelehnt wird. Ich erinnere an ein Beispiel: Als es um Kostenreduktion ging, drohte eine Regierung, Schulen zu schliessen oder die Polizei abzuschaffen. Auf Bundesebene spricht man jetzt auch von einer Verzichtsplanung. Ich bin überzeugt, dass man auf viele Aufgaben, die der Staat bis jetzt trägt, verzichten kann. Nämlich? Alles, was die Privatwirtschaft auch kann: Von der Exportrisikogarantie bis zur Wohnbauförderung, Förderungen aller Art. Die SVP verlangt die Volkswahl für Bundesräte. Umfragen zeigen, dass Sie nicht gewählt würden. Ändert das ihre Einstellung? Nein, Volkswahl wäre wichtig. Das prallt also an Ihnen ab? Solche Umfragen darf man nicht für bare Münzen nehmen. Selbst wenn es so wäre. Wer Verantwortung trägt, muss doch das tun, was er für richtig hält. Wer seine Entscheide so fällt, dass er am meisten Applaus erhält, macht nie etwas für die Bevölkerung. Es wird heftig diskutiert, ob das Konkordanzmodell am Ende sei. Ist es? Konkordanz heisst, dass vier Parteien im Bundesrat vertreten sind und dass sie gemeinsam regieren. Der Bundesrat ist in einer guten Verfassung. Mir ist jedenfalls nicht bewusst, dass wir in den letzten zwei Jahren Fehlentscheide getroffen hätten. Es gab weder ein Swissair-Grounding, noch Milliardenüberschreitungen bei einer Expo noch eine Solidaritätsstiftung. Sie stehen zum Konkordanzmodell? Konkordanz funktioniert dann, wenn, wie in der Schweiz, das Volk als Korrektiv existiert. Hätten wir keine direkte Demokratie, dann wäre ich gegen das Konkordanzmodell. Die SVP will doch die SP aus der Regierung drängen? Das sagen unsere Gegner. Klar, wenn man ein Regierungs-/Oppositionsmodell machen will, dann setzten wir uns für eine bürgerliche Regierung ein. Dann müsste jemand gehen. Es scheint, dass die SP sich für ein solches Modell einsetzt. Was? Die SP sagt, die SVP müsse aus der Regierung. Die SP hat offensichtlich mit dem Konkordanzmodell gebrochen. Bei der SP tönt es umgekehrt. Sie glaubt, die SVP wolle sie aus der Regierung entfernen. Die SVP hat sich für die Konkordanz entschieden. Eine rein bürgerliche Regierung hätte in ihren Augen doch Vorteile? Alles hat Vor- und Nachteile. Doch ich sehe nicht ein, weshalb man jetzt die Konkordanz in Frage stellen muss. Die Konkordanz wird vor allem von jenen in Frage gestellt, die nicht gerne Diskussionen und Auseinandersetzungen haben. Zur Konkordanz gehört doch auch die Kollegialität. Sie stehen doch auch in der Kritik, sich nicht ans Kollegialitätsprinzip zu halten. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in letzter Zeit gegen Bundesratsbeschlüsse angetreten wäre. Bei der Swisscom zum Beispiel vertrete ich sehr intensiv die Meinung des Bundesrates. Nationalrat Hugo Fasel hält Sie für eine Gefahr für die Schweiz. Hugo Fasel ist ein alter politischer Gegner. Er ist in der Swisscom-Frage Gewerkschafter, die selbstverständlich gerne den Schutz des Staates haben. Ihre Dominanz macht Kreisen Angst, die politisch anderer Meinung sind. Die Dominanz ist nicht so gross. Ich stelle im Bundesrat oft Anträge, die nicht durchkommen. Zudem habe ich auch Angst vor jenen, die eine andere Politik betreiben wollen. Weshalb? Wenn die Linke den Bund so stark finanziell überstrapazieren will, dass das auf die Beschäftigungslage drückt, dann habe ich auch Angst. Aber es braucht Toleranz, die gegensätzlichen Meinungen zu ertragen. Das ist der Sinn der Demokratie.
03.12.2005
Zum Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit
Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz vom 3. Dezember 2005 03.12.2005 An der Delegiertenversammlung der SVP sprach Bundesrat Christoph Blocher über den Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit, deren Wert man am Besten mit einem Vergleich der Schweiz und der EU ermessen könne. Während die Eidgenossenschaft zum Ziel habe, die Unabhängigkeit der Kantone zu wahren, strebe die EU die Harmonisierung an. Herr Parteipräsident Herr Bundespräsident Meine Damen und Herren Sie haben mich gebeten, an der heutigen SVP-Versammlung ein Referat zum Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit zu halten. Das will ich gerne tun. Schliesslich ist es mein Auftrag als Bundesrat, Massnahmen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz zu treffen. So steht es in der Bundesverfassung. Den Wert der schweizerischen Unabhängigkeit kann man am besten ermessen, wenn man die Schweiz und die EU miteinander vergleicht. Wo sind die Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU? Was machen wir anders als die EU? Dazu muss man sich fragen: Was ist das Ziel der EU? Was ist das Ziel der Schweiz? Wozu sind diese Bündnisse geschaffen worden? Das Bündnis der Kantone in der Eidgenossenschaft hat zum Ziel, die Unabhängigkeit und die Unterschiedlichkeit der einzelnen Kantone zu wahren. Es war nie das Ziel der Eidgenossenschaft, dass alle Kantone gleich werden sollen. In einem Land mit vier Kulturen würde so etwas ohnehin völlig an der Realität der Menschen vorbeigehen. Die Eidgenossenschaft entstand, weil man die eigene Identität nach aussen, gegen Grossmächte und grosse Reiche, verteidigen wollte. Ganz anders in der EU: Ziel der EU ist die Harmonisierung, die Gleichheit. Die Verbindung der verschiedenen Länder soll immer enger werden. So steht es in der Präambel der neuen EU-Verfassung. Immer mehr Unterschiede sollen ausgeglichen werden. Die EU hat letztlich zum Ziel, dass in ganz Europa das Gleiche gelten soll. Die Verbindung der Kantone zur schweizerischen Eidgenossenschaft und die Verbindung der europäischen Länder zur EU verfolgen also zwei völlig unterschiedliche Ziele. Die Unabhängigkeit der Schweiz äussert sich darin, dass sie die Freiheit hat, eigene Wege zu gehen, d.h. auch aus der Vereinheitlichung der Europäischen Union auszubrechen. Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern haben wir die Freiheit, Gesetze zu erlassen und beizubehalten, die nicht den Einheitsregeln der EU entsprechen. In welchen Bereichen ist das heute von Bedeutung? Ich kann Ihnen dazu einige Beispiele nennen: 1. Direkte Demokratie Die Schweiz ist eine direkte Demokratie. Die schweizerische Bundesverfassung kann nicht geändert werden, ohne dass in einer Volksabstimmung eine Mehrheit des Volkes und der Kantone zustimmt. Auch bei Gesetzesänderungen oder beim Abschluss internationaler Verträge kann das Volk mitreden. Ganz anders in der EU: Das Volk ist grundsätzlich von solchen Entscheiden – und seien sie noch so wichtig – ausgeschlossen. Die Deutschen durften sich nicht dazu äussern, ob sie ihre Währung behalten wollen. Die Engländer hatten kein Recht zu sagen, ob sie mit der Osterweiterung einverstanden sind. Zur EU-Verfassung wurde nicht in allen Staaten eine Abstimmung durchgeführt. Aus Schweizer Sicht tönt dies so: Die Politiker hatten gnädigerweise entschieden, dass das Volk zu diesem grossen Projekt der Verfassung seine Meinung abgeben darf. Das Resultat der Abstimmung ist bekannt. Die direkte Demokratie hat den grossen Vorteil, dass im Sinne des Volkes und nicht nur im Sinne der Politiker entschieden wird. Warum ist die Mehrwertsteuer in der Schweiz viel tiefer als in der EU? Weil bei uns der Steuersatz in der Verfassung verankert ist. Bei jeder Steuererhöhung muss das Volk gefragt werden, ob es einverstanden ist. Oftmals ist es nicht einverstanden. Wenn die Politiker das Volk nicht fragen müssen, steigen die Steuern viel stärker an. Die EU schreibt den Ländern vor, dass der Mindestsatz 15% betragen müsse. Da können sie abstimmen, solange sie wollen. Es gilt das, was die EU bestimmt. 2. Wirtschafts- und Währungspolitik Mit dem Vertrag von Maastricht 1993 hat die EU eine Wirtschafts- und Währungsunion eingeführt. Die Mitgliedsländer haben damit ihre Unabhängigkeit insbesondere in der Währungspolitik aufgegeben. Die nationalen Währungen wurden durch den Euro als Einheitswährung abgelöst. Die Schweiz bleibt dagegen frei, ihre eigene Währung weiterzuführen. Der Schweizer Franken hat gegenüber dem Euro einen Zinsvorteil, der für unser Land und unsere Wirtschaft von grosser Bedeutung ist. Ohnehin sind wir frei, die Leitzinsen so auszugestalten, wie es den Bedürfnissen unserer Wirtschaft entspricht. Wenn die Wirtschaft gut läuft, kann die Schweizerische Nationalbank die Zinsen erhöhen. Wenn die Wirtschaft schlecht läuft, kann sie die Zinsen senken. Die EU-Länder müssen sich demgegenüber den Beschlüssen der europäischen Zentralbank unterwerfen. Doch wie entscheidet diese Zentralbank, wenn ein Land in einer Rezession ist und ein anderes Land in der Hochkonjunktur? Wie sind die Zinsen dann festzulegen? Der Euro verunmöglicht eine Währungspolitik, welche den Bedürfnissen der nationalen Volkswirtschaften entspricht. Einheitsbrei statt Eingehen auf Unterschiede. Die Unabhängigkeit der Schweiz heisst Handlungsfreiheit. Diese erlaubt uns, eine eigenständige Aussenwirtschaftspolitik zu führen. Möglicherweise wird die Schweiz schon bald mit den USA über ein Freihandelsabkommen verhandeln. Als EU-Mitglied könnte sie solches nicht eigenständig unternehmen. Die EU sagt, mit wem Freihandel betrieben wird. Ein anderes Beispiel: Der Bundesrat hat kürzlich das Freihandelsabkommen mit Südkorea genehmigt. Die Schweiz erhält damit freien Zugang zu einer der zehn grössten Volkswirtschaften der Welt. Bisher haben weder die EU noch die USA ein solches Abkommen abschliessen können. Jedes Jahr exportieren Schweizer Unternehmungen im Wert von über einer Milliarde Franken nach Korea. Hier wird der Vorteil der Unabhängigkeit ganz konkret spürbar. 3. Sicherheits- und Verteidigungspolitik Als weiteren Bereich, den die EU vereinheitlicht hat, ist die Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu nennen. Die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der EU betreffen. Dazu gehört auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. Die EU wird so zu einem Verteidigungsbündnis. Doch nicht nur das. Die EU hat sich in der "Europäischen Sicherheitsstrategie" vom Dezember 2003 auch die Stärkung der Sicherheit in ihrer Nachbarschaft zum Ziel gesetzt. Dabei werden die Länder im Osten der EU, der Balkan und der Mittelmeerraum genannt. Es ist aber auch davon die Rede, "Einfluss im Weltmassstab" ausüben zu wollen. Die EU nimmt Züge eines Imperiums an, das sich nicht auf das eigene Territorium beschränkt, sondern auch ausserhalb Einfluss nehmen will. Ich will nicht beurteilen, ob das richtig ist oder nicht. Es war schon immer so, dass grosse Machtblöcke Einfluss auf andere Länder nahmen. Doch lässt sich die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nicht mit der schweizerischen Neutralität vereinbaren. Innerhalb der EU büsst die Schweiz ihre bewährte, jahrhundertealte und immerwährende Neutralität ein. Diese Politik hat uns als Kleinstaat immer wieder davor bewahrt, in die Kriege der Grossmächte hineingezogen zu werden. Sie sehen in diesen drei Bereichen beispielhaft, welcher Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit zukommt. Es wären noch viele weitere Gebiete zu erwähnen, etwa die Arbeitsmarktpolitik, das Bankkundengeheimnis, die Sozialpolitik, die Agrarpolitik oder die finanziellen Konsequenzen eines Verzichts auf die Unabhängigkeit. Es ist klar, dass der Bundesrat bei der Verabschiedung seines europapolitischen Berichtes, der für nächstes Jahr angekündigt ist, sich mit diesen Fragen auseinandersetzen muss. Es ist auf eine objektive Darstellung zu hoffen. Die Handlungsfreiheit unseres Landes schafft wesentliche Voraussetzungen für die Gewährleistung und Stärkung von Wohlstand und Sicherheit. Leider wurde der Spielraum, welchen die Schweiz dank ihrer Unabhängigkeit hat, in den letzten Jahren viel zu wenig ausgenutzt. Zu gross war in Verwaltung und Politik das Verlangen, sich der EU anpassen zu wollen. Der Drang, gleich sein zu wollen wie die anderen, war zu stark. EU-kompatibel wollte man sein, gleich wie die EU. Es ist erfreulich, dass der Bundesrat beschlossen hat, die künftigen, bilateralen Verträge nur noch zuzulassen, wenn diese die Handlungsfreiheit der Schweiz nicht beeinträchtigen, d.h. im Klartext, nur bilaterale Verträge ohne institutionelle Bindung. Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit der Schweiz wieder viel mehr genutzt wird, um von der EU abweichende Gesetze zu erlassen. Als Unternehmer hatte ich nie Erfolg, weil ich gleich war wie die Konkurrenz. Ich war dort erfolgreich, wo ich anders war, wo ich besser war. Genauso muss es mit unserem Staat sein. Die Staaten stehen in einem Wettbewerb darum, wer die besten Rahmenbedingungen für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung bietet. Die Schweiz hat dank ihrer Unabhängigkeit die Möglichkeit, sich diesem Wettbewerb zu stellen. Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir uns von den anderen Ländern unterscheiden können. Das Ziel der Politik darf nicht darin bestehen, gleich zu werden wie die EU, sondern besser zu werden. Nur dann macht die Unabhängigkeit Sinn. Nur dann zieht die Schweiz einen echten Nutzen aus ihrer Unabhängigkeit. Oder wenn sie noch mehr Fremdwörter wollen! EU-Kompatibilität, d.h. gleich zu sein wie die EU ist kein Ziel. Ziel muss sein: EU-Kompetitivität –Wettbewerbsfähig gegenüber der EU müssen wir sein. Natürlich braucht diese Haltung Kraft und Mut. Ich treffe sie in der Schweizer Wirtschaft und bei vielen Leuten an. Damit dies auch in der Politik so geschieht, dafür haben wir beiden Bundesräte im Bundesrat, die Parlamentarier im Parlament und sie in der SVP-Partei zu sorgen. Im Interesse und zum Wohl unseres Landes!
02.12.2005
«Schreiben, was ist!»
Gastreferat von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich der Verleihung der BZ-Lokaljournalistenpreise 2005 und der Espace Media-Preise Swiss Press Photo 2005, am 2. Dezember 2005, Schweizerisches Landesmuseum Zürich 02.12.2005, Zürich Zürich, 02.12.2005. In seinem Referat anlässlich der Verleihung der BZ-Lokaljournalistenpreise und der Espace Media-Preise Swiss Press Photo 2005 ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Schwierigkeit ein, die Realität zu erkennen. In diesem Zusammenhang verglich er die Arbeit eines Journalisten mit der eines Politikers. Journalisten gehören einer wenig beneidenswerten Berufsgattung an: Jeden Tag müssen Sie eine Zeitung füllen, gleichgültig, ob sich viel oder wenig ereignet hat; Sie sollen die Wirklichkeit beschreiben, auch wenn Ihnen diese Wirklichkeit bewusst oder unbewusst vorenthalten wird. Es gibt wahrlich einfachere Jobs als jene des Journalismus. Ich muss mich geradezu beherrschen, nicht einem seelsorgerischen Ton zu verfallen… Das Grossartige im Kleinen Wer den Journalisten beim Schopf packt, also bei der Berufsbezeichnung selbst, erkennt in ihm unschwer den Tagesarbeiter. Der „Journalist“ arbeitet für das Heute, pour le jour, für den Tag. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Der Lokaljournalist, der an diesem festlichen Anlass – und ich will hier gleich anfügen – zu Recht gefeiert wird, ist der Berichterstatter über das Kleinräumige und Alltägliche. Der Lokaljournalist sieht das Grossartige im Kleinen. Er beschreibt das Immerwährende im Flüchtigen, das Einzigartige im Alltäglichen. Die Arbeit von Lokaljournalist und Pressefotograf deckt sich mit dem Grundanliegen des grossen Schweizer Malers Albert Anker: „Im Kleinen ist die Grösse der ganzen Welt abgebildet.“ Im Kleinen die Grösse der ganzen Welt abzubilden, ist eine sehr schwierige Aufgabe, denn im Journalismus ist es wie in der Politik: Am Einfachsten haben es jene Politiker, die unverfänglich über das grosse Weltgeschehen schwadronieren, von „Weltaussenpolitik“ berichten und diese gestalten wollen, ohne dafür befugt zu sein und so tun, als würden sie damit schon den Welthunger, die Klimaveränderung und andere globale Probleme lösen. Sie reden schön, sind gute Menschen und werden nicht an ihren Taten gemessen. Schwieriger wird es dort, wo es konkret wird, wo es um Handfestes geht. Wirklich bewähren muss sich nämlich der Lokalpolitiker. Ihn misst man an den konkreten Ergebnissen. An so schmucklosen Dingen wie dem Steuerfuss oder der Investitionsrechnung. Auf ihn sind die prüfenden Augen der Bürgerinnen und Bürger gerichtet. Täglich. Und Ausreden werden nur selten geduldet. Stimmt die Finanzrechnung nicht, kann kein Gemeinderat der Welt-Vogelgrippe oder der Globalisierung die Schuld geben. Der Lokalpolitiker wird immer wieder auf den Boden der Realität geholt. Zu Recht. Und es sind nicht zuletzt die Lokal-Journalisten, die den Politiker am Boden der Realität festzunageln haben und ihn zur täglichen Pflichterfüllung zwingen. Das ist Ihre Aufgabe. Einfach ist dies nicht, aber wichtig. Schreiben, was ist Wir Politiker stellen so etwas wie das redselige Abbild des Journalisten dar. Auch wir sind dem täglichen Überlebenskampf ausgeliefert, nicht frei von Eitelkeiten und müssen mit unseren erbittertsten Gegnern zusammenarbeiten – ob wir es wollen oder nicht. Die Haupttätigkeit des Journalisten ist das Schreiben, während sich der Politiker aufs Reden verlegt hat. Der Exekutivpolitiker sollte daneben allerdings auch noch handeln. Und um sachgerecht handeln zu können, muss zuerst das Problem erkannt werden. Wer sich in der Führung auskennt, der weiss, wie schwierig es ist, die Realität zu erkennen. Wie ist es wirklich? lautet die bange Frage jedes guten Vorgesetzten. Wer nicht weiss, wie es ist, kann das Problem nicht einmal erkennen, geschweige denn lösen. Der Mensch neigt leider dazu, den wahren Zustand zu übersehen, zu beschönigen oder zu verdrängen. Vor allem so genannt moralisch hochstehende Menschen neigen zur Verdrängung, weil sie Angst davor haben, die Wirklichkeit könnte schlechter sein, als das, was sie selbst wollen. Besonders dann, wenn diese Moralisten selbst im Geschehen stecken, tun sie alles, um die Wirklichkeit zu beschönigen, damit sie selber in besserem Licht erscheinen. Der Mensch glaubt allgemein, man müsse den Ist-Zustand nur so beschreiben, wie man ihn gerne hätte, dann sei alles gut. Wird einem dann später dieses selbst fabrizierte Trugbild als Wirklichkeit in Zeitung und Fernsehen vorgesetzt, nimmt man diese schmeichelnde Ersatzrealität natürlich gerne für bare Münze. Glücklicherweise funktioniert dieses selbstbetrügerische System nur kurzfristig. Die Wirklichkeit trotzt allen Manipulationsversuchen. Je früher sie wieder zum Vorschein kommt, desto weniger folgenreich spielt sich dieser Läuterungsprozess ab. Wer im Lokalen wie im Überregionalen Zeuge solcher menschelnder Verschönerungs- oder Verdrängungsvorgänge wird, merkt etwas von der oppositionellen Kraft, die allein in der Schilderung der Wirklichkeit liegt. Besonders der Lokaljournalist, der ganz nahe bei der Wirklichkeit arbeitet, gerät fast automatisch in den Zwiespalt, entweder gegen sein besseres Wissen an der Verschleierung der Tatsachen mitzuwirken oder die Wahrheit aufzudecken und damit in Opposition zur Macht und den Mächtigen zu geraten – was mitunter gefährlich sein kann. Tun Sie’s trotzdem oder gerade deswegen! Schreiben, was ist! So lautet Ihr grosser Beitrag als Journalist. Schreiben, was ist! Der Titel meines Referats ist gleichzeitig das journalistische Vermächtnis des Spiegel-Begründers Rudolf Augstein. Denn, so der grosse Publizist weiter: „Richtig informieren, heisst auch schon verändern!“ Aber wenn richtig informieren auch schon verändern heisst, was bewirkt dann das falsche Informieren? Nun: Auch falsche Informationen sollen verändern. Sie sollen die Wirklichkeit verändern, d.h. fälschen. Und zwar zugunsten des Manipulators. Darin liegt das schlichte Motiv der Verfälscher. Das wissen kriegsführende Generäle, Diktatoren, Monarchen, Regierungen… und Informationsbeauftragte. Aber das wissen auch Sie als Journalisten. Falsche Informationen haben das Ziel, die Wirklichkeit zu vertuschen. Das ist schliesslich ihr Sinn. Nicht selten versuchen gerade Politiker Fehler und Misserfolge zu beschönigen, um ihre Arbeit ins beste Licht zu rücken. Eine verständliche Absicht. Denn auch Politiker lieben den Applaus der grossen Menge. Sie glauben, ihr ganzes politisches Überleben hänge von der öffentlichen Zustimmung ab. Da werden schon mal ein paar Tatsachen zurechtgebogen oder verschwiegen oder geschönt. Aber das gilt nicht nur für die Politik. Selbst in der Wirtschaft, der Kirche, der Gesellschaft, selbst im Privaten sind Menschen nicht gefeit davor. Schreiben als subversive Tätigkeit Sagen, was ist! Schreiben, was ist! Die Wirklichkeit abbilden, kann da – wie gesagt – plötzlich sehr subversiv und gefährlich sein. Sie sehen: Journalist ist ein gefährlicher Beruf. Ich meine nicht dann, wenn auch Sie die Tatsachen verdrehen, sondern eher dort, wo sie die Fakten so darstellen, wie sie sind. Gute Journalisten sind Detektive, Wühler, Unruhestifter, nicht eben angenehme Zeitgenossen. Liebesbedürftige kommen nicht auf ihre Rechnung. Diese sind in der Politik besser aufgehoben. Deshalb frage ich Sie: Können Sie sich mit Ihrer Mission identifizieren? Wollen Sie diese Mühsal tatsächlich auf sich nehmen? Zu beneiden sind Sie wirklich nicht, denn man macht Ihnen das Leben oft genug schwer. Was bekommen Sie als Informationen? Meist bloss geschönte Berichte, verführerische Pressetexte, filtrierte Auskünfte. Die Worte von offiziellen Sprechern haben Sie zu deuten wie das Orakel von Delphi. Häufig verabreicht man Ihnen nur Halbwissen, was in der Regel schlimmer ist als gar keine Information. Schreiben, was ist oder pädagogische Erziehung? Vielleicht hören Sie das alles nicht so gern, denn „Schreiben, was ist“ entspricht nicht dem Zeitgeist. Diese Devise mag Ihnen vielleicht sogar etwas langweilig erscheinen. Viele Journalisten sind ja wie gute Pädagogen. Sie wollen die Welt, die Menschheit, die Schweiz, den Bundesrat, die Politiker, den Blocher verändern und verbessern – und plötzlich sind Sie keine Journalisten mehr, sondern betreiben, vielleicht ohne es zu wollen, selber Politik. Damit untergraben Sie die Grundlagen Ihrer journalistischen Arbeit. Sie verlieren an Glaubwürdigkeit, an Respekt und – vor allem – an Einfluss. Sie verlieren Ihr Kapital – Ihr Einfluss ist die Macht des Faktischen! Denn nur so treffen Sie die Realitätsverweigerer, die Wirklichkeitsbeschöniger, die Manipulatoren – einfach all jene, welche glauben, sich mit Geheimniskrämerei, moralistischer Weltfremdheit und selektiver Wahrheit an der Macht halten zu können, weil sie so mit schönem Mäntelchen ihre Mängel und ihre Unfähigkeit verdecken. Dazu bedarf es allerdings eines offenen Klimas in Medien, Politik und Gesellschaft. Wo dieses nicht vorhanden ist, werden Sie kritisiert, bestraft und beiseite geschoben. Demokratische Macht baut jedoch auf das Fundament der Transparenz. Und hier meine ich, hätten die Journalisten einen besonderen Vorteil. Sie haben es besser als die Leute, die in der Macht, in der Politik stehen. Diese dürfen nicht alles sagen, was sie denken, oft nicht einmal sagen, was ist. Der Journalist darf und soll sich solche Freiheiten nehmen. Nichts Neues unter der Sonne Die Darstellung von dem, was ist, kann gefährlich sein. Viele Menschen mussten sogar ihr Leben lassen, nur, weil sie sagten, was ist. Die Weltgeschichte kennt viele Scheiterhaufen. Aber diese Menschen haben Geschichte gemacht. Nun, soweit müssen Sie heute wohl nicht mehr gehen, obschon auch im Jahre 2005 noch ein paar Restrisiken für Ketzer bestehen. Auch Demokratien, selbst die unsrige, sind nicht gefeit vor Unterdrückungen. Am Schlimmsten ist es dort, wo nur eine Meinung herrscht und keine andere zugelassen wird. Dort, wo sich die Herrschenden und die Meinungsmacher, die Politiker und Journalisten, wo alle zusammen sich auf eine einzige Meinung verständigt haben und jeden, der nur etwas von dieser Doktrin abweicht, gleich auf den medialen Scheiterhaufen führen. Hier wird die gefälschte Darstellung der herrschenden Zustände zur Lüge, auf die sich alle geeinigt haben. Dieser Gefahr ist auch eine Zeit ausgesetzt, welche theoretisch die Meinungsvielfalt predigt und angeblich lebt. Gegen diese Bedrohung ist keine Demokratie geschützt. Sie wissen alle, wovon ich rede. Sie kennen sie alle: Den Mainstream, in dem auch die Journalisten oft und gerne schwimmen. Ihnen ist aus der Geschichte das Schicksal von Galileo Galilei sicher bekannt. Mit seinem Fernrohr entdeckte der florentinische Gelehrte vier Monde des Jupiters. Sie tauchten hinter dem Planeten auf und verschwanden wieder. Sie umkreisten ihn. Der Legende nach forderte Galileo die Kardinäle auf, durchs Fernrohr zu blicken – um zu sehen, was ist! Doch die Kardinäle weigerten sich. Mit guten Gründen. Denn sie waren weder dumm noch astronomisch ungebildet. Sie fürchteten sich bloss, vor den unwiderlegbaren Fakten und deren Folgen. Die Kirche bangte um ihre moralistische Lufthoheit. Wenn da einer sagt, wie es ist, glaubten sie die ganze kirchliche Autorität in Gefahr. Wer der herrschenden Moral entgegen tritt, muss entweder zum Schweigen gebracht, beseitigt werden oder widerrufen. Zum Widerlegen bleibt da keine Zeit. Galileo widerrief: „Mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben schwöre ich ab.“ Da man die Wirklichkeit nicht widerlegen kann, muss der, der sie verkündet, vernichtet werden. Meine Damen und Herren, sehr geehrte Lokaljournalisten und Pressefotografen. Sie sind es, die mit den Methoden Galileos arbeiten. Sie halten die Lupen, Ferngläser und Fotolinsen in Ihren Händen. Hinterfragen Sie, seien Sie kritisch, misstrauen Sie den Mächtigen und der Macht. Entziehen Sie sich dem opportunistischen Sog. Aber tun Sie es nicht, um Ihre eigene oder irgendeine politische Meinung durchzusetzen, sondern tun Sie es, um darzustellen, was ist! Verschreiben Sie sich keiner Gesinnung, dann werden Sie vielleicht nicht geliebt, aber anerkannt oder gar gefürchtet sein. Leuchten Sie die Themen aus, zwingen Sie die Herren Kardinäle von heute vor die Linsen. Und die Herren und Damen Kardinäle – ob weltliche, kirchliche oder atheistische – sie werden sich zieren. Genauso wie damals. Vielleicht wird man Sie wegen Ihres Schreibens oder wegen Ihrer Bilder der Ketzerei verdächtigen. Macht nichts. Sie schreiben und dokumentieren nicht für sich selbst, nicht für die Inquisition, nicht für die Kardinäle, sondern für das Publikum, für die Bürgerinnen und Bürger, die ein Anrecht haben, zu wissen, was ist. Dass Sie für ihre Arbeit speziell geehrt werden, ist selten genug. Heute ist ein solcher Anlass. Ich freue mich mit Ihnen.
27.11.2005