20 Jahre nach dem Nein der Schweiz zum EWR (I)

Artikel in der Sonntagsausgabe der Südostschweiz am 25. November 2012 mit Urs Zurlinden

Herr Blocher, Sie sind soeben aus Indien zurück gekommen. Wie war’s?
Christoph Blocher: Interessant! Indien hat sich in den letzten 20 Jahren enorm entwickelt, ist aber trotzdem noch zurück geblieben. In Indien leben die dritte und die erste Welt nebeneinander.

Indien gehört zusammen mit China wirtschaftlich zu den neuen Weltmächten. Was machen die Inder besser als die Europäer?
Bis vor zwanzig Jahren herrschte dort ein sozialistisches Regime, seither mehr oder weniger freie Marktwirtschaft. Wird ein Land mit derart tiefen Löhnen in die Marktwirtschaft entlassen, dann ist klar: Die haben bessere Preise! Das war mit Japan so und mit China. Dann hat sich Indien auf die Elektronik spezialisiert, auf Software-Firmen –sehr erfolgreich.

Europa hingegen steckt in der Krise. Das freut den EU-Gegner der ersten Stunde?
Keineswegs. Wirtschaftlich ist die EU für die Schweiz wichtig. Dass die EU eine intellektuelle Fehlkonstruktion ist, wusste ich schon lange, aber dass sie derart grossen Unsinn macht, hätte ich nie gedacht.

Welches ist denn der gröbste Fehler in dieser EU-Konstruktion?
Zu glauben, man könne Europa stark machen, indem man möglichst viel gleich regelt. In Europa hat jedes Land eine andere Geschichte: Europa heisst Staaten mit ihren besonderen Charakteren, mit ihren Eigenheiten und ihrer Geschichte. Die kann man nicht künstlich zusammen binden: Ein Italiener erfüllt die EU-Verträge anders als ein Deutscher und denkt anders als ein Schwede. Und ein Grieche hat eine andere Steuermoral als alle anderen; dahinter steckt eine ganz andere Mentalität, und deshalb sollte man die Staaten mehr machen lassen. Die Griechen kämen aus dem Sumpf heraus, wenn sie den Drachme noch hätten!

Am kommenden Sonntag feiern Sie den 20. Jahrestag des EWR-Neins vom 6. Dezember 1992. Sind Sie noch stolz auf diesen Pyrrhus-Sieg?
Das war weder ein Pyrrhus-Sieg – noch ein anderer. Aber mit allergrösster Dankbarkeit werden wir uns am 2. Dezember um 14.00 Uhr in Biel mit allen, die da kommen wollen, dankbar erinnern, dass das Schweizer Volk vor 20 Jahren einen ausserordentlich weisen Entscheid getroffen hat: Die Schweiz bleibt eigenständig. Der Segen dieses Entscheides ist jetzt greifbar: Wir haben Vollbeschäftigung – drüben in der EU hingegen Arbeitslosigkeit, bis zu 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit! Das hängt alles mit der Fehlkonstruktion zusammen. Die Spanier hätten nie solche Dummheiten machen können, wenn man ihnen nicht den Euro gegeben hätte. Jetzt kommt die Quittung: Alle drängen in die Schweiz, um hier zu arbeiten. Nicht weil wir bessere Politiker haben, sondern weil wir eine bessere staatliche Verfassung haben. Das ginge kaputt, wenn wir in der EU wären. Es geht aber am 2. Dezember in Biel vor allem darum, den Weg der Schweiz in die Zukunft aufzuzeigen.

Nach Ihrer Rede werden Sie das Beresina-Lied anstimmen. Was hat denn die Niederlage Napoleons vor 200 Jahren mit dem EWR-Nein zu tun?
Sehr viel! Im Jahr 1812 war die Schweiz letztmals unter einer fremden Macht. Napoleon versprach bei seinem Einmarsch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Letztlich hat der dann aber den Berner Goldschatz gestohlen und die Schweiz verpflichtet, für den russischen Feldzug 12 000 Soldaten zu stellen – 300 sind übrig geblieben. Im Morgengrauen des 28. Novembers, kurz vor der Schlacht an der Beresina, stimmte der Glarner Oberleutnant Thomas Legler dann das Lied „Nachtreise“ an und die Schweizer Soldaten stimmten in den Gesang mit ein. Das Beresina-Lied ist ein Mahnmal: Wenn eine fremde Macht bestimmt, kommt es nie gut heraus!

Ihr Schloss Rhäzüns war einst im persönlichen Besitz von Napoleon. Fühlen Sie sich als sein Nachfolger?
Napoleon hat immer wert darauf gelegt, dass es ihm persönlich gehöre. Er besass es fünf Jahre lang, dann ist es 1814 wieder an Habsburg zurück gefallen. Es ist Zeit, dass das Schloss in Schweizer Händen ist.

Sehen Sie Parallelen zwischen Napoleons Europa-Vision und der EU?
Insofern, dass auch Napoleon eine Grossmacht anstrebte. Das ist eine alte Idee: Schon Karl der Grosse und die Habsburger wollten ein Grossreich, später Hitler. Geglückt ist es nie!

Die EU-Mitgliedsländer sind unsere wichtigsten Wirtschaftspartner. Sollen wir auf den europäischen Binnenmarkt verzichten?
Wir haben den Marktzugang. Ems exportiert 96 Prozent ins Ausland, davon etwa zwei Drittel in die EU. Wir haben doch diesen Binnenmarkt! Sagen Sie mir, was der Schweiz für den Binnenmarkt fehlt?

Die gleichen Rechte und Gesetze.
Dieser bürokratische Mist soll einen Binnenmarkt geben? Wollen Sie wie in der EU diese hohen Sozialabgaben, diese vielen Nebenkosten und die 15 Prozent Mehrwertsteuer? Wollen Sie die vielen Arbeitslosen? Wollen Sie, dass die Reichen mit 75 Prozent besteuert werden, sodass sie ausziehen. Anstatt die guten Kühe zu melken, werden sie zu Tode geschlagen. Das ist unschweizerisch! Und: In der EU gibt es keine direkte Demokratie!

Haben Sie denn kein Verständnis dafür, dass die Schweiz nicht nur profitieren, sondern auch in ganz Europa geltendes Recht übernehmen soll?
Nein, dafür habe ich tatsächlich kein Verständnis. Wer bestimmt denn, was richtiges Recht sein soll? Es heisst: Jeder Staat hat das Selbstbestimmungsrecht. Kolonien wurden abgeschafft. Jetzt soll das nur noch für die afrikanischen Staaten gelten und für die Schweiz nicht. Dafür habe ich kein Verständnis!

Der Bundesrat hat im Sommer Vorschläge gemacht, wie die Schweiz künftig neues EU-Recht übernehmen könnte. Von fremden Richtern im eigenen Land ist nicht die Rede?
Lesen Sie den Brief der Bundespräsidentin an die EU vom 15. August genau. Sie schreibt darin ausdrücklich, sie könne sich eine Art EWR vorstellen. Das heisst: Wir übernehmen fremdes Recht. Und: Wir könnten die Gerichtsbarkeit der EU einfliessen lassen mit einer Aufsichtsbehörde etc. Die EU fordert klar die Übernahme der Gerichtsbarkeit – und der Bundesrat wird nachgeben!

Sie warnen vor einem „schleichenden EU-Beitritt“ und polemisieren: „Schweizervolk erwache!“ Wie einst Winkelried?
Was ist an einem Aufruf polemisch? Heute sagen alle, der EU-Beitritt sei weit weg. Es stimmt: 80 Prozent der Schweizer wollen nicht in die EU. Aber in Bern ist es umgekehrt: Von Bundesrat und Parlament wollen 80 Prozent in die EU, auch wenn sie das Gegenteil sagen. Der schleichende EU-Beitritt auf sanften Pfoten ist das Gefährliche. Das will die EU mit einer „institutionellen Bindung“ und „Angleichung der Gerichtsbarkeit“ erreichen. Das sind schöne Worte – ist aber letztlich nichts als salonfähige Verlogenheit!

Sind Sie nicht langsam müde, immer wieder gegen die Windmühle EU anzukämpfen?
Doch, ich bin schon lange müde, muss aber immer wieder. Ich selber würde endlich vom Irrweg der EU Abschied nehmen.

Ihr Sieg bei der EWR-Abstimmung vor 20 Jahren war der Durchbruch einer ideologisch erneuerten SVP. Nun erlebt Ihre Partei eine Baisse?
Das ist ein Wunschdenken. Die SVP ist die weitaus stärkste Partei.

Aktuell muss sich die SVP aber um peinliche Personalien kümmern. Sehen Sie Christoph Mörgeli als Uni-Rektor?
Er wäre ein hervorragender Mann für diesen Posten – eine von ideologischen Scheuklappen befreite Persönlichkeit. Wie Herr Mörgeli weg gemobbt wurde, ist eine Gefährdung der Lehr- und Lernfreiheit. Mörgeli hatte während 20 Jahren hervorragende Qualifikationen, dann hat man ihm einen linken Historiker vor die Nase gesetzt – worauf er plötzlich als ungenügend bezeichnet wurde.

Soeben flatterte ein „Extrablatt“ der SVP in alle Haushalte. Haben Sie diese PR-Offensive finanziert?
Wir nehmen zur Finanzierung unserer Aktionen nie Stellung. Aber Sie müssen keine Angst haben: Die Rechnungen werden bezahlt….

Parteipräsident Toni Brunner lamentiert darin über die Medien in der Schweiz. Hat er Ihre „Basler Zeitung“ nicht abonniert?
Das weiss ich nicht. Die „Basler Zeitung“ gehört ja nicht mir, ich helfe nur enorm mit, damit sie eine unabhängige Zeitung ausserhalb des Medienmainstreams bleibt. Toni Brunner beklagt zu Recht, dass der Mainstream und die Journalisten zu 90 Prozent gegen die SVP sind. Das hat er nicht erfunden – das ist Alltag!

Sie haben der BaZ die Immobilien für 65 Millionen Franken abgekauft. War das nötig fürs Überleben?
Die Basler Zeitung ist ein Konzern, in dem die Zeitung nur ein kleiner Teil ist. Mit dem Kauf der Grundstücke ist die Basler Zeitung jetzt schuldenfrei. Das Ziel ist, eine Basler Zeitung nackt zu haben.

Ein Sorgenkind ist nach wie vor die Druckerei. Was haben Sie vor?
Die Druckerei muss entweder ausgelastet sein, oder sie muss geschlossen werden. Es gibt keine andere Möglichkeit. Darüber werden wir im nächsten Jahr entscheiden müssen. Im Moment ist ganz schlecht ausgelastet.

…also droht eine Schliessung….
…oder sie wird bis dann ausgelastet und rentabel…

….was doch unwahrscheinlich ist.
Das möchte ich nicht sagen. Aber es ist so: Es gibt in der Schweiz viel zu grosse Druckkapazitäten.

Die Zeitung verliert permanent und in grossem Umfang Leser. Wie geht es weiter mit der BaZ?
Leser nicht, aber Abonnenten – das ist ein Unterschied. Basel ist ja eine linke Stadt mit sehr vielen intoleranten Leuten. Die BaZ wird überleben. Aber sie hat verloren, das stimmt, wie übrigens andere Blätter auch.

Wie lange stehen Sie noch hinter Chefredaktor Markus Somm?
Hinter einem derart guten Mann muss niemand stehen – der steht von selbst!

BaZ-Verleger Filippo Leutenegger musste sein Büro in Basel räumen. Wurde er abserviert?
Das ist dummes Geschreibe! Filippo Leutenegger ist Präsident des Verwaltungsrates und musste auch noch CEO sein. Nun hat man einen CEO, also hat er die operative Führung aufgegeben. Er ist und bleibt VR-Präsident und kann die operativen Aufgaben endlich abgeben.

Neuer starker Mann in Basel ist der ehemalige Tamedia-Manager Rolf Bollmann. Ein kluger Schachzug?
Er ist ein sehr guter Mann, und ich freue mich, dass der Verwaltungsrat ihn geholt hat.

Bollmann bleibt aber mit Tamedia verbandelt – und die BaZ gibt schon das „Magazin“ heraus. Ist eine noch engere Zusammenarbeit geplant?
Nein. Herr Bollmann soll bei gewissen Regionalzeitungen von Tamedia im Verwaltungsrat bleiben. Was stört das die BaZ?

Gerüchte halten sich, wonach die BaZ ihre Sonntagsausgabe wieder aufgibt und dafür die SonntagsZeitung anbietet.
Davon weiss ich nichts.

Wie schätzen Sie generell die Lage in der Medienbranche ein?
Die Frage ist, ob die Leute auch in Zukunft noch Zeitungen lesen. Das hängt mit dem Internet zusammen, wobei ich glaube, dieser Internet-Boom sei eine vorübergehende Sache. Leute, die sich richtig informieren wollen, die lesen Zeitungen.

Wird es also in fünf Jahren noch sorgfältig gemachte Printmedien wie eine „Südostschweiz“ geben?
Die Regionalzeitungen haben grössere Chancen zu überleben, denn das Lokale ist weniger bedroht vom Internet und vom Fernsehen. Gute Zeitungen wie eine „Weltwoche“, die jede Woche gut recherchierte Artikel anbietet, werden sicher eine Zukunft haben.

Bio-Box

Christoph Blocher…
…wurde am 11. Oktober 1940 geboren und ist in Laufen-Uhwiesen (ZH) aufgewachsen. Nach der Ausbildung zum Landwirt holte er die Matur nach und schloss sein Jus-Studium in Zürich, Montpellier und Paris 1971 mit dem Doktorat ab. Von 1969 bis 2003 arbeitete er in der Ems-Chemie, ab 1972 als VR-Delegierter, 1983 übernahm er die Aktienmehrheit. Seine politischen Stationen waren: Gemeinderat Meilen (1974-1978), Kantonsrat Zürich (1975-1980), Präsident SVP Zürich (1977-2003), Nationalrat (1979-2003), Bundesrat (2004-2007) und seit 2011 wieder Nationalrat. Christoph Blocher ist verheiratet, Vater von vier erwachsenen Kindern, Grossvater von acht Enkeln, wohnt in Herrliberg und besitzt die wohl grösste Sammlung von Bildern von Albert Anker. (uz)

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